Читать книгу Die Frau, die fährt. Liebesgeschichten - Gert-Peter Merk - Страница 3

Objektiv: offen

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Sie stieg die breiten Stufen hinauf, ihr Rock schob sich hoch. Sie sah wohl, ich komme ihr näher. Am liebsten wollte ich schon das Paradies kennen lernen. Ich glaube, nicht mal die Spiegelung des gebohnerten Fußbodens zeigte mir Teile davon. Als wäre es heute, erinnere ich mich:

Nur nicht ins Rutschen kommen. Ich fühle mich nicht belastet; meine Schulsachen von heute Vormittag sind zu Hause. Der Eingang liegt hinter mir, riesiges Portal und Glaswände um mich herum. Dort das Geländer, zu beiden Seiten der Treppe, am Rand mit poliertem braunem Holz verziert, das mir die Angst nimmt, vor abwegigen Gedanken auszurutschen, während ich im Altbau im Westend hochsteige.

Drei Stufen auf einmal springen wie im Traum, die Knie langsam hochziehen, mit Sehnsucht die Füße ausgehängt lassen, die Schuhe pendeln sogar, dass fast die Hosenbeine ausgebeult werden oder ihren Schutz mit den Aufschlägen verlieren. Schon lange möchte ich gut angezogen sein, damit ich nicht übersehen werde, aber auch nicht auffalle.

Vorwärts ja, aber wie im eingeübten Bewegungssinn. Über die ererbte Vernunft bin ich mir nicht so sicher. Sie war, bevor ich der Frau nahekomme. Oder brauch ich gar keine spiegelnde Vernunft? Wenn keiner hilft, dann sieht es schlecht für mich aus. Wenn ich noch mal Albumseiten rückwärts blättere, dann ersehne ich gleich wieder mein Groß- und Älterwerden. Wenn ich mich so sehe, weiß ich manchmal nicht, was los ist, den kurzen Hosen entwachsen!


Zweimal ein spitzer Klack. Die erahnte Bewegung vor mir wird bestätigt, sobald die Fusion meiner schweifenden Augen, die Wand entlang nach weiter oben, an der Treppenwende zustande kommt. Möglicherweise aus lauter Vorsorge fasst die junge Frau gerade die Metallbeschläge ihrer Schuhabsätze ins Auge. Der begrenzende schlecht beleuchtete Treppenschacht des Gebäudes entwirft unsere Konturen wie verräterische Mystik. Als Mann möchte ich mich deshalb auf einmal neben die Frau katapultieren, die so schöne.

Hochfliegen können, mich waagerecht haltend im Flug, in genaue Blickrichtung drehen, die Kamera zum Standfoto anhalten und kreuzende Bewegungsrichtungen zwischen uns ohne Ton möglichst verewigen. Denn an stille Bilder erinnere ich mich sicher. Und keine grellen Farben. Dazu etwa den modrigen Geruch alter Treppenhäuser in die Erinnerung zaubern. Das könnte lohnen. Nicht erschrecken beim Klacken der Metallabsätze als gefundene Satzzeichen für Erzählungen, und für Anlässe, meine Bilder wieder sinken zu lassen ins ruhige Erinnerungsland, das immer auch schmerzlich war. Über die Traditionen des Schnitzens, Häkelns und Klöppelns hinaus die orientalischen Sehnsüchte atmen.

Je älter ich werde, umso kälter, kritischer, viel weiter erfasse ich bestimmt die Mängel einer Frau, und nicht nur meine. Vielleicht ihre quadratische Schuhgröße, lose Strumpfmaschen, ihren Hintern, den Männer lieben. Die Lust der Erinnerung lässt nach wie der zu erkennende Urlaubssonnenbrand dieser Frau an Armen und Beinen, deren Haut bald der abgeblätterten Oberfläche der Körper griechischer Statuen gleicht, die vielleicht eben noch von ihr besichtigt worden sind. Der voluminöse Holzpfosten da oben. Das Stativ könnte bald wieder verstellt werden auf Formen der deutschen Eiche hin und all der Barockschnörkel am Pfosten und Geländer. Was wünscht man weiter, als selber erkannt zu werden, nicht nur für einen Schwenk in die Gegenwart? Und doch, je näher mir die Beobachtete kommt, umso größer die Gefahr, dass ich rot im Gesicht werde, stottere vor Gefühlen.

Am besten wäre schon, in einer Zwischenzeit das zu erleben, was einem Jungen nebenbei so zufällt, der sich für entwicklungsfähig, sozusagen für vielversprechend hält.

Aber manchmal müsste er doch weit ausholen, es wäre großartig. Dann in die Zukunft vordringen und irgendwo unsicher ankommen, in gläubiger Ungewissheit durch die blauen Nebel dringen: das wäre doch abenteuerlich. Aber immer noch fühlt er sich nicht stark genug, zu sehr am Rande des Geschehens. Einmal sicher werden, abtasten, sich einfühlen, auskundschaften, herumphantasieren zwischen Ordnungen des Alltags, den Prinzipien - das möchte ich gerne, seit ich lebe, damit sich der Kamera eines Augenpaares etwas bietet, was sich ins Unbewusste eingraben möchte auf Gräbern, in denen später ein Porzellantoter stolz lagert, mitten in Blumen aus Immergrün: der Unvergessenen, dem Unverstandenen, weit weg von den längst zahlreich in der Wiese versteckten Toten.


Der Hintergrund hier stört kaum meine Rückblende. Der Putz an der Wand, die Kosmetik des Treppenhauses, blitzblank. Ein modriger Vergangenheitszauber, gefolgt von Wünschen, die nicht auf einen Schritt, kaum nur für einen kurzen Satz deutlich werden. Wie kleidet sie sich zum Beispiel? Kann es sein, dass es eine Erfahrung gibt, die Klugheit schafft, um mehr zu wissen. (Was für Verkleidung für die Märkte wichtig ist, unter der vielleicht die Rundungen der Frauen gerade richtig für Männeraugen daherkämen. Was für Pfennigabsätze, die ihre entwickelte Wadenpartie konturieren - und meine Hand mit den kurzen, sicher kräftigen Fingern, die mich gegen die Wand abstützen, teils, um den Rahmen lässig zu überspielen, aus statischen Gründen, wer weiß).

Zunächst sagen aus der Kopf und die Beine und die verbindenden Gesten. Auch die unregelmäßigeren Gesichtszüge - ihr Busen ginge mir wohl sehr nahe. Das alles reißt mich hin, sicher, sonst sähe ich die Nähe zu >>billiger Konfektion<< in bunten Journalen. Das Wesentliche, in dem ich lese, wenn ich es jemals treffe, wenn ich’s wie richtige Kritiker aufmerksam durchschaue und endlich erkenne, soll für mich erst dann das liebevoll Beachtete sein, wenn ich sicherer bin und bei mir selbst angelangt. Der Rest des Wahrgenommenen, all die Stoffreste um den Leib, die ganze Mimik, sind zwar da, aber ich würde das alles so gern vergessen. Warum ist das Leben so voller Themen und Probleme? Ist ein sorgenfreies Leben im Paradies möglich?

Nicht nur von Idealen umgeben ausschwärmen zum anderen Geschlecht hin, mein Gott, das war so erwünscht, fast freigegeben. Eh ich‘s vertrödelte: in Kommunion- und Konfirmandenstunden, da war man (umgeben von harten Bandagen um die göttlichen Geheimnisse) guterzogen für die Freiheit beschnitten worden. Mist, Scheiße sagen wagen. Daraus wurde noch lange nicht das reife, gesunde, hygienische, in all den widersprüchlichen Reibungen so aufregende Leben.


Auf der Treppe einmal zum Postamt hatte das blonde Mädchen freundlich grinsend gestanden, hatte sich ans Geländer gelehnt, als ich dort hinuntergehen wollte. Versperrte mir so groß wie sie schon war den Weg, hinderte mich die Treppen abwärts, lächelnd >>interessiert<< die Arme ausgebreitet, das Mädel (wie sie früher sagten), fasste mich irgendwie am Arm, oje, ich wusste mir nicht zu helfen. Es war vormittags an einem Wochentag, in einer (sächsischen) Kleinstadt, die mal den Namen eines berühmten Sozialisten trug. Und es befreite mich erst, als meine Mutter aus der Post kam und das heillose Abenteuer abrupt beendete, in dem ich mich befand.


Von oben ist ein Tritt zu hören. Die Frau dreht leicht den Kopf. Ihre ruhige Art, meine Aufmerksamkeit zu erwidern, wie erhoffe ich das. In langsamer Bewegung ist sie vorwärts- gegangen, als wollte sie durch Verzögern mich herausfordern, und sie muss sich dabei leicht in Gürtelhöhe verwinden. Schräg am Hang, etwas zu abgesichert nach hinten, hat nun sie Sicht auf mich. So, wie man vorsichtig ist, könnte ich gleich in ihren Glanz unterm dunklen Haar eintauchen, in dem ich sie anbeten und etwas mit ihr anfangen möchte. Was hindert uns, als wäre dort statt der Flurlampe das ruhige Auge Gottes am Himmel? Und doch wechsle ich mein Körpergewicht, immer unruhig von einem Bein aufs andre tretend, anstatt entschlossen zu handeln, um meine eigenen Interessen in den Vordergrund zu bringen. Wie ein Spielverderber komme ich mir ihr gegenüber vor. (Wie soll sie wissen, dass ich beispielsweise unter der Bettdecke sicherer bin und noch viel verwegener).

So fällt mir ein: Lieber was sagen, sich mit Worten vorpirschen, sonst komme ich vermutlich kaum an. Wie aber soll sie mich hier unten je verstehen! Einen Husten bekommen nach zu viel Treibenlassen in (allmählich auch allen anderen bekannten) Flussbetten.

Auf keinen Fall dumme Sprüche machen. Oder mit den Geschichten meiner Hände großartig reden wie ein Stummer?

Oder genügt ihr schon der liebe Blick eines Unsicheren, Sehnsüchtigen? Einen Treppenabsatz hinauf zum Beispiel: Oh, die Uhrzeit, bitte? Eine Frau aufwärts ist wie eine Treppe mit Teppichboden besteigen; erst die Übung bringt einen nicht mehr außer Atem. Sie um gute Zeit bitten, noch wie mein zitternder Opa - so, als könne ich den Anfang unserer Geschichte kaum erwarten.

Sie würde höflich oder gar freundlich antworten, vielleicht mit einer Bewegung zum Handgelenk. Also erschreckend!

Wobei sie sicher ihre Tasche über den Arm oder neben sich hinhängt. Die plötzlich ins Geländer rutschte. Dann hochlaufen und ihr behilflich sein, ungeduldig überlegen, ob das absichtlich passiert. Ich mache das mit einem vollständigen Satz hinreichend verständlich, um sie vielleicht zu verführen, oben, in ihrer Wohnung. Ohne dass ich oder sie es jemals bereuen muss, wenn zu hören ist, wie das Porzellan scheppert.

Aber welchen Inhalt werde ich jetzt in welchem Tempo heruntersprechen, damit ich mit kunstvollen Vokabeln so gut wie möglich etwas zusammenbringe, um mich vor ihrem Argwohn zu schützen, ich wolle ihr Leben in den Bauch reden. Sprechen wäre schon das Beste; das wirkt, wenn es nicht nur Gefühle transportiert, sondern auch meine Absichten gut verpackt, verbirgt, damit ich zum Mann werde. Oder sollte ich warten, bis ich irgendwann werweißwo verantwortlich bin für mein Gesicht, mit grauen Haaren unterm zu großen Hut.

So möchte ich gleich heute beginnen, dies vorm Altar meiner Sehnsucht versuchen: Liebe Frau, mein Vater würde Ihnen vielleicht nicht zu nahetreten wollen, und mir hoffentlich auch nicht ... Noch vorhin hatte mir der Mut gefehlt im Augenblick der schönen, improvisierten Strategie.


Aber der Schock danach? Ach, kein Seemannsgarn umwickelt das Herzeleid. Ein sprühender Funke hinauf zu ihr ertrinkt fast im Sprühschaum der Gelegenheit, als eine allzu mögliche Täuschung. Indem ich etwa die Armada meiner Glieder aussende, die Boote mit Liebkosungen bestücke und gleich aufbreche, ziehe ich sanft vom Hafen weg, damit ich jenes stabile Segelboot dort - es ist kein kostbarer Nachen - nicht zum Kentern bringe, wenn’s mir möglich ist. Entern weit vom Ufer weg wäre allerdings geschickt.

Überraschend fiele mir eine wichtige Aufgabe zu, der Kapitänin zu zeigen, wie ich sie übernehmen kann, ihre bewussten Widerstände packen und sie wie eine aufsässige Galeerensklavin überwältigen, ihr Boot kräftig vollspritzen, um mit ihr nach den Kampfhandlungen befriedigt in tiefe Gründe zu sinken, noch ganz außer Atem, ohne Wahlmöglichkeit.

Und diese Brünnen eine Weile als markierende Bojen hinterlassend, bis wir uns vergessen und die Bewegung ertrinkt. Einstweilen blubbern ein paar Wörter verzweifelt unruhig los, holpern, rütteln wach (ich hab da leider einige Erfahrungen).

Ich konnte doch wie sie (auch bei einem Blitz in meine nahe Zukunft) immer so schlecht darüber sprechen. Mit meiner Schulfreundin habe ich zwar nachmittags nach der Schule in Buchseiten rumgeblättert, mit ihr Geschichten gelesen, und uns dabei höchst erregt. Und dann, die Streichhölzer zwischen den Lippen, Erotik pur, den Austausch vollzogen. Das zu tun hatte ich bestimmt so viel Angst wie sie. Davor, dass ihre aufmerksame Tante Emmy uns überrascht, wenn sie vom Spielenachmittag zu früh zurückkehrt. Bis es passiert - ohne Tante, als sie wohl länger Karten spielte. In der Badewanne, die Handfläche am Abfluss, berührten wir uns, während des Mädchens schon entwickelte kleine Brüste schwammen.

Dann die Angst, dass meine Freundin schwanger würde. Aber ich weiß eigentlich bis heute nicht, ob sie das halbe Jahr lang damals je das hatte, was man bei einer richtigen Frau einen >>Kleinen Tod<< nennt. Nur das erwarteten wir, dass sie ebenso wie ich die Schule bald verlassen würde, einen Beruf erlernen und ins Ausland zu ihren Eltern ziehen, die einmal das Land verließen und sie bei der Tante abgaben.

Und Jahre später, als ich lernte und wanderte, entdeckte eine Frau: du bist ja beschnitten, und sie untersuchte mich liebevoll wie einen eroberten schönen Araber. Nein nein, sie ist nur etwas kurz geraten, die Haut, das gibt es, glaub mir, ich bin nicht anders als alle andren.


Die Frau vor mir ist stehen geblieben. Aus ihrer Sicherheit sieht sie mich noch mal an. Vielleicht verwechselt sie mich, ogott, gilt jede ihrer Regungen unter Umständen der Holzverkleidung hier, oder einer Erinnerung? Ich sehe mich schnell um. Doch mir hat sie sich jetzt noch mehr zugewandt. Mit ihrer rechten Hand sucht sie hastig in einer kleinen Tasche, die sie bei sich trägt. Ihre Arme, die ich vorhin kaum beachtet habe, sind auch kräftig, es sind die etwas groß geratenen in meinem ersten Zeichenheft. Ihr Rumpf füllt den übrigen Bildausschnitt aus. Der karminrote Rock unterstreicht ihr Geschlecht wie auf den alten Türen. Ja sie ist wirklich viel älter. Ich erschrecke, ist sie alt? Denn je schöner sie ist oder es war, desto größer könnten die Male ihres Verfalls, oder auch ihrer Verdorbenheit sein? Und Sex mit ihr teilen, was für ein Wagnis; wenn ich Ältere so sehe, die alles besser wissen und können, mit ihrer zunehmend unbestimmbaren Moral, chaotisch wie Kinder, sacken sie mich ein, hab ich gehört.

Aber dann machen meine Vermutungen mich doch wieder zuversichtlich: die Liebe, erotische Zärtlichkeiten, die keinen Schmutz ansammeln dürfen, das Gefühl mit den Händen, an Armen, am Mund - ich könnte ihr nützlich sein, sie im Alter notfalls aufbessern. Hatten denn meine Eltern nie ein Buch darüber, wie etwa das Madonnengesicht der Frau von Stein dürr abblätterte, so wie eine alte Säule oder wie eine etruskische Wand allmählich verblich; und wie ich im Kino sah, Lauras Schönheit langsam versagte, die nur ein Dichter ihr gewähren konnte?


Wenn es dieses Mal mit der Frau vor mir nicht klappen sollte, kann das Zusehen noch mal anfangen; immer dann, bevor ich mich in eine Situation vertiefen möchte, aber vom Moment beschwingt den Weitwinkel eingesetzt habe; obwohl ich doch längst wegen der idealen Ferne unterwegs bin. Diesen Rahmen will ich wenigstens, wenn das Bild sich nicht erfüllt, grüner einfärben; und dabei die intensive Entwicklerflüssigkeit nicht vergessen. Erst dann bin ich wirklich beruhigt, weil was bleibt. Hindert uns das Klima nicht, welches sonst dem verschiedenen Material günstigen Zugang schafft. Weil ja auch Brücken wie brauchbare Formen und Phantasie in ihrer Lebenszeit sich dehnen, biegen, schrumpfen, oder gar brechen, sind sie nicht klug genug befestigt.

Wir werden vom Geländer der Zeit gemacht und von den Fugen zwischen ihr: meinem Flur, in dem ich stehe, und ihrem Treppenende oben, wandelbar im austauschbaren Material für eine hoffentlich nicht endende, lieber immer wieder beginnende Geschichte (mit oder ohne die alternden empfindlichen Stufen - sollte die Frau erscheinen für meine Geschichte aus der Biographie, die auch Material ist, in seiner wechselnden Ausdehnung und seinem Erinnerungsvermögen und seinem Verlust).


Eine Frau, wie eine weiche, sanft geschwungene Spirale über ovalem oder rundlichem Grundriss. Diese mediterrane Schönheit, oder nach modischem Vorbild erträumt. Mitten in der Stadt, da beeile ich mich manchmal, mir ein Teleskop zu besorgen, für besondere Bildtiefe und zaghafte Blicke in meine Zukunft. Wenn ich nämlich eines der Objekte aus dem Lauf meines Lebens, ein winziges Teil manchmal nur, in meine Linse hereingeholt habe, setze ich davor eben dieses mein Teleobjektiv, das das Besondere in der von mir erlebten Geschichte bruchstückhaft vergrößern hilft. Und ich füge schließlich diese fernen Augenblicke als meine Erfahrung zusammen. Später stimmt, habe ich gehört, sowieso nicht mehr viel überein, bis auf die vorgestern erkannte Liebe (zu der irgendwie widersprüchlichen, aber sonst doch universalen Wirklichkeit).


Wenn diese reife, so geschlossen auf mich wirkende Frau vielleicht einmal mit ihren behandschuhten (und trotzdem noch beringten!) Fingern lässig den Schmuck auf den Linsen meiner Augen beiseitegeschoben hat, werde ich im Nu wie aus einem Traum erwachen und erschrecken, wenn sie meinen Blick empfindlich stören wird, um in meine offene, ja leichtfertige Phantasie zu blicken. Gefühle wird sie bestimmt auf ihre Weise schon erforscht haben, eh ich meinen Beobachterposten überhaupt festige.

Ob sie zum Beispiel je erfahren wird, dass mich mal Einer mit seiner Zunge mitten in den Mund geküsst hat? Jahrelang habe ich darüber gegrübelt, warum er wohl ausgerechnet mich geküsst hat. Und jetzt guckt mich diese so ruhig wirkende, verführerische, an Händen, Beinen und Busen vollständige Frau an. Wirklich, das las ich, mein Ideal verfällt nicht, auch wenn mein Geschlecht schon einige stürmische Liebkosungen bis zur puren Gewalt erlebt hat. Vielleicht kann die anbetungswürdige Frau da über mir gar nicht Flamme, Freundin, Liebende für mich sein. Wie ein Dummkopf, nur zum Händchenhalten wäre ich da, weil sie längst irgendeinem der >>Männer<< ihre blanke Hand versprach?


Sie kommt gerade von oben herab. Ich höre es, das Geräusch wird durch das Abrollen auf ihre Fersen verstärkt. Klack, klack. Ich gehe ihr am Treppenaufgang entgegen. Sie nimmt überraschend flink die letzten Stufen. Ohne eine Silbe zu sagen, geht sie plötzlich auf mich zu; dann, beinahe..., aber nur nah an mir vorbei. Sie lächelt, scheinbar mit einem Auge blinzelnd. (Nein, sie wirft kein Auge auf mich). Wie im Spott streift mich ihr Blick. Der Sonnenbrand deutlich auf ihrem Gesicht, ist sie vielleicht noch in Urlaubslaune? Sehen Menschen, denen es gut geht, immer vom Leben bevorzugt aus, begehbar, zum Lustwandeln bereit, gepflegt bis langsam abgetreten – von der Treppe rauf oder runter.

So steht sicher seit hundert Jahren eine sehr stabile Konstruktion. Der Aufgang weit gespannt, um wegen der Höhe das Herabsteigen zu erleichtern. Bis hier unten an ihren Ausläufern. Der Boden; darum die verglaste Wand. Sie zeigt mir mein Gesicht, das eines verängstigten Hasen.

Als die Frau auf mich sieht, bin ich nicht schnell genug, den Mund aufzumachen, um mich mit einer Ausrede aus meiner plötzlichen Verwirrung zu retten. Das offene Objektiv schließt sich wie von selbst, als das Leben weitergeht.

Die Frau, die fährt. Liebesgeschichten

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