Читать книгу Aus zwei Welttheilen. Zweiter Band. - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 1

Die Tochter der Riccarees.
Lebensbild aus Louisiana

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Eine glühende Septembersonne schoß ihre fast senkrechten Strahlen auf die weiten Baumwollen- und Zuckerfelder und ausgedehnten Sümpfe und Prairien Louisianas herab. Die ganze Natur ruhte, oder schien vielmehr matt und kraftlos, verschmachtet und erschöpft zu liegen, und mit fieberheißen Poren den Nachtthau herbeizusehnen, der die lechzenden Lippen der Erde tränken und den Bäumen ihre Farbe, den Blumen ihren Duft wiedergeben sollte. Eine glühende Septembersonne trieb den weichlichen Pflanzer in das Innere seiner kühlen Wohnung zurück, und hinter verschlossenen Jalousien, den claretgefüllten Krystallbecher neben sich, lag er träumend in seinem geflochtenen Schaukelstuhl und vertrieb sich die Zeit dadurch, das in dem Wein rubinartig funkelnde Eis mit dem langen, silbernen Löffel auf- und niederzustoßen und zu zerschmelzen.

Draußen aber im Feld, der sengenden Glutenhitze ausgesetzt, die auf ihre nackten Schultern niederbrannte, standen in langer Reihe die Negersklaven, Männer, Frauen und Kinder mit großen leichten Spahnkörben und sammelten in diese die Baumwollenflocken aus den holzigen Kapseln, und im Schatten eines nicht fernen Pecanbaums, die große lederne Peitsche in der Hand, lehnte der Overseer1 und überschaute gähnend die keuchende Schar, dann und wann nur einen flüchtigen Blick hinüberwerfend, nach der nicht fernen Piazza des Wohngebäudes, wo allerdings ein freundlicheres, lieblicheres Bild sein Auge fesseln konnte.

Zehn Stufen führten zu der von hohen Chinabäumen und zwei duftigen Magnolien umschatteten Galerie des Herrenhauses empor, und rankende weiße Rosen schlängelten sich hier an den buntgeschnitzten Säulen hinauf, bis sie oben die wilden Reben erreichten, die, unter dem niederen Schutz- und Sonnendache hingezogen, ihre blauen vollen Trauben mitten zwischen den zarten Rosenknospen hineinsenkten, als ob sie den Duft aus diesen ziehen und ihnen dafür den kühlen Saft ihrer Beeren gewähren wollten. Seltene tropische und nordische Gewächse waren dabei rings im Inneren des laubigen Raumes aufgestellt und vermischten ihre Wohlgerüche mit denen der sie umwuchernden Schlingpflanzen.

Doch nicht nur Blum' und Blüte schmückten den Eingang des reichen Beaufort Haus, der als einer der wohlhabendsten Pflanzer am ganzen Fausse Rivière bekannt und geachtet war, nicht allein Blum' und Blüte schwankte und wehte in dem kaum bemerkbaren Westwind, der von der breiten Wasserfläche des »falschen Flusses« herüberzog, sondern noch, aufgehangen zwischen den knospen- und fruchtumdrängten Pfeilern schaukelte, durch die Hand eines kleinen Negerkindes in Bewegung gehalten, eine bunte, wunderlich geflochtene Hängmatte, und darin, das von rabenschwarzen Locken umwogte Köpfchen auf den vollen weißen Arm gelehnt, während das zierliche Füßchen eben unter dem weiten faltigen Kleide sichtbar wurde, lag des Pflanzers holdes Kind, die reizendste Creolin Louisianas, und schaute halb sinnend, halb träumend zu der Blütenpracht hinauf, die von buntfarbigen Schmetterlingen und diamantfunkelnden Kolibris umflattert und beraubt wurde.

Um sie lagen zerstreut theils frisch abgebrochene Blumen, theils große sammetne Magnolienblätter, auf deren schneeige Fläche sie mit der Nadel Figuren und Namen gezeichnet, und selbst einzelne französische Hefte und Journale deckten die Hängmatte und das danebenstehende kleine Tischchen; ein Zeichen, wie Mademoiselle Alles, selbst das Letzte versucht hatte, die Langeweile zu tödten.

Und sandte der sonngebräunte, finstere Aufseher der Schwarzen nach dieser holden Blume seine leidenschaftglühenden Blicke herüber? Wagte er es zu der schönsten und reichsten Erbin des Landes das Auge zu erheben? Nein – wohl wußte er, wie diese ihn haßte und verabscheute, wohl kannte er die Kluft, die zwischen ihm und der Jungfrau in jeder Hinsicht gähnte; nein; er wollte nicht girren und schmachten, er wollte genießen, und ein anderes Wesen als Gabriele Beaufort, hatte sich sein lüsterner Blick ersehen.

Neben der Gebieterin, den breitfaltigen Pfauenwedel in der Hand, mit dem sie dem schönen Mädchen nicht allein Kühlung zufächelte, sondern auch die umherschwärmenden Insekten verscheuchte, lehnte auf weichem Sitz ein fast ebenso liebliches, wenn auch von dem ersten gar sehr verschiedenes Kind. Es war eine Indianerin, die dunkle Bronzefarbe der Haut, das lebhaft funkelnde Auge, die schneeweißen Zähne und das ganze Wesen, die ganze Haltung des Mädchens kündete die Tochter der Wälder, nur das rabenschwarze, sonst lange und straffe Haar schien sich, leicht gekräuselt, jener bläulichen Färbung nähern zu wollen, die den schönen Quadroonenmädchen, den Mischlingen der Weißen und Mulatten, einen so eigenthümlichen Reiz verleiht.

Ihre schlanke Gestalt war in ein weites, luftiges Gewand, nach Art ihres Stammes angefertigt, gekleidet, ein buntgestickter Perlengürtel hielt es über der Hüfte zusammen und bildete mit zwei gleichen Korallenschnuren, eine um den sammetweichen Nacken, die andere um die Schläfe geschlungen, den einzigen Schmuck des holden Mädchens. Nur die aus zartgegerbten Fellen bereiteten Moccasins, in denen die kleinen zierlichen Füße staken, trugen noch die Zeichen der kunstfertigen Hand Nedaunis-Ais' (die kleine Tochter) oder Saisens, wie sie der Kürze wegen von Gabrielen genannt ward.

So wunderlieblich und reizend aber auch das Bild der beiden, von einer Blumenwelt umgebenen Jungfrauen war, so trübe, wehmüthige Gefühle schienen Saisens Busen zu heben und einmal – ach, sie wandte das Köpfchen ab, daß es die Gebieterin nicht bemerken sollte – streifte sie sogar mit dem zarten Finger einen perlenden Tropfen von den langen, seidenen Wimpern und ein leiser, leiser Seufzer entrang sich der Brust des armen Kindes.

Was war es aber, das ihr hier, von Pracht und Ueberfluß umgeben, das Herz beengte? Dachte sie an das Schicksal ihres Stammes? ihres ganzen Volkes, das, von dem Grund und Boden vertrieben der einst sein Eigenthum, durch den Stahl und das Feuerwasser der Weißen fast vernichtet, jetzt im weiten Westen, fern von den Gräbern der Lieben weilen mußte, während eine seiner Töchter dem Abkömmling jener stolzen, trotzigen Race diente, wo sie selbst doch eigentlich die Herrin dieses Landes nach Geburt und Recht war? Ach, sie hätte Ursache gehabt, darüber zu trauern, und die zwei holden Wesen lieferten ein treues, aber darum nur ein so wehmüthigeres Bild der beiden Nationen, der Sieger und Besiegten. Doch es war nicht das, auch nicht das Gefühl der Dienstbarkeit, denn Gabrielen behandelte sie nicht wie eine Dienerin, sondern wie eine Freundin, nein es war wohl die Trennung von den theuern Aeltern, denen sie durch teuflische List geraubt worden. Der Gedanke an die daheim um sie Trauernden füllte auf's Neue ihre Wimpern und diesmal tropfte die Thräne voll und schwer in ihren Schoos hernieder.

Gabriele bemerkte es.

»Saise, meine herzliebe Saise, was fehlt Dir? Warum bist Du immer so traurig und willst mich nicht zur Mitwisserin Deines Kummers machen?« frug theilnehmend die junge Creolin; »bin ich nicht Deine Freundin, und habe ich nicht auch Dir alle meine kleinen Sorgen und Pläne entdeckt und um Deinen Rath und Deine Hülfe gebeten?«

Saise drückte der Herrin Hand und schaute ihr wenige Secunden lang wehmüthig lächelnd in die klaren treuherzigen Augen, dann aber fiel ihr Blick auf das kleine, die Hängematte wiegende Negermädchen und Gabriele, den Wink verstehend, sagte:

»Geh hinunter, Piccaninny2, und zähle die Küchelchen, die im Hof herumlaufen; komm aber nicht wieder, bis Du mir genau sagen kannst, wie viel es sind«.

Das kleine runde Dingelchen zog den breiten Mund zu einem freundlichen Grinsen auseinander und sprang schnell durch den schmalen Eingang die Treppe hinab, den Befehl ihrer »Missus« auszuführen. Lächelnd sah ihr Gabriele einen Augenblick nach, dann aber, sich theilnehmend zur Gespielin wendend, sagte sie herzlich:

»Siehst Du – das Kind ist fort, nun erzähle mir aber auch offen, was Dich drückt – gewiß kann ich Dir helfen.«

»Du sollst Alles erfahren,« flüsterte Saise, »vielleicht ist es überdieß besser, daß Du es weißt, denn wenn« – sie schwieg plötzlich und barg schaudernd ihr Antlitz in den Händen.

»Aber was ist Dir, um aller Heiligen willen,« bat Gabriele, »so hab ich Dich nie gesehen.«

»So höre denn,« sagte, sich fassend, die Indianerin, »mit wenig Worten kann ich dir Alles vertrauen; ich habe, wenn auch noch jung, doch schon Entsetzliches erduldet. Ich bin die einzige Tochter eines Riccareehäuptlings, und ein kleiner Theil unseres Stammes – deine Brüder vertilgten fast unsere ganze Nation von der Erde – hatte sich dicht unter den Osagen, zwischen diesen und den Cherokesen niedergelassen. Mein Vater war ein Freund der Weißen – er sah, daß das Wild selten wurde, und fühlte, wie uns die bleichen Gesichter an Klugheit und Kunstfertigkeit überlegen waren; er glaubte aber auch die einzige Sicherheit für die schwachen Ueberreste der Seinigen nur darin finden zu können, daß sich diese den Sitten und Gebräuchen ihrer Sieger anschlössen, den Acker bebauten und ein Volk mit jenen machten. Deshalb war jeder Weiße in unserer Hütte willkommen, und er benahm sich freundlich gegen Alle. Nur einmal erwachte in ihm der alte, fast erstorbene Geist des Kriegers wieder, als einst ein Weißer, ein rauher, unfreundlicher Mann, herzlich von uns aufgenommen, frech und zudringlich gegen mich wurde und zuletzt behauptete, ich dürfe gar nicht so spröde thun, denn ich sei ja doch nur, wie mein Haar auch klar genug beweise ein kleiner – Nigger.«

»Hätte ein Pfeil meinen Vater getroffen, er wäre nicht schneller von seinem Sitze aufgesprungen. Er war Einer der ersten Krieger seines Stammes und meine Mutter die Tochter eines Sioux-Häuptlings gewesen, die er einst bei einem Ueberfall geraubt, liebgewonnen und zum Weibe genommen hatte; um so entsetzlicher traf daher dieses Wort seinen Stolz, und von Wuth und Ingrimm getrieben, riß er den Tomahawk von der Wand und schleuderte ihn nach dem Haupt des – Gastes.«

»Der weiße Mann stürzte besinnungslos nieder, aber in demselben Augenblick ergriff auch meinen Vater mit peinlichem Schmerz der Gedanke, das Gastrecht verletzt zu haben. Er sprang auf den Niedergestürzten zu, untersuchte die Wunde und wartete und pflegte ihn nun wie einen Sohn, bis er sich wieder erholt hatte und unsere Ansiedlung verlassen konnte.«

»Aber jener Mann war ein Teufel – der erhaltene Schlag erfüllte sein Herz mit Wuth und Rache. Während er noch bei uns seine Genesung abwartete, erforschte er lauernd des Hauses und der Nachbarschaft Gelegenheit, und schon nach drei Nächten kehrte er mit seinen Helfershelfern heimlich und verrätherisch zurück. – Sie überfielen still und geräuschlos unsere Hütte, schlugen meinen alten Vater, der sich den Räubern entgegenwerfen wollte, nieder, banden und knebelten mich, hoben mich auf ein Pferd und schleppten mich in wilder, unaufhaltsamer Eile dem großen Flusse3 zu.«

»Als ich aus einer langen Ohnmacht erwachte, umgab mich tiefe Nacht und ich fühlte nur, wie wir im vollen Galopp auf einem harten, schmalen Weg, unter niederen Bäumen und Büschen dahinsprengten, denn der Hufschlag schallte weithin durch die stille Wildniß, und dann und wann streiften kleine Zweige meine Wangen. Was aber auch meine Räuber mit mir im Sinn gehabt, wahrscheinlich fürchteten sie Verfolgung, oder wußten sich wirklich schon verfolgt, denn rastlos, unaufhaltsam eilten sie weiter, und ruhten nicht eher, bis sie einen, sicherlich schon vorher verabredeten Platz erreicht und hier ihre schändlichen Genossen gefunden hatten.«

»Gott allein weiß was später aus meinem alten Vater wurde, ich sah ihn nicht wieder, wohl aber einen fremden, finsteren Mann, der in meinem Beisein, während ich noch gebunden am Boden lag, einen Handel über mich abschloß, von meinem Räuber ein Schreiben – einen Kaufbrief, wie jener es nannte – ausgestellt bekam, und dann Deine arme Saise in ein Canoe trug und mit ihr davon ruderte.«

»Hülflos – verlassen – verloren lag ich auf dem Boden des schwankenden Canoes, aber Alles, was mich bedrohte, stieg in fürchterlichen Bildern vor meiner inneren Seele auf.«

»Ich fühlte, wie ich der Willkür dieses Mannes, der seine gierigen Blicke fest auf mich gerichtet hielt, gänzlich – wehrlos überlassen war, wußte, daß ich als Sklavin verkauft, kein Erbarmen bei den Weißen mehr zu hoffen hatte, und der Gedanke an Selbstmord zuckte da zum ersten Mal durch meine fieberhaft schlagenden Pulse.«

»Arme Saise,« sagte Gabriele.

»Das Canoe war einer der gewöhnlichen, aus Holz roh gehauenen Kähne, schmal und mit rundem Boden; wenn ich mich nur leise bewegte, fühlte ich wie es schwankte, und sah die ängstliche Bewegung des Rudernden, der es im Gleichgewicht zu halten strebte; – ein Ruck – ein plötzlicher Stoß von mir – es schlug um und ich – war frei.«

»Kaum hatt' ich diesen Entschluß gefaßt, als ein kalter Schauer mir fröstelnd durch die Adern rieselte – und starr und entsetzt blickte ich zu dem weißen Manne empor. Dieser aber, der den ängstlichen Ausdruck in meinen Zügen der Furcht zuschreiben mochte, lächelte höhnisch und sagte: »Gräme dich nicht, Püppchen; wenn du hübsch brav bist, sollst du meine kleine Squaw4 werden,« und dann lachte er so laut und teuflisch, daß er mir in dem Augenblick wirklich wie ein böses, dem finsteren Abgrund entstiegenes Wesen vorkam. Das aber befestigte nur noch mehr meinen Entschluß – ich wollte sterben. Nur dann und wann, wenn das Canoe ein wenig zur rechten oder linken Seite hinüberschwankte, konnte ich das Ufer erkennen, und sah jetzt, daß wir uns unweit einer langen Insel befanden, die, wie es mir schien, gerade vor uns lag. Ich kann schwimmen wie ein Fisch, doch die Bande, die meine Hände zusammenschnürten, versagten mir jede Bewegung; auf keine andere Rettung durfte ich hoffen als die, die der Tod brachte.«

»Arme Saise.«

»Noch einmal sandte ich jetzt mein Gebet zu dem Manitou meines Volkes empor – noch einmal blickte ich auf zu dem freundlichen Sonnenlicht, das hell und strahlend, ach für mich zum letzten Male über die ferne Waldung herübergrüßte; noch ein Mal sog ich in langem, langem Athemzuge die balsamische Luft der schönen Welt ein – schloß dann die Augen und warf mich, mit plötzlichem Schwung, mit Anstrengung aller meiner Kräfte, gegen die Seitenwand des schmalen Fahrzeugs.«

»Halt an! wir sinken! schrie entsetzt der Räuber und versuchte auf der anderen Seite das Gleichgewicht wiederherzustellen, doch schnell folgte ich seiner Bewegung und im nächsten Augenblick fühlte ich die kühle Fluth über mir zusammenschlagen. Das Canoe war umgestürzt.«

»Ob jener Weiße schwimmen konnte, wußte ich nicht, auf jeden Fall wäre er in diesem Falle im Stande gewesen, mich, deren Hände noch immer gefesselt, zum nicht so fernen Ufer zu ziehn. Doch lebend sollte er mich nie mehr berühren, ich tauchte unter und zwar mit dem festen Entschluß, nimmer zur Oberfläche zurückzukehren.«

»Gott wollte es anders; von der quellenden Fluth emporgehoben, stieg ich wieder dem Licht entgegen, fühlte aber plötzlich, wie ich mit dem Kopf gegen einen festen Gegenstand anstieß. Im ersten Augenblick glaubte ich, es sei das Canoe, der nächste überzeugte mich aber, daß ich unter Treibholz gerathen wäre, und zwar gerade an einer Stelle, wo ich den Grund mit den Füßen berührte, und wild übereinandergepreßte Stämme eine kleine Höhlung gebildet hatten, in die ich den Kopf bringen und – athmen konnte. Ich war für den Augenblick gerettet; mußte aber nicht der gewaltige Andrang der Strömung, die sich rauschend und schäumend nur eine kurze Strecke von mir entfernt an den Stämmen und Aesten brach, diese schwache Schutzwehr zusammendrängen und mich Zoll für Zoll in die Tiefe wieder zurückdrücken und vernichten? Mit unverzagtem Muth hätt' ich dem raschen Tod ins Auge geschaut, hier aber langsam, langsam vielleicht zu sterben – o, es war fürchterlich.«

Saise barg wieder, von dem Gedanken ergriffen und zusammenschaudernd, ihr Antlitz in ihren Händen.

»Du unglückliches Kind,« flüsterte Gabriele, des schönen Mädchens Stirn an ihrem Busen bergend; »Du unglückliches – liebes – böses Kind, und warum hast Du denn das Alles mir so lang verschwiegen? war das recht von Dir? aber wie entgingst Du jener fürchterlichen Gefahr?«

»Stundenlang,« erzählte Saise weiter, »stundenlang harrte ich, denn noch schrecklicher als der Tod war mir der Gedanke, das Licht des Tages und mit ihm das Antlitz jenes finsteren Mannes wieder zu sehen, ehe ich einen Versuch zu meiner Rettung wagte. Selbst dann aber blieb noch immer die Ausführung schwer und gefährlich, denn im Wasser hatte ich natürlich die Richtung verloren und mußte fürchten, daß ich, unter Wasser fortschwimmend, gerade tiefer in das Treibholz hineingerathen würde, Gott da oben hatte mich aber bis jetzt geschützt, und ihm vertraute ich. Als ich es überdies nicht länger mehr im Wasser aushalten konnte und der Frost meine Glieder schüttelte, horchte ich noch einmal genau, von welcher Richtung das Anprallen der Strömung tönte, berechnete dann schnell, auf welcher Seite der Insel ich mich befinden müsse, und versuchte nun mich der Bande zu entledigen, die meine Hände noch immer gefesselt hielten. Und siehe da – es gelang. Es waren hirschlederne Riemen und die Nässe hatte sie ausgedehnt, meine Hände schlüpften hindurch und – ich fühlte mich frei.«

»Jetzt fürchtete ich Nichts mehr, jener Mann mußte mich lange ertrunken geglaubt und die Stelle verlassen haben – ich tauchte unter – strich kräftig aus und sah nach wenigen, dem Herzen den Schlag raubenden Secunden das liebe herrliche Tageslicht wieder. Doch noch lange wagte ich nicht mich zu erheben, denn ich wußte nicht, wie nahe jener Weiße sei; ich kroch nur leise und vorsichtig an der flachen, von der Sonne warm beschienenen Bank hin, und machte in einem brünstigen Gebet und einem lindernden Thränenstrom dem so arg bedrängten Herzen Luft.«

»Alles Uebrige weißt du. Dein Vater fand mich fünf Tage später im Walde – ich war heimathlos, – zu Hause durfte ich nicht wagen wieder zu erscheinen, meinen eigenen Vater hatten sie vor meinen Augen erschlagen, und wie konnten mich die ärmlichen Ueberreste meines Stammes vor den Verfolgungen der Weißen schützen? Du nahmst mich auf, Gabriele, und an Deinem Herzen habe ich Schutz und Hülfe gefunden.«

»Aber weshalb denn dieser stete Gram, Du liebes Kind?« sagte die Jungfrau schmeichelnd, »sei doch froh wie ich, Du bist ja bei Freunden, die Dir kein Leid geschehen lassen; oder drückt Dich noch ein Schmerz?«

»Hast Du heute gesehen?« frug Saise mit ängstlich umherschweifenden Blicken, »hast Du gesehen, wie sie das arme Wesen ihrem Herrn auslieferten, dem es – er sagte so – entflohen war?«

»Aber das war eine Sklavin und er ihr Herr, liebes Kind.«

»Und woher weißt Du, daß er ihr Herr war? schwur sie nicht, sie habe ihn ihr Lebtage nicht gesehen?«

»Er hatte ja den Kaufbrief, in dem ihre ganze Person beschrieben stand,« lächelte Gabriele; »Du närrisches Kind, was quälst Du Dich denn mit so trüben, ängstlichen Bildern ab; wie mag Dich das nur beunruhigen?«

»Er hatte den Kaufbrief, in dem ihre ganze Person beschrieben stand, und die Leute hier – großer Gott – sie lieferten sie ihm aus –« schrie die Indianerin, von ihrem Sitze emporspringend.

»Hilf Himmel – Saise!« rief Gabriele besorgt, denn sie fürchtete für den Verstand der Unglücklichen, »was fehlt Dir? was hast Du?«

»Gebunden führte er sie hinweg,« fuhr das Mädchen in entsetzlicher Aufregung fort – »gebunden! und auch über mich – auch über mich ist ein solcher Kaufbrief ausgestellt; auch meine Person, mein Aussehn – meine Haare – meine Augen – sogar das Maal auf meiner Schulter beschrieben. – O du allgütiger Gott!« – Sie brach schluchzend zusammen und barg ihr Antlitz in den Kissen des neben ihr stehenden Sessels.

Gabriele war erschreckt aus der Hängematte gesprungen und bog sich leise zu der Unglücklichen nieder; mit tröstenden Worten wollte sie dabei ihren Kummer stillen, aber ach, sie kannte selbst nur zu gut die Gefahr, die unter solchen Umständen, wenn sie von jenem Buben wirklich wiederentdeckt würde, der armen Verfolgten drohte.

»Komm,« sagte sie dann plötzlich zu der Indianerin, deren Angst sich in einer lindernden Thränenfluth gelöst hatte – »komm, fasse Muth, noch weiß ich Rath Dir zu helfen. Du kennst unseren Freund,« fuhr sie fort, als das Mädchen mit den großen dunkeln feuchten Augen zu ihr aufschaute, – »Du kennst den jungen Creolen St. Clyde – er ist uns freundlich gesinnt, – Beiden – Dir sowohl wie mir, und hat sogar selbst lange an den südwestlichen Grenzen Missouris, zwischen den Cherokesen wie Osagen gelebt – der muß Rath schaffen; entweder kann er dorthin eilen und Zeugen herbeiholen, oder er sendet einen Boten, um das zu bewerkstelligen. Auf jeden Fall mußt Du selbst klagbar gegen den Verbrecher auftreten, das ist der einzige Ausweg seinen Angriffen zu begegnen.« – »Cöleste – Cöleste,« rief sie dann ihrer kleinen Negerin, die noch immer eifrig unten beschäftigt war, die toll und bunt durcheinander laufenden Küchlein zu zählen – »Cöleste, komm schnell herauf und schicke mir vorher Endymion.«

Die Kleine gehorchte dem Befehl und erschien gleich darauf selbst oben an der Treppe; die großen dunkeln Augen standen aber voll Thränen, und das Gesicht verzog sie zu einer entsetzlich weinerlichen und ernstkomischen Miene.

»Was fehlt Dir, Cöleste?« frug Gabriele freundlich.

»O Missus« – schluchzte nun das Kind, dessen Schmerz sich bei diesen freundlichen Worten Bahn brach, »o Missus – ich – ich kann – ich kann nicht zählen – zählen – die Küchel – Küchelchen – sie laufen; – huhuhu – sie laufen so geschwinde.«

»Komisches Kind,« lachte Gabriele – »geh – ruf Endymion schnell, und laß die Hühner, Hühner sein.« Endymion brauchte aber nicht mehr gerufen zu werden, er tauchte eben hinter der Gespielin auf und sagte dann leise:

»Missus will 'Dymion – hier ist er.«

»Endymion,« rief Gabriele rasch – »Du weißt, wo Mr. St. Clyde wohnt – wie?«

»Massa Clyde – jes« – nickte der Schwarze – »aber, Missus – ein fremder Gentleman ist unten« –

»Schon gut – schick' ihn zum Vater,« fuhr die Creolin ungeduldig fort – »Zu dem reitest Du, und bittest ihn so schnell als möglich, wenn es angeht heute Abend noch – verstehst Du mich, Endymion? heute Abend noch – herüberzukommen, ich – wir – wir hätten etwas Wichtiges mit ihm zu reden.«

»Aber der Fremde, Missus,« unterbrach sie etwas ängstlich Endymion – »der Fremde – Massa schläft und arme 'Dymion kriegte viel Schläge, wenn ihn weckte –«

»So laß ihn unten in die Halle treten, dort liegen Bücher und er mag sich die Zeit vertreiben, so gut er kann. Du aber, Endymion, mach rasch und füttere zugleich mein Reitpferd, es könnte sein, daß wir es schnell und zu einem eiligen Ritt gebrauchten; mach fort, Endymion, und kehre recht bald zurück.«

Das volle runde Gesicht des Knaben verschwand plötzlich unter der steilen Treppe, und wenige Minuten später hörte man schon am Schallen der Hufe, wie er auf flüchtigem Renner, den Fausse Riviere entlang, dem Mississippi zuflog.

Saise hatte sich aber indessen durch die neue Hoffnung, bald jeder Furcht überhoben zu sein, getröstet; sie wußte – sie mußte es sich wenigstens mit leisem Erröthen gestehen – St. Clyde würde Alles thun was in seinen Kräften stand, sie von jeder Sorge und Gefahr zu befreien, und konnte sie selbst als Klägerin auftreten, dann hätte sich Jener erst, wäre er wirklich erschienen, vor allen Dingen von jedem auf ihm haftenden Verdachte reinigen müssen, und die Beweise ihrer reinen Abstammung konnte sie bis dahin bringen. Sie ergriff der Freundin Hand, hob sie leise an ihre Lippen und flüsterte:

»Du bist gut – Du bist engelgut und hast mir mit Deinen freundlichen Worten Trost und Ruhe in's Herz gegossen.«

Die Mädchen hatten sich eng umschlungen und Gabriele hielt erst lange das Antlitz der holden Tochter der Wälder zwischen den zarten Händen, schaute ihr herzlich und liebevoll in die großen dunkeln Augen und drückte dann einen heißen, innigen Kuß auf ihre Stirn.

Der Overseer bemerkte von seinem Baum aus die Ankunft des Fremden, und schlenderte langsam dem Hause zu.

»Was zum Teufel nur die beiden Mädchen heute so ernstlich zusammen zu schwatzen haben,« murmelte er dabei vor sich hin – »hol mich der Böse, wenn ich nicht wünsche, das kleine rothe Ding wäre mein – verdammt schade, daß man rothes Fell nicht ebenso leicht kaufen kann wie schwarzes. – Wer der Fremde nur sein mag? – Wahrscheinlich ein Baumwollenspekulant aus New-Orleans. – Nun Zeit wär's, daß er käme – hat wohl gewittert, daß unsere Baumwolle noch nicht verschifft ist – muß die Nachlese nun auch mitnehmen.«

Mit diesen leise vor sich hin gemurmelten Bemerkungen schritt er langsam an den, in regelmäßigen Reihen errichteten Negerhütten vorbei, dem Herrenhause zu, stieg die, zu diesem emporführenden hölzernen Stufen hinauf und stand im nächsten Augenblick neben dem eben Eingetroffenen.

»Alle Wetter!« rief er aber hier erstaunt aus – »Pitwell – wo zum Henker kommt Ihr her?«

»Duxon? – bei Allem was blau ist – hier in Louisiana?« entgegnete der also Angeredete, dem Overseer freundlich die Hand entgegenstreckend. – »Seht, so finden sich alte Freunde nach langen Jahren immer doch einmal wieder zusammen. Wo war's doch, daß wir uns zuletzt sahen?«

»Je weniger wir davon sagen desto besser,« lachte Duxon – »ich meines Theils habe wenigstens nie mit der Geschichte geprahlt.«

»Ach – jetzt erinnere ich mich« – lächelte Pitwell – »ja ja, hätte den Spaß bald vergessen; aber Unsinn, 's ist jetzt verjährt und der Mann längst –« er schwieg plötzlich still und warf seinem Gefährten einen schnellen, mißtrauischen Seitenblick zu. »Aber was macht Ihr jetzt?« lenkte er in ein anderes Gespräch ein, »haltet Ihr Euch etwa hier zu Euerm Vergnügen auf, wie die Loafer in der Kalebouse5 sagen?«

»Ich bin Overseer auf der Plantage.«

»Gutes Geschäft das?«

»So ziemlich – nährt seinen Mann.«

»Der Besitzer?«

»Mr. Beaufort.«

»Wie viel Ballen6

»Hundertachtzig.«

»Alle Wetter!« rief Pitwell erstaunt – »läßt sich mit dem Mann kein Geschäft machen? der muß ja Geld wie spanisch Moos haben –«

»Wenn Ihr Neger hättet – wir brauchen ein paar tüchtige Arbeiter und eine Dirne in's Haus; aber was Hübsches – der Alte kann die häßlichen Gesichter nicht leiden.«

»Neger? hm – die ließen sich vielleicht anschaffen; bis wann müßt Ihr sie haben?«

»Sobald als möglich!«

»Sind die Preise gut?«

»Das geht an; habt Ihr welche?«

»Hm – ja – aber apropos – wer waren die beiden Damen da oben auf der Gallerie? die Frau und Tochter vom Hause wahrscheinlich, eh?«

»Beiden Damen? 's ist nur eine Dame im Hause,« sagte der Overseer verächtlich – »das andere ist eine Indianerin, die sich auf Gott weiß welche Art hier eingeschlichen hat, und noch dazu merkwürdig stolz und spröde thut – das dumme Ding.«

»So? kann man denn diesen Mr. Beaufort gar nicht einmal zu sehen bekommen? ich möchte gern wissen, welche Art von Mann es ist, ehe ich ein Geschäft mit ihm mache – es handelt sich leichter.«

»Ihr könnt den Yankee nicht verleugnen,« lachte Duxon, »aber ich höre ihn die Treppe herunterkommen. Unter uns gesagt, geht ihm ein Bischen um den Bart mit seiner reizenden Plantage – mit den herrlichen Heerdeneinrichtungen und dergleichen. – Ihr versteht mich schon.«

»Danke – danke!« sagte der Fremde freundlich – »werde nicht ermangeln.«

Mr. Beaufort trat jetzt in's Zimmer, begrüßte den Gast und hieß ihn herzlich in seiner Wohnung willkommen. Bald hatte ihn dieser auch in ein sehr interessantes Gespräch verwickelt und er lud ihn ein, da überdies der Abend nahte, bei ihm zu übernachten, was von jenem bereitwillig angenommen wurde.

Beaufort, ein Mann in den Vierzigen und, wie schon erwähnt, der reichste Pflanzer am False River oder Fausse Riviere, gehörte mit zu jenen südlichen Geldaristokraten, welche das Menschengeschlecht nur in drei Gattungen eintheilen: in Pflanzer nämlich, in keine Pflanzer und in Neger. Die ersteren zerfielen dann freilich wieder in zwei Unterabtheilungen und zwar in solche, die über, und solche, die unter funfzig Ballen erbauten. Aus der ersten Klasse wählte er sich seinen Umgang. Die zweite Gattung – die Nicht-Pflanzer – betrachtete er nur als dazu erschaffen, dem Pflanzer seine verschiedenen Bedürfnisse zuzuführen, und die dritte, die Neger – verabscheute er wie ein ächter Creole. Selbst die fernsten Vermischungen, Mestizen und Quadroonen, waren ihm ein Gräuel, und er duldete sie nur in sofern um sich, als er sie zu seiner Bedienung bedurfte. Soweit ging dabei diese Verachtung der äthiopischen Race, daß er einst in New-Orleans sein Messer nach einem armen Teufel von Mestizen warf, den er in der Dunkelheit für einen ihm befreundeten Creolen angesehen hatte und mit ihm Arm in Arm durch mehre Straßen gegangen war. Die scharfe Klinge fuhr jedoch nur in den Schenkel des zum Tode Erschrockenen, ohne diesem weiteren Schaden zuzufügen.

Das zur Charakteristik Beaufort's. Sein Gast dagegen stach sowohl im Aeußern, wie in seinem ganzen Benehmen gar sehr und zwar keineswegs zu seinem Vortheil gegen den Pflanzer ab. Dieser war wohlbeleibt, von gesunder Gesichtsfarbe und hatte, den Stolz abgerechnet, ganz gutmüthige Züge; der Fremde dagegen sah bleich aus, mit grauen stechenden, aber lebhaften Augen, hoher Stirn und etwas gebogener Nase; doch that sein Blick nicht wohl – er streifte stets unruhig von einem Gegenstande zum andern, und sprang sicherlich im Nu ab, sobald er dem eines andern Auges begegnete. Ihre Unterhaltung war aber lebhaft; – Mr. Pitwell hatte viel gesehen, viel erlebt, verstand, wie es schien, den Baumwollenhandel aus dem Grunde und besaß selbst, seiner eigenen Aussage nach, am Alabama eine nicht unbedeutende Plantage.

So rückte die Zeit des Abendessens heran. Die Sonne war noch nicht untergegangen und der Tisch oben auf der Piazza, des kühlen Luftzugs und der freundlichen Aussicht über die Felder und benachbarten Plantagen wegen, gedeckt. Die Hängematte hing zurückgeschlagen an einem der Pfeiler, Gabriele aber lehnte sinnend daneben, und blickte auf die Straße hinaus, die dem Mississippi zuführte und auf welcher sie den Boten zurückerwartete. Saise saß zu ihren Füßen, hielt schmeichelnd ihre Hand gefaßt, an die sie die heiße Wange lehnte und – folgte den Blicken der Gebieterin und Freundin.

Die Schritte der Männer wurden jetzt auf der Treppe gehört.

»Er bleibt lange,« flüsterte Gabriele.

»Recht lange,« sagte Saise und sie fühlte plötzlich, wie der Freundin Augen auf ihr hafteten – aber sie begegnete ihnen nicht, sondern schmiegte sich nur inniger und fester an sie an.

»Saise – bist Du noch nicht beruhigt?« bat Gabriele – »fehlt Dir noch etwas? sieh nur wie feuerroth Du geworden.«

»Guten Abend, Ladies,« sagte die Stimme des Fremden.

»Um Gottes willen, Kind – was ist Dir? alles Blut flieht aus Deinen Wangen?« rief die Creolin erschrocken, die Veränderung in den Zügen der Freundin bemerkend.

»Guten Abend, Kinder,« wiederholte Mr. Beaufort – »Mr. Pitwell, meine Tochter und ihre Freundin, eine junge Indianerin. – Nun, Gabriele – ist Saise krank? was fehlt dem Mädchen?«

»Ich weiß in der That nicht, Vater – sie erblaßte eben; und zittert jetzt so heftig am ganzen Körper – Saise!«

»Ja,« flüsterte das schöne Mädchen, richtete sich empor, wandte sich gegen den Fremden um, blickte ihn einen Augenblick starr an und stürzte dann mit einem Mark und Bein zerschneidenden Schrei ohnmächtig zu Boden.

Gabriele, die wie ein Blitzesschlag die Wahrheit durchzuckte, warf ihr Tuch über das Antlitz der Freundin – aber es war zu spät – Pitwell, durch das sonderbare Benehmen aufmerksam gemacht, sprang, kaum wissend was er that, auf sie zu, riß das Tuch herunter und rief in höchstem Schreck und Staunen:

»Alle Wetter – meine ertrunkene Sklavin!«

»Eure was?« schrie Beaufort, mit wildem Satz herbeispringend – »Eure Sklavin? Mann, seid Ihr des Teufels? – das ist eine Indianerin, und die werden nicht verkauft.«

»Es ist falsch!« stöhnte Gabriele in entsetzlicher Seelenangst, den leblosen Körper der Unglücklichen unterstützend – »es ist eine teuflische Lüge – dies Mädchen ist den Ihrigen geraubt – ein niederträchtiges Bubenstück ist begangen – Saise ist so frei wie ich selbst – Ihr dürft Euch nicht an ihr vergreifen.«

»Ich fordere mein Eigenthum zurück,« sagte der Fremde finster, und griff zugleich in die Tasche, aus der er ein Paket zusammengebundener Papiere herausnahm. – »Hier ist ihr Kaufbrief,« fuhr er dann, sich gegen den Pflanzer wendend, fort – »ihr Vater war Indianer, ihre Mutter war Mulattin – seht nur ihr Haar an. Und daß es die rechte ist, dafür bürgt Euch, wenn nicht ihr jetziger Schreck, das hier verzeichnete Maal auf ihrer linken Schulter.«

Beaufort durchlief schweigend die Schrift und schritt dann auf Saise zu.

»Zurück, Vater – um Gottes willen zurück« – rief Gabriele in höchster Angst, »Du darfst den Worten jenes Mannes nicht glauben – sie sind falsch, bei dem ewigen Gott da oben.«

»Gabriele,« sagte der Vater freundlich, aber auch sehr ernst – »dies ist ein Geschäft, bei dem Du weiter keine Stimme hast; findet sich das Maal nicht, wie ich hoffen will, – denn den Galgen verdient das Ding, wenn es Niggerblut in den Adern hat und sich dabei untersteht, mit weißen Leuten an einem Tisch zu essen – so ist die Anklage überdies unbegründet; findet es sich aber, dann bleibt die Person keine fünf Minuten mehr unter meinem Dache, oder ich will nicht selig werden – Du weißt, daß ich mein Wort halte.«

»Vater – bei allen Heiligen beschwör' ich Dich – dieser Kaufbrief ist verfälscht – Saise hat mir Alles entdeckt – sie ist den Ihrigen schändlich geraubt – ihr Vater erschlagen, sie selbst fortgeschleppt. –«

»Märchen,« lächelte Pitwell kopfschüttelnd. »Haben Sie schon je einen weggelaufenen Nigger gesehen, mein Fräulein, der sich nicht irgend eine solche glaubwürdige Geschichte ausgedacht hätte?«

»Vater – Vater!« bat Gabriele, und versuchte ihn zurückzuhalten, er stieß sie aber jetzt unwillig bei Seite und rief:

»Nun wird's mir bald zu bunt – ich thue dem Ding ja Nichts; ist sie eine Indianerin, so ist sie so frei wie wir selbst, findet sich aber – ha – beim Teufel – das ist es – Mr. Pitwell –«

»Halt!« schrie Gabriele – deren Blick oft und ängstlich nach der nicht so fernen Straße hinübergeschweift war – »halt! dort kommt Mr. St. Clyde – warten Sie seine Ankunft ab, er kann, er darf das nicht zugeben.«

»Mr. St. Clyde soll zum Teufel gehen,« zürnte der alte Pflanzer – »hat sich der in die Rechte eines fremden Mannes zu mischen? Mr. Pitwell, das Mädchen ist die Ihrige, und meiner Tochter mag sie's danken, daß sie nicht noch vorher eine gehörige Anzahl Peitschenhiebe mitnimmt. Verdammt! ein Nigger, der so frech ist sein Fell zu verleugnen!«

»Wir können sie ja bis morgen früh in irgend eine der Negerhütten schaffen,« sagte Pitwell, auf sie zugehend und seine Hand nach der immer noch Bewußtlosen ausstreckend, »morgen früh« –

Die flüchtigen Schritte eines Mannes wurden auf der Treppe gehört.

»Mr. St. Clyde – zu Hülfe!« rief Gabriele in letzter Noth. In demselben Moment aber daß die Creolin diesen Namen ausstieß und der junge Mann in der Thüre erschien, schlug auch Saise die Augen wieder auf. Ein einziger Blick sagte ihr Alles – wenige Secunden lang barg sie ihr Antlitz an der Brust der Freundin, dann aber hob sie sich, von Gabriele gehalten, empor und schaute, die großen dunkeln Augen weit geöffnet, wild und leise zusammenschaudernd im Kreise umher.

»Um Gottes willen – was ist hier vorgefallen?« rief St. Clyde, indem er auf das zitternde Mädchen zusprang und es unterstützte – »was ist geschehen, Miß Beaufort?«

»Retten Sie Saise,« rief die Jungfrau – »retten Sie Saise vor jenem Buben.«

Der Fremde wurde leichenblaß und starrte wild umher.

»Gabriele!« rief aber der Vater, »jetzt hab' ich's satt – Mr. St. Clyde, überlassen Sie den Nigger sich selbst – es ziemt einem weißen Manne nicht –«

»Mr. Beaufort!«

»Allerdings – das Mädchen ist eine, diesem Gentleman entflohene Sklavin.«

»Das ist eine Lüge,« sagte Saise plötzlich, sich hoch und stolz emporrichtend; das Wort Nigger hatte ihr ihre ganze Kraft und Stärke wiedergegeben; sie fühlte, wie jetzt der Augenblick gekommen, vor dem sie so lange schon gebebt; aber gerade da er gekommen, hatte er auch all' sein Fürchterliches verloren. Ihre ganze Seelenstärke war zurückgekehrt und die Indianerin, die freie Tochter der Wälder in ihr erwacht. –

Aber vergebens erzählte sie jetzt mit klaren, überzeugenden Worten das ganze Bubenstück jenes Schurken, der lächelnd und achselzuckend daneben stand, vergebens rief sie Gott zu ihrem Zeugen an – sie war in Louisiana – ein weißer Mann hatte sie als seine ihm entflohene Sklavin reclamirt – das krause Haar sprach für seine Aussage, mehr aber noch und unantastbar fast der Kaufbrief und ihre darin genau verzeichnete Gestalt. War doch selbst vor nicht gar langer Zeit ein weißes Mädchen, mit blonden Haaren und blauen Augen, aber als die Tochter einer Mestize, hier öffentlich versteigert worden, und wenn diese selbst fast weiß sein mochte, blieb sie Sklavin; wie viel mehr nun eine Indianerin, deren braune Hautfarbe der Amerikaner überdies als der seinen untergeordnet hielt und nur wenig höher schätzte, als die äthiopische Race selbst.

Gabriele wollte, als alle Bitten nutzlos blieben, dem Fremden die Freundin abkaufen, dagegen aber protestirte St. Clyde und zwar mit einer Wärme, die, wenn sie nur aus reiner Menschlichkeit entsprang, ihm alle Ehre machte.

»Nein!« rief er, »nein – das hieße bekennen, sie gehöre zu jenem verachteten Stamm! rein und frei soll sie dastehen und wenn ich den Beweis dazu mit meinem Blute führen sollte. Mr. Pitwell, Sie werden diesen Parish nicht wieder verlassen, ehe Sie sich von der gegen Sie erhobenen Anklage gereinigt haben –«

»Wer klagt ihn an?« rief Beaufort auffahrend, »wer klagt ihn an, Sir? Ein Nigger – seine eigene Sklavin; sind Sie thöricht genug zu glauben, daß das Gericht auf solche Klage eingehen würde? Sie sollten die Gesetze des Staates besser kennen.«

»Ich selber klage diesen Mann an,« rief St. Clyde, »ich selber – nicht diese Unglückliche, die seinen Händen bis dahin nicht überliefert werden darf.«

»Das möchte Ihnen schwer werden durchzusetzen,« hohnlachte Pitwell, »glücklicherweise bin ich vertraut genug mit den hiesigen Gebräuchen. Sie können mich anklagen, aber mein Eigenthum dürfen Sie mir indessen nicht vorenthalten.«

»Herr, Sie müssen erst beweisen, daß Saise Ihr Eigenthum ist!« rief St. Clyde.

»Das ist bewiesen, Mr. St. Clyde!« entgegnete Beaufort kalt – »und jetzt würden Sie mich sehr verbinden, keine weitere Störung hier zu verursachen.«

»Mr. Duxon,« wandte er sich dann an den Overseer, der in diesem Augenblick in der Thür erschien, »haben Sie die Güte, diese entflohene Sklavin – und er deutete auf Saise – in einer der Negerhütten unterzubringen; Sie haften mir aber für ihre Sicherheit.«

»Saise?« rief Duxon erstaunt und wollte kaum seinen Ohren und Augen trauen – »Saise – ein Nigger? – Ei, da muß ja der Teu… –«

»Herr!« rief St. Clyde entrüstet.

»Um Gottes willen!« flehte Saise, seinen Arm ergreifend, »kämpfen Sie jetzt nicht gegen die Uebermacht an – wenden Sie sich an die Gerichte – die müssen mir helfen, ich stehe ja unter dem Schutz der Vereinigten Staaten. Mein Vater hat sein Land an diese abgetreten und sie haben versprochen, ihm beizustehen. Man soll mich nur so lange gefangen halten, bis ich einen Boten zu meinem Stamme schicken kann; Alle werden hierher kommen und Zeugniß für mich ablegen, daß ich die Tochter ihres Häuptlings bin. O, wenn mein Bruder nur wüßte –«

»Dazu braucht es keine Indianer,« lächelte Pitwell, »das kann ich selbst bezeugen; wer aber war Deine Mutter? Eine Mestize – steht es hier etwa anders geschrieben? Diese Mestize gehörte meinem Freund, von dem ich Dich gekauft, und wenn der Dich Deinem Vater so lange Jahre ließ, so geschah es bloß deshalb, daß er Dich erziehen sollte; seine Sklavin bist Du deshalb doch.«

»Meine Mutter war die Tochter eines Siouxhäuptlings,« rief Saise, sich stolz emporrichtend, »und wer das Gegentheil behauptet, lügt!«

Die Faust des alten Beaufort fällte die Unglückliche mit einem Schlage zu Boden.

»Was?« schrie er, »will das Niggerthier noch in meiner Gegenwart einen weißen Mann einen Lügner nennen? Ist's nicht genug, daß sie mich erst selber anlügen und zum Narren haben mußte?«

Er würde seine Worte kaum so unangefochten beendet haben, denn mit einem Racheschrei auf den Lippen sprang St. Clyde auf ihn zu, aber ihm entgegen warf sich Gabriele und beschwor ihn bei Allem, was ihm heilig sei, bei Allem, was er liebe, ihres Vaters zu schonen. Jetzt trat aber auch der Overseer dazwischen und rief dem jungen Manne trotzig zu:

»Herr St. Clyde, ich will Sie hiermit wohlmeinend gewarnt haben, keine überflüssigen Worte mehr zu reden. Die Mamsel steht von diesem Augenblick an unter meiner Wache und wer meine Nigger gegen mich in Schutz nehmen will, dem renne ich einen Fuß kalten Stahl in den Leib!« Und er zog, während er diese Worte sprach, sein schweres Bowiemesser unter der Weste vor.

Clyde war unbewaffnet, und wußte auch, wie die Gesetze einen Overseer oder Sklavenbesitzer schützen, wenn sich ein Fremder in ihre Angelegenheiten ungerufen mischt. Noch kürzlich war auf solche Art ein Abolitionist aus Ohio erschossen, ohne daß der Mörder mehr Ungelegenheiten als ein etwa viertelstündiges Verhör deshalb gehabt hätte; für jetzt mußte er also der rohen Gewalt weichen, aber retten wollte er Saisen, das schwur er sich, und wenn es sein eigenes Leben kosten solle.

»Mr. Beaufort,« rief er, sich noch einmal an den Pflanzer wendend, »Sie werden mir für die Mißhandlung dieser Unglücklichen Rede stehen; jetzt habe ich keine Macht, Ihrer Gewaltthat zu begegnen; thun Sie mit dem armen Mädchen, was Sie verantworten können, aber der ewige Gott da oben ist mein Zeuge, daß ich mich von jetzt an für Saisens Schützer erkläre, und die Gesetze des Staates müssen und werden mir beistehen. Leben Sie wohl, Fräulein Beaufort, und oh – verlassen Sie die Arme nicht – gönnen Sie ihr wenigstens den Trost, zu fühlen, daß sie nicht ganz allein auf der Welt steht.«

Der Overseer hatte indessen zwei Negern, die eben Handwerkszeug zum Hause schafften, heraufzukommen gewinkt und rief diesen nun zu: »Schafft das Mädchen da in Mutter Betty's Hütte hinunter, und Du, Ben, stehst Wache dabei, Dein schwarzes Fell bürgt mir für sie; ich zieh es Dir lebendig vom Leibe, wenn Du sie entwischen läßt.«

»Keine Furcht, Massa« – sagte der Neger grinsend, »aber welches Mädchen, De Lor' bleß you, ich sehe kein Mädchen zum mitnehmen, Missus Saise?«

St. Clyde sprang die Treppe hinab, schwang sich auf sein Pferd und sprengte mit verhängten Zügeln dem Mississippi zu; Gabriele bog sich schluchzend zu dem armen Kinde nieder und band ihr das eigene Tuch um die blutende Stirn, die beiden Neger aber starrten mit weit von einander gerissenen Lippen bald den Einen, bald den Andern an und konnten das Vorgefallene nicht begreifen, bis sie ihres Vorgesetzten erneuter Ruf und die drohend geschwungene Peitsche an die Erfüllung des gegebenen Befehls erinnerte. Sie hoben die Indianerin vom Boden auf und verschwanden mit ihr bald nachher in einer der niederen, gleichförmigen Negerhütten, die in langen, regelmäßigen Reihen, einer kleinen Stadt nicht unähnlich, das Herrenhaus umgaben. Gabriele zog sich auf ihr Zimmer zurück, die Männer aber – der Overseer wurde heute ebenfalls von seinem Prinzipal eingeladen zu Tisch zu bleiben – ließen sich an der Tafel nieder, und Beaufort schien mit dem eisigen Claret allen Aerger und Verdruß hinunterspülen zu wollen, bedankte sich aber, ehe er sein Lager suchte, noch einmal bei dem Fremden, daß er ihn und sein Haus von der Schande befreit habe, »verdammtes Niggerblut« neben Weißen zu beherbergen.

Mr. Pitwell hatte seine Schlafstelle angewiesen bekommen; da aber die Luft kühl war, wie er sagte, so zog er es vor, noch ein Viertelstündchen mit dem Overseer am Flusse auf- und abzugehen, stieg also mit diesem hinunter, und schritt zwischen einer Allee von China- und Tulpenbäumen hin, dem Eingang der Plantage zu, der durch eine dichte Feigen- und Orangenhecke beschattet wurde.

»Hört einmal, Pitwell« – sagte Duxon, hier stehen bleibend – »habt Ihr wieder einen von Euren alten Streichen ausgeübt, he? Ist das Mädchen ein Nigger oder ist's keiner?«

»Was geht's Euch an?« brummte Pitwell, sich ängstlich dabei umsehend – »es kann uns doch Niemand hier behorchen?«

»Keine Seele – aber kommt – Ihr müßt mir die Sache erzählen; verdammt will ich sein, wenn das mit rechten Dingen zugeht. Oh zum Henker, Mann, seid doch nicht so verschwiegen; von uns Beiden wird doch wahrhaftig keiner den Andern verrathen?«

»Nun gut, Ihr sollt Alles wissen, aber kommt fort von hier, ins Freie hinaus,« flüsterte Pitwell, »hier unter den Bäumen ist mir's so unheimlich und kommt mir immer vor, als ob mich Jemand behorchte.«

Die beiden würdigen Leute schritten mitsammen an das Ufer des Fausse Rivière und wanderten hier Arm in Arm herauf und herunter von der Plantage. Pitwell erzählte nun dem Freunde und Bundesgenossen aufrichtig den ganzen Hergang, erklärte ihm aber auch, daß er, trotz seiner Sicherheit, doch nicht abwarten wolle, bis der junge Laffe – St. Clyde – seine Drohungen wahr machen könne, sondern morgen mit dem Frühsten aufbrechen werde.

»Das trifft sich herrlich!« sagte der Overseer, »ich bin mit Beaufort ebenfalls in Abrechnung begriffen und kann Euch vielleicht, wenn Ihr nur noch ein oder zwei Tage bleibt, begleiten. Ueber die jetzige Nachlese läßt sich dann leicht ein ungefährer Ueberschlag machen. Mir gefällt's nicht mehr hier am Fluß, ich will nach Texas und eine eigene Plantage kaufen.«

»Wie? Schon so viel verdient? Das ist geschwind gegangen,« lachte der Fremde.

»Da müßte Einer ein gewaltiger Thor sein,« meinte der Overseer lächelnd, »wenn er auf einer solchen Pflanzung nicht in drei Jahren ein Capitälchen zurücklegen könnte.«

»Mir wär's recht, so lange zu warten,« sagte Pitwell, »aber ich kann nicht, ich muß machen, daß ich das Ding verkaufe; erstlich fühl ich mich hier nicht so recht sicher, und dann – hab ich sonst noch Arbeit. Das Wiederfinden hätte mir übrigens nicht gelegener kommen können; weiß nur der Teufel, wie das kleine Geschöpf dem Ersaufen entgangen ist; mit meinen eigenen Augen hab ich gesehen, wie es unterging, und noch dazu mit gebundenen Händen.«

»Die Indianer können schwimmen und tauchen wie die Fische;« lachte Duxon; »aber wißt Ihr was, Pitwell, ich kaufe Euch die Kleine ab?«

»Was – Ihr? – Aber jener Creole?«

»Mag zum Teufel gehen, ich übernehme jede weitere Verantwortung.«

»Und kauft Ihr sie so, wie ich sie verkaufen kann?« frug vorsichtig der Yankee, »wollt Ihr den Verlust tragen, wenn die Indianer kämen und sie als die Tochter ihres Häuptlings reclamirten?«

»Ja gewiß,« rief spöttisch der Overseer, »aber dafür muß ich sie auch billig haben – ich gebe Euch zweihundert Dollar.«

»Hallo – das ist zu wenig – bedenkt, das Mädchen ist achthundert werth.«

»Wenn ich Euch im Stiche lasse, keine funfzig Cent,« höhnte Duxon.

»Nein, Mann, zweihundert ist bei Gott zu wenig, da ließ ich es doch lieber selber darauf ankommen; gebt mir drei und sie ist Euer!«

»Topp – kommt mit in mein Haus, schreibt den Kaufbrief auf mich über und nehmt das Geld in Empfang.«

»Und glaubt Ihr, daß ich noch, ohne Gefahr zu laufen, ein paar Stunden hier verweilen kann?«

»Ein paar Jahre, wenn Ihr wollt; hab ich erst einmal das Mädchen, so soll sie mir ganz Louisiana nicht mehr entreißen können; die Gesetze müssen in allen Sklavenstaaten auf meiner Seite sein, und es giebt dann nichts Gefährlicheres auf der Welt, als ihnen, gerade in diesem Punkt, widerstreben zu wollen. Kommt, Pitwell, in zehn Minuten muß die schöne Indianerin mir gehören, und morgen schon mache ich meine Anrechte auf sie geltend; nachher kann ihr ganzer Stamm kommen und schwören – mir gleich.«

Die beiden Männer schritten eilig in das zwischen den Negerhütten stehende, und sich nur durch ein höheres Dach und eine Galerie von diesen unterscheidende Haus des Overseers zurück, und schlossen dort den beredeten Handel ab. Pitwell empfing das Geld und Saise wurde dem Overseer als alleiniges und rechtmäßiges Eigenthum überschrieben. Beaufort selbst sollte am nächsten Morgen seinen Namen als Zeuge daruntersetzen.

St. Clyde hatte indessen sein Pferd mit Sporen und Peitsche so angetrieben, daß es, als er vor des Richters Thür in Point-Coupee anhielt, ein paar Secunden lang hin und her schwankte und dann, matt und aufgerieben, wie es war, zusammenbrach; ohne es aber auch nur eines Blickes zu würdigen, flog er die Treppe hinauf, stürzte in des Richters Zimmer und rief diesen, ihm mit wenigen Worten die Frevelthat erzählend, um Beistand an.

Der Richter war ein wackerer Mann, streng rechtlich und in der Ausübung seiner Pflicht menschlich, aber gar bedenklich schüttelte er mit dem Kopfe, als er von dem nach Form Rechtens ausgestellten Kaufbriefe hörte. Er kannte die Gewalt, die ein solches Schreiben hatte.

»Junger Mann,« sagte er nach langer Pause, während er sinnend, den Kopf in die Hand gestützt, zu dem Creolen aufschaute, »das ist eine böse Sache. Erstlich scheint es mir freilich, als ob Sie das Ganze ein bischen zu romantisch ansähen, dann aber, wäre auch wirklich Alles so, wie Sie es schildern, so sehe ich doch nicht ein, auf welche Art es gehoben werden könnte; wir dürfen nicht gegen die Gesetze handeln und wenn wir wirklich den festen Glauben hätten, dem armen Mädchen geschähe Unrecht.«

»Aber Sie werden doch nicht zugeben, daß eine freie Indianerin aufgegriffen und verkauft wird?« rief St. Clyde erzürnt, »dasselbe könnte ja jedem Weißen begegnen, wenn sich zwei Buben vereinigten, einen Kaufbrief über ihn zu schreiben und zu schwören, daß seine Mutter eine Mestize gewesen sei.«

»Das nun wohl nicht,« lächelte der Richter; »ehe ein Weißer verkauft würde, müßten gewaltige Beweise vorliegen, daß er wirklich aus Negerblut abstamme; aber Sie dürfen auch nicht allen solchen Erzählungen weggelaufener Neger glauben; großer Gott, die lügen Ihnen manchmal das Blaue vom Himmel herunter.«

»Wär es denn nicht möglich, die Indianerin den Händen jenes Mannes zu entziehen, bis man Zeugen aus ihrem Stamm herbeischaffen könnte?«

»Bester Freund, der Stamm lebt an die sieben bis achthundert Meilen von hier entfernt, Mr. Beaufort selbst hat sie über vierhundert Meilen den Fluß heruntergebracht; nein, da könnten ja nur alle derartigen, Indianern ähnliche Personen, wie zum Beispiel Mulatten und Mestizen, behaupten, es flösse rein indianisches Blut in ihren Adern, und uns dann ersuchen, nach den Eskimos hinaufzuschicken und Zeugen herunter zu holen. Nein, das geht nicht. Hätten wir aber auch wirklich die Zeugen hier, so sind das immer nur – Indianer. Das Gescheidteste wäre, Sie kauften das Mädchen, wenn Ihnen wirklich so viel daran liegt, als mir vorkommt.«

»Kaufen?« rief St. Clyde mit schmerzdurchbebter Stimme, »kaufen? – und sie ist dann wirklich Sklavin? Ist denn kein Ausweg, die Unglückliche von dieser Schande zu retten?«

»Ich fürchte – nein – auf jeden Fall aber wäre dies das Sicherste, sie doch wenigstens für den Augenblick zurückzuhalten. Vielleicht läßt sich jener Fremde auch bewegen, vorher nur einen Theil der Zahlung zu nehmen, und man kann dann sehen, was weiter in der Sache zu thun ist; was sagen Sie dazu?«

»Ach, bester Richter,« seufzte der junge Creole wehmüthig, »Sie wissen recht gut, daß ich arm bin. Mein einziges Pferd ist mir eben gestürzt, und ich werde kaum Geld genug übrig behalten, mir ein neues zu kaufen. Wie sollte ich die Summe auftreiben, die jener Bube für Saise fordern wird?«

»Hören Sie, St. Clyde, ich will Ihnen einen Vorschlag machen, ich selbst will das Mädchen kaufen und bei mir behalten; haben Sie sich das Geld verdient – so – überlaß ich sie Ihnen.«

»Kaufen und immer nur kaufen!« stöhnte der Creole.

»Nehmen Sie meinen Vorschlag an,« sagte der Richter herzlich, »sie soll in meinem Hause wie eine Tochter behandelt werden.«

»Gut denn, es sei,« rief St. Clyde, »ich muß mich fügen; es rettet sie ja wenigstens für den Augenblick; dann aber schaffe ich die Zeugen ihrer freien Geburt und wenn ich sie aus den Eisregionen des Nordens herunterholen müßte.«

»Es wird Ihnen nicht viel helfen; wollen Sie übrigens schlechterdings nach jenem Stamme einen Boten haben, so kann ich Ihnen zufällig die Anweisung geben, den zu finden. Heute Morgen waren sieben oder acht Indianer aus dem Parish West-Feliciana, von drüben über dem Mississippi, hier in Point-Coupee; sie haben Hirschfleisch verkauft und dafür Pulver, Blei und Whisky mit hinüber genommen.«

»Von welchem Stamme waren sie?«

»Wahrscheinlich Chocktaws, von denen halten sich stets einige hier in der Nähe auf. Doch erst bringen Sie den Handel in Richtigkeit; denn ist dem wirklich so, wie Sie glauben, und hat der gute Mann kein recht reines Gewissen, so wird er sich schwerlich lange in der hiesigen Nachbarschaft aufhalten, sondern seine Beute in Sicherheit bringen wollen. – So – hier dieses Papier geben Sie nur an Mr. Beaufort, er mag den Kauf für mich abschließen; meine Frau ist doch jetzt ganz allein und kennt die Indianerin auch schon, die Beiden werden sich sicherlich recht gut vertragen.«

»Doch, bester Richter, ich muß ein anderes Pferd haben; können Sie mir ein's verkaufen?«

»Was wollen Sie d'ran wenden?« frug dieser; denn ein Amerikaner läßt nie eine Gelegenheit ungenutzt vorüber, wo er hoffen darf einen Pferdehandel zu machen.

»Vierzig Dollar bleiben mir, das Nothwendigste abgerechnet, über.«

»Gut – ich schaffe Ihnen ein Pferd, aber heute Abend können Sie unmöglich noch fort.«

»Gleich! –«

»Unsinn, verderben Sie sich jetzt ihr Spiel nicht selbst durch Ihre Hitze; Abends acht Uhr hat der alte Beaufort seine Ladung Claret und geht zu Bett; erstlich ist es nachher ein Ding der Unmöglichkeit, ihn munter zu bringen, und geläng es Ihnen wirklich, so möchte ich die Laune sehen, in der er sich befindet. Vor neun Uhr morgen früh ist er nicht zu sprechen, und reiten Sie um acht Uhr hier fort, so treffen Sie ihn gerade beim Frühstück – das ist die beste Zeit. Uebrigens habe ich Beaufort ersucht, die Zahlung drei Tage zu verzögern und Saise indessen an sich zu nehmen; vielleicht gelingt es mir doch noch, sie zu retten. Ich will morgen mit Beatty, einem unserer besten Advokaten hier, sprechen; giebt es eine Art und Weise, auf welche wir die Identität der Häuptlingstochter beweisen können, so wird der sie schon ausfinden.«

Von neuen Hoffnungen erfüllt, ließ sich St. Clyde endlich durch die Gründe des Richters bewegen, auf seine Vorschläge einzugehen und die Nacht bei ihm zuzubringen. Als er aber am nächsten Morgen mit dem Brief, der Saise aus den Klauen jenes Buben retten sollte, auf der breiten Straße dahinsprengte, da ward er es sich erst selbst so recht bewußt und klar, wie er jenes unglückliche Mädchen liebe und wie es für ihn auf dieser Welt keinen weitern Frieden gebe, als den, den er an ihrer Seite finden konnte. Wohl war er arm und hatte Nichts, als seine eigene Kraft und Ausdauer; die Tochter der Wälder aber, an Entbehrungen von Jugend auf gewöhnt, würde sich wohl schwerlich zu dem civilisirteren Leben der Ansiedlungen zurückgesehnt haben, wenn er ihr wirklich, wie er es hoffte und glaubte, nicht gleichgültig war; nur erst frei mußte sie sein, frei wieder, wie der Vogel der Luft und der Hirsch der Prairie, und diese Angst von ihr genommen werden.

Zu schnellerem Trab spornte er sein wackeres Thier an, als er des armen Mädchens gedachte, und unter den hohen, schattigen Magnolien flog er rasch und fröhlich dahin. Endlich erreichte er die Ansiedlungen des Fausse Riviere, durch das kleine Städtchen sprengte er mit verhängten Zügeln – an Plantage nach Plantage brauste er vorbei – schon war er am »Poydras-College« vorüber und dort – dort schimmerte ihm jetzt das hohe, glänzende Dach aus dem grünen, schwellenden Laub entgegen. Er hatte die Orangenhecke erreicht, sprang vom Pferd, hing den Zügel desselben über einen alten, halbverdorrten Feigenbaum und flog die Stufen hinauf, wo er wußte, daß Mr. Beaufort allmorgendlich sein Frühstück halte.

»Hallo, St. Clyde,« rief ihm dieser freundlich entgegen, »das ist hübsch von Euch, daß Ihr wiederkommt, ich war gestern Abend ein bischen brummig, aber der verdammte Nigger hatte mich so geärgert. Nun, kommen Sie her – dahinten steht noch ein Stuhl – Scipio, Canaille, kannst Du nicht aufpassen, wenn Gentleman einen Stuhl sucht,« unterbrach er sich dann selbst, um einem kleinen, bei Tisch aufwartenden Negerknaben vorher diese freundliche Ermahnung zukommen zu lassen.

St. Clyde blickte ängstlich in dem Raum umher, in dem sonst zu dieser Zeit Gabriele und Saise nie gefehlt hatten.

»Sie suchen meine Tochter?« frug Beaufort, den Blick bemerkend – »ist nicht recht wohl heute Morgen, läßt sich entschuldigen.«

»Und – und Saise!«

»Hören Sie, St. Clyde,« sagte der alte Beaufort, sein Messer niederlegend, »wenn wir gute Freunde bleiben sollen, so verderben Sie mir mein Frühstück nicht und lassen Sie die alte Geschichte ruhen. Die Sache ist abgemacht.«

»Abgemacht? Um Gottes willen, wie? Ist Saise fort?«

»Noch nicht, aber nun thun Sie mir den Gefallen und setzen Sie sich. Der Claret ist ausgezeichnet und das Beefsteak vortrefflich.«

»Mr. Beaufort, ich habe diesen Brief vom Richter an Sie abzugeben; er läßt Sie dringend bitten, seinem Wunsche zu willfahren!«

»Schön,« sagte Beaufort, das Schreiben, ohne es weiter anzusehen, unter den Teller schiebend, »wollen's nachher einmal untersuchen.«

»Es hat Eile, Mr. Beaufort, es hängt das Glück eines Lebens davon ab,« bat St. Clyde.

»Nun hab' ich's bald satt,« rief Beaufort halb lachend, halb ärgerlich; »glauben Sie denn, ich ließe der ganzen Welt zu Gefallen, mein Beefsteak kalt und den Claret warm werden? Was nicht bis nach dem Frühstück Zeit hat, bleibt ganz, das ist mein Sprichwort, und nun setzen Sie sich, sonst werd' ich ernstlich böse.«

St. Clyde sah wohl daß hier keine weiteren Vorstellungen halfen, er ließ sich also neben dem Pflanzer nieder, aber nicht möglich war es ihm einen Bissen über die Lippen zu bringen; ein paar Gläser Wein trank er, sein kochendes Blut abzukühlen, und ging dann unruhig in der von Blumen und Blüten durchdufteten Galerie auf und ab. Mr. Beaufort beendete indessen sein Frühstück in aller Behaglichkeit, schlürfte noch langsam den letzten Rest Wein hinunter, wischte sich dann den Mund ab, lehnte sich ein wenig im Stuhl zurück und sagte mit einem tiefen Athemzug:

»So – jetzt wollen wir ein bischen hinuntergehen und zusehen, wie –«

»Aber der Brief –«

»Ach ja so – den hätt' ich beinahe vergessen, nun, was schreibt denn der Richter – Lieber Freund – interessire mich – da ich dringend bedarf – Frau allein – bitte Sie herzlich mir – Saise – beim Himmel wieder der verwünschte Nigger – anzukaufen – Unsinn, kommt zu spät – wichtige Ursachen – Auslieferung zu verschieben – Unsinn, kommt zu spät, sag ich – ungemein verbinden – vollkommenste Hochachtung und Freundschaft – ja, thut mir leid – kommt zu spät –«

»Aber Sie sagten ja erst vor wenigen Secunden, daß Saise noch nicht fort sei? Wie ist es da möglich?«

»Mein Overseer hat sie gekauft,« entgegnete ihm Beaufort, sich die Zähne stochernd; »jetzt wenden Sie sich an den und lassen Sie mich mit der Sache ungeschoren – ich hab' es satt, noch länger mit dem Geschöpf geplagt zu werden.«

»Aber, Mr. Beaufort, was um des Heilands willen hat Sie nur gegen die Unglückliche so hart machen können? Sie behandelten sie ja doch bis jetzt immer mehr wie ein Vater, als ein Fremder.«

»Das ist es eben, Herr!« rief der alte Pflanzer entrüstet – »das ist es eben; die Schande vor allen meinen Niggern erleben zu müssen; glauben Sie denn nicht, daß sich die Schufte halb todt lachen, weil ihr Herr mit einem von ihrer Race so lange an einem Tisch gegessen hat?«

»Wenn aber nun Saise wirklich aus rein indianischem Blute entsprossen wäre und Sie, ohne es zu wissen, ein Bubenstück unterstützt hätten?« frug St. Clyde, den alten Mann fest ins Auge fassend, »wenn nun jener Fremde mit schurkischen Genossen und der Hülfe eines Richters diesen Kaufbrief geschmiedet hätte und durch Sie eine Unglückliche, die Sie bis jetzt für ihren zweiten Vater hielt, in namenloses Elend gestoßen wäre?«

Beaufort sah den jungen Mann einen Augenblick starr an, dann aber schüttelte er ärgerlich mit dem Kopf und rief:

»Thorheit – Unsinn – kommen Sie da mit einem ganzen Packet voll wenn und aber und – zum Donnerwetter, Herr – lassen Sie mich jetzt mit ihren Lamentationen zufrieden, die Dirne ist verkauft – ich habe den Brief selbst unterzeichnet und damit basta. – Gehen Sie zum Overseer, wenn Ihnen so viel d'ran liegt, mit funfzig Dollar Profit wird er sie wieder ablassen – oder – gehen Sie lieber einmal ins Feld und schicken Sie ihn mir herauf, ich habe etwas mit ihm zu sprechen.«

Der alte Mann schritt ins nächste Zimmer und warf ärgerlich die Thüre hinter sich ins Schloß. Aber nicht mehr auf den jungen Creolen zürnte er, sondern auf sich selbst; zum ersten Mal wurde jetzt der Gedanke in ihm wach, daß er doch wohl zu voreilig gewesen und sich von seinem Jähzorn zu sehr habe hinreißen lassen. Das Geschehene ließ sich freilich nicht mehr ungeschehen machen, aber versuchen wollte er nun, ob er es nicht wenigstens verbessern könne. Er gedachte Saise zu kaufen und dann nachzuforschen, ob wirklich schwarzes Blut in ihren Adern rolle; bis dahin konnte sie ein kleines Haus für sich beziehen, und brauchte mit ihm und seiner Tochter nicht in Berührung zu kommen.

Eine Stunde später stand Duxon mit Pitwell wieder am Ufer des Flusses.

»Pitwell,« sagte der Erstere, »ich glaube doch, es ist besser, wir brechen schon morgen auf; den alten Beaufort scheint die Sache zu wurmen – er wird bedenklich.«

»Sollte er etwas merken?« frug Pitwell ängstlich.

»Ein Wunder wär's nicht,« knirschte Duxon zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch, »der Laffe war ja wieder hier und hat ihm wahrscheinlich in den Ohren gelegen. Denkt nur, er wollte mir die Dirne wieder abkaufen.«

»Wer? Mr. Beaufort?«

»Ja – Beide – erst der Gelbschnabel und dann, wie ich zum Herrn kam, dieser selbst. – Er hatte, während ich mit ihm sprach, einen Brief in der Hand, und meinen Hals wollt ich verwetten, daß er vom Richter war. Da ich nun hier manche Kleinigkeit an der Kreide habe, so sehe ich gerade nicht ein, weshalb wir noch länger zögern sollten. Als ich ihm die Indianerin nicht verkaufen wollte, lief ihm wieder, wie gewöhnlich, die Galle über die Leber und er sagte, ich möchte in einer Stunde zu ihm kommen und mit ihm abrechnen, die Gelegenheit will ich benutzen; eine so schnelle Abrechnung erspart überhaupt manches Unangenehme. Meine übrigen Angelegenheiten kann ich alle bis morgen früh geordnet haben; bis dahin haltet Ihr Euch auch fertig; in vier Tagen müssen wir in Texas sein.«

»Gut!« sagte Pitwell nachsinnend, »aber, Duxon, wir gehen dann in Gesellschaft – ich – ich habe noch einige Freunde, die mich hinter Fischer's Landung erwarten – Ihr – Ihr macht Euch ja doch wohl nichts daraus, ein wenig schnell zu reisen?«

Duxon sah ihn scharf von der Seite an und frug nach kleiner Pause: »Darf ich dann aber auch wissen warum?«

»Und gebt Ihr mir Euer Ehrenwort, daß Ihr schweigen wollt?« flüsterte Pitwell, sich vorsichtig umschauend.

»Braucht Ihr mein Ehrenwort dafür?« lächelte der Overseer.

»Nun, ich sehe, Ihr versteht mich, Duxon,« fuhr der Yankee leise fort; »ich habe wieder ein kleines Geschäft im Gang, gerade so wie wir es damals betrieben. Ein reicher Pflanzer, vom andern Ufer des Mississippi, will seine Sklaven gern nach Texas schaffen, da sie in Louisiana zu vielen Werth für andere Leute haben, und er bezahlt mir hundert Dollar für den Kopf. Unterhalb Waterloo sind wir gestern morgen übergesetzt, und mit Hülfe zweier Gefährten habe ich sämmtliche Neger, hundert und funfzehn Mann, in den zwischen Fischer's Laden und dem Cutoff liegenden Sumpf gebracht – saht Ihr die drei, die heute Morgen hier vorbeizogen? Das waren die letzten. Sie haben sämmtlich falsche Pässe. Jetzt wißt Ihr Alles und seid Ihr gescheidt, so schließt Ihr Euch nicht allein an uns an, sondern nehmt Euch auch noch ein paar – Begleiter mit. Hat denn Beaufort gar keine Neger, denen das Leben in Louisiana nicht länger gefällt? Ihr könnt ihnen ja sagen, es ginge in ein besseres Klima.«

»Das wohl,« murmelte Duxon, in tiefem Sinnen vor sich hinstarrend; »aber Pitwell, die Sache hat einen andern und zwar sehr bösen Haken. Daß wir glücklich fortkommen, daran zweifle ich keinen Augenblick, für Waffen werdet Ihr auch schon gesorgt haben, doch – wenn sich Texas nun an die Vereinigten Staaten schließt, wie es überall heißt, wie dann? Dann liefert uns die Regierung aus.«

»Du lieber Gott,« lachte Pitwell, »wenn die Regierung darauf eingehen wollte, alle die auszuliefern, die irgend etwas verbrochen haben, wer sollte denn da das Land bebauen, Heerden ziehen oder gegen die Mexikaner und Cumanches fechten? Nein, Duxon, laßt Euch darüber keine grauen Haare wachsen, davor sind wir sicher. Das wissen die wackern Burschen auch recht gut, sonst hätten sie ja nie selbst für einen Anschluß an die Union gestimmt.«

»Ich glaube, Ihr habt Recht,« sagte Duxon, »auf keinen Fall dürfte es schwer halten, weiter westlich zu ziehen, wo uns weder Texas, noch Onkel Sam7 etwas anhaben kann; beistehen wird uns, sollte es so weit kommen, Mancher.«

»Sieben Achtel von Texas,« lachte Pitwell.

»Nun gut denn, es sei; ist dem aber so, dann brechen wir morgen früh lieber vor Tagesgrauen auf, so daß wir etwa um zehn oder elf Uhr Alle beisammen sind. Verfolgung brauchen wir von hier aus nicht zu fürchten, denn Beaufort steht nicht so früh auf und ich werde schon dafür sorgen, daß er die Fehlenden irgendwo beschäftigt glauben soll. Wird aber Saise gutwillig mit uns gehen?«

»Ist das eine Frage von einem Overseer; habt Ihr keine Peitsche?«

Duxon lächelte und sagte höhnisch: »Ihr scheint nicht zu verstehen, wie man mit Damen umgeht; doch – ich habe ein anderes Mittel, ich nehme unsere kleine Gig und fahre. Als Entschuldigung mögen die Zurückbleibenden nachher dem Herrn sagen, natürlich nicht eher, als er darnach frägt, ich hätte meine Sachen an Fischer's Landung geschafft, wo stets Boote anlegen. Aber Pest und Gift, ich wollte doch heute bei meiner kleinen – Frau bleiben und werde nun bis morgen früh zu rennen und zu laufen haben, daß ich nicht weiß, wo mir der Kopf steht. Nun beim Teufel, in Texas kann ich's ja nachholen, hahaha, sie wird wohl nicht böse darüber werden.«

»Schwerlich!« sagte Pitwell trocken; »also jetzt an's Werk – habt Ihr Waffen?«

»Zwei Büchsen, ein Bowiemesser und drei paar Pistolen – Ihr wißt, ein Overseer muß immer eine kleine Burg aus seinem Haus machen können.«

»Gut, wenn Ihr einen Wagen nehmt, so mögt Ihr nur das Alles mitbringen – solche Sachen sind immer nützlich; aber dort kommt der junge Laffe die Allee herunter, der sich so gewaltig um die Indianerin anstellt. Die Dame vom Haus ist bei ihm; wie heißt sie?«

»Gabriele, ein prächtiges Mädchen, schade, daß Ihr keinen Kaufbrief auf die fabriciren könnt, die nähme ich auch.«

Der Yankee warf ihm einen warnenden Blick zu und ging, um nicht weiter mit dem Overseer zusammen gesehen zu werden, am Fluß hinauf, während jener sein Pferd satteln ließ und auf's Feld hinausritt, dort eine gewisse Anzahl Neger aussuchte und diesen befahl, ihre Aexte zu nehmen, um an einem etwas entfernteren Theil des Waldes, den er ihnen bezeichnen würde, Holz zu fällen. Bald darauf verschwand er mit ihnen in dem die Plantage begrenzenden Sumpfland.

St. Clyde und Gabriele schritten neben einander dem Flusse zu.

»Um Gottes willen, Sir!« sagte die Jungfrau, als sie sich der äußeren Einfriedigung näherten, »was ist Ihnen? Sie scheinen in fürchterlicher Aufregung, so habe ich Sie nie gesehen.«

»Ich muß fort,« flüsterte der junge Mann, die bleiche Hand fest gegen die heiße, fieberglühende Stirn gepreßt – »ich muß fort – muß Hülfe haben. Erst seit dieser unglückseligen Katastrophe fühle ich, wie ich –« er schwieg und wandte sich ab –

»Wie Sie Saisen lieben,« flüsterte Gabriele mit leiser, tonloser Stimme und blickte starr zu dem Creolen auf, »nicht wahr, St. Clyde – Sie – Sie lieben die Indianerin.«

»Ja, Miß Beaufort – ja – warum sollt ich es Ihnen auch verschweigen,« sagte da plötzlich St. Clyde, der stehen blieb und fest in die Augen der erbleichenden Jungfrau schaute, »warum sollt ich mich, Ihnen gegenüber, scheuen es zu gestehen. Sie waren der Unglücklichen Freundin, so lange sie unter Ihrem Schutze stand – Sie sind selbst gegen mich, den fremden, heimatlosen, armen Wanderer immer nur gütig und liebevoll gewesen – Ihnen will ich vertrauen und Sie werden mich auch, so weit es in Ihren Kräften steht, unterstützen.«

»Gewiß – gewiß,« sagte mit kaum hörbarer Stimme Gabriele – »aber – aber, wenn nun Saise – doch eine – eine Negerin wäre? Wenn nun – ach Gott – zürnen Sie mir nicht, ich weiß nicht, was ich rede; nein, nein – Saise ist frei – muß frei werden und – glücklich.«

Sie barg ihr Angesicht in den Händen und die hellen, klaren Thränentropfen quollen zwischen den zarten Fingern hindurch.

»O, Miß Beaufort!« rief St. Clyde gerührt, »Sie sind so gütig gegen die Unglückliche, wie werde ich Ihnen das je danken können?«

Gabriele sammelte sich gewaltsam. »Was wollen Sie thun – was ist Ihr Plan?« frug sie schnell; »wie glauben Sie Saise retten zu können, da Sie mir selber sagten, jener Bube habe sie an Duxon verkauft und dieser sich mit meinem Vater überworfen. Was können Sie gegen jene Elenden ausrichten, die die Gesetze auf ihrer Seite haben?«

»Nichts mehr durch die Gesetze,« sagte St. Clyde mit unterdrückter Stimme – »Alles ohne sie. Der Richter hat mir gestern gesagt, daß am Mississippi ein Trupp von Chocktawjägern lagere, die müssen mir beistehen; kann ich sie nicht dadurch gewinnen, daß sie eine Tochter ihrer eigenen Race von Sklaverei retten sollen, sind sie so verderbt, daß selbst das keinen Eindruck mehr auf sie macht, dann steht mir ein anderes, für sie kräftigeres Mittel zu Gebote – der Whiskey. Ein Grenzindianer ist ja durch Whiskey zu jeder Schlechtigkeit zu bewegen, warum nicht auch einmal zu einer guten That – es ist das letzte Mittel.«

»Aber die Gefahr, der Sie sich aussetzen?«

»Gefahr? Giebt es denn eine Gefahr, wo ich nur sterben kann? Nein, Miß Beaufort – ohne Saise, wenn ich sie glücklich wüßte, hätte ich vielleicht leben können; mit dem Gefühl aber, daß sie, dem entsetzlichsten Verderben preisgegeben, in schmachvollen Fesseln schmachten, die freie Tochter der Wälder eine Sklavin – nein – nein – Leben wäre da Wahnsinn. – Aber ich muß fort – die kostbare Zeit verfliegt – Duxon hat sich mit Ihrem Vater gezankt und will fort; die ganze Ansiedlung spricht davon, wie er ihn betrogen und sich in den wenigen Jahren, die er hier sei, ein Vermögen gewonnen, er wird deshalb nicht säumen, das in Sicherheit zu bringen, und geht er zu Schiffe, vielleicht nach New-Orleans, dann wäre es unmöglich, den Einzelnen in der ungeheueren Stadt wiederzufinden. Doch jetzt meine Bitte, wollen Sie sich Saisens annehmen?«

»Wie kann ich es?« erwiederte mit ängstlich gefalteten Händen Gabriele – »Sie ist Duxon's Eigenthum.«

»Ich weiß es, aber Sie haben vielen Einfluß auf Ihren Vater, selbst auf jenen Buben; es ist die Gewalt, die stets die Tugend über das Laster übt, die Scheu, die der Böse dem Guten gegenüber nicht überwinden kann. Dringen Sie darauf, daß Saise ihm heute noch nicht ausgeliefert werde, oder daß sie, wenn Sie das nicht verhindern können, diese Nacht noch bei Ihnen, oder wenigstens unter dem Schutze jener alten Negerin zubringe.«

»Sie wollen sie entführen?« frug Gabriele bestürzt.

»Nein,« sagte St. Clyde düster, »ihr Kaufbrief würde in den Händen jenes Buben, Saise aber in dem Gedanken daran stets elend bleiben; nein – ich muß den Brief in meine Gewalt bekommen; die Gesetze wollen mir nicht beistehen, so mag Gott es thun. Versprechen Sie Saisen so lange zu beschützen?«

»Ja,« flüsterte Gabriele und reichte ihm mit abgewandtem Antlitz ihre Hand – »und Sie wollen?«

»Saise retten oder – sterben,« erwiederte fest der junge Creole.

»Und dann – wenn Sie – wenn Saise die Ihrige ist? –«

»Such ich ein fernes Land, wo nicht Menschen wie Thiere verkauft und mißhandelt werden; ich stamme aus Frankreich – meine Familie soll zu den edelsten des Landes gehören; dorthin kehre ich zurück.«

»Mit Saise?«

»Mit meinem Weibe.«

»So leben Sie wohl, St. Clyde, leben Sie wohl; möge Gott Sie schützen und schirmen!«

Sie rief's und eilte schnellen Schrittes zum Hause zurück. Auf der Stelle aber, wo sie gestanden, lag die weiße Rose, die noch eben an ihrer Brust geruht. St. Clyde hob sie auf, küßte sie, barg sie an seinem Herzen, eilte dann zu seinem Pferd, schwang sich in den Sattel und sprengte in schnellem Galopp die Straße am Strom hinauf. Dort aber angelangt, hielt er sich nicht länger auf, als nöthig war die gewöhnliche Flatbootfähre in Stand zu setzen, um ihn und sein Roß ans andere Ufer zu bringen, und bald schwamm das kleine Boot, von vier rüstigen Armen getrieben, auf der breiten Fläche des gewaltigen Stromes dem östlichen Ufer zu.

»Sind gestern Indianer auf dieser Fähre übergesetzt?« frug er nach einer Weile den älteren der Beiden, der der Eigenthümer des Fahrzeugs zu sein schien.

Dieser sah ihn an und lachte.

»Nein,« sagte er, »habt Ihr schon einmal davon gehört, daß sich ein Indianer auf einer Fähre übersetzen läßt? ich nicht; das Geld können sie besser gebrauchen; dafür giebt's Whiskey, und wo das rothe Volk für den Zweck einen Cent ersparen kann, da quält es sich lieber tagelang auf seine eigene Art – das heißt nicht etwa mit Arbeit.«

»Also sie sind nicht hier herüber?« frug St. Clyde erschreckt.

»Doch, allerdings,« entgegnete ihm der Jüngere, »nur nicht auf der Fähre – sie saßen Alle in zwei kleinen Canoes, die sie mit von drüben herübergebracht, und ließen ihre Pferde am Zügel oder Stricken hinterherschwimmen.«

»Und glaubt Ihr, daß ich sie finden werde?«

»Ich sollte nicht denken, daß es schwer halten wird. Sie hatten, wie mir Ben sagte, der von oben herunterkam, eine große Menge Whiskeyflaschen bei sich, und da sind sie heute wahrhaftig nicht mehr auf die Jagd gegangen. Ein kleines Stückchen weiter oben landeten sie, und wenn Ihr Euch nur zu dem Haus dort, was Ihr da durch die Weiden und Baumwollenholzbäume schimmern seht, bemühen wollt, so denk ich, werden sie Euch da wohl auf die rechte Spur bringen.«

Das Boot legte sich in diesem Augenblick am Ufer an, St. Clyde führte sein, vorsichtig mit den Hufen nach festem Grund suchendes Pferd hinaus, drückte dem Jüngeren, der ebenfalls ans Land gesprungen war, um mit dem Tau die Fähre zu halten, das Ueberfahrtsgeld in die Hand, schwang sich in den Sattel und trabte rasch dem nicht fernen niederen Wohngebäude zu, das, dicht am Fluß errichtet, für den Augenblick noch von hohem üppigen Waldwuchs umgeben war, aus welchem aber der neue Ansiedler gerade die künftigen Mittel seiner Existenz – Klafterholz für Dampfboote heraushauen wollte.

Der Backwoodsman stand in der Thür.

»Guten Tag, Sir,« rief ihm St. Clyde entgegen, »habt Ihr Nichts von den Indianern gesehen, die gestern, unfern von hier, übersetzten?«

Jener horchte, ohne ein Wort auf die Frage zu erwiedern, in den Wald hinein und verharrte in dieser Stellung wohl mehre Minuten. St. Clyde jedoch, der glauben mochte, daß er seine Frage ganz überhört habe, wiederholte dieselbe und bat um Antwort. Wie aus Stein gehauen blieb aber der Amerikaner stehen, bis der junge Mann endlich ein ungeduldiges »aber Sir« nicht länger zu unterdrücken vermochte.

»Könnt Ihr einen Mann finden, wenn er im Walde sitzt und schreit, was aus der Kehle will?« kam jetzt die Gegenfrage, das ziemlich sichere Zeichen des Neuengländers.

»Wenn ich nahe genug bin, es zu hören, warum nicht?« rief der Creole unmuthig; »aber ich frug Euch, ob Ihr die Indianer –«

»Dort, drin im Walde schreien sie,« sagte der Amerikaner trocken und deutete mit seiner kurzen, aus Schilf geschnitzten Tabackspfeife einen schmalen Kuhpfad entlang, der gerade in das Dickicht hineinlief.

»Die Indianer?« frug St. Clyde erstaunt.

»Ahem!« nickte jener und fuhr dann, ohne des Fremden weiter zu achten, mit Rauchen fort. Der Creole aber, der jetzt einen Augenblick in den stillen Wald hineingelauscht hatte, glaubte ebenfalls wild verworrene Töne zu hören, rief dem Manne einen kurzen Dank zu und sprengte, so schnell es ihm das ziemlich dichte Unterholz gestattete, auf das Toben zu, das immer lauter und deutlicher zu ihm herüberschallte. Nach kurzem Ritt erreichte er eine Waldblöße, dicht am Rande eines kleinen seeartigen Sumpfes, der durch die Ueberschwemmung des Mississippi zurückgeblieben und noch nicht ganz wieder ausgetrocknet war, und sah hier ein so pittoreskes als eigenthümliches Schauspiel vor sich.

Auf dem üppigen Grasboden ausgestreckt, von einem Halbkreis glimmender, qualmender Feuer umgeben, deren Rauch über sie hinzog und dazu dienen sollte, die unzähligen auf sie einstürmenden Musquitos abzuhalten, Manche mit, Andere ohne ihre Jagdhemden, jeder aber eine ziemlich geleerte Whiskeyflasche in der Hand, lagen jubelnd und schreiend, alte Schlacht- und Kriegslieder und neu gelernte französische und englische Melodien mehr brüllend als singend, sieben rothhäutige Jäger unter den riesenhaften, himmelanstrebenden Baumwollenholzbäumen der Niederung und der Eine, der der Führer der Bande und noch am nüchternsten zu sein schien, hatte zum Tactstock sein spitzes Scalpirmesser genommen, und stach damit fortwährend in ziemlich regelmäßigen Zwischenräumen in den grünen Rasen, auf dem er, das Antlitz den luftigen Wipfeln zugekehrt, lag, während ihn die Uebrigen nicht allein mit ihren Stimmen, sondern auch, ziemlich Alle in derselben Stellung oder Lage, mit Hacken und Faust accompagnirten; jeder natürlich seiner eigenen ohrenzerreißenden Melodie dabei folgend.

Der Führer der Bande entdeckte, wie es schien, den Fremden zuerst; ohne sich aber weiter zu regen, als nöthig war, ihn mit einem flüchtigen Blick von oben bis unten zu messen, hielt er ihm, während ein mattes, trunkenes Lächeln seine Züge überflog, die Flasche entgegen und stammelte:

»Hier – Fremder – hier – trin – trinkt einmal!«

»Großer Gott!« stöhnte St. Clyde, erschüttert auf die halbbewußtlosen Gestalten der Wilden blickend, »großer allmächtiger Gott – sind das die Menschen, von denen ich mir Hülfe versprach? – Verloren – verloren – Alles – Alles verloren!«

Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen und saß mehre Secunden lang in stillem, sprachlosem Schmerz versunken.

»Trinkt – dam it,« rief der Führer noch einmal – »denkt Euch zu gut mit Indian aus einer Flasche zu trinken, mit armen Indian, eh? Armer Indian ist großer Häuptlings Sohn – go to Hell!« Er sank wieder zurück an die Wurzel des Baumes und begann seinen Gesang von Neuem.

Der Creole sprang vom Pferde und schritt mit untergeschlagenen Armen und fest auf den Boden gehefteten Blicken neben den trunkenen Jägern auf und ab, während der wilde Führer mit gläsernen stieren Augen zu dem grünen Waldesdom emporblickte und die Verse eines indianischen Schlacht- oder Siegesliedes sang:

Ich erschlug den Häuptling der Muskokee;

Sein Weib – dort am Stamme verbrannt' ich sie,

Und bei den Hinterbeinen darauf

Hing ich den Lieblingshund ihm auf.

 Huh – huh – huh, vom Muskokee

 Wah, wah, wah, den Scalp hier sieh!


Bei dem Namen der Muskokee blieb St. Clyde lauschend stehen – er wußte, daß die Riccarees, selbst noch in letzterer Zeit, manche blutige Schlacht mit diesem Stamme geschlagen hatten; aber auch die Chocktaws und Muskokees bekämpften sich – das Kriegslied mußte von diesen sein; dennoch wandte er sich an den jungen Häuptling und sagte:

»Welchem Stamm gehörst Du an, bist Du ein Chocktaw?«

Der Indianer sang, ohne die Frage zu beachten, weiter –

Ich streift' ihm den Schädel ganz nackt und baar,

Und hier ist sein Scalp, mit der Scalplockehaar,

Sein Fleisch ist in des Panthers Magen,

Seine blutigen Knochen die Wölfe nagen,

 Huh, huh, huh, vom Muskokee,

 Wah, wah, wah, den Scalp hier sieh!


»Bist Du ein Chocktaw, Indianer?« frug der Creole jetzt dringender, indem er sich zu ihm niederbog und die Hand auf seine Schulter legte; »rede – bist Du ein Chocktaw?«

Der Wilde murmelte einen nur halbverständlichen Fluch und fuhr fort:

Seine Sehnen brauch ich zur Bogenschnur,

Wenn ich folge der einzelnen Feinde Spur,

Und es zittert der weibische Muskokee,

Wie ein Rohr im Orkan, vor dem Riccaree

 Huh, huh, huh, vom Musko –


»Was beim Teufel habt Ihr?« unterbrach er sich da plötzlich selbst, als St. Clyde, bei der Nennung jenes Stammes überrascht, mit dem Ausruf freudigen Erstaunens: »Ha! Riccaree! – Ihr seid ein Riccaree!« emporzuckte.

»Ihr seid ein Riccaree?« wiederholte er dann nach kurzer Pause noch einmal.

»Nun gut – was soll's?« war die kurze Antwort des Indianers, der sich indeß bestrebte, die durch die Unterbrechung verlorene Melodie wiederzufinden, während er gedankenlos dazu mit den Füßen auf dem Grasboden trommelte.

»So müßt Ihr mit mir kommen und ein Kind Eures Stammes retten, das sich in dringender Gefahr befindet.«

»Mein Stamm ist in Missouri,« murmelte der rothe Sohn der Wälder und summte dann wieder leise vor sich hin:

Seine Sehnen brauch ich zur Bogenschnur,

Wenn ich folge der flüchtigen Feinde Spur –


»Aber sie haben es geraubt!« rief St. Clyde in Verzweiflung. »Mensch, hat denn dieser teuflische Whiskey Deine ganzen Sinne verbrannt, daß Du kein Mitleiden, kein Gefühl mehr hast?«

»Keinen Whiskey mehr hast?« wiederholte mit lallender Zunge der Jäger – »nein – nichts mehr, nur ein bischen – gebt welchen.«

»Ha,« sagte der Creole, von einem glücklichen Gedanken ergriffen, »Du sollst Whiskey haben, ein ganzes Faß voll, aber komm jetzt mit mir und stehe mir bei.«

»Faß voll Whiskey?« murmelte der Indianer, sich halb aufrichtend – »ganz Faß voll?« Der Gedanke war zu großartig für ihn, er vermochte nicht ihn auf einmal zu fassen. Das Chor der Gefährten brach zuletzt wieder in einen so brüllenden Schlachtschrei aus, wobei sie mit den Armen wild in der Luft herumfochten, daß ein alter Alligator, der sich kaum hundert Schritte von ihnen entfernt auf einem im Wasser schwimmenden Stamme sonnte, erschreckt emporsah und dann geräuschlos in das ruhigere Element zurückglitt.

»Faß voll Whiskey?« wiederholte der Indianer nach langer Pause. »Viel Whiskey das – kommt!« und er versuchte sich, wenn auch vergebens, emporzurichten.

Der Creole unterstützte ihn nun zwar und brachte ihn mit genauer Noth dahin, daß er aufrecht stehen blieb; was aber half ihm das? Was sollte er mit dieser bewußtlosen Masse von Gier und roher Sinnlichkeit beginnen? War das der Mann, der ihm helfen konnte die Geliebte zu befreien? Er ließ ihn los und der junge Häuptling taumelte, mit auf die Brust gesenkter Unterkinnlade, an den nächsten Baum an.

»Arme Saise!« seufzte St. Clyde.

»Ais?« stammelte der Indianer mit schwerer Zunge – »Ais? Wer spricht von Nedaunis-Ais? Sie ist todt – Whiskey will ich – Whiskey!«

»Whiskey!« jubelte die Bande, die das letzte laut ausgestoßene Wort vernommen – »Whiskey, hupih!«

»Nedaunis-Ais? Du kennst sie?« rief der Creole und sprang auf den Taumelnden zu.

»Laßt mich oder ich stoße Euch Eisen in Leib,« knurrte der Wilde – »dam you

»Nedaunis-Ais lebt,« donnerte aber Jener, die Drohung nicht achtend, fort – »sie lebt und Du sollst mir helfen, sie zu retten –«

»Lebt? retten? wo?« rief der Trunkene, jetzt augenscheinlich bemüht, den klaren Sinn der Worte zu fassen, während seine starren Augen fest auf dem Fremden hafteten.

Mit kurzen Worten erzählte nun St. Clyde dem aufmerksam Lauschenden die Geschichte der Indianerin, während dieser mit fest gegen die Schläfe gepreßten Händen dastand und jede Sylbe von seinen Lippen sog. Endlich aber, als er anfing zu begreifen, um was es sich handele, und als das Schicksal der Unglücklichen in klareren, entschiedneren Farben vor ihm auftauchte, da faßte er, von Grimm und Wuth entbrannt, die Flasche, die, noch immer ein Drittheil gefüllt, neben ihm lag und schmetterte sie mit wildem Wurf gegen den nächsten Stamm.

»Gift – Gift – Gift!« schrie er dabei – »die Schwester verkauft und ich trunken – Gift – Gift, der Weißen Feuerwasser – Gift – Whiskey!«

»Whiskey! hupih!« jubelten die von der Schaar, die noch Besinnung genug übrig behalten hatten, die letzten Worte zu verstehen.

»Aber, halt – halt!« rief der junge Indianer plötzlich, indem er sich die langen, schwarzen Haare aus der Stirn strich, »noch ist nicht zu spät – noch ist Zeit« – und sein Jagdhemd und seine Leggins abwerfend, sprang er mit einem Satz von dem, an dieser Stelle mehre Fuß hohen Ufer in das Wasser hinab, tauchte mehrmals unter und kam dann ans Land geschwommen. Hier lief er, ohne sich die Mühe zu nehmen, seine Sachen erst wieder anzuziehen, in den Wald hinein, aus dem er nach kaum einer Viertelstunde auf dem Rücken eines kleinen schnaubenden Poneys zurückkehrte. Seine Kleider und Waffen waren bald zusammengerafft und fast eher noch, als der Creole sein Pferd besteigen konnte, winkte er ihm schon zu folgen.

»Aber Deine Kameraden,« sagte St. Clyde jetzt, »was können wir zwei allein ausrichten!«

»Komm,« sagte der Sohn der Wälder, »komm; willst Du bis morgen bleiben, um sie mit lallender Zunge sprechen zu hören – mehr Whiskey – mehr Whiskey? Es sind Chocktaws – ich muß fort – Du kommst mit – wir zwei genug –«

Er wartete gar keine weitere Antwort seines Begleiters ab, sondern sprengte mit verhängten Zügeln dem Mississippi zu, warf sich hier noch einmal in die Flut, die Wirkung des Feuertranks zu vernichten, und holte dann, nachdem er seine wenigen Kleidungsstücke wiederangelegt, ein verborgen gehaltenes Canoe aus dem Gebüsch. St. Clyde mußte sich in die Mitte desselben setzen, und an beiden Seiten eines der Pferde mit dem Zügel unterstützen, während er selbst das Boot schnell und geschickt über den breiten reißenden Strom ruderte.

So lange aber war St. Clyde, zuerst von dem Indianer und dann durch das Ueberfahren aufgehalten worden, daß die Sonne schon unterging, als sie eben das westliche Ufer erreichten, und der Creole mußte nun die Leitung übernehmen, und führte den so zufällig gefundenen Bruder Saisens zu dem Richter. Unterwegs erzählte ihm dabei Wetako, der Name des Riccaree, daß er damals seine entführte Schwester verfolgt und den schändlichen Räuber auch eingeholt und erschlagen habe, vergebens aber war sein Monate langes Umherstreifen gewesen, eine Spur der Geraubten selbst zu finden, die durch die teuflische List jenes Buben seinem rettenden Arm entzogen worden. In Verzweiflung darüber hatte er sich endlich einer Schaar von Chocktaws angeschlossen, die in den Wäldern Louisianas jagten und das erlegte Wild in die benachbarten kleinen Städte schafften. Durch Lebensüberdruß und Schmerz aber gleichgültig gegen Alles gemacht, was er sonst hoch und theuer hielt, ergab er sich dem Trunk und folgte dabei nur dem Beispiel seines ganzen unglücklichen Stammes.

Das doppelte Bad und der jähe Schreck der theils freudigen, theils schlimmen Nachricht von dem Leben und der Noth seiner Schwester hatte aber jede Spur von Rausch verdrängt; der Indianer, der kalte, besonnene Wilde war wieder in ihm erwacht, und mit schnellem Blick übersah er die Gefahren, die das Wesen, das er auf Erden am meisten liebte, bedrohten. Zwar kannte er nicht die Gesetze der Weißen, aber er wußte, wie schwer, ja wie für einen Indianer fast unmöglich es sei, etwas zurückzuerhalten, auf das sie erst einmal ihre Hand gelegt, und schien auch von vorn herein gar keinen andern Gedanken gehabt zu haben, als Saise durch List oder Gewalt zu retten; beides galt ihm gleich, so es nur zum Ziele führte.

Dunkele Nacht war's, als sie das Haus des Richters endlich erreichten; wichtige Veränderungen schienen aber in den wenigen Stunden vorgegangen. Von den Grenzen des nördlich liegenden Mississippistaates herüber hatten sich einzelne Constabel eingefunden, die einen Pflanzer wie seinen Helfershelfer verfolgten. Bis nach Waterloo mußten die Flüchtigen auch zusammengeblieben sein, von da an schienen sie sich aber getrennt zu haben, und zwei der Nachgesandten jagten am Ufer des Flusses hinab, dort alle Anstalten zu treffen, ihre weitere Flucht aufzuhalten, während die Uebrigen der allerdings stärkeren Spur stromauf folgten, um die Entflohenen wo möglich daran zu verhindern, sich in das Innere des Landes zu wenden und die texanische Grenze zu erreichen.

Des Richters Verdacht aber, dem ebenfalls Meldung geworden, war augenblicklich auf den Fremden gefallen und er hatte noch spät am Nachmittag Boten an den Fausse Riviere gesandt, um diesen jetzt, nicht wegen der Indianerin, sondern als Ausrede auf den Verdacht hin mit jenen Negerdieben im Bunde zu stehen, verhaften zu lassen. Dadurch hoffte er zu gleicher Zeit der Wahrheit auf die Spur zu kommen, ob Saise Sklavin oder nur schändlich ihrem Stamme geraubt sei.

St. Clyde drang nun darauf, einen Aufschub der Auslieferung Saisens zu erhalten, wozu sich der Richter jetzt ebenfalls gern bereit zeigte, nur mußte dazu die Rückkunft des Deputysheriffs erwartet werden, da der Obersheriff stromauf, die beiden Constabel aber stromab beschäftigt waren, und der Creole sah sich zu seinem größten Verdruß gezwungen, dessen Ankunft zu erharren. Zwar erbot er sich, das Schreiben selber mit hinüber zu nehmen; das wäre aber nicht rechtskräftig gewesen und der Richter vertröstete ihn damit, wie die wenigen Stunden sicherlich keinen Unterschied machen würden, da er ja trotzdem noch mit Tagesanbruch an dem Fausse Riviere sein und das arme Mädchen vor dem Fortschleppen in die Gefangenschaft bewahren könne. Aber der Deputysheriff kam nicht – Stunde auf Stunde warteten sie und ängstigten sich, und der Richter rief endlich verdrießlich:

»Die Pest über den Burschen – ich werde mich noch gezwungen sehen darauf anzutragen, daß der Sheriff diesen liederlichen Fritz Haydt entläßt; es ist gar nichts mehr mit ihm anzufangen; er trinkt sich voll, läßt sich von den Mulattinnen an dem Fausse Riviere zum Narren haben und versäumt dann seine Pflicht.«

»Ich will ihm entgegengehen,« bat St. Clyde, »vielleicht zögert er unterwegs –«

»Das würde Ihnen wenig helfen,« meinte der Richter, »denn wenn er zögert, so finden Sie ihn nicht, seine Vergnügungsörter hält er ziemlich geheim. Kommt er aber nicht bis morgen früh, so reite ich selbst mit Ihnen hinüber und dann machen wir die Sache gleich zusammen ab.«

In Angst und peinlicher Erwartung verbrachten sie die Nacht, und nur der Riccaree konnte nicht begreifen, weshalb sie eigentlich zögerten, und wollte fortwährend aufbrechen, die Schwester zu befreien und zu rächen.

Da – es mochte zwei Uhr vorüber sein und das Schweigen der Frösche verkündete den nahenden Morgen – klopfte etwas mit heftigen Schlägen an die Thür der Wohnung; der wachthaltende Sklave öffnete, und die Treppe herauf stürmte nicht der Deputysheriff, sondern der Constabel, mit wenigen Worten jetzt meldend, daß, sicherer Kundschaft zufolge, jener Pitwell der besoldete Entführer der sämmtlichen Plantagenneger sei, und auch an dem Fausse Riviere nicht mehr gefunden werden könne. Aber Beaufort's Overseer müsse ebenfalls mit ihm unter einer Decke stecken, denn auch er sei, wahrscheinlich gewarnt, mitten in der Nacht nebst der erst angekauften Indianerin aufgebrochen, die ihm aber keineswegs gutwillig gefolgt, sondern in einer gewöhnlichen Negerkette forttransportirt wäre.

»Wah! –« rief Wetako, von der Erde emporspringend, auf der er niedergekauert bis jetzt gesessen hatte – »fort – fort – wir müssen fort.«

Auch St. Clyde griff nach seinem Hut und wollte ihm folgen; der Richter trat ihnen aber in den Weg und bat sie noch einen Augenblick zu verweilen. Dann stellte er ihnen vor, wie sie durch Gewalt wenig oder gar nichts ausrichten könnten, bis nicht eine hinlängliche Anzahl von Pflanzern versammelt sei, die ihnen dann gemeinschaftlich folgen müßten; das würde aber natürlich wenigstens bis morgen Mittag dauern, und er wolle sie deshalb zugleich bitten, ihre Kräfte mit denen seiner Constabels zu vereinen, um alle Pflanzungen so schnell wie möglich von dem Vorfall in Kenntniß zu setzen. Werde die Rettung auch dadurch um wenige Stunden verzögert, so sei sie aber auch mit so viel mehr Gewißheit vorauszusehen. – Davon wollte aber weder der Creole noch der Indianer hören.

»Nein,« rief der Letztere, »Nedaunis-Ais in Ketten, und Wetako mit Messer und Büchse auf der Spur – wir wollen fort!«

»Um Gottes willen – begeht keinen Mord!« rief der Richter ihnen erschrocken nach – »Ihr kennt unsere Gesetze nicht – lebenslange Kerkerstrafe wäre die Folge.«

Der Indianer lächelte grimmig vor sich hin, als er die Worte hörte.

»Warum sperrt Ihr denn den Panther nicht ein, der Nachts Eure jungen Pferde raubt?« höhnte er – »Wetako ist ein Mann und seine Fährten sind tief. Folgt ihm, wenn Ihr könnt!«

Er sprang rasch in den Sattel, der Creole ebenfalls, noch einen Gruß warf der Letztere zu dem dabei auch ihn ängstlich warnenden Richter hinauf, und fort flogen sie in gestrecktem Galopp die Straße entlang und dem Orte zu, von wo aus der Overseer aufgebrochen, um dort zuerst die Spur aufnehmen zu können.

Schon rötheten die ersten Sonnenstrahlen das dunkelgrüne Laub der rauschenden Cypressen, als die Reiter Beaufort's Plantage erreichten; hier war aber Alles in Aufruhr. Aus fast sämmtlichen benachbarten Ansiedlungen hatten sich die Pflanzer, mit Doppelflinten, Messern und Harpunen bewaffnet, eingefunden und eine Abtheilung sollte schon, wie St. Clyde hörte, vorausgesprengt sein, die Flüchtigen wenigstens aufzuhalten. Die beiden Männer verweilten aber kaum lang genug hier, nur das Nothwendigste zu erfahren, frugen schnell, welchen Weg die Gig des Overseers genommen, und stürmten dann wie dunkele Rachegötter hinterdrein.

Eben diese Gig war aber die Ursache gewesen, daß man auf der Plantage, früher als es Duxon gehofft, Verdacht schöpfte, da er seine Sachen noch an demselben Tage, unter der Adresse eines texanischen Handelshauses und mit einem gerade dort anlegenden Dampfboot, nach Houston gesandt hatte. Einzelne der Neger, die er sonst stets grausam und unmenschlich behandelt, meldeten dem Herrn ihre Vermuthungen, wie auch, daß eine gewisse Anzahl ihrer Mitsklaven, von denen die meisten des Overseers Spione gewesen, ebenfalls vermißt würden und allem Anschein nach entflohen wären.

Duxon war überdies noch am vorigen Tage genöthigt gewesen, seine neuangekaufte Sklavin in der Obhut der alten Negerin zu lassen, da Gabriele fest darauf bestanden, und er durch zu starres Weigern Verdacht zu erregen fürchtete. Dies hielt in der Nacht seine Flucht auf, die er, durch einen Boten Pitwell's gewarnt, beschleunigen mußte, und so kam es denn, daß er, noch mehre Meilen von dem Versammlungsort entfernt, die gut berittenen Verfolger in voller Hetze hinter sich hörte. Kaum vernahm er aber die nachdonnernden Hufe auf der hartgetretenen Straße, als er, schnell das Bett eines kleinen, ebenfalls trockenen Baches benutzend, von dem Wege abbog. Die Neger waren nämlich schon auf Pferden, die sie ihrem Herrn oder den Nachbarn geraubt, der ihnen bezeichneten Gegend zugesprengt, und Duxon hatte gehofft sie schnell genug einholen zu können. Für den Augenblick gelang ihm auch diese Kriegslist vollkommen, denn die Pflanzer, wenig damit vertraut einer Fährte zu folgen, bemerkten die Abweichung der Wagenspuren nicht eher, bis es zu spät war, und folgten dann der ihnen durch die Neger selbst verrathenen Richtung, weil sie nicht umkehren wollten, die Zeit zu versäumen. Am Versammlungsort mußten sie ja später doch Aller habhaft werden.

Duxon nun, mit jedem Fußbreit Landes in diesen Waldungen und Sümpfen vertraut, wußte, daß er, wenn er dem Rande eines kleinen Dickichts folge, eine ziemlich offene Holzung finden und nur mit den hindernden Wurzeln der Cypressen zu kämpfen haben würde. In kaum einer Viertelmeile von da durchschnitt aber eine andere, ebenfalls nach dem Cutoff8 hinaufführende Straße den Sumpf, und sobald er diese erreichte, mußte ihn das aus der Spur aller Verfolger bringen.

Auf einen Widerstand aber hatte er nicht gerechnet, auf den Saisens. So lange er sich nämlich in der Straße hielt, gab die Unglückliche noch immer nicht die Hoffnung auf, von dem Geliebten, denn auch sie hing mit ganzer Seele an dem jungen Creolen, eingeholt zu werden; jetzt aber, als sie sich, nur von den rauschenden Bäumen des Waldes umgeben, ganz in der Gewalt des Menschen fand, den sie, seit sie ihn zum ersten Mal gesehen, auch gefürchtet und verabscheut hatte, da glaubte sie ihr Schicksal besiegelt, und versuchte nun mit verzweifelter Anstrengung ihre Ketten zu zerreißen und sich zu befreien.

»Sitz' still, zum Teufel!« brummte der Overseer, ohnedies nicht in der besten Laune, »oder ich klopfe Dir den Peitschenstiel auf den Schädel, daß Du Dich ruhig verhältst – hörst Du?«

Saise hielt einen Augenblick erschöpft inne, dann aber, auf's Neue ihre letzte Kraft versuchend, gelang es ihr, wenn auch nicht ihre Ketten, doch die Bande zu zerreißen, die ihre Hände niederhielt. In demselben Augenblick befreite sie sich auch von dem Knebel, den ihr der Bube der Vorsicht wegen angelegt hatte, und stieß nun, von Angst und Verzweiflung getrieben, einen Hülfeschrei aus, der so laut und plötzlich in die Ohren des vor die Gig gespannten Poneys dröhnte, daß dieses entsetzt zur Seite prallte und waldeinwärts rannte. Duxon aber, durch den Hülferuf Saisens ebenfalls erschreckt, konnte ihm nicht schnell genug in die Zügel fallen, ja diese entglitten sogar seiner Hand, und im nächsten Augenblick schnellte auch schon das leichte Fuhrwerk mit einem Rad an einer der Cypressenwurzeln hinauf und schlug, den Herrn wie seine Sklavin in ein benachbartes Dickicht schleudernd, um.

Zorn und Rache im Blick sprang der Bube empor, das Poney nahm aber zuerst seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch – die Gig enthielt Alles, was er an Vermögen besaß, und wenn ihm das Pferd entlief, war er verloren. Dem wild Stampfenden fiel er daher rasch in die Zügel, riß es auf die Hinterbeine zurück, daß sich der weiße Schaum mit dem Blut des wundgerissenen Maules vermischte, und richtete dann, während das erschreckte Pferd zitternd stille stand, mit riesiger Kraft die Gig wieder empor.

Nun aber wandte sich auch seine ganze Wuth gegen die Ursache dieses Unfalls, denn Saise, von dem Sturz erst fast betäubt, hatte sich jetzt wieder gesammelt und ließ auf's Neue den gellenden Hülferuf erschallen.

»Donner und Tod!« schrie er, flog auf die Zurückspringende zu und führte mit der umgekehrten und mit Blei gefüllten Peitsche einen Schlag nach ihrem Kopfe, der ihr denselben zerschmettert haben würde, wenn er sie traf; die gefesselten Arme aber emporhebend, fing sie den Streich auf, der an den Kettengliedern unschädlich niederstreifte.

Duxon wollte den Schlag wiederholen, da tönte, wohl noch in weiter Ferne, aber klar und deutlich ein scharf ausgestoßener, wilder Laut durch den stillen Wald – er hielt ein, um zu horchen, Saise aber schien in diesem Augenblick wie aus Stein gehauen, so starr und regungslos blickte sie nach jener Gegend hin, von woher der Ruf geklungen.

»Ha, da kommen ihrer mehr, aber sie sind auf der Straße,« murmelte der Overseer vor sich hin; »Pest und Gift, die Sache wird gefährlich; komm, mein Täubchen, und sei jetzt vernünftig, der erste Schrei, den Du wieder ausstößt, ist Dein Tod!« Und mit den Worten bückte er sich, ergriff das einer Statue ähnliche Mädchen und wollte sie in das wieder geordnete Fuhrwerk tragen; bei seiner Berührung erwachte aber auch in dieses das, durch jenen Ruf fast erstarrte Blut; mit aller Gewalt, deren sie fähig war, schwang sie die leichte Kette, die ihre Handgelenke gefesselt hielt, empor und schlug sie gegen den Kopf ihres Räubers nieder, daß dieser sie halbbetäubt losließ und zurücktaumelte. Wieder aber erschallte da lauter und dringender als zuvor der Hülferuf der Unglücklichen, und Duxon, jetzt, durch Schmerz und Wuth zum Aeußersten getrieben, hörte kaum das antwortende und näher kommende Signal, als er auch sein breites Messer aus der Scheide riß, auf die entsetzt Zurückzuckende lossprang und ihr mit fest auf einander gebissenen Zähnen den scharfen Stahl in die Brust stieß.

Zum Tode getroffen taumelte Saise nieder in das gelbe Laub, Duxon aber flog mit wilden Sätzen zum Wagen, riß eine große Brieftasche heraus, die er unter seiner Weste barg, schnitt die Stränge des Poneys durch, warf sich die Doppelflinte auf die Schulter, sprang auf das Pferd und verschwand im nächsten Augenblick im Dickicht.

Kaum hatten sich aber hinter ihm, auf der einen Seite des kleinen freien Platzes die Büsche geschlossen, als auch schon an der anderen zwei Reiter auf schäumenden Rossen hervorbrachen, doch hier, wie von einem Blitzstrahl getroffen, entsetzt in ihre Zügel griffen. Sie hielten mehre Secunden an. Während sich dann aber der Eine mit wildem Schmerzesschrei aus dem Sattel und neben dem blutenden Körper des holden unglücklichen Mädchens niederwarf, hob sich der Andere auf dem Rücken seines Thieres zu seiner vollen Höhe empor und lauschte mit wild stieren, glanzlosen Augen in den Wald. Plötzlich mußte ein fernes Geräusch sein Ohr getroffen haben, denn ohne die Ermordete weiter eines Blickes zu würdigen, stieß er dem ängstlich vor dem Geruch des Blutes zurückschaudernden Thier die Hacken in die Seite, setzte mit diesem über das im Wege stehende Gig hinweg und folgte, lautlos zwar, aber mit Tod und Verderben sprühenden Blicken dem flüchtigen Mörder.

Keine Sylbe kam über die zitternden Lippen, keinen Blick verwandte er von der Spur in der weichen Erde, rasch, mit dem Zügel des Pferdes in der einen, der Büchse in der andern Hand, flog er dahin durch den dichten Wald, und kaum konnte er fünfhundert Schritte gesprengt sein, als er den Feind ansichtig wurde, der eben damit beschäftigt war, einen der in dem Gebüsch hängen gebliebenen Stränge loszuhauen, was seine Flucht kurze Zeit aufgehalten.

Duxon schaute sich um und erkannte in der reißend schnell näherkommenden Gestalt einen Indianer, war aber im ersten Augenblick wirklich ungewiß, ob oder ob er nicht einen Feind in ihm zu fürchten habe, denn er selbst hatte nie mit Nachkommen jener wilden Stämme verkehrt und wußte, daß sie sich selten dazu hergeben, die Streitigkeiten der Weißen untereinander auszufechten. Als aber eben der Gedanke an die gemordete Jungfrau, die ja auch jenem unglücklichen Volke angehörte, sein Hirn durchzuckte, sah er, wie der junge Indianer seinen Zweifeln schon ein Ende machte, denn er hielt plötzlich sein Pferd an, hob die Büchse, und der rothe Feuerstrahl zuckte durch das geheimnißvolle Dunkel des Urwalds.

Der Overseer fühlte sich verwundet, aber ihm blieb keine Zeit zum Nachdenken, der Rächer brauste heran. Zwar hob er selbst jetzt das Doppelrohr, diesen niederzuschießen, der vorausgeschleuderte Tomahawk traf jedoch seinen linken Ellbogen, und wenn sein Schuß auch in demselben Augenblick dem Rohr entfuhr, so erhielt doch dies dadurch eine falsche Richtung; nur einzelne Schrote streiften Wetako's Schulter und ehe der sich seiner Schuld bewußte Mörder den zweiten Hahn spannen konnte, flog der Rächer herbei; der Schlachtruf des Riccarees schallte gellend durch den Wald, das Bowiemesser zischte nieder, und heulend brach der Elende zusammen.

Das bleiche Haupt der Geliebten an seiner Schulter, kniete indessen der junge Creole neben dem verblutenden Körper des schönen, unglücklichen Mädchens. Wohl hatte er schnell und vorsichtig die weite, klaffende Wunde verbunden, aber es war zu spät und der Todesstoß ihr ins innerste Leben gedrungen. Er hörte das Vorbeistürmen der Verfolger, die aus allen Theilen der Gegend herbeiströmten, den Negerraub zu verhindern, er hatte den Schlachtschrei des Riccaree vernommen, aber er achtete es nicht, sein Auge hing an dem rothen entquellenden Lebensstrom des heißgeliebten Mädchens und Nacht – finstere Nacht ward es endlich vor seinen Blicken.

Als er sich wieder erholte, stand der Riccaree an seiner Seite; er hatte den Leichnam der Schwester in seine Decke eingehüllt und hob ihn, da er das Erwachen des Weißen bemerkte, vor sich auf das Pferd.

»Wetako – was willst Du thun?« rief der Creole, erschrocken emporfahrend – »wo willst Du hin?«

»Will dem Stamme der Riccarees die Ueberreste von seines Häuptlings Tochter bringen,« sagte der junge Indianer mit düsterem Lächeln; »ich will sagen, es sei die Friedensgabe, die ihnen die Weißen senden. – Unser Land haben sie uns geraubt, hier ist Blut, das neue damit zu düngen – lebe wohl!«

»Und der Räuber?« frug St. Clyde, immer noch in halber Betäubung auf den blutigen Körper blickend, den jener im Arme hielt.

»Der Räuber?« höhnte der Riccaree, während er seinen hirschledernen Ueberwurf zurückschlug – »der gehört mein!« und der Creole erkannte mit Entsetzen, an dem Gürtel des Wilden, den blutigen Scalp des Erschlagenen. Ehe er aber noch ein weiteres Wort äußern konnte, schwang sich jener hinter der Leiche in den Sattel, stieß dem schnaubenden Thiere die Hacken in die Seite und war im nächsten Augenblick den Augen des Weißen entschwunden.

Die nachsetzenden Pflanzer hatten indessen den schurkigen Negerdieb, jenen Pitwell, eingeholt und mit der gewöhnlichen Schnelle, mit welcher alle dem ähnliche Verbrechen bestraft wurden, an den nächsten Baum gehangen. In seiner Brieftasche fanden sich übrigens hinlängliche Beweise, daß er diesen Tod zehnfach verdient, denn auch die reine Abstammung der Indianerin ward hier, durch einen Brief der Helfershelfer, außer allen Zweifel gesetzt. Als man aber später der Spur des Wagens folgte, um dem Overseer ebenfalls nachzusetzen, fand man die Zeichen des Kampfes, wie den kleinen Wagen selbst. Unfern von dort aber, bleich und starr an dem Stamm eines jungen Baumes gelehnt, lag, in der rechten Hand ein abgeschossenes Pistol, die Leiche des Creolen.

1

Overseer, die obersten Aufseher der Neger, meistens Weiße und zwar Amerikaner, auch oft Creolen. Die ihnen untergebenen Aufseher, gewöhnlich selbst Neger, werden nur nigger drivers genannt, wie überhaupt nigger der verächtliche und sehr oft angewandte Ausdruck für Neger ist.

2

Piccaninny, ein afrikanischer Ausdruck und gewöhnlich für alles das gebraucht, was klein und niedlich ist.

3

Mississippi.

4

Der Indianische Name für »Frau«.

5

Loafer ein Herumstreicher, und Kalebouse das Wachthaus in New-Orleans.

6

Eine gewöhnliche Frage in Louisiana, die sich stets auf die Baumwolle bezieht, da der Reichthum der Besitzer nach dieser geschätzt wird.

7

Uncle Sam, Scherzname der Vereinigten Staaten nach den Anfangsbuchstaben United States!

8

Eine Biegung des Mississippi ist so genannt, wo sich dessen Strömung eine neue, nähere Bahn gebrochen hat.

Aus zwei Welttheilen. Zweiter Band.

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