Читать книгу G.F. Barner 170 – Western - G.F. Barner - Страница 3

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Er hört draußen jemanden sagen: »Bring sie weg, verdammt, hier laden wir! Was hat der Bursche sein Gespann hier vor die Tür zu stellen, he? Genau vor die Laderampe. Bring sie weg, Chris!«

Der Alte hinter dem Tresen, die Liste noch in der Hand, blickt Dan Corp an. In seinen Augen flackert Furcht auf. Die Hände, die das Blatt halten, wonach der alte Wells genau 21 Posten Ware aufgeführt hat, beginnen zu zittern.

»Torbett«, murmelt er dann. »Junge, das ist Mike Torbett. Er hat Chris Evans dabei. Wo immer er hinkommt, fegt er alles beiseite, was ihm im Weg steht. Dan, was willst du...«

Dann schweigt er, denn Dan Corp geht los, als er das schrille Wiehern seiner Pferde, das Knallen der Peitsche und das Rumpeln der Wagenräder hört.

Er ist schnell, dieser Dan Corp, der jedes Pferd zureiten und jeden wilden Bullen zähmen kann. Ein Rindermann ist Corp, einer von der Sorte, die nie viel reden, aber sich durch ihre Leistung von anderen anheben.

Man sagt, er sei der beste Rindermann in dieser Gegend. Vielleicht hat ihn der alte Wells deshalb zum Vormann gemacht.

Er sieht den Wagen draußen vorbeidonnern – seinen Wagen, seine Pferde oder die des alten Wells. Es kommt

auf dasselbe heraus, das wissen alle Leute.

Der alte Wells hat Dan Corp wie seinen eigenen Sohn aufgezogen.

»Verdammt«, sagt Corp, mehr nicht.

Die Pferde rasen mit dem Wagen los, ehe Corp aus dem Laden treten kann. Corp blickt nach rechts zur Rampe, an der der Wagen gestanden hat. Jetzt steht dort ein anderer, neben dem Chris Evans wartet, eine Peitsche in der Hand.

Evans ist hager, hat eine gelbliche Gesichtsfarbe, tiefliegende Augen und eine Narbe am Kinn.

Es ist nicht schwer zu erraten, wer Evans den Befehl und die Peitsche gegeben hat. Der Mann sitzt auf dem Bock des Wagens und grinst.

Mike Torbett ist vielleicht zu schön für einen richtigen Mann. Er hat ein glattes Gesicht, trägt nur graue Anzüge und schneeweiße Hemden. Das soll auf manche Girls wirken.

Als Corp in der Tür auftaucht und Mike ihn angrinst, bleiben auf der Straße ein paar Leute stehen. Man sieht auf Corp, der mitten in der Tür steht und auf Torbett blickt. Dann macht er einen halben Schritt zurück und streckt die rechte Hand aus.

Im Store, direkt neben der Tür, ist ein Ständer, in dem etwa dreißig Peitschen stehen.

Der alte Oldridge, der immer noch hinter seinem Tresen steht, preßt die Lippen zusammen, als Corp ganz ruhig eine der Peitschen nimmt. Er ergreift eine und kommt dann aus der Tür.

Chris Evans, der ihn kommen sieht, reißt die Augen weit auf. Und alle, die Corp sehen und wissen, was zwischen ihm und den Leuten von der MarstonRanch gespielt hat und immer noch nicht beendet ist – halten den Atem an.

Corp geht so ruhig, als mache er einen Sonntagnachmittagspaziergang. Er blickt nicht zu Evans hin, obwohl er ganz dicht an ihm vorbeigehen muß. Evans wendet nur den Kopf.

Vielleicht denkt er zu langsam, um sich vorstellen zu können, daß Corp trotz seiner Anwesenheit etwas tun könnte. Immerhin hat Evans einen Ruf als Revolverheld. Und niemand will mit ihm Streit haben.

Corp ist schon an Evans vorbei

und tritt nun neben den Wagen, den Mike Torbett gefahren hat. Dann wendet er sich um, die Peitsche in der linken Hand, blickt zu Torbett hoch, der immer noch grinst, und sagt freundlich:

»Hallo, Beauty!«

Torbetts Spitzname ist »Beauty«. Man nennt ihn »den Schönen«, seitdem er einmal selbst gesagt hat, er sei der Schönste. Es soll jedoch Leute geben, die Torbett damit ärgern können.

Als Corp »Beauty« sagt, verliert Torbett sein Grinsen.

Und gleich darauf verliert er auch den Halt, denn er hat einen Fehler gemacht. Er hat die Leinen losgelassen und die Hände auf die Knie gestemmt.

Der Fehler rächt sich in der nächsten Sekunde. Corps linke Hand bewegt sich einmal. Dann zischt die Peitschenschnur.

Corp macht alle Dinge schnell und sehr geschickt.

Die Peitschenschnur trifft beide Pferde von Torbetts Gespann genau am Hals. Es ist ein Hieb, der jedem Pferd weh tun muß.

Im nächsten Augenblick springen Torbetts Pferde mit einem Ruck und unter schrillem Gewieher vorwärts. Torbett – eben noch grinsend – kippt hintenüber, als die Pferde den Wagen jäh nach vorn reißen. Er stößt einen Schrei aus. Seine Beine zeigen einen Augenblick in die Luft, dann ist er nach hinten unter der Wagenplane verschwunden.

Der Wagen wird von den Pferden so hart vorwärtsgerissen, daß Torbett innerhalb einer Sekunde im Wagen liegt und heisere, wütende Schreie ausstößt.

Die Zügel, nur locker um den rechten Wagenholm gewunden, fallen in den Staub und schleifen am Boden.

Selbst Chris Evans ist überrascht worden. Evans, der den Hieb sieht, zuckt zusammen, als Torbetts heisere Schreie aus dem davonrollenden Wagen ertönen. Dann stößt er einen Fluch aus. Er hat die Peitsche in der Hand und macht nun auch einen Fehler. Statt gleich nach seinem Revolver zu greifen, nimmt Chris Evans den Arm hoch und holt aus.

In derselben Sekunde, als er nach Corp schlägt, dreht sich Corp, duckt sich und springt einen halben Schritt zur Seite. Die Peitschenschnur pfeift an Corp vorbei, klatscht auf den Boden und bleibt dort festgeklemmt liegen. Corps linker Fuß steht darauf. Danach macht Evans noch einen unsinnigen Versuch, die Peitsche an sich zu reißen, doch es gelingt ihm nicht mehr.

»Hallo, Evans!« sagt Corp kühl. »Ich würde nie fremde Pferde schlagen, wenn ich...«

Und weiter kommt er nicht. Evans schleudert die Peitsche mit einem Fluch weg, greift aber dafür zum Revolver.

Dies ist sein nächster Fehler.

Die Leute, die drüben stehen, sind vor Schreck erstarrt. Sie sehen genau, daß Evans seinen Revolver aus dem Halfter reißt. Aber sie wissen alle, wie schnell Corp auch mit einer Peitsche sein kann.

Kaum zuckt Evans Hand nach unten, als Corp mit der Linken die Peitschenschnur fliegen läßt. Evans’ Revolver ist gerade aus dem Halfter, als sich Corps Peitschenschnur um den Lauf der Waffe ringelt. Dann reißt Corp den linken Arm mit einem blitzschnellen Ruck zurück.

Chris Evans stößt einen heiseren Schrei aus. Er wird nach vorn gerissen und verliert die Waffe aus der Hand. Mehr noch, Evans kommt zu Fall, als er über die Kante der Laderampe torkelt und einen guten Schritt tief auf die Fahrbahn stürzt.

Er hat jetzt keine Waffe mehr. Sein Revolver hängt an der Peitschenschnur, die Corp mit einer geschickten Bewegung zu sich heranzieht. In derselben Sekunde, als Evans’ Revolver vor seinen Füßen liegt, bückt sich Corp. Und dann hat er den Colt in der Faust.

»Mein Gott«, sagt der alte Ol­dridge, der auf seinen krummen Beinen bis an die Tür seines Stores gelaufen ist. »Einmal mußte es so kommen.«

Corp bewegt sich so schnell, als müßte er einem durchgehenden Pferd in den Weg springen. Er macht drei, vier Sätze. Dabei hat er Evans’ Revolver in der Linken, die Peitsche weggeworfen, und steht gleich darauf am Rand der Rampe.

Als Evans sich fluchend und von Kopf bis Fuß schmutzig aus dem Staub erhebt, hält Corp Evans’ Revolver nach unten. Der Lauf zeigt genau auf Evans’ Kopf.

»Ist was?« fragt Corp knapp. »Wolltest du etwas, Chris? Ich hoffe doch, du wolltest nicht etwa schießen?«

Evans’ verzerrtes Gesicht erstarrt zu einer Maske. Er blickt mitten in die Mündung seines eigenen Colts und stellt sein Gefluche sofort ein. Dann aber bricht der Haß durch, den alle Marston-Reiter, die Joel Marston nach dem Tod des Alten eingestellt hat, auf die Wells-Ranch haben. Er stößt wild hervor:

»Das sollst du Sohn einer – noch büßen!«

Das Wort wird von etwa einem Dutzend Männern und Frauen gehört. Und es ist, als habe Chris Evans sein eigenes Todesurteil gesprochen. Jeder Mensch hier weiß, daß Daniel Corp keinen Vater hat. Wer immer sein Vater war, Dans Mutter hat seinen Namen nie genannt.

Auch als sie wußte, daß der Tod kam und sie den Namen vielleicht hätte sagen müssen, schwieg sie.

Dan Corp ist ein uneheliches Kind. Das aber, was Evans jetzt gesagt hat, ist seine Mutter nie gewesen. Es gibt keine Beleidigung, die tödlicher sein könnte. Das erkennt der Hitzkopf Evans in derselben Sekunde, als er das Wort ausgesprochen hat.

Corps linker Daumen zuckt. Während das Rollen von Torbetts Wagen, der an Corps Gefährt vorbeigejagt ist, hinter der Straßenbiegung verklingt, kommt das scharfe Klicken des Revolverhammers über die Straße.

Chris Evans wird jäh kreidebleich, in seinen Augen flackert die Furcht auf.

»Nein!« sagt er schrill vor Angst, als er die Flamme des Zorns in Corps Augen erkennt. »Nein, nicht, nicht!«

»Noch mal«, faucht Corp eisig, und nur noch der Daumen hält den Hammer fest. »Sag’ das noch mal, Chris Evans!«

Evans würgt, sein stark hervorspringender Adamsapfel zuckt auf und nieder.

»Du sollst es noch einmal sagen!« fordert ihn Corp mit plötzlichem, wildem Grimm auf. »Mach den Mund auf, du erbärmlicher Lump! Du kannst mich beleidigen, aber sage nie etwas gegen meine Mutter, Mann, sonst bringe ich dich um. Ich schieße dich über den Haufen wie einen tollen Hund! Du wagst es, du hergelaufener Revolverschwinger – meine Mutter eine...«

Und dann springt er blitzschnell von der Rampe, ehe Evans ausweichen kann.

Chris Evans stöhnt auf. Er wird nach hinten geschleudert und kracht in den Staub.

In derselben Sekunde, als er auf die Beine springen will, holt Dan Corp aus und schlägt zu.

Der linke Haken trifft Evans haargenau am Kinn. Evans schießt nach hinten, stürzt mit dem Rücken an den Haltebalken und fliegt über ihn hinweg.

Dann bleibt er reglos im Staub liegen.

»Das«, sagt Dan Corp schneidend, »sagst du nie wieder, Mann, sonst bringe ich dich um!«

Im gleichen Moment aber, als er sich nach Evans’ Waffe bücken will, die er fallen ließ, kommt die Stimme hinter ihm hart und kalt durch die Stille.

Der Mann muß aus dem Saloon von Hawkins gekommen sein, der links neben dem Store des alten Oldridge liegt.

»Corp!« sagt Joel Marston grimmig. »Steh still, sonst blase ich dich mittendurch! Timothy, Nick! Holt ihn euch! Jetzt werde ich ihm zeigen, wie groß er ist, dieser Bursche, der nicht mal einen Vater hat. Steh still, oder ich schieße dich über den Haufen, Corp! Du stirbst in deinen Stiefeln!«

Sie kennen ihn alle, und sie wissen es, als sie ihn sehen. Er wird seine Drohung wahr machen und sich den Teufel um Marshal Stevens oder das Gesetz kümmern.

Corp stirbt, wenn er etwas versucht.

*

Sie sind wie zwei folgsame Hunde, die auf jeden Pfiff ihres Herrn springen, und kommen nun von hinten. Der eine hat die linke und der andere die rechte Position genommen. Ihre Schritte nähern sich nur langsam. Sie sind vorsichtig, seitdem Corp Evans mit nur einem Hieb in den Staub befördert hat. Vielleicht wollen sie nicht riskieren, daß er sie angreift.

Einen Augenblick stocken ihre Schritte, als der Wagen hinter der Straßenbiegung auftaucht. Beauty Torbett sitzt mit verbissener Miene auf dem Bock. Er sieht mächtig verändert aus. Seine sonst prächtig saubere Jacke ist voll schwarzer Flecken. Sein Hemd ist genauso schwarz wie seine Jacke und die Hose. Er ist, als die Pferde vorhin anzogen und er nach hinten kippte, mitten in die Kiste mit der Holzkohle gefallen, die sie für die Ranchschmiede geholt haben. Er wirkt wie ein wilder, gradewegs aus der Hölle heraufgestiegener Teufel und treibt die Pferde an.

»Nimm die Hände hoch!« knurrt Joel Marston, der noch auf dem Vorbau steht. »Streck sie in die Wolken, Corp! Und ihr seid vorsichtig, dem Burschen ist alles zuzutrauen!«

»Du sagst es«, erwidert Corp gelassen. »Joel, ich habe keine Waffe.«

»Nenn mich gefälligst nicht Joel, du Loofer«, faucht ihn Marston bissig an. »Für dich bin ich Mr. Marston, verstanden? Du nimmst die Arme hoch, ob du nun eine Waffe hast oder nicht, Corp.«

Seine beiden Männer, die er nach dem Tod seines Vaters eingestellt hat – es sind rauhe Burschen – stehen nun keine drei Schritte mehr hinter Corp.

Von links aber kommt der Wagen rasend schnell heran, dessen Zügel Beauty Torbett irgendwie erwischt haben muß. Beauty fährt einen sauberen Bogen, um Corp keine Chance zu geben, vielleicht loszuspringen. Dann bindet er hastig die Zügel fest und steigt ab.

»Da haben wir diesen Burschen ja, den ein Esel im Galopp verloren hat«, stellt er höhnisch und grimmig fest. »Joel, ich bin mitten in die verdammte Kiste gefallen. Der Lump hat die Pferde mit der Peitsche geschlagen, ist das nicht verdammt gemein?«

»Du nennst es beim richtigen Namen«, antwortet Marston grimmig. »Er ist ein gemeiner Bursche. Vielleicht sollte man ihm seine Gemeinheit mal austreiben, wie?«

»Genau das dachte ich jetzt zu tun«, gibt Torbett giftig zurück. »So, Mister, jetzt bist du dran. Ich werde dir zeigen, nach meinen Pferden zu schlagen!«

Er springt vom Wagen. Er geht nun zwischen Timothy und Nick, die schräg rechts und links hinter Corp stehen, auf Dan zu.

Corp hat die Arme hochgenommen. Die Sonne, die im Süden steht, wirft die Schatten der drei Männer auf den Boden. Corp kann ziemlich genau abschätzen, wie sie stehen und wie nahe sie ihm bereits sind.

»Vorsicht, Joel«, murmelt er düster, »laß ihn nicht los. Er ist dein Freund, aber glaube nicht, daß ich darauf Rücksicht nehme, wenn er sich eine Gemeinheit einfallen läßt. Die erste hat er bereits hinter sich, er hat Evans auf die Pferde meines Wagens einschlagen lassen.«

Corp, der genau weiß, daß Torbett ein hinterhältiger und verschlagener Bursche ist, rechnet jede Sekunde mit dem Herabsausen des Armes. Beauty Mike Torbett macht einen halben Schritt nach rechts. Sein Schatten verschmilzt nun mit dem von Corp. Aber Corp kann noch erkennen, daß Torbett die rechte Hand herabschlägt.

Blitzschnell kreuzt Dan Corp seine Arme, aber er hat nicht mit Torbetts Hinterlist gerechnet.

Der schlägt nur zum Schein zu, hebt aber gleichzeitig seinen linken Fuß und tritt Corp in die Kniekehlen.

Der Tritt würde auch einen darauf vorbereiteten Mann einknicken lassen. Corp aber, der fast damit rechnet den Revolver auf den Kopf zu bekommen, knickt ein, versucht instinktiv mit den Armen das Gleichgewicht zu halten, und dann passiert es.

Beauty Mike Torbett hat nur auf diese Sekunde gewartet. Als Corp die Hände unten hat, schlägt er zu.

Corp fällt schwer in den Staub.

»Das war es!« sagt Torbett grimmig. »Diesem hergelaufenen Strolch werde ich zeigen, wie er mich zu behandeln hat.

He, Evans – steh schon auf, da liegt der Held, der nie einer sein wird.«

Evans hat sich aufgestemmt. Er blickt auf Corp und schüttelt heftig den Kopf, um den letzten Rest Benommenheit zu vertreiben.

Er wankt zu seinem Pferd, kommt mit dem Lasso zurück und kniet im nächsten Augenblick neben Corp.

»Evans, laß das!« fährt Marston ihn an. »Was hast du vor, Mann?«

»Nichts, was von dir befohlen worden ist«, erwidert Chris Evans wütend. »Gib mir jetzt keine Befehle, sonst hast du einen weniger in der Mannschaft, Boß! Was immer ich mit diesem Hundesohn mache, es ist meine Sache!«

Er zerrt das Lasso unter Corps Armen durch, zieht die Schlinge zusammen und läuft dann los. Anscheinend befürchtet er, daß Corp erwachen könnte. Er steigt auf sein Pferd, bindet das Lasso am Sattelring fest und reitet auch schon an.

Im nächsten Moment strafft sich das Seil. Corp wird ein Stück über die Straße gezogen, bis er in ihrer Mitte liegt. Hier erst beginnt Corp die Beine zu bewegen. Im selben Augenblick, als er halbwegs wieder bei Verstand ist, stößt Evans einen schrillen Schrei aus und reitet an.

Auf der Straße entsteht eine Staubfahne hinter Evans’ Pferd und dem Mann, den er bis auf die Höhe der Schmiede rechter Hand schleift. Dort wendet Evans erneut, um das Spiel von vorn zu beginnen.

An seinem Lasso bemüht sich Corp vergeblich, auf die Beine zu kommen. Zweimal, als Evans das Tempo absichtlich verlangsamt, schafft Corp es beinahe. Doch jedesmal fällt er in dem Moment, als Evans das Pferd hart antreibt, wieder hin, Corp kämpft umsonst, er verliert nach dem zweiten Aufprall die Besinnung. Jetzt hängt er, vom Staub halb erstickt, wie eine Puppe am Seil.

Schließlich zügelt Evans sein Pferd. Er zieht den Gaul herum, reitet bis auf Corps Höhe und starrt aus schmalen Augen auf ihn herab.

»Das nächste Mal«, sagt er laut und heiser, während er absteigt und das Lasso losmacht, »bring einen Revolver mit, du Großmaul! Und dann versuche herauszufinden, wer von uns beiden schneller ist. Danach, Mister, wird man dich in einen Sarg legen, das schwöre ich dir. Schlag mich nie wieder mit einem Trick nieder!«

Er sagt es, obwohl Corp ihn nicht hören kann. Es ist für die Leute bestimmt, die sich nicht rühren. Niemand wagt es, Evans aufzuhalten oder hinzugehen und Corp zu helfen.

Danach sitzt Chris Evans wieder auf. Er reitet wie ein Mann, der nichts und niemanden zu fürchten braucht, mitten auf der Straße zurück. Die Leute, die diese rauhe Sache gesehen haben und schweigen, scheint er kaum zu bemerken.Vor Beauty Mike Torbett hält er an, steigt ab und sagt grinsend:

»Ich denke, jetzt können wir aufladen, was? Der Bursche hat für eine Woche genug.«

*

Er hat genug gesehen und seufzt, als er ihn den Sattel holen sieht.

Ich hab’s gewußt, sagt sich der alte Chad Wells bitter. Man lernt einen Mann kennen, wie sich selbst, wenn man mit ihm vierzehn Jahre zusammenlebt. Er schluckt es nicht, er ist nicht der Typ, der wütend wird und es zeigt. Bei ihm frißt es sich immer tiefer, bis es sein ganzes Denken ausfüllt. Vielleicht könnte ich ihn aufhalten, wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre, aber nicht mehr in meinem Alter, jetzt nicht mehr.

Als er sich umwendet und eine Sekunde sein Bild im Spiegel betrachtet, sieht er ein altes, faltiges Gesicht, einen wild wuchernden Bart und zwinkernde, von Lachfalten umgebene Augen.

Chad Wells sieht genauso aus wie einer jener Männer, die vor einem halben Jahrhundert in dieses Land kamen und nun zu den Oldtimern gehören. Er ist nicht groß, hat leicht gekrümmte Reiterbeine und eine etwas schiefe Schulter. Manchmal brennt es dort, als träfe ihn erneut der verdammte Indianerpfeil in die Schulter. Obwohl es 40 Jahre her ist – Old Wells behauptet, er würde jedes Unwetter spüren.

Vielleicht spürt er wieder eins, denn er läßt die Schulter noch mehr hängen, als er aus der Tür und auf den Vorbau seiner Ranch geht.

Die Mannschaft führt das Brennen ohne den Vormann durch und ist auf der Weide draußen. Außer Old Chad ist nur noch der Koch auf der Ranch. Und auch er hat die Vorbereitungen gesehen, die Dan Corp getroffen hat.

In dem Augenblick, als der Alte aus der Tür kommt, ist Corp dabei, den Sattel aufzulegen.

»Eh, Daniel«, sagt Old Chad heiser »Daniel, wenn du eine Minute Zeit hast, einen alten Mann anzuhören, dann warte ein wenig.«

Dan Corp blickt sich um, nickt kurz und schnallt den Bauchgurt fest. In seinem verschrammten, verschorften Gesicht rührt sich nichts. Man sieht nach diesen neun Tagen die Spuren immer noch.

»Was ist, Chad?«

Der Alte stakst los, brummelt irgend etwas, ehe er neben Dans Pferd steht, und fragt dann mürrisch:

»Ausgerechnet der Sonnabend, he? Daniel, du hast dir den Tag ausgesucht, an dem sie in der Stadt sein müssen. Aber hast du auch daran gedacht, daß sie vielleicht auf dich warten könnten? Denken können sie auch, die Marstons waren nie die schlechtesten Rechner.

Zum Teufel, laß uns vernünftig reden, Junge. Du wirst allein sein, weil ich mich nicht einmischen kann, ohne einen Weidekrieg zu riskieren. Laß dir Zeit. Verschiebe es, bis sie nicht mehr daran denken und glauben, du wärest zu feige. Junge...«

»Hat man dich jemals von hinten niedergetreten und geschlagen, Old Chad?«

»Nein«, sagt der Alte widerwillig. »Aber...«

»Und hat man dich jemals an ein Lasso gebunden und vor einer ganzen Stadt über die Straße geschleift wie eine Strohpuppe?«

»Nein, zum Teufel, aber du solltest deinen Verstand gebrauchen.«

»Den habe ich neun Tage lang gebraucht, darauf kannst du dich verlassen. Und nun laß mich in Ruhe, hörst du, Old Chad?«

Er schluckt, der alte Mann, fährt sich durch den Bart und blickt weg. Niemand kann Dan aufhalten, er weiß es, aber er muß es wenigstens versuchen, wenn er sich später keine Vorwürfe machen will.

»Was soll das alles?« fragt er leise.

»Du hast eine Mannschaft, die dir an jeden Platz der Hölle folgen würde. Du hast dein Auskommen hier und Freunde. Und schließlich hast du auch mich. Es ist Unsinn, glaub’ mir doch. Ich kenne die Marstons und ihren Anhang besser als jeder andere in diesem Land. Nichts geschieht, was ein Marston nicht haben will. Du rennst dir den Kopf ein, Junge.«

»Und du redest zuviel«, erwidert Dan Corp kühl, dreht sich um, geht an Old Chad vorbei in den Stall und kommt mit einem Packen wieder.

Es ist dem Alten als begänne der Boden unter ihm zu schwanken. Den Packen muß Dan schon in der Nacht in den Stall geschafft haben.

Einige Sekunden lang steht er wie betäubt neben dem Pferd. Er läßt die Arme hängen und fühlt sich wie zerschlagen.

Der Junge will fort, will hier weggehen wie jemand, der nur einige Zeit gearbeitet hat, um sich nun einen anderen Platz zu suchen Es trifft Old Chad wie ein Keulenhieb.

»Nein«, sagt der alte Mann verstört und sehr leise. »Das meinst du doch nicht so, nicht wahr, Dan? Du kannst mich doch jetzt nicht im Stich lassen, Junge? Die ganzen Jahre – deine Arbeit, dein Leben hier, alles umsonst? Viele Dinge auf dieser Ranch sind nur durch dich entstanden, wir haben das beste Vieh hier. Nicht mal die Marstons haben besseres auf der Weide stehen. Daniel, warum tust du das? Warum denn, Junge?«

Daniel sieht ihn nur an, während er mit geübten Griffen den Packen festschnallt.

Dann räuspert er sich einmal, als wolle er einen Kloß aus seiner Kehle bringen.

»Ich gehe fort«, erwidert er leise. »Es wird immer so bleiben, Old Chad, daß jemand kommt und sagt, ich hätte nicht mal einen Vater und meine Mutter nichts getaugt. Unterbrich mich jetzt nicht, ich weiß, was du sagen willst, aber es ist zwecklos, Old Chad.

Im Grunde bin ich ein Niemand für die Leute in diesem Land. Ich bin ein uneheliches Kind, das allein entscheidet es.

Ja, ich gebe zu, ich hatte hier eine Heimat, ich hatte eine Arbeit und eine Aufgabe, aber ich kann nicht mit den Marstons und in ihrem Schatten leben. Verstehst du, was ich meine? Sie hassen mich, Gott weiß, warum, denn ich habe ihnen nie etwas getan. Ich würde mich ducken und auf meinem Bauch vor ihnen kriechen müssen, wenn ich bleibe. Und das kann ich nicht. Das ist alles, Old Chad.«

Es zerreißt den alten Mann fast, als er ihn so reden hört. Alles von dem, was Dan gesagt hat, stimmt. Niemand kann es ändern, daß man ihn immer ein wenig über die Schulter ansehen wird. Dabei steckt in Daniel Corp vielleicht mehr Stolz als in jemandem, der einen reichen Vater und eine prächtige Familie hat. All das weiß der alte Chad Wells nur zu gut.

»Daniel, bleib hier, du kannst die Mannschaft haben. Geh hin, trage es aus – mit der Mannschaft, die dir folgen wird, weil sie zu dir steht. Geh, Junge, hol sie her. Du bist zu stolz, ich weiß es. Ich wollte, ich hätte diesen Stolz immer in mir gehabt, aber ich hatte nie den Ehrgeiz, ein großer Mann sein zu wollen. Hör zu, du bekommst die Mannschaft, nimm sie und reite in die Stadt. Gib es ihnen, so rauh du willst, auch wenn daraus ein Weidekrieg wird. Ich kann mir auch ein paar rauhe Burschen kaufen, ich werde...«

Er redet und weiß doch, daß es sinnlos ist, ehe Dan etwas sagt.

»Nein, Old Chad, dies ist nicht dein Kampf, auch nicht der deiner Mannschaft. Du redest immer von meiner Mannschaft, aber ich besitze keine. Ich habe sechs Hemden, zwei Anzüge, ein paar Dinge von meiner Mutter und mein Pferd. Was immer ich für Ärger habe – es wird nie deiner sein, auch nicht der deiner Mannschaft. Dieses Land braucht Ruhe. Du bist alt, du kannst nicht mehr kämpfen. Und ich will keinen großen Krieg, von dem keiner weiß, wie er ausgehen wird.

Ich traue mir zu, ihn zu gewinnen, ich würde mit den Marstons fertig werden. Aber nicht um den Preis, Männer sterben zu sehen, die mit der ganzen Sache nichts zu tun haben. Nein, Chad, ich werde ihnen zeigen, daß ich beißen kann, ehe ich gehe. Mehr brauche ich nicht, um zufrieden zu sein.

Danke für die Jahre, in denen du aus mir einen Mann gemacht hast. Danke, Chad, ich werde es dir nie vergessen.«

Da steht er – ein Mann, der über sechs Fuß groß ist und den man nie zerbrechen wird – eher wird er sterben. Jetzt blickt er ihn an. Und der alte Chad hat das Gefühl, als läge nichts als Bitterkeit in diesen dunklen Augen.

»Ich – ich wollte es dir nie sagen«, murmelt er zittrig und hat Mühe, auf seinen alten, plötzlich so müden Beinen stehenzubleiben, »aber nun muß ich es wohl tun. Du solltest es erfahren, wenn der alte Chad Wells nicht mehr auf dieser Welt war. Diese Ranch wird eines Tages dir gehören, Junge.«

Er blickt zu Boden, auf den Schatten dieses Mannes, den er wie seinen eigenen Sohn gern hat. Und er bemerkt, daß der Schatten stillsteht, reglos, als hätte ihn ein Schlag getroffen.

»Du weißt noch etwas nicht«, sagt er, und nun klingt seine alte Stimme brüchig. »Ich habe nie gewußt, wer dein Vater war. Kein Mensch auf der Welt weiß es, nicht mal du. Als deine Mutter damals wiederkam und die Leute alle über sie redeten, da bin

ich zu ihr geritten, Junge. Ich hab’ sie gefragt, ob sie meine Frau werden wollte.

Ja, du hörst richtig, Daniel, der alte Chad ist hingeritten und hat sie gefragt, weil er sie gemocht hat. Ich, sagte ich, würde dich als meinen Sohn ausgeben, ich erbot mich, dich anzuerkennen, obwohl ich dann vor allen Leuten gelogen hätte. Und ich hab’ nie was mehr gehaßt als Lügen. Ja, ich wollte sie und dich zu mir nehmen.«

Vielleicht würde er das nie gesagt haben, nicht zu Dan. Solange er lebte, wollte er die Geschichte seiner ersten und einzigen Liebe für sich behalten, aber jetzt mußte er es sagen. Der Junge will ihn verlassen, sein Junge.

»Es ist wahr«, murmelt er und blickt auf die Berge im Norden, die blauen Schleier der Täler und die ­braunroten Felsen, auf die die Sonne prallt. »Sie wollte mich nicht, sagte sie, sie liebte nur einen und würde nie einen anderen lieben können.

Als sie elf Jahre später krank wurde und wußte, daß sie sterben mußte, da schickte sie dich zu mir. Du wirst dich vielleicht daran erinnern, wie? Aber etwas ist dir sicher damals nicht aufgefallen.«

Er sieht Daniel Corp nicht an, er blickt immer noch zu den Bergen, an deren Rand das alte Haus der Corps steht. Die Erinnerung an jenen Tag ist wieder da, die ihn nie losgelassen hat.

»Als wir hereinkamen«, fährt er fort, »roch es nach Tabakrauch. Ich entdeckte in der Glut des offenen Herdfeuers den Rest einer Zigarre. Die Asche hatte sich gehalten. Also war ein Mann bei ihr gewesen, ehe wir kamen. Vielleicht hatte sie dich deshalb zu mir geschickt, ich weiß es nicht. Es kann nur ein Mann gewesen sein, der ihr etwas bedeutete. Ich denke, es war dein Vater, Junge. Nun, das ist nicht so wichtig. Ich versprach ihr, dich aufzunehmen. Und ich tat es. Für mich warst du nie der Sohn eines anderen Mannes, Daniel, du warst immer nur ihr Sohn: Daniel Corp. Ich wurde dein Vormund, ich hätte dich auch gesetzlich als Sohn angenommen, nachdem ich dich ein paar Jahre studiert hatte, aber hier ist nie eine Frau gewesen. Das Gesetz schreibt vor, daß niemand einen Jungen adoptieren kann, wenn er unverheiratet ist. Dabei, denke ich, bist du ein guter Mann geworden, auch ohne eine Frau, die dich erzogen hätte, wie?

Nun ja, Junge, du mußt das tun, was du dir schuldig zu sein glaubst. Tue es, geh auch weg, aber du wirst eines Tages wiederkommen müssen, wenn ich gestorben bin. Dann gehört diese Ranch dir.«

Er holt tief Luft und spricht nun ganz ruhig weiter. Der erste Schreck ist vorbei. Er weiß, was Daniel jetzt denkt, und sagt langsam:

»Du weißt, ich habe von meiner Schwester her einen Neffen, der bekommt mal fünftausend Dollar. Alles andere hier wird dir gehören. Du mußt einmal zurückkommen, weil du genau wissen wirst, daß diese Ranch nach meinem Sterben untergehen muß. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber ich bin sicher, du hängst an dieser Ranch, und ein klein wenig auch an mir. Ehe du mein Lebenswerk verkommen läßt, Junge, wirst du herreiten. Kann sein, daß du dann gegen die Marstons kämpfen mußt, aber dann wird es für dich sein, nur für dich. Alle Hindernisse, die du jetzt siehst, werden verschwunden sein.

Jetzt weißt du es, du kannst nun reiten, Junge. Nur einen Rat will ich dir noch mitgeben: Du kannst sie alle schlagen, ich weiß es. Aber du wirst Joel Marston umbringen müssen. Tötest du ihn nicht, dann wird er sich einen Revolvermann nach dem anderen holen, bis er dich unter der Erde weiß. Fordere ihn in einem offenen Kampf. Aber ich fürchte, der Bursche wird sich immer hinter jemandem verstecken.

Das ist alles, Junge!«

Dann dreht er sich um, ein alter Mann, der ein wenig schief auf das Haus zugeht und nach ein paar Schritten Dan hinter sich sagen hört:

»Warte, Chad, nur einen Moment noch. Chad?«

»Ja«, fragt er und bleibt stehen, um knapp den Kopf zu wenden. »Was ist noch, Junge?«

»Ich habe das alles nicht gewußt, Chad. Vielleicht hätte ich mich dann anders verhalten, als sie anfingen, mich zu beschimpfen. Jetzt ist es zu spät für mich, ich kann nicht mehr zurück.

Chad, du hast deinen Neffen, er ist ein guter Mann und dein Blutsverwandter. Ich will, daß du ihm die Ranch vermachst, hörst du?«

»Nie!« antwortet der Alte so starrsinnig, wie nur ein alter Mann sein kann. »Ein Rechtsverdreher ist er, ein guter, zugegeben. Er kann etwas, aber er wird nie ein Rindermann sein wie

du, niemals. Reite, mach deinen Weg, Junge, ich habe dir nichts mehr zu sagen.«

Und dann geht er weiter, betritt das Haus und läßt die Tür hinter sich zufallen. Es ist ihm, als bräche damit seine ganze Welt zusammen. Er lehnt sich an die Wand im Flur und hört das Pferd draußen angehen. Und jeder Huftritt läßt ihn zusammenzucken. Es ist unvermeidlich, der Junge geht, weil jemand seinen Stolz und nicht nur seinen Leib mit Füßen getreten hat.

»Er kommt nicht wieder«, sagt er tonlos. »Der Junge kommt nie wieder, wenn ich jetzt die Mannschaft hole und ihm helfe.

Es ist sein Kampf, er würde mir nie verzeihen, wenn ich mich einmische. Großer Gott, ich muß es ihn allein ­auskämpfen lassen Und wenn er nun dabei stirbt?«

*

Die Uhr am Kirchturm, die Warren Joel Marston der Stadt stiftete, als sein Sohn geboren wurde, schlägt elfmal, als die Haustür aufgeht.

Dann tritt ein Mann heraus, blickt sich um und sagt entschuldigend zu der Frau in der Tür:

»Tut mir leid, Elly, ich würde ganz gern noch länger geblieben sein, aber der Boß will, daß wir immer in seiner Nähe sind. Ich konnte nur diese halbe Stunde kommen. Nun, nächste Woche komme ich wieder, wie?«

»Chris, bestimmt nächste Woche? Vielleicht ist es dann noch immer so wie heute? Ihr wartet doch auf ihn, erzähle mir nichts, ihr wartet auf Corp und niemanden sonst. Darum will Marston dich in der Nähe haben.«

Chris Evans lacht leise, blickt auf das Tuch, das sie locker um ihre runden Schultern gelegt hat, und berührt mit der Hand ihren bloßen Arm. Seitdem er sie kennt, diese Frau, deren Mann vor zwei Jahren gestorben ist, hat er immer ein paar ruhige Stunden gefunden, wenn er zu ihr kam.

»Vielleicht«, antwortet er lächelnd und preßt seine Hand einen Moment fest auf ihren Arm. »Nur vielleicht, Elly. Du brauchst darüber nicht nachzudenken, so wichtig ist dieser kleine Narr nicht für die Marstons. Also, gute Nacht!«

»Gute Nacht, Chris!«

Einige Sekunden blickt sie ihm nach – diesem hageren Mann, der immer etwas gebeugt geht, dessen Revolver tief hängt. Er trennt sich von seiner Waffe niemals mehr als auf Reichweite. Legt er sich irgendwo hin – und sei es, um zu schlafen – dann wird der Revolver auf einem Stuhl neben dem Bett liegen.

Chris Evans geht durch die schmale Straße, sieht die beiden Laternen vorn am Kirchplatz und pfeift leise vor sich hin. Er kommt auf die Laternen zu, und er denkt immer noch an Elly. Von der Main Street her hört er den Hall von Hufschlägen, das Rollen von Rädern.

Irgendwer ruft: »He, Buddy!« Eine andere Stimme antwortet. Der Wagen hält nun, das Hufgetrappel ist verstummt. Die Straße steigt leicht an. führt dann über den Kirchplatz und endet nach 20 Yards an der Main ­Street.

Kaum kommt Evans auf den Platz und in das Licht der ersten Laterne, als sich jemand in die Nische neben der Bäckerei zurückzieht. Der Mann ist verschwunden und wartet.

Chris Evans ist nun sieben Schritt links von ihm. Der Revolvermann will den freien Platz überqueren, er muß auf der Höhe der rechts von ihm liegenden Bank in den Lichtkreis der zweiten Laterne kommen. Und dann wird er knapp 20 Yards von jenem Mann in der dunklen Nische an der Bäckerei entfernt sein.

Hinter Evans hat Elly die Tür geschlossen. Sie steht noch einen Augenblick da und seufzt leise.

In den wenigen Sekunden, die sie an der Tür stehenbleibt, fällt auf dem freien Platz die Entscheidung.

Ein Mann hat seine Rechnung gemacht und alles kaltblütig einkalkuliert, was er über Evans weiß.

Chris Evans ist ein tödlich sicherer und schneller Schütze, schneller als jeder Mann in diesem Land. Aber nur solange er seinem Gegner näher als zwölf Yards gegenüberstehen kann. Jeder Schnellschießer trifft nur auf eine bestimmte Distanz genau. Wird die Entfernung zu groß, dann muß er zielen. Er kann sich nicht mehr darauf verlassen, mit einem einzigen Schuß von der Hüfte aus zu treffen.

In dem Augenblick, als Evans im Lichtkreis der Banklaterne auftaucht, gibt sich der Mann einen Ruck. Er hat seinen Revolver gelockert, tritt mit zwei langen Schritten aus der Nische und sagt in der nächsten Sekunde knapp und hart:

»Hallo, Evans, mein Freund!«

Für Chris Evans, der plötzlich die Stimme in seinem Rücken hört, ist es ein Schock.

Hinter ihm steht Daniel Corp. Er erkennt ihn sofort an der Stimme. Jäh bleibt er stehen, hält die rechte Hand steif vom Körper fort und sieht sich ganz langsam um.

Die Erinnerung an Joel Marstons warnende Worte ist nun da, er erinnert sich genau an sie und beißt sich auf die Lippen. Geht nicht allein am Abend oder am Tag durch die Stadt. Er wird kommen. Bildet euch nicht ein, daß Corp jemals etwas vergißt. Er kommt und wird dann auftauchen, wenn ihr nicht mit ihm rechnet. Seht euch vor, bleibt zusammen!

Evans ist allein gegangen, er hat einen Fehler gemacht. Kaum erblickt er Corp, weiß er, daß er zu weit von Daniel Corp entfernt ist.

Obwohl Corp genau wie er im Schein einer Laterne an der Bäckerei steht, die Entfernung ist es, die Evans nervös werden läßt. Dann jedoch glaubt er sich unnötige Gedanken zu machen.

Corp mag ein guter Rindermann sein, aber ein schneller Mann mit dem Revolver ist er sicher nicht.

»Sieh an, das Großmaul Corp!« stellt er kalt fest, als er sich vorsichtig umzuwenden beginnt und sich hütet, die rechte Hand näher an den Kolben seines Revolvers zu bringen. »Hast du noch immer nicht genug, Corp? Was willst du Narr von mir, doch nicht eine Schießerei erleben?«

»Das wollte ich nie«, erwidert Dan Corp genauso kühl wie Evans. »Du hast mich zu einer eingeladen – oder solltest du deine eigenen Worte vergessen haben, du Feigling? Du bist wie alle aus diesem Rudel, das sich Joel Marston geholt hat: Feige, wenn du allein jemandem gegenüberstehen mußt. Hier ist keiner, hinter dem du dich verkriechen kannst, Revolverschwinger!«

Es ist Evans’ Fehler, daß er das Wort Feigling nicht hören kann. Der erste Mann, den er erschoß, nannte ihn einen feigen Skunk, ein Stinktier. Sobald jemand Evans’ Mut anzweifelt, sieht Chris Evans rot wie ein gereizter Bulle.

»Sag das noch mal, Corp, dann mache ich ein Sieb aus dir!« faucht er ihn wild an. »Verschwinde, sonst werde ich dir erst die Ohren abschießen. Ich werde…«

Und schon geht er los. Kaum aber hat er den ersten Schritt getan, als Corp die linke Hand jäh hebt, sie über dem Revolver schweben läßt und fauchend hervorstößt:

»Nicht weiter, sonst muß ich ziehen, Mister! Du hast mich eingeladen, zu kommen und meinen Revolver mitzubringen, jetzt bin ich da. Und nun kämpfe oder lauf weg, du Feigling, der nur Ohnmächtige an ein Lasso binden kann!«

Das ist zuviel für Chris Evans.

»Dafür, du Lump, bringe ich dich um!« sagt Evans fluchend. »Geh zum Teufel, zieh, Mensch!«

Seine rechte Hand reißt die Waffe hoch, während die linke blitzschnell von vorn nach hinten schlägt. Es ist Evans’ übliche Art zu feuern. Er schlägt immer über den Hammer hinweg und hat bis heute jeden Gegner auf diese Weise erwischt.

In dem Moment jedoch, als Evans seine Waffe herausreißt, macht Corp einen blitzschnellen Schritt nach rechts. So gering diese Bewegung auch ist, Corp verwirrt Evans für den Bruchteil einer Sekunde.

Während dieser winzigen Zeitspanne zieht Corp mit eher völlig gleichmäßigen, ruhigen Bewegung seinen Revolver. Er steht nach dem kurzen Schritt etwas seitlich zu Evans und stemmt die Füße fest ein.

Als er den Arm gerade halbhoch hat, zuckt aus Evans’ Revolver der Feuerstrahl.

Es ist genau das, was sich Corp vorher ausgerechnet hat. Evans feuert überhastet, die Entfernung ist für ihn zu weit.

Fauchend streicht die Kugel um mehr als eine Armlänge an Corps linker Seite vorbei. Sie knallt mit einem häßlichen Geräusch hinter ihm in das Tor.

Corp sieht mitten in den Feuerball hinein. Dann ist sein Revolver hoch genug, er zielt, hat seinen Mann vor dem Lauf und drückt ab.

Der Revolvermann scheint sich ducken zu wollen. Seine Hand, die den Revolver auf Corp angeschlagen hat, senkt sich jedoch plötzlich. Und dann, während er sich zu drehen beginnt, drückt er automatisch ab. Das belfernde Krachen seines 36ers peitscht über den freien Platz. Die Kugeln, und auch das sieht Allen genau, schlagen in einem Halbkreis um den sich drehenden Chris Evans ein. Evans wird immer kleiner, bis er schließlich seinen Revolver verliert und in den Staub des Platzes fällt.

Totenstille danach für zwei, drei Sekunden.

Dann sagt Daniel Corp grimmig:

»Du hast mich jetzt gesehen, Revolverschwinger. Und ich denke, du weißt nun, wie schnell ich bin. Du bist der erste!«

Es knirscht, etwas poltert, dann entfernen sich Corps schnelle Schritte.

An der Bank fliegt gleich darauf ein Fenster auf, in den Nebenhäusern wird es lebendig. Überall geht Licht an.

Die Schüsse, die die Stille der Nacht jäh zerrissen, haben alle aus dem Schlaf geschreckt.

Eine Frau reißt die Haustür auf, stürzt hinaus und sieht Chris Evans bereits aus mehr als 30 Yards Entfernung reglos am Boden liegen. Ihr heller, entsetzter Schrei dringt über den freien Platz hinweg, schallt durch die Straße und wird selbst weit hinten auf der Main Street noch gehört.

»Corp – Corp! Du hast ihn umgebracht, Corp, du Mörder! Hilfe – so helft doch! Hilfe, Corp hat Chris erschossen!«

Der Schrei wird überall gehört. Viele Leute sind jäh aus dem Schlaf gerissen worden, als die Schüsse krachten.

Corp ist also da, genau das ist geschehen, was jeder angenommen hat, der Daniel Corp genau zu kennen glaubte: Dan Corp ist zu seiner Stunde in die Stadt gekommen, um abzurechnen.

Und den ersten Mann hat er er­wischt.

Chris Evans ist zu langsam für ihn gewesen.

Nun wird er sich die anderen holen.

*

Der nächste Mann, der einen Fehler begeht, ist Marshal Al Stevens

Stevens ist ein Mann, der mit zunehmendem Alter Fett angesetzt hat. Seine beste Zeit ist vorbei, das weiß er längst, aber er kann noch kämpfen, wenn es sein muß.

Früher, als der alte Warren Joel Marston noch lebte und Stevens Mar­shal war, hätte es niemand gewagt, irgendwen über eine Straße zu schleifen. Aber nun ist Joel Marston da, jung, hart, kühl in seinem Wesen und nachtragend, wenn ihn jemand ärgert.

Al Stevens hat die Gasse vor sich, erreicht keuchend den freien Platz und schwitzt bereits, ehe er die Menschentraube sieht.

Das Licht der beiden Laternen beleuchtet Bäcker Allens Nachthemd, das sich Allen in der Eile in die Hose gestopft hat. Es beleuchtet Shamrock Rovers, einige andere Leute und Wenniger, den Bankhalter. Und es scheint auch auf Elly Bidwell herab, die neben dem am Boden liegenden Chris Evans kauert und auf eine seltsame, gespenstische Art flüstert:

»Er hat ihn umgebracht, der Teufel. Corp hat ihn getötet. Dieser Mörder, er hat Chris getötet!«

Al Stevens bricht durch die Leute wie ein Schneepflug durch eine Schneewächte. Er blickt eine knappe Sekunde auf Chris hinab, dessen weißes Hemd sich hoch an der rechten Schulter tiefrot gefärbt hat.

»Gehen Sie da weg, Elly«, sagt Stevens, der die Leute einfach beiseitegestoßen hat. »Er ist nicht tot. Er lebt noch. Zur Seite, weicht zurück, ich brauche mehr Licht.«

Sie stehen so dicht um Evans, daß das Laternenlicht nicht bis zu ihm dringt. Es gibt zu viele Schatten, die auf Evans fallen.

»Er ist nicht tot?« fragt Elly Bidwell verwirrt. »Nicht?«

»Nein«, erwidert Stevens und legt seine Hand an Evans’ Hals. »Er ist nur ohnmächtig geworden. – Anscheinend verträgt er nicht so viel, wie man ihm zutraut. Die Kugel hat den Muskel erwischt. Lauft zum Doc, schnell! Allen, steh nicht herum, hol Verbandszeug her, ein altes Leinentuch macht es auch, aber schnell, Mann! Das hat er davon. Ich habe es Joel gesagt, aber er wollte nicht auf mich hören. Nun gut, wenn ich mich nicht einmischen soll, dann…«

Und nun schweigt er jäh.

Marshal Al Stevens, der Mann, der dem alten Marston Treue geschworen und diese auf seinen Sohn und Nachfolger übertragen hat, zuckt heftig zusammen.

Durch die Nacht, in der hier und da Stimmen ertönen, kommen jäh und schrill Die Worte:

»Nick – wo bist du? Nicky, melde dich! Nicky...«

In derselben Sekunde, als Al Stevens Mike Torbett rufen hört, kracht weit links ein Revolver.

Und dann schreit jemand, es ist diesmal Joel Marston:

»Er hat Nick erwischt! Vorsicht, er hat Nick erwischt!«

Im ersten Moment bewegt sich Al Stevens nicht. Er scheint völlig erstarrt zu sein und weiß, daß er einen Fehler gemacht hat und ihn nicht mehr ausbügeln kann.

Der Marshal hätte sofort zum Panhandle-Saloon laufen sollen, um Joel Marston abzufangen. Dies hätte seine erste Reaktion sein müssen, als die Schüsse fielen und die Schreie von Elly Bidwell ertönten.

Verdammt, denkt Stevens, ehe er keuchend auf die Füße springt. Das hätte ich wissen müssen. Die Schüsse und die Schreie haben Joel Marston und seine Burschen genauso aus dem Saloon gelockt, wie sie mich hergetrieben haben. Sie sind losgerannt, um Chris Evans zu helfen. Das ist es, worauf Daniel Corp gewartet hat. Jetzt hat er sie.

Er läuft los. Und weiß doch, daß er zu spät kommen wird.

Daniel Corp hat sie alle, wo er sie haben wollte: In der Dunkelheit zwischen Häusern, Ställen, Zäunen und Schuppen. Den ersten von Marstons Burschen – Nick hat er erwischt.

Wer wird der nächste sein?

*

Nick ist der letzte Mann, der aus dem Panhandle-Saloon stürzt. Durch die Nacht klingen die Schreie von Elly Bidwell. Aus jener Richtung sind auch die Schüsse gekommen.

»Schnell«, sagt Marston keuchend und rennt mit gezogenem Revolver durch die schmale Gasse zwischen den Schuppen der Viehhandlung.

»Timothy, der Kerl wird sich irgendwo verstecken. Bleibt dicht zusammen, dann passiert nichts. Wenn er klug ist, dann rennt er weg, hat sein Pferd im Norden am Stadtrand stehen und versucht zu entwischen.

Aber er wird nicht klug sein, er wird herkommen. Rechts müssen wir uns halten, der kürzeste Weg zum Saloon führt durch die Elm-Street.«

Sie laufen zu schnell für Nick Clark, den einer der Gäule im Corral vorgestern gegen die rechte Kniescheibe getreten hat. Er kommt nur langsam voran, der Abstand zwischen ihm und Marston wird größer. Marston kommt zuerst in die Elm-Street, hinter ihm Timothy, dann Salton, einer der härtesten Burschen der Ranch.

Kurz hinter Salton Mike Torbett. Dann erst kommt der humpelnde Nick Clark. Ganz vorn verschwindet Marston, danach ist auch Timothy um die Ecke. Salton biegt eine halbe Sekunde später in die Elm-Street ein. Hinter ihm Mike Torbett, wie immer hat er einen seiner prächtigen Anzüge und ein schneeweißes Hemd mit schwarzer Schleife an.

Mike Torbett ist nun bereits mehr als 20 Yards von dem humpelnden Nick Clark entfernt. Nick sieht, wie Torbett um die Ecke davonrennt, flucht einmal auf den Gaul, der ihn getreten hat, und sieht es in der nächsten Sekunde nur noch aus den Augenwinkeln.

Es geschieht in dem Moment, als Nick Clark an dem kaum mannbreiten, dunklen Steg zwischen den letzten beiden Schuppen ist.

Linker Hand – Clark ist an diesem dunklen Loch, an dessen Ecke eine Regentonne steht, gerade vorbei – schnellt der Schatten hoch.

Clark wirft sich verzweifelt herum. Er sieht noch den Arm, der herabsaust, und will schreien, bringt aber nur ein schwaches Gurgeln heraus. Er erkennt Daniel Corp, kann jedoch nichts mehr tun.

Corps herabsausender Hieb trifft Clark am Kopf. Der untersetzte Clark sieht ein Feuerwerk, fällt gegen die Schuppenwand und sinkt dann zu Boden. Kaum liegt er, als Corp grimmig sagt:

G.F. Barner 170 – Western

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