Читать книгу Nach Amerika! Ein Volksbuch. Dritter Band - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 2

Capitel 2
New-Orleans

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Waren die Passagiere der Haidschnucke schon am vorigen Tage früh aufgewesen, Land zu entdecken, so zeigten sie sich heute noch viel zeitiger an Deck, denn was sie vom Land gestern Abend gesehn, hatte ihre Neugierde nur noch mehr und gewaltiger geweckt. Sehr zum Ärger der Seeleute also, die heute Morgen das Deck besonders sauber zu waschen hatten und jetzt die Passagiere überall im Wege fanden, kletterten die meisten schon mit Tagesanbruch aus ihrer Luke vor, und die Matrosen theilten manchen Eimer Seewasser mit gut gezieltem Wurf unter sie aus, wo das nur irgend mit einer Entschuldigung von »nicht gesehen haben« oder »nicht wissen können« zu ermöglichen war. Viele staken dabei schon in ihren besten Kleidern, und Manche bereuten in der That ihren »Sonntagsstaat« nicht bis zum entscheidenden Augenblick aufgehoben und solcher Art vier und zwanzig oder gar noch mehr Stunden zu früh, preisgegeben zu haben.

Steinert besonders, kam mit seinen weißen Hosen am schlechtesten weg, denn nicht allein daß ihnen der letzte Tag an Deck keineswegs zuträglich gewesen, und einige lange und runde Theerstreifen und Flecken nur zu deutlich die Stellen verriethen, wo er sich leichtsinniger oder vergeßlicher Weise angelehnt, nein er bekam auch heute Morgen, als er vor der Cambuse stand und dem Koch unter falschen Versprechungen eine vorzeitige Tasse Kaffee abzulocken suchte, einen vollen Eimer Seewasser angegossen, dessen Urheber sich später allerdings nicht ermitteln ließ, dessen Wirkung aber total die Frage entschied, ob er möglicher Weise noch mit der Hose New Orleans betreten konnte oder nicht.

Ein leichter dünner Nebel lag übrigens auf dem Wasser, der die angestrengteste Aufmerksamkeit der Lootsen erforderte, während er die Ufer bis ziemlich zu den Wipfeln der Bäume mit einer feinen Art von Hehrrauch füllte. Wie die Sonne aber höher und höher stieg sanken die weißen Schwaden, einem Schleier gleich zu Wasser nieder, und die armen seemüden Auswanderer konnten einen Jubelruf kaum unterdrücken, als, wie mit einem Zauberschlag die prachtvollste, herrlichste Landschaft vor ihren Augen lag, die sie sich in dem Schmuck fremdartiger Vegetation, nur je gedacht.

Verschwunden war der dunkle Wald mit seinem wehenden Moos, oder zurückgedrängt wenigstens, weit zurück zu einem niedern Streifen am Horizont, zu einem Rahmen des Gemäldes, das sich jetzt ihren Blicken entrollte, und wie aus dem Boden mit einem Schlage herausgewachsen schien. Reizende Landhäuser mit wunderlich ausgezweigten Bäumen schauten mit ihren dunklen Dächern und weißen Mauern, luftigen Verandahs und kühl verwahrten Fenstern aus dichten Bosquets blühender Tulpenbäume und fruchtschwerer Orangenhaine vor, und weite, regelmäßig angelegte Colonieen niederer aber reinlicher und vollkommen gleichmäßig gebauter Häuser – die zu den Plantagen gehörenden Negerwohnungen – schlossen sich ihnen an und trennten sie von weiten wogenden Zuckerrohr- und Baumwollenfeldern; Schaaren geschäftiger Neger in ihren weißen Anzügen arbeiteten in diesen, und auf der breiten Straße, die dicht am Ufer des Stromes hinaufzuführen schien, rasselten leichte bequeme Chaisen, und gallopirten stattliche Reiter mit breiträndigen Strohhüten und leichten lichten Sommerkleidern auf und nieder.

Und so belebt wie das Ufer war der Strom; Massen von kleinen Segelbooten glitten herüber und hinüber zu den sonnigen Ufern, breite Dampfer schnaubten hinab, die Produkte des üppigen Landes fernen Zonen zuzuführen, und mächtige Seeschiffe lagen hie und da am Ufer vor Anker, ja oft mit Tauen an irgend einen Baum befestigt, am Land hoch aufgestapelte Baumwollenballen und lange dunkle Reihen von Zucker- und Syropsfässern an Bord zu nehmen, und zu kälteren Welttheilen hinüber zu tragen.

Und daran vorbei keuchte das wackere kleine Dampfboot, die beiden Kolosse aufschleppend gegen den mächtigen Strom, und so dicht am Ufer streiften sie nicht selten hin, daß sie die Neger konnten in den Feldern singen hören, und die weißen Frauen erkannten, die in luftiger Morgenkleidung auf ihren Blumen geschmückten Verandas saßen und auf den Fluß und das rege Leben und Treiben um sich her hinausschauten.

Die Passagiere der Haidschnucke waren außer sich, und so niedergeschlagen sie durch den alleinigen Anblick der flachen Sumpfstrecke an der Mündung geworden, so scharf gingen sie jetzt, und mit verhängten Zügeln zum anderen Extrem über. Die Leute sangen und tanzten und schrieen und lachten und jauchzten, wie ebensoviele dem Irrenhaus Entsprungene, und jubelten Einer dem Anderen zu, da drüben lägen die Farmen in die sie jetzt hineinziehn würden, das sei das Land, von dem der ganze Acker nur 1¼ Dollar koste, und Einzelne redeten sogar davon sich gleich Papier und Feder und Dinte geben zu lassen und nach Hause zu schreiben, daß ihr ganzes Dorf nur gleich herüber käme über's Wasser, und Theil nähme an der Herrlichkeit.

Die Oldenburger waren die übermüthigsten, und vorn auf der Back, wo sie sich auf den Starbord-Anker gesetzt hatten und einander immer auf neu entdeckte Herrlichkeiten des Ufers aufmerksam machten, brach sich ihr Jubel endlich in einem Liede Bahn, das sie schon den ersten Tag auf der Weser einmal gesungen, dann aber ganz vergessen zu haben schienen, und dessen Schlußvers, von der ganzen Schaar als Chor gesungen lautete:

»In Amerika können die Bauern in den Kuts-chen fahren

In den Kuts-chen mit Sammet und mit S-e-i-de.

Und sie essen dreimal Fleisch, und sie trinken Wein dazu

Und das ist eine herrliche Freu-i-de!«


Das Wort Kuts-chen sprachen sie dabei so aus, das sie das s vollkommen vom ch trennten, während das letzte Wort »Freude« mit aller Kraft der Stimmen herausgeschrieen wurde, vielleicht den empfundenen Grad von Seligkeit dadurch anzudeuten.

Je mehr sie sich aber der Hauptstadt von Louisiana, dem prächtigen New-Orleans näherten, desto lebendiger wurde der Strom; die Fahrzeuge, welche die Verbindung der einzelnen kleinen Städtchen und Plantagen mit der »City« unterhielten, wurden häufiger – Dampffähren kreuzten herüber und hinüber, eine Anzahl kleiner Segelboote führte die Produkte des Landes nach der Stadt, und überall an den Ufern, an denen reizende Pflanzerswohnungen unter Blüthenbüschen und Fruchtbäumen versteckt lagen, ankerten volle Schiffe, Brigs, Barquen und Schooner, die letzteren meist mit Negern und Mulatten bemannt, und die bunten Flaggen im Winde flatternd.

Aber weiter, immer weiter schnaubte das Boot; hie und da tauchten weiße Häusermassen auf, aus dunklen Streifen bis zum Ufer des Stromes reichender Waldung immergrüner Magnolien und mächtiger Cottonbäume; aber das war noch lange nicht New-Orleans, – die Villen wuchsen zu Städten an, und immer noch vorbei schäumten sie, aufwärts, aufwärts den Riesenstrom, dessen Fluth gewaltige nackte Stämme mit sich führte, die er sich oben im Norden losgerissen aus ihrem Bett und sie nun hinabführte dem Golfstrom zu, tausende von Meilen weit, damit sie der durch den Ocean hinüberwälze, einem anderen Welttheil zu.

So kam Mittag heran und ging vorüber, während die Passagiere schon vollständig seit mehr als vier und zwanzig Stunden gerüstet an Deck auf- und abliefen, und ungeduldig den Zeitpunkt kaum erwarten konnten, der ihnen erlauben würde dieses wundervolle Land zu betreten.

»Dort liegt New-Orleans!« sagte da der Steuermann, der vorn auf die Back kam, die dicht gedrängt von Passagieren stand, nach dem Anker und dessen Befestigung zu sehn. Er deutete dabei mit der Hand nach rechts hinüber, wo ein weites dünnes, fast spinnwebartiges Mastengitter den Horizont begrenzte.

»Wo? – wo?« riefen eine Menge Stimmen durcheinander, und Einer frug – es war Löwenhaupt – »dort drüben, wo das lange Staket ist?«

Der Steuermann warf ihm einen mitleidsvollen Blick zu glaubte aber schon überflüssig Auskunft gegeben zu haben, und stieg, ohne irgend eine der tausend an ihn gerichteten Fragen weiter zu beantworten, wieder an Deck hinunter, nach hinten auf seinen Posten zu gehn. Aber die Leute bedurften keiner weiteren Weisung; nur erst das Auge in etwas gewöhnt die fernen Gegenstände in ihren einzelnen Umrissen von einander zu trennen, und zu erkennen, unterschieden sie bald selbst klar und deutlich die Masten unzähliger Schiffe, und Kirchthürme und Kuppeln, die sich scharf gegen den rein blauen Horizont abzeichneten, und bald auch den letzten Zweifel zerstreuten daß sie sich der Stadt, daß sie sich dem Ziel ihrer Reise näherten.

Von dem Augenblick an schienen aber auch alle Bande der Ordnung gelößt zu sein und New-Orleans war vergessen, wie das rege bunte Leben um sie her, an denen noch vor wenig Minuten ihr Blick mit Entzücken und stummem Staunen gehangen. An Land: jeder andere Gedanke erstarb in dem einen bewältigenden Gefühl, und jeder einzelne Passagier schien es jetzt ganz besonders und allein darauf angelegt zu haben, durch Vorziehn seines Koffers wie sonstigen Gepäcks, seiner Kisten und Hutschachteln, Körbe und Betten, allen Übrigen den Weg auf das gründlichste zu versperren, und die schon ohnedieß im Zwischendeck herrschende Confusion zu ihrem möglich höchsten Grad zu treiben. Vergebens blieb alles Schimpfen und Befehlen der Steuerleute; vergebens blieben die Flüche und Verwünschungen der Matrosen, die bald hier bald da über an Deck geschleppte Kisten und Kasten stürzten und wegfielen, die Passagiere thaten als ob sie fürchteten man würde sie nicht von Bord lassen, wenn sie landeten, und nun Alles vorbereiteten zu schleunigster Flucht. Der Capitain ging endlich sogar, was er die ganze Reise über noch nicht ein einziges Mal gethan, zu ihnen, und erklärte ihnen daß es sehr die Frage sei, ob sie diese Nacht noch überhaupt an Land dürften, denn die Gesundheits-Policey in New-Orleans visitire erst das Schiff und bestimme dann, ob den Passagieren eine augenblickliche Landung gestattet werden könne; sie möchten deshalb sich nicht überall Platz und Weg verstellen, da zehn gegen eins zu wetten sei, daß sie Beides noch nothwendig brauchen würden, ehe sie das Schiff verließen. Niemand glaubte ihm.

»Jetzt kommt der alte Hallunke nun wir von Bord wollen« rief Steinert besonders, doch natürlich erst als der Capitain außer Hörweite war, »und denkt sich noch beim Abschied einen weißen Fuß bei uns zu machen; redet süß und dreht den Kopf bald so, bald so herüber. Er soll zum Teufel gehn, wir brauchen ihn jetzt nicht mehr, und thun was wir wollen.«

Der kleine Dampfer hatte indessen wacker die Strömung gestemmt, und seine beiden Schiffe dem bestimmten Landungsplatz merklich näher gebracht. Höher und höher tauchten dabei die Masten aus dem flachen Lande auf, und dehnten sich in unabsehbarer Reihe am linken Ufer des Stromes hinauf. Auch gewaltige Häusermassen wurden sichtbar, die in geschlossenen Colonnen den Mastenwald umzogen und die untere Grenze der Stadt, wenigstens eine langgestreckte Reihe von Häusern die mit ihr in unmittelbarer Verbindung stand, lag ihnen, wie sie den Strom hinaufschauten, schon gerade gegenüber, von dort ankernden Schiffen wie mit einem festen Damm umzogen.

Clara Henkel hatte indessen eine furchtbare Zeit verlebt, und mit keinem Herzen, dem sie sich und ihr entsetzliches Schicksal anzuvertrauen wagte, die Last allein getragen, bis sie drohte sie zu Boden zu drücken. Mit dem Bewußtsein welches entsetzliche Verbrechen der Mann verübt, in dessen Hand sie die ihre am Altar gelegt, war auch der feste unerschütterliche Entschluß in ihr gereift, von diesem Augenblick an das Band als zerrissen zu betrachten, das sie an ihn gebunden. Aber was jetzt thun? – in dem fremden Lande allein und freundlos; was beginnen, wie handeln? – Zurück zu ihren Eltern kehren? – alle Pulse ihres Herzens zogen sie dorthin und es blieb fast kein anderer Ausweg für sie; aber was würde die Stadt dann sagen, wie würde das müßige Volk die Köpfe zusammenstecken und lachen und spotten über die »reiche Amerikanische Braut« die so rasch und allein gebrochenen Herzens zurückgekehrt in das Haus, das sie in Glück und Glanz verlassen? – Was kümmerte sie die Stadt, was herzlose Menschen, die mit kaltem Blut und lachendem Munde Ruf und Glück einer Welt unter die Füße treten, wenn sie sich eine Viertel Stunde die Zeit damit vertreiben können, und doch bebte sie davor zurück – doch malte sie sich mit grausamer Phantasie alle die einzelnen kleinen Gruppen aus, alle die Märchen und Erdichtungen, alle die schlauen und nur zu furchtbar wahren Combinationen die auf ihr Haupt allein dann fallen würden. Und doch, blieb ihr eine andere Wahl?

Aber noch eine andere Sorge füllte ihr die Brust – konnte sie so, unmittelbar in das väterliche Haus zurück? mußte nicht erst ein Brief wenigstens die armen Eltern vorbereiten auf das Schreckliche? – Oh wer rieth – wer half ihr da? Und ja, ein Wesen war an Bord dem sie ihr Elend klagen, die sie um Rath um Trost bitten konnte in ihrem Schmerz. Trost? allmächtiger Gott wo lag ein Trost für die Vernichtete – doch Rath, doch Mitgefühl – ein freundlich, theilnahmvolles Wort als Tropfen Lindrung in das Meer von Jammer. Die wackere Frau Professor Lobenstein, die sich ihr stets als mütterliche Freundin gezeigt, der durfte sie vertrauen was sie zu Boden drückte, was sie nicht mehr allein zu tragen im Stande war, und ihrem Rath wollte sie folgen – gehorchen wie ein Kind der Mutter folgt. Aber nicht an Bord ging das an, die einzelnen Cajütenwände bestanden nur aus dünnen Planken, die nicht einmal bis oben hinauf fest anschlossen, sondern dort einen offenen Rand hatten – die Nebencoye konnte jedes gesprochene Wort verstehn, und auf dem Quarterdeck selbst waren sie nie allein. Und konnte sie warten bis sie in New-Orleans gelandet? – wie sollte sie denn von Bord kommen wenn sie nicht gerade mit Lobensteins das Schiff verließ, und bat sie diese, sich ihrer Sachen, ihrer selbst anzunehmen, ehe sie sich der Frau entdeckte, was hätten sie von ihr denken, was ihrem Gatten gegenüber selber da thun können?

In Angst und Verwirrung konnte die Unglückliche zu keinem festen Entschluß kommen, und überließ der Zeit, dem Augenblick, das Weitere – ja sie fing endlich an, als ihr die quälenden Gedanken Tag und Nacht das Hirn zermartert hatten, gleichgültig gegen Alles zu werden, was sie von jetzt ab noch betreffen konnte. – Das Schrecklichste – das Furchtbarste war geschehn, was konnte sie noch schlimmer treffen als der Schlag. Nur das eine stand fest und unerschüttert in ihrer Seele – mit ihm keinen Schritt weiter in diesem Leben.

Auf dem Schiffe herrschte indessen ein wildes reges Leben; überall hatten sich kleine Gruppen gebildet, die das Neue, das sie umgab anstaunten und bewunderten, und einander auf frisch auftauchende Merkwürdigkeiten mit Hand und Mund aufmerksam machten. Und wie die Kinder lachten und jubelten sie dabei, und streckten die Arme danach aus, als ob sie den Augenblick nicht erwarten könnten, der sie endlich, endlich in wirklichen Besitz all dieser Herrlichkeiten bringen sollte. Da gab der Dampfer ein plötzliches Zeichen mit der Glocke, die Taue an beiden Borden wurden losgeworfen, und das kleine schwarze Fahrzeug glitt im nächsten Augenblick, seine Wellen schäumend gegen ihren Bug anwerfend, zwischen den beiden Kolossen die er heraufführte vor. Zu gleicher Zeit fast sprangen die Matrosen der beiden deutschen Auswanderer-Schiffe nach vorn an ihre Anker.

»Steht klar da von der Kette – zurück da – fort aus dem Weg!« schrieen die Seeleute durcheinander, und stießen die Passagiere die nicht gleich begriffen was sie sollten, und wem sie eigentlich im Weg standen, unsanft zur Seite; »Alles klar – laßt los« kreischte eine Stimme und alles Weitere verschwand in dem Schlag auf's Wasser, den der Anker that, und dem furchtbaren Gerassel der ihm, durch die Klüsenlöcher nachsausenden Kette, die gleich darauf um die Ankerwinde geschlagen das Schiff bis in seinen Kiel hinab erschütterte und – hielt.

Der Capitain kündigte indessen den jetzt unruhig werdenden Passagieren an, daß sie hier zu liegen hätten bis das Sanitäts- und Policeyboot an Bord gewesen wäre, was sehr wahrscheinlich bald kommen, und ihnen dann völlige Freiheit lassen würde, so rasch an Land zu gehn wie sie eben wünschten. Dagegen ließ sich Nichts thun, und die Leute behielten jetzt wenigstens Zeit sich ihre Umgebung zu betrachten, die sich mannigfaltig und bunt genug erwieß.

Auf der Straße die sich dicht am Ufer hinzog, wimmelte es von Menschen und Wägen; Karrenführer brachten auf zweirädrigen Karren mit einem kräftigen Pferd bespannt, in fast ununterbrochenem Zuge Waaren herab gefahren, große Omnibusse fuhren auf und ab, Passagiere an allen Ecken absetzend und wieder aufnehmend, Neger mit schweren Lasten auf den Schultern eilten vorüber, oder standen in lachenden Gruppen an den Werften. Reiter gallopirten die Straße nieder, kleine Chaisen und Wägen kreuzten sich herüber, und hinüber, und Negerinnen mit Körben oder großen Blechkannen auf den Schultern boten von Haus zu Haus, von Schiff zu Schiff ihre Waaren feil. Und das laute taktmäßige Singen dort drüben, mit dem »Ahoy-y-oh!« der Matrosen dazwischen? Ein Trupp von halbnackten Negern lud dort ein französisches Schiff mit großen Zuckerfässern, ein Vorsänger gab dabei Takt und Versmaas an, und während sechs kräftige Burschen mit dem rollenden Coloß den hohen Damm der das Ufer einfaßte herunterliefen, den Aufschlag gegen die schräg zum Schiff emporliegende Planke zu bekommen, tanzten und sprangen die Neger, das Faß jedoch umgebend, daß sie der geringsten Abweichung steuern konnten, darum her, und warfen sich dann alle zugleich, aber immer im Takt ihrer Melodie, und diese nicht einen Moment unterbrechend, mit den Schultern dagegen, es eben so rasch die Planken hinauf an Bord zu rollen, als es den Damm allein herunter gekommen. So geschickt benahmen sich die Leute dabei, und so anscheinend leicht lief ihnen das kolossale Faß unter den Händen fort, daß die Arbeit wie Spiel aussah; hätten sie aber die furchtbar schweren und nicht einmal ganz gefüllten Fässer, in denen der rohe Zucker immer wie Blei nach unten fiel, langsam rollen wollen, kaum doppelt die Zahl würden sie dann an Bord gebracht haben.

Und wie mit Fahrzeugen belebt war der Strom; wohin das Auge blickte ein reges Drängen und Treiben von Dampf- und Segelschiffen, und schwerfälligen breitmächtigen Ruderbooten und Flößen, die mit der Strömung hinab, tiefer gelegenen Plantagen oder Ortschaften zuschwammen. Was für Colosse trug dabei die Fluth und die Deutschen staunten, und hatten Ursache dazu, als breite Dampfboote den Strom nieder kamen, die schwimmenden Bergen aufgethürmter Baumwollenballen glichen, aus denen oben, während sie bis unmittelbar über die Oberfläche des Wassers reichten, nur eben die beiden schwarzen qualmenden Schornsteine herausschauten. Ballen auf Ballen war da gepackt, regelmäßig wie Backsteine in einer Mauer, von dem Rand des unteren Verdecks gerade und steil emporlaufend, daß selbst das kleine, vorn oben auf dem höchsten Deck stehende Lootsenhaus nur eine Öffnung zum Durchschauen hatte, und Cajüte wie Zwischendeck von einer unerbittlichen Baumwollenwand umschlossen blieb.4 Die Erndte brachten sie nieder aus den reichen Plantagen der südlichen Staaten, aus Tenessee und Arkansas, Mississippi und Louisiana, hier in Schiffe gestaut und über die Welt versandt zu werden, während die gewaltigen Boote schon nach wenigen Tagen wieder mit Seesalz, Reis, Kaffee und den Produkten der Tropenländer beladen, ihre Salons und ihre Zwischendecks mit Passagieren gefüllt, die Rückreise nach den nördlichen Staaten antraten.

Aber das nicht allein – gerade auf sie zu kam ein kleiner scharfgebauter Dampfer, das untere Deck mit Rindern und Schaafen gefüllt, die in Pensylvanien, zweitausend englische Meilen von hier entfernt, in voriger Woche eingeschifft wurden und jetzt bestimmt sind den New-Orleans Markt auf einen Tag mit frischem Fleisch zu versehn. Die Passagiere der Haidschnucke hatten übrigens volle Muße dieß Boot zu beobachten, das dicht an ihnen vorbeilief, eine kleine Strecke weiter dem Lande zu hielt, sein Boot mit vier Matrosen und dem Steuermann darin aussetzte, und dann plötzlich die Planken losschlug die am hinteren Theil oder steerage deck das Vieh bis jetzt verhindert hatten über Bord zu springen. Es dauerte auch gar nicht lange, so fingen sich die Rinder, wahrscheinlich im Inneren gestört, an zu drängen, und kamen der Öffnung oder dem Bord, der etwa noch immer zehn Fuß über der Oberfläche des Stromes lag, näher und näher, bis ein Stier, der die Hörner gegen einen Kameraden einsetzte von diesem zurück und dem Bootrand zugepreßt wurde, über den er mit den Hinterbeinen glitt, sich mit den Vorderbeinen, ängstlich brüllend, noch einen Augenblick hielt, und dann kopfüber in den Strom hinunterstürzte. Wie er aber wieder nach oben kam, und sich von dem Boot verhindert sah stromab zu gehn, hielt er rasch dem Lande zu, wo dieses sich an einer schmalen Stelle zwischen zwei dort vor Anker liegenden Schiffen zeigte, und das war gerade der Punkt wohin ihn die Burschen haben wollten, und wo die Käufer schon eine kleine Umzäunung hergestellt hatten, die an Land schwimmenden Thiere in Empfang zu nehmen. Einer nach dem anderen wurde so, wenn sie nicht gutwillig gehn wollten, von Bord hinuntergeworfen, und ihnen folgte, als auch der letzte in Sicherheit war, in Masse die Schaafheerde, der man nur einfach den Leithammel voran hineinwarf, als sich die ganze Heerde auch in größter Eile und Hals über Kopf ihm nachstürzte.

Dieß außergewöhnliche Schauspiel hatte die Aufmerksamkeit der Passagiere so in Anspruch genommen, daß sie im Anfang gar nicht bemerkten, wie ein paar Fruchtboote indessen an das Schiff herangekommen waren und dieses jetzt, mit ihrer delicaten Last umkreisten. Ziemlich vorn im Boot saß eine sonngebräunte Gestalt mit breiträndigem Strohhut, nur mit Hemd und Hose bekleidet und ein buntfarbiges Seidentuch locker um den Hals geschlagen, in jeder Hand ein leichtes kurzes Ruder mit denen er das zierlich schlanke Fahrzeug rasch und behende vorwärtstrieb, und durch die geringste Bewegung herüber und hinüber lenkte. Von der Mitte des Bootes ab aber, bis hinten zum Spiegel desselben lagen, in entzückender Fülle die Schätze der Tropen, wie dieses sonnigen Landes aufgestapelt und zum Genuß bereit, während in dem Spiegel des einen Boots ein kleiner Capuziner-Affe, in dem des anderen ein buntfarbiger Papagei dem reizenden Bild zur Staffage zu dienen schienen. Duftige Ananas mit den grüngezackten Kronen, rothbäckige Granatäpfel, goldene Apfelsinen, saftige Pfirsiche, Cocosnüsse in ihrer braunen Schaale, mehlige Bananen, mit nordischen Äpfeln und Birnen und schwellenden Trauben, mit Granat- und Orangenblüthen überworfen lagen in wilder Mischung bunt und wirr und doch sinnig geordnet, durcheinander, und die Hände der armen, Salzkost gewöhnten und gequälten Auswanderer, streckten sich nur soviel sehnsüchtiger nach den gezeigten Schätzen aus, als fast den meisten die Mittel fehlten, sich augenblicklich in Besitz derselben zu setzen.

Kleines Geld – oh wer jetzt kleine Amerikanische oder Englische Münzen hatte, sich einen Theil des Reichthums da unten zuzueignen – nur ein einziges Stück den lechzenden Gaumen zu letzen. Und wie sie durch einander liefen und in den Taschen suchten, und borgen wollten, Einer vom Anderen, und Keiner, wie ihnen das wohl auch oft in der alten Heimath geschehn sein mochte, die landesübliche Münze zu zeigen hatte. Hie und da tauchte aber doch ein Spanischer Dollar auf, Früchte mußten gekauft werden, die erste Landung auch würdig zu feiern, und der Steward wurde dann ebenfalls hinunter geschickt, für die Cajüte ein reiches und willkommenes Desert zur Abendtafel einzukaufen. Die beiden Spanier in den Fruchtbooten machten glänzende Geschäfte an den beiden deutschen Schiffen.

Endlich kam auch das Sanitätsboot und das Schiff wurde, nach sehr flüchtiger Untersuchung, als vollkommen gesund erklärt, wie den Passagieren von Obrigkeitswegen gestattet, sobald sie wollten oder könnten an Land zu gehn. Es war aber indessen auch beinah Abend geworden, und der Capitain erklärte seinen Cajütspassagieren daß er selber allerdings augenblicklich an Land müsse, und gern von ihnen mitnehmen wolle wer zu gehen wünsche, daß er ihnen aber rathe die Nacht noch an Bord zu bleiben, und dann morgen früh ihre Ausschiffung in Muße und mit Ruhe vorzunehmen. Mit den Zwischendeckspassagieren wurden schon weniger Umstände gemacht, und ihnen eben nur einfach angekündigt, daß es für heute zu spät sei sie auszuschiffen, und sie morgen früh, wenn sie es wünschten mit Tagesanbruch befördert werden sollten. Übrigens hätten sie heute Abend noch einmal Abendbrod und morgen Frühstück zu erwarten – wonach zu richten.

Von den Cajütspassagieren hatten sich aber eben der Professor und die Herren Benkendroff, Henkel, und der Doktor entschlossen mit an Land zu fahren, als von dort aus ein Boot abstieß in dem ein Herr und eine Dame saßen und auf die Haidschnucke zuhielten. Frau von Kaulitz, die schon seit einer Stunde ungeduldig auf dem Quarterdeck auf- und abgegangen war, und diesen Besuch in der That erwartet hatte, trat an die Reiling und winkte mit dem Tuch, und das Zeichen wurde von der Dame im Boot, die in großer Aufregung zu sein schien, beantwortet. Desto ruhiger blieb aber die alte Dame, die schon an dem Nachmittag ihre Whistberechnung mit ihren bisherigen Aiden gemacht und ihren Gewinn eingestrichen hatte, während ihre Koffer gepackt und zum Abholen fertig standen.

»Wer mögen nur die Fremden sein die uns dort besuchen wollen?« rief die lebhafte Marie, die sich nicht satt sehn konnte an ihrer neuen Umgebung und Augen für Alles hatte, was um sie her vorging. »Sie kommen wahrhaftig hierher, gerade auf das Schiff zu!«

»Das ist meine Tochter, mein Kind« sagte aber die alte Dame mit unendlicher Ruhe, »die sich vor einem Jahre von einem jungen Engländer Namens Bloomfield hat entführen und heirathen lassen, ohne mein Wissen und gegen meinen Willen. Das junge Ehepaar flüchtete damals nach Amerika und ich habe ihnen jetzt, da der Mann sonst brav und ordentlich zu sein scheint und sehr vermögend ist, verziehen und bin gekommen sie zu besuchen.«

Es waren dieß die ersten Worte die Frau von Kaulitz je über ihre Familienverhältnisse, wie überhaupt den Zweck ihrer Reise geäußert hatte, und Marie blickte lächelnd zu ihr auf, denn sie konnte natürlich nicht anders glauben, als daß die alte Dame sich einen Scherz mit ihr mache, obgleich das sonst nicht eben ihre Gewohnheit war. Sie sah aber auch jetzt so ernst und trocken aus wie nur je, und hatte noch dazu ihre Brille aus ihrem großen sammetgestickten Strickbeutel herausgeholt, die sie aufsetzte und die Herankommenden aufmerksam und forschend damit betrachtete. Es war eben noch hell genug die Gesichter unten zu erkennen.

Das Boot lag jetzt langseit und die alte Dame ging zweimal auf dem Quarterdeck auf und ab als der Capitain, der an die Fallreepstreppe getreten war der Dame hereinzuhelfen, mit den beiden Fremden den Starbordgangweg herauf kam und sie zur Quarterdeckstreppe führte. Die junge Dame, ein reizendes kleines zartes Frauchen von vielleicht zweiundzwanzig Jahren, aber jetzt mit vor innerer Aufregung bleichen und erregten Zügen, eilte voran, dicht hinter ihr folgte ihr Gatte, eine ebenfalls noch jugendliche, aber edle, männliche Gestalt. Frau von Kaulitz war mitten auf dem Deck stehn geblieben sie zu erwarten.

»Mutter – liebe – liebe Mutter!« rief die junge Frau, flog auf die alte Dame zu und barg, der Fremden die sie umstanden nicht achtend, ja sie wohl nicht einmal bemerkend, schluchzend ihr Antlitz an ihrer Brust.

»Mein Kind – mein liebes Kind!« sagte Frau von Kaulitz, mit einem unverkennbaren Anflug von Rührung und hob sie zu sich auf, küßte sie und streckte dann ihre Hand dem wenige Schritte hinter ihr stehen gebliebenen Gatten entgegen.

»Liebe – beste Mutter!« rief aber jetzt auch dieser, tief ergriffen ihre Hand fassend und an seine Lippen ziehend – »können Sie uns verzeihn?«

»Bst Kinder – keinen Auftritt hier« sagte aber Frau von Kaulitz, rasch wieder gefaßt, »komm Pauline – komm, richte Dich auf – sieh nur die fremden Leute hier um uns her. Ach bitte William haben Sie die Güte und sehen Sie nach daß meine Koffer und Hutschachteln hinunter in das Boot kommen.«

»Ich werde Ihnen das schon besorgen, gnädige Frau« sagte aber der Capitain freundlich – »ist das all Ihr Gepäck was hier oben an Deck steht?«

»Das ist Alles – halt Steward meine Whistmarken liegen noch unten auf meinem Waschtisch, in dem kleinen grünen Etui.«

»Hier Jahn – hier Jacob!« rief der Capitain ein paar seiner Leute an – »hinunter mit den Sachen da in's Boot – macht rasch, aber geht mir vorsichtig damit um – hier die drei Koffer und die drei, vier, fünf Schachteln mit den zwei Reisesäcken.«

»Wartet Kinder, meine Marken kommen gleich« sagte Frau von Kaulitz, als die junge Frau sie unter Thränen lächelnd noch einmal geküßt hatte und dann mit sich fortziehen wollte – »apropos William, spielen Sie Whist?«

»Nein liebe Mutter« – sagte der junge Mann, verlegen lächelnd über die etwas abgebrochene Frage.

»Kein Whist?« – rief Frau von Kaulitz, fast erschreckt stehen bleibend – »wo bekommen wir denn heute Abend den dritten Mann her? – Pauline spielt.«

»Mein Compagnon spielt vortrefflich und wird heute Abend bei uns sein« sagte ihr Schwiegersohn, jetzt wirklich verlegen.

»Ah, das ist schön!« rief Frau von Kaulitz, sichtlich beruhigt, »und nun kommt Kinder – adieu, adieu!« sagte sie dabei freundlich ihren bisherigen Mitpassagieren, von denen sie sich in diesem Augenblick wahrscheinlich auf immer trennte, zunickend – »adieu,« und von dem Capitain geführt, der sie, jetzt schon wieder in seinen entsetzlichen Schwalbenschwanzfrack mit den engen Ärmeln hineingezwängt, sehr artig bis an die Fallreepstreppe begleitete, verließ sie das Quarterdeck.

Der junge Mann folgte ihr, seine Frau am Arm, die Cajütspassagiere an denen er vorüberging, freundlich grüßend, als sein Blick auf den, gerade an Deck kommenden Henkel fiel. Fast unwillkürlich blieb er einen Moment stehn und sah ihn starr an, wie es oft geschieht daß uns ein Gesicht plötzlich auffällt, dem wir nicht gleich Namen und Stelle zu geben wissen in unserem Gedächtniß. Auch Henkel begegnete, wie es schien ebenso überrascht dem Blick; beide Männer verbeugten sich dann leicht gegeneinander und der Engländer verließ, seine Frau am Arm das Schiff.

Das Boot stieß ab von Bord, und die beiden Seeleute die es führten legten sich kräftig in ihre Ruder, waren aber noch keine vier Längen in den Strom hinausgehalten, als Frau von Kaulitz ein ängstliches »Halt« rief.

»Ach bitte William, ich habe meinen Regenschirm an Bord vergessen!«

Der junge Mann, der am Steuer saß, lenkte den Bug des Bootes rasch wieder herum dem kaum verlassenen Schiffe zu, an dessen Railing der Steuermann schon stand und mit einem vergnügten Gesicht – er war an derlei gewohnt – hinunter rief:

»Etwas vergessen, Madame?«

»Meinen Regenschirm – er steht unten in der Coye – schwarze Seide mit Elfenbeingriff« —

»Nun natürlich« lachte der Seemann leise vor sich hin, und rief dann laut – »Steward, den Regenschirm von Frau von Kaulitz« —

»Und mein rothsaffian Brillenfutteral muß auch noch unten liegen!« rief die Dame hinauf.

»Steward – rothsaffianen Brillenfutteral« repetirte der Steuermann – »sonst noch etwas, Madame?«

»Nein – nicht daß ich jetzt wüßte.« —

Die Sachen wurden durch einen Matrosen, der die Fallreepstreppe niederlief, hinunter gereicht, und das Boot stieß zum zweitenmale ab.

»Liebe Mutter, jener Herr Soldegg, den ich auf dem Quarterdeck fand, ist doch nicht mit Ihnen von Deutschland, sondern wahrscheinlich erst hier an Bord gekommen?« frug der junge Mann die alte Dame, als sie wieder eine kleine Strecke vom Schiff ab waren.

»Soldegg? – ich weiß nicht« sagte Frau von Kaulitz, »ich kenne die Zwischendeckspassagiere nicht, und habe den Namen nie gehört.«

»Er sah nicht aus wie ein Zwischendeckspassagier, und stand auch auf dem Quarterdeck bei den Damen« sagte Bloomfield.

»Soldegg – Soldegg? – kenne ich nicht – vom Land ist aber auch Niemand herüber gekommen, den Steuerbeamten ausgenommen.«

»Dort drüben steht er, etwas rechts vom Besahnmast – den meine ich, der jetzt gerade den Hut aufsetzt.«

Die alte Dame, die ihre Brille noch aufbehalten hatte, drehte den Kopf dorthin und sagte dann:

»Das ist ein Herr Namens Henkel, der sich eine junge hübsche Frau von Deutschland geholt hat, aber nicht mit ihr durchgebrannt ist, wie gewisse Leute.«

»Liebe – liebe Mutter« bat Pauline, tief erröthend, und die Hand nach ihr ausstreckend —

»Schon gut, schon gut« lächelte die alte Dame, die Hand ergreifend und streichelnd —

»Henkel?« sagte Bloomfield, dem die eben gesehene Persönlichkeit selbst in diesem Augenblick nicht aus dem Sinne wollte – indem er still vor sich hin mit dem Kopf schüttelte.

»Haben Sie die auffallend schöne junge Frau nicht bemerkt, die mit auf dem Quarterdeck stand?« frug Frau von Kaulitz.

»Dieselbe die so außerordentlich bleich aussah?«

»Dieselbe – das ist seine Frau – aber nehmen Sie sich um Gottes Willen in Acht. Sie fahren uns ja mitten auf das Schiff hinauf!«

Bloomfield lenkte den Bug des Bootes noch zur rechten Zeit zur Seite, der Rudernde warf seinen Riemen rasch aus der Dolle, und das schlanke Boot schoß, den Augen der ihm nachschauenden Passagiere der Haidschnucke entzogen, zwischen die dort ankernden Schiffe hinein an Land, wo schon ein leichter eleganter Wagen sie erwartend hielt.

Des Capitains Jölle war indessen ebenfalls auf das Wasser niedergelassen und bemannt worden, und der Capitain noch einmal in seine Cajüte gegangen seine Schiffspapiere, die in einer langen, festschließenden Blechbüchse staken, mitzunehmen, wie Geld und abzugebende Briefe zu sich zu stecken.

Schon vorher war ein Mauthbeamter an Bord gekommen, der aber die Koffer der Passagiere, nach flüchtiger Öffnung, passiren ließ. Einwanderern wird darin viel nachgesehn, und wo nicht durch zu große Massen oder zu geschäftsmäßige Verpackung gegründeter Verdacht vorliegt daß sich Sachen zum Verkauf darin vorfinden, läßt man sie keineswegs selten uneröffnet, oder wenigstens nach ganz oberflächlichem Darüberhingesehn, passiren.

Clara ging, als Frau von Kaulitz das Schiff verlassen hatte, in ihre Cajüte hinab, wohin ihr, wie des Capitains Boot auf das Wasser niedergelassen wurde, Henkel folgte.

»Clara« sagte da ihr Gatte mit leiser unterdrückter Stimme, als er den kleinen Raum betrat – »ich gehe heut Abend an Land und kehre vielleicht erst spät, vielleicht erst morgen Früh zurück. Du wirst wohl thun Alles indeß zu ordnen daß wir das Schiff dann gleich verlassen können – ich werde indeß Quartier für uns besorgen.«

Clara hatte ihn ruhig angehört, aber ihr Körper zitterte während er sprach und sie brauchte Minuten sich soweit zu sammeln daß sie ihm nur erwidern konnte, dann aber sagte sie mit leiser, doch von innerer Heftigkeit fast erstickter bebender Stimme, indem sie ihm fest und entschlossen in das scheu abweichende Auge sah.

»Für uns? für uns? – unsere Bahnen trennen sich hier – mein Herr – ich kenne Sie nicht mehr und wagen Sie es mich zu zwingen.«

»Du bist eine Thörin, Clara« – sagte Henkel ungeduldig – »was helfen Dir die unnützen Reden – wer soll Dir hier Beschuldigungen, die Du etwa vorbringen könntest, glauben. Sei vernünftig« setzte er dann ruhig hinzu – »laß den wahnsinnigen Verdacht, den Du nun einmal kindischer Weise gegen mich gefaßt zu haben scheinst, fahren, und füge Dich in das Unvermeidliche. Du kennst die Amerikanischen Gesetze nicht.«

»Und Du wagst es mir mit dem Gesetz zu drohen?« rief aber jetzt Clara, in furchtbarer Aufregung selbst den Ort vergessend an dem sie sich befanden, und wie leicht sie von Anderen in dem belauscht oder gehört werden konnten was sie sprachen – »Du zitterst nicht, nur vor dem Namen des Richters, dem Dein Kopf verfallen wäre, wenn Gerechtigkeit nicht eine Lüge hieß.«

»Du bist wahnsinnig!« zischte der Mann, in scheuer Furcht daß die Worte draußen zu dem Ohr eines Dritten gedrungen wären, durch die zusammengebissenen Zähne – »ich will Dir Zeit geben Dich zu sammeln;« und die Thüre öffnend, die er wieder hinter sich ins Schloß drückte, verließ er rasch die Cajüte. Clara aber blieb wie sie der Gatte verlassen, die Augen in grimmem Zorn fest auf die Thüre geheftet durch die er verschwunden, stehn und wollte sich dann umdrehen ihren Sitz wieder einzunehmen. Die Aufregung jedoch und Alles was das arme Herz in den letzten Tagen bedrängt und jetzt in furchtbarer Gewalt wieder über sie hereinbrach, war zu viel für sie gewesen, sie fühlte wie ihr die Sinne schwanden – sie wollte rufen, aber vermochte es nicht mehr – einen Moment hielt sie sich an der Coye neben der sie stand, aber vor ihren Augen dunkelte es, die Cajüte drehte sich mit ihr und bleich und lautlos brach sie ohnmächtig zusammen.

»Nun meine Herren, wer mich begleiten will« sagte der Capitain der wieder in seinen unbequemsten »geh zu Ufer« Kleidern, mit der »Schraube« auf dem Kopf an Deck stand und die Arme ausdehnte seinen Ellbogen nur einigermaßen Luft zu gönnen – »es ist Alles bereit.«

»Mit dem größten Vergnügen Herr Capitain« rief der Doktor, der, von Herrn von Benkendroff und dem Professor gefolgt, voransprang, damit wenigstens nicht auf ihn gewartet würde. Henkel, eine breite Geldtasche umgehangen stieg langsam nach.

»Aber wo ist Ihre Frau?« rief ihm Hopfgarten nach, »die sollten Sie doch jedenfalls mit an Land nehmen, und wenn es nur wäre einen kleinen Spatziergang auf festem Grund und Boden zu machen – die Landluft würde ihr auch gewiß gut thun.«

Henkel gab eine ausweichende Antwort, und die Cajütspassagiere verließen, von ihren Zwischendecks-Reisegefährten beneidet, das Schiff.

Die Nacht war indessen vollständig angebrochen, die Cajütslampe angesteckt und der Thee für die wenigen zurückgebliebenen Cajütspassagiere, während Herr Hopfgarten die Honneurs machte, servirt worden.

»Aber Clara fehlt wieder« sagte Marie, von ihrem Sitze aufstehend, und an die Thür der Freundin tretend, an die sie mit dem Finger klopfte – »Clara, der Thee ist servirt, hast Du die Klingel nicht gehört?« —

Keine Antwort.

»Clara – bist Du wieder krank?« frug das junge Mädchen lauter und ängstlich – Alles blieb todtenstill in dem kleinen dunklen Gemach, und vorsichtig und leise die Thür öffnend stieß sie einen Angstschrei aus, als sie die Freundin ausgestreckt und besinnungslos auf dem Boden ihrer Cajüte liegen sah.

Der Schrei machte aber sämmtliche Passagiere von ihren Sitzen aufspringen und zu ihr eilen, der Steuermann hakte rasch die in der Cajüte hängende Lampe aus und folgte, und während Marie und Anna die Ohnmächtige aufhoben, rief Hopfgarten:

»Es ist nur ein Glück daß der Doktor nicht an Bord ist« und sprang, so schnell er konnte die Cajütstreppe hinauf in das Zwischendeck nieder, dort den jungen Arzt zu ersuchen einen Augenblick in die Cajüte zu kommen – gleichzeitig rief er Hedwig, ihrer Herrin beizustehen.

Die Mädchen hatten indeß die junge Frau auf ihr Bett gelegt, und ihr das Kleid geöffnet als Georg Donner, von Hopfgarten eingeführt und von Hedwig gefolgt erschien und durch leichte Mittel die Kranke bald wieder zu sich brachte. Schwerer aber wurde es ihm zu bestimmen was ihr eigentlich fehle, denn ihr Blut ging ruhig, von Fieber war keine Spur, und ihr Blick doch so stier und dann wieder unstät, wie ängstlich und scheu nach Jemand forschend den sie zu suchen schien; das Antlitz dabei so todtenbleich, das Auge eingefallen und trüb, daß er zuletzt fast fürchtete diese Schwäche sei die Vorbotin einer größeren, schwereren Krankheit, die noch unausgesprochen in ihr ruhe. Er bat sie deshalb sich für jetzt nur ruhig in ihrem Bette, neben dem Hedwig die Nacht schlafen sollte, zu verhalten, ihm selber aber zu erlauben sie noch einmal nach Mitternacht zu besuchen etwaigen, dann vielleicht deutlicher ausgesprochenen Symptomen rasch begegnen zu können. Die übrige Gesellschaft ersuchte er die Kranke am Besten sich selber und der Sorge Hedwigs zu überlassen, und zog sich wieder, nach einem herzlichen Händedruck Hopfgartens, dem der junge Mann ungemein gefallen, in das Zwischendeck zurück.

4

Es giebt Dampfboote auf dem Mississippi, die solcher Art 4000 Amerikanische Ballen Baumwolle tragen.

Nach Amerika! Ein Volksbuch. Dritter Band

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