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Bodhisattvatscharyavatara
Sechstes Kapitel - Geduld
1 Was immer wir an heilsamen Handlungen, wie Verehrung der Buddhas und Großzügigkeit, in tausend Zeitaltern angehäuft haben - ein einziger Augenblick des Zornes wird es zerstören.
2 Es gibt kein Übel, das dem Hasse gleicht, und keine Geistesstärke wie die Geduld. So sollte ich auf viele Arten streben, über Geduld zu meditieren.
3 Mein Geist wird keinen Frieden finden, wenn er leidvolle Gedanken des Hasses nährt. Weder Freude noch Glück werde ich erfahren, die Unruhe wird mich um den Schlaf bringen.
4 Ein Meister, der Hass in sich trägt, läuft Gefahr, selbst durch diejenigen sein Leben zu verlieren, deren Wohl und Glück von seiner Güte abhängen.
5 Hass schüchtert Freunde und Verwandte ein. Bin ich auch freigiebig, sie werden mir nicht trauen. Kurz, da ist niemand, der mit Ärger glücklich lebt.
6 So schafft der Urfeind Zorn solche Leiden und viele mehr. Wer ihn aber unverdrossen bekämpft, wird jetzt und in der Zukunft glücklich sein.
7 Genährt durch geistige Unzufriedenheit, die aus den Gedanken entsteht, daß man das, was man nicht will, tut, und das, was man will, nicht tut, nimmt der Hass zu und vernichtet mich.
8 Daher muß ich diesem Feind vollständig jede Nahrung entziehen, denn dieser Feind hat keine andere Aufgabe als die, mir zu schaden.
9 Was mir auch zustoßen mag, nichts soll den Frohsinn meines Geistes stören, denn bin ich unglücklich, werde ich nichts Gutes vollbringen, und meine Verdienste werden abnehmen.
10 Warum über etwas unglücklich sein, dem abgeholfen werden kann? Und was nützt es, über etwas unglücklich zu sein, dem nicht abgeholfen werden kann?
11 Für mich und meine Freunde wünsche ich kein Leid, keine Geringschätzung, keine harten Worte und gar nichts Unangenehmes. Aber wenn es um meinen Feind geht, wünsche ich das Gegenteil.
12 Die Ursachen für Glück kommen manchmal zustande, die Ursachen für Leid hingegen sind sehr zahlreich. Ohne Leiden gibt es keine Entsagung. Daher, Geist, sei fest.
13 Wenn die Anhänger der Göttin Durga und das Volk von Karnapa für nichts den Schmerz von Schnitt- und Brandwunden ertragen, warum dann, um der Befreiung willen, habe ich keinen Mut?
14 Es gibt überhaupt nichts, das nicht durch Gewöhnung leichter würde. Wenn ich mich also an kleine Leiden gewöhne, lerne ich, größeres Leid geduldig hinzunehmen.
15 Wer hat das nicht schon erlebt bei kleineren Leiden wie Schlangenbissen, Insektenstichen, Gefühlen von Hunger und Durst und solch geringfügigen Problemen wie Ausschlag?
16 Bin ich ungeduldig im Ertragen von Hitze und Kälte, Wind und Regen, Krankheit, Knechtschaft und Schlägen, werde ich nur noch mehr darunter leiden.
17 Einige werden besonders tapfer und standhaft, wenn sie ihr eigenes Blut sehen; einige jedoch werden schwach und fallen in Ohnmacht, wenn sie das Blut anderer sehen.
18 Das rührt daher, daß ihr Geist entweder fest oder zaghaft ist. Daher beachte ich mir zugefügtes Übel nicht - Leid kann mir nichts anhaben.
19 Auch im Leiden bleibt der Geist der Weisen leuchtend klar und makellos, denn wenn der Kampf gegen die Verblendungen aufgenommen wird, erfährt man viel Schlimmes in Zeiten der Schlacht.
20 Die siegreichen Krieger sind jene, welche, die Leiden nicht beachtend, die Feinde Hass und Zorn überwinden. Gewöhnliche Krieger erschlagen nur Leichname.
21 Darüber hinaus hat das Leid gute Eigenschaften: Es macht uns verzagt, und der Hochmut vergeht. Wir entwickeln Mitgefühl für die Wesen im Daseinskreislauf.Wir vermeiden das Böse und freuen uns an heilsamem Tun.
22 Da große Leiden wie Gelbsucht mich nicht zornig werden lassen, warum sollte ich den Lebewesen zürnen, die auch in Abhängigkeit der Umstände handeln?
23 Obwohl sie nicht gewünscht sind, entstehen diese Krankheiten, und obwohl sie nicht gewollt sind, entstehen diese störenden Verblendungen mit Macht.
24 Wir denken nicht: »Ich werde zornig«, und doch widerstehen wir nicht dem Zorn. Der Zorn denkt nicht: »Ich werde entstehen«, und doch entsteht er wie von selbst.
25 Alle Fehler, die begangen werden, und all die verschiedenen Arten des Übels entstehen durch die Macht der Umstände. Sie bestimmen sich nicht selbst.
26 Diese Ansammlung von Umständen will nichts absichtlich hervorbringen, noch wünscht ihr Resultat hervorgebracht zu werden.
27 Das, was als Ursubstanz geltend gemacht wird, und das, was als Atman bezeichnet wird, ist beides nicht mit der Absicht entstanden: »Ich werde entstehen.«
28 Wenn sie nicht erschaffen und nicht-existent sind, was wird dann als »entstanden« angenommen? Da es seine Objekte ständig erfassen würde, könnte es auch nicht aufhören, zu existieren.
29 Gäbe es nämlich ein permanentes Selbst, so würde es zweifellos von jeglicher Handlung frei sein, so wie der Raum. Selbst wenn es mit anderen Umständen zusammenträfe, was könnte auf seine unveränderliche Natur einwirken?
30 Trotz fremder Einwirkungen würde es unverändert bleiben. Was also könnten Handlungen ihm anhaben? Würde ich sagen, daß Umstände auf ein permanentes Selbst wirken, wie könnten sie in einer ursächlichen Beziehung zueinander stehen?
31 So wird alles von vielen Faktoren gelenkt, die ihrerseits von anderen Faktoren beeinflußt werden, und nichts bestimmt sich selbst. Habe ich dies verstanden, sollte ich nicht auf Phänomene zornig werden, die bloße Erscheinungen sind.
32 So gibt es nichts, das zurückhält, und nichts, das zurückgehalten wird.Wollte man aber sagen, daß Zurückhaltung unangebracht ist, wäre das falsch, da man akzeptiert, daß durch die Beseitigung (von Hass und Ärger) der Strom des Leidens aufhört.
33 Wenn Menschen, die mir etwas bedeuten, unheilsam handeln, weil ihnen von anderen Schaden zugefügt wurde, sollte ich bedenken, daß solche Dinge aufgrund negativer Umstände geschehen, und friedlichen Geistes bleiben.
34 Wenn die Dinge nach freier Wahl entstehen würden, würde keinem Lebewesen je ein Leid zustoßen, denn niemand leidet gern.
35 Aus Unbedachtheit verletzt man sich sogar mit Dornen und anderem, und aus Lüsternheit nach Frauen und so weiter handelt man wie ein Besessener und entzieht sich die Nahrung.
36 Es gibt Menschen, die sich selbst Schaden zufügen durch solch unheilsame Handlungen, wie sich aufzuhängen, von Klippen zu stürzen, Gift und ungesunde Nahrung zu sich zu nehmen.
37 Wenn Menschen unter dem Einfluß von störenden Verblendungen sogar ihren (eigenen) kostbaren Körper vernichten, wie kann man von ihnen erwarten, daß sie den Körper anderer Lebewesen schonen?
38 Wenn ich auch kein Mitgefühl für Menschen empfinden kann, die unter dem Einfluß von Verblendungen vielleicht versuchen wollen, mich zu töten, so wäre es doch das Letzte, über sie in Zorn zu geraten.
39 Selbst wenn es die Natur kindischer Menschen wäre, anderen Wesen Schaden zuzufügen, so wäre es ebenso falsch, Zorn gegen sie zu hegen, wie dem Feuer vorzuwerfen, daß es brennt.
40 Fehler sind von vergänglicher Natur, und die Wesen sind von Natur aus gut. Deshalb ist es nicht recht, ihnen zu zürnen. Man nimmt es ja auch dem Raum nicht übel, wenn er Rauch in sich entstehen läßt.
41 Wenn ich auf einen Menschen zornig werde, der mich schlägt, obgleich es doch der Stock ist, der mich verletzt, und der Mensch nur von dem Hass, der ihn treibt, beeinflußt ist, sollte ich wirklich nur seinem Hass zürnen.
42 Früher einmal muß ich fühlenden Wesen ähnliches Leid bereitet haben. Daher ist es recht, wenn dieses Leid auf mich zurückkommt, da ich die Ursache für deren Verletzungen bin.
43 Beides, seine Waffe und mein Körper, sind die Ursachen meines Leidens, da er die Waffe ergriffen hat und ich meinen Körper. Wem sollte ich also zürnen?
44 Wenn ich mich in blinder Anhaftung an dieses leidende Geschwür einer menschlichen Form klammere, das nicht ertragen kann, berührt zu werden - wem sollte ich zürnen, wenn es verletzt wird?
45 Die Unmündigen haben sich ihre Verletzungen selbst zuzuschreiben, denn obgleich sie nicht zu leiden wünschen, sind sie den Ursachen des Leidens eng verhaftet. Warum sollten sie also über andere zornig sein?
46 Wie die Höllenwelten mit ihren Hütern und der Schwertblätterwald, so wurde auch dieses Leiden durch meine Taten hervorgerufen. Wem also sollte ich zürnen?
47 Durch meine eigenen Taten veranlaßt, begegnen mir jene, die mir Leid verursachen. Wenn sie durch solches Tun in die Hölle kommen, bin dann nicht ich es, der sie vernichtet?
48 Mit ihrer Hilfe reinige ich mich von vielen Übeln, weil ich das Leid, das sie mir verursachen, geduldig hinnehme; jedoch mit meiner Hilfe fallen sie für sehr lange Zeit in höllische Qualen.
49 Da ich ihnen also Leid verursache und sie mir Wohltaten erweisen, warum, widerspenstiger Geist, begehst du den großen Fehler, ihnen zu zürnen?
50 Wenn mein Geist die edle Tugend (der Geduld) ausgebildet hat, werde ich nicht in die Hölle kommen; während ich mich (dadurch) davor bewahre, wie können auch sie bewahrt werden?
51 Und wenn ich ihnen das Unrecht heimzahle, wird ihnen das auch nichts nützen. Durch solches Tun degeneriert mein Verhalten, und meine Anstrengungen werden zerstört.
52 Da mein Geist nichts Physisches ist, kann auch niemand ihn vernichten, aber da er mit meinem Körper eng verhaftet ist, wird ihm durch (physisches) Leid geschadet.
53 Da Geringschätzung, rohe Sprache und unfreundliche Worte meinem Körper keinerlei Schaden zufügen, warum, Geist, wirst du so zornig?
54 »Weil andere mich nicht mögen.« Aber da mir das weder in diesem noch in einem anderen Leben schaden wird, warum ist mir dies unangenehm?
55 »Weil mir dann vielleicht weltliche Güter vorenthalten werden.« Selbst wenn ich dies nicht wünsche, werde ich meine weltlichen Güter zurücklassen müssen, und allein meine Übeltaten werden übrigbleiben.
56 So ist es besser, daß ich heute sterbe, als ein langes Leben voll unheilsamer Taten zu verbringen, denn selbst wenn Leute wie ich lange leben - das Leid des Todes wird es immer geben.
57 Nehmen wir an, jemand erwacht aus einem Traum, in dem er hundert Jahre Glückseligkeit erfuhr, und nehmen wir an, ein anderer erwacht aus einem Traum, in dem er nur einen einzigen Moment des Glücks erlebte.
58 Für beide, die aufgewacht sind, wird dieses Glück niemals zurückkehren. Genau so gilt: Ob ich ein langes oder kurzes Leben hatte, zur Todeszeit ist es ausgelöscht.
59 Wenn ich auch lange Zeit glücklich gelebt habe und mir großer materieller Wohlstand beschieden war, werde ich mit leeren Händen und mittellos hinübergehen, als hätte ein Dieb mich beraubt.
60 »Sicher wird materieller Wohlstand mir ermöglichen, zu leben, und dann werde ich Unheilsames zerstören und Heilsames tun.« Wenn ich aber wegen dieser Güter in Zorn gerate, wird dann nicht mein Verdienst zerstört und Unheilsames vermehrt?
61 Was für einen Nutzen hat das Leben eines Menschen, der unheilsame Handlungen begeht, wenn er es, um materieller Vorteile willen, degenerieren läßt?
62 »Sicher sollte ich denen zürnen, die unfreundliche Dinge sagen und damit anderer Leute Vertrauen zu mir schmälern.« Warum bin ich aber nicht genau so zornig auf Leute, die unangenehme Dinge über andere sagen?
63 Wenn ich diesen Mangel an Vertrauen geduldig hinnehmen kann, weil er sich auf jemand anderes bezieht, warum bin ich dann ungeduldig, wenn jemand unfreundliche Worte über mich sagt, da sie doch auf das Entstehen von Verblendungen zurückzuführen sind?
64 Wenn andere heilige Bilder, Reliquienschreine und das Heilige Dharma verleumden oder gar zerstören, ist es unangebracht, mich darüber zu ärgern; denn die Buddhas kann man nicht verletzen.
65 Ich sollte denen gegenüber nicht ärgerlich werden, die meine spirituellen Lehrer, Verwandte und Freunde verletzen. Stattdessen sollte ich einsehen, wie schon vorher gezeigt, daß solche Dinge unter dem Einfluß der Umstände geschehen.
66 Da die Geschöpfe sowohl von fühlendenWesen als auch von leblosen Dingen verletzt werden, warum nur Groll gegen die Wesen hegen? Stattdessen sollte ich jeden Schaden geduldig hinnehmen.
67 Der eine tut Übles aus Unwissenheit, der andere wird aus Unwissenheit auf ihn wütend. Welcher von beiden ist im Irrtum, und welcher ist ohne Fehler?
68 Warum habe ich früher jene Taten begangen, für die andere mir jetzt Leid zufügen? Da alles auf meine früheren Handlungen zurückzuführen ist, warum sollte ich auf die Feinde wütend sein?
69 Nachdem ich dieses eingesehen habe, will ich mich um das bemühen, was verdienstvoll ist, damit alle von liebevollen Gedanken füreinander erfüllt werden.
70 Wenn zum Beispiel Feuer von einem Haus auf ein anderes übergesprungen ist, wird es gut sein, Stroh und Ähnliches zu entfernen, damit das Feuer sich nicht weiter ausbreitet.
71 Wenn in gleicher Weise das Feuer des Hasses auf das übergreift, an dem mein Geist haftet, so sollte ich es sofort beseitigen aus Angst, mein Verdienst könnte verbrennen.
72 Warum fühlt sich ein zum Tod Verurteilter nicht vom Glück begünstigt, wenn ihm stattdessen die Hand abgehackt und er dann freigelassen wird? Warum schätze ich, der ich menschliches Elend erfahre, mich darum nicht glücklich, wenn mir dadurch die schrecklichen Qualen der Hölle erspart bleiben?
73 Wenn ich unfähig bin, auch nur die Leiden der Gegenwart zu ertragen, warum enthalte ich mich dann nicht des Zornes, der die Quelle höllischen Elends ist?
74 Um der Befriedigung meiner Wünsche willen habe ich zahlreiche Höllenbrände durchlitten und doch durch solches Tun weder mir noch anderen gedient.
75 Aus weniger als einem Bruchteil jenes Leidens kann schon Bedeutendes hervorgehen. So sollte ich wahrhaftig froh sein über gegenwärtiges Leiden, das alle Übel vertreibt.
76 Sollte jemand Glück und Freude darin finden, meinen Feind als eine vortreffliche Person zu loben, warum, Geist, lobst du ihn nicht auch und machst dich ebenso glücklich?
77 An solcher Freude ist nichts Verkehrtes. Sie erfreut die Vollendeten und ist ein ausgezeichnetes Mittel, andere um dich zu sammeln.
78 Es wird gesagt, daß es andere glücklich macht, wenn sie so gelobt werden. Wenn du ihnen aber dieses Glück nicht gönnst, wäre es aufrichtiger, du würdest zum Beispiel aufhören, deinen Dienern Löhne zu zahlen, weil sie das glücklich macht. Aber du würdest in diesem und in zukünftigen Leben nachteilige Wirkungen erfahren.
79 Wenn andere meine Vorzüge loben, möchte ich sie auch glücklich sehen; aber wenn sie die Vorzüge anderer loben, bin ich selber gar nicht glücklich.
80 Da ich den Erleuchtungsgeist erzeugt habe, der wünscht, daß alle Wesen glücklich sind, warum sollte ich zornig werden, wenn sie ein wenig Glück finden?
81 Wenn ich allen fühlenden Wesen wünsche, daß sie Buddhas werden, verehrt in den drei Bereichen, warum quält es mich dann, wenn ich sehe, daß sie gewöhnliche, weltliche Achtung genießen?
82 Wenn ein Verwandter, um den ich mich kümmere und dem ich vieles zukommen lasse, fähig wird, seinen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, würde ich nicht eher glücklich als zornig sein?
83 Wenn ich den Wesen nicht einmal dieses gönne, wie kann ich ihnen wünschen, daß sie erleuchtet werden? Und wo ist ein Erleuchtungsgeist in dem, der zornig wird, wenn andere etwas bekommen?
84 Was tut’s, ob meinem Feind etwas gegeben wird oder nicht? Ob er es erhält, oder ob es im Haus des Wohltäters verbleibt, ich selbst habe sowieso nichts davon.
85 Warum also verschleudere ich meine Verdienste, mein Vertrauen und meine guten Eigenschaften dadurch, daß ich wütend werde? Sag mir, warum ich nicht mir selbst zürne, weil ich die Ursachen für Gewinn nicht in mir habe?
86 Oh Geist, du empfindest nicht einmal Reue über das Schlechte, das du begangen hast. Warum willst du dann mit anderen wetteifern, die verdienstvoll gehandelt haben?
87 Wenn deinem Feind Unglück widerfährt, was ist daran, worüber du dich freuen könntest?Dein bloßer Wunsch hat nicht bewirkt, daß er verletzt wurde.
88 Und selbst wenn er so leidet, wie du es dir gewünscht hast, was ist daran, worüber du dich freuen könntest? Und wenn du sagst: »Jetzt endlich bin ich zufrieden!«, kann es etwas Scheußlicheres geben als das?
89 Dieser Haken, von den Fischern der Verblendungen ausgeworfen, ist unerträglich spitz. Bin ich erst einmal gefangen, ist es sicher, daß ich in den Kesseln der Höllenwächter gekocht werde.
90 Ehre, Lob und Ruhm verwandeln sich weder in Verdienst noch in Leben; sie geben mir weder Kraft noch befreien sie mich von Krankheit und verschaffen mir keinerlei körperliches Glück.
91 Wenn mir bewußt wäre, was das Wesentliche ist, welchen Wert würde ich diesen Dingen beimessen? Wenn alles, was ich möchte, ein bißchen Fröhlichkeit ist, so sollte ich mich dem Spiel oder dem Trinken widmen.
92 Wenn ich um des Ruhmes willen meinen Besitz weggebe oder mich töten lasse, was können dann trockene Lobesworte ausrichten? Bin ich erst tot, wem machen sie Vergnügen?
93 Kinder heulen vor Verzweiflung, wenn ihre Sandburgen einstürzen. Wenn meine Ehre und mein guter Ruf dahinschwinden, verhält sich mein Geist wie ein kleines Kind.
94 Klang besitzt keinen Geist und hat hat daher keine Absicht, mich zu loben. Wenn gesagt wird, daß andere mich mögen, wie kann das die Ursache für Freude sein?
95 Ob dieses Lob mich oder einen anderen betrifft, welchen Nutzen habe ich von der Freude (dessen, der mich lobt)? Er allein hat die Freude und das Glück; ich habe nicht den kleinsten Anteil daran.
96 Wenn aber sein Glück mich glücklich macht, sollte ich dann nicht allen gegenüber das Gleiche empfinden? Wenn das so ist, warum freut es mich dann nicht, wenn er glücklich ist, weil er jemand anders mag?
97 Deshalb ist Glück wertlos, das aus dem Gedanken erwächst: »Ich bin gelobt worden.« Es entspricht der Einstellung eines Kindes.
98 Lob und Ruhm verwirren mich und hindern mich daran, dem Daseinskreislauf zu entsagen. Ich beginne die zu beneiden, die gute Eigenschaften haben, und alles Heilsame wird zunichte.
99 Sind daher jene, die fleißig dabei sind, mein Lob und meinen guten Ruf zu zerstören, nicht auch dabei, mich vor dem Sturz in elende Bereiche zu bewahren?
100 Da ich nach Befreiung strebe, sollten mich materielle Verdienste und Ehren nicht fesseln. Warum gerate ich also in Zorn über die, die mich von dieser Fessel befreien?
101 Jene, die mir Leiden zufügen wollen, sind wie Buddhas, die ein Meer von Segen ausgießen, indem sie mir die Tür zu den elenden Bereichen versperren. Warum sollte ich ihnen zürnen?
102 Wenn mich aber jemand hindern würde, Verdienst anzusammeln, wäre es ebenso unrecht, auf ihn zornig zu sein, denn keine Geistesstärke gleicht der Geduld, und ich sollte mich wirklich darin üben.
103 Wenn ich aufgrund meiner Fehler keine Geduld mit meinem Feind habe, hindere nur ich selbst mich daran, diese Ursachen für Verdienst anzusammeln.
104 Wenn ohne den Feind keine Geduld möglich ist, aber mit ihm ist sie möglich, dann ist also er die Ursache für die Geduld. Wie kann ich sagen, daß der Feind sie verhindert?
105 Ein Bettler ist kein Hindernis für Freigebigkeit, wenn ich etwas verschenken möchte. Ebenso ist derjenige, der die Gelübde gibt, genauso wichtig, um die Ordination empfangen zu können, wie der Feind für das Entwickeln von Geduld.
106 Es gibt wahrhaftig viele Bettler in der Welt, aber Wesen, die uns schaden, sind selten, denn wenn ich andere nicht verletzt habe, werden auch nur wenige mir Leid zufügen.
107 So wie ein Schatz in meinem Haus auftaucht, um den ich mich nicht im Geringsten bemüht habe, sollte ich glücklich sein, einen Feind zu haben, denn er hilft mir in meinem Streben nach Erleuchtung.
108 Und weil ich an ihm Geduld üben kann, ist er es wert, daß ich ihm die allerersten Früchte meiner Geduld widme, denn in dieser Hinsicht ist er ihre Ursache.
109 Warum aber sollte ich meinen Feind verehren? Er hat nicht den Wunsch, daß ich Geduld übe. Warum verehre ich dann das Heilige Dharma? Es beabsichtigt auch nichts, ist aber ein geeigneter Anlaß für die Anwendung.
110 Sicherlich sollte ich meinen Feind nicht verehren, denn er beabsichtigt, mir zu schaden. Wie könnte ich aber Geduld üben, wenn die Leute, gleich Ärzten, immer bemüht sind, mir Gutes zu tun?
111 Da ich geduldiges Hinnehmen dem gegenüber entwickle, der mir Hass entgegenbringt, sollte ich ihn genauso verehren wie das Heilige Dharma, weil er ja die Ursache meiner Geduld ist.
112 Deshalb hat der Erleuchtete gesagt, daß das Feld des Verdienstes zur einen Hälfte den Lebewesen, zur anderen den Buddhas zukommt, denn viele, die sie erfreut haben, erreichten dadurch die Vollendung.
113 Die Qualitäten eines Buddha verdanken wir in gleicher Weise den Lebewesen wie den Überwindern. Warum also schätze ich sie nicht genauso wie die Überwinder?
114 (Natürlich) gleichen sie sich nicht in der Güte ihrer Motivation, sondern nur in den Früchten, (die sie hervorbringen). In dieser Hinsicht aber haben sie ausgezeichnete Qualitäten, und daher wird gesagt, sie seien gleich.
115 Das Verdienst, jemanden mit liebevollem Herzen zu verehren, beruht auf der besonderen Eigenart der Lebewesen. In gleicher Weise beruht das Verdienst, Vertrauen in Buddha zu haben, auf den überragenden Eigenschaften Buddhas.
116 Daher haben sie sicher gleichen Anteil an der Entwicklung der Qualitäten eines Buddha. Doch keins von beiden kommt an guten Eigenschaften den Buddhas gleich, deren hervorragende Fähigkeiten wie grenzenlose Ozeane sind.
117 Selbst wenn man die drei Bereiche einer Person darbringen würde, die auch nur einen Teil der überragenden Eigenschaften eines Buddha erzeugt hat, würde das nicht ausreichen, um sie gebührend zu verehren.
118 Da die Lebewesen ihren Teil dazu beitragen, die höchsten Buddhaqualitäten hervorzubringen, ist es sicherlich richtig, sie zu verehren, weil sie allein in dieser Hinsicht ähnlich sind.
119 Außerdem - wie anders könnte man die unermeßlichen Wohltaten zurückgeben, mit denen die Buddhas die Welt ohne Vorbehalt beschenken, als dadurch, den fühlenden Wesen Freude zu bereiten?
120 Dem Wohl aller Wesen zu dienen, wird diejenigen entschädigen, die ihre Körper hingeben und in tiefste Höllen eingehen um ihretwillen. Darum werde ich in allem, was ich tue, untadelig bleiben, auch wenn sie mir großes Leid zufügen.
121 Wenn um ihretwillen die Vollendeten nicht einmal das Wohl ihrer eigenen Körper beachten, warum nehme ich Narr mich dann selbst so wichtig? Warum verhalte ich mich ihnen gegenüber nicht wie ihr Diener?
122 An ihrem Glück erfreuen sich die Überwinder, und über ihr Unglück sind sie betrübt. Wenn ich ihnen also wohltue, erfreue ich die Überwinder; wenn ich ihnen schade, kränke ich die Überwinder.
123 So wie begehrenswerte Sinnesobjekte meinen Geist nicht mehr erfreuen würden, wenn mein Körper in Flammen stünde, können die Großen Mitfühlenden keine Freude empfinden, wenn die Geschöpfe leiden.
124 Weil ich den Lebewesen Leid verursacht habe, bekenne ich jetzt offen meine unheilsamen Handlungen, die den Großen Mitfühlenden mißfallen haben. Bitte übt Nachsicht mit mir, Ihr Vollendeten, weil ich Euch solchen Verdruß bereitet habe.
125 Um die Tathagatas zu erfreuen, werde ich von nun an der Diener aller Wesen sein und endgültig aufhören, Leid zu verursachen. Selbst wenn viele Wesen mich auf den Kopf schlagen und treten, selbst auf die Gefahr hin, daß ich sterbe, möchte ich die Weltenbeschützer erfreuen (indem ich keine Vergeltung übe).
126 Ohne Zweifel sind alle diese Wesen wie Angehörige derjenigen, die von der Natur des Großen Erbarmens sind. Warum also betrachte ich sie nicht als von der Natur ihrer Beschützer?
127 Den Lebewesen wohlzutun, erfreut die Tathagatas und erfüllt vollkommen meine eigenen Ziele. Darüber hinaus vertreibt es die Not und das Elend in der Welt. Daher sollte ich mich ständig darin üben.
128 Wenn Personen aus der Gefolgschaft eines Königs vielen Leuten Leid zufügten, würden weitblickende Menschen das Leid nicht zurückzahlen, selbst wenn sie dazu in der Lage wären,
129 denn sie sehen, daß diese Personen nicht allein sind, sondern daß die Macht des Königs hinter ihnen steht. Genauso sollte ich schwache Wesen nicht unterschätzen, die mir geringes Leid zufügen;
130 denn sie werden von den Höllenwächtern und von all den Großen Mitfühlenden unterstützt. So sollte ich, wie die Untertanen jenes reizbaren Königs, allen fühlenden Wesen Freude bereiten.
131 (Selbst) wenn solch ein König zornig würde, könnte er die Höllenqualen verursachen, welche die Folgen wären, die ich tragen müßte, wenn ich den Lebewesen Leid zufügte?
132 Selbst wenn solch ein König freundlich wäre, könnte er mir unmöglich Buddhaschaft gewähren, welche die Frucht ist, die ich ernten würde, wenn ich den Lebewesen Wohltaten erwiese.
133 Warum erkenne ich nicht, daß das Erlangen künftiger Buddhaschaft ebenso wie Ruhm, Anerkennung und Glück in diesem Leben, nur daher kommt, daß ich die Lebewesen erfreue?
134 Weil im Daseinskreislauf die Geduld Schönheit, Gesundheit und Ruhm mit sich bringt, werde ich um ihretwillen sehr lange leben und die ausgedehnten Freuden eines Tschakravartin erfahren.