Читать книгу Nach Amerika! Ein Volksbuch. Vierter Band - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 1

Capitel 1
Die Fahrt durch Arkansas

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Den Mississippi hinauf brauste das kleine, aber tüchtige Dampfboot Little Rock, nach Fort Smith, dem Grenzort des Indianischen Territoriums bestimmt, aber auch an allen Zwischenorten, wo eben Passagiere aussteigen oder an Bord kommen wollten, oder wohin Fracht von New-Orleans aus eingeladen war, anlegend.

Passagiere hatte es aber nicht sehr viele an Bord, denn der große Menschenstrom der Einwanderung geht vorzugsweise den Mississippi hinauf bis St. Louis und zu den nördlicher gelegenen Staaten, Iowa oder Wisconsin, oder den Ohio hinauf, wohin wir der Jane Wilmington mit unseren Bekannten gefolgt waren. Den Arkansas aufwärts war der Zug der Einwanderung noch nicht so stark, denn die Fremden fürchteten die kalten Fieber, die in den östlichen Theilen des Staates herrschen, und scheuen sich ebenso sehr nach dem Westen zu gehen, den ihre Phantasie nicht selten auf viel zu poetische Weise mit Bären, Panthern und Gott weiß was sonst noch für reißenden Thieren bevölkert.

Nichts destoweniger haben die dort gelegenen Städte zum Theil schon recht wackere Fortschritte gemacht, und blühen und gedeihen in dem jungen Land, das Fruchtboden aufzuweisen hat, wie kaum ein anderer Staat der Union, und in seinen westlichen Bergen dabei so gesunde und trefflich gelegene, überall von schönen Strömen durchzogene Flächen bietet, wie es der Farmer nur wünschen kann. Freilich war es noch wild in dem Squatterstaat, noch entsetzlich wild, und als der Little Rock, der nach der Hauptstadt von Arkansas seinen Namen bekommen, und auch in der That einem Kaufmann dort gehörte, den lebendigeren Mississippi verließ, und bei dem kleinen Städtchen Napoleon links in die Mündung des Arkansas selber einbog, schien Wald, endloser Wald die Ufer zu decken, aus denen nur hie und da kleine urbar gemachte, oder von den Holzhauern gelichtete Waldblößen die Wildniß nicht etwa unterbrachen, sondern nur die Färbung derselben in etwas veränderten. Dicht und unmittelbar dahinter nahm sie wieder ihre dunklen Schatten an, und die mit wehenden Schlingpflanzen in schwingenden Festons behangenen Zweige streckten sich oft weit über das Ufer und den daran hinschäumenden Strom hinaus.

Breite, helle Sandbänke füllten dabei die äußeren Biegungen des in dieser Jahreszeit ziemlich niedrigen Stromes, auf denen Schwärme von Wildenten und Gänsen saßen, beim Nahen des heranbrausenden Bootes die langen dunklen Hälse hoch emporreckten, mit den Flügeln schlugen, und dann aufstrichen in ihren schnurgeraden Reihen, bis sich der Führer hoch oben in blauer Luft seinen Zug keilförmig ordnete, und queer über den Wald weg hielt, einem stilleren Sumpf oder Binnensee zu.

Überall ragten hier häßliche snags und sawyers (in Sand oder Schlamm unten festsitzende Stämme und Äste) aus der Fluth empor, den Lootsen in dem nicht so breiten Fahrwasser zu doppelter Vorsicht mahnend, und auch die Ufer dieses Stromes, wie die des Mississippi, verriethen die Verheerungen, die er hier angerichtet am bewaldeten Ufer. Ganze Strecken der hohen, aus dem herrlichsten Fruchtboden bestehenden Bänke waren unterwühlt, hunderte von mächtigen Stämmen hineingerissen in die um ihre Äste jetzt quirlende Fluth, und wieder und wieder bohrte und wusch die Strömung unter den schon halb blos gelegten Wurzeln der nächsten Bäume, auch sie nachzuholen in ihre gelben Strudel.

Sycamoren, Baumwollenholzbäume, Eschen und Cypressen, mit stämmigen Weiden am unmittelbaren Ufer, der Unterwald, wie am Mississippi, oft von dichten fast undurchdringlichen Schilfbrüchen gefüllt, bilden die Vegetation des Flußlandes, wenigstens die, die vom Fluß selber aus dem Vorbeifahrenden sichtbar ist, und hier allerdings schleicht der scheue Panther Nachts zum Strome nieder, seinen Durst zu löschen, oder dem schlanken Hirsch aufzulauern, der das Wasser des Arkansas, seines Salzgehaltes wegen, eifrig sucht; in diesen Schilfbrüchen schlägt sich der Amerikanische gelbnasige Bär sein Lager zurecht, mit den Tatzen, der wilde Truthahn bäumt in die hohen Baumwollenholzstämme, und sucht von deren Gipfel aus mit schwerem, leicht ermattetem Flug das andere Ufer zu erreichen, und das Catamount, ein Mittelding zwischen Panther und wilder Katze, duckt sich dicht am Ufer in stiller Nacht, als es das Dampfboot mit den regelmäßig klappenden Radschlägen und dem scharfen Keuchen stromauf arbeiten hört, und flieht mit flüchtigen Sätzen die steile Uferbank hinan, als die gegen das Land geworfenen Wellen nach ihm aufspritzen und züngeln.

Es ist ein wunderbares, nicht zu beschreibendes Gefühl, auf raschem Boot zwischen diesen stillen rauschenden Wäldern dahinzugleiten, und füllt die Brust des Fremden besonders, dessen Blick vergebens in des Waldes Tiefe einzudringen sucht, mit einem halb zagenden Verlangen jene Wildniß zu betreten. Wie die Wipfel so leise flüstern und so geheimnißvoll, und im Winde schwanken, herüber und hinüber, und ihren duftigen Schleier über das zitternde Dunkel des Urwaldes breiten – wie es da drinnen knarrt und stöhnt und seufzt, und hindurch schleicht, durch das gelbe, Jahre und Jahre lang aufgehäufte gelbe Laub mit leisem, scheuem Schritt, und in den Blättern raschelt, und durch die Büsche hin. – Hui – vorbei – was war das? – wie ein Phantom glitts an dem Rand der Waldung hin, und ein paar glühende Augen blitzten einen Moment von dort herüber. Ein Wolf? – vielleicht; die schwarzen tückischen, mordlustigen Burschen haben dort ihren Tummelplatz, und wenn die Nacht kommt, tönt noch der wunderbar klagende, unheimlich hohle Laut der Eule von dort heraus, mit dem neckenden Schrei der Nachtschwalbe,1 die den Gespielen ruft – »whip poor willwhip poor will

Der schöne – wunderschöne Wald – aber er bleibt Dir ein verschlossenes Heiligthum, wenn Du nicht kühn und keck vom Boote springst, mit starken Armen die Büsche theilst und den heiligen Boden betrittst, der Gottes Tempel ist, und seine hohen mächtigen Säulen trägt. – Nur sein Athmen hörst Du, wenn Du an der Pforte stehst, die Dir die Arme trotzdem weit und gastlich entgegen breitet, das stille Rauschen seiner dunklen Wipfel, und sie grüßen Dich wohl und nicken Dir zu, wie man den Fremden grüßt, den man auf der Straße trifft, aber der liebende Ton ist es nicht, mit dem sie den Freund, der ihrem Schutz vertraut, das Schlummerlied flüstern – leise, leise, daß es ihn nicht stört, und ihm die Mondesstrahlen von den Augen halten.

»Oh wie großartig – oh wie herrlich!« seufzte eine entzückte weibliche Stimme von den guards des Dampfers aus, als dieser dicht an dem wilden rauschenden Ufer vorüberbrauste – »wer jetzt hinüber könnte – dahinein, die Wunder dieser düsteren, geheimnißvollen Welt zu erforschen!«

»Ja, Mosquitos und Holzböcke würden Sie genug finden, verehrtes Fräulein,« sagte in diesem Augenblick eine Stimme, als Amalie von Seebald, die ihren Gefühlen ganz unbewußt laute Worte gegeben, die Arme fest an die Brust gepreßt, den Blick sehnsüchtig auf die rauschenden Wipfel geheftet, auf der Gallerie der Damencajüte des Little Rock stand und nach dem dunklen Wald hinüberschaute.

Fräulein von Seebald schaute überrascht empor, und sah eine kleine untersetzte, in einen grauen Überrock geknüpfte und mit einem etwas abgetragenen Strohhut bedeckte Menschengestalt dicht über sich auf dem Radkasten stehen, die ein Tuch in der Hand hielt und im Begriff schien, Jemandem, der noch etwas weiter oben am Ufer in einer kleinen, kaum bemerkbaren Lichtung stand, zuzuwinken.

»Ungeheuer viel Mosquitos da drin,« sagte der kleine freundlich aussehende Mann, »enorm viel, und Holzböcke? – puh, ich bin einmal da drin gewesen, gleich unter der Post Arkansas; Tschisus Etsch Dobbeljuw Kreist, was für Holzböcke! wenn mich nicht ein Theil festhielt, hätte mich der andere aus dem Bette gezogen, und am nächsten Morgen war meine Haut wie ein Sieb, daß ich mich mit Baumharz ordentlich anstreichen mußte, um nur nicht auszulaufen – ist aber famoses Land da drinnen.«

»Sie sind hier bekannt?« frug Fräulein von Seebald mit mehr Interesse, als sie sonst wohl an dem kleinen unscheinbaren Mann genommen hätte – »kennen das Land vielleicht und die Leute?«

»Kennen?« sagte der kleine sonderbare Fremde mit einem ungemein selbstbewußten Lächeln, indem er als bildliche Darstellung seiner Antwort seine rechte Rocktasche herausdrehte und gegen die Dame hielt – »kenne ich meine Tasche? – ich bin Charley Fischer – haben Sie noch nicht von Charley Fischer in Little Rock gehört? wie? – noch nicht? – bin schon zwölf Jahre hier im Lande und habe Little Rock mit bauen helfen; war damals wirklich ein little Rock,2 ist aber jetzt ein hiep bigger geworden.«

Fräulein von Seebald lächelte über die wunderliche Ausdrucksweise des Mannes, es lag ihr aber daran die genaue Situation der Farm kennen zu lernen, die dem Grafen Olnitzki gehörte und die, da sie gar nicht so sehr weite Strecke von der Hauptstadt Little Rock entfernt sein sollte, auch jedenfalls von dem Mann gekannt sein mußte.

»Dürfte ich Sie da vielleicht um eine Auskunft bitten über Jemand, der in Ihrer Nähe wohnt? frug sie ihn, und erschrak fast, als der kleine Fremde ganz zutraulich den kleinen Steg vom Radkasten nieder und zu ihr auf die Gallerie kam. Sie machte dabei eine fast unwillkürliche Bewegung zurück, und sah sich nach ihrer Cajütenthür um, Charley aber, der die Bewegung falsch verstand, sagte freundlich:

»Hat Nichts zu sagen, mein Fräulein; ich darf überall hin, der Capitain kennt mich und ist mein intimer Freund. Habe selber erst eine kleine Reise nach Napoleon gemacht, um dort nach Sachen zu sehen, die für mich von New-Orleans heraufkamen und mit denen das Boot nahe bei Napoleon verunglückte, habe aber ziemlich Alles wieder bekommen und die ganze Geschichte gleich selber mitgenommen. Und nach wem wollten Sie sich erkundigen, wenn ich fragen darf?«

»Kennen Sie einen Graf Olnitzki, der in der Nähe der Oakland grove eine Farm hat und dort ebenfalls schon mehre Jahre ansässig ist?«

»Graf Olnitzki – Graf Olnitzki?« sagte Charley Fischer, wie er sich selbst genannt hatte, sein Kinn dabei mit der rechten Hand streichend, während er die linke tiefer und tiefer in die entsprechende Rocktasche hineinbohrte – »Graf Olnitzki – den Namen habe ich doch oft genug gehört; er muß auch schon einmal bei mir in Little Rock gewesen sein – was hat er denn nur da gewollt – ich glaube irgend etwas zum Verkauf gebracht?«

»Wahrscheinlich seine Produkte – türkischen Weizen oder Baumwolle – « sagte Fräulein von Seebald.

»Ne, ne – es war etwas anderes,« meinte Charley.

»Oder der Ertrag seiner Jagden – Hirschhäute und Bärenschinken.« —

»Ne, ne,« beharrte der kleine Deutsche, »es war was ganz absonderliches; Jemine noch einmal, daß ich mich jetzt nicht mehr darauf besinnen kann.«

»Aber das hat ja auch gar Nichts zu bedeuten. – Sie kennen jedenfalls die Lage und können mir sagen, wo ich vom Dampfboot abgehen muß den Platz am leichtesten zu erreichen. Der Capitain meinte, ich würde bis Little Rock mitfahren müssen.«

»Jedenfalls, jedenfalls,« sagte Charley schnell, »können dann bei mir logiren, ich halte auch seit einiger Zeit ein Hotel; mein Bruder hält zwar ebenfalls eins, und wir haben dadurch gewissermaßen eine Opposition gegeneinander, aber die Opposition ist ja die Seele der Gesellschaft, der Lebenstrieb, der unsere ganzen Staaten zusammenhält; was wären wir hier alle mit einander ohne Opposition?«

»Aber ich gedenke mich gar nicht in Little Rock aufzuhalten,« sagte Fräulein von Seebald ausweichend.

»Es wird aber wohl Abend werden bis wir hinkommen,« meinte Charley – »doch das können Sie sich noch überlegen; hier haben Sie jedenfalls meine Adresse.«

»Und welchen Weg schlage ich von Little Rock ein?« frug die junge Dame, mit einer leicht dankenden Verbeugung die Karte nehmend – »der Platz liegt soviel ich weiß auf der anderen Seite des Stromes – .«

»Oakland grove? – ja wohl, aber an der Straße – prächtige Straße dorthin – ein Bischen naß, wenn's geregnet hat, aber sonst breit und famos durch den Wald ausgeschlagen.«

»Und wann geht die Post dorthin ab?« frug Fräulein von Seebald.

»Die Post?« – sagte Charley, sie rasch und erstaunt dabei ansehend, setzte aber, sich besinnend, hinzu: »die Briefpost meinen Sie? – der Mailrider3 geht die Woche zweimal nach Batesville hinauf und kommt zweimal wieder.«

»Und die Fahrpost?«

»Fahrpost, hahaha« – lachte Charley, »die Bären und Panther würden ungemein erstaunt sein, wenn sie einmal eine Fahrpost zwischen sich durchrasseln hörten. Segne Ihre Seele, mein Fräulein, dahinein geht keine Fahrpost. Nichts wie ein berittener Bote, und wenn Sie nach Oakland Grove wollen, so müssen Sie entweder zu Fuß gehen oder reiten. Ihr Gepäck können Sie indessen zu mir in's Haus stellen.«

»Das wäre ja schrecklich!« rief Fräulein von Seebald.

»Oh es steht dort ganz sicher,« sagte Charley.

»Nein ich meine den Weg zu Fuß oder zu Pferde zu machen; – ich habe noch nie auf einem Pferd gesessen.«

»Das ist ganz leicht,« sagte Charley, »der linke Fuß kommt in den Steigbügel und das rechte Knie nehmen Sie, sehn Sie, so, – über die Knuppe hinauf, die an dem Damensattel sitzt, dann können Sie gar nicht herunter fallen, und hängen oben wie eine Klette.«

»Und wie weit ist der Platz von Little Rock?«

»Oakland Grove?«

»Nein, wo Graf Olnitzki wohnt?«

»Ja das weiß ich wahrhaftig nicht genau,« sagte Charley achselzuckend, »ich bin nach der Richtung hin noch gar nicht gekommen; aber dahin müssen Sie sich doch einen Führer mit Pferden nehmen, und Ihr Herr Gemahl – Sie sind doch verheirathet, wenn ich fragen darf?«

Die Frage kam so plötzlich, daß Amalie von Seebald unwillkürlich darüber erröthete, aber lächelnd antwortete:

»Nein; ich bin nicht verheirathet.«

»Aber Sie haben doch jedenfalls Begleitung,« sagte Charley.

»Ich bin ganz allein,« erwiederte die Dame.

»Ganz allein? – und wollen ganz allein in den Wald hinein?«

»Und warum nicht?«

»Nu hören Sie, das nehmen Sie mir nicht übel,« sagte Charley, freundlich lächelnd, »das ist denn nun doch wohl blos Ihr Spaß?«

»Aber weshalb um Gottes Willen?« frug Fräulein von Seebald wirklich beunruhigt über das ganze Wesen des Mannes – »was kann mir denn im Wald geschehn? Sind noch Indianer dort?«

»Indianer? – nein; am Fluß lagern vielleicht welche, aber die stehn unter Aufsicht und sind harmlos.«

»Oder wilde Thiere?«

»Nun ja, es giebt wohl Bären und Panther da, aber man hört doch selten davon daß sie Jemanden angefallen haben.«

»Was sollte mich also sonst hindern?«

»Ih nun ja« sagte Herr Fischer – »es ist wahr, es ginge schon, aber – ich weiß doch nicht, ich möchte nicht alleine und ohne Gewehr nach Oakland Grove und von da noch weiter in den Wald hinein gehn, und ich bin doch nun schon zwölf Jahr in Arkansas. Überhaupt, es ist nirgends besser wie in Little Rock; das ist ein capitaler Fleck und sollte mich gar nicht wundern, wenn es einmal die erste Stadt in der Union würde. Nachher ist aber Charley Fischer am Platz, denn ich habe eine ganze Parthie Lots gekauft und die müssen einmal einen heillosen Werth bekommen.«

»Aber es hat doch ungemein viel Romantisches, so allein durch den Wald zu gehn« sagte Fräulein von Seebald.

»Romantisches, Du lieber Gott« erwiederte achselzuckend der kleine praktische Mann, »das kauf ich nicht theuer, denn das bringt Nichts ein. Habe schon mehre Leute hier gekannt – auch deutsche junge nette Kerle, die ihre Kräfte hätten an was Vernünftiges wenden können, die thaten auch eben weiter gar Nichts als im Wald mit der Büchse allein herum zu laufen, blos ein paar lumpiger Hirsche und des Bischens Romantik wegen. Was ist nachher aus ihnen geworden? – weiter hatten sie Nichts auf dem Leib als ihr ledernes Jagdhemd und ihre Leggins, dabei Moccasins an den Füßen und keinen Cent in der Tasche, ja nicht einmal eine Tasche an sich, einen Cent hinein zu thun, wie vielleicht ihren Kugelbeutel, und nachher brachten sie mit Mühe und Noth Felle genug zusammen um eben ihre Passage auf einem Dampfboot zu bezahlen, wieder fortzukommen. Der Teufel soll eine solche Romantik holen – ne da lob' ich mir Little Rock.«

»Und Sie kennen den Grafen Olnitzki nicht persönlich? – waren nie dort in der Gegend?«

»Nein Madame – mein Fräulein wollt' ich sagen, aber wissen Sie, mit dem Grafen hat es hier auch nicht viel zu bedeuten.«

»Wie so, geht es ihm schlecht?« frug Amalie rasch und erschreckt.

»Wem? dem Olnitzki? ja ich weiß nicht – nein ich meine nur mit dem Titel überhaupt. Wissen Sie, hier in Amerika sind wir alle gleich – alle freie Bürger, Einer soviel wie der andere, und wenn ich mich zum Spaß Graf Charley Fischer nennen wollte, hätte auch Niemand etwas dawieder, ich wäre eben Graf Charley Fischer, und wenn die Leute zu mir kämen und ein Glas Brandy trinken wollten, würden sie mir wie jetzt auf die Schultern schlagen und sagen: 'nu Graf Fischer, altes Haus, wie gehts, how do you thuts Euch?'«

»Ich glaube auch nicht daß Graf Olnitzki Anspruch auf eine höhere Stellung macht« sagte Fräulein von Seebald.

»Ne, kann ich mir denken« sagte Charley freundlich, »würde ihm auch gar Nichts helfen; besonders hier nicht in Arkansas. Wir haben hier übrigens eine ganze Menge Polen; da ist der Graf Doraski am Red River und der Graf Potelsk – Podelscyk – na wie heißt er denn gleich, verwünschte Namen tragen die Polen manchmal, und die Amerikaner haben ganz recht wenn sie meinen, man könnte sie nur aussprechen wenn man dreimal nießte und dann ski sagte – na es ist einerlei wie er heißt. Sonderbar, von Polen kommen blos lauter Grafen hier her, denn wenn man einen Polen findet, kann man sich auch fest darauf verlassen daß es ein heimlicher Graf ist; es muß ungeheuer viel Grafen dort im Lande geben.«

»Wie sind aber nur die Verhältnisse der Ansiedler hier in der Nähe von Little Rock?« frug Fräulein von Seebald, die es drängte etwas Näheres über die ihr am Herzen liegenden Menschen zu hören, »kommen sie manchmal, an Sonntagen vielleicht, in die Stadt, zu Theatern oder Concerten? – haben die Deutschen untereinander nicht Bälle oder andere Festlichkeiten, bei denen sie sich zusammenfinden und vergnügt sind? das Waldleben denke ich mir wundervoll, herrlich, aber das Schönste bedarf doch manchmal einer Abwechslung.«

»Bälle? – ja, die haben wir manchmal hier unter den Deutschen« lachte Charley Fischer vergnügt vor sich hin, vielleicht in der Erinnerung mancher dabei verlebter Stunden, »und amüsiren thun sie sich dabei im Anfang und prügeln am Schluß, gerade wie bei uns zu Hause; aber wenn die Farmer, besonders die, die so weit wegwohnen, dazu hereinkommen wollten, da hätten sie viel zu thun. Die Männer ja, die reiten manchmal her, stehen4 auch wohl ein paar Tage und verthun was sie herein gebracht haben an Produkten, manchmal auch noch das mit, was sie das nächste Mal bringen wollen, aber die Frauen bleiben zu Hause und hüten das und ihre Kinder, und haben dabei alle Hände voll zu thun.«

»Aber die Nachbarn kommen dann unter einander wahrscheinlich sehr häufig zusammen.«

»Ja, wenn sie Nachbarn haben, die Nachbarschaft in Arkansas soll aber der Henker holen,« sagte Charley – »die nennen sich so und wenn sie zwanzig Meilen von einander sitzen.«

»Das ist ein Beweis für ihre Geselligkeit« lächelte Fräulein von Seebald.

»Ja schöne Geselligkeit, wenn Niemand dazwischen wohnt« meinte Charley – »ne, da lob' ich mir Little Rock; wenn mir da mein eigener Brandy nicht mehr schmeckt, gehe ich um die Ecke herum zum Georg und trinke da anderen, und alle Wochen kommen ein paar Dampfboote den Strom herauf oder herunter, die auch Neues bringen, und wo man doch etwas zu hören und zu sehn bekommt. S'ist ein ganz famoses Leben in Little Rock.«

Fräulein von Seebald fühlte sich, obgleich ihr der fremde Deutsche gar nichts Direktes von den Ihrigen sagen konnte, und diese jedenfalls in ganz andern Verhältnissen lebten wie er sie hier schilderte, doch unangenehm berührt durch diese Beschreibung, sie wußte eigentlich selber nicht recht weshalb. Es war ihr auch erwünscht daß die Unterhaltung in diesem Augenblick durch die in der Cajüte geläutete Klingel, das Zeichen zum Mittagstisch, abgebrochen wurde, und sie zog sich mit einer leichten dankenden Verbeugung gegen Herrn Fischer, die dieser mit einem freundlichen Kopfnicken erwiederte, in die Ladies cabin zurück, dort den Nachmittag hindurch ihren eignen Betrachtungen und Gedanken nachzuhängen.

Das Boot setzte indessen rasch und wacker seinen Weg fort; die Scenerie blieb dieselbe – Wald – endloser Wald an beiden Seiten, der sich selbst bei kleinen einzeln zerstreuten Städten, die sie trafen, bis dicht um diese her zu ziehen schien, als ob er wieder frisch aufgewachsen sei, seit sie entstanden, und das Land zurück verlange, das sie ihm abgedrängt.

Am nächsten Tag, gegen Abend, erreichten sie Little Rock, und die breite, weit ausgehauene Lichtung verrieth schon von weitem eine größere Ansiedlung, wie sie bis jetzt getroffen. Als sie näher kamen erkannten sie große ansehnliche steinerne Gebäude, allerdings oft neben kleinen modernen Holzhütten, und eine Dampffähre spielte über dem Strome nach dem andern Ufer hinüber. Auch der Landungsplatz, gegen den sie jetzt aufliefen, bot, wenn auch nicht mit New-Orleans zu vergleichen, doch das belebte Bild einer größeren, geschäftigen Stadt, die hier im Herzen eines sonst noch ziemlich wilden Staates entstanden; Karrenführer von allen Farben drängten sich herbei Güter und Passagiergut fortzuführen, sobald nur die Taue ausgeworfen und die Planken übergeschoben wären, und eine Menge Ungeduldiger, wie auf allen Landungspunkten am ganzen Strom hinab, warteten mit Sehnsucht auf den Augenblick, wo sie an Bord springen konnten, Neues und Neuigkeiten in Empfang zu nehmen, oder gegen die mageren Stadt-Berichte einzutauschen.

Fräulein von Seebald befand sich aber jetzt wirklich in Verlegenheit, denn in der festen Überzeugung, und gar nichts anderes für möglich haltend, als daß eine Post doch wenigstens die Woche ein paar Mal nach jener Ansiedlung, auf der ihre Schwester wohnte, hinauf laufen müsse, hatte sie ihr ganzes Gepäck, drei Koffer und mehre Hutschachteln mit noch ein paar kleinen Kisten, die Geschenke für Schwester und Schwager enthielten, mit an Bord des Dampfers genommen. Wie sollte sie die jetzt mit fortbringen, in den Wald hinein? und fort mußten sie, denn sie brauchte, wie sie meinte, dort Alles nothwendig was sie enthielten.

Charley Fischer half ihr da übrigens, als die Landung nur erst überstanden und er alle seine tausend Freunde begrüßt und mit ihnen, wie er's nannte, Hands geschäkt5 hatte, aus der Noth, denn er war erstlich nicht der Mann irgend Jemanden, aus dem er irgend einen Nutzen zu ziehen hoffte, unbeachtet zu lassen, dann aber auch die gutmüthige Gefälligkeit gegen Damen selber, und glaubte hier noch dazu das doppelte Interesse an einer Reisegefährtin nehmen zu müssen. Kaum daher in die Stadt hinauf gekommen, sah er sich auch schon, alles Übrige indeß hintansetzend, auf das Eifrigste nach einer möglichen Gelegenheit nach Oakland grove um, wozu die Landung selber der beste Platz war, da dort fast alle Gastwirthe, oder doch Leute von ihnen, bei der Ankunft eines Dampfers zusammen kamen. Zufällig war in der That ein Geschirr – freilich nur ein gewöhnlicher Leiterwagen von Rosemores (einer Farm, die eine kleine Strecke überhalb der Oakland grove lag) in Little Rock, hatte Butter, Eier, geräucherte Hirschkeulen und andere Produkte hereingebracht, und nahm Mehl, Kaffee, Zucker, Brandy etc. etc., kurz Provisionen die dort nicht zu bekommen waren, wieder mit hinaus. Der Fuhrmann wollte am nächsten Morgen mit der ersten Fähre über den Strom gehen und, da er nur halbe Ladung hatte mit Vergnügen gegen eine mäßige Entschädigung die Sachen der Dame bis zu »Billy Jones clearing« mitnehmen, von wo aus ein Fuß- oder Reitpfad nach Old Nitzkys range, wie der Mann den Namen des Grafen Olnitzki mishandelte, hinüberlief. Wollte die Dame bis Billy Jones mit auf seinem Wagen fahren, so war sie »perfectly welcome«, das heißt: er stand ihr mit Freuden zu Diensten, und durch ein oder zwei Arme voll Maishülsen ließ sich auch schon zur Noth ein ziemlich bequemer Sitz herstellen.

Charley Fischer lief ungesäumt mit dieser »guten Nachricht« an Bord zurück, wo Fräulein von Seebald eben in ziemlicher Ungewißheit war, ob sie die Karte des Herrn Charley Fischer benutzen, oder ihr Gepäck in ein anderes Gasthaus sollte schaffen lassen, dessen riesige Firma sie schon über die Straße herüberleuchten sah. Des kleinen gefälligen Mannes Erscheinen entschied dies zu seinem Gunsten, die Koffer und Kisten wurden aufgeladen, und die junge Dame befand sich bald darauf in einem kleinen kahlen unbehaglichen, nicht überreinlichen Gemach auf Pinestreet, in dem sie jedoch bald von der freundlichen Wirthin selber aufgesucht und unterstützt wurde ihre Toilette zur Abendtafel, die aus einem recht guten compakten Mahl mit Thee bestand, vorzubereiten.

Charley Fischer hätte nun gar zu gern diese Gelegenheit benutzt, aus seinem Gast alles nur Mögliche über ihre Lebensverhältnisse und besonders den Zweck ihrer Reise heraus zu bekommen, denn daß eine junge Dame eine solche Fahrt allein unternommen, hatte jedenfalls auch etwas ganz Absonderliches zu bedeuten. Nun sagte ihm Fräulein von Seebald allerdings ganz einfach, daß sie nur nach Arkansas gekommen wäre ihre, an den Grafen Olnitzki verheiratete Schwester zu besuchen, aber das glaubte er ihr natürlich nicht, und suchte nun erst recht etwas Geheimnißvolles unter dem Besuch. Je bereitwilliger und freigebiger er dabei mit seiner eigenen Lebensgeschichte war, desto mehr verdroß es ihn natürlich, wenn Andere nicht Gleiches mit Gleichem vergelten wollten. Fräulein von Seebald war aber ermüdet von der Reise sowohl, als sie sich auch angegriffen von der Aufregung der letzten Tage, dem erhofften Wiedersehn entgegenharrend, fühlte, und suchte deshalb zeitig ihr Lager. Charley Fischer versprach ihr übrigens sie wecken zu lassen, wo sie das Frühstück bereit finden und immer noch zeitig genug zur ersten Fähre kommen sollte. Der Fuhrmann hatte dabei zugesagt, bei seinem Hause, wo er überdies seinen gewöhnlichen Morgentrunk nahm, vorzufahren, und eine Versäumniß war deshalb gar nicht möglich.

Der Morgen kam; die Sachen wurden vor das Haus geschafft, die beiden kleinen Kisten besonders mit wieder und wieder empfohlener Vorsicht, da sie zerbrechliche Sachen enthielten, Fräulein von Seebald hatte ihre Reisetoilette wie ihr Frühstück beendet, ihre nicht übermäßige Rechnung bezahlt, ein Glas Brandy und Zucker, das ihr ihr freundlicher Wirth auf das hartnäckigste gegen die rauhe Morgenluft aufzudringen suchte, wieder und wieder verweigert, der Wagen kam, die Sachen wurden aufgeladen, und Charley Fischer ließ es sich nicht nehmen Fräulein von Seebald seinen Arm zu reichen und sie zur Fähre hinunter zu begleiten.

Allerdings hätten die beiden Figuren nach unseren deutschen Begriffen vielleicht ein wenig wunderlich zusammen ausgesehen, und Fräulein von Seebald selber fühlte sich auch so unbehaglich als möglich in der Begleitung, die sie nicht gut verweigern konnte. Die Dame nämlich war ganz modern, ja sogar modisch angezogen, mit einem hellen Kleid von roher Seide, und feinem Strohhut, und einer dunkelrothen seidenen Schärpe um, während Charley dagegen in einem etwas sehr kurzen und auch nicht übermäßig reinen leinenen Röckchen prangte, unter dem ein paar ebenfalls etwas kurze gestreifte wollene Hosen hervorsahen. Er trug dabei Schuh und gelbwollene Strümpfe oder vielmehr Socken, die nicht oben blieben wie er erklärte, er mochte dagegen thun was er wollte, und der alte Strohhut deckte noch immer seinen Scheitel, wie auf dem Schiff; nur ein reines gelb und roth gestreiftes Hemd hatte er heute Morgen angezogen, und ein saftblaues seidenes Tuch darum geknüpft. In Amerika fällt etwas derartiges aber nicht auf; man sieht sogar, selbst in den größten Städten, die Damen sehr häufig an dem Arm eines Herrn, der in kurzer weißleinener Jacke geht, in Sammet und Seide nebenher rauschen; das Kleid macht dort nicht den Mann, sondern der Mann das Kleid.

Nichts destoweniger und trotz der frühen Morgenstunde war Fräulein von Seebald fest davon überzeugt, daß die Augen sämmtlicher Einwohner von Little Rock, an deren Fenstern sie vorüber gingen, in Spott und Neugierde auf sie geheftet wären, und dankte ihrem Gott, als sie das Fähr- oder Ferryboot endlich erreichten, wo sich Herr Charley Fischer auf das Angelegentlichste von ihr verabschiedete, wie sie auch ersuchte, ihn ihrer Frau Schwester, wenn auch unbekannter Weise, freundlichst zu empfehlen.

Die kleine Fähre dampfte über den ziemlich breiten Strom, auf dem noch der leichte Morgennebel in dünnen, hie und da von einem blitzenden Sonnenstrahl getheilten Schwaden lag, und auch den gegenüberliegenden Uferrand bedeckte. Nur eine Reihe niederer, hellangestrichener, viereckiger Holzhäuser wurden da sichtbar, die mit riesigen Schilden bedeckt, und wenn das möglich gewesen wäre, verunstaltet, den oberen Rand der steilen Uferbank krönten, und wieder ihrerseits von den hohen majestätischen Wipfeln riesiger Baumwollenholzbäume überragt wurden. Diese kleine Stadt hier, die dem wachsenden Little Rock ihren Ursprung verdankte, bestand fast einzig und allein aus Schenkständen – sogenannten »groceries und provision stores,« in denen, neben allen möglichen Lebensbedürfnissen, die spirituösen Getränke den Hauptbestandtheil bildeten; aber sie sah neu und häßlich aus, wie eine Schachtel frisch ausgepackter Nürnberger Spielwaaren in eine Reihe gestellt, über die der darüber wohnende Urwald den Kopf schüttelte, und seufzend dabei den Krebsschaden erkannte, der sich weiter und weiter in seine Seite fraß.

Fräulein von Seebald, von den Leuten an Bord neugierig betrachtet, die eine einzelne und dabei so elegant gekleidete fremde Dame nicht so oft und früh zwischen sich sahen, hüllte sich übrigens, ohne mit irgend Jemand zu verkehren, fester in ihren Shawl – die Morgenluft wehte frisch und kühl über den Strom – und schaute unverwandt nach dem andern Ufer hinüber, dem sie rasch entgegenstrebten.

Ha, was war das? – unten am Strand – dicht unter der hohen steilen, wohl sechzehn Fuß schroff emporsteigenden Lehmbank, und bis jetzt von dem tief streichenden Nebel verdeckt, der sich, wie sie dem Lande näher kamen, theilte, oder doch durchsichtiger wurde, breitete sich eine Scene vor den erstaunten Blicken der jungen Dame aus, wie sie ihre kühnste, romantische Phantasie nur im Stande gewesen wäre herauf zu beschwören.

»Indianer!« rief sie fast unwillkürlich laut aus, denn das ganze Ufer dort war bedeckt, belebt von einem wilden Schwarm brauner, halbnackter Gestalten, die theils unter niederen ledernen Zelten, theils nur an kleinen Feuern campirt haben mußten. Pferde wieherten und galopirten am Ufer hin, Kinder sprangen und jauchzten in und neben dem Wasser, an dem sie badeten und spielten, Frauen kochten oder trugen Holz herbei, das andere oben von der Uferbank herunter warfen, und die Männer saßen theils still und theilnahmlos an den Feuern, ihre Pfeife rauchend, oder standen am Ufer, die Ankunft des Dampfers zu erwarten.

»Leben hier noch Indianer?« frug Fräulein von Seebald erstaunt einen der neben ihr stehenden Leute, der auf dem das Deck umschließende Lattengitter lehnte, und ebenfalls nach den Eingeborenen hinüber schaute.

»Nein, Madame!« sagte der Mann, ohne seine Stellung zu verändern, »Gott sei Dank, daß wir die Rothfelle los sind; würden uns weiter Nichts als Teufels-Eier in die Nester legen. Hole sie alle mit einander der Böse.«

»Aber was thuen diese hier?«

»Die da? – die wandern aus – das sind Seminolen, die Onkel Sam6 nach dem Territorium schickt, sich dort mit ihren Kameraden, den Creeks und Cherokesen, den Chocktaws und Kickapuhs und wie sie alle heißen, so gut zu vertragen wie sie eben können – oder noch besser, sich einander die Hälse abzuschneiden – das Gescheuteste, was sie auf der Gottes Welt thun könnten.«

»Sie lieben die Indianer nicht.«

»Ich? – nein, da ist der Himmel mein Zeuge – habe auch eben keine Ursache dazu, und weniger Lust – wenn ich etwas wüßte, die ganze Race mit einem Schlag von der Erde zu vertilgen, ich thät's.«

Der Mann richtete sich dabei aus seiner Stellung auf und ging langsam an die andere Seite des Decks, als ob er die rothen Männer nicht einmal anschauen wollte, so lange er's verhindern konnte. Er sah dabei so finster und erbittert aus, daß Fräulein von Seebald froh war, seiner unheimlichen Gesellschaft bald enthoben zu sein.

Das Boot legte indessen an seinen gewöhnlichen Landungsplatze, einem dort befestigten riesigen flachgedeckten Boote, auf das Geschirre und Pferde leicht hinaus oder an Bord gebracht werden konnten, an, und die Indianer, besonders die Kinder, halb scheu, halb neugierig den Platz umdrängend, sammelten sich dort, die fremden weißen Männer und Frauen aussteigen zu sehen. Die Kinder gingen fast sämmtlich nackt, die Erwachsenen aber trugen ein Tuch um die Hüften, und meist ein ledernes oder kattunenes Jagdhemd, die Haare dabei in einen Büschel gebunden, Einzelne mit Zierrathen, zwei mit einer Adlerfeder darin. Nur die Frauen hielten sich schüchtern zurück bei ihren Lagerfeuern, und schauten kaum um nach dem rasch den Dampf auspuffenden Boot, oder den weißen Leuten – sie hatten davon genug gesehen, mehr als ihnen wohl lieb war, und waren von ihnen aus der Heimath vertrieben und einem fremden unbekannten, kalten Lande zugeführt – wie konnten sie sich da an den verhaßten Wesen freuen. Auch die Männer schauten still und finster drein, und wo sie Einer der Weißen anredete, drehten sie sich mürrisch ab von ihnen und schritten ihrem Lager wieder zu.

Es waren edle, kräftige Gestalten unter ihnen, Manche mit schweren, kaum geheilten Wunden auf der breiten braunen Brust, und wacker schlugen sich auch diese Krieger in ihrem Vaterland, jeden Fußbreit Boden den weißen Eindringlingen mit Tomahawk und Büchse streitig machend; ja noch Jahre lang würden die Bleichgesichter, die sie oft mit blutigen Köpfen heimgeschickt und in deren Lager selbst sie so manche Nacht den Schlachtschrei getragen und die nackte Brust keck und todtesmuthig den Bayonetten entgegenwarfen, ihre Truppen vergebens gegen sie geführt haben, hätten sie dem Verrath so gut begegnen können wie der blanken Waffe. Aber ihr Häuptling fiel – der wackere Osceola, von den Amerikanern gegen Krieg und Menschenrecht verrätherisch gefangen genommen, wo er dem Wort des weißen Mann's vertraut, starb elend im Gefängniß – andere Häuptlinge wurden übergekauft, und das Banner der Staaten fügte einen blutigen Stern zu seinen weißen.

»Nun Madame, wenn Sie jetzt aufsteigen wollen,« unterbrach da der Wagenführer, der sein Geschirr glücklich von Bord und über das Flatboot weg auf festen Grund und Boden gebracht hatte, die Betrachtungen seiner Reisegefährtin – »die Pferde sind ausgeruht und können's schon ziehen, und hier hinauf geht sich's doch schlecht für so zarte Füße.«

Fräulein von Seebald wäre gern noch länger hier geblieben, das Leben und Treiben der Indianer mehr zu beobachten und sich vielleicht gar in ein Gespräch mit ihnen einzulassen; gebrochen Englisch wenigstens sollten doch Viele von ihnen sprechen. Aber allein ging das auch nicht an, und dann schien auch der Wagenführer, der noch einen weiten Weg vor sich hatte, keine große Lust zu haben länger zu warten. Sie mußte sich deshalb wirklich nicht allein entschließen, den Platz zu verlassen, der ihr zum ersten Mal in ihrem Leben eine Scene ächt wilder Romantik bot, sondern auch auf höchst unromantische Weise, und noch dazu im Beisein einer Masse fremder Menschen, die gewiß dabei ihren Spott über sie hatten, auf einen ganz gewöhnlichen Rüstwagen hinaufklettern, und sich dort in raschelnden Maishülsen, zu denen ihr ganzer Anzug auch nicht im mindesten paßte, vergraben. Es kostete ihr der Entschluß in der That eine Überwindung; aber trotz ihrem oft übertriebenen Hang zur Schwärmerei hatte Amalie von Seebald, wie sie auch schon durch ihre ganze Reise bewiesen, doch viel Charakterstärke, die, mit dem Abenteuerlichen ihrer Situation, sie bald bewog sich über alles Andere hinwegzusetzen.

Der Amerikaner brachte indessen, wie überhaupt keine Nation aufmerksamer gegen Damen sein kann als diese, aus der nächsten grocery einen Stuhl heraus, daß sie bequemer auf den Wagen kommen konnte; lachend und verschämt nahm dabei die Dame ihre Kleider zusammen, stieg auf den Stuhl und schwang sich, von der breiten Hand des Wagenführers dabei unterstützt, auf das Rad und von da in den Wagen, ein junger Bursche trug den benutzten Stuhl in die grocery zurück, der Amerikaner klatschte mit der Peitsche, die Pferde zogen an, und neben hergehend, bis sie die obere Bank erreicht hatten, fuhr das ziemlich schwerfällige Geschirr, von den kräftigen Thieren gezogen, verhältnißmäßig rasch den steilen Weg, der auf das obere Ufer führte, hinan. Die Indianer stießen dabei einen gellenden Schrei aus, die Kinder jubelten, die Hunde bellten und der Wagen rasselte, während der Mann selber im Fahren aufsprang und sich neben die Dame in die Maishülsen setzte, den etwas holperigen ausgefahrenen Weg rasch entlang.

Das kleine Nest von Wirthshäusern ließen sie dabei gleich zurück, Lichtungen am Weg zeigten aber noch junge Farmen; sie fuhren eine Strecke lang zwischen Fenzen hin, die erst kürzlich urbar gemachtes Land umschlossen – auch diese hörten endlich auf; hie und da lagen noch dicht am Weg gefällte und zu Fenzstangen zerspaltete Stämme, dort waren junge Bäume zu Feuerholz abgeschlagen, und jetzt zog sich die, wohl breit ausgehauene, aber sonst sehr verwilderte und nur allein durch die Axt hergestellte Straße, durch den finsteren dichten Urwald hin, der sie in all seiner großartigen Majestät umfing.

So beengt und unbehaglich sich übrigens Fräulein von Seebald noch bei dem ersten Besteigen des Wagens, und so lange sie die vielen fremden Menschen um sich her wußte, gefühlt hatte, so wohl, so frei wurde ihr es jetzt. Das Herz ging ihr auf, und wie die letzten Fenzen hinter ihr verschwunden waren, wie jene mächtigen riesigen Bäume, die gerade zu ihrer gewaltigsten Höhe in diesen Niederungen aufsteigen, ihre Stämme wie gigantische Säulen um sie her emporreckten, und die prachtvollen Wipfel schüttelten und mit ihnen rauschten und flüsterten, als ob der Wald Leben gewonnen hätte; als sie die wunderlich geflochtenen und verschlungenen Lianen in weiten Festons den Weg überhängen, und von den höchsten Ästen der Bäume niederschaukeln sah, und ihre Phantasie dabei diese dunklen Waldesschatten mit all dem Wild und Raubzeug des weiten Landes dicht belebte, da wußte sie sich vor Glück und Seligkeit kaum zu fassen; die Thränen traten ihr in die Augen, und sie hätte laut aufjubeln mögen vor Lust und Wonne.

Ihr Ziel war jetzt erreicht, wonach sie Jahre lang gestrebt und sich gesehnt; derselbe Wald umfing sie schon, der ihrer Schwester eine Heimath, ein Paradies geschaffen, und nur ein Herz fehlte ihr jetzt, mit dem sie ihre Seligkeit theilen, dem sie das Alles zujauchzen konnte, was ihre Brust in diesem Augenblick erfüllte und erhob.

Mit dem Mann an ihrer Seite, der trocken und gleichgültig auf seinem Platz saß und nur manchmal, wenn der Weg eine kurze Strecke glatt fortging, die Pferde zu rascherem Lauf antrieb, ließ sich aber freilich nicht reden; auch war sie des Englischen kaum mächtig genug, gerade den Gefühlen Worte zu geben, die es sie trieb und drängte auszusprechen. So fuhren sie eine Zeitlang schweigend mit einander hin, wobei der Weg indeß, je weiter sie in das Land hinein kamen, schlechter und sumpfiger wurde, und die ganze Aufmerksamkeit des Wagenführers erforderte. Der großartige, wirklich herrliche Wald dieser Niederungen blieb dabei unverändert, unverkümmert, aber die Bewohner und Besitzer desselben, die Mosquitos, meldeten sich ebenfalls, und wenn sie auch gerade nicht häufig waren und durch die Bewegung des Fahrens schon abgehalten wurden, ließen sie sich doch, wenn der Wagen manchmal auf einen Augenblick hielt und der Fuhrmann absteigen mußte, irgend einen niedergebrochenen Ast aus dem Weg zu räumen, oder die Thiere um eine stehengebliebene Wurzel herumzuführen, hören und fühlen, während die zarte Haut der jungen Dame leicht unter dem scharfen Stich der kleinen scharfsäftigen Thiere anschwoll.

Dadurch wurde übrigens ihr Geist auch wieder in etwas mehr dem Irdischen zugewandt und Fräulein von Seebald begann den Wagenführer nach ihrem Weg, der Länge desselben, den verschiedenen Ansiedlungen oder »Plantagen« (wie sie es nannte, was er aber im Anfang nicht verstand) zu fragen.

Der Bursche war ein einfach schlichtes »Kind des Waldes«, wie Fräulein von Seebald bald genug fand; er wußte auch in der That nicht viel mehr, als was im Bereich seines Waldes und der Landung von Little Rock lag. Allerdings kannte er den Weg genau, jeden Stumpf und Stamm, jede »Clearing«, jedes »improvement« wie die allerersten Niederlassungen genannt werden; war dabei im Stande genau anzugeben, wie viel jeder »Nachbar« den Tag über »Fenzriegel« spalten könne, wie viel Hirsche Johnny Bligh in der letzten »season« erlegt, und wie viel coons7 sie in ihrem letzten crop (Erndte) im Maisfelde mit den Hunden gefangen oder geschossen hätten. Auch die Pferde und Rinder der Nachbarn kannte er persönlich, wußte jeden Flecken an ihnen, jeden Brand anzugeben, zeigte ihr auch den Platz, als sie daran vorbeifuhren, wo im vorigen Jahr der Panther ein junges Füllen erwürgt und beinah auch noch gefressen hätte, wäre er nicht glücklicher Weise (freilich zu spät es vor dem Erwürgen zu bewahren) dazu gekommen, und ging dann speciell in seiner Unterhaltung auf die deutschen Einwanderer über, von denen, wie er meinte, ein »heap« die letzten Jahre herüber gekommen sein müßten, denn am cashriver hätte er zwei gesehen, und nach Little Rock wäre eine ganze Familie gekommen, der Mann, die Frau und drei oder vier Kinder. In Little Rock wären überhaupt eine Masse Deutscher, es wimmelte ordentlich davon – er allein kannte sechs oder sieben, und Charley Fischer sei der fidelste von Allen, und »a monstrous smart hand too!« – ungeheuer schlau und pfiffig – und hätte ihm neulich einmal (vor drei Jahren) einen ganz faulen Western Reserve-Käse aufgehangen – was er ihm aber nicht besonders übel zu nehmen, sondern sich eher darüber zu freuen schien, daß er das fertig gebracht.

Nur von dem »Grafen Olnitzki« wußte er wenig oder gar Nichts zu erzählen; seine »old lady«8 kannte er gar nicht, hatte sie nie gesehn und glaubte auch nicht, daß sie viel aus der range (eigentlich Weideplatz, aber auch von Ansiedlungen gebraucht) herauskäme. Old Nitzky wie er ihn unverdrossen nannte, sollte übrigens a powerful hand (sehr geschickt) mit der Büchse sein, und viele Hirsche und auch schon einige Bären geschossen haben. Jetzt war er lange nicht »in die Ansiedlungen« gekommen, aber er konnte sich noch recht gut auf ihn besinnen, denn er war ein großer starker Mann und trug »das ganze Gesicht voller Haare.«

Wenn aber der Führer ihr auch keine nähern Nachrichten über die geben konnte, deren Schicksal ihr so sehr am Herzen lag, und die es sie so glücklich machte, nach so langer Trennung wieder zu sehen, so war er doch in so mancher anderen Art praktisch und unendlich gutmüthig. Er brach ihr einen Sassafrasbusch ab, sich damit der dann und wann zu ihnen kommenden Mosquitos zu erwehren, und hielt einige Male besonders an, ihr einen Hut voll saftiger, zuckersüßer Persimonen, die dort in Masse wuchsen, zu suchen und zu bringen, oder wilde Weintrauben zu pflücken, die von manchen Bäumen in schweren blauen Massen niederhingen. Auch die Muscadinebeeren, vor deren häufigen Genuß er sie des kalten Fiebers wegen warnte, mußte sie kosten, und die lange, fast widerlich süße Papaofrucht. Wie sie dann weiter in den Wald hinein und von den dem Fluß zunächst liegenden Ansiedlungen abkamen, zeigte er der Fremden hie und da die rasch erspähte Gestalt eines flüchtigen Hirsches, der stutzte, als er das Knarren der Räder hörte, und den schönen Kopf mit dem wunderlich gebogenen Geweih zurückwerfend flüchtig über die Büsche hinweg in das Dickicht setzte; oder das häßliche aber komische Opossum, das Amerikanische Beutelthier, das eigentlich, nach Australien gehörig, nur aus Versehn hier von der Natur geschaffen scheint, wie es scheu über den Weg lief, oder rasch an niederhängenden Weinreben emporklomm, einer vermutheten Gefahr zu entgehen. Manchmal hielt er sogar an, um ihr auf der Straße selber Bären-, Wolf- und Pantherfährten zu zeigen, die sie hier auf ihren nächtlichen Wanderungen in den weichen Boden eingedrückt, und that überhaupt Alles was in seinen Kräften stand, der jungen Dame den langen, etwas monotonen Waldpfad so viel als möglich zu verkürzen.

So zogen sie den ganzen langen Weg dahin; die Straße war breit ausgehauen, auf einer wie auf der andern Stelle, zeigte aber nur wenig Gleise, mehr Hufspuren und fast noch mehr die Fährten wilder Thiere. Dann und wann passirten sie eine große Ansiedlung, und gegen Mittag hielten sie sogar an einem Ort, deren drei oder vier Blockhütten den stolzen Namen einer Stadt beanspruchten. Die Leute dort, ein einziger Farmer mit seinem Bruder, der einen kleinen Laden hielt, waren aber nicht stolz auf diese Bevorzugung vor den Nachbar clearings, bestellten ihr Land noch selber und machten neues urbar, nicht etwa Häuser darauf zu bauen, sondern Mais hineinzupflanzen.

Dort wurde ein frugales Mittagmahl eingenommen, da fast sämmtliche Farmer in den westlichen Wäldern, wenigstens Alle die an einer Haupt- oder countystraße wohnen, darauf eingerichtet sind Fremde zu beherbergen und zu speisen. Wirths- und Gasthäuser giebt es dort nur sehr wenige; baar Geld haben die Leute auch sehr wenig in ihrem gegenseitigen Verkehr, da wird dann das Fremdebewirthen gewissermaßen zu einer Erwerbsquelle, der sie sich um so lieber widmen, als sie wenig mehr Auslagen dabei haben, wie ein paar Betten mit Matratzen und wollenen Decken herzustellen. Die alte westliche Gastfreundschaft, wie sie in früheren Zeiten Sitte war, geht dabei freilich verloren; eine Mahlzeit kostet einen Viertel Dollar, ein Pferd zu beherbergen von einem Viertel bis halben Dollar, je nach der Gegend, das Bett für den Gast einen »Bit« bis ein Viertel Dollar, oder Nachtlager mit Abendbrod und Frühstück für einen Reiter gewöhnlich einen Dollar. Daß sie Jemanden umsonst beherbergen könnten fällt ihnen nicht ein; hat aber ein armer Teufel wirklich kein Geld, und sagt er ihnen das gleich von vorn herein, ehe er etwas verzehrt und genossen hat, so wird ihm selten ein Amerikaner alles das versagen, was er ihm sonst gegen Zahlung nur gegeben hätte.

Im Wald selbst, das heißt ab von der Straße, wohin kein ausgehauener, von Geschäftsreisenden betretener Weg führt, und wohin sich nur der Jäger dann und wann verliert, ist das ganz etwas anderes. Der Wanderer theilt da Tisch und Bett mit seinem Wirth und am Morgen, fragte er wirklich was er dafür schuldig sei, lautet die Antwort: »das Wiederkommen, Fremder, für das was Ihr gehabt, war't Ihr willkommen; lieber Gott, es war wenig genug, was wir Euch bieten konnten,« setzt die Frau auch wohl hinzu.

So wenig neugierig die Leute auch gewöhnlich dabei sind, was der Reisende treibt, woher er kommt, wohin er geht, wenn sie ihn auch manchmal im Laufe des Gesprächs danach fragen, so erstaunt waren hier die Waldbewohner, eine »lady« im wahren Sinne des Worts in seidenem Kleid und Hut mit Handschuhen an den Händen und Ringen an den Fingern, mit einem Schleier vor, und anderen »fixin's« wie sie's nannten, allein im Wald zu sehn, und wenn sie es auch nicht wagten, die Dame selbst nach alle dem zu fragen, was sie gern von ihr wissen mochten, und was ihnen fast das Herz abdrückte vor Neugierde, so stahlen sie sich doch einzeln hinaus, wo Billy Jones's Mann die Pferde versorgte, von diesem herauszubekommen was die fremde Dame vermocht haben konnte, eine so abenteuerliche Fahrt allein zu unternehmen.

Billy Jones's Mann wußte aber auch nicht mehr, als daß die Dame mit einem Dampfer nach Little Rock gekommen sei – das verstand sich ohnedieß von selbst – und nach Old Nitzkis Farm irgendwo im Busch drin, Nord-Ost von der Oakland grove, hinüber wollte; es müßte wohl eine Verwandte von Old Nitzki oder seiner Frau sein.

Die Damen hätten sich übrigens die Mühe ersparen können, denn Fräulein von Seebald kam ihnen bei Tisch auf halbem Wege entgegen, erzählte ihnen, daß sie ihre Schwester aufsuchen wolle, die sie in zehn Jahren nicht gesehen, und die hier, unfern von Oakland Grove an den Grafen Olnitzki verheirathet sei, und frug jetzt selber, ob keine der Frauen sie vielleicht kürzlich gesehen habe, und wie es ihr gehe.

Niemand kannte sie – ein Mann wohnte allerdings dort oben im Wald, der so hieß, er war auch verheirathet, aber noch nie hierher zu ihnen gekommen, hatte wenigstens nie an ihrem Hause angehalten. Es sollte übrigens vortreffliches Land sein, wo er wohnte – nur ein wenig sumpfig. —

»Und wie weit war es noch bis dorthin?«

»Ih nun, nicht mehr so weit; in ganz gerader Richtung hätte es kaum vielleicht mehr als zwölf Englische Meilen sein können, aber es führte, eines dazwischen liegenden Sumpfes wegen, kein Weg direkt dorthin, nur die Jäger kamen manchmal dahinein; es war ausgezeichneter Jagdgrund. Wer sonst hinüber wollte, mußte über Rosemores Farm; von da führte ein ziemlich betretener Pfad hinüber nach der Richtung, wie der alte Mann, dem das Haus hier gehörte, meinte, und er glaubte auch gehört zu haben, daß ein Pole da drüben ein »improvement« habe.«

Fräulein von Seebald begriff gar nicht daß Graf Olnitzki, der doch von seiner Farm aus einen lebhaften Verkehr mit Little Rock, der Hauptstadt, unterhalten mußte, hier so wenig gekannt sei; oder gab es vielleicht einen andern Punkt im Innern, wohin er seine Produkte absetzte?

»Ih nun ja es sei möglich,« lautete die Antwort, »daß es ihm bequemer oder ebenso bequem nach Batesville am Whiteriver wäre, wo hinauf auch kleine Dampfer liefen.«

So mußte es auch sein; wahrscheinlich verkehrte er mit Batesville, jedenfalls auch eine bedeutende Stadt, wenn sie Dampfbootverbindung hatte. Viel Zeit zu weiteren Erkundigungen blieb ihr aber auch nicht mehr, denn »Billy Jones's« Mann hatte wieder eingespannt, Rosemores Platz noch vor Dunkelwerden zu erreichen; Fräulein von Seebald erfragte und zahlte deshalb ihre Zeche, und wenige Minuten später rasselte der Wagen wieder, jetzt auf etwas besserem Wege, durch den Wald weiter und weiter nach Norden hinauf, seinem Bestimmungsorte zu.

»Dort liegt Oakland grove!« sagte der Fuhrmann da plötzlich, als sie einen kleinen sandigen Hügel hinaufgefahren waren, und in der Ferne durch den Wald ein paar helle Fenzen herüberschimmern sahen.

»Haben wir von hier noch weit bis zu der Stadt?«

»Stadt? – was für eine Stadt?«

»Oakland grove.«

»Ist keine Stadt; unsere Farm und der Wald hier heißt so.«

»Und wo liegt die nächste Stadt?«

»Das ist Batesville; aber noch ein hübsch Stückchen Weg bis man dahin kommt.«

Bald darauf erblickten sie in der Ferne, an einer langen, ziemlich gut gehaltenen Fenz hinfahrend, zwei durch eine offene Verandah mit einander verbundene, aus gut beschlagenen Balken errichtete Blockhütten, deren ganzes Aussehn wie Umgebung einen gewissen Wohlstand verrieth. Eine Menge kleiner, dicht daran errichteter Gebäude dienten zu Ställen, Maisscheuern und Futterböden, und Hühner und Gänse um das Haus herum, wie eine Meute kleffender wohlgenährter Hunde gaben dem Platze etwas Lebendiges, Wohnliches, hier mitten in dem stillen Wald.

Dasselbe Behäbige bot auch das Innere des Hauses, und als Fräulein von Seebald, noch in der Thür, von einer würdigen Matrone, deren ganzes Äußers schon einen unendlich wohlthätigen Eindruck auf sie machte, nach kurzen einführenden Worten des Fuhrmanns, begrüßt wurde, und im Hause selbst noch zwei reizende junge Mädchen fand, die zwar sehr einfach in selbst gewebte Stoffe, aber nichts destoweniger höchst geschmackvoll gekleidet waren, und als diese auch alles Mögliche thaten es der Fremden bei sich recht wohnlich und bequem zu machen, fühlte sie sich zum ersten Male wieder frei von jenem drückenden Gefühl, das ihr den ganzen Nachmittag, sie wußte sich eigentlich selber keine Rechenschaft zu geben weshalb, auf dem Herzen gelegen. Die Häuser, die sie bis jetzt hier überall getroffen, hatten gar so ärmlich und dürftig ausgesehen, die Menschen so kränklich und das Nothwendigste selbst entbehrend, was man doch zu einem wenigstens menschlichen Leben bedurfte. Hier war das anders, und der kleine Platz wirklich nicht allein praktisch, sondern auch mit Geschmack angelegt, mit schattigen Bäumen und Sitzen vor der Thür, und, was sie bis jetzt noch bei allen übrigen Blockhütten schmerzlich vermißt, einem kleinen Gärtchen dicht daneben. Also das war doch möglich – die Wildniß bedingte nicht ein fast Indianisches Leben, die Leute konnten es sich, wenn sie den Trieb und die Lust dazu hatten, wohnlich und bequem machen, und mehr noch durfte sie das jetzt bei Olnitzkis erwarten, die sogar das Bedürfniß dazu vom alten Vaterland mit herüber gebracht.

Auch das Innere des Hauses war weit verschieden von dem der letzten Farm, wo sie Mittag gegessen. Statt der zerbrochenen Rohrstühle und umgedrehten Fässer, die dort als Sitze dienen mußten, fand sie hier ordentliche Meublen; sogar einen Secretair und ein kleines dicht besetztes Bücherbret. Große reinlich überzogene und mit bunten Decken und jetzt aufgeschlagenem Mosquitos-Netz versehene Betten füllten den hinteren Raum aus, große eiserne Holzstützen mit blankgescheuerten Messingknöpfen lagen im Kamin, neben dem, ebenfalls von Messing, Schaufel und Zange hingen; Fenster mit reinlichen Gardinen daran waren sogar in die mächtigen Stämme, welche die Wände bildeten, eingeschnitten, und der bald darauf mit dem weißesten Linnen bedeckte Tisch zeigte eine Menge von delikaten Speisen.

Der ganze Platz, mit dem freundlichen Benehmen seiner Bewohnerinnen, die ordentlich herzlich gegen sie wurden als sie erst erfuhren weshalb und wie weit sie hierher gekommen, heimelte sie an; das war, wenn auch mit sehr bescheidenen Ansprüchen, eine Waldwohnung, wie sie sich solche früher wohl gedacht und ausgemalt – hier in der stillen Einsamkeit des Forst's, unter dem leisen Rauschen der Waldwipfel, von keinen äußeren Stürmen getroffen und berührt, lebte ein einfach glückliches Volk – glücklich in seiner Ruhe und Freiheit, und der Traum einer solchen Existenz, von kalten egoistischen Menschen im alten Vaterlande oft verlacht und verspottet, war endlich Wahrheit geworden und lag in Wirklichkeit hier um sie her. Mit dem seligen Gefühl wuchs aber auch die Sehnsucht nach der Schwester, und sie konnte den Morgen schon kaum erwarten, der ihr wieder auf ihren Weg leuchten sollte, in die Arme der Geliebten zu eilen.

Auch die Entfernung war nicht mehr so groß; nur noch zehn englische Meilen etwa von hier – ein flüchtiges Pferd hätte solche Strecke in einer Stunde durchlaufen können, lag Olnitzkis Farm (das Wort Plantage hatte sie endlich fallen lassen) oder Olnitzkis »improvement« wie es die Leute auch hier nannten; wenn sie bei Zeiten aufbrachen, konnten sie den Platz recht gut um Mittag erreichen und dann. – Wie ihr das Herz so ungeduldig – so freudig und doch auch wieder so ängstlich pochte; lieber Gott, zehn Jahre sind eine lange Zeit – zehn Jahre hatte sie die Schwester nicht gesehen, in den letzten Jahren sogar nicht einmal etwas von ihr gehört, wie manches Schmerzliche ihr dabei mitzutheilen aus der Heimath, die jene, ein Kind noch fast und von dem Glück der ersten Liebe wie berauscht, verlassen. Die Mutter war vor zwei Jahren gestorben, und wenn auch Sidonie die Trauerbotschaft bekommen, blieb das erste Begegnen der Geschwister nach dem Verlust doch immer schmerzlich, und mußte ja die Freude des Wiedersehens trüben. Aber fort mit solch traurigen Gedanken jetzt, wo sie so viel des Freudigen auch dabei brachte – ihr Bruder war von seinem Hofe ehrenvoll ausgezeichnet und angestellt worden, ihre jüngste Schwester die Braut eines geliebten Mannes, ihr Vater noch immer rüstig und gesund, stand seinen Berufsgeschäften wie jemals vor, nur mit dem einen Verlangen, sein Kind, sein liebes Kind, das er damals so ungern von sich gelassen, noch einmal wieder zu sehen. Wie hatte er sich in jener Zeit gesträubt seine Einwilligung zu einem Bündniß zu geben, das er allein der tollen Schwärmerei des Augenblicks zugeschrieben, und in das er nur endlich willigte, sein Kind durch eine Weigerung nicht noch vielleicht unglücklicher zu machen, als es, wie er fürchtete, durch die Verbindung werden würde. Jetzt lag die Zeit in weiter Ferne hinter ihnen. Sidonie war glücklich geworden, wie alle ihre Briefe ja bezeugten, und wenn sich auch die Schwärmerei der ersten Jugendliebe in ein ruhigeres und stilleres Gleis die Bahn geöffnet, so hatte sie doch auch mit keiner Zeile ja erwähnt, daß sie sich fortsehne aus dem neuen, selbst gewählten Leben, daß sie bereue den Schritt gethan zu haben, der sie aus den Armen ihrer Familie, der sie aus dem Vaterlande riß.

Viel Unglück hatte sie trotzdem gehabt – der älteste Knabe war ihr im vierten Jahr gestorben, und in dem letzten Brief, den sie zu Haus geschrieben – schon zwei Jahr her, schien ihr auch das jüngste Kind, ein Mädchen, schwer erkrankt. Aber seit dem, und nach dem Tod der Mutter, hatte kein Brief von ihr die Heimath mehr erreicht, und nur ein einziges Mal war mündlich Nachricht von ihnen durch einen Fremden hinübergedrungen, der den Grafen Olnitzki zufällig in Little Rock gesprochen, und von diesem erfahren hatte, daß sich die Frau vollkommen wohl befinde und in ihrem, allerdings etwas einsamen Aufenthalt von Herzen glücklich fühle.

Wunderbarer Weise behaupteten aber auch Rosemores nicht im Stande zu sein ihr genügende oder nähere Auskunft über die, doch nur kurze Strecke von ihnen entfernt wohnenden Leute zu geben. Olnitzki allerdings kam manchmal herüber zu ihnen, ja hatte sogar früher schon einige Mal in ihrem Hause übernachtet, die Frau dagegen sich noch nie bei ihnen blicken lassen.

»Aber sie hatte doch andere Nachbarn in ihrer Nähe?«

»Allerdings, Jack Owen wohnte kaum tausend Schritt von ihrem Hause entfernt an der bearlick ridge, und Sam Houston, ein anderer Farmer hatte sich, etwa eine Meile oberhalb des »postoak hollow« niedergelassen. – Beide waren verheirathet, und verkehrten gewiß mit einander, und besonders Jack Owens junge Frau war ein liebes braves Weibchen. Wunderbarer Weise wußten diese »Nachbarn« nicht einmal ob Olnitzkis Kinder hatten, und wie viel – ein oder zwei waren ihnen gestorben, aber auch das nur als Gerücht zu ihnen gedrungen, denn dort hinein führte kein bestimmter Weg, zu ihnen heraus kamen die Leute auch nicht, so bildete sich denn jeder seinen Wirkungskreis in der eigenen Umgebung, den Nachbar entbehrend und sich wenig um ihn kümmernd.«

Aber was bedurfte Amalie von Seebald auch jetzt noch weitläufiger Berichte, wo sie sich ja morgen schon – in wenigen Stunden – selber von Allem mit eigenen Augen überzeugen konnte. Nur wie sie hinüber kommen sollte beunruhigte sie noch; die Frauen vertrösteten sie aber auf die Ankunft der Männer, die jedenfalls zum Abendbrod daheim sein und schon Mittel und Wege finden würden sie mit ihrem Gepäck hinüber zu schaffen. Lieber Gott, das sei nicht mehr als ihre Schuldigkeit, dafür zu sorgen daß eine einzelne Frau, die so vertrauungsvoll hier herüber zu ihnen gekommen war, auch nicht ohne Hülfe und Beistand gelassen würde, und Billy Jones, der Schwiegersohn des alten Rosemore, oder Mr. Rosemore selber fänden da schon Rath.

Hundegebell und Pferdegestampfe kündigte die Erwarteten, die irgendwo im Walde gewesen waren nach ein paar ausgebliebenen Kühen zu sehn, auch schon vor Dunkelwerden an, und drei Reiter hielten gleich darauf vor Rosemores Thür, sprangen aus den Sätteln, die sie mit dem Zaum den Thieren abnahmen, ihre weitere Versorgung einem herbeispringenden Negerknaben überlassend, und betraten bald darauf die innere Fenz, zum Hause kommend.

»Das trifft sich glücklich!« rief da Sarah, Mr. Rosemores jüngste Tochter, die in die Thür getreten war den Vater zu begrüßen, »da ist Mr. Owen von bearlick ridge selber, mit Vater und Bill; der weiß Rath und geht gewiß morgen früh ebenfalls nach seinem Haus zurück.«

»Halloh Miß Sarah,« lachte der also bezeichnete back-woodsman, der die Worte verstanden hatte, und mit seinem Sattel über dem linken Arm, seine Büchse in der Rechten, zum Hause heran kam, »haben Sie mich erwartet?«

»Ich nicht, Mr. Owen,« lachte das junge Mädchen, »aber eine fremde lady, die hier im Hause sitzt, und vor Sehnsucht nach Ihnen schon fast vergangen ist.«

»Alle Wetter,« rief der Jäger, seinen Sattel rasch unter den Zwischenbau der beiden Häuser legend und die lange Büchse daneben lehnend – »eine fremde lady? das wäre der Teufel.«

»Nun der Teufel gerade nicht Mr. Owen,« sagte die Matrone, mit einem leisen Vorwurf in dem Ton, mit dem sie das Wort wiederholte.

»Bitte tausend Mal um Entschuldigung Missis Rosemore,« sagte der Mann, leicht erröthend, indem er ihr die Hand entgegenstreckte – »es fuhr mir nur so heraus; Ihr wißt ja schon, ich mein' es nicht so bös.«

Es war eine kräftige, männliche Gestalt, der Mann, in die gewöhnliche Tracht der Hinterwäldler, in ein ledernes Jagdhemd mit eben solchen Leggins gekleidet; an den Füßen trug er Moccasins von demselben Stoff, auf dem Kopf aber einen alten abgetragenen, arg mißhandelten Filz, und an der rechten Seite seine Kugeltasche, während an der Linken in dem breiten Ledergürtel, das lange Amerikanische Bowie- oder Jagdmesser stak. Das Haar war gelockt, sein Auge blau und der Ausdruck seines Gesichts entschieden ehrlich und gerade aus, nur um den Mund und die selbst fein geschnittenen Lippen lag ein etwas harter Zug, der aber ebensogut Muth und Entschlossenheit deuten konnte, und den westlichen Amerikanern, die im Wald erzogen und allen seinen Beschwerden und Gefahren von Kindheit an preisgegeben sind, besonders eigen ist.

Jack Owen war mit einem Wort ein prächtiges Urbild jener kräftigen, stählernen Menschenrace, die den westlichen Urwald der Union erst als Jäger durchziehn, und dann mit ihren keck bis weit über die Grenzen der Civilisation vorgeschobenen »improvements« besiedeln, dem Indianer und Bären ihre Heimath abtrotzen, und nur mit Büchse und Axt bewehrt, im Schatten der dichten Wildniß eine Heimath schaffen. Diese Race bildet den Übergang von der Rothhaut zum weißen Mann, und wie der Wolfshund, der halb dem Wolfgeschlecht noch angehörig ist, keinen ärgeren Feind kennt als gerade den Wolf, so haßt der Pionier nichts ärger auf der Welt als den, in dessen Fußstapfen er doch hier getreten, den rothen Sohn der Wälder.

Als diese Männer, die mit dem freien, natürlichen Leben um sich her, auch eben solche Sitten angenommen haben, und sich, von Anderen dasselbe verlangend und glaubend, ebenso geben wie sie sind, das Zimmer betreten hatten, gingen sie auf die fremde Dame zu, boten ihr zum Willkommen freundlich die Hand, und dann ihre Sitze am Feuer einnehmend, an dem sie ihre Moccasins auszogen, und zum Trocknen aufhingen, war ihre erste Sorge den Frauen Bericht über die entlaufenen oder ausgebliebenen Kühe, die wie es schien wieder eingefangen waren, abzustatten. Das Gespräch drehte sich jetzt ausschließlich um Kühe, Rinder und Schweine, bis zum Abendbrod, welches die beiden Töchter der alten Mrs. Rosemore indeß bereitet hatten, und alle Theile der range, oder des Weidegrundes, wo sich noch ein oder das andere Stück verhalten, wurden durchgenommen. Die Frauen selber interessirten sich dabei so viel dafür wie die Männer, und Fräulein von Seebald, die dabei als stille Zuhörerin mit am Kamin saß, war wirklich erstaunt so viel Ortskenntniß bei ihnen zu finden, mit der sie die nach Meilen entfernten Stellen im Wald bezeichneten, und ihre Richtung dabei nicht etwa bei bestimmten Wegen, sondern nach den Himmelsgegenden und kleineren sie durchströmenden Wassercoursen bezeichneten.

Mit dem Abendbrod, bei dem sich Alle um die im Zimmer zusammengerückten Tische sammelten, nahm aber auch das Gespräch eine andere Wendung; Jack Owen wurde der Fremden als der nächste Nachbar ihrer Schwester und jenes »Mr. Olnitzki« bezeichnet, und dann selber aufgefordert einen Rath zu geben, wie die junge Deutsche am Besten und Leichtesten mit ihrem Gepäck hinüber kommen könne.

Jack Owen schien übrigens die letzte Frage ganz zu überhören, denn wie er erfuhr daß die Fremde eine Schwester der »Missis Olnitzki« und über das Weltmeer nur einzig und allein herübergekommen sei sie zu besuchen, sah er sie mit den klaren treuherzigen Augen eine ganze Weile ernst und sinnend an, und fing dann auf einmal wieder, ohne ein Wort darauf zu äußern, von vorn an zuzulangen, als ob er bis dahin ganz vergessen habe zu essen.

»Und können Sie mir nicht etwas Näheres über die Schwester sagen?« bat Amalie, »ich habe schon so oft und oft gefragt, und wie verschollen schien sie dort im Wald zu wohnen; Niemand konnte mir Rede stehn, Niemand erinnerte sich in der That sie je gesehn zu haben.«

»Lieber Gott,« sagte der Jäger, ohne sein Essen auch nur auf einen Augenblick zu unterbrechen, »unsere Frauen kommen Alle wenig fort; manchmal zu einer Betversammlung oder irgend einem Nachbarfest beim Klötzerollen oder Decken-Steppen, und da die Nachbarn so dünn gesäet sind bei uns, fällt selbst das nicht häufig vor.«

»Aber Sie kennen sie doch?«

»Ich? – oh gewiß – wohne keine halbe Meile davon.«

»Und es geht ihr gut? – «

»Das kalte Fieber hat sie neulich einmal ein klein wenig abgeschüttelt, hatte aber nicht viel zu sagen, und ist bald vorüber gegangen.«

»Und ihr Kind? hat sich das arme kleine Mädchen erholt?«

»Das Mädchen?« – wiederholte der Mann, zum ersten Mal zu ihr aufschauend – »der Knabe, meinen Sie.«

»Hat Sidonie einen Knaben?« rief Amalie überrascht.

»Hm,« meinte der Jäger, sich ein neues Stück Wildpret auf den Teller nehmend, »seit wann haben Sie denn eigentlich keine Nachricht von ihr gehabt?« —

»Seit über zwei Jahren.«

»Lieber Gott,« sagte die alte Mrs. Rosemore.

»Dann freilich,« brummte der Jäger halb laut vor sich hin – »seit der Zeit ist das Mädchen gestorben und vor einigen Monaten ein Knabe geboren worden, und das Kind allerdings ist jetzt schwer krank.«

»Das Mädchen todt – du großer Gott – die arme, arme Sidonie.«

»Das Herz wird ihr wohl zu voll und schwer gewesen sein in der Zeit Briefe zu schreiben,« sagte die Matrone bedauernd, »ja aussprechen und ausweinen mag man sich dann wohl gern, aber zum Schreiben zwingt man die Hand da nicht.«

»Aber wie bekommt die Fremde die vielen Sachen hinüber Mr. Owens?« fiel Sarah hier ein, Amalie zu zerstreuen, daß sie sich nicht dem traurigen Gedanken zu sehr hingebe – »es wird schwer sein das Alles zu Pferde zu transportiren.«

»Ist's denn so viel?« frug Jack Owen.

»Ei die beiden Kisten hier, dann jene Koffer dort, und diese Schachteln und Reisesäcke.«

»Hm, das allerdings – packt sich auch verd – ungemein schlecht auf ein Pferd; aber das ist das wenigste – sind es Sachen für Mrs. Olnitzki bestimmt?«

»Zum großen Theil; wie auch mein eigenes Gepäck.«

»Sehr gut, dann schaffen wir auch Rath,« sagte der Jäger gutmüthig – »solltet Ihr nicht mit Euerem kleinen Wagen über die greenbriar ridge hinüberkommen können, Rosemore? nachher geht's glatt und leicht durch den offenen Wald, dicht an der Bayo hin.«

»Über die greenbriar ridge mit dem Wagen, Mann,« sagte aber der Alte, dabei mit dem Kopfe schüttelnd, »wo denkt Ihr hin; da müßten wir erst eine ordentliche Straße durch brushy hollow aushauen, und blieben nachher noch immer im Sumpf an der andern Seite stecken. Nein nicht in acht Tagen brächten wir das fertig, aber mit den Thieren an der overcup flat hin geht es ganz gut; die Kisten und Koffer sind eben nicht übermäßig schwer, und lassen sich recht gut auf einen Packsattel laden. Freilich muß man nachher tüchtig im Wald herumlaviren mit den Thieren, freie Bahn durch die Bäume durchzufinden, aber es geht doch, und ich getraue mich sie in fünf bis sechs Stunden hinüber zu führen.«

»Aber Euer Falbe wird das nicht tragen wollen.«

»Bah, ich habe gerade Widdersons beide Maulthiere in meiner Fenz, die er von Santa Fé mitgebracht hat und nach Batesville hinaufnehmen will, die mögen ihr Futter abverdienen.«

»Das wäre vortrefflich!« rief Jack Owen, »wann wird aber die Dame nach Olnitzkis zu aufbrechen wollen?«

»Oh so bald nur irgend möglich« – rief Fräulein von Seebald – »ich ginge die Nacht hindurch, die Schwester nur eine Stunde früher zu sehen, zu begrüßen.«

»Das möchte uns durch den Wald doch wohl schwer werden,« lachte der Jäger gutmüthig, »aber morgen mit Tagesgrauen steh' ich zu Diensten, und bin gern bereit Sie hinüberzuführen; ich gehe doch zu Haus.«

»Aber nicht vor dem Frühstück,« fiel ihnen hier Mrs. Rosemore in die Rede, »mit leerem Magen verläßt Niemand mein Haus, wenn ich's verhindern kann, und die Mädchen werden schon früh auf sein, daß es nicht zu lange dauert.«

Amalie von Seebald fügte sich gern dem freundlichen Wunsch, noch dazu da sie ihren Führer nicht auch vor dem Frühstück fortziehen mochte, und die Männer besahen sich jetzt das Gepäck, und trafen ihre Eintheilung mit den Packen, die auf die beiden Maulthiere vertheilt werden sollten, wonach dann Jack Owen selber noch einmal mit seinem Pferd zurückkommen, und den Rest nachholen wollte. Die Maulthiere sollte Bill Jones selber mit seinem Knecht hinüber bringen, Jack Owen aber wollte rascher mit der Lady voraus nach Olnitzkis improvement gehn.

Der Morgen kam, und mit klopfendem Herzen hatte Amalie ihre Vorbereitungen zu dem Marsch getroffen, als Jack Owen, nach beendigtem Frühstück, einen Damensattel auf sein Pferd geschnallt, vor der Thür erschien, und die Lady einlud sein Thier zu besteigen, während er selber zu Fuß voran ging. Die junge Dame gestand jetzt freilich mit Erröthen, daß sie noch nie auf einem Pferd gesessen, der Einwand wurde aber nicht beachtet; Jack Owens Ponny war anerkannt das frömmste Thier in der range, ließ vor und neben sich schießen, wie der Reiter gerade Lust hatte, und ging seinen festen sicheren Schritt ruhig fort, fast wie ein Maulthier. Die Mädchen halfen ihr dabei lachend in den Sattel, ordneten ihre Kleider, gaben ihr eine kleine Gerte in die Hand, das Thier vorwärts zu treiben, und Jack Owen, mit der langen Büchse auf der Schulter, von fünf mächtigen Rüden umbellt, schritt ihr voran, in den dunklen Wald hinein.

1

Die Amerikanische Nachtschwalbe, ihres leise klagenden Rufs wegen, der ganz diesen Worten ähnlich klingt, Whippoorwill genannt.

2

Little Rock – kleiner Fels – die Ansiedlung bekam ihren Namen zuerst von einzelnen kleinen Felsblöcken, die hier am Ufer liegen.

3

Postreiter.

4

stehen, der deutsch-amerikanische Ausdruck von bleiben von dem Englischen to stay.

5

To shake hands die Hand schütteln.

6

Vereinigten Staaten.

7

racoon, der Waschbär.

8

old man und old woman werden fast alle verheirateten Leute in den westlichen Wäldern genannt, sie mögen so jung sein wie sie wollen.

Nach Amerika! Ein Volksbuch. Vierter Band

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