Читать книгу G.F. Barner 167 – Western - G.F. Barner - Страница 3

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Amos Rudkin lag reglos. Nur das Schnauben der Pferde durchbrach die Stille. Dann war wieder das leise Säuseln des Nachtwindes in den Mesquitebüschen der Senke. Plötzlich knirschte der grobkörnige Sand. Rudkins Linke kroch vorsichtig neben die Decke. Er hatte sie hinter dem Bock auf dem Kastenboden seines schweren Merrivale-Wagens ausgebreitet.

Amos schlief hier, seit er am Morgen zuvor die Klapperschlange neben Luke Ballards Brust entdeckt hatte. Ballard lag Rudkin gegenüber, zusammengeringelt wie ein Hund, der sich in seiner Hütte verkrochen hatte. Ballard war an der Kastenwand herabgesunken, der Hut bedeckte das Gesicht, und die alten, knochigen Hände waren etwa eine Armlänge von seinem Gewehr entfernt. Ballard war während der Wache eingenickt.

In der nächsten Sekunde hatte Rudkin seinen schweren Armeerevolver gepackt. Schon schnellte er auf die Beine. Dann sah er das Gesicht. Es tauchte über dem Endbrett des Wagens auf. Schwarze, strähnige Haare hingen dem Mann in die Stirn. Um den Hals des Burschen lag eine dünne Schnur, die den breitrandigen Sombrero auf dem Rücken des Mannes hielt.

Amos Rudkin sah, wie sich die Augen des Mannes jäh weiteten. Seine rechte Hand schoß in die Höhe.

Rudkin sah das Messer im Mondlicht funkeln. Sein Revolver ging wie von selbst los. Er schoß ohne nachzudenken. Dabei warf er sich mit einer kurzen Drehung zur Seite. Durch die Feuerlanze, die aus dem Lauf des Army-Colts stach, sah Rudkin das Messer heranwirbeln.

Das Brüllen des Schusses vermischte sich mit dem kurzen, heulenden Schrei des Mannes.

»Luke!« schrie Rudkin.

In seinen Ohren war plötzlich das Wiehern der Wagenpferde. Es war genau hinter dem Wagen, wohin die Kugel den Langmähnigen geschleudert haben mußte. Rudkin sprang blitzschnell auf, während das Messer mit einem dumpfen Plock in eine Holzkiste bohrte.

In derselben Sekunde, als sich Rudkin nach vorn warf, um über das hintere Kastenbrett zu blicken, bellten zwei, drei Schüsse auf. Eine Kugel schlug in die Kante des Endbrettes, riß einen langen Holzsplitter heraus und wirbelte ihn gegen Rudkins Brust. Die nächste Kugel jagte über die Warenkisten und sirrte wirkungslos über den Bock.

Die dritte traf Rudkin.

Rudkin spürte einen harten Schlag gegen die linke Schulter, der Aufprall der Kugel warf ihn zurück.

Den Schüssen folgte nun ein halbes Dutzend weiterer Mündungsblitze. Während Rudkin nach rechts stürzte, und seine Hand plötzlich kraftlos war, glitt der Army-Colt aus seinen Fingern.

Er warf sich flach hin. Über ihn zerfetzten Kugeln die Wagenplane.

Amos Rudkin erwischte mit der rechten Hand den Colt. Dann stieß er sich trotz der wilden Schmerzen ab, die nun durch seine Schulter tobten. Er erreichte das schwere, dicke Kastenbrett. Seine Rechte fuhr hoch. Und während er den Colt flach über den Kasten hielt, begann er nur nach dem Gehör zu feuern.

Das Trommeln der Hufe der Wagenpferde klang auf. Das Hufgetrappel entfernte sich rasch nach Süden, aber noch waren die Pferde keine zwanzig Yards vom Wagen entfernt.

Rudkin feuerte, bis das Krachen von Old Luke Ballards Schrotflinte alle anderen Geräusche übertönte. Die Waffe mit den abgesägten Läufen brüllte zweimal auf. Danach krachte es rechts am Hang, und zwei Gewehrkugeln schlugen in die Kastenwand.

Old Luke fluchte bissig.

Das Feuer kam nun von der Kuppe des Hügels. Das grelle Wiehern eines Pferdes war dazwischen. Der dumpfe Fall danach sagte Amos, daß er eins seiner Pferde erschossen haben mußte. Hufschlag raste auf den Hügel zu. Das Gewehr schwieg, als Old Luke noch zweimal schoß, und der Donner der Schrotflinte durch die Senke tobte.

Plötzlich war es totenstill.

Amos wälzte sich langsam herum. Es war seine sechste Verletzung. Und er kannte sich mit Schußwunden zu gut aus, um sich Sorgen zu machen. Seine einzige Sorge galt den beiden schweren Walliser Zugpferden, und als er sich aufrichtete, sah er, daß beide standen. Sie schnaubten nur unruhig.

Er hatte wegen der manchmal bis in diese Gegend streifenden Apachen die Pferde angeschirrt gelassen. Und das war sein Glück gewesen. Wer immer die Kerle gewesen waren – Mexikaner waren es in jedem Fall – sie hatten wenigstens die beiden Zugpferde nicht erwischt.

»Du verdammter Katzendreck!« fluchte Old Luke. Er hatte vierunddreißig Jahre auf dem Bock der Wagen zugebracht. Seine Ausdrucksweise war danach. Frachtwagenfahrer begannen selten einen Satz ohne Fluch. Und sie beendeten ihn auch damit. »Da sind sie hin, und ich will verdammt sein, wenn es nicht meine Schuld ist. Amos, ich habe geschlafen. Was wird jetzt?«

Amos Rudkin schwieg. Er richtete sich auf und starrte über die Endbrettkante mit der hellen Narbe des Querschlägers. Er blickte auf den Mexikaner hinunter, der rücklings zu Boden gefallen war. Er lag mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken. Die gebrochenen Augen erinnerten Rudkin an die eines Comanchen, weil sie ebenso dunkel und auch glanzlos waren.

»Es ist meine Schuld – Teufel noch mal, es ist meine Schuld«, jammerte Old Luke. »Die Pferde, Amos. Was fangen wir ohne Pferde an?«

»Nichts.«

Die lakonische Antwort Rudkins ließ in Old Luke Schuldgefühle aufkommen. Er kam zwischen den Kisten hindurch nach hinten.

»Hör mal, Krieger«, muffelte er zerknirscht. »Ich will meinen Hut fressen, wenn ich weiß, warum ich eingeschlafen bin. Reiß mir den Hals ab, tu was du willst, aber mach wenigstens das Maul auf. Wenn du gar nichts sagst, ist es wirklich schlimm. Alle guten Geister, da liegt ja einer.«

Er stieß mit der neugierigen Hast eines alten Mannes gegen die verletzte Schulter von Rudkin.

Amo zuckte zusammen. Old Luke merkte davon nichts. Er sah sich noch einmal um, ehe er auf die Erde sprang.

»Wieder ‘n lausiger Mexikaner, so’n Zitronengesicht«, brummte er. »Du, da ist kein anderer Menschenfresser mehr. Du kannst runterkommen.«

»Nimm ihm die Waffen ab und durchsuche seine Taschen«, erklärte Rudkin. »Dann nach vorn mit dir auf den Bock. Fahr auf den Hügel, aber schnell. Wir brauchen ein Feuer.«

Ballard zuckte zusammen, drehte sich um und erstarrte.

»Blut«, rief er erbleichend. »Du blutest ja an der Schulter, Sohn.«

»Halt den Mund, du alter Narr, und mache, was ich dir gesagt habe« knirschte Rudkin. Er konnte die Schmerzen kaum noch ertragen. »Ich hätte dich nicht die erste Wache übernehmen lassen dürfen. Es war mein Fehler. Los, mach schon, voran!«

Old Luke starrte ihn immer noch konsterniert an.

»Hölle und Pest, beeil dich! Luke, du mußt mir die Kugel rausholen. Sie sitzt genau am Knochen.«

»Kugel rausholen, ich?«

»Wer sonst?«

»Aber ich...«

»Du kannst doch sonst alles, was? Sogar schlafen, wenn du die Glotzaugen aufhalten sollst!« fuhr ihn Rudkin an.

Luke senkte den Kopf. Der Vorwurf traf ihn verdammt hart. Er hatte mehr als die Hälfe seines Lebens für Rudkins gearbeitet. Er dachte an den alten Rudkin, der ihm diesen Fehler nie verziehen hätte. Auch Jeff, Amos Rudkins Bruder, würde ein ganz anderes Geschrei gemacht haben.

»Es tut mir leid, Junge.«

»Schon gut, Luke, mach schnell.«

»Yeah, Junge, danke dir. Bin zu alt, fürchte ich, kann’s nicht mehr so wie früher.«

»Du warst nur müde von der verdammten Hitze heute«, gab Rudkin zu. »In drei Wochen habe ich das vergessen, und jetzt... Was hat er da?«

»Eine feine silberne Uhr«, schnaufte Old Luke. »Wetten, daß er die nicht gekauft hat? Amos, das ist ein mächtiger Verlust für dich. Ich arbeite ihn wieder ab.«

Während er sprach, nahm er dem toten Mexikaner die Waffe ab und räumte ihm die Taschen aus. Dann kletterte er vorn auf den Wagen und fuhr sanft an. Vom Hügel aus hatten sie dann bedeutend bessere Sicht, aber von den Mexikanern war nichts mehr zu sehen.

»Dein Reitpferd ist auch weg«, jammerte Old Luke. »Amos, was fängst du ohne deinen Gaul an?«

»Vorläufig gar nichts – oder glaubst du, ich kann in den nächsten acht Tagen reiten?« brummte Rudkin. »Wäre ich in Ordnung, würde ich mir die Halunken kaufen – und wenn ich sie auf einem Zugpferd verfolgen müßte. Viel habe ich nicht gesehen, nur diesen Burschen dort unten.«

»Aber ich die anderen«, brummelte Old Luke. »Waren sieben Mann. Mit dem Hundesohn oben auf dem Hügel acht. Da war so’n dicker, fetter Frosch, der gab die Befehle. So’n dickwanstigen, kurzbeinigen Hundesohn habe ich noch nie gesehen. Trug ‘nen Bart von einem Ohr zum anderen. Ich nehme Holz und du nimm wenigstens Whisky.«

»Vielleicht besser, als wenn du mir eine Vollnarkose mit dem Coltlauf verpaßt, was?« knurrte Amos.

Luke Ballard half Rudkin vom Wagen und gab ihm aus dem Fäßchen einen Becher Whisky. Dann hastete er zurück und holte Feuerholz. Während er das Feuer entfachte, sah er verstohlen zu Amos Rudkin hinüber.

Rudkin war fast sieben Fuß groß, ein Mann, der stets für seine Freunde da war. Vielleicht kam Rudkin darin mehr nach seiner Mutter. Sie war die schönste Frau in Dallas gewesen, und ihr Tod bei dem Brand, der dem alten Rudkin fast den gesamten Besitz gekostet hatte, hatte eine nicht zu schließende Lücke hinterlassen.

Amos Rudkin besaß das dunkle, gewellte Haar seiner Mutter, aber die hellen Augen seines Vaters und auch dessen harte, energische Züge. Obwohl sein Bruder jünger war und gewöhnlich der ältestes Sohn in die Fußstapfen des Vaters trat, hatte Amos kurz nach dem Brand Dallas verlassen. Zehn Jahre Armee folgten. Mit der spärlichen Abfindung nach der Dienstzeit hatte Amos den Wagen, die Pferde und eine ganze Ladung Waren gekauft, die er im Westen für den doppelten Preis losschlagen wollte.

Rudkin hockte am Boden und goß einen zweiten Whisky in den Becher, den er langsam leerte. Er mußte Schmerzen haben, doch er schwieg.

Es ist meine Schuld, dachte der alte Mann bitter. Der Junge hat eine Menge mitgemacht, und ich bringe ihn um die Pferde. Verdammt noch mal, was soll nun werden? Jetzt liegt er mindestens acht Tage flach.

*

Cargo, der Mischling, mit dem Gowan von El Paso nach Westen aufgebrochen war, stieß ein leises Zischen aus. Sie hielten hinter der Wegbiegung, unweit der wenigen Häuser von Hermanas. Sie starrten sekundenlang auf die neun Wagen mit den hellen, sonnengebleichten Planen. Die Schrift auf den schweren Transportwagen war gut zu entziffern, selbst auf diese Entfernung.

»Magoffin-Wagen«, las das Halbblut laut. »Ich wette, sie nehmen die Südroute über die Berge, um den Apache-Paß zu umgehen. Diese Hundesöhne soll der Teufel holen – oder die Apachen!«

Gowan war ein junger Mann im dunklen, steifen Anzug des Büroschemelwetzers. Cargo hatte ihn in El Paso abgeholt, um ihn heil über die Berge zu lotsen, unbemerkt von den Apachen.

»Was hast du gegen Magoffin?« fragte Gowan verwundert. »Er soll ein fürchterliches Rauhbein sein, aber seine Leute schwören auf ihn, hörte ich.«

»Was ich gegen ihn haben?« schnaufte Cargo bissig. »Sieh dir mal meine Nase an.«

Gowan betrachtete Cargos Sattelnase. Sie hatte in der Mitte einen Knick und stand leicht schief.

»War er das?«

»Magoffin?« knurrte Cargo. »No, seine wilden Burschen. Das ist schon ein paar Jahre her, damals fuhren wir noch in New Mexico, bis der alte Hundesohn seine Linie auch nach Albuquerque ausdehnte. Der Boß war gerade neu im Geschäft, und es gab Krach, als er auf derselben Strecke seine Linie eröffnete. Magoffin hetzte seine Männer auf uns. Doch noch schlimmer als er war Bloody Mary, das Rabenaas.«

Gowan hatte von Magoffin gehört, doch niemals von einer blutigen Mary.

»Wer ist das?«

»Hähä, das weißt du nicht?« keuchte Cargo und stülpte seine wulstigen Lippen auf, während seine tiefliegenden, dunklen Augen bösartig zu glitzern begannen. »Das ist seine Schwester, das alte, feuerspeiende Ungeheuer. Früher wurde sie Red Mary genannt, weil sie als Girl feuerrote Haare besaß.

Nun wird sie grau, aber der alte Drachen kann Feuer spucken, ich schwör’s dir. Wenn diese Großmutter des Teufels loslegt, dann rennen Magoffins rauhe Burschen tausend Meilen weit.

Hat nie ‘nen Mann gehabt, oder keinen gewollt, waren ihr alle nicht gut genug. Ist keiner mit ihr zurechtgekommen, dabei soll sie Feuer gehabt haben wie ein dreijähriger Hengst, sag ich dir. Sie schießt wie ein Mann und flucht noch besser.

Hättest sie damals sehen sollen. Hier, siehst du mein eingerissenes Ohr. Das hat sie mir beinahe mit der Bullpeitsche abgeschlagen. Wer von uns aus dem Saloon in Socorro wollte, dem hat sie mit der verfluchten Peitsche eins übergezogen, daß er wieder brüllend in den Saloon zurücklief. Und dort verpaßten uns Magoffins Hundesöhne die dicken Beulen am Kopf, bis wir alle halbtot waren.«

»Alle Teufel«, ächzte Gowan erschrocken. »Und das ist wirklich eine Frau, Cargo?«

»Ist sie, aber ein ganz gemeines Rabenaas dazu«, gurgelte Cargo. »Die hat nicht nur Haare auf der Oberlippe, sie hat sie auch auf den Zähnen, sag ich dir. Wenn du sie sehen würdest, kämst du nicht auf den Gedanken, daß sie ein feuerspeiender Drachen sein kann, aber – oaaah, verdammt!«

Das sagte er, ehe er so entsetzt zurückzuckte, als hätte er den Satan aus der Erde fahren sehen. Dabei war es nur eine Frau, die gerade aus der Magoffin Station an der linken Straßenseite trat und hinüber zum Drugstore ging, der auch dem alten Bill Magoffin gehört.

Die Frau war groß. Sie stampfte in klobigen Stiefeln wie ein Mann über die Fahrbahn. Sie trug einen langen Rock, eine Fuhrmannsjacke und einen Männerhut – und natürlich auch ein Männerhemd, schön bunt kariert.

Gowan wollte etwas fragen, kam aber nicht dazu. Die Frau blieb mitten auf der Straße stehen und sah zum einzigen Saloon Hermanas hinüber. Dann stemmte sie wie ein Mann die Fäuste in die Hüften und brüllte so laut, daß Gowan dachte, sie stehe neben ihm:

»Braddy, Tolbart!«

Es dauerte keine drei Sekunden, dann flog die Schwingtür des Saloons auf und zwei Männer stürzten auf den Vorbau.

»Ich habe gesagt, ihr sollt abrechnen und dann kommen«, rief die Frau dröhnend. »Ihr verdammten Taugenichtse, vielleicht holt ihr euch bald euren Fraß aus der Futterkrippe, verstanden? Wir fahren in genau dreißig Minuten, keine Minute später, hol’s der Teufel!«

Die beiden Männer, groß und kräftig, rannten, als säße ihnen der Leibhaftige im Nacken, zur Station hinüber. Die Frau sagte noch irgend etwas, dann stampfte sie weiter und verschwand im Drugstore.

»Weißt du jetzt ungefähr, was das für ein Teufelsweib ist, Mann?« fragte Cargo höhnisch. »Sie führt die Kolonne, wette ich. Das alte Rabenaas hat weder Angst vor Apachen noch vor dem Teufel. Teufel, der werde ich endlich die Peitschenhiebe heimzahlen. Warte mal, Mensch.«

Er zog sein Pferd herum und ritt ein Stück zurück. Sie waren an einem Kaktus vorbeigekommen, der umgestürzt am Boden lag. Getrocknete Kakteenhaut hat die Eigenschaft, zäh und hart wie Leder zu werden. Gowan sah verstört zu, wie Cargo mit seinem Messer ein Stück Haut samt Stacheln lostrennte, um es dann vorsichtig in die Satteltasche zu schieben.

»He, was hast du vor?« fragte Gowan verwirrt.

»Ich werde diesem alten Drachen endlich einen Denkzettel verpassen«, knurrte Cargo giftig. »Komm mit, Magoffins haarige Affen stecken alle am Futtertrog. Wir werden uns mal einen der Wagen vornehmen.«

»Mann, Cargo, mach keinen Ärger«, schnaufte Gowan erschrocken. »Könnte sein, daß es dem Boß nicht gefällt.«

»Hast du ‘ne Ahnung, Mister. Gore Handley macht einen Luftsprung vor Freude, wenn sich die Alte oder Big Bill Magoffin den Hals brechen!«

*

»Braddy, du dreimal gebrannter Hundesohn«, schrie Red Mary draußen wütend. »Ich habe gesagt, in dreißig Minuten, wie?«

»Sie trug keine Damenuhr, sondern einen Taschenwecker, der einmal ihrem Vater gehört hatte und mit einem Schlüssel aufgezogen werden mußte.

Das Ungetüm zog sie nun heraus und hielt es dem aus dem Bau stürzenden Braddy entgegen.

»Sind ja schon da«, ächzte Braddy. »Im Moment, Miß Mary.«

»Im Moment – im Moment«, knurrte Mary Magoffin finster. »Deine Momente kenne ich, Mister. Ich fahre jetzt, und ihr kommt nach. Und ihr sollt verdammt sein, wenn ihr trödelt!«

»Yes, Miß Mary.«

Sie grunzte besänftigt, steckte die Großvaterzwiebel wieder ein und drehte sich um.

»Hat die wieder mal ‘ne Laune«, japste der kleine Mathews verstört. »Ich wette, sie hat sich die ganze Zeit über die Uhrenkisten auf ihrem Wagen geärgert. Sie kann mit den Kisten nicht so rasen wie sonst. Wetten, daß sie erst wieder gute Laune hat, wenn wir in Agua Prieta sind?«

»Mal nicht den Teufel an die Wand«, jammerte Tilbart. »Bis dahin – das wäre fürchterlich. Los, macht schnell, sonst tobt sie wieder.«

Sie hasteten aus dem Tor und bestiegen die Wagen, als Red Mary die Leinen ihrer beiden Pferde hob.

»Männer«, brummte Mary kopfschüttelnd. »Faul, verfressen und dickfellig.«

Das linke Wagenpferd bäumte sich jäh auf und sprang schrill wiehernd an. Der Wagen wurde so heftig bewegt, daß sich die Vorderräder anhoben.

Im gleichen Augenblick packte irgend etwas unter Marys gut gepolstertes Sitzteil. Es war ungefähr so, als hätte ein Riese seinen Riesenstiefel unter die Sitzbank getreten. Und das mit voller Wucht.

Mary Magoffin wurde über die Rücklehne des Sitzbrettes geschleudert. Dabei ließ sie die Leinen los, und das linke Gespannpferd raste nun vorwärts. Es riß den Wagen herum, die Leinen sausten über die Kastenkante, und schleiften dann über die Erde.

Schrill wiehernd brauste das Pferd über die Anhöhe aus Hermanas heraus. Kakteen säumten den Weg an beiden Seiten. Bis zur Wegbiegung waren es etwa fünfzig Yards – und genau die brauchte Mary, ehe sie begriff, was geschehen war.

In dieser Zeitspanne schleuderte der Wagen jämmerlich. Einmal knallte Mary die linke und danach die rechte Uhrenkiste in die Hüfte. Sie war eingeklemmt und konnte nicht aufstehen. Es gelang ihr nicht einmal, nach der Kastenkante zu greifen.

Dann war die Biegung da. Der steinige Hang stieg links an. Rechter Hand war nun der Hermanas Creek. Der Bachlauf war knochentrocken wie üblich um diese Jahreszeit und drei Yards tiefer als der Weg.

Das war es, was Mary Magoffin sah, als sich bei einer Schleuderbewegung der Wagen beinahe querstellte und sie plötzlich am Sitzbrett landete. Sie griff zu, zog sich keuchend hoch und wurde kreidebleich vor Schreck. Es gab hier eine etwa hundert Yard lange Gerade, ehe die nächste Biegung begann. Der Hang an jener Stelle war ausgefahren und steil.

Und um die Biegung rumpelte soeben schwerfällig ein gewaltiger Merrivale-Transporter.

Mary wurde von wilder Furcht gepackt.

Der Merrivale versperrte mit seiner ganzen Breite den ganzen Weg. Dazu kam, daß der Merrivale auch nicht aus der Bahn des von den durchgehenden Pferden vorwärtsgerissenen Flachkastenwagens fahren konnte. Am Hang gab es nichts als tonnenschwere Steinbrocken. Und nach links konnte der Merrivale auch nicht, denn dort war der Creek.

Marys Blick flog zu den Leinen, aber sie waren unerreichbar. Binnen einer Sekunde begriff Mary Magoffin, was auf sie wartete.

Die beiden Männer auf dem Bock des Marrivale hatten bereits erkannt, daß nichts und niemand den Kastenwagen noch bremsen konnte. Für zwei Fahrzeuge war kein Platz auf dem Weg. Entweder mußten die Pferde ineinanderrasen, oder der Kastenwagen stürzte in das ausgetrocknete Bachbett.

Der ältere der beiden Männer auf dem Bock griff nach der Peitsche. Der jüngere schrie etwas, was Mary nicht verstand, weil der linke Gaul unaufhörlich wieherte. Im nächsten Moment flog die lange Peitsche des Alten über die Pferde hinweg. Der jüngere Mann sah zum Hang, und er schien irgendwo eine Lücke zwischen den Felsbrocken zu suchen.

Plötzlich riß er die Leinen beidhändig herum, während der Alte auf die Pferde einschlug. Dann wurde der Merrivale schneller. Er nahm den Hang an, schien zwischen zwei Felsblöcken steckenzubleiben und kam doch durch. Ganz langsam neigte sich der schwere Wagen immer mehr nach links. Der Hang war zu steil, und Mary starrte wie gebannt auf den Merrivale.

Der schwere Wagen mußte jede Sekunde entweder einen Felsblock rammen, festsitzen oder umkippen.

Noch immer ragte das Heck des Wagens in den Weg, als er sich dicht neben einem hochragenden Felsblock jäh neigte. Und dann krachte er gegen den Block.

Der jüngere Mann schrie irgend etwas, der Oldtimer packte nun die Zügel, und der große Bursche sprang vom Wagen.

Es war Mary, als hätte sie niemals zuvor einen Mann einen derartigen Satz machen sehen.

Sie sah den Mann auf Händen und Füßen aufkommen. Dann aber zuckte der Bursche auch schon wieder hoch.

No, dachte Mary, nicht in den Weg, Mister, die Pferde rennen dich über den Haufen. Großer Gott, das schafft er niemals. Der will doch nicht etwa die Pferde aufhalten?

Der Mann erreichte dicht vor den Pferden den Weg. Er schrie, riß beide Arme hoch und stand nun dicht am Bachbett.

Die Pferde preschten auf den Mann zu. Der rechte Wagengaul bäumte sich auf und drängte nach links.

Haarscharf an dem großen Mann raste das Pferd vorbei. Dann wirbelte der Mann blitzschnell herum. Urplötzlich war er fort, und Mary stieß einen entsetzten Schrei aus.

Ihr Schrei war noch nicht verhallt, als sie neben dem rechten Wagenrad eine Gestalt in die Höhe fliegen sah. Und da erst begriff sie.

Dieser Mann hatte sich mit einem Sprung an die Flanke des Pferdes geworfen. Wie er die breiten Sielen packen und sich bei diesem rasenden Tempo sogar noch hochziehen konnte, blieb Mary Magoffin ein Rätsel. Der Mann saß nun auf dem Rücken des Gespannpferdes. Während sich seine Rechte in das Zaumzeug krallte, fuhr seine Linke zur Hüfte.

Mary sah das Blinken von Stahl, und dann schrie sie noch einmal, denn der Mann kippte jäh zwischen beide Pferde. Er mußte von der Deichsel stürzen und überrollt werden.

Aber dann gab es einen Ruck, der Mary Magoffin nach vorn über den Sitzweg warf.

Sie blieb über dem Sitz hängen und so sah sie, daß der Mann quer unter dem Bauch des linken Pferdes hing und die Sielen plötzlich zerschnitten auf die Erde fielen. Dann war der linke Gaul frei, der Mann schwang sich zurück. Er warf sich auf den Rücken des rechten Wagenpferdes, sein linker Arm schoß nach oben, und die Leinen flatterten nun, ebenfalls gekappt, hinter dem davonrasenden, ledigen Pferd her.

Nie zuvor hatte Mary einen Mann so auf einem Pferd kleben sehen. Sie erkannte, daß er seinen rechten Stiefel unter die Zugsiele gezwängt hatte. Nur so war es ihm möglich gewesen, sich zu halten. Dann stieg das Pferd, bockte zweimal schrill trompetend und fiel plötzlich in Trab, der sich dann verlangsamte, bis der Wagen stand.

Der große, breitschlultrige Mann vor Mary rutschte nun langsam nach links. Er kam auf die Deichsel. Dann glitt er ab und sank in den Staub des Weges.

Mary bemerkte, daß sich seine linke Schulter blutrot zu färben begann.

»Hallo, Madam«, sagte der große Bursche matt.

Dann wurde er ohnmächtig.

*

»Bleib du mal liegen«, brummte Old Luke mürrisch, als sich Amos aufrichten wollte. »Immer mit der Ruhe, Sohn. Mußt du dauernd diese wahnwitzigen Sachen machen?«

»Der Wagen – unser Wagen...«

Luke grinste und deutete aus dem Fenster.

»Da steht er – im Hof. Ein Seitenbrett ist angeknackst. Sie ersetzen es. Faß mal an deinen dicken Rudkin-Schädel.«

Amos betastete vorsichtig die dicke Beule an der linken Kopfseite.

»Oha«, knurrte er. »Bin mit meinem Kürbis ganz schön gegen die Deichsel geballert. Alles heil auf unserem Wagen?«

»Alles heil, Junge, keine Sorge. Na, da hast du eine neue Eroberung gemacht.«

»Die alte Frau? Himmel, wer brüllt da so? Wo bin ich hier überhaupt?«

»In der Magoffin Station, Amos. Und die Frau brüllt, der du den Kopf verdreht hast. Das hast du schon vor dreißig Jahren getan. Du hast doch von den Magoffins gehört?«

Amos sah nach seiner Schulter. Sie war sauber verbunden. Er setzte sich auf und sah die Frau wie einen Staff Sergeant auf dem Hof stehen, die Arme in die Hüften gestemmt.

»Macht schon, ihr Faultiere!« schrie sie. »Das Brett wird eingeölt, sauber geölt, sag ich euch. Und dann befestigt ihr es, aber ordentlich. Ein Rudkin fährt keinen nachlässig geflickten Wagen, verstanden?«

»He?«, ächzte Amos, »Was kicherst du, Luke? Wie kommt sie dazu, unseren Wagen flicken zu lassen? Woher kennt sie mich? Ich habe von den Magoffins gehört. Sie haben die größte Linie im Süden. Was hat sie vor?«

Old Luke hockte sich auf den Tisch und griente.

»Die größte Linie im Süden? Die allergrößte, Junge. Und sie ist der Boß neben ihrem Bruder Big Bill Magoffin. Der ist noch einige Jährchen älter als sie. Well, Sohn, weißt du, daß Mary Magoffin beinahe mal deine Mutter geworden wäre? War so gut wie verlobt mit deinem Vater.«

»Was?« staunte Amos. »Bist du irr geworden auf deine alten Tage, Luke?«

Luke stopfte gemächlich seine alte Pfeife. »Ist wahr, Söhnchen, sie wäre fast deine Mutter geworden. Gott steh mir bei, wenn ich lüge. Scheiterte nur daran, daß sie glaubte, schneller und besser fahren zu können als dein Vater. Eines Tages ritt sie der Satan – und deinen Vater auch. Sie machten mit zwei schweren Wagen ein Rennen in Dallas. Als sie verlor, lenkte sie wütend ihren Wagen gegen den deines alten Herrn. Na, es gab einen gewaltigen Krach, dann gingen beide Wagen zu Bruch, und dein alter Herr hatte sich ein paar Rippen und ein Bein gebrochen. Kennst ja deinen Vater, wie? Hat er Mary nie verziehen. Wurde nichts aus den beiden, so ist das.

Sie hat nie wieder einen Mann angesehen danach. Und so wurde sie zu dem, was sie heute ist. Bloody Mary.«

»Ich werde verrückt. Davon wußte ich rein gar nichts, Luke.«

»Wie solltest du auch, ist ja schon ein halbes Leben her«, kicherte Old Luke. »Well, als sie mich sah, fiel sie auch fast vom Bock. Danach wollte sie alles über dich wissen. Na, ich habe ihr einiges erzählt.«

»Was?« fragte Rudkin. »Bist du noch zu retten? Vater und Mutter sind tot, mein kleiner Bruder kann unsere kleine Linie gerade allein führen – und das hast du ihr alles erzählt? Warum?«

»Warum wohl?« brummte Old Luke. »Hättest sie sehen sollen, ein Rudkin rettet ihren störrischen Hals. Sie hat dich eigenhändig verbunden. Sie mag dich, verstehst du?«

»Gar nichts verstehe ich«, stöhnte Amos. »Verdammt, wie kam es überhaupt dazu, daß die Pferde durchgingen?«

»Erinnere dich an die beiden Burschen, die wir auf dem Hang sahen, bevor wir die Biegung erreichten. Der eine Kerl, der wie ein Halbblut aussah, heißt Cargo und arbeitet für Gore Handley. Der hat das getan. Sie haben sich die Spuren angesehen und unter dem Brustgeschirr von Marys linkem Wagengaul ‘ne stachelige Kakteenhaut gefunden.

Der Gaul mußte durchgehen. Mary sollte sich den Hals brechen, verstehst du? Handley und die Magoffins bekämpfen sich seit Jahren. Das heißt, Handley ist ein widerlicher Hund, den kenne ich. Seine Fahrer liegen sich ständig mit denen von Mary und Big Bill in den Haaren.

Well, hättest dir auch den Hals brechen können, Sohn.«

»Blödsinn, habe bei der Armee ganz andere Dinge gedreht.«

»Habe ich ihr auch gesagt, als sie wissen wollte, wie du das wohl hingekriegt hast«, erklärte Old Luke.

»Was hast du?« knurrte Amos wild. »Mensch, du hast ihr doch wohl nicht meine ganze Lebensgeschichte erzählt?«

Old Luke gluckste. »Sohn, sie wollte alles über dich wissen.«

»Der Teufel soll dich holen«, keuchte Amos.

»Junge, reg dich bloß nicht auf. Was du kannst, das kann sonst keiner mit dem Wagen. Ich weiß das, ich bin auf einem Wagen geboren. Und die Armee wußte das auch. Mary macht uns ein Angebot. Kannst Waggon-Master bei den Magoffins werden, heute noch, wenn du willst. Und ich bekomme die Hauptstation in Tucson, drüben in Arizona, weil die beiden alten Magoffins lieber in ihrer anderen Hauptstation in Yaleta bei El Paso bleiben.

Mary will dich als Wagenboß haben – und was sie will, das bekommt sie auch. Sie bietet dir doppelten Lohn. Denk mal ein bißchen nach, du Dickschädel. Ein Jahr, und schon hast du genug zusammen, um dich auf eigene Beine zu stellen. Übrigens, alles, was auf dem Wagen ist, will sie zu einem anständigen Preis übernehmen.«

»Allmächtiger«, ächzte Rudkin. »Ich soll für die großen Magoffins Waggonmaster werden? Doppelten Lohn. Was hast du da geantwortet?«

»Na, was schon, zugesagt habe ich, Junge.«

»Du alter, struppiger Affe, ohne mich zu fragen? Bist du irre?«

Der Alte kicherte nicht mehr. Er stand auf und trat an das Bett.

»Hör mal gut zu«, sagte er ernst. »Wahrscheinlich bist du klug genug, um dir vorstellen zu können, was es heißt, für die Magoffins Waggonmaster zu sein. Danach würden sich tausend Leute alle Finger lecken, bloß können diese tausend Leute nicht das, was du kannst.

Laß mich jetzt ausreden, Junge. Dein Vater war ein guter Mann auf einem Wagen. Nur war er ein Dickschädel. Alles hast du von ihm geerbt, aber du bist klüger, und du bist besser als er. Du hast zuletzt den gesamten Armeenachschub geleitet, das macht dir keiner nach in diesem Alter.«

Er machte eine Pause und ging auf und ab.

»Armeetransporte und eine private Frachtlinie, das sind zwei Dinge«, fuhr Luke schließlich fort. »Die Magoffins sind die größten. Bei denen lernst du alles, was du später brauchst. Eines Tages wirst du auch mal so groß wie sie sein, das weiß ich. Jedem Ärger, den ein Frachtunternehmen haben kann, lernst du bei den Magoffins kennen. Das zahlt sich später aus, Junge. Ich weiß, du willst dein eigener Herr sein, aber du verlierst nichts, wenn du zwei Jahre für die Magoffins arbeitest. Im Gegenteil, du gewinnst Erfahrungen. Und deshalb machst du das auch, verstanden? Mary hat einen Narren an dir gefressen, ich kenne sie. Sie will dich haben, und du wirst es tun, sonst bist du der letzte Narr auf dieser Welt. In ein paar Wochen ist deine Schulter wieder in Ordnung. Bis dahin kannst du dich schonen, Junge. Das ist die Chance deines Lebens.«

Rudkin lag still, die Augen geschlossen.

Er hat recht, dachte Amos, wie immer – Luke hat recht. Ich könnte was lernen. Aber eine so große Linie?

»Luke?«

»Na, was noch?«

»Schaff ich das wirklich?«

Der Alte lachte trocken.

»Du? Die werden bald von dir lernen, das weiß ich. Ich denke ein bißchen weiter, Junge. Die Magoffins haben niemanden, auf den sie sich verlassen können. Und auf einen Rudkin – na, auf den kann man Häuser bauen. Das weiß Mary so gut wie Big Bill. Sie haben deinen Vater gekannt – und du bist besser. Du bist um Längen besser.«

»Du verrückter Kerl.«

»Yes«, murmelte der Alte. »Vielleicht bin ich das, Junge. Du kannst viel schaffen, und du wirst einmal groß sein in diesem Geschäft. Dann wird der alte Luke stolz sein, mächtig stolz.

Mary kommt her. Sag ihr, was du willst, aber überlege es dir genau, jedes Wort. Vielleicht machst du heute dein Glück, ich hab’s so im Gefühl.«

Draußen polterte es, dann stampfte sie herein, eine große, mächtige Frau mit einer tiefen, lauten Stimme und rauhen, rissigen Händen.

»Na, mein Sohn, wieder beisammen?«

»Yes, Madam, ich denke so«, sagte Amos und setzte sich auf. »Luke hat da eine Menge Unsinn geredet, fürchte ich. Wenn ich gesund bin, kaufe ich mir diesen Velasquez, der meine Pferde gestohlen hat. Die Leute in Malpais, wo wir nach dem Überfall acht Tage blieben, erzählten mir von dem Kerl und seiner Grenzbande. Sie sollen drüben in der Sierra de San Luis hausen. Well, niemand stiehlt ungestraft meine Pferde.«

»Er redet wie sein Vater, Luke«, schnaufte Mary Magoffin.

»Warte mal ab, Amos Rudkin, ob du Zeit für Velasquez haben wirst. Den haben schon viele gesucht, aber gefunden hat ihn keiner. Manche kamen nie zurück. Na, was ist? Hat Luke dir von meinem Angebot berichtet?«

»Madam, ich bin halb entzwei…«

»Du? Du bist noch zäher als es dein Vater jemals war«, brummte sie. »Da ist nur ein kleines Loch wieder aufgeplatzt, mit dem kannst du tausend Meilen fahren. Well, was ist, will ich wissen.«

»Nun gut, ich fahre erst mal mit bis Tucson, Madam. Und dann entscheide ich mich, einverstanden?«

»Denkst wohl, ich fresse dich auf, was?« fragte sie. »Ich fresse keinen, verstanden? Schon gar nicht dich. Wenn ich brülle, mache dir nichts draus. Ist das einzige Mittel für eine Frau, eine Horde wilder Frachtwagenfahrer zu zähmen. Yes, Junge, bist wie dein Vater, sehe ich. Das war ein Mann – Gott hab ihn selig. Wir brauchen jemand, auf den wir uns verlassen können. So müssen wir dauernd zwischen Tucson und El Paso hin und her fahren. Manchmal drei Monate in Tucson, dann drei in El Paso. Auf die Dauer hält das der beste Gaul nicht aus, verstehst du? Will dich haben, Junge, bekomme dich auch.«

»Madam, Sie kennen mich nicht genug...«

»Den da kenne ich«, knurrte sie und stieß Luke den Zeigefinger in die Rippen. »Und was der sagt, stimmt. Ich will dich als Waggonmaster haben, fertig. Taugst du nichts, fliegst du raus, so einfach ist das, siehst du? Aber da habe ich keine Zeit, gar keine. Was ein Rudkin will, das will er. Yeah, das war eine Zeit damals, wirklich meine beste Zeit. Du wirst mein Wagenboß, klar?«

Sie sah auf ihn herab und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Wie sein Vater ist er«, knurrte sie bärbeißig. »Wie sein Vater, der wilde Amos Rudkin.«

Und dann drehte sie sich um und stampfte hinaus.

Waggonmaster für die Magoffins, dachte Amos, ich, Amos Rudkin. Zehn Jahre Armeedienst. Ah, ich hatte genug, ich wollte endlich keine Befehle mehr bekommen und mein eigener Herr sein. Aber vielleicht bin ich das bei den Magoffins auch, wie?

Es war plötzlich ein schweres Krachen vor Amos und Old Luke. Dann raste eine Staubwolke hoch, aus der Braddys Wagen wie ein schiefstehendes Hausdach ragte. Dann schoß aus der Wolke das erste Transmissionsrad für die Sägemühle am Gila-River.

»Verdammte Pest!« brüllte der kleine Mathews hinter Rudkin und hielt wie sie alle. »Was ist passiert?«

Das nächste Transmissionsrad kam angerollt.

Die Männer rannten in die Staubwolke hinein, aus der Kisten und Tonnen wirbelten. Männer fluchten, Braddy kroch zwischen den Trümmern umher, bis der Staub sich verzog und die Sicht frei wurde.

Mary Magoffin war wie immer mit ihrem leichten Kastenwagen vor den schweren Transportern gefahren. Nun lief sie auf den Wagen Braddys zu. Braddy hatte eine Beule an der Stirn und fluchte.

»Radbruch?« fragte Mary wild. »Ah, da haben wir es, so muß es erst kommen. Wieder mal zu faul gewesen und nicht nachgesehen, ob die Achse vielleicht ausgeschlagen war, was, Braddy? Und so was wie du will Kolonnenführer sein.«

Mary fluchte schlimmer als die Männer. Dann kroch sie unter den schiefstehenden Wagen, obwohl der jeden Augenblick umkippen konnte.

»Geschmiert hat er die Buchse«, brüllte sie von unten. »Aber nicht darauf geachtet, ob das Rad schlackert, was? Was willst du denn hier, he? Soll dir der Wagen auf deinen Kopf fallen, Amos? Raus da, der kann umkippen.«

»Sie sind ja auch hier«, sagte Rudkin trocken, rieb die schwarze Buchsenschmiere vom Achsstumpf, auf dem das Rad gesessen hatte. »Keine ausgeschlagene Stelle, Madam.«

»Ah, der Schlaukopf, keine ausgeschlagene Stelle, was? Wie bricht denn eine Achse, he? Braddy, dieses Faultier hat nicht aufgepaßt, ob die Buchse Luft hatte, sage ich.«

»Sagen Sie«, erwiderte Rudkin ungerührt. Er sah auf die Beine der Männer. Sie standen nun am Wagen und hielten ihn, damit er nicht tatsächlich noch umfiel und Mary und ihn begrub.

»Madam, Braddy trifft keine Schuld. Sehe Sie mal her.«

Er nahm sein Taschentuch, wischte die letzte Spur von Fett weg. Mary kroch neben ihn, dann schnappte sie nach Luft und war ganz still, bis sie flüsterte:

»Amos, was ist das? Sieht ja aus...«

»Wie der Schnitt mit einer Stahlsäge, yeah«, antwortete Amos knapp. »Da hat sich jemand einen verdammten Spaß geleistet, die Achse angesägt, Schmiere darüber verteilt und sich danach verdrückt. Irgendwann mußte die Achse brechen. Wir sind über die Berge und eine Menge Steine gefahren, Madam. Keine Schuld bei Braddy.«

Sie kauerte neben ihm, bleich geworden vor Schreck. Dann tat sie das, was sie noch nie getan hatte. Es warf einige der Männer beinahe um.

»Braddy«, sagte sie gepreßt. »Ich nehme das zurück. Tut mir leid, Mann. Der hier hat das gemerkt. Seht nach, los, seht an den anderen Wagen nach. Cargo, der dreckige Bastard. Ich will hängen, wenn das nicht Cargo getan hat. Der war doch in El Paso. Und unsere Wagen standen nachts unbewacht im Hof. Ich bringe ihn und Gore Handley, diesen Schurken, um!«

Sie war kreideweiß vor Zorn.

Die Männer sahen alle zu Amos, der nun unter dem Wagen hervorkroch.

»Danke, Rudkin«, flüsterte Braddy. »Das vergesse ich dir nicht, Mann. Sie hätte mir den Hals abgerissen.«

»Schon gut!«, murmelte Amos. »Seht nach, vielleicht hat der Kerl es nicht nur an einem Wagen getan.«

Die Fahrer rannten zu ihren Wagen, nahmen Lappen und wischten die Schmiere weg. Dann schrie Tolbart voller Wut los, und auch Black brüllte zornig. Zwei weitere Wagen, an denen jemand die Achsen angesägt hatte.

»Das ist Cargos Art«, keuchte Mary Magoffin. »Dieser hinterlistige, widerliche Halbindianer. Eines Tages wird es zuviel, dann schlagen wir zurück. Man sollte ihn hängen. Weißt du jetzt, was auf dich wartet, Amos?«

»Nichts, womit ich nicht fertig werden könnte«, gab er kurz zurück. »Fahrt vorsichtig, Leute!«

*

Gordon Black kroch stöhnend über die Erde. Dann stieß er an einen Gegenstand an und öffnete mühsam die verklebten Augen. Er sah nicht viel. Ein Auge war zugeschwollen nach dem Hieb mit dem Ende der Fahrpeitsche.

Nun erkannte er, wo er lag, mitten in einer Öllache. Um ihn verstreut waren die Trümmer seines Wagens.

»Mein Gott«, röchelte Black. »Drei Mann, diese Schurken.«

Black hob den Kopf, wollte aufstehen. Einige Minuten lag er still, bis er das Rollen der Räder hörte. Es kam von Norden.

Das Rollen mobilisierte plötzlich seine Kräfte. Black kroch stöhnend den Hang hinauf. Oben lief der Fahrweg von Tucson nach Casa Grande, aber wer dort entlangfuhr, sah nichts von den Trümmern unten.

Ich muß nach oben, dachte Black, ich muß. Sie sehen mich sonst nicht.

Er kroch, dachte einen Moment daran, daß dort kein Magoffin-Wagen, sondern einer dieser Halunken von Gore Handley heranrollen könnte.

Das Knattern der Räder kam immer näher, und er kroch zur Kante des Hanges. Als er sich aufstemmen und winken wollte, als der Wagen wie aus einem Regenschleier, der vor Blacks Augen tanzte, erschien, fiel er auf den Bauch.

»Bbrrr – haaalt!«

Black lag still neben den Büschen am Rand des Hanges. Der Wagen stand nun unmittelbar vor ihm. Jemand sprang ab.

»Black, he, Black!«

Der Mann zog ihn hoch, und er sah verschwommen das Gesicht mit dem Schnauzbart, das Funkeln der starken Gläser von Big Bill Magoffins Kneifer über sich.

»Boß – Boß – ich – Mercer war es. Mercer, der Wagenboß von – von Handley – und Cloud – auf einem Wagen. Dann war Cargo da, zu Pferd...«

»Cargo!« grollte Mary und stieg vom Wagen. »Oh, verdammt noch mal, Bill, wie lange siehst du dir das noch an? Ich schieße ihn nieder wie einen tollen Hund, wenn er mir über den Weg läuft. Black, was ist geschehen? Mein Gott, sie haben ihn am Kopf erwischt, sieh es dir an, Bill, sieh es dir gut an.«

Mary hob Black nun an, dann zogen sie ihn auf den Wagenkasten. Es war Zufall, daß sie aus Phoenix einige Dutzend Pferdedecken mitgebracht hatten und Gordon weich betten konnten.

Big Bill Magoffin, ein Mann von mittlerer Statur mit einem eisenharten, verwitterten Gesicht, sah weg.

»Ich habe Rudkin erst acht Wochen«, murmelte er düster. »Ich kann nicht nach der kurzen Zeit verlangen, daß der Mann für mich kämpft, Mary.«

»Gib ihm einen Befehl, dann kämpft er, Bill!« rief sie zornig. »Fang nicht schon wieder davon an, daß es nicht anständig ist. Ist Handley denn anständig, he? Das ist ein Lump, und das weiß auch Amos. Ich kenne die Rudkins, ich weiß, daß er nur einen Befehl braucht.«

»Ich gebe keinen, ich kann kaum sehen. Der Boß muß kämpfen, nicht er, aber ich...«

Sie blickte ihn an, senkte den Kopf. Er war zäh, bissig, grob, aber gerecht. Und seine Augen taugten wenig, daß er ohne Brille praktisch blind war. Ein Mann wie Bill konnte nicht mehr kämpfen.

»Geht’s besser, Black?«

»Ja, Miß Mary. Sie fuhren neben mir her. Cargo nahm die Pferde am Zaumzeug, ich konnte nicht mehr lenken. Dann schlug Cloud mir den Griff der Peitsche über den Kopf, und Mercer hielt mich mit dem Colt in Schach. Ich konnte nichts tun, Miß Mary. Big Bill, ich kam über die Kante, und hörte sie noch lachen. Von da an weiß ich nichs mehr.«

Mary knirschte mit den Zähnen. Big Bill Magoffin sah weg.

Verdammt, dachte er, ich schlucke es nicht mehr. Aber dieser Satan Handley weiß genau, daß ich kaum noch sehen kann. Es geht nicht, ich könnte nicht mal sicher schießen.

Und Amos Rudkin? Ich kann doch Amos nicht jetzt schon auf Handley hetzen. Das sieht ja aus, als hätte ich nur auf jemand gewartet, der diesen Kerl für mich zertrümmert. Ich bin der Boß, ich muß es tun, aber ich bin fast blind.

»Black, war Amos da, als du Tucson verlassen hast?«

»No, Miß Mary. Er ist nach Tubac geritten. Er sagte etwas davon, daß er morgen wieder in Tucson sein wollte. Dein Armeeauftrag...«

»Morgen erst«, knirschte Mary. »Na gut, er wird pünktlich in Camp Lowell sein. Wenn er das hört, was sie mit dir gemacht haben, Bill...«

»Der schlägt zehn Mann um«, ächzte Black. »Hat der Kräfte! Miß Mary, ich kann für mich selbst sorgen, aber es waren drei.«

»Ja, ja, schon gut, Gordon«, erwiderte sie. »Kein Vorwurf, Mann. Bill, hat Amos die Unterlagen für den Armeeauftrag?«

»Er wird sie bei sich haben«, erwiderte Big Bill und starrte auf die Trümmer seines Wagens. »Wir sind nicht die einzigen Bewerber, Mary, aber seine Vorschläge sind so gut, daß wir den Auftrag bekommen müßten, wenn uns Handley keinen Strich durch die Rechnung macht. Mit uns sollen es vier Linien sein, die sich um die Armeelieferungen beworben haben. Amos macht das schon, glaube ich. Das ist ein guter Preis, den er der Armee vorgeschlagen hat.«

Sie nickte, sah ihn an und wieder zur Seite. Er war zu stolz zuzugeben, daß er fast blind war und kaum noch die Briefe, Rechnungen oder Lieferscheine lesen konnte.

Kämpfen, dachte sie. Früher hätte er Gore Handley in die Hölle geblasen, aber heute?

»Bill«, sagte sie mürrisch. »Amos kann nicht alles machen. Wenn wir den Auftrag der Armee bekommen, wird er viel unterwegs sein. Er braucht jemanden, der ihm die Schreibarbeit abnimmt. Wir sollten Elida nach Tucson holen, Bill. Was soll sie in Yuma – ein Mädchen in einer Station, das von deinem Vetter überallhin mitgeschleppt wurde? Sie muß bei uns lernen, Bill, weil sie eines Tages alles von uns erben wird.«

G.F. Barner 167 – Western

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