Читать книгу Studienbuch Emotionsforschung - Gesine Schiewer - Страница 6
Einleitung
ОглавлениеDas vorliegende Studienbuch ist für Studierende ebenso wie für interdisziplinär interessierte Forscherinnen und Forscher konzipiert und richtet sich auch an ein breiteres Lesepublikum. Es bietet eine Einführung in diesen hochaktuellen Wissensbereich und präsentiert die gegenwärtige Emotionsforschung in ihren disziplinübergreifenden theoretischen Grundlegungen, einschließlich der vielfältigen praxisbezogenen Anwendungsfelder. Berücksichtigt wird ein Spektrum an Schwerpunktsetzungen in diesem Forschungsfeld, das generell mit besonderer Intensität im internationalen angloamerikanischen Sprachraum abgedeckt wird, aber unter anderem auch im deutschen Sprachraum gut vertreten ist. Neben einem möglichst breit angelegten theoretischen Überblick werden im vorliegenden Band Akzente im Bereich kommunikations-, sprach-, literatur- und kulturwissenschaftlich orientierter Emotionsforschung gesetzt. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der zunehmend auch in solche Disziplinen einbezogenen Auseinandersetzung mit der Emotionsthematik, die diesen Bereich lange Zeit ausgeklammert haben; dazu gehören u.a. die Informationstechnik, Ökonomie und Politikwissenschaft.
Zugleich zeichnet sich die Erforschung von Emotionen durch eine lange Geschichte aus, die mindestens bis auf die griechische Philosophie zurückzuführen ist. Obwohl es in den verschiedenen Epochen immer wieder Phasen besonderen Interesses an der Emotionsthematik mit einer Intensivierung der Forschungsbemühungen und -ergebnisse gab, sind die letzten Jahrzehnte seit etwa den 1970er Jahren durch einen in dieser fachübergreifenden Konzentration womöglich in der gesamten Geschichte der Untersuchung von Emotionen bislang singulären Höhepunkt gekennzeichnet. So breit gefächerte Disziplinen wie die Soziologie, Psychologie, Anthropologie, Sprachwissenschaft, Ethologie, Kognitionswissenschaften, Kultur- und Literaturwissenschaften, Politik- und Rechtswissenschaften, Ökonomie, Informationstechnologie, Künstliche Intelligenz-Forschung und andere mehr widmen sich mit derzeit stetig wachsender Intensität sowohl disziplinären als auch inter- und transdisziplinären Fragen der Emotionsforschung.
Mit diesem Band wird ein Überblick über diese Entwicklungen vorgelegt, die in den aktuellen Schwerpunktsetzungen der internationalen Forschung und unter Bezugnahme auf das Verständnis erhellende historische Dimensionen des Nachdenkens über Emotionen dargestellt werden. Dabei geht es zum einen um ein vorläufiges bilanzierendes Zusammenfassen vorliegender Ansätze und Ergebnisse, die aufgrund der disziplinären Vielfalt, welche die gegenwärtige Emotionsforschung ausmacht, für Studierende aber auch Forscherinnen und Forscher oft nur schwer zu überblicken sind. Zum anderen werden spezifische und in die Zukunft weisende Konzepte, Aufgaben und Ergebnisse der Emotionsforschung akzentuiert. Insofern versteht sich dieses Studienbuch auch als Anregung für die Formulierung und Fortentwicklung disziplinübergreifender Forschungsfragen. Ein weiteres Anliegen besteht nicht zuletzt darin, die Rolle einer ganzen Reihe von Disziplinen in einem allzu häufig, wenngleich nur bedingt zutreffend, als v.a. psychologische Thematik wahrgenommenen Feld kenntlich zu machen.
Der Aufbau des Bandes orientiert sich an dem im deutschsprachigen Raum bestehenden Bedarf nach einem Studienbuch, das disziplinübergreifend in die theoretischen und anwendungsbezogenen Ausrichtungen der Emotionsforschung einführt.
Einleitend wird ein prägnanter Überblick über das große Feld der parallel geführten Emotionsbegriffe und Emotionstheorien einschließlich historischer Dimensionen der Theoriebildung, so weit sie für das Verständnis aktueller Ansätze relevant sind, vermittelt. Mit diesem Aufriss des betreffenden Spektrums an Theorien wird der Band der heterogenen Forschungslage gerecht. Damit geht eine Einführung in disziplinübergreifende Fragestellungen und Themenkomplexe der Begriffs- und Theoriebildung einher.
An die begrifflichen und theoretischen Grundlagen der Emotionsforschung schließen sich zehn zentrale Themen- und Anwendungsfelder der Thematik an, denen jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Sie werden im Folgenden einleitend Punkt für Punkt in ihren zentralen Akzentsetzungen skizziert. Querverweise, die in diesem Band die Darstellung der verschiedenen begrifflich-theoretischen Konzepte immer wieder mit den anderen Kapiteln vernetzen, erleichtern den Leserinnen und Lesern die Zusammenführung der konzeptuellen Grundlagen mit den verschiedenen Themen- und Anwendungsfeldern der Emotionsforschung und möchten Impulse für fruchtbares Weiterdenken geben.
Ein bedeutendes Gebiet der Emotionsforschung besteht von der Antike bis zur Gegenwart im Bereich der Kommunikation. Ein angemessenes Verständnis der Dimensionen und Wechselwirkungen von Emotionen, Emotionsausdruck und -deutung in der Face-to-face-Interaktion ebenso wie in der schriftlichen und mündlichen medial vermittelten Kommunikation stellt einen bedeutenden Schlüssel für den Zugang zu dem umfassenden Themenkomplex der Emotionsforschung dar. Das entsprechende Kapitel steht deswegen am Anfang der zehn themen- und anwendungsbezogenen Kapitel. Die unterschiedlichen semiotischen Formen, die im Emotionsausdruck und in der Emotionskommunikation Verwendung finden, bieten sich für einen Einstieg in die Thematik an. So stellt z.B. die Vermittlung von subjektiv wahrgenommenen Gefühlen eine wesentliche Aufgabe von Sprache dar und findet auf hochdifferenzierte Weise statt: Die Bandbreite reicht von unter Umständen kaum wahrnehmbaren prosodischen Veränderungen über die explizite Benennung von Freude, Wut oder Trauer bis zum unkontrollierten Gefühlsausbruch.
An die Thematik von ‚Emotion und Kommunikation‘ schließt sich harmonisch der Komplex von ‚Mehrsprachigkeit und interkultureller Kommunikation‘ mit der Berücksichtigung verschiedener Sprach- und Kulturräume an. In Abhängigkeit von den jeweils zugrunde gelegten entweder primär universalistischen oder relativistischen Emotionskonzepten – eine Polarität, die zu den charakteristischen Merkmalen der Forschungslandschaft dieses Gebietes gehört, – kommt es hier zu unterschiedlichen Forschungspositionen und differenten praktischen Implikationen. Virulent ist in diesem Rahmen u.a. die in interkulturell-soziologischer ebenso wie international-politischer Hinsicht bedeutende Thematik des Dialogs der Kulturen und des Umgangs mit Konfliktsituationen.
Ebenso wie die Fülle an alltagssprachlichen emotiv-expressiven Funktionsebenen leisten die literarisch-poetischen Formen der Sprachverwendung sowie die unterschiedlichen Dimensionen und Wirkungen von Emotionalität in den verschiedenen Künsten äußerst differenzierte sowohl explizite als auch implizite Thematisierungen, Ausdrucks-, Wirkungs- und Funktionsweisen des Emotionalen. Zu den zahlreichen Gebieten im Feld der Emotionsforschung, die in den letzten Jahren in den Kultur-, Sprach- und Literaturwissenschaften unter anderem im Zuge der Erforschung kognitivmentaler und zerebraler Prozesse großes Interesse finden, gehört die Untersuchung von Kreativität. Weitere Forschungsfelder beziehen sich auf den Aspekt der Stimmung, auf die Rezeptionsprozesse mit dem Lesen, Hören und Sehen und nicht zuletzt auf Emotionen im Zusammenhang von Kunstmärkten.
Ebenfalls dynamisch verläuft die Emotionsforschung im Bereich der alten und neuen Medien. Hier gibt es – nach wie vor relevante – klassische Fragestellungen wie solche nach der emotionalisierenden Wirkung, z.B. von Spiel-, aber etwa auch von Dokumentarfilmen. Insbesondere im Hinblick auf neue Medien werden Fragen u.a. nach den Komplexen von ‚Medienkommunikation‘ und ‚Emotion und Mediennutzung‘ durchaus auch neu akzentuiert.
Einen besonderen Schwerpunkt der Emotionsforschung machen Entwicklungen in einem Feld aus, das nach verbreiteter Auffassung diesem Untersuchungsgebiet diametral entgegenzustehen scheint: Es handelt sich um die seit einigen Dekaden intensiv betriebene Forschung in den Bereichen der Künstlichen Intelligenz (KI) und Robotik mit einem Schwerpunkt auf menschenähnlich gestalteten Robotern, den so genannten Androiden oder Human Robots. Nunmehr wird davon ausgegangen, dass Emotionen für Planungs-, Organisations- und Entscheidungsprozesse aller Art von zentraler Bedeutung sind. Die Anwendungsmöglichkeiten werden als vielfältig erachtet: Die Zielsetzungen reichen von der Realisierung von Computern, die Emotionen „verstehen“ und „ausdrücken“ können, bis zu solchen Computern, die Emotionen „besitzen“ beziehungsweise durch Emotionen „gesteuert“ werden. Weitere Ziele der Emotionsforschung in diesem Bereich beziehen sich z.B. auf Fragen des Erfolgs von Benutzerschnittstellen mit Konversationsagenten, auf die Mitteilbarkeit von Emotionen in computervermittelter Kommunikation (CMC) einschließlich der nonverbalen Kommunikation etwa mithilfe von Avataren, auf Fragen der Induzierbarkeit von Stimmungslagen über das World Wide Web, auf den Einfluss von Emotionen auf computerunterstütztes Lernen, auf die Zusammenhänge von Emotion, Motivation und Screen-Design, auf Emotionen und Interface-Konzepte u.a.m. Insgesamt zeigt sich am Beispiel dieser Forschungs- und Praxisfelder von Künstlicher Intelligenz und Robotik, dass Emotionen und Rationalität, Emotions- und Kognitionsforschung eng miteinander verbunden sein können. Darüber hinaus werden hier herkömmliche Disziplingrenzen insbesondere zwischen technischen Richtungen und pragmalinguistischen, didaktischen sowie kulturwissenschaftlichen Fragestellungen überschritten und z.T. in Frage gestellt. Hinzuweisen ist auch auf Perspektiven von Forschung und Anwendung im Bereich des ‚(Multilingual) Semantic web‘ und des so genannten ‚Internets der Dinge‘ (Cyber-physical-systems und Cyber-physical-socio-systems).
Berücksichtigung finden Emotionen auch in Ökonomie und Volkswirtschaftslehre. Dabei wird u.a. hervorgehoben, dass das gesamte wirtschaftliche Verhalten von Emotionen mitgeprägt sein kann. Dies kann sich ebenso auf die Wettbewerbstüchtigkeit wie auf die Kooperationsfähigkeit beziehen; das heißt mit anderen Worten sowohl auf Aspekte wie die Aggressivität in der Erzielung unternehmerischen Profits als auch auf solche Aspekte wie eine u.U. strategisch gebotene Kooperationshaltung von wirtschaftlich Handelnden. Dabei werden Emotionen, die wie z.B. Hass, Egoismus, Machttrieb und Gier den Wettbewerb eher begünstigen, von anderen unterschieden, die wie Altruismus, Unterwerfung, Bescheidenheit, Mitleid respektive Empathie eher gegenteilige Wirkung auf den Wettbewerb haben können. Weitere Fragen betreffen die gesellschaftliche Stellung von Emotionen in Wirtschaftsordnungen, von Emotionen in der Perspektive von Management und Unternehmenskommunikation ebenso wie Zusammenhänge von Emotionen und Konsumentenkultur.
Die Emotionsforschung im Rahmen der Rechtswissenschaften verdient Berücksichtigung, gerade weil sich hier durchaus weiterer Forschungsbedarf abzeichnet. Hervorzuheben sind dabei auch historische Dimensionen, wie z.B. des Naturrechts, ausgewählter Aspekte der Ethik, der Moral einschließlich der Moraltheologie, des Rechtsempfindens bis hin zu Diskussionen im Zusammenhang der Menschenrechte. Exemplarisch kann das ebenfalls hochrelevante Feld von Interviewtechniken und Glaubwürdigkeit im Rahmen polizeilicher und juristischer Zeugenbefragungen, etwa im Zusammenhang der Befragung von Kindern, von Missbrauchs- und Vergewaltigungsopfern, hervorgehoben werden.
Ein weites Feld umfasst die Emotionsforschung im Bereich von Politik, Diplomatie und Fragen der Macht. Nicht nur der gesamte Komplex agonaler Rhetorik ist zu nennen, sondern auch Kommunikationsformen der Diplomatie und des Gesichtwahrens, der Mediation und von Konflikten auf nationalen und internationalen Ebenen. Ferner können Strategien der List und der (vermeintlichen) Uneigennützigkeit eine Rolle spielen. Einzubeziehen ist hier auch das große Thema der Gewaltforschung einschließlich der Untersuchung sprachlich-kommunikativer Gewalt sowie vor allem angloamerikanisch geprägter Auffassungen von ‚hate speech‘.
Abschließend empfehlen sich zwei allerdings aus Gründen des Umfangs kurz zu haltende Kapitel, in denen wichtige angewandte Praxisperspektiven skizziert werden, die gleichwohl auch wissenschaftliche Relevanz aufweisen. Dazu gehören u.a. die Werbepsychologie und Werberhetorik einschließlich der Stimmschulung mit der Zielsetzung einer emotionalen Höreradressierung, weiterhin Eventmanagement und Tourismus und nicht zuletzt die überbordende Beraterliteratur zu ausgewählten emotionsrelevanten Themen.
Weitere Forschungs- und Anwendungsfelder betreffen schließlich pädagogisch-didaktische und methodisch-praktische Aspekte. Reizvolle Themen beziehen sich im Rahmen dieses Studienbuchs auf Emotionen in Lern- und Unterrichtskontexten, auf Fragen der Gesprächsführung in medizinisch-psychologischen und therapeutischen Umfeldern.
Insgesamt wird mit dem vorgestellten Spektrum an Theorien, Anwendungsfeldern und Perspektiven in dieser kompakt konzipierten Einführung ein Überblick über das breite Feld der aktuellen Emotionsforschung vermittelt, die disziplinübergreifend zunehmend in Sachfelder wie Ökonomie, Recht, Politik sowie (Informations-)technik und Technologie hineinwirkt. Dieser Überblick möchte auch der weiteren Formulierung von Detailfragen disziplinär verankerter Emotionsforschung Impulse verleihen. Das Literaturverzeichnis mit einschlägigen Forschungsarbeiten erlaubt einen Einstieg in die vertiefende Auseinandersetzung mit der Thematik. Das Namen- und das Stichwortregister erleichtern die Orientierung.
An dieser Stelle ist für die große Unterstützung beim Korrekturlesen und bei der Erstellung des Literaturverzeichnisses Gabriele Ziegler und Jamie Hermann (beide U Bayreuth) sowie Tobias Akira Schickhaus und Nura Aljawad (beide LMU München) sehr herzlich zu danken.