Читать книгу Unter Palmen und Buchen. Erster Band. - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 2

Die Vision

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Erstes Capitel

Die Sturmnacht

In Alburg, einer nicht ganz unbedeutenden deutschen Stadt, lebte der Justizrath Bertling in glücklicher und zufriedener Ehe mit seiner jungen Frau.

Bertling war ein ruhiger, behäbiger Charakter, der die Welt gern an sich kommen ließ, und nichts weniger liebte als unnütze und unnöthige Aufregungen. Er hatte auch in der That besonders deshalb sein Junggesellenleben aufgegeben, um sein Haus gemüthlich zu machen, und sich – bisher vermißte – Bequemlichkeiten zu verschaffen; aber er liebte nichtsdestoweniger seine Frau von ganzem Herzen und fühlte sich glücklich in ihrem Besitz.

Auguste paßte auch vortrefflich für ihn, und zwar nicht etwa durch eine Aehnlichkeit ihres Charakters, sondern eher durch einen Gegensatz, durch welchen sich die beiden Gatten vollständig ergänzten, denn man darf ja nicht glauben, daß zu einer glücklichen Ehe stets gleiche Neigungen und Ansichten, gleiche Tugenden und Fehler gehören. Auguste war denn auch, während ihr Mann ganz entschieden dem praktischen und realen Leben angehörte, weit mehr schwärmerischer Natur, ohne jedoch im Geringsten überspannt zu sein. Unermüdlich thätig in ihrem Hausstand, beschäftigte sie sich aber auch gern mit Lectüre, und vorzüglich mit solcher, die einer ideellen Richtung angehörte. Sie phantasirte vortrefflich auf dem Piano, und liebte es sogar, selbst noch nach ihrer Verheirathung – was ihr Gatte entschieden mißbilligte – bei mondhellen Nächten im Garten zu sitzen.

Lebhaft und heiter dabei, mit einem warmen Gefühl für alles Schöne, wob sie bald mit diesen Tugenden und Vorzügen einen ganz eigenen Zauber um ihre Häuslichkeit, dem sich ihr Gatte nicht entziehen konnte und wollte, so daß er bald von anderen Frauen, ihren Männern gegenüber, als das Muster eines vortrefflichen Ehemannes aufgestellt wurde.

So hatten die jungen Leute – denn der Justizrath zählte kaum ein und dreißig und seine Frau erst zwanzig Jahr – etwa zwei Jahre in glücklicher, durch nichts gestörte Ehe gelebt, als eine schwere Krankheit – ein damals in Alburg umgehendes Nervenfieber – die junge Frau erfaßte und lange Wochen auf das Lager warf.

Ihr Mann wich in dieser Zeit fast nicht von ihrer Seite und nur die wichtigsten Geschäfte konnten ihn abrufen – ja oft versäumte er selbst diese und ganze Nächte hindurch wachte er neben ihrem Bett. Allerdings paßte ihm das nicht zu seinem sonst gewohnten, bequemen Leben, aber die Angst, sein Weib durch irgend eine Vernachlässigung zu verlieren, oder auch nur ihren Zustand gefährlicher zu machen, ließ ihn das Alles nicht achten, und so ward ihm denn auch endlich die wohlverdiente Freude zu Theil, die schlimmste Krisis überstanden und die geliebte Frau nach und nach genesen zu sehen. Aber es dauerte lange – sehr lange, bis sie sich wieder vollständig von dem überstandenen Leiden erholen konnte.

Der Körper gewann dabei noch verhältnißmäßig am Schnellsten die frühere Frische wieder, wenn auch die Wangen bleicher, die Augen glänzender schienen, als sie sonst gewesen. Sie hatte aber in ihrer Krankheit besonders viel phantasirt und dabei oft ganz laut und deutlich die tollsten, wunderlichsten Dinge gesprochen. Darum bedurfte es weit längerer Zeit, ehe der Geist wieder Herr über diese Träume wurde, die sich mit der Erinnerung früherer wirklich erlebter Scenen so vermischten, daß sie oft anhaltend nachdenken mußte, um das Wahre von dem Falschen und Eingebildeten oder nur Geträumten zu sondern und auszuscheiden.

Auch das gab sich nach und nach oder stumpfte sich doch wenigstens ab. Die Erinnerungen an diese Träume wurden unbestimmter, wenn auch einzelne von ihnen noch manchmal wiederkehrten und sie oft, mitten in der Nacht, plötzlich und ängstlich auffahren machten, ja sogar wieder bestimmte Bilder und Eindrücke annahmen.

Bertling behagte das nicht recht, denn er wurde dadurch ein paar Mal sehr nutzloser Weise alarmirt. Einmal – und noch dazu in einer sehr kalten Nacht – behauptete seine Frau nämlich bei ihrem plötzlichen Erwachen, es wäre Jemand im Zimmer und unter das Sopha gekrochen – sie habe es deutlich gehört, ja sogar den Schatten durch das Zimmer gleiten sehen. Bertling protestirte gegen die Möglichkeit, aber es half ihm nichts; um seine Frau nur endlich zu beruhigen, mußte er aufstehen und die Sache untersuchen, was er denn gründlich mit Hülfe einer Elle that. Natürlich fand er nicht das geringste Verdächtige, vielweniger einen dort versteckten Menschen, und Beide lachten nachher über dies kleine Abenteuer, – aber der Justizrath trug doch einen Schnupfen davon, der ihn sogar auf ein paar Tage zwang das Bett zu hüten.

Das andere Mal wollte Auguste im Nebenzimmer ein verdächtiges Flüstern gehört haben und wenn sich auch dieses nach sorgfältiger nächtlicher Untersuchung, die der Justizrath im Schlafrock, in der Linken das Licht, in der Rechten den Feuerhaken, vornahm, als unbegründet herausstellte, so wurde der Mann doch durch diesen verschiedentlich erweckten Verdacht endlich selber so mißtrauisch gemacht, daß er sich für weitere derartige Fälle stillschweigend rüstete. Er holte nämlich ein Paar alte, schon lange zur Rumpelkammer verurtheilte Sattelpistolen hervor, reinigte und lud sie und gab ihnen einen Platz in der obersten Schieblade seiner Kommode, um sie bei einer etwa wieder vorzunehmenden Patrouille wenigstens bei der Hand zu haben.

Wochen vergingen indeß, ohne daß sich eine derartige Scene wiederholt hätte, und Bertling beruhigte sich endlich vollständig mit dem Gedanken, daß jene Ideen nur die Nachwehen der überstandenen Krankheit gewesen seien; der jetzt kräftig gewordene Körper nun aber alle derartigen Phantasiebilder ausgestoßen, und für die Zukunft unmöglich gemacht habe.

Auguste war in der That wieder so frisch und lebenslustig als je geworden, wenn ihre Gesichtsfarbe auch etwas »intressanter« als früher geblieben sein mochte. Sie sah bleicher aus, als sie sonst gethan, aber keineswegs kränklich oder leidend und besuchte auch wieder gern und oft Gesellschaften und Bälle, wobei es manchmal einige Schwierigkeiten hatte, den etwas phlegmatischen Gatten für solche Vergnügungen mitzubegeistern.

Auch gestern Abend war in der »Erholung« ein brillanter Ball gewesen, auf dem Auguste bis vier Uhr morgens getanzt, während ihr Gatte, als treuer Gefährte, bis etwa um zwei Uhr Whist gespielt, und noch ein paar Stunden in einer bequemen Sophaecke verträumt hatte. Heute sollte dafür recht früh zu Bett gegangen werden, und die beiden Eheleute saßen Abends allein zusammen in der Stube am Theetisch.

Es war im Februar, aber ein ganz entsetzlich naßkaltes und stürmisches Wetter. Noch vor wenigen Tagen hatte harter Frost die Erde gedeckt; heute peitschte der Regen die kaum aufgethauten Fenster und die Windsbraut heulte zwischen den Giebeln und riß an Thüren und Fensterflügeln, wie zornig darüber, daß es einen Platz geben solle, in den man ihr, der Gewaltigen, den Eintritt verweigere.

Und wie das draußen durch die Straßen fegte! Der Justizrath war aufgestanden und ans Fenster getreten, denn die Unterhaltung wollte heute nicht recht fließen. Seine Frau war abgespannt, klagte über ein leichtes Kopfweh und Brennen in den Augen und war schon ein paar Mal, wie krampfhaft zusammengefahren – jedenfalls in Folge des gestrigen Balles.

Unten brannten die Gaslaternen, aber sie erleuchteten die Straße nicht, sondern warfen nur einen matten, flackernden Schein auf das schmutzige, von halbgeschmolzenem Eis bedeckte Pflaster, denn selbst die Glasscheiben schützten die Flammen nicht vor diesem Sturm, der sie rastlos hin und her wehte und manchmal auszulöschen drohte. Die Straße selbst war menschenleer, denn wer heute nicht nothgedrungen mußte, verließ wohl nicht das schützende Haus, um sich einem solchen Unwetter preiszugeben. Nur dann und wann floh ein einzelner später Wanderer entweder mit dem Wind durch aufspritzenden Schmutz und Schlamm dahin, oder kämpfte – den Oberkörper weit vorn über gebeugt – gegen den Sturm, und dem Wetter in die Zähne, seine beschwerliche Bahn.

In langen Zwischenpausen rollte auch wohl einmal ein festgeschlossener Wagen vorüber, aber das Geräusch desselben machte die gleich nachher wieder eintretende Oede nur noch fühlbarer, als daß es sie unterbrochen hätte.

Der Himmel war mit schweren jagenden Wolken bedeckt, und der hinter ihnen stehende Vollmond konnte nicht mehr thun, als daß er manchmal ihre riesigen, beweglichen Massen in einem matten Phosphorschimmer sichtbar werden ließ. Aber selbst dies geschah nur auf Momente, und jedes Mal darnach war es, als ob der Sturm nur Athem geholt und neue Kraft gewonnen hätte, um so viel rasender zum Kampf herbei zu eilen.

»Merkwürdig, wie das da draußen tobt und gießt,« brach der Justizrath endlich das lange Schweigen indem er den Rauch seiner Cigarre gegen die Fensterscheiben blies. »Das ist nun Februar mit Mondschein im Kalender wo man eigentlich eine hellkalte, ruhige Winternacht zu fordern hätte. 'S ist aber gerade, als ob die ganze Welt ihre Jahreszeiten umdrehte, denn eingehalten werden sie wahrlich nicht mehr zur rechten Zeit.«

Er hatte sich dabei wieder dem Tische zugedreht, und sah jetzt wie seine Frau mit gespannter Aufmerksamkeit auf dem Sopha saß, als ob sie auf irgend etwas horche. Zu gleicher Zeit drang, durch die Wände und Decke aber gedämpft, der Ton einer Menschenstimme zu ihnen herüber, die jedenfalls ein geistliches Lied in lang gezogenen, schnarrenden Tönen sang. Der Justizrath lachte.

»Das ist der verrückte Schuhmacher über uns, der jedesmal bei einem Sturm, aber besonders bei einem Gewitter, den Herr Zebaoth anschreit, und sich als größten Sünder des ganzen Weltalls denuncirt. Wenn diese Narrheit nicht auch ihre komische Seite hätte, könnte es Einem wirklich unheimlich dabei werden.«

Der Justizrath hatte Recht. Die Stimme klang in der That unheimlich in diesem Aufruhr der Elemente und wenn der Wind dazu durch den Schornstein heulte und in die Schlüssellöcher pfiff, gab es einen Dreiklang, der Einem hätte das Haar zu Berge treiben können. Die Frau schauderte auch in sich selbst zusammen, allein sie erwiderte kein Wort, und der Justizrath, dem ihr Zucken nicht entging, fuhr fort:

»Man kann nur gar nichts dagegen machen; nicht einmal polizeilich verbieten darf ich es ihm, denn geistliche Lieder zu singen ist eben nichts Strafbares, und daß der Mensch so eine gellende Stimme hat, lieber Gott, dafür kann er nichts; ich bezweifle sogar, daß er es selber weiß. Uebrigens – es ist ihm vielleicht in anderer Weise beizukommen, denn seine Frau soll sich auch mit Kartenschlagen und allem möglichen anderen abergläubischen Hocuspocus beschäftigen, und wenn ich darin einmal einen Halt dafür bekomme, dann wollen wir der Geschichte rasch ein Ende machen.«

»Was war das?« flüsterte die Frau und fuhr wie erschreckt halb von ihrem Sitz empor.

»Was? – das Klappern?« sagte der Justizrath, »wahrscheinlich hat wieder Jemand die Hausthür unten aufgelassen und was nicht festgenagelt ist, rasselt bei dem Sturm hin und her. Das wird eine vergnügte Nacht werden.«

»Es war mir als ob Jemand klopfe –«

»Nun jetzt kommt kein Besuch mehr,« lachte der Mann, »und wenn –«

In dem Augenblick war es, als ob der Sturm seinen ganzen Angriff nur auf diesen Punkt concentrirt hätte. Mit einem wahren Wuthgeheul fuhr es den Schornstein herunter, und riß draußen an den Fenstern. Zu gleicher Zeit flog die Stubenthür auf und der kalte Zug strömte voll ins Zimmer, daß die Lampe hoch und düster aufflackerte.

»Alle Wetter!« rief der Justizrath, erschreckt zur Thür springend und diese wieder schließend, »das wird denn doch beinah zu toll und das alte Nest so windschief, daß weder Fenster noch Thüren länger in ihren Fugen bleiben. Wenn der Wirth das nicht spätestens bis zum Frühjahr aus dem Grunde wieder herstellen läßt, kündige ich ihm wirklich das Logis. Man kann ja die Stuben auch fast gar nicht mehr erheizen.«

Die Frau war, als die Thür aufflog, allerdings erschreckt zusammengefahren, hatte sich aber nicht weiter gerührt und saß jetzt still und regungslos. Nur mit ihrem Blick strich sie langsam, als ob sie irgend Jemandem mit den Augen folge, von der Thür fort, durchs Zimmer, bis zu dem Stuhl am Ofen, auf dem er stier und fest haften blieb.

Ihr Mann hatte nicht gleich auf sie geachtet. Er zog die neben der Thür befindliche Klingel, um das Dienstmädchen herbeizurufen und befahl diesem dann nach der Hausthür hinunter zu sehen, wie auch den Hausmann zu bitten, daß er dieselbe heute Abend verschlossen halte. Man konnte es ja wahrlich hier oben im Hause vor Zug nicht aushalten.

Darnach trat er in die Stube zurück, und es fiel ihm jetzt auf, daß seine Frau noch keine Silbe über die Störung geäußert hatte. Wie er sich ihr aber zuwandte, konnte ihm auch unmöglich der stiere, staunende Blick entgehen, den Auguste noch immer unverwandt auf den einen Punkt gerichtet hielt. Unwillkürlich sah er rasch dort hinüber, es ließ sich aber nicht das geringste Außergewöhnliche erkennen. Dort stand nur ein leerer Stuhl, und darüber hing ein alter Kupferstich, der eine Prügelscene aus irgend einer holländischen Dorfschenke darstellte.

»Nun?« sagte er endlich und jetzt selber erstaunt – »was hast Du nur?«

Statt aller Antwort und ohne den Blick von dem festgehaltenen Punkt zu nehmen, hob die junge Frau langsam den rechten Arm in die Höhe und deutete mit dem Zeigefinger auf die Stelle.

»Ja aber mein Kind –« wiederholte der Mann bestürzt, denn er konnte sich das wunderliche Betragen der Frau nicht erklären – »ich begreife noch immer nicht, was Du willst. Was ist denn dort, und weshalb deutest Du auf den Stuhl und siehst so bestürtzt aus, als ob Dir ein Geist erschienen wäre?«

»Siehst Du ihn nicht?« sagte die Frau leise, ohne ihre Stellung auch nur um eines Haares Breite zu verändern.

»Wen denn?« rief Bertling halb ärgerlich und halb erschreckt noch einmal den Kopf nach der bezeichneten Richtung zu drehend.

»Den fremden Mann,« erwiderte die Frau, die Worte aber viel mehr hauchend als sprechend, »der dort auf dem Stuhl am Ofen sitzt.«

»Den fremden Mann? – aber Kind, ich bitte Dich um Gotteswillen.«

»Sprich nicht so laut. Wenn er die Augen zu mir hebt, ist es immer, als ob mir ein Messer durch die Seele ginge.«

»Aber wie sollte denn der hierher gekommen sein,« lachte Bertling gutmüthig – »sei doch vernünftig.«

»Wie die Thür aufging,« flüsterte die Frau »trat er herein, ging still am Ofen vorüber und setzte sich dort nieder – aber siehst Du ihn denn nicht?«

»Mein liebes Herz« suchte sie der Justizrath zu beschwichtigen – »wenn dort irgend Jemand auf dem Stuhle säße, so müßte ich ihn allerdings auch sehen, nicht wahr? Aber ich sehe Nichts als den leeren Stuhl. Komm Schatz, das ist wieder einer von Deinen häßlichen Träumen – schüttle ihn ab – Nun? – ist er noch da?« setzte er lachend hinzu, als die Frau wie warnend die Hand gegen ihn hob.

»Pst! sei ruhig!« sagte sie tonlos – »jetzt regt er sich. Er sieht Dich an.«

Bertling wurde es, dieser so bestimmt ausgesprochenen Ueberzeugung gegenüber, selber ein wenig unheimlich zu Muthe, wenn er auch recht gut wußte, daß das Ganze weiter Nichts sein konnte als eines jener verworrenen Traumbilder, von denen er gehofft hatte, daß sie bei seiner Frau nie mehr wiederkehren würden. Möglicher Weise hatten aber hier verschiedene Factoren zusammengewirkt, um den Geist der noch nicht vollständig Genesenen zu überreizen und krankhaft aufzuregen. Die Abspannung nach der gestern durchschwärmten Nacht – das heutige Unwetter mit dem fatalen Klappern der Fenster und Thüren, der heulende Sturm, der da oben seine Gesangbuchverse abwimmernde Schuhmacher, vielleicht ein flüchtiges Unwohlsein mit in den Kauf; wer konnte denn wissen wie das Alles auf sie eingewirkt hatte und es blieb deshalb vor allen Dingen nöthig, sie von der Nichtexistenz ihres Traumbildes thatsächlich zu überzeugen – nachher beruhigte sich ihre Einbildungskraft schon von selber.

»Aber mein liebes Herz,« sagte er endlich – »so mach' doch nur einmal diesem häßlichen Traum ein Ende –«

»Traum?« rief aber jetzt die Frau ungeduldig, wenn auch immer noch mit vorsichtig gedämpfter Stimme – »was Du nur mit Deinem Traum willst. Man träumt doch nur wenn man schläft, doch schlafe ich jetzt oder schläfst Du?«

»Aber ich selber sehe doch gar Nichts.«

»Nichts? Siehst Du denn nicht den kleinen grauen Mann dort neben dem Ofen sitzen, wie er den rechten Arm auf der Stuhllehne liegen hat und hier herüber sieht? Was er nur will. –«

»Aber meine liebe Auguste so sei doch vernünftig,« rief der Justizrath, durch den Zustand wirklich beängstigt. »So überzeuge Dich doch nur selber.« –

»Quäle mich nur nicht,« bat die Frau – »von was soll ich mich denn überzeugen? Sehe ich ihn denn nicht da sitzen? – Daß sie ihn nur hereingelassen haben.«

»Nun gut,« rief Bertling, der wohl einsah, daß bloße Vernunftgründe nicht das Geringste fruchten würden, »dann will ich Dir beweisen, daß Du Dich irrst, und nachher wirst Du mir doch Recht geben. Sitzt er noch da?«

Die Frau nickte mit dem Kopf.

»Schön,« sagte Bertling, indem er entschlossen um den Tisch herum ging und der bezeichneten Stelle zuschritt, »dann wollen wir doch einmal sehen wie er sich jetzt benimmt.«

Der Blick der Frau haftete aber nicht mehr auf dem Stuhl, sondern hob sich ein wenig und strich dann wieder langsam durch die Stube und zur Thür zurück.

»Nun sieh,« sagte ihr Mann jetzt, indem er sich – wenn auch mit einem unbehaglichen Gefühl auf denselben Stuhl niederließ, auf dem das Traumbild sitzen sollte – »Du wirst mir doch jetzt zugeben, daß der Stuhl vollkommen leer war, oder Dein grauer Herr müßte mich sonst auf dem Schooß haben. – Nun? – was siehst Du denn jetzt wieder nach der Thür?«

»Ja er ist fort,« lachte die Frau still vor sich hin. »Wie Du nur um den Tisch herumgingst, stand er auf, glitt wieder der Thür zu – und hinaus.«

»Aber die Thür ist ja noch fest zu. Er kann doch nicht –«

Bertling hatte kaum Zeit zuzuspringen und seine Frau aufzufangen, denn ihr gehobener Arm sank matt am Körper herab, und die ganze Gestalt schien in sich selbst zusammenzubrechen. Sie konnte nicht ohnmächtig sein, aber es war als ob nach der gehabten Aufregung eine völlige Erschlaffung ihrer Glieder einträte. Er hatte sie auch kaum aufgehoben und auf das Sopha gelegt, als sie in einen festen Schlaf fiel.

Der aber dauerte nicht lange. Schon nach kaum einer Viertelstunde wachte sie wieder auf und sah sich etwas verstört im Zimmer um.

»Hab ich mich denn hier zum Schlafen niedergelegt?« sagte sie leise und sinnend – »es muß ja schon spät sein.«

Bertling hielt es für das Beste, von dem stattgefundenen Anfall heute Abend gar nichts zu erwähnen, da er nicht wissen konnte, wie es die Leidende aufnehmen würde. Wenn sie morgen wieder frisch und munter war, wollte er es ihr erzählen, und sie lachte dann wahrscheinlich selbst darüber.

»Es ist halb zehn, mein Kind,« sagte er, »und Du bist müde von der gestern durchschwärmten Nacht. Ich glaube es ist das Beste wir gehen zur Ruhe.«

»Ja,« sagte die Frau nach einer kleinen Pause, in der sie, wie überlegend, vor sich niedersah – »ich muß wirklich hier eingeschlafen sein, denn ich habe schon geträumt. – Was einem doch dabei für wunderliche Dinge durch den Kopf ziehen. – Ich werde lieber schlafen gehen.«

Zweites Capitel

Die Kaffeegesellschaft

Am nächsten Morgen schien Auguste die gestrige Erscheinung vollständig vergessen zu haben; sie erwähnte wenigstens kein Wort davon, und Bertling hatte sich in der Nacht ebenso überlegt, die ganze Sache weiter gar nicht zu berühren. Es würde sie nur beunruhigt haben, und konnte doch zu weiter nichts nützen. Er hätte freilich gern gewußt, ob ihr jede Erinnerung an die eingebildete Traumform verschwunden sei – und fast vermuthete er das Gegentheil, denn sie blieb an diesem Tag besonders nachdenkend, hörte manchmal mitten in ihrer Arbeit auf und sah eine Weile still vor sich nieder. Aber er mochte sie auch nicht fragen, denn hatte sie es wirklich vergessen, so mußte sie dadurch nur mißtrauisch gemacht werden.

Auch der Arzt, mit dem er darüber sprach, rieth ihm in keinerlei Weise auf jenen Zustand hinzudeuten. Solche Erscheinungen kämen – wie er meinte – im geistigen Leben der Frauen gar nicht so selten vor, stumpften sich aber, wenn man ihnen Ruhe ließe, gewöhnlich mit der Zeit von selber ab. Das einzige wirksame Mittel dagegen sei Zerstreuung – leichte, am besten humoristische Lectüre, geselliger Verkehr etc. – Sie dürfte nicht zuviel allein gelassen werden, dann wichen diese Zustände auch von selber wieder.

Bertling irrte sich übrigens, wenn er glaubte, jene eingebildete Erscheinung wäre spurlos und vielleicht unbewußt an seiner Frau vorübergegangen. Unmittelbar nach ihrer halben Ohnmacht besann sie sich allerdings nicht gleich darauf und schlief in ihrer damaligen Abspannung auch bald ein. Aber selbst schon in der Nacht kam ihr die Erinnerung des scheinbar Erlebten, und am nächsten Morgen, als das schon fast verschwommene Bild wieder klarer und deutlicher vor ihre Seele trat, malte sie sich die Einzelheiten mehr und mehr im Stillen aus, bis sie auch die kleinsten, unbedeutendsten Umstände wieder scharf und bestimmt herausgefunden hatte. – Aber sie erwähnte gegen ihren Gatten nichts davon.

Einmal wollte sie ihn nicht ängstigen, weil er jenem Phantasiegebild vielleicht zu viel Wichtigkeit beigelegt hätte, und dann – war sie selber noch nicht einmal mit sich im Klaren, ob es wirklich ein Phantasiegebild gewesen sei oder nicht. Sie fürchtete auch den Spott ihres Mannes, wenn sie ihm nur eine Andeutung gemacht hätte, daß sie eine solche Erscheinung für möglich halte, und grübelte dabei im Stillen weiter über das Geschehene.

In dieser Zeit, in welcher sie sich auch immer noch etwas angegriffen fühlte, ging sie wenig aus und da ihr Mann durch eine Masse dringender Geschäfte über Tag abgehalten wurde, ihr Gesellschaft zu leisten, las sie viel – jetzt aber am liebsten Bücher, die sich mit dem geistigen Leben des Menschen beschäftigten und oft Dinge besprachen, die ihr in ihrem überdieß aufgeregten und reizbaren Zustand weit besser fern gehalten wären. So kam ihr auch das Buch der Seherin von Prevorst in die Hände, und gab ihrem, schon außerdem zum Uebernatürlichen neigenden Sinn, nur noch mehr Nahrung.

Wenn es überhaupt auf Erden Menschen gab, die mit jener, von anderen Sterblichen nur geahnten Welt in unmittelbarer Verbindung standen, die mit ihren körperlichen Augen das sehen konnten was um sie her bestand, während es der Masse verborgen und unsichtbar blieb, warum sollte sie dann nicht auch zu diesen gehören können? – warum sollte gerade das, was sie deutlich und klar geschaut hatte, nur allein bei ihr eine Täuschung der Sinne gewesen sein? Daß aber etwas Aehnliches nicht allein möglich, sondern schon wirklich an den verschiedensten Orten geschehen sei, davon liefert ihr gerade die Seherin von Prevorst den sichersten Beweis, denn das Buch brachte beglaubigte Thatsachen, und immer fester wurzelte bei ihr die Ueberzeugung, daß auch sie zu jenen bevorzugten Wesen gehöre.

Keineswegs erweckte aber dies, sich nach und nach bei ihr bildende Bewußtsein, ihre Furcht vor dem, was ihr etwa noch begegnen könne. Im Gegentheil freute sie sich viel eher einer solchen Kraft, und beschloß sogar mit ruhigem kalten Blut Alles zu prüfen, was ihr in solcher Art an übernatürlichen Gebilden auftauchen und sichtbar werden sollte.

Trotz dieser geistigen Stärke, die sie gewonnen zu haben glaubte, litt aber doch ihr Körper unter der fast gewaltsam hervorgerufenen Aufregung, und wenn auch Bertling den wahren Grund nicht ahnte, konnte ihm doch nicht entgehen, daß seine Frau in der letzten Zeit sichtbar bleicher und leidender geworden sei. Er schrieb das aber dem vielen Stuben sitzen zu, und bat sie mehr an die frische Luft zu gehen und sich Bewegung zu machen. Ja er drang sogar in sie – was er sonst nie gethan – ihre verschiedenen Freundinnen einmal wieder aufzusuchen, und dann und wann auch bei sich zu sehen, da er mit Recht von einer solchen Zerstreuung wohlthätige Wirkung für sie hoffte.

Auguste, wenn sie auch nicht das Bedürfniß danach fühlte, beschloß doch seinen Wunsch zu erfüllen. Die langen Stunden, die sie daheim allein saß, wurden ihr selber zuletzt drückend, und außerdem hatte sie ja manche Bekannte, mit der sie recht gern verkehrte und wo sie wußte, daß sie gern gesehen war.

Am Besten von Allen hatte sie stets mit einer Jugendfreundin, der jetzigen Hofräthin Janisch, harmonirt; Pauline Janisch war eine prächtige junge Frau, aufgeweckt dabei und lebenslustig, und da sie in müssigen Stunden auch gern ein wenig schwärmte und ganz vorzüglich für alles Uebersinnliche leicht empfänglich war – ohne sich aber davon beherrschen zu lassen – fühlte sie sich zu dieser besonders hingezogen.

Pauline wohnte in der nämlichen Straße mit ihr; als sie dieselbe aber heute aufsuchte, bewegte sie sich in dem zwar kleinen, doch gewählten Kreis einer Caffeegesellschaft, wo allerdings nichts Uebersinnliches gesprochen wurde. Nur über die allergebräuchlichsten Themata solcher Zusammenkünfte fand eine Verhandlung statt, als da sind: Theater und was dazu gehört – nämlich das Privatleben der Bühnenmitglieder – Dienstboten-Noth, Sittengeschichte der Stadt mit Vorlage einzelner, besonders hervorzuhebender Beispiele, und Klagen über die Vergnügungen und Beschäftigungen der Männer außer dem Haus.

Erst das eintreffende Tageblatt gab der Unterhaltung – nachdem man zwei Verlobungsanzeigen und ein Heirathsgesuch gründlich betrachtet und erschöpft hatte – eine andere Wendung, und zwar durch einen wunderlichen Vorfall in der Stadt selber, der in dieser Nummer eine Erwähnung fand.

Ein in der äußersten Vorstadt gelegenes Haus nämlich, das früher einmal zu einer Knopffabrik benutzt worden, jetzt aber schon seit mehreren Jahren, durch das Scheitern des Unternehmens leer und verödet stand, war vor Zeiten in den Ruf gekommen, daß es dort umgehe, und man hatte sich Monde lang die merkwürdigsten Geschichten davon erzählt. Anderes kam aber dazwischen, das ganze Gebäude wurde außerdem nicht mehr benutzt, und da Niemand darin wohnte, schlief auch das Gerücht endlich ein, bis der jetzige Eigenthümer vor ganz kurzer Zeit die ziemlich vom Wetter mitgenommenen Baulichkeiten an einen Fremden verkaufte, der dort eine Kammergarnspinnerei anlegen wollte.

Jetzt erinnerte man sich allerdings wieder lebhaft der früheren Gerüchte, die aber in den ersten Wochen auch nicht die geringste Bestätigung fanden. Der Fabrikant war mit zwölf oder sechszehn Arbeitern dort eingezogen und die Leute, die größtentheils noch nicht einmal von den Gerüchten gehört haben konnten, hatten die Nächte, die sie dort zugebracht, vortrefflich und ungestört geschlafen. – Es dachte schon Niemand mehr an die früheren Spuckgeschichten.

Da erzählte man sich in der Stadt, sämmtliche Arbeiter in der Fabrick hätten ihrem Brodherren den Dienst gekündigt. Es wurde dem anfangs widersprochen, aber das Gerücht fand immer festeren Boden bis denn das Tageblatt heute die Nachricht ganz sicher bestätigte. Es geschah das durch die Aufforderung des Fabrikherrn, um neue Arbeiter herbeizurufen, da sich die bisherigen, wie hier gedruckt stand, »durch abergläubischen Unsinn hätten bewegen lassen, seinen Dienst zu quittiren.«

Es blieb jetzt keinem Zweifel mehr unterworfen, daß die bisherigen Gerüchte nicht gelogen haben konnten, sondern etwas Wahres an der Sache sein müsse und die Aufregung der kleinen Gesellschaft wurde noch erhöht, als sich plötzlich herausstellte, daß sie selbst in ihrer Mitte ein Individuum entdeckten, das ihnen von dem, jetzt jedes andere Interesse verschlingenden Platz die genauesten und direktesten Nachrichten geben konnte.

Es war das die Frau Präsident Cossel, eine schon ältliche Dame mit etwas rother Nase, aber einem sehr entschieden energischen Zug um den Mund. Die Dame hielt sich auch in der That nie bei Vermuthungen auf, sondern sprach stets was sie wußte oder nicht wußte auf das aller Bestimmteste aus. Widerspruch duldete sie nie und wenn man behauptet, daß die Haare den Charakter des Menschen darthun, so mochte das recht gut auch bei der Frau Präsidentin ihre Bestätigung finden, denn eben so starr und fest gerollt wie die vier falschen Locken, die sie vorgebunden trug, war ihr Gemüth.

»Es ist richtig – ich weiß es; es spukt drüben,« sagte sie, indem sie ihre Tasse zum vierten Mal zum Füllen reichte, und ihre schönen Zuhörerinnen zweifelten viel weniger an der, jetzt als unumstößlich festgestellten Thatsache, als daß sie sich wunderten, wie die Frau Präsidentin diesen doch sicher höchst interessanten Fall so lange still bei sich getragen und wirklich erst auf äußere Veranlassung von sich gegeben habe.

Die Frau Präsidentin wohnte aber dem besagten Fabrikgebäude schräg gegenüber, und konnte also, als allernächste Nachbarin desselben – wenn irgend Jemand, Näheres darüber wissen. Die Neugier der Damen war – hierbei sehr verzeihlich – auf das Höchste gespannt.

»Es ist richtig! Ich weiß es! Es spukt drüben!« – Gegen die Thatsache war Nichts mehr einzuwenden, und es blieb jetzt nur noch übrig die Einzelheiten derselben zu erfahren. Die Frau Präsidentin wußte Alles.

Die ersten Nächte waren die neu eingezogenen Leute vollkommen unbelästigt geblieben, nur zu bald aber brach plötzlich – und natürlich genau um Mitternacht – ein donnerndes Getöse im ganzen Hause los, daß den Insassen das Haar auf dem Kopfe sträubte. Ketten klirrten über die Treppen, die Balken krachten, als ob furchtbare Gewichte darauf geworfen würden, die Thüren schlugen auf und zu, die Fenster klapperten – und das bei sternenheller Nacht und todter Windstille – und ein unheimlich flackernder Schein zuckte aus einer Stube in die andere durch das ganze Haus. Das Nämliche wiederholte sich in den folgenden Nächten, nur mit der Zugabe, daß den Schlafenden die Decken weggerissen wurden. Allerdings glaubten die Leute anfangs an einen Schabernack, den ihnen muthwillige Gesellen spielten, und um kein Aufsehen zu erregen, wurde die Polizei heimlich von dem Unfug in Kenntniß gesetzt und traf in einer der Nächte kurz vor zwölf Uhr dort ein, um die Urheber auf frischer That zu ertappen. Ja ihr Aufpassen half ihnen nichts, denn erwischen konnten sie Niemand, während gerade ihnen am tollsten mitgespielt wurde. Es schlug ihnen die Hüte vom Kopf und die Stöcke aus der Hand, und die Leute verließen – wie die Frau Präsidentin behauptete – in Entsetzen das Haus.

Von der Nacht an waren die übrigen Arbeiter aber auch nicht mehr zu halten, und obgleich der Fabrikherr – aus leicht zu errathenden Gründen – ein tiefes Stillschweigen über alles Vorgefallene beobachtete, und die Leute selber sich ebenfalls schienen das Wort gegeben zu haben, nichts über die Sache verlauten zu lassen, war doch das allein der wahre Thatbestand.

»Und woher es die Frau Präsidentin wußte?« – wie die etwas muthwillige Frau Hofräthin Janisch frug. – Die Dame blitzte sie zwischen den Locken hervor mit einem wahren Dolchblick an.

»Woher ich das weiß, Frau Hofräthin?« wiederholte sie, und absichtlich mit etwas gehobener Stimme – »ich denke, ich habe meine Quellen – selbst wenn mein Mann nicht Präsident wäre, Sie wissen doch wohl – oder sollten es wenigstens wissen, daß es zwischen Ehegatten kein Amtsgeheimniß giebt. – Aber noch mehr,« setzte sie plötzlich mit geheimnißvollem Ton hinzu, »Sie wissen doch, daß sich der junge Belldan gestern Morgen um's Leben gebracht hat?«

»Ei gewiß,« sagte die Frau Kreisräthin Barthels, »das ist ja stadtbekannt. Er soll ein paar falsche Wechsel ausgestellt haben, und wie ihn sein Vater aus dem Hause stoßen wollte, ging er in das Holz und schoß sich eine Kugel durch den Kopf.«

»Bah,« sagte die Frau Präsidentin mit einer wegwerfenden Bewegung und ganz entschiedener Betonung der nächsten Worte, »der junge Mensch hat nie falsche Wechsel gemacht, aber aus Uebermuth die letzte Nacht in dem Spukhaus geschlafen und darnach – konnte er nicht länger leben.«

Was er dort gesehen hatte vermochte die Frau freilich selber nicht zu sagen, aber schon die Andeutung war interressant genug, um eine weitere Besprechung derselben außer Frage zu stellen und das Gespräch, einmal in diese Bahn gelenkt, blieb nun natürlich in dem nämlichen Gleis und ging von dem Spukhaus auf Gespenstergeschichten und Erscheinungen im Allgemeinen über.

Der Abend rückte dabei heran, aber die Gesellschaft protestirte von der kleinen lebhaften Hofräthin dabei warm unterstützt, gegen die Forderung der Präsidentin, Licht herbeizuschaffen. Es ging Nichts über eine solche Unterhaltung in der Dämmerung und als jetzt die Gaslaterne draußen auf der Straße angezündet wurde, und ein ordentlich unheimliches Streiflicht in das düstere Zimmer warf, rückten die Damen nur desto näher zusammen und die Frau Kreisräthin behauptete, es gäbe doch gar kein wonnigeres Gefühl in der Welt, als »wenn es Einen so ein Bischen gruselte.«

Nur Auguste, Bertlings Frau, hatte bis jetzt keinen Antheil an dem Gespräch genommen, als vielleicht hie oder da einmal eine Frage einzuwerfen, aber deshalb mit nicht weniger Aufmerksamkeit den verschiedenen Geschichten gelauscht, die bald von dieser bald von jener Dame zum Besten gegeben wurden und natürlich alle mit jener übersinnlichen Welt in Verbindung standen.

In Alburg wurde auch noch das Tischklopfen und die Geisterschrift mit Hülfe einer besondern mit Bleistift verbundenen Vorrichtung leidenschaftlich getrieben und viele Damen beschäftigten sich heimlich damit – öffentlich durften sie es ja nicht, weil man das vollkommen Nutzlose dieser Experimente lange eingesehen hatte, und die auslachte, die es trotzdem noch ausübten. Eine Masse von Beispielen wurden jetzt von entzifferten Briefen, von Zahlen, Nachrichten Entfernter, Schutzgeistern und all derartigen Ergebnissen der Zauberkunst erwähnt, dann sprang das Gespräch auf Ahnungen, Doppelgänger, Erscheinungen über und die Frau Präsidentin erklärte mit ihrer gewöhnlichen Bestimmtheit – was die Thatsache außer allen Zweifel stellte, – daß ihr erster Mann – Gott habe ihn selig – ihr zwei Mal schon erschienen sei: Das erste Mal als sie sich wieder verlobt habe. – Das zweite Mal bei – einer andern Gelegenheit – sie sagte nicht welcher – und beide Male in seinem grauen Schlafrock mit rothem Futter und hellblauen Quasten wie »der Selige« immer daheim gekleidet gewesen.

Auguste lehnte schweigend in ihrem Fauteuil, anscheinend theilnahmlos, aber mit ihrem Geist in reger Thätigkeit, und vor ihrem innern Auge stieg die Gestalt wieder empor, die sie an jenem Abend gesehen hatte. – Aber sie erwähnte kein Wort davon; es war das ihr eigenes Geheimniß, und es kam ihr der Gedanke, als ob sie jenes Wesen erzürnen müsse, wenn sie sein Dasein einem andern Menschen verrathe. So ganz mit sich selber beschäftigte sie sich dabei, daß sie ordentlich erschrak, als die kleine Gesellschaft plötzlich aufbrach, um in ihre eigenen Wohnungen zurückzukehren. Es war sieben Uhr und damit Zeit geworden daheim den Herren Ehegatten das Abendbrot zu bereiten. Der Caffee hatte überhaupt, durch solch Gespräch gewürzt, weit länger gedauert, als das sonst je der Fall gewesen.

Die lebhafte Scene des Ankleidens und Abschiednehmens verdrängte jetzt auch bald all die düsteren Gedanken und Bilder, die den ganzen Abend über dem kleinen Kreis geschwebt. Es war Licht gebracht, und die Meisten hatten schon lange den ganzen heraufbeschworenen Spuk vergessen, – Auguste nicht.

Sie nahm Abschied von der Freundin und ging die wenigen Schritte nach ihrer eigenen Wohnung, kaum etwas mehr als über die Straße hinüber, – allein immer aber war ihr Geist noch mit jenem Traumbild beschäftigt, das ihr durch die Unterhaltung da drüben wieder in ihrer ganzen Schärfe vor der Seele stand.

Still und schweigend stieg sie die Stufen hinan – die Vorsaalthür war offen – auf dem Vorsaal selbst brannte kein Licht, aber die Gasflamme der Treppe warf ihren Schein durch das über der Thür angebrachte Fenster. Sie wußte bestimmt, ihr Mann war jetzt zu Haus und in seiner Stube, wo er gewöhnlich bis zum Abendbrot allein arbeitete. Sie ging durch ihr eigenes Zimmer nach seiner Thür, öffnete dieselbe, stand einen Moment in sprachlosem Entsetzen auf der Schwelle und brach dann mit einem halblautem Schrei und ehe ihr Gatte zuspringen und sie halten konnte, bewußtlos in sich zusammen.

Drittes Capitel

Der unheimliche Besuch

Der Justizrath war an dem Abend beschäftigt gewesen, eingelaufene Actenstücke durchzusehen und zu erledigen. Die Zeit verging ihm dabei so rasch, daß er die Abwesenheit seiner Frau – die er überdies bei Freund Janisch gut aufgehoben wußte, gar nicht bemerkte.

Im Verlauf seiner Arbeit war er auch genöthigt gewesen ein paar Briefe zu schreiben, die noch vor sieben Uhr auf die Post mußten. Er hatte das Mädchen damit fortgeschickt und saß wieder über seinen Papieren als es draußen klingelte und er selber hingehen mußte, um zu öffnen.

Draußen stand ein Fremder – anständig angezogen, ein kleiner schmächtiger Mann in dunkler Kleidung, der mit dem Hute in der Hand sehr bescheiden frug, ob er die Ehre habe den Herrn Justizrath Bertling zu sprechen.

»Mein Name ist Bertling, was steht zu Ihren Diensten?«

»Würden Sie mir gestatten ein paar Worte allein an Sie zu richten?« frug der kleine Mann, wie schüchtern, und seine weiten, glänzenden Augen hafteten dabei fragend auf dem Justizrath.

Diesem war die Störung eben nicht besonders gelegen, aber der Fremde sah so bescheiden und anspruchslos aus und seine Frage klang so dringend, daß er ihm die Bitte auch nicht abschlagen mochte.

»Dann sein Sie so gut und kommen Sie mit in mein Zimmer,« sagte der Justizrath und ging seinem, etwas späten Besuch voran, ohne jedoch die Vorsaalthür wieder zuschließen.

Im Studierzimmer Bertlings brannte die Lampe etwas düster, aber doch hell genug, um die Züge des Fremden ziemlich deutlich erkennen zu können. Er hatte eine hohe Stirn, von der er das schwarze schon dünn gewordene Haar zurückgestrichen trug, und ein paar große sprechende Augen, aber seine Züge sahen bleich und leidend aus; die Backenknochen traten auffallend hervor und in dem ganzen Wesen des Mannes lag etwas Scheues und Gedrücktes. Der Justizrath nöthigte ihn durch eine Bewegung mit der Hand auf das Sopha, aber der Fremde schien diese Ehre abzulehnen, denn er ließ sich auf dem nächsten Stuhl am Ofen nieder, und zwar seitwärts, um dem Justizrath sein Gesicht zuzukehren und dabei legte er den rechten Arm über die Lehne des nämlichen Stuhles.

Bertling entging übrigens nicht, daß sich sein Besuch durch irgend etwas gedrückt fühlte, und theils aus angeborener Gutmüthigkeit, theils mit dem Wunsch die unwillkommene Störung so viel als möglich abzukürzen, sagte er freundlich:

»Und mit was kann ich Ihnen dienen?«

Der Fremde hatte noch keine Zeit zum Antworten gehabt, als nebenan eine Thür ging und da Bertling, der recht gut wußte, daß das Mädchen kaum von der Post zurück sein konnte, eben aufstehen wollte, um nachzusehen, wer da wäre, öffnete sich die Seitenthür – seine Frau stand auf der Schwelle, hob langsam den rechten Arm und brach dann, ohne weiter ein Wort, eben nur einen halblauten Schrei ausstoßend, besinnungslos zusammen.

In tödtlichem Schreck sprang ihr Gatte zu, hob ihren Kopf auf sein Knie, strich ihr in seiner Herzensangst die Stirn, rieb ihr die Schläfe und rief sie mit allen Liebesnamen, um sie zum Leben zurückzubringen. Als das aber Alles vergeblich blieb, hob er sie auf und trug sie auf ihr eigenes Sopha im nächsten Zimmer und sprang dann zurück nach der Lampe. Er wollte dabei den Fremden bitten, ihm sein Anliegen ein ander Mal vorzutragen, aber der Stuhl war leer – der Fremde fort – er hatte ihn gar nicht weggehen sehen, aber auch jetzt wahrlich keine Zeit, sich weiter um ihn zu bekümmern. Er trug die Lampe hinüber und rieb Stirn und Schläfe seiner Frau mit Eau de Cologne.

Glücklicher Weise kam auch jetzt das Mädchen, das recht frisches Wasser bringen mußte, und nach wenigen Minuten schlug Auguste die Augen wieder auf. Anfangs freilich schaute sie noch scheu und wie furchtsam umher, als sie sich aber in ihrem eigenen Zimmer fand, beruhigte sie sich bald und lehnte jetzt nur noch etwas bleich und erschöpft im Sopha.

»Aber ich bitte Dich um Gottes Willen, liebes Kind, was hattest Du denn nur auf einmal« frug jetzt Bertling durch diese plötzliche Ohnmacht nicht wenig beunruhigt – »warst Du denn schon vorher unwohl?«

»Nein,« sagte die Frau leise, »mir fehlte gar nichts, aber – als ich in Dein Zimmer kam –«

»Ich habe heut Nachmittag sehr viel geraucht,« ergänzte Bertling, »und der rasche Wechsel aus der frischen Luft in den Tabacksqualm hat vielleicht den Unfall herbeigerufen.«

»Nein,« wiederholte die Frau mit dem Kopf schüttelnd, »das – das war es nicht – ich war vollkommen gesund – an den Tabacksgeruch bin ich ja auch gewöhnt, aber – als ich in Dein Zimmer trat sah ich –«

»Aber was denn mein süßes liebes Herz,« bat der Mann, »so sprich doch nur; Du ängstigt mich ja noch viel mehr durch Dein Schweigen. – Was sahst Du denn?«

»Denselben grauen Mann,« hauchte die Frau mit kaum hörbarer Stimme »– den ich bei dem Sturm in Deinem Zimmer sah –«

»Aber liebes, liebes Kind,« bat der Mann erschreckt und zugleich beunruhigt, daß seine Frau jenes Traumbild, wie er im Stillen gehofft, nicht etwa vergessen habe, sondern noch voll und scharf im Gedächtniß trage – »sieh nur, was für einen tollen Streich Dir Deine Einbildungskraft gespielt hat. Das war ja doch kein Gespenst, was Du gesehen, sondern ein Mensch von Fleisch und Blut, der kurz vor Dir zu mir kam und mich zu sprechen wünschte.«

»So hast Du ihn diesmal auch gesehen?« rief die Frau rasch und erschreckt.

»Gewiß,« lächelte Bertling, »und er ist auch gar nicht wie ein Geist eingetreten, sondern hat draußen geklingelt und ich habe ihm selber die Vorsaalthür aufgemacht.«

»Und ist er noch bei Dir?« rief die Frau, sich rasch im Sopha aufrichtend.

»Nein,« lautete die Antwort – »wie Du ohnmächtig wurdest, muß er fortgegangen sein, denn als ich nach der Lampe zurücksprang, war er verschwunden.«

»Verschwunden?«

»Nun hoffentlich nicht in die Luft,« lachte Bertling, aber doch etwas verlegen, denn es fiel ihm jetzt auf einmal ein, daß der Fremde in seinem ganzen Wesen wirklich etwas Räthselhaftes gehabt habe, und dabei merkwürdig rasch aus dem Zimmer gewesen sei. Wie war er nur hinausgekommen, denn er erinnerte sich nicht gesehen oder gehört zu haben, daß die Thür geöffnet wurde, was ihm doch kaum hätte entgehen können – »er – er wird fortgegangen sein, als er sah, daß ich mich nicht weiter mit ihm abgeben konnte.«

Seine Frau erwiderte nichts darauf. Sie schaute eine ganze Weile sinnend vor sich nieder, endlich sagte sie leise:

»Er saß auf dem nämlichen Stuhl, auf dem ich ihn damals gesehen habe – genau so wie in jener Nacht, mit dem rechten Arm auf der Lehne – er trug den nämlichen grauen Rock und sah eben so bleich aus und hatte dieselben großen geisterhaften Augen.«

»Aber liebe, liebe Auguste« bat der Mann, jetzt wirklich beunruhigt, »so gieb Dich doch nur nicht solch thörichten kindischen Gedanken hin, und mische nicht eine wirklich menschliche, wahrscheinlich sehr unbedeutende Persönlichkeit, mit Deinen Traumbildern zusammen. – Uebrigens,« setzte er rasch hinzu – »muß ihm ja auch die Rieke auf der Treppe begegnet sein, denn sie kam unmittelbar nach Dir – Rieke!« rief er dann zur Thür hinaus – »Rieke!«

»Jawohl –«

»Kommen Sie einmal einen Augenblick herein.«

Die Gerufene steckte den Kopf zur Thür herein.

»Soll ich was?«

»Wie Sie vorhin zurückkamen, ist Ihnen da Niemand im Haus begegnet?«

»Doch, Herr Justizrath –«

»Nun siehst Du, liebes Kind – und wie sah er aus?«

»Er!« sagte die Köchin etwas erstaunt – »es war die Heßbergern, dem Schuhmacher seine Frau von oben, die noch einmal unten in den Laden ging, um für ihren Mann Branntewein zu holen. Der kriegt Abends immer Durst, und sie trinkt dann auch mit.«

»Unsinn,« brummte der Justizrath – »was geht mich die Frau an – ich will wissen, ob Sie im Haus keinem Mann begegnet sind?«

»Einem Mann?«

»Einem anständig gekleideten Herrn in einem grauen oder dunklen Rock, der hier oben bei mir war?«

»Ich habe Niemanden gesehen,« sagte das Mädchen erstaunt mit dem Kopf schüttelnd »und so lange ich hier oben bin, ist auch Niemand fortgegangen, denn ich habe die Thür gleich hinter mir zugeriegelt und die Kette vorgehangen.«

Die Frau nickte leise vor sich hin, Bertling aber, ärgerlich darüber, daß er eine verfehlte Zeugenaussage veranlaßt, rief:

»Nun, denn ist er vorher gegangen; die Rieke kann ihm auch eigentlich gar nicht begegnet sein, denn er muß doch eine ganze Weile früher die Stube verlassen haben. So viel bleibt sicher, in den Boden hinein ist er nicht verschwunden – gehen Sie nur wieder an Ihre Arbeit Rieke – es ist gut –.«

Die Rieke zog sich an das Heiligthum ihres Heerdes zurück, griff dort die Wassereimer auf und ging nach dem Brunnen hinunter, um frisches Wasser zu holen. Unten im Haus begegnet ihr des Schusters Frau und das Mädchen, mit dem eben bestandenen Examen noch im Kopf sagte zu dieser:

»Haben Sie denn vorhin einen Mann gesehen, Heßbergern, der von uns herunterkam, wie Sie aus dem Haus gingen?«

»Ich? – nein,« sagte die Frau – »was für einen Mann?«

»Ja ich weiß es auch nicht, er soll einen grauen Rock angehabt haben.«

»Und was ist mit dem?«

»Gott weiß es,« brummte die Rieke – »er muß auf einmal weggewesen sein und Niemand hat ihn fortgehen sehen, und jetzt glaub ich, ängstigt sich die Frau darüber und ist sogar ohnmächtig geworden. – Na Nichs für ungut« und damit schwenkte sie mit ihren Eimern zur Thür hinaus.

Der Justizrath ging indessen ein paar Mal im Zimmer auf und ab, aber er dachte dabei nicht an den vollkommen gleichgültigen Fremden, sondern der Zustand seiner Frau beunruhigte ihn immer ernsthafter. So reizbar und erregt war sie noch nie gewesen, und während er geglaubt, daß sie all die alten Phantasieen längst und für immer vergessen hätte, fühlte er jetzt daß sie dieselben grade im Gegentheil still bei sich getragen und darüber vielleicht die ganze Zeit gebrütet habe. Wie um Gottes Willen konnte er ihr das nur aus dem Kopf bringen!

»Es ist doch merkwürdig« sagte die Frau endlich nach längerer Pause, »daß zwei Personen denselben Gegenstand gesehen haben sollten.«

»Gegenstand – Thorheit!« brummte aber der Justiz-Rath. »Thu' mir den einzigen Gefallen, liebes Kind, und sprich nicht von Gegenständen, wo es sich um eine einfache vollkommen gleichgültige Persönlichkeit handelt. Gedulde Dich nur eine kurze Zeit, der Mensch kommt wahrscheinlich morgen früh wieder zu mir, und dann erlaubst Du mir wohl, daß ich ihn Dir vorstellen darf –«

»Und bist Du wirklich überzeugt, daß es ein Mensch war?«

»Aber Auguste –«

»Hast Du ihn berührt?«

»Ich? – hm ich kann mich nicht besinnen – es war auch keine Gelegenheit dazu da, denn einem fremden Menschen giebt man doch nicht gleich die Hand – aber er ist doch wie andere Sterbliche hereingekommen.«

»Hat er sich selber die Thür aufgemacht?«

Der Justizrath sann einen Augenblick nach – »Nein« sagte er dann, »das konnte er nicht, sie war ja verschlossen – aber er muß sie selber wieder aufgemacht haben, um hinaus zu kommen; das wirst Du mir doch zugeben.«

Auguste war aufgestanden, ging auf den Justizrath zu, legte ihren rechten Arm um seinen Nacken und ihr Haupt an seine Brust lehnend, sagte sie leise und bittend:

»Sei nur nicht böse, Theodor, sieh ich kann ja Nichts dafür; und ich – mir möchte das Herz selber darüber brechen, aber – ich fühle es deutlich in mir, es ist eine Ahnung aus jener Welt, gegen die wir nicht ankämpfen können, mag sich der Verstand auch dawider sträuben wie er will. – Wenn mir der graue Mann zum dritten Mal erscheint – so sterb ich.«

»Auguste, ich bitte Dich um Gottes Willen« rief jetzt der Mann in Todesangst, indem er sie fest an sich preßte – »gieb nicht solchen furchtbaren Gedanken Raum. Sieh Kind, man hat ja Beispiele, daß Menschen nur allein einer solchen fixen Idee erlegen sind, wenn sie sich erst einmal in ihrem Geiste festgesetzt hatte. Erst war Trübsinn, dann Schwermuth die Folge und im Körper nahm Schwäche zu, je mehr jene Idee im Hirn seine verderblichen Wurzeln schlug.«

»Aber Du sprichst immer von einer Idee, Theodor,« sagte die Frau – »habe ich denn die Gestalt nicht zwei Mal deutlich gesehen, so deutlich, wie ich Dich selber hier vor mir sehe?«

»Das zweite Mal, ja, das gebe ich zu,« sagte der Mann in verzweifelter Resignation, und jetzt nur bemüht diese Phantasie durch Vernunftgründe zu bannen – »denn das unglückselige Menschenkind, das gerade in der Zeit zu mir kommen mußte – und ich wollte, Gott verzeih mir die Sünde, er hätte sonst was gethan – saß wirklich da. Aber das erste Mal, liebes gutes Herz mußt Du mir doch zugeben, daß es nur das Spiegelbild einer Deiner Träume gewesen sein kann.«

Die Frau antwortete nicht, schüttelte aber nur leise und kaum merklich mit dem Kopf.

»Sieh, liebes Kind,« fuhr Bertling, der die Bewegung an seiner Schulter fühlte, fort: »Du wirst mir doch zugeben, daß ein Geist – wenn wir wirklich annehmen wollen, es gäbe derartige Wesen, denen verstattet sei auf der Erde herumzuwandern und Unheil anzustiften – körperlos sein muß, also nur ein Hauch, verdichtete Luft höchstens. Was aber keinen Körper hat, kann man ja doch nicht sehen, wenigstens nicht mit unseren Augen, die ja doch auch nur körperlich sind.«

»Ich antworte Dir darauf durch ein anderes Beispiel,« sagte die Frau, sich von seiner Schulter emporrichtend. »Wir wissen doch, daß die Sterne am Himmel stehen, aber trotzdem sieht sie das Menschenauge am Tag nicht, mag der Himmel so rein sein wie er will – aber man hat Vorrichtungen für das Auge, wodurch man sie doch erkennen kann, und warum sollte nicht das Auge einzelner Menschen so beschaffen sein, daß sie einzelne Dinge sehen können, die Anderen unsichtbar bleiben.«

»Aber die Sterne sind auch Körper, liebes Herz, und noch dazu ganz respectable.«

»Du weichst mir aus,« rief die Frau, »und ich leugne, daß unser Auge nur allein für Körper geschaffen ist. Der Schatten ist kein Körper und wir sehen ihn doch.«

»Aber nur, wenn er auf einem Körper liegt, doch nie allein und selbständig in der Luft.«

»Ich habe auch jene Gestalt nicht frei in der Luft gesehen,« sagte die Frau, die fest entschlossen schien, den einmal gefaßten Gedanken auch festzuhalten, »sondern vielleicht nur auf dem Hintergrund der Wand –«

»Du bringst mich noch zur Verzweiflung, Herz, mit Deinem Gespenst,« sagte Bertling, während ein tiefer Seufzer seine Brust hob – »wer Dir nur in aller Welt die tollen Gedanken in den Kopf gesetzt haben kann.«

»Und nennst Du eine feste, innige Ueberzeugung mit diesem Namen, Theodor?«

»Meine liebe Auguste,« flehte der Mann dringend, »mißverstehe mich nicht. Ich will Dir ja bei Gott nicht wehe thun, aber wie in aller Welt soll ich Dich nur überzeugen, daß – daß Du Dich wirklich und wahrhaftig geirrt und ein körperliches Wesen mit einem geistigen in eine ganz unglückselige Verbindung bringst? – Aber das hätte Alles nichts zu sagen, Herz, denn von diesem Irrthum hoff' ich Dich mit der Zeit zu überzeugen; nur Das beunruhigt mich, und noch dazu in der peinlichsten Weise, daß sich bei Dir eine – ich weiß gar nicht, wie ich es nennen soll – eine solche unglückselige Idee festgesetzt hat, die Du für eine Ahnung nahen Todes hältst. Wenn Du mich nur ein ganz klein wenig liebst, so bekämpfe diesen Gedanken mit allen Kräften, und von dem Uebrigen fürchte ich Nichts für Dich. Willst Du mir das versprechen?«

»Aber lieber Theodor,« fragte die Frau – »kann man denn eine Ueberzeugung noch bekämpfen?«

Der Mann seufzte recht aus voller Brust. Endlich sagte er:

»Dagegen läßt sich nicht streiten, und wir können nur hoffen, daß der liebe Gott noch Alles zum Besten wendet. Ich selber werde mir aber jetzt die größte Mühe geben, um Dir den Patron, der mich heute Abend mit seinem Besuch beehrte, als ein sehr körperliches Wesen vorzustellen, und wenn ich erst einmal eine Flanke Deines Luftschlosses niedergerannt habe, dann hoffe ich auch mit dem Uebrigen fertig zu werden. Bis dahin bitte ich Dich nur um eins und das mußt Du mir versprechen: Dich nicht absichtlich trüben Gedanken hinzugeben, sondern sie, so viel das nur irgend in Deinen Kräften steht, zu bewältigen – das Uebrige findet sich dann. Thust Du mir den Gefallen?«

»Von Herzen gern,« sagte die Frau seufzend, »ach Du weißt ja nicht, Theodor, wie furchtbar schmerzlich mir selber das Gefühl ist und ich will ja gern Alles thun um es zu ersticken.«

»Dann wird auch noch Alles gut gehen, mein Kind,« erwiderte mit erleichtertem Herzen Bertling, indem er sie an sich zog und küßte – »und nun gilt es vor allen Dingen, meinen flüchtig gewordenen Besuch aufzutreiben, und da mir die Polizei zu Gebote steht, hoffe ich, daß das nicht so schwer sein soll.«

»Ich fürchte, Du wirst ihn nicht finden,« sagte Auguste.

»Das laß meine Sorge sein,« lächelte ihr Mann – »und nun wollen wir Thee trinken.«

Viertes Capitel

Die Kartenschlägerin

Bertling stand sonst nicht gern vor acht Uhr Morgens auf, und liebte es seinen Caffee im Bett zu trinken. Er gehörte auch zu den ruhigen Naturen, die sich durch kein Ereigniß, durch keine Sorge den Nachtschlaf rauben lassen, sondern Alles, was sie bedrücken oder quälen könnte, über Tag abmachen. Heute war er aber doch schon um sieben Uhr auf den Füßen und vollständig angezogen, und ging jetzt selber aus, um vor allen Dingen der Polizei eine genaue Personalbeschreibung seines gestrigen Besuches zu geben, wie ebenfalls eine gute Belohnung auf dessen Ausfindigmachung zu setzen. Natürlich durfte der Mann, wenn wirklich gefunden, durch Nichts belästigt werden; nur seinen Namen und seine Wohnung wollte er wissen, und ihn dann selber aufsuchen.

Die Polizei entwickelte auch eine ganz besondere Thätigkeit, denn zehn Thaler waren nicht immer so leicht zu verdienen. Nach allen Seiten breiteten sich ihre Diener aus und hatten auch in der That schon den ersten Tag in den verschiedenen Revieren einige zwanzig Leute aufgetrieben, die der gegebenen Beschreibung allenfalls entsprachen, den Justizrath aber in nicht geringe Verlegenheit setzten. Er bekam nämlich dadurch einige zwanzig Adressen von ihm völlig unbekannten Leuten, die in den verschiedensten Theilen der Stadt sämmtlich die 3te oder 4te Etage zu bewohnen schienen und wohl oder übel mußte er seine Wanderung danach beginnen, denn zu sich citiren konnte er sie natürlich nicht.

Wie man sich denken kann, fand er auch die Hälfte von ihnen nicht einmal beim ersten Besuch zu Haus, und wenn er sie fand, sah er sich wieder und wieder getäuscht, denn der Rechte war nicht unter ihnen. Vier Tage lang aber setzte er mit unverdrossener Mühe seine Versuche fort, immer aufs Neue getäuscht, aber immer auf's Neue hoffend, daß ihm der nächste Name den Gesuchten vorführen würde.

Dabei hegte er noch immer den stillen Glauben, daß der Mann, der an jenem Abend jedenfalls etwas von ihm gewollt, vielleicht sogar von selber wiederkehren würde – aber er sah sich darin ebenso getäuscht, wie in seinen eigenen Versuchen ihn aufzufinden. Der räthselhafte Mensch schien wie in den Boden hinein verschwunden.

Am Meisten beunruhigte ihn dabei seine Frau. Sie wußte recht gut, wen er die ganzen Tage über, mit Vernachlässigung aller seiner nothwendigsten Geschäfte, gesucht habe; nie aber, wenn er körperlich ermattet und geistig abgespannt zum Mittags- oder Abendbrot heim kam, frug sie ihn nach dem Resultat seiner heutigen Suche – sie schien das schon vorher zu wissen, sondern nickte nur immer still und schweigend mit dem Kopf, als ob sie hätte sagen wollen: Es ist ja natürlich – wie kannst Du ein Wesen in der Stadt finden wollen, das gar nicht auf der Erde körperlich existirt – und dem Justizrath war es dann jedesmal, als ob er wie ein Maschinenwerk frisch aufgezogen wäre, und die Zeit gar nicht erwarten könne, in der er wieder anfinge zu laufen.

Er war heute Nachmittag aber erst um vier Uhr fortgegangen, weil einige nothwendige Arbeiten erledigt werden mußten, um sieben Uhr hatte er außerdem eine Sitzung und seiner Frau gesagt, daß er heute nicht vor neun Uhr nach Hause kommen könne – wäre er aber im Stande sich früher loszumachen, so thäte er es sicher. Dann ging er jedoch zu Janisch hinüber und bat die junge Frau, ob sie heute Nachmittag nicht ein wenig die Freundin besuchen könne. Sie sei heute so merkwürdig niedergeschlagen, und da er durch nothwendige Geschäfte abgehalten wäre, würde es ihm eine große Beruhigung sein, wenn sie ihr Gesellschaft leisten wollte.

Die stets heitere und freundliche Hofräthin versprach das von Herzen gern, ja meinte, sie hätte es sich heute sogar schon selber vorgenommen gehabt, Augusten aufzusuchen, da sie – einen Scherz vorhabe bei dem sie ihre Mitwirkung wünsche.

»Sie sind ein Engel,« sagte der Justizrath mit einer, an ihm ganz ungewohnten Galanterie, denn durch die freundliche Zusage schien sich ihm eine Last vom Herzen zu wälzen, und vollständig versichert, daß seine Frau jetzt für den Nachmittag und Abend Zerstreuung und also keine Zeit habe, ihren trüben Gedanken nachzuhängen, ging er mit Ernst und gutem Willen auf's Neue an die undankbare Arbeit, eine unbestimmte Persönlichkeit, von der er weder Namen, Stand noch Wohnung wußte, in der ziemlich weitläufigen Stadt aufzusuchen.

Die Hofräthin Janisch hielt indessen Wort; kaum eine halbe Stunde später war sie drüben bei der Freundin und hatte ihr so viel zu erzählen und plauderte dabei so liebenswürdig, daß Auguste das sonst so schwer auf ihr lastende Gefühl endlich ganz vergessen zu haben schien. Bertling würde seine herzinnige Freude daran gehabt haben, wenn er sie in dieser Zeit hätte sehen können.

Indessen war die Dämmerung hereingebrochen. Eben aber wie Licht gebracht werden sollte, sagte Pauline:

»Hör einmal, liebes Herz, ich – ich habe etwas vor, bei dem Du mir helfen sollst – willst Du? – es ist nur ein Scherz.«

»Von Herzen gern, was ist es?«

»In Eurem Hause wohnt eine Frau – nun wie heißt sie doch gleich – eine Frau Heßling oder –«

»Heßberger? Das ist die Schuhmachers Frau, gleich über uns. Meinst Du die?«

»Ganz recht. Ihr Mann arbeitet für uns und die Frau – aber Du darfst mich nicht auslachen, Schatz – die Frau soll ganz vortrefflich Karten schlagen können.«

Auguste lächelte. »Ich habe auch schon davon gehört,« nickte sie leise vor sich hin, »und der Mann hat dabei die komische Eigenschaft, daß er das für eine Kunst des Teufels hält, es der Frau aber doch nicht verbietet, weil sie Geld damit verdient. Um aber das Unheil abzuwenden, das dadurch auf ihn fallen könnte, singt er jedes Mal, so lange die Frau mit solch unheiliger Beschäftigung hantirt, im Nebenzimmer und mit lauter Stimme geistliche Lieder, die in der Nähe schauerlich klingen müssen, denn schon aus der oberen Etage herunter haben sie uns oft zur Verzweiflung getrieben. Bei Gewittern macht er es ebenso.«

»Das stimmt Alles,« lächelte Pauline, »und jetzt wollte ich Dir nur mittheilen, Schatz, daß ich gesonnen bin, Dich diesen musikalischen Ohrenschmaus ganz in der Nähe genießen zu lassen.«

»Mich,« frug Auguste erstaunt – »was hast Du denn vor?«

»Nichts weniger« lachte Pauline, »als mir von Frau Heßberger heute Abend die Karten legen zu lassen und in dem dunklen Buche des Schicksals zu lesen, während ihr Gatte durch ein paar passende oder unpassende Gesangbuchverse die bösen Geister fern hält.«

»Aber Pauline –«

»Und Du sollst mich begleiten,« rief diese muthwillig – »ich will mich nicht umsonst schon die ganze Woche darauf gefreut haben.«

Auguste schüttelte nachdenkend mit dem Kopf – es war ihr nicht ganz recht; die Aufforderung kam ihr aber auch so unerwartet und plötzlich, daß sie nicht gleich einen richtigen Grund wußte, sie abzulehnen.

»Man soll doch eigentlich nicht mit den Geheimnissen der Zukunft sein Spiel treiben« sagte sie endlich leise.

»Aber Herzensschatz,« lachte Pauline, »Du glaubst doch nicht etwa, daß Frau Heßberger, die den ganzen Tag über Schuhe einfaßt, oder ihrem Gatten den Pechdrath zu seiner Arbeit zurecht macht, Abends eine wirkliche Sybille würde und mehr von den Geheimnissen der Zukunft errathen könnte, als wir anderen armen Sterblichen auch?«

»Wozu dann aber einen solchen Versuch machen?«

»Verstehst Du denn keinen Spaß?« lachte Pauline – »ich freue mich wie ein Kind darauf, ihre geheimnißvollen Zubereitungen zu sehen und die Orakelsprüche, während ihr Gatte den Teufel fern hält, – aus ihrem Munde zu hören. So was erlebt man doch nicht alle Tage, und bequemer wie wir es von hier aus haben, bekommt man es auch sobald nicht wieder.«

»Aber was sollen die Leute dazu sagen, wenn wir hinauf zu der Frau gehen?«

»Und wer braucht es zu erfahren? – Deine Rieke schickst Du ein paar Wege in die Stadt, wobei sie immer so viel für sich selber zu besorgen hat, daß sie doch vor einer Stunde nicht wieder kommt, und in der Hälfte der Zeit haben wir unseren Besuch gemacht.«

»Und wenn die Frau selber darüber plaudert?«

»Das thun derartige Leute nie, denn sie wissen, daß sie sich dadurch ihre ganze Kundschaft vertreiben würden. Wo es aber ihren eigenen Nutzen betrifft, sind solche Menschen klug genug. Thu mirs nur zu Gefallen, Auguste; ich habe mich schon so lange darauf gefreut und kann doch nicht gut allein hinauf gehen.«

»Wenn es mein Mann erfahren sollte, würde er böse darüber werden – ich kenne Bertling.«

»Lachen wird er,« rief Pauline »wenn wir ihm nachher die ganze Geschichte erzählen – es giebt ja doch einen Hauptspaß und Du darfst ihn mir nicht verderben. Außerdem brauchst Du Dir ja auch gar Nichts prophezeihen zu lassen, wenn Du irgend glaubst, daß es Deinem Mann – den ich übrigens für vernünftiger halte – fatal sein könnte. Du gehst nur als Ehrendame mit, setzest Dich ruhig auf einen Stuhl – oder wenn der nicht da sein sollte, auf einen Schusterschemel und hörst zu.«

Auguste lächelte still vor sich hin, als sie sich das Bild im Geist herauf beschwor, die muntere Freundin ließ auch mit Bitten nicht nach, und wußte alle ihre Bedenken so geschickt und mit solchem Humor zu beseitigen, daß sie sich endlich nicht länger weigern konnte und mochte, und Pauline sprang jetzt, fröhlich in die Hände schlagend ordentlich wie ein Kind, das ein neues Spielzeug bekommen hat, in der Stube herum.

Ein Auftrag für Rieke, um diese zu entfernen, war bald gefunden und kaum sahen sie das Mädchen über die Straße gehen, als die beiden Frauen ihre Tücher umhingen und in die dritte Etage hinanstiegen.

Nach der Frau Heßberger aber brauchten sie nicht lange zu fragen, denn gleich rechts von der Treppe war die enge, dunkle Küche, in der die Dame eben beschäftigt schien die Abendsuppe anzurichten. Eine gewöhnliche Küchenlampe verbreitete ein mattes trübes Licht in dem niederen, eben nicht besonders sauber gehaltenen Raum, in den aber des Schusters Frau ganz vortrefflich hineinpaßte und sich auch wohl darin zu fühlen schien.

Wie sie die leichten Schritte auf der Treppe hörte, nahm sie aber mit der Rechten, während die Linke noch immer in der Suppe rührte, die Lampe auf und hielt sie über den Kopf, um darunter hinweg besser erkennen zu können, wer der fremde Besuch sei. – Unerwartet kam er ihr ja überhaupt nicht, denn es geschah gar nicht etwa so selten, daß sie von den verschiedensten Damen der Stadt und zwar von Damen jeden Ranges in der Gesellschaft, gerade um diese Zeit des Abends, oder auch noch später, aufgesucht und mit ihrer Kunst in Anspruch genommen wurde – und sie verdiente mehr damit wie ihr Mann, trotz allem Fleiß, mit Ahle und Draht.

Auguste schämte sich fast ein wenig des Besuchs und hielt sich noch immer scheu zurück, ihre keckere Freundin aber, die überhaupt die Leitung des Ganzen übernommen hatte, trat auf die Frau zu und wollte eben ihr Anliegen vortragen, als die Kartenschlägerin sie jeder Ansprache überhob, indem sie mit einer Höflichkeitsbewegung, die als ein Mittelding zwischen Knix und Verbeugung gelten konnte, sagte:

»Nun, da kommen Sie ja doch noch, Frau Hofräthin; habe Sie schon eine halbe Stunde erwartet, und dachte beinah es wäre etwas dazwischen gekommen. Bitte treten Sie näher Frau Justizräthin – freut mich ja recht sehr, Sie auch einmal oben bei mir zu sehen.«

Auguste erschrak beinahe, denn sie stand noch in dem halbdüsteren Vorsaal und zum Theil von der Freundin gedeckt, Pauline aber wandte ihr halblachend den Kopf zu und sagte dann:

»Schön, meine liebe Frau Heßberger, daß Sie uns erwartet haben; dann ist wohl auch bei Ihnen Alles hergerichtet?«

»Alles, beste Frau Hofräthin, Alles,« erwiderte aber Frau Heßberger, ohne sich außer Fassung bringen zu lassen. »Das versteht sich doch aber auch von selbst, wenn man so vornehmen Besuch erhofft; die Stühle sind schon zum Tisch gerückt; habe weiter nichts drin zu thun, wie nur die Lichter anzuzünden.«

Pauline wurde selber ein wenig stutzig, die Frau ließ ihr aber keine Zeit zu weiteren Fragen und nur mit den Worten: »Erlauben Sie, daß ich vorangehe« – öffnete sie die Thür zur Werkstätte, in welcher ihr Gatte und ein Lehrjunge hinter ein paar erleuchteten Glaskugeln arbeiteten.

Der alte Heßberger, eine kleine untersetzte Gestalt mit einer schwarzen, Gott weiß wie alten, fettglänzenden Mütze und eine Brille auf, kauerte auf seinem Schemel und schaute, als sich die Thür öffnete, von seiner Arbeit gar nicht auf. Mürrisch sah er vor sich nieder, und machte auch nicht den geringsten Versuch selbst zu irgend einer Art von Gruß. Der Besuch galt nicht ihm, so viel wußte er recht gut, weshalb also brauchte er sich darum zu kümmern.

Unter Palmen und Buchen. Erster Band.

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