Читать книгу Sophienlust Extra 12 – Familienroman - Gert Rothberg - Страница 3

Оглавление

Strahlende Morgensonne lockte die Kinder von Sophienlust an die Fenster. Es war wichtig für sie, sich beizeiten umzusehen, ob es an diesem Tag Badewetter gab. Denn die Heimleiterin und Schwester Regine hatten versprochen, mit ihnen am Nachmittag zum See zu fahren.

Pünktchen beugte sich aus dem Fenster. »Auf der Straße stehen so viele Leute beisammen. Ich möchte nur wissen, was die so früh am Morgen schon zu ratschen haben.«

Der kleine Henrik von Schoenecker sah das hübsche sommersprossige Mädchen keck an. »Du musst dich gerade aufregen, Pünktchen. Ihr Mädchen ratscht doch auch immer. Und wenn ich dann wissen will, worüber ihr ratscht, dann seid ihr auch noch so gemein und sagt es nicht einmal.« Er stieß Pünktchen an. »Hörst du mir gar nicht zu? Du wirst noch aus dem Fenster stürzen, wenn du dich so weit hinausbeugst. Das sollte ich mal tun! Da ginge gleich jemand zu Mutti petzen.«

Pünktchen drehte sich wütend um. »Alter Quasselphilipp! Deinetwegen habe ich jetzt nicht alles verstehen können. Ich glaube, ein Kind ist überfahren worden. Ich muss hinunter.« Schon flitzte Pünktchen durch den Aufenthaltsraum. Henrik und eine Schar anderer Kinder hinter ihr drein.

Pünktchen kam als erste bei den durcheinanderschwatzenden Leuten an. Sie tippte einem Mädchen aus dem Dorf Wildmoos, das wie sie das Gymnasium besuchte, auf die Schulter, und fragte: »Was ist denn passiert?«

Das Mädchen war ganz blass im Gesicht und gab keine Antwort. Pünktchen musste erst noch fragen: »Ist wirklich ein Kind überfahren worden?«

»Ja. Vor dem Ortseingang angeblich. Es soll vor ein Auto gelaufen sein. Es ist schon in Maibach im Krankenhaus. Aber das ist noch nicht alles. An der Stelle, wo das kleine Mädchen verunglückt ist, hat man eine tote Frau gefunden. Wahrscheinlich die Mutter des Kindes.«

Henrik schüttelte Pünktchen am Arm und fragte: »Was ist los?« Doch er bekam keine Antwort. Pünktchen zuckte nur die Schultern und ging ins Kinderheim zurück.

Zur gleichen Zeit fuhren zwei Wagen durch die Einfahrt. In dem einen saß Denise von Schoenecker, in dem anderen die Ärztin von Sophienlust, Dr. Anja Frey.

Die beiden Frauen begrüßten einander wenig später vor der Freitreppe und gingen ins Haus. Anja Frey begleitete Denise von Schoenecker in den Biedermeiersalon.

»Haben Sie schon von dem Unfall gehört, Frau Doktor?«, fragte Denise.

Anja Frey lehnte sich im Sessel zurück und seufzte. »Nicht nur gehört. Ich habe das Kind und auch die Tote gesehen. Ich wurde gerufen und komme gerade aus dem Krankenhaus. Mit Absicht bin ich in Sophienlust eingekehrt. Um mit Ihnen zu sprechen. Das Kind ist nur leicht verletzt. Es könnte in häusliche Pflege entlassen werden. Sie werden jetzt schon erraten, woran ich denke, Frau von Schoenecker.«

Denise strich sich durch das schwarze Haar. »Meinen Sie, dass wir das Kind hier aufnehmen sollten?«

»Zumindest vorübergehend, bis sich geklärt hat, wohin es gehört. Im Augenblick kann das niemand feststellen. Die Frau hatte keinerlei Papiere bei sich. Nur einen abgebrochenen Brief. Aber aus diesem scheint man keine Schlüsse ziehen zu können. Die Polizei hat den Brief an sich genommen.«

»Was ist der Mutter passiert, Frau Doktor?«

»Sie ist an einem Herzversagen gestorben. Ich glaube, das kann man jetzt schon mit ziemlicher Sicherheit sagen. Zumindest waren die Kollegen im Krankenhaus mit mir einer Meinung.«

Denise von Schoenecker sah sehr erschrocken aus. »Heißt das, dass die Frau schon längere Zeit tot an der Straßenböschung gelegen haben kann?«

Anja Frey nickte. »Ja, wahrscheinlich. Es ist eine jüngere Frau. Ich schätze, dass sie dreißig bis vierzig Jahre alt ist. Sie könnte durchaus die Mutter des kleinen Mädchens sein.«

»Und wie alt ist das Kind?«, fragte Denise.

Anja Frey sah etwas hilflos aus. »Vielleicht zwei Jahre, vielleicht auch etwas älter. Es spricht gut, aber das Alter konnte es uns nicht sagen. Nur den Namen. Es heißt Gritli. Den Familiennamen weiß es jedoch allem Anschein nach auch nicht. Oder es steht noch zu stark unter dem Schock.«

»Gritli?«, sinnierte Denise von Schoenecker. »Könnte das Kind nicht aus der Schweiz stammen? Dort findet man diese Abkürzung öfter. Bei uns hört man den Namen eigentlich selten.« Denise stand auf. »Sie werden in Ihre Praxis müssen, Frau Doktor. Am besten ist es, ich fahre gleich nach Maibach.«

Auch Anja Frey erhob sich. »Ich bin beruhigt, dass Sie sich um das Mädchen kümmern wollen, Frau von Schoenecker, denn ich habe das ungute Gefühl, dass man so schnell nicht herausfinden wird, wohin das Kind gehört. Der Fall erscheint mir recht mysteriös. Aber vielleicht irre ich mich auch. Ich stehe wahrscheinlich noch unter dem Eindruck, den das Mädchen auf mich gemacht hat. Es ist ein so liebes kleines und hilfsbedürftiges Ding. Es hat fast weißblondes Haar und tiefblaue Augen. Und wenn Kinder etwas nicht begreifen können, klagen einen immer ihre Augen an.«

Die Ärztin und Denise von Schoenecker verließen zusammen das alte Herrenhaus von Sophienlust. Erst als sie in ihren Wagen saßen, trennten sich die Wege der beiden Frauen.

Denise von Schoenecker fuhr nach Maibach. Sie musste sich bemühen, auf den Straßenverkehr zu achten, denn in ihren Gedanken war sie schon bei dem Kind. Würde es wirklich so sein, dass sie einen neuen Schützling nach Sophienlust holte? Wie oft hatte sie das schon getan, seitdem sie das Kinderheim leitete.

Für Sekunden legte sich ein dankbares Lächeln um den Mund der schönen Frau. Es machte sie glücklich, nicht nur ihren Mann und ihre Kinder umsorgen zu dürfen, sondern auch all die armen verlassenen Kinder, die in Sophienlust Geborgenheit suchten. Schon in vielen tragischen Fällen hatte sie helfen können. Oft auch dort, wo die Eltern sich zerstritten hatten oder wo ein Elternteil ratlos vor der Verantwortung stand, einem Kind nun beides sein zu müssen – Mutter und Vater.

Jetzt atmete Denise von Schoenecker erleichtert auf. Denn sie dachte daran, dass Sophienlust so manches Mal auch nur Zwischenstation für ein vereinsamtes Kind gewesen war. Wie würde es bei der kleinen Gritli sein?

Im Foyer des Krankenhauses traf Denise von Schoenecker mit Polizeimeister Kirsch zusammen, den sie gut kannte. Sie fragte ihn, ob man inzwischen wisse, wohin das Kind gehöre und wer die Tote sei. Der Polizeimeister zuckte die Schultern. »Es wird schwer sein. Wir haben keinen Anhaltspunkt. Wir werden wohl darauf warten müssen, dass die Frau und das Kind gesucht werden. Irgend jemand muss sie ja bald vermissen. Das gibt es doch nicht, dass man sagen kann, ein Kind ist von nirgendwoher.«

»Sind Sie noch immer nicht sicher, dass die Tote auch wirklich die Mutter des kleinen Mädchens war?«, fragte Denise.

»Das Mädchen spricht von seiner Mutti, sodass man annehmen kann, es meint die Tote. Aber was halten Sie davon?« Der Polizeimeister holte einen Briefbogen aus seiner Rocktasche und reichte ihn Denise von Schoenecker.

Der Briefbogen war mit wenigen Zeilen beschrieben. In einer großen und sehr flüchtig wirkenden Handschrift. Denise las: »Liebe Schwester, ich habe mich entschließen müssen, Gritli nun zu ihrer Mutter zurückzubringen. Ich kann nicht anders. Es geht mir gesundheitlich so schlecht, dass …«

Jetzt sah Denise von Schoenecker hilflos aus. »Das ist nicht viel«, sagte sie in Gedanken. »Und wer kann dafür bürgen, dass dieser Brief auch von der Frau geschrieben wurde, die nun tot ist?«

»Eben, das ist es ja.« Der Polizeimeister steckte den Brief wieder ein. Er sah Denise von Schoenecker forschend an. »Sind Sie wegen des Mädchens gekommen?«

»Ja, Frau Dr. Frey sagte mir, dass es nicht im Krankenhaus zu bleiben braucht. Ich würde das Kind gern nach Sophienlust nehmen, bis der Fall geklärt ist. Werde ich die Erlaubnis dazu bekommen?«

Der Polizeimeister lachte. »Dachte ich mir’s doch. Das nehme ich auf meine Kappe, dass Sie das Kind gleich mitnehmen können. Hier im Krankenhaus wird jedes Bett gebraucht, und niemand hat Zeit, sich so mit dem Kind zu beschäftigen, wie das notwendig wäre. Wo könnte es aber besser aufgehoben sein als in Sophienlust? Kommen Sie, Frau von Schoenecker. Ich sorge dafür, dass Ihnen die kleine Gritli übergeben wird.«

Es dauerte nur Minuten, dann brachte eine Schwester das Mädchen. Sie trug es auf dem Arm und drückte es an sich. Nun sah die Schwester Denise von Schoenecker an und sagte leise: »So etwas Erbarmungswürdiges!« Ein tiefer Seufzer folgte.

»Gritli!« Denise von Schoenecker streckte die Arme aus. »Kommst du zu mir?«

Das Mädchen sah sie aus verweinten Augen an. Anja Frey hatte recht, es war ein besonders liebes Geschöpf. Das weißblonde Haar war über der Stirn zu einer Ponyfrisur geschnitten und fiel an den Seiten beinah bis auf die Schultern. Es umrahmte ein allerliebstes Gesicht mit einem kleinen Mund, einer Stupsnase und großen blauen Augen.

Noch immer schmiegte sich Gritli an die Schwester, doch sie sah von ihr zu Denise von Schoenecker. Mit einem Blick, als wolle sie sagen: soll ich schon wieder zu jemandem anderen gehen?

Jetzt zuckte es um den Mund, die Lippen öffneten sich: »Mutti!« Gritli schluckte. »Ich will zu meiner Mutti!«

Die Tote muss also doch ihre Mutter gewesen sein, dachte Denise genauso wie die Schwester und der Polizeimeister.

»Komm mit mir, Gritli. Ich bringe dich zu vielen Kindern. Du kannst mit ihnen spielen. Sie warten schon auf dich. Wir fahren mit dem Auto.«

Jetzt schüttelte das Mädchen den Kopf. »Uns nimmt kein Auto mit. Wir haben so oft gewinkt. Mutti konnte schon nicht mehr gehen, und meine Beine waren so müde.« Gritli streckte ein Bein aus. »Und jetzt ist mein Bein kaputt.«

Die Schwester lächelte und tätschelte das Kind. »Dein Bein ist nicht kaputt, Gritli. Wir haben es nur ein bisschen verpflastern müssen.«

Gritli nickte. »Ja, weil es so geblutet hat. Und der Arm auch.« Nun schienen ihr diese Verletzungen interessant zu werden.

Die Schwester nutzte die Gelegenheit und drückte Gritli auf Denise von Schoeneckers Arm.

Denise redete auf das Mädchen ein, damit es gar nicht zum Nachdenken kam darüber, dass es zum Wagen getragen wurde. Als sie das Kind auf den Beifahrersitz drückte und bat: »Bleib bitte schön still sitzen, Gritli«, sah sich die Kleine mit großen Augen um.

Sie muss doch schon etwas älter sein als zwei, dachte Denise von Schoenecker. Aber sie wollte jetzt nicht versuchen, von dem Kind etwas zu erfahren. Es sollte zunächst zur Ruhe kommen.

Knapp vor Sophienlust sagte Gritli: »Ich habe mit Mutti auch eine große Reise gemacht. Im Zug. Aber dann hatten wir kein Geld mehr zum Weiterfahren.« Das Mädchen zuckte die Schultern.

»Wohin wolltet ihr denn fahren?«, wagte Denise nun doch zu fragen.

»Ich weiß nicht. Mutti hat nur gesagt, irgendwohin, wo es mir sehr gut gehen wird. Und wo sie sich über mich freuen werden.« Diesen letzten Satz sagte Gritli mit besonderer Betonung, als sei er ihr oft eingeredet worden.

Denise bog jetzt nach Sophienlust ein. Schon vom Tor her sah sie die Kinder auf der Freitreppe stehen. Sie mochten wohl inzwischen wissen, dass das kleine verunglückte Mädchen kommen sollte. Nirgends sprach sich etwas so schnell herum wie im Kinderheim.

»Sind das die Kinder, mit denen ich spielen kann?«, fragte Gritli und drückte sich die Nase an der Scheibe der Wagentür platt. »Aber die sind ja gar nicht so klein wie ich. Große Kinder wollen nicht gern mit mir spielen.«

Denise stieg aus und öffnete dem Kind die Tür. »Unsere großen Kinder werden aber gern mit dir spielen, Gritli. Außerdem sind bei uns auch einige kleinere Kinder. Komm!« Sie reichte Gritli die Hand und führte sie zur Treppe.

»Oh, wie lieb sie ist! So klein noch! Das arme Mädchen!«, schwirrte es verhalten durcheinander. Aber die Kinder von Sophienlust zeigten, dass sie ihre Neugierde bändigen konnten. Sie stellten keine Fragen an Denise von Schoenecker, sondern folgten ihr nur ins Haus.

Schwester Regine übernahm Gritli, nachdem sie mit Denise einige Worte gewechselt hatte. Jeder wusste, dass es Schwester Regine ganz besonders verstand, neuen Kindern auf Sophienlust die Scheu zu nehmen. »Meinst du nicht, dass ich dich erst einmal ganz schön waschen sollte, Gritli? Baden kannst du ja nicht mit deinen Pflastern.«

»Ich habe Hunger«, sagte Gritli und sah Schwester Regine bittend an. »Und ich bin so müde. Mutti und ich haben nicht geschlafen. Wir sind immer gegangen und gegangen. Dabei war es so finster. Als es dann wieder hell wurde, war Mutti so müde.«

Schwester Regine ließ das Kind sprechen. Nicht nur aus der Hoffnung heraus, dass sie dadurch etwas erfahren konnte, sondern auch, weil Gritli allem Anschein nach den Wunsch hatte, von dem zu erzählen, was sie erlebt hatte.

Schwester Regine holte ein Nachthemd. Sie wusch das Kind und legte es dann ins Bett. Es dauerte nicht lange, bis Gritli eingeschlafen war.

Die anderen Kinder waren enttäuscht, dass Gritli nun bei hellichtem Tag schlief, aber dann trösteten sie sich damit, am frühen Nachmittag an den See zum Baden fahren zu können. Wenn sie nach Hause kommen würden, würde Gritli sicher wach sein.

*

Der junge Chirurg Dr. Helmut Brugger fuhr seinen Wagen in die Garage neben dem Einfamilienhaus in München-Harlaching. Dr. Brugger stieg etwas umständlich aus, so, als dränge es ihn nicht sonderlich, ins Haus zu kommen. Er sah sich im Garten um. Wie verwildert hier alles war, seitdem sich Ursula um nichts mehr kümmerte. Früher hatte sie darauf bestanden, den Garten selbst pflegen zu dürfen. Sie war ärgerlich gewesen, wenn ein Gärtner ihr einmal die schwereren Arbeiten abgenommen hatte. Und nun?

Dr. Brugger schloss flüchtig die Augen. Nicht nur der Garten war verwildert, auch im Haus sah es nicht sonderlich ordentlich aus. Und Ursula selbst? Sie legte kaum noch Wert auf ihr Äußeres. Sie schien vergessen zu haben, dass sie erst dreißig Jahre alt war.

Jetzt wurde ein Fenster geöffnet, eine nervöse Stimme rief: »Wann kommst du denn endlich ins Haus, Helmut?«

Dr. Brugger sah zu dem Fenster empor und nickte. »Ich komme ja schon, Ursula.« Er ging auf die Haustür zu, doch er musste sie selbst aufschließen. Da war wieder diese Bitternis in ihm. Früher hatte ihm Ursula stets von innen geöffnet und ihn mit strahlendem Lachen begrüßt.

Nun stand sie in der Diele und sah ihm vergrämt entgegen. Das lange blonde Haar sah stumpf und unordentlich aus, Ursulas Bewegungen waren eckig, ihre blauen Augen sahen ihn vorwurfsvoll an. »Mein Gott, bist du heute wieder spät gekommen, Helmut. Hast du denn vergessen, dass wir bei den Thamms eingeladen sind?«

Noch einmal musterte Dr. Brugger seine Frau. Doch nun konnte er sich nicht enthalten, zu sagen: »Du siehst aber noch gar nicht so aus, als wärst du zum Ausgehen bereit.«

Ursula fiel auf einen Stuhl in der Diele und presste die Fingerspitzen an die Schläfen. »Du weißt, dass ich mich nicht vorbereiten kann, solange du nicht hier bist. Ich muss ja immer damit rechnen, dass du überhaupt nicht kommst. Wozu soll ich mir dann die Mühe machen, mich herzurichten?«

Helmut Brugger ging ins Wohnzimmer. Die Tür blieb hinter ihm offen. Dem großen stattlichen Mann war anzusehen, dass er sich jetzt hilflos fühlte. »Dass ich überhaupt nicht komme, damit musstest du wohl kaum rechnen, Ursula. Bitte, übertreibe doch nicht immer so. Wenn ich mich mal verspäte, solltest du dafür Verständnis haben. Ein Arzt kann nun einmal nicht so pünktlich Feierabend machen wie ein Maurer. Ich erinnere mich noch gut daran, dass du das früher begriffen hast.« Er strich sich durch das volle braune Haar, dann steckte er sich eine Zigarette an. Ihm war jetzt wirklich nicht danach zumute, auszugehen.

Ursula war ihrem Mann ins Wohnzimmer gefolgt. Zerbrechlich zart stand sie vor ihm. »Ja, früher …«, sagte sie tonlos. Ihr Blick sah verloren aus, ihr schmales Gesicht war noch blasser geworden.

In diesem Augenblick spürte Helmut Brugger wieder das unsägliche Mitleid mit seiner Frau in sich, das ihn so oft überfiel. Er ging zu ihr und zog sie an sich. »Ursula«, sagte er mit zärtlichem Ton in der Stimme, »warum kannst du nicht vergessen? Warum quälst du dich noch immer so sehr?« Er strich über ihr Haar, dann küsste er sie.

Aber schon wehrte sich die junge Frau und machte sich aus seiner Umarmung frei. Dann lachte sie spitz. »Vergessen? Natürlich, du kannst es. Du denkst anscheinend gar nicht mehr an unsere kleine Dani. Für dich ist es so, als habe sie nie gelebt, als hätten wir nie ein Kind gehabt.«

In Dr. Bruggers Gesicht stieg Röte, die jedoch gleich darauf wieder verschwunden war und fahler Blässe Platz gemacht hatte. »Warum behauptest du das immer wieder, Ursula? Du weißt, wie hart du mich damit triffst. Habe ich Dani nicht genauso geliebt wie du?«

»Ja, anfangs. Aber bald hattest du alles mögliche an ihr auszusetzen. Sie war dir nicht kräftig und nicht robust genug.« Ursula lief zu einem Fenster und lehnte sich dagegen. Von dort sah sie ihren Mann an. Mit einem Blick, der darauf zu warten schien, dass diese Zwistigkeit weiterging.

Helmut Brugger stieß einen tiefen Seufzer aus. »Je mehr Zeit vergeht, seitdem wir unsere Dani verloren haben, um so hinterhältiger scheinst du zu werden. Ich hatte an dem Kind nichts auszusetzen. Ich wollte nicht, dass es robust ist. Es sollte nur gesund sein. Und Dani war nicht gesund.«

Ursula wischte mit den Händen durch die Luft. »Komm mir jetzt nicht wieder mit diesem Loch im Herzen. Das ist doch eine Erfindung von dir gewesen. So etwas gibt es nur in den seltensten Fällen. Und gerade unser Kind soll so etwas gehabt haben? Das werde ich niemals glauben.«

Helmut Brugger bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Wir brauchen doch darüber nicht mehr zu sprechen, Ursula. Wir haben Dani nicht durch diesen Geburtsfehler verloren …«

»Nein, das haben wir nicht.« Die Stimme der jungen Frau klang nun hysterisch. »Wir haben Dani durch meine Schuld verloren. Das wolltest du doch sagen. Das hältst du mir immer wieder vor. Unsere Liebe ist unter diesem Vorwurf bereits gestorben.« Jetzt lief Ursula zu einer Couch und warf sich darauf. Ihre Schultern bebten. Sie war jetzt nur noch ein hilfloses Bündel Mensch.

Der Mann sah es und setzte sich neben seine Frau. »Ursula, unsere Liebe ist dadurch nicht gestorben. Wir waren nur nicht stark genug, mit einem so schweren Schicksalsschlag fertig zu werden. Besonders du nicht. So glaube mir doch endlich, dass ich dir keine Vorwürfe mache.«

Jetzt richtete sich Ursula auf. In ihren Augen stand Verzweiflung. Sie schlug sich mit den Fäusten gegen die Brust, ihre Stimme zitterte. »Aber mir hat man Dani gestohlen. Mir, Helmut, nicht dir. Ich habe nicht genug auf sie aufgepasst, ich war leichtsinnig. Ich habe Dani im Kinderwagen vor dem Geschäft stehen lassen.« Nun umspannten die Hände der jungen Frau die Schultern ihres Mannes. Ihre Finger gruben sich ein, dass er nur mit Mühe einen Schmerzenslaut unterdrücken konnte. »Aber du musst mir glauben, Helmut, dass ich nur einige Minuten in dem Geschäft bleiben wollte. Ich hatte nicht einmal vor, etwas zu kaufen. Ich wollte nur nach dem Preis eines niedlichen Kleidchens im Schaufenster fragen. Es sollte doch für Dani sein.«

Helmut Brugger versuchte den Kopf seiner Frau mit beiden Händen zu umschließen. »Ja, ich weiß das alles, Ursula. Du hast nichts anderes getan als das, was andere Mütter auch tun. Viele lassen ihre kleinen Kinder mal einige Minuten allein im Kinderwagen vor einem Geschäft stehen.«

»Aber noch keiner Mutter ist ihr Kind gestohlen worden. Geraubt, Helmut, nur mir!«

»Es war ein Verbrechen, ein entsetzliches Verbrechen!«, stöhnte er. Für Sekunden hatte er sich nicht in der Gewalt. Die Erinnerung war auch für ihn zu grausam, sodass er darüber vergaß, dass er seine Frau trösten sollte. »Ein halbes Jahr war unsere Dani erst alt.« In Gedanken setzte er hinzu: und sie war krank. Vielleicht ist sie den Entführern gestorben, vielleicht haben sie sich deshalb nie gemeldet.

Als errate Ursula seine Gedanken, sagte sie jetzt: »Wir haben gewartet, Minute um Minute – weißt du es noch? –, dass sich jemand meldet, der Lösegeld für unser Kind verlangt.« Sie schlug die Hände vor das Gesicht. »Aber niemand hat sich gemeldet, sie haben unser Kind getötet.« Schon ließ sie die Hände wieder sinken und stierte ihren Mann mit irrem Blick an. »Nicht einmal begraben durften wir unser Kind. Niemand hat es gefunden …«

Jetzt drückte Helmut Brugger seine Frau auf die Couch zurück und breitete eine Decke über sie. »Bitte, bleibe liegen, Ursula. Lass uns heute zu Hause bleiben. Wir sind den Thamms in keiner Weise verpflichtet. Ich werde anrufen und uns entschuldigen. Wir sind im Moment beide zu aufgewühlt. du kannst jetzt nicht weggehen. Ich habe wieder einmal nicht verhindern können, dass du dich so aufregst. So oft habe ich das schon nicht mehr geschafft. Deshalb muss ich mich anklagen. Ich habe dich doch noch immer lieb, Ursula.«

»Nein, das kann nicht sein. Vorhin hast du selbst gesagt, dass unsere Liebe gestorben sei«, begehrte die Frau auf.

»Ich habe wiederholt, was du behauptet hast, Ursula. Mein Gott, wer kann seine Worte noch auf die Goldwaage legen, wenn er immer wieder in diese Verzweiflung zurückgestoßen wird? Wir haben doch aus Liebe geheiratet, Ursula. Wir waren sehr glücklich …«

»Ja, wir waren es. Doch das Glück kann nie wiederkommen. Ich werde mit meiner Schuld nicht fertig und kann auch nicht begreifen, dass du nicht genauso um unsere Dani trauerst wie ich.«

Wieder strich Helmut Brugger beschwichtigend über das Gesicht seiner Frau. »Es sind fast zwei Jahre seither vergangen, Ursula.« Seiner Stimme war anzuhören, dass er diesen Satz kaum auszusprechen wagte. Sehr schnell fügte er hinzu: »Wir hätten längst wieder ein Kind haben können.«

Nun setzte sich Ursula mit einem Ruck auf, wobei sie die Decke zu Boden warf. Ihre Augen glühten. »Wie du das sagst! So wie immer. Du bist ein Unmensch! Für dich wäre alles aus der Welt geschafft, wenn wir wieder ein Kind hätten. Du sprichst von Kindern wie von Stücken, die man im Haushalt anschafft. Das eine verliert man, das nächste ersetzt es. Nein, ich will kein Kind mehr. Ich müsste dann noch mehr an Dani denken. Ich könnte zu keinem anderen Kind mehr lieb sein.« Ursula sprang auf die Füße. Sie taumelte. Doch gleich darauf hatte sie sich gefangen. »Ich ziehe mich um. Wir fahren zu den Thamms. Ich will aus diesen vier Wänden heraus. Ich will nicht mit dir allein sein. Ich ertrage deine Ansichten nicht länger.« Sie verließ schon das Wohnzimmer.

Helmut Brugger stützte den Kopf in die Handflächen. Wie oft hatte er schon so gesessen und gegrübelt. Verzweifelt, ohne Hoffnung, hilflos. Was er auch versucht hatte, Ursula aus ihrem Schmerz herauszureißen, es war missglückt. Sie wollte keine Freude mehr am Leben haben, sie wollte auch kein Kind mehr haben. Nur eines wollte sie – sich und ihn quälen.

Als er hörte, dass Ursula in der Diele war, stand er auf und ging zu ihr. Sicher würde sie ihn jetzt fragen, warum er sich nicht umgezogen hatte. Aber er irrte sich, Ursula schwieg. Sie sah ihn kaum an. Sie strebte nur aus dem Haus.

Helmut Brugger wusste, dass dieser Abend für sie beide eine Pein werden musste. Bald merkte er auch, dass sie anfangs bei der kleinen Gesellschaft zwar willkommen gewesen waren, dass man aber besonders Ursula etwas aus dem Weg ging. Das war sicher keine Bösartigkeit. Eher fühlten sich alle ratlos. Sie wussten ja, dass Ursula nicht mehr imstande war, eine amüsante Unterhaltung zu führen. Sie machte zwar immer Anläufe dazu, doch dann wurde ihr Blick regelmäßig wieder stumpf.

Schließlich schwieg sie.

So fuhren sie auch diesmal frühzeitig nach Hause. Helmut Brugger hätte das recht sein können, denn für ihn war der nächste Morgen ein Operationstag in der Klinik. Dazu brauchte er seine ganze Kraft und ausgeruhte Nerven. Aber er wusste, Ursula würde wahrscheinlich wieder keinen Schlaf finden. Sie stand oft nachts auf und ging ruhelos von einem Zimmer ins andere. Dass auch er dadurch keinen Schlaf fand, schien sie gar nicht zu bemerken. Erst wenn er sie aus dem Zimmer der kleinen Daniela zurückholte, fragte sie manchmal: »Ach, du hast auch nicht schlafen können, Helmut?«

Es kam auch in dieser Nacht so, wie Helmut Brugger befürchtet hatte. Ursula wälzte sich unruhig neben ihm von einer Seite auf die andere. Er litt mit ihr, aber er wusste, dass sie das nicht spürte. Seit dem Verlust ihres Kindes schien sie tieferer Empfindungen für ihn nicht mehr fähig zu sein. Oder sie wehrte sich dagegen, nach dem Motto: darf ich mein Kind nicht mehr lieben, soll auch kein anderer Mensch Liebe von mir bekommen.

Helmuts Hand streckte sich aus. Sie suchte die seiner Frau. Er bat: »Ursula, bitte, versuche zu schlafen. Komm zu mir.« Er wollte sie an sich ziehen. Aber schon wehrte sie sich. Jetzt stand er auf. »Ich hole dir eine Schlaftablette.«

Als er im Badezimmer vor dem Medikamentenschränkchen stand und überlegte, welche Tablette er Ursula geben sollte, fielen einige größere Packungen um. Dadurch kam etwas zum Vorschein, was er bis jetzt nicht hatte sehen können. Er nahm es in die Hand. »Antibabypillen«, murmelte er vor sich hin. Ein schwerer Seufzer entrang sich seiner Brust. So war das also. Ursula sorgte dafür, dass sie auf gar keinen Fall noch ein Kind bekommen konnte. So stark war also ihre Abneigung gegen ein kleines Wesen, das sie doch wieder hätte lieben und mit all ihrer Fürsorge umgeben können. Sie wusste, wie sehr er sich nach einem Kind sehnte. Auch wenn Dani ihnen geblieben wäre, hätten sie sich noch Kinder gewünscht.

Helmut Brugger nahm eine Schlaftablette, füllte ein Glas mit Wasser und ging ins Schlafzimmer zurück. Von dem, was er eben entdeckt hatte, sprach er nicht. Zu gut wusste er, wie sinnlos es war, Ursula Vorhaltungen zu machen.

*

Zur selben Zeit lag auch ein anderes Paar wach. In einer Wohnung, die im Vergleich zu dem schönen Haus Dr. Bruggers ein Elendsquartier war. Diese Wohnung lag in einem baufälligen Haus am Stadtrand von Darmstadt. Und das Paar war nicht verheiratet, aber es lebte seit Jahren miteinander wie Mann und Frau.

Die beiden waren der siebenundzwanzigjährige Heribert Wied und die fünfundzwanzigjährige Gitta Brandt. Zwei Menschen, die eine Hassliebe miteinander verband. Keiner war imstande, sich von dem anderen zu trennen, obwohl die anfängliche Leidenschaft zueinander längst verraucht war.

Für Heribert Wied gab es noch etwas anderes, was ihn an Gitta band: Sie wusste zu viel von ihm. Sie wusste von all jenen kriminellen Dingen, die er im Laufe der Jahre auf sein Gewissen geladen hatte. Sie reichten vom Ladendiebstahl bis zum bewaffneten Überfall. Dass Heribert Wied dabei noch niemals von der Polizei überführt worden war, hatte er vor allem Gitta zu verdanken. Sie war immer bereit gewesen, ihn zu decken, ihm ein Alibi zu verschaffen und ihn wieder ›herauszuhauen‹, wie er es nannte.

Dass Gitta mit von seiner jeweiligen Beute lebte, schien ihm Lohn genug für ihre hündische Treue zu sein. Er ging nicht gerade zartfühlend mit ihr um.

Auch jetzt sagte er grob: »Musst du noch einmal das Licht einschalten, wenn ich schlafen will? Du scheinst einen leichten Tick von der Sache bekommen zu haben.«

Gitta beugte sich zu dem wackeligen Nachtkästchen vor und griff nach einer Zeitung. Dabei fiel ihr das strähnige, fette Haar ins Gesicht. Sie wischte es mit einer fahrigen Bewegung in den Nacken. Ihre vollen Lippen pressten sich zusammen, in ihren dunklen Augen stand Angst.

»Schmeiß die Zeitung weg oder ich vergesse mich!«, herrschte Heribert Wied sie an. Er richtete sich im Bett auf. In seinem besonders schmalen Gesicht zuckte es, während seine hohe Stirnglatze im Schein des Lichts funkelte.

Gitta erschrak, aber sie tat nicht, was er von ihr verlangte. Sie starrte auf ein Foto in der Zeitung und murmelte: »Sie ist es. Ganz bestimmt ist sie es, Heribert. Meine Schwester Helga.«

»Ja, das hast du heute schon hundertmal gesagt. Gib mir jetzt in der Nacht wenigstens Ruhe damit. Du bist reif für die Nervenklinik. Und mit so was lebe ich zusammen. Es ist nicht zu glauben!« Heribert Wied ließ sich wieder zurückfallen und wollte sich die Bettdecke über den Kopf ziehen.

Aber das verhinderte Gitta. Ihr Gesicht glühte vor Erregung, als sie entgegnete: »Tu nicht so, als ob dich das alles nichts anginge. Gib doch zu, dass du selbst einen Schreck gekriegt hast.«

»Ja, ja, ja«, schrie Heribert. »Wie soll ich auch begreifen, dass deine Schwester auf einmal solchen Blödsinn macht? Kommt einfach nach Deutschland zurück, obwohl sie uns versprochen hat, in der Schweiz zu bleiben.«

»Dieses Versprechen hat sie lange genug gehalten, Heribert. Wir brauchten die ganze Zeit keine Angst zu haben. Helga hing an dem Kind. Sie hätte es freiwillig nie hergegeben. Sie wusste, dass sie selbst nie Kinder kriegen würde.«

Heribert Wied lachte giftig. »Ja, sie hatte den Anschluss verpasst, die gute Helga. Mit sechsunddreißig findet eine so zimperliche Trine, wie deine Schwester es war, so leicht keinen Mann mehr.«

»Helga war immer kränklich. Dafür konnte sie nichts. Du solltest sie wirklich nicht ins Lächerliche ziehen, Heribert. Jetzt ist sie ja auch tot.« Tränen liefen über Gittas Gesicht.

»Hör auf zu flennen. Du weißt, das kann ich absolut nicht leiden. Jetzt ist es passiert. Was läßt sich daran noch ändern?«

Gitta legte die Zeitung wieder auf das Nachtkästchen. »Aber ich möchte wissen, wohin sie wollte. Zu uns?«

Heribert Wied warf sich auf die Seite. »Davor hat uns ein gnädiger Gott bewahrt. Du siehst, er ist noch mit uns.«

Nun streckte sich auch Gitta aus. »Du kannst nur lästern, Heribert. Vielleicht freut es dich auch noch, dass ich nun Helga verloren habe.«

»Ja, es freut mich. Deine Besuche in der Schweiz haben mich ohnehin verrückt gemacht. Du musstest deine Schwester stets wiedersehen, musstest ihr auch noch Geld bringen. Aber daran, in welche Gefahr du mich damit brachtest, daran hast du nie gedacht. Du bist ein dummes Frauenzimmer, mehr nicht.«

»Die Gefahr wäre für mich genauso groß gewesen, Heribert. Das vergisst du immer wieder. Und was soll jetzt mit dem Kind werden?« Gitta wollte sich schon wieder aufsetzen.

Mit einer brutalen Handbewegung drückte er sie in die Kissen zurück. »Ich weiß nichts von einem Kind, hörst du? Das Kind, neben dem deine Schwester gestorben ist, wurde in ein Heim gegeben. Lass es dort in Ruhe. Etwas Besseres konnte uns nicht passieren. Ich warne dich, Gitta! Solltest du irgendwelche Dummheiten machen, werde ich mir zu helfen wissen. Ich lasse mir nichts anhängen.«

Angst stieg in Gittas Augen auf. »Ich weiß, du würdest nun auch vor einem Mord nicht mehr zurückschrecken. Seitdem du damals das Kind entführt hast, bist du nicht mehr nur der kleine Einbrecher, der Gelegenheitsdieb.«

»Damals hätten wir das große Geld machen können. Mit einem Schlag wären wir reich gewesen. Aber du hast das verhindert, nur du. Ich vergesse dir das nicht. Darüber reden wir schon noch einmal.«

Jetzt knipste Heribert Wied selbst das Licht aus. Wenige Minuten später war er eingeschlafen.

Gitta lag neben ihm und starrte in die Dunkelheit. Auch wenn sie jetzt das Bild der toten Frau in der Zeitung nicht mehr sehen konnte, blieb es doch vor ihren Augen.

*

Die kleine Gritli war nun schon vierzehn Tage in Sophienlust. Alle Nachforschungen der Polizei nach der Herkunft des Kindes waren vergeblich gewesen. Niemand schien Gritli zu vermissen. Genauso wenig wie die Tote.

Inzwischen hatte kaum noch jemand Zweifel daran, dass diese Frau Gritlis Mutter gewesen war. Alles, was das Kind erzählt hatte, wies darauf hin. Auf die Frage nach dem Vater schüttelte es nur immer wieder den Kopf, bis es zu Denise von Schoenecker sagte: »Ich habe keinen Vati. Nur eine Tante Gitta. Aber die war nicht bei uns.«

Manches Widersprüchliche tauchte in Gritlis Plappereien auf. Doch man musste ihr zugute halten, dass sie noch sehr klein war und dadurch vielleicht einiges durcheinanderwarf. So sagte sie zum Beispiel, dass ihre Mutti in einer Fabrik gearbeitet habe, aber dass sie nicht in der Stadt, sondern auf einem Berg gewohnt hätten.

Dr. Anja Frey hatte darauf gedrungen, dass man das Kind zur Ruhe kommen ließ. Dafür hatte die Ärztin auch einen ganz bestimmten Grund. Sie und ihr Mann, Dr. Stefan Frey, hatten das Kind gründlich untersucht. Anfangs nur aus Vorsorgemaßnahmen, bald aber wegen bestimmter Beobachtungen. Gritli war nicht nur von Natur aus ein zartes, anfällig erscheinendes Kind, sie besaß auch einen schweren Herzschaden. Das stellte sich schon in den ersten Tagen heraus, als die Kinder von Sophienlust sich immer wieder darum bemühten, Gritli zum Spielen im Freien zu verlocken. Sie tat dann zwar ein paar Schritte, wollte so laufen wie die anderen, blieb aber stets bald stehen, rang nach Atem und wirkte durchscheinend blass. Meistens sagte sie dann: »Mutti sagt, ich darf nicht rennen.«

Anja Frey hatte einen sehr erregenden Verdacht. Deshalb bat sie Denise von Schoenecker, mit dem Kind in eine Klinik fahren zu dürfen.

Anja Frey fuhr mit Gritli nach Heidelberg. Als sie zurückkam, suchte sie sofort Denise von Schoenecker auf. Diese war sehr erschrocken über den Ernst auf dem Gesicht der jungen Ärztin.

»Sie bringen keine gute Nachricht, Frau Doktor«, sagte Denise mit schwerer Stimme. »Nicht wahr?«

»Die schlechteste. Eine, die ich befürchtet hatte. Aber bis knapp vor der Diagnose meiner Heidelberger Kollegen habe ich noch gehofft, dass mein Mann und ich uns geirrt hätten.« Anja Frey zuckte hilflos die Schultern, in ihren Augen stand Verzweiflung, als sie sagte: »Gritli hat ein Loch im Herzen.«

»Nein!« Denise neigte sich über den Tisch. In ihrem Gesicht arbeitete es. »Aber das ist doch lebensgefährlich«, murmelte sie und presste die Handflächen aneinander.

Anja Frey nickte. »Ja, das ist es. In der Klinik hat man sich sogar gewundert, dass Gritli bis jetzt durchgehalten hat. Merkwürdigerweise behauptet sie, nicht bei Ärzten gewesen zu sein. Aber ihre Mutter scheint von dem Schaden doch gewusst zu haben. Jedenfalls hat sie das Kind geschont und es immer wieder dazu angehalten, sich nicht zu übernehmen.«

Anja Frey stand auf und trat ans Fenster. Im Park unten tobten die Kinder. Gritli stand mit hängenden Schultern am Rand des Rasens und sah ihnen zu.

»Diese Ergebenheit ist mir zuerst aufgefallen, dieses traurige Gesicht, wenn die anderen Kinder spielten«, meinte die Ärztin. »Sie sagte auch jetzt, sie wolle nur zusehen. Andere Kinder wünschen sich, mitspielen zu können.«

Denise war neben die Ärztin getreten. »Ein so schwer krankes Kind hatten wir noch nie in Sophienlust«, sagte sie leise. »Ist es nicht schlimm genug, dass wir nicht wissen, wohin Gritli gehört?«

»Ja, man kommt in Versuchung, aufzubegehren.« Anja Frey strich sich über die Stirn.

»Und was raten Ihre Kollegen?«, fragte Denise von Schoenecker. »Gibt es eine Möglichkeit, zu helfen?«

»Eine einzige, Frau von Schoenecker.« Anja Frey ging zu ihrem Stuhl zurück und ließ sich darauffallen. »Eine Operation in der Mayo-Klinik.«

»In den USA?«, fragte Denise.

»Ja, in den USA, in Rochester. Nur in dieser Klinik hat man bisher mit Erfolg so schwere Operationen an Kindern durchgeführt. Sie werden sich daran erinnern. Man liest manchmal davon in den Zeitungen.«

»Ja. Und jedes Mal wird dann auch geschrieben, dass eine solche Operation und der wochenlange Aufenthalt in der Mayo-Klinik ein kleines Vermögen kosten.« Denise stand noch immer am Fenster. Ihr Blick hatte sich noch nicht von der kleinen Gritli gelöst. »Aber um ein Kind zu retten, dafür sollte einem kein Betrag zu hoch sein. Ich werde mit unserem Vermögensverwalter, Rechtsanwalt Dr. Brachmann, sprechen. Aus eigenem Ermessen kann ich eine so große Summe aus dem Erbe von Nicks Urgroßmutter nicht entnehmen.« Denise kam vom Fenster zurück. »Aber wir werden Gritli in die Mayo-Klinik bringen, wenn sie das retten kann.« Das sagte Denise mit sehr entschlossener Stimme. »Ich werde gleich heute Abend mit meinem Mann sprechen. Gibt es in der Mayo-Klinik eine Warteliste, Frau Doktor? Ich meine, sicher kann man nicht zu jeder x-beliebigen Zeit dorthin fahren.«

»Nein, das ist nicht möglich. Aber die Kollegen in Heidelberg wären bereit, mit den Ärzten der Mayo-Klinik Verbindung aufzunehmen. Ich konnte jedoch noch keine Zusage machen, weil ich nicht wusste, ob das Geld für die Operation aufgebracht werden kann.« Anja Frey sah noch immer bedrückt aus. »Leider sind mein Mann und ich nicht in der Situation, finanziell entscheidend helfen zu können. Wären wir dazu in der Lage, würden wir es tun. Wenn ich daran denke, dass das Leben unserer kleinen Felicitas davon abhängen könnte, dass man Geld aufbringt, weiß ich nicht, was ich alles unternehmen würde. Ich werde mich auch jetzt bemühen, Frau von Schoenecker, vielleicht einige Spenden zusammenzukriegen, damit nicht die ganze Belastung auf Ihnen allein liegt. Unser kleines Mädchen von nirgendwoher ist ja schon im weiten Umkreis bekannt. Oder besser – man kennt sein Schicksal und bedauert es sehr. Es sollte doch möglich sein, einige Leute mit Geld zu finden, die einmal ein gutes Werk tun wollen.«

Denise von Schoenecker war der jungen Ärztin dankbar, dass sie ihr zur Seite stehen wollte. Die beiden Frauen unterhielten sich noch geraume Zeit miteinander, bis Anja Frey etwas anderes einfiel. »Ich habe ganz vergessen zu sagen, dass Gritli auf jeden Fall einige Zeit warten muss, bis sie operiert werden kann. Man wollte sie in der Klinik behandeln, aber ich habe die Erlaubnis bekommen, das hier zu tun. Es geht nur darum, dass sich Gritli etwas stärkt, sie wäre in ihrem jetzigen Zustand zu schwach, um die stundenlange Operation durchstehen zu können. Ich habe mit meinen Kollegen die Therapie genau besprochen. Jetzt brauchen wir vor allem noch Schwester Regines Hilfe, damit der Plan genau eingehalten werden kann.«

»Mit Schwester Regine können wir immer rechnen, das wissen Sie, Frau Doktor. Ich glaube, jedes Mal, wenn sie ein krankes Kind pflegt, denkt sie an ihr eigenes Kind. Vielleicht nicht mehr in dem verzehrenden Schmerz wie früher, aber doch mit dem großen Wunsch, ein fremdes Kind zu retten, wenn sie schon ihrem eigenen Kind nicht helfen konnte. Ich werde sofort mit Schwester Regine sprechen. Ist es Ihnen recht, wenn sie heute Abend auf einen Sprung ins Doktorhaus kommt?«

»Ja, das ist mir sogar sehr recht. Ich freue mich jedes Mal, mit Schwester Regine ein Stündchen beisammen sein zu können.« Anja Frey verabschiedete sich.

Kurze Zeit später rief Denise von Schoenecker die großen Kinder ins Haus. Sie hatte sich vorgenommen, mit ihnen über Gritlis Krankheit zu sprechen. Sie sollten nun noch besser als zuvor auf das Kind aufpassen und es nicht zu Anstrengungen herausfordern.

Pünktchen, Angelika und Vicky waren die ältesten Kinder in Sophienlust, seitdem Malu und Isabel das Heim verlassen hatten.

Diese drei Mädchen saßen Denise von Schoenecker erwartungsvoll gegenüber. Was sollte das bedeuten, dass ihre Tante Isi sie aus heiterem Himmel hatte kommen lassen? So etwas passierte nicht oft. Die Mädchen wurden unruhig, als sie Denises abgespanntes, ernstes Gesicht sahen. Es konnte nicht ausbleiben, dass sie sich die Frage stellten, ob sie etwas angestellt hatten.

Denise beruhigte sie ein wenig. »Gleich, ich will nur noch auf Nick warten, sonst muss ich alles noch einmal wiederholen. Da ist er ja endlich.«

Der große schwarzhaarige Junge, der jetzt ins Zimmer gestürmt kam, sah sich erschrocken um. »Mutti, was ist passiert?«, fragte er.

Denise von Schoenecker lächelte ihren Sohn an. »Du tust natürlich gleich wieder, als müsste es irgendwo brennen, wenn ich nur mal ein paar Worte mit euch sprechen will. Setz dich schon hin, Nick.«

Der fünfzehnjährige Dominik von Wellentin-Schoenecker sah jetzt recht enttäuscht aus. »Nur sprechen …«, murmelte er vor sich hin. Dann sagte er laut: »Ich dachte, es gäbe endlich wieder einmal eine Sensation auf Sophienlust. Dass du uns nicht verprügeln willst, habe ich mir gleich gedacht.« Jetzt lachte er.

»Verprügeln? Wie kommst du denn darauf?« Denises Stimme klang ärgerlich. »Als ob es so etwas bei uns überhaupt gäbe.«

Nick lachte noch immer. »Aber es gibt kleine Kinder bei uns, die sich das wünschen. Für uns Große jedenfalls. Unser Liliputchen Heidi hat zu mir gesagt: ›Schnell, Nick, du sollst sofort zu deiner Mutti ins Zimmer kommen. Pünktchen, Angelika, Vicky und du, ihr habt etwas ganz Schlimmes angestellt und bekommt jetzt Haue dafür.‹ Ja, das hat Heidi durch den ganzen Park geschrien, Mutti.«

Nun brachen alle in Lachen aus, Denise sagte: »Nun, Heidi muss man das entschuldigen, sie rückt sich eben auch gern mal in den Mittelpunkt. Wenn man noch nicht einmal vier Jahre alt ist und sich den größeren Kindern immer etwas unterlegen fühlt, muss man eben auch mal auftrumpfen können. Sie wird sich darüber gefreut haben, dass du ihr scheinbar geglaubt hast. Aber jetzt wollen wir dieses Thema abschließen. Bitte, hört mir gut zu.«

Denise erzählte nun, mit welcher schlimmen Nachricht Anja Frey Gritli aus Heidelberg zurückgebracht hatte.

Übermut und Lachen waren von den Gesichtern der Mädchen verschwunden.

Nick aber starrte ununterbrochen auf einen Fleck.

»Ich musste euch einweihen, denn es wird vor allem auch auf euch ankommen, dass wir es schaffen, Gritli ein wenig zu kräftigen. Frau Dr. Frey wird sie behandeln. Mit Medikamenten. Unsere Magda wird sich gewiss alle Mühe geben, für Gritli das zu kochen, was unsere Ärztin empfiehlt. Schwester Regine und Frau Rennert werden genau darauf achten, dass alle Vorschriften eingehalten werden. Ihr aber müsst unauffällig dafür sorgen, dass Gritli vor der kleinsten Anstrengung bewahrt bleibt. Diese Aufgabe muss ich in eure Hände legen, weil wir Erwachsenen nicht immer dabei sind, wenn im Park gespielt wird.«

Pünktchen hatte noch immer ein erschrockenes Gesicht. »Aber Tante Isi, dann hätte Gritli ja in den vierzehn Tagen schon längst etwas passieren können! Wir haben sie oft mitgezogen, weil wir glaubten, sie sei nur zu schüchtern und zu scheu, sich uns anzuschließen.«

»Ja, Gritli scheint einen Schutzengel gehabt zu haben, dass sie diese Zeit ohne größere Gefährdung überstanden hat. Manchmal gab sie ja auch selbst zu erkennen, dass sie von ihrer Mutter von übermütigen Spielen stets ferngehalten wurde. Aber jetzt wissen wir, dass alle hier das Kind ganz besonders unter ihren Schutz nehmen müssen. Es wäre mir auch lieb, wenn ihr mit den anderen Kindern nicht darüber sprechen würdet. Gritli weiß nicht, wie schlimm es um sie steht. Vielleicht würde sie es nicht begreifen, aber allein der Gedanke, dass sie bald eine sehr große Reise in ein Krankenhaus machen muss, könnte sie von Neuem verstören.«

»Aber so eine Reise und die Operation kosten doch ein Stinkgeld, Mutti«, sagte Nick in dem Jargon seiner fünfzehn Jahre.

Denise nahm ihm das in diesem Moment nicht übel. »Ja, das alles kostet sehr viel Geld, aber wir müssen es zusammenkriegen.«

Die Mädchen standen schon an der Tür. Pünktchen wurde plötzlich kribbelig. Das sah man ihr stets an, weil sie dann meistens von einem Fuß auf den anderen hüpfte.

»Pünktchen wird gleich eine Rede halten«, verkündete Nick mit einem spöttischen Seitenblick auf das Mädchen.

»Ja, werde ich auch.« Pünktchen sah Nick wütend an. Sie ertrug es nie, wenn er sich über sie lustig machte. »Aber du brauchst ja nicht zuzuhören. Meinetwegen kannst du schon gehen. Ich will ja nur Tante Isi, Angelika und Vicky etwas sagen. Nein, ich will etwas mit ihnen besprechen.« Pünktchen öffnete die Tür weit. »Bitte, Herr von Wellentin-Schoenecker, Sie dürfen das Zimmer verlassen.« In Pünktchens Augen kämpfen Verärgerung und Übermut miteinander.

Nick lehnte sich an die Wand. »Ich denke gar nicht daran, Frau Angelina Dommin.«

Denise schüttelte den Kopf. Sie wollte ein ernstes Gesicht aufsetzen, aber sie konnte sich das Lachen nicht verkneifen. »Wollt ihr gefälligst euren Krieg an einem anderen Schauplatz ausfechten? So interessant sind mir eure Streitereien nicht mehr, dass ich sie unbedingt anhören möchte.«

Angelika flüsterte Vicky zu: »Was sich neckt, das liebt sich.«

Mit einem Sprung war Nick bei den beiden Mädchen. »Was habt ihr gesagt?«

»Gar nichts. Wir haben nur laut gedacht. Und denken wird doch wohl noch erlaubt sein«, verteidigte sich Angelika.

Pünktchen hatte einen roten Kopf bekommen. Natürlich war ihr diese Anspielung nicht entgangen. Friedfertig sagte sie jetzt: »Also, bleibe meinetwegen hier.« Sie zog die Tür wieder zu und fuhr fort: »Aber unterbrich mich bitte nicht immerzu.« Jetzt sah sie Denise von Schoenecker an. »Tante Isi, wir könnten doch auch etwas tun, um das Geld für Gritlis Operation zusammenzubekommen. Bestimmt fällt uns etwas ein.«

»Ja, dass wir mit einem Teller von Haus zu Haus gehen. Am besten auf die Höfe. Du singst, Pünktchen, und ich sammle das Geld ein. Vielleicht findet sich auch noch jemand mit einem Musikinstrument.« Nick hatte schon wieder vergessen, dass ihm die Gefahr drohte, von dem Mädchen auf den Flur verwiesen zu werden.

Doch es war merkwürdig – Pünktchen nahm ihm seine Ironie jetzt gar nicht übel. Sie lachte nur. »Der Gedanke ist gar nicht so schlecht, Nick, aber ich habe eine bessere Idee. Wir machen einen Zirkus auf.«

»Was? Wie? Einen Zirkus?« Nick trat ganz nahe an Pünktchen heran. »Sagst du das nur, weil du mich als Clown engagieren möchtest?«

»Das wäre gar nicht so schlecht, Nick. Wirklich, das musst du dir noch überlegen. Du wärst ein toller Clown.« Pünktchen blieb dabei ernst – ernster als die anderen –, wie stets, wenn sie ihre Ideen verteidigte. »Aber du wärest nicht die wichtigste Person in diesem Zirkus, Nick. Die Hauptpersonen würden Tante Andreas Tiere sein.«

»He?«, machte Nick. »Die Tiere von ›Waldi & Co.‹? Was willst du denn mit denen anfangen? Soviel ich mich erinnere, sind einige altersschwach und die anderen krank. Irgendeine Blessur hat jedes. Und mit solchen Tieren willst du einen Zirkus aufmachen? Für die Kunststücke armer Invaliden sollen die Leute Eintritt bezahlen?«

Denise von Schoenecker griff jetzt ein. »Beruhige dich mal ein wenig, Nick, und lass Pünktchen erst einmal richtig zu Wort kommen. Außerdem bin ich überzeugt, dass deine Schwester Andrea dir jedes Haar einzeln ausreißen würde, wenn sie wüsste, wie du ihr Tierheim hinstellst. Gut, der Esel Benjamin ist schon halbblind, aber er ist ein lieber netter Kerl, der den Kindern immer wieder gefällt. Er würde es sich gefallen lassen, dass die Kinder auf ihm reiten. Das ist nur ein Beispiel.« Jetzt öffnete Denise die Tür. »Verschwindet jetzt. Und zerbrecht euch an einem anderen Platz den Kopf über Pünktchens Plan. Ich halte ihn für sehr gut. Nicht nur, weil ihr damit für Gritlis Operation etwas verdienen könntet, sondern auch, weil ihr endlich wieder einmal für längere Zeit eine gute Beschäftigung hättet. Nur, zu lange trödeln dürft ihr nicht.«

»Wir könnten morgen schon damit anfangen, die Tiere von ›Waldi & Co.‹ zu dressieren. Viele können doch auch schon prima Kunststücke.« Das sagte Pünktchen noch im Hinausgehen.

Gleich darauf schnatterte sie mit den beiden anderen Mädchen auf dem Flur durcheinander. Zwischendurch war Nicks Stimme zu hören.

Als Denise von Schoenecker ans Fenster trat, sah sie die vier Kinder einträchtig hintereinander auf dem Fahrrad verschwinden.

»Die Harmonie ist schon wieder hergestellt. Natürlich lässt sich mein Sohn von solch einer Idee begeistern«, redete Denise vor sich hin. Dann lachte sie. »Nun wird Andrea die Plage mit ihnen haben.«

*

Die junge Tierarztfrau und Besitzerin des Tierheims »Waldi & Co.«, Andrea von Lehn, sah den vier Sophienlustern schon an der Nasenspitze an, dass sie an diesem Tag mit einem besonderen Anliegen zu ihr kamen.

Zunächst musste Andrea allerdings über Gritlis schwere Krankheit informiert werden. Der jungen Frau traten die Tränen in die Augen, als sie die Diagnose gehört hatte. Sie presste die Hand auf die Brust. »Dann ist Gritli doch verloren«, flüsterte sie. »Ich habe immer gespürt, dass diesem armen Kind noch weit mehr fehlt als die Mutter und Geborgenheit. Aber an so etwas Furchtbares hätte ich nicht gedacht.«

Sophienlust Extra 12 – Familienroman

Подняться наверх