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Оглавление1 Einleitung: Was ist eine Demokratie und warum lohnt sich die Beschäftigung mit ihr?
Schaut man in die westlichen Medien, dann hat es den Anschein, als würde nicht nur jeder die Demokratie für sich in Anspruch nehmen, es scheint auch so, als würde eigentlich nur noch demokratisches Handeln und die Herrschaftsform der Demokratie weltweit auf eine hinreichende Legitimität bauen können. In den westlichen Demokratien will man durch den Ausbau und den verstärkten Einbezug der Zivilgesellschaft in die Politik »mehr Demokratie wagen«. Viele Autokratien in der Welt bezeichnen sich gerne als Demokratien und vermitteln ihren Bürger:innen1 nicht selten ein politisches System als Demokratie, das tatsächlich wenig mit dieser politischen Ordnung zu tun hat. Hinter der Einstufung eines Herrschaftssystems als Demokratie liegt anscheinend eine große normative Kraft. Liest man allerdings weiter, so scheint gerade die liberale Demokratie, so wie sie die meisten Nachkriegsbürger:innen kennen, in einer lebensbedrohlichen Krise. How Democracies Die, fragen die amerikanischen Wissenschaftler Levitsky und Ziblatt (2018), Adam Przeworski (2019) diskutiert eine Crisis of Democracy, Wolfgang Merkel (2015) Demokratie und Krise und allenthalben wird der Siegeszug des Populismus, wie auch das Absterben der liberalen Form der Demokratie beschworen, beklagt oder gar freudig erwartet – je nach der politischen und ideologischen Position, die die Beobachter:innen einnehmen. Wie es scheint, sind die Demokratie und die Haltung der Bürger:innen zu ihr seit dem Jahrtausendwechsel in Bewegung. Gleichzeitig ist das Interesse der Politikwissenschaft an der Demokratie und ihren institutionellen, strukturellen wie kulturellen Bestandteilen ungebrochen. Veranstaltungen, Vorlesungen und Seminare, die sich mit der Demokratie beschäftigen, sind in Deutschland wie in anderen Ländern der Welt in den universitären Lehrplänen zu finden und bereichern den Alltag politikwissenschaftlicher Fachkultur und außeruniversitärer Weiterbildung.
Doch was ist eigentlich eine Demokratie? Was macht sie aus? Wann ist eine Demokratie eine Demokratie – und wann nur eine Fassadendemokratie, elektorale Autokratie oder ein hybrides Regime? Welche Grundprinzipien muss sie erfüllen, um zu Recht als Demokratie zu gelten? Welche Formen kann sie annehmen – und immer noch Demokratie sein? Welche Defizite berechtigen, eine Demokratie noch als defekte Demokratie einzustufen – und welche machen sie zur Autokratie? Welche Vorstellungen von Demokratie sind möglich? Wie sehen Demokratien in der Neuzeit aus? Welche Bestandteile besitzen Demokratien? Was denken die Bürger:innen über Demokratie? Wann ist eine Demokratie ein stabiles Herrschaftssystem und wann ist sie in ihrem Bestand gefährdet? All diese Fragen sind aus unserer Sicht zu behandeln, will man sich mit Demokratie und Demokratien auseinandersetzen. Nicht alle können wir im vorliegenden Buch behandeln, allerdings zumindest eines Teils möchten wir uns annehmen. Speziell werden wir uns der Entstehungsgeschichte der Demokratie, ihrer Positionierung zu anderen Herrschaftsformen, ihren Organisationsformen und dem Verständnis der Bürger:innen von Demokratie widmen sowie der Frage nachgehen, wie man ihre Qualität bestimmt.
Dies erfordert Kenntnisse über Demokratietheorie (z. B. Brodocz/Schaal 2009; 2016; Lemcke et al. 2012; 2016; Münkler/Straßenberger 2016; Pelinka 2004: 175–222; Schaal/Heidenreich 2016; Schmidt 2019) und über das gegenwärtige Funktionieren von Demokratien (z. B. Brodocz et al. 2008; Lauth 2004; Mounk 2016; Przeworski 2019; Schubert/Weiss 2016). Es gilt also ein Phänomen zu bestimmen und dann in seinen Facetten zu beschreiben. Genau hierfür wollen wir in diesem Buch Vorschläge und Grundlagen unterbreiten. Kurz gesagt, geht es uns um die Frage: Was macht eine Demokratie aus? Kompetenzen zur Beantwortung dieser Frage zu erwerben, ist aus unserer Sicht insbesondere für Studierende der Politikwissenschaften von unabdingbarer Bedeutung. Entsprechend sollen im vorliegenden Buch in kurzer und prägnanter Form die Definition von Demokratie geleistet, die wichtigsten Demokratietheorien vorgestellt und die relevantesten Erscheinungsformen real existierender Demokratien behandelt werden. Das Buch stellt übersichtlich und unter Verwendung von Schemata und empirischen Beispielen die Herrschaftsform Demokratie in ihren gegenwärtigen Facetten und ihren normativen Ansprüchen dar. Aus Platzgründen wurde im vorliegenden Buch auf die ebenfalls wichtige Bedeutung der Bürger:innen für und ihre Stellung in der Demokratie teilweise verzichtet. Aktuelle Debatten zu Postdemokratie, Politikverdrossenheit und Populismus werden an anderer Stelle, in einem eigenen Buch zur Bedeutung des Bürgers in der Demokratie in naher Zukunft (ebenfalls im Kohlhammer Verlag) behandelt werden. Im vorliegenden Buch liegt der Fokus auf der institutionellen Erscheinungsform der Demokratie, dem, was die Bürger:innen unter Demokratie verstehen, und der Frage, wie demokratisch Demokratien wirklich sind. Letzteres impliziert die Messbarkeit von Demokratie mithilfe empirischer Methoden. Speziell dort unterscheidet sich das vorliegende Buch von weiteren – guten – Einführungsbüchern, die oft der demokratietheoretischen Seite den Vorrang einräumen (siehe Salzborn 2012; Schmidt 2019; Vorländer 2010). Aufgrund der angestrebten Kompaktheit des Buches haben wir uns deshalb entschieden, auf frühzeitliche Entwicklungen, wie z. B. in der griechischen Antike, und eine breite Explikation der Vertragstheorie zu verzichten, die in anderen Werken bereits ausführlich dargestellt werden (Becker/Schmidt/Zintl 2017; Münkler/Straßberger 2016; Schwaabe 2018; Vorländer 2010).
Das Buch ist konzipiert als kompaktes Basiswerk für verschiedene Lehrveranstaltungen. Es kann aber vor allem als knappes Referenzwerk für eine zentrale Basisveranstaltung über Demokratie verwendet werden. Zielpublikum sind insbesondere Bachelor-Studierende der Politikwissenschaft sowie Lehramtsstudierende, insbesondere in den Gebieten »Politisches System der Bundesrepublik Deutschland« und »Vergleichende Politikwissenschaft«. Unser Buch soll sie in die Lage versetzen, mithilfe der erworbenen Kenntnisse eigenständig Fragestellungen zum Thema Demokratie zu erarbeiten und zu bearbeiten. Dabei danken wir unseren vielen Studierenden der letzten Jahrzehnte, die uns in Lehrveranstaltungen an der Universität Greifswald, der Europa-Universität Frankfurt (Oder), der Universität Leipzig und der Universität Duisburg-Essen nützliche Hinweise und Erkenntnisse hinsichtlich einer Gestaltung und Darstellung dieses Buches gegeben haben, sei es beabsichtigt oder unbeabsichtigt. Ebenfalls danken wir Franz Beensen und Julius Alves sowie den Herausgeber:innen für ihr akribisches Korrekturlesen der Arbeit und die hilfreichen Rückfragen an verschiedenen Stellen des Textes.
Weiterführende Literatur
Becker, Michael/Schmidt, Johannes/Zintl, Reinhard (2017): Politische Philosophie. Paderborn: Schöningh.
Brodocz, Andre/Schaal, Gary (2016): Politische Theorien der Gegenwart I. Opladen: Barbara Budrich (4. Aufl.).
Münkler, Herfried/Straßenberger, Grit (2016): Politische Theorie und Ideengeschichte. Eine Einführung. München: Beck.
Salzborn, Samuel (2012): Demokratie. Theorien, Formen, Entwicklungen. Baden-Baden: Nomos.
Schmidt, Manfred (2019): Demokratietheorien. Wiesbaden: Springer VS (6. Aufl.).
Schwaabe, Christian (2018): Politische Theorie. Von Platon bis zur Postmoderne. Leiden: Brill (4. Aufl.).
Vorländer, Hans (2010): Demokratie. München: Beck.
1 Ein kleiner Hinweis an dieser Stelle: Das vorliegende Buch ist konsequent unter Einbezug aller Geschlechtsidentitäten geschrieben. Dies geschieht durch den Doppelpunkt, der am stärksten inklusiv und zudem barrierefrei ist. Wird allein die männliche Form verwendet, geschieht dies bewusst, da hier in der Tat allein von Männern gesprochen wird. Diese Exklusion findet sich z. B. als erstes in der attischen »Demokratie«.