Читать книгу Waco 4 – Western - G.F. Barner - Страница 3
ОглавлениеDer Sturm erfaßt den Wagen von Ebenezer Zane, den von Benjamin Laroy und drückt Abe Taylors Planendach auf die Seite.
»Großer Gott!« ruft Taylor entsetzt. »Das ist der Sturm!«
Er will aufstehen, aber der Wind drückt ihn von der Sitzbank. Abe hängt für zwei, drei Sekunden hilflos wie ein Kind über dem Brett des Kastens. Dann erst begreift er, was der alte Mann in Lovelock gemeint hat, als er von dem Sturm in der Wüste sprach.
In diesem Augenblick wird sein Hut gepackt und segelt mitten in die weißlichgraue Wolke hinein, die vom Boden der Carson-Senke aufgestiegen ist. Vor Jahrtausenden – so hat der Alte in Lovelock gesagt – ist alles hier ein großes Wasser gewesen, halb Nevada. Und das Salz des Wassers hat sich dann mit dem Schlamm des Sees zu einer Kruste verbunden, auf der Salzgras und Fettholz wachsen.
Jetzt reißt die entfesselte Naturgewalt die Reste jenes großen Meeres auf. Und im weißgrauen Staub verschwindet Abes Hut.
»Der Teufel«, sagt Abe jetzt grimmig, dessen Hut neun Dollar gekostet hat. »Der Teufel soll den Sturm holen!«
Er versteht kaum seine eigenen Worte und erinnert sich an das seltsame Schiefergrau über den Bergen im Südosten, der Stillwater Range, vom Mittag. Niemand von ihnen hat den Wolken dort eine besondere Bedeutung zugemessen. Aber jetzt wissen sie, was die schiefergraue Wand zu bedeuten hat.
»Rahel«, sagt Abe keuchend und kriecht auf allen vieren in den Schutz der Plane zurück. »Rahel, halte die Zügel!«
Das Mädchen ist so schwarzhaarig wie Abe und gleicht ihm irgendwie. Sie hat ein sanftes Gesicht mit schmalen, sichelförmigen Augenbrauen und großen ausdrucksvollen Augen. Sie beißt die Zähne aufeinander, greift nach den Zügeln und sieht die Pferde nach links gehen.
»Nach rechts, zieh sie nach rechts! Himmel… Herrgott, die Plane!« brüllt Abe heiser. »Junge, komm her, die Plane! Nimm den Spaten, stemm ihn dagegen! Gib mir das Ende vom Strick!«
»Ja,Later!«
Er ist dreizehn Jahre alt und Abe Taylors einziger Sohn. Nun muß er anpacken, aber er weiß nicht, was er dem Vater zuerst geben soll.
»Bengel, den Spaten!«
Cole Taylor nimmt den Spaten, reicht ihn seinem Vater und blickt entsetzt auf die Plane, die sich heftig nach innen bauscht.
»Mach doch, Junge, mach schon! Den Hammer her! Rahel, du kommst zu weit nach links, nimm sie nach rechts, die verdammten Gäule! Siehst du die anderen?«
Das Mädchen blickt nach vorn.
Ihr ist, als wenn sie aus dem Staub, diesen weißgrauen Wolken, vorn einen Schatten auftauchen sähe.
»Ja, Laroys Wagen.«
»Gut, immer nach!«
Es heult in der Luft, es pfeift und orgelt in den Speichen der Räder, an den Sielen für die Pferde, an der Deichsel. Und überall ist der Staub.
»Rahel!« brüllt Abe. »Rahel, immer seitlich zum Wind, verstanden?«
»Ja…«
Sie weiß nichts davon, daß der Wind sich dreht, und zwischen der Stillwater Range und den Humboldt-Bergen zu kreisen beginnt, solange er kein Loch zum Entschlüpfen findet.
Immer seitlich zum Wind, denkt Rahel und reißt an den Zügeln, wenn die Pferde nach links ausbrechen wollen. Im Wagen wirbelt der Staub, der Junge hustet und krümmt sich zusammen.
Abe Taylor spuckt aus, weil er den Mund voll von einem körnigen, ganz feinen Brei hat.
»Junge, dein Halstuch!«
Er ist mit dem Abstützen der Bogen fertig und drückt seinem Sohn das Tuch vor Mund und Nase.
»Rahel, warte, ich komme!«
Sie kauert fast blind auf dem Bock, duckt sich in den Windschatten der Plane und kann nichts mehr sehen.
»Sind sie vor uns?«
»Eben noch, glaube ich!«
»Ja, das ist die Richtung, Schwester! Nimm etwas vor Nase und Mund!«
Die Luft ist zum Ersticken heiß, schwül und voller Flugsand, der überall hindringt. Rahel spürt den Sand am Hals, das Rieseln über ihren Rücken. Sie hat ein taubes Gefühl in den Ohren, schüttelt verzweifelt den Kopf und fühlt, wie der Sand aus ihren Ohrmuscheln rinnt.
Dazu kommt draußen das Toben und Brüllen des Sturmes. Sie sinkt ganz flach an der Wand herunter, zerrt an der Decke und schreit dem Jungen zu: »Leg dir die Decke über, Cole!«
Sie versteht die Antwort nicht, greift selbst nach der zweiten Decke und kauert sich hin.
Vorn, genau hinter dem Sitzbrett, barhäuptig und mit dem Halstuch vor dem Gesicht, blinzelt Abe Taylor in den Sturm und die Wolken.
Er sieht die anderen nicht mehr. Die Sicht beträgt kaum zwanzig Schritt, dann löst sich alles in dem grauweißen Schleier auf, der sie unablässig umweht.
»Wir hätten dichter auffahren sollen«, meint Abe Taylor bitter. »Fünfzig Schritt, wer hätte gedacht, daß man mal nicht fünfzig Schritt weit sehen kann? Was hat doch der Alte gesagt? Hütet euch vor dem Wind, fahrt zusammen, wartet ab, bis sich der Wind gelegt hat!«
Ob sich die anderen daran erinnern, denkt Abe beklommen und beginnt noch heftiger zu schwitzen. Wenn sie nun zusammengefahren sind und halten, um das Ende des Sturmes abzuwarten? Sind links nicht Berge zu sehen gewesen? Sie liegen mit dem Wind, hinter ihnen könnte man Schutz finden.
Er überlegt einige Sekunden, dann nimmt er die Zügel jäh herum und läßt die Pferde gehen.
Laufen können sie nicht mehr, denn am Boden zwischen dem in einzelnen Büscheln wachsenden Fettholz hat der Sturm den dürren Flaum des Salzgrases aufgerissen und peitscht den Sand über die Erde hinweg. Abe fährt herum und sagt heiser: »Rahel, die Plane zu!«
Das Mädchen kommt zum Vorschein, wankt im Schaukeln des Wagens nach hinten und zieht die Schnüre des Planenverschlusses straff an.
»Du fährst ja mit dem Wind«, sagt sie erschrocken. »Abe, ist das der richtige Weg?«
»Der Teufel mag wissen, wo der richtige Weg ist!« Erwidert er grimmig. »Ich will in den Schutz der Berge, von da oben kann man die anderen vielleicht sehen. Wenn der Sturm nur bald aufhören würde!«
Aber der Sturm legt sich nicht. Er tobt weiter, der Sand fliegt. Die Wolke reißt manchmal etwas auf und gibt die Sicht frei, jedoch kaum mehr als hundert Schritt.
Mühsam stapfen die Pferde weiter, drehen sich die Räder, in deren Buchsen der Sand dringt, knarrend und quietschend über Fettholz und Erdrinnen hinweg, die der Sturm aufgerissen hat.
Vierzig Meilen Wüste.
Die Pferde sind der Erschöpfung nahe.
Eine Stunde, zwei, drei!
Rahel Taylor liegt am Boden und denkt, daß sie jetzt sterben muß. Sie kann kaum noch atmen, die Hitze steigt ins Unerträgliche.
Vorn schwingt Abe Taylor mit letzter Kraft die Peitsche. Die Pferde wollen nicht mehr, aber Abe sagt: »Es kann doch nicht mehr weit bis zu den Bergen sein, es kann doch nur ein kleines Stück…«
Die Peitsche fliegt, die Pferde prusten. Für eine Viertelstunde zockeln sie mit dem Wagen weiter. Und dann hebt der eine Gaul die Hufe steiler an, stolpert beinahe in das Erdloch, kommt aber noch darüber hinweg.
In diesem Augenblick sackt das linke Vorderrad in ein Loch. Ein Ruck geht durch den Wagen.
Das schrille Kreischen der Buchse, aus der der Sand jedes Fett gerieben hat und die sich auf der Achsenwelle schüttelnd dreht, verstummt mit einem Schlag.
Es kracht einmal und übertönt sogar das Heulen des Sturmes. Dann splittert es, und Abe denkt:
Das Rad, das Rad!
Mein Gott, jetzt ist es aus. Wir haben kein zweites, wir haben auch keinen Baum hier, gar nichts. Alles nach vorn laden, dann fahren wir auf drei Rädern, aber wie?
Er versucht erst gar nicht abzusteigen, er nimmt den Kopf zurück und kriecht weiter nach hinten. Dabei sieht er auf Rahel. Damals, denkt er, damals, als meine Frau bei dem zweiten Kind starb, das Kind tot, die Mutter tot, damals ist mir auch so zumute gewesen.
Das Gefühl ist in seinem Magen, ein dumpfes und nagendes Gefühl der Einsamkeit und der Verlorenheit.
Seine Frau hat nie viel Mut besessen. Sie war eine ängstliche Frau, die ihn immer gebraucht hat. Rahel ist aus Taylor-Holz geschnitzt, die verliert so schnell nicht den Kopf.
»Das Rad…«
»Ja!«
Sie schweigt einen Augenblick. Wird sie den Kopf verlieren?
»Können wir umladen, alles nach vorn?«
Sie hat schon überlegt und weiß gleich eine Lösung.
»Ja«, ruft er heiser. »Aber vorläufig hat alles keinen Zweck, ist das Wasserfaß heil?«
Auf einmal packt ihn die Angst.
Es könnte entzweigeschlagen worden sein.
»Junge, sieh nach dem Faß!«
Der Junge kriecht nach hinten. Er sagt nichts, er ist nur bleich wie der Tod und zittert jetzt. Dann schüttelt er den Kopf.
»Alles heil!« schreit er, um sich verständlich zu machen. »Vater, sitzen wir fest?«
»Scheint so. Die anderen können auch nicht weit gekommen sein«, ruft der Mann zurück. »Laroy hat ein zweites Rad dabei. Sie werden uns vermissen, sobald sich der Sturm gelegt hat und uns suchen kommen. So allein sind wir nicht! Kommt her, wir drehen den Schrank quer, dann machen wir uns im Wagen eine Hütte. Hoffentlich kommt der verdammte Sand nicht auch noch in die Kiste mit dem Essen, was? Faßt mal an!«
Er wirft einen Seitenblick auf Rahel. Sie ist ganz ruhig, sie handelt. Er könnte keinen klareren Kopf behalten, nicht in dieser Situation. Eigentlich verdankt er ihr eine Menge, denn sie hätte dreimal verheiratet sein können, aber sie ist bei ihm geblieben, seitdem Alda tot ist, und hat für den Jungen und für ihn gesorgt.
Na ja, denkt Abe, in drei, vier Tagen sind wir in Virginia City, dann geht es weiter nach Kalifornien. Sie bauen dort viel. Ich werde schon eine gute Arbeit als Zimmermann finden. Das habe ich gelernt. Und wenn nicht, nun, etwas Geld haben wir noch. Vielleicht mache ich mich auch selbständig. So ein kleines Sägewerk oder eine Zimmerei. Wenn ich die ersten Zehntausend verdient habe, dann soll Rahel eine anständige Summe davon bekommen. Sie muß mal einen guten Mann erwischen. In drei Tagen sind wir in Kalifornien, ich schaffe es schon mit dem Wagen.
Doch wann wird der Sturm nachlassen? Abe Taylor weiß es nicht, aber andere wissen es.
Jeder, der sich hier auskennt, weiß es.
*
In die Berge, in die Taylor gewollt hat, ist ein Mann geritten. Der Mann ist allein, er kommt von Conways Kutschen- und Frachtwagendepot in Lovelock. Er hat zwei Pferde bei sich.
Dieser Mann wartet das Ende des Sturmes ab.
Gar nicht weit von ihm, nur durch zwei Bergrücken getrennt, kauern vier andere Männer im Windschatten einiger Felsen oberhalb der Carson-Senke.
»Du«, sagt der eine Mann heiser unter der Decke heraus. »Wie lange noch?«
»Vier Stunden. Der Abend läßt ihn sterben!«
Er meint den Sturm.
An ihrem Platz ist es windgeschützt. Der Sand weht nur leicht, das fauchende Element tobt über ihnen in den fast baumlosen Stillwater-Bergen.
Der Mann ganz außen klappt eine Blechschachtel auf und schiebt sich ein Stück Kautabak in den Mund.
»Was denkst du über die drei?«
»Wenn sie schlau sind, dann sind sie zusammengeblieben.«
Das ist der vierte Mann.
Der zweite Mann nickt. Der dritte sagt: »Ich habe vier Männer gesehen.«
»Auswanderer.«
Das klingt so, als wenn ein Riese von einem Zwerg spricht, den er zertreten kann, sobald es ihm Spaß macht.
»Ich sage, sie sind so gefahren, als wären sie blutige Greenhorns in der Wüste«, meldet sich Nummer zwei.
»Hm, jeder halbwegs erfahrene Mann hätte den Schutz der Berge aufgesucht«, brummt der Priemer.
»Du sagst es. Sie sind mitten in den Sturm gefahren. Na, viel Spaß. Wenn die noch zusammen sind, dann esse ich meinen Hut!«
»Paß auf, daß du ihn vorher gut einweichst, hähä!«
Sie lachen alle vier und warten auf das Ende des Sturmes.
Jeder von ihnen trägt zwei Revolver, einer hat sogar noch zwei Schießeisen bei sich. Und wer in ihre Gesichter blickt, der wird in Zukunft um sie einen großen Bogen machen. Sie sehen ziemlich wild, verkommen und gemein aus.
*
Der Wind säuselt nur noch, der Himmel ist dunkel, hier und dort blinkt ein Stern. Aber von den anderen Wagen ist nichts zu sehen.
Nicht einmal der Mond ist da, an dem man sich orientieren könnte.
Abe Taylor nimmt ein Rad nach dem anderen ab, schmiert die Buchsen neu und macht die Splinte fest. Dann steigt er auf den Wagen zurück und sagt mürrisch: »Wir müssen uns umsehen, ich nehme mal das Pferd. Rahel, wir werden zuerst ein Feuer machen, das sehe ich dann immer. Vom Rad ist genug Holz da, den Weg zurück finde ich also immer. Die anderen können nicht weit sein, vielleicht entdecke ich sie doch noch. Und wenn nicht, der Morgen wird schon kommen, dann haben wir Sicht!«
»Weißt du denn nicht, wo wir sind?«
»Ganz sicher bin ich nicht«, erwidert Taylor und schiebt die beiden schweren Kisten mit dem Hausrat nach vorn in den Wagen. »Wir sind doch nach links gefahren, immer vor dem Wind her. Dann müßte der Weg dort drüben sein!«
Sie blicken beide auf die Ebene, aber sie sehen nichts, keinen Feuerschein, keinen Lichtschein. Über der Vierzig-Meilen-Wüste liegt ein matter Dunstschleier.
Der Junge fröstelt etwas, obwohl die Luft stickig ist. Er sucht das Holz zusammen und holt die Streichhölzer aus dem Wagen. Abe spannt die beiden Pferde aus, bindet eines hinten an den Wagen und legt dem anderen Tier das Zaumzeug an.
Dann greift er zu seinem Gewehr.
Rahel hängt den Topf über das Feuer, füllt Wasser in den Topf und sagt leise: »Ich koche etwas Kaffee, Abe. Reite nicht zu weit fort, bleib besser immer in Sichtweite des Feuers.«
»Den Weg zurück finde ich schon!« murmelt Taylor. »Weit werden die anderen nicht sein!«
Er nickt seinem Jungen zu, dann steigt er auf das Pferd und folgt der fast zugewehten Wagenspur.
Nach mehr als einer dreiviertel Stunde blickt sich Taylor um und hat das Feuer seitlich.
»Was ist denn das?« fragt er sich verstört. »Links von mir? Das kann doch nicht sein.«
Er legt noch eine kurze Strecke zurück, dann weiß er, daß die Spur in einem Riesenbogen nach links führt und langsam nach rechts schwenkt. Der Wagen muß hier im Kreis gefahren sein.
Vor ihm ist die flache Senke mit den Fettholzstauden. Die Spur ist nun verwischt. Unsicher blickt er sich um. Er muß durch die drei Meilen breite Senke, wenn er der Richtung der Fährte folgen will, aber er weiß nicht, ob sie drüben weiterläuft. Langsam und zaudernd reitet er an. Er merkt sich diese Seite der Senke, kommt nach einer halben Stunde drüben an und versucht auf dem höher liegenden Land die Abdrücke wiederzufinden. Zuerst reitet er fast eine halbe Stunde nach rechts, doch die Spur taucht nicht wieder auf. Dann reitet er nach links im Bogen zurück.
»Wo ist Norden… wo ist Süden, wo Westen?«
Er fragt es sich laut, schüttelt in dumpfer Verzweiflung den Kopf und hält an. In seiner Tasche steckt die Pfeife. Er kramt seinen Tabaksbeutel heraus, stopft die Pfeife und brennt sie an.
»Es hat keinen Sinn«, sagt er dann nach einigen Zügen, die ihn ruhiger werden lassen. »Ich muß den Tag abwarten, dann kann ich etwas sehen. Wenn der Sturm nun zurück…«
Er starrt besorgt auf den Himmel und weiß, daß er verloren sein wird, wenn der Sturm wiederkommt. Also zurück, wieder zum Wagen, dann auf die Hügel und einmal von ganz oben über die Wüste blicken. Irgendwo müssen doch die anderen sein, ein Feuer brennen oder wenigstens eine Laterne leuchten haben.
Abe Taylor nimmt sein Pferd herum. Er ist beinahe froh, als er eine Viertelstunde darauf das Licht sieht. Es ist weit entfernt, denkt Abe, aber in einer halben Stunde bin ich dort.
»Jeeeeaaahhh, lauf, Brauner!«
Der Braune galoppiert auf das Licht zu. Dort ist warmer Kaffee, dort kann Abe sich ausstrecken und schlafen.
*
Der Mann kneift die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und starrt über die Flanke des Berges auf die weite Fläche der Vierzig-Meilen-Wüste hinab.
Der andere spuckt aus und hustet.
»So ein Narr!« sagt der dritte Mann zwischen den Zähnen. »Wie kommt er denn hierher, was? Ist das ein Wagen oder sind das alle drei?«
»Clure!«
»Ja?«
Der Mann ist groß und hager und hat ein scharfgeschnittenes Gesicht mit Falkenaugen.
»Was siehst du, Clure?«
Clure, der vierte Mann, nimmt seine Feldflasche vom Mund und blickt starr auf das Feuer. »Wir müssen näher heran, zuviel Dunst!«
»Na gut, dann wollen wir! Seht die Waffen nach!«
Sie reiten an, ihre vier Pferde zockeln los, das fünfte Pferd mit den Wasserschläuchen kommt hinterher.
Der eine Mann zieht das Gewehr aus dem Scabbard und sieht es nach.
Dann blickt er zu Clure.
Clure, denkt der Anführer des Rudels, den Mann verstehe ich nicht, den werde ich niemals begreifen. Schießt wegen eines Girl einen anderen Mann nieder. Und das Weib soll nicht einmal was taugen, das ist das Interessante dabei. Dann geht er in die Wüste, reitet mit uns, weil er von irgendwas leben muß. Sie suchen ihn, na gut, aber er ist ein Außenseiter. Nur, der kennt die Wüste, der kennt jedes Wasserloch und jede Bergfalte.
Clure wendet den Kopf, als hätte er die Gedanken des Mannes neben sich erraten. Seine grauen hellen Augen sehen den Anführer der drei Burschen kurz an.
»Ist was?«
»Nichts«, sagt der Mann langsam. »Du, Clure, warum hast du ihr, erschossen, he? Redest nicht darüber, na gut, aber uns kannst du es doch sagen, oder?«
»Er war ein Lump!«
»Es gibt viele Lumpen, was? Vielleicht sind wir auch welche, he?«
»Kann sein. Ich brauche Geld, schnell und viel, um verschwinden zu können. Ist mir gleich, auf welche Weise.«
»Das findest du hier schon«, sagt der mit dem Kautabak heiser. »Stimmt es, daß es Lilly gewesen ist, wegen der du…«
»Kann sein. Hört auf, mich zu fragen. Wir werden besser mehr nach links reiten, denke ich!«
Clure schweigt wieder. Er denkt, während das Pferd unter ihm trottet, wieder an das Mädchen, an jenen reichen Burschen. Dabei beißt er die Zähne zusammen.
Das ist immer so, denkt er bitter. Da kommt so ein windiger Lump mit viel Geld her, verdreht einem Girl den Kopf und dann will er sie nicht heiraten, der Lump. Mit Geld kann er ja alles machen. Hat er gedacht, jetzt denkt er nicht mehr, so ist das. Ich muß Geld haben, verdammte Geschichte, wie denn bloß rankommen, wenn nicht auf diese Art?
Zuerst hat er vorgehabt, allein eine Bank zu überfallen, aber sie kennen ihn in jeder Stadt. Darum ist es nichts damit geworden. Jemanden ausrauben, dazu hat er nicht den Mut aufgebracht. Und das Mädel sitzt da und weiß nicht, was werden soll.
Clure nimmt sein Pferd herum und hebt warnend die Hand. Sie sind jetzt an der Kehre. Nur noch wenige Schritte, dann wird Clure das Feuer sehen können.
Im nächsten Augenblick sieht er es und zuckt leicht zusammen. Deutlich machen seine scharfen Augen den Wagen unten aus, dem ein Rad fehlt.
Nur ein Wagen.
Ein Feuer, ein Junge und das Girl!
Er entdeckt das Mädchen am Feuer.
Es hat den Eisenrost in die Gabel gehakt und die Pfanne daraufgestellt.
Wo ist der Mann? denkt Clure. An jedem Wagen ist ein Mann gewesen, warum nicht an diesem?
Hinter ihm kommt der bärtige Anführer des Haufens heran, beugt sich vor und fragt überrascht: »He, das ist ja nur einer? Wo sind die anderen? Wer ist da am Feuer?«
Clure kneift die Augen leicht zusammen. Und etwas wie Enttäuschung breitet sich in ihm aus. Die anderen Wagen sind nicht da, also nicht viel Beute.
Im nächsten Moment schämt er sich seiner Gedanken. Anderen etwas fortzunehmen, so einfach nehmen, was anderen gehört?
»Wer ist das am Feuer, Clure, hörst du nicht?«
Die Frage schreckt ihn aus seinen Gedanken auf.
»Das Mädchen und der Junge«, sagt er brummend. »Ich sehe den Mann nicht.«
»Der wird im Wagen sein.«
Clure strengt seine Augen an, betrachtet das Ende des Wagens und sieht nur das eine Pferd.
»Das Pferd«, sagt Clure aus seinen Gedanken heraus. »Da ist nur ein Pferd, das andere ist weg. Entweder haben sie es verloren oder…«
»Was oder, Clure?«
»Oder der Mann ist zu den anderen geritten, um Hilfe zu holen. Das Hinterrad des Wagens ist gebrochen.«
»Was du nicht alles siehst, Mensch«, bellt der Bärtige mit aufrichtiger Bewunderung. »Du, und wenn er nun doch da ist?«
»Da links ist eine Mulde, man kommt bis auf hundert Schritt ungesehen heran. Die haben sich verirrt«, denkt Clure laut. »Ich bin sicher, sie wissen nicht, wo sie sind. Die andere Gruppe kann zehn oder auch zwanzig Meilen entfernt sein, glaube ich. Vielleicht findet der Mann sie nicht bei der Dunkelheit.«
Die anderen schweigen. Der Bärtige wühlt in seinem schwarzen Kinnbart und schiebt sich den Hut nach hinten.
»Dann reiten wir hin und nehmen sie aus!«
»Ja«, meldet sich der Hinker. »Und das Girl, was? Ich habe sie nur aus der Ferne gesehen, aber scheint nicht schlecht zu sein!«
Clure wendet langsam den Kopf, zieht sein Pferd zurück und blickt den Hinker finster an.
»Paß auf, Hinker«, sagt er leise, aber in seiner Stimme ist jene Warnung, die ein Mann immer und zu jeder Zeit verstehen wird. »Faßt du sie mit deinen schmutzigen Fingern an, dann hast du eine Kugel im Kopf. Ich habe gesagt, daß ich euch nur unter einer Bedingung führe: Keine Toten, keine… na, du weißt schon!«
Der Hinker starrt ihn giftig an, zuckt dann die Schultern, als der Bärtige ihn warnend anblickt und nickt.
»Na gut, denkst wohl immer noch an Lilly, was? Die hat auch nichts getau… au, au!«
Clure hat das Sharpsgewehr so schnell herausgerissen, daß der Hinker nicht mehr ausweichen kann. Der lange Lauf trifft ihn am rechten Arm. Und wenn der Mann auch seinen Revolver ziehen wollte, er kann es nicht, der Muskel versagt den Dienst.
»Verdammt, ihr beiden!« knurrt der Bärtige wütend. »Clure, laß ihn doch reden!«
»Verdammt«, knurrt Clure, und in seinen Augen ist ein gefährlicher Funke. »Wenn er noch mal sein Maul über Lilly aufreißt, dann schlage ich es ihm zu, hast du verstanden?«
Sie kennen Clure alle. Er soll für die Indianer Whisky geschmuggelt haben, an einigen krummen Sachen mit Chinesen beteiligt gewesen sein, die man als billige Arbeitskräfte ins Land schmuggelte. Er ist gefährlich, selbst für diese drei Männer, die rauh bis in die Zehen sind.
»Hinker, sei still! Clures Mädel läßt du in Ruhe. Und jetzt seid ihr friedlich, wir müssen was tun. Also, haltet ihr Frieden?«
»Von mir aus!« murmelt Clure.
»Na ja, ist gut«, mault der Hinker und reibt sich den Muskel. »Clure, bist verdammt fix mit deinem Schießprügel.«
»Noch etwas schneller mit dem Revolver, wenn du mal auf krumme Gedanken kommen solltest, Hinker. Ich würde sagen, wir reiten in die Mulde und kommen von der Feuerseite her. Anders rum geht es nicht, aber der Sand dämpft alles und der Wind steht gegen uns. Vielleicht kommen wir nahe heran.«
»Wenn bloß der Mann nicht im Wagen ist, sonst kann es gefährlich werden!«
»Wir werden es sehen!«
Das Rudel reitet an, kommt hinter den Hügel und dann in das Tal hinein, das auf die freie Ebene führt und dessen Mulde nach hundert Schritten endet. Wenn sie aus der Mulde kommen, dann sind sie keine hundertzwanzig Schritt entfernt. Es riecht plötzlich nach Speck und brutzelndem Fett.
Der Priemer kaut immer schneller auf seinem Priem, der Hinker leckt sich über die Lippen, und der Bärtige faßt sich an den Bauch.
»Da kommen wir gerade zum Abendessen, hähä«, sagt der Priemer und spuckt aus. »Mann, oh, Mann, hab ich einen Hunger!«
»Und ich erst«, meint der Hinker, dem das Wasser im Mund zusammenläuft. »Schöner brauner Speck, was?«
»Du, Clure«, sagt der Schwarzbart heiser und hat einen Kloß im Hals. »Ist er da?«
»Ich glaube nicht.«
»Sehen sie her?«
»Nein, das Mädchen steigt auf den Wagen, der Junge hat sich hingelegt!«
»Dann los«, sagt der Bärtige schnell. »Der Augenblick ist günstig, nichts wie hin. Und du, Priemer, gleich an den Wagen.«
Der nickt. Sie reiten an. Der Sand dämpft das Hufgeräusch so stark, daß man sie nicht hören kann. Clure reitet in der Mitte, zieht sich mit einem Ruck das Halstuch über die Nasenspitze und nimmt sein Gewehr in die rechte Hand.
Sie kommen schnell auf das Feuer zu, neben dem der Junge in seiner Decke liegt.
Er ist müde, der Junge, er ist im Einschlafen und hört dann doch, weil sein Kopf auf der Erde liegt, das Pochen von Hufen. Er denkt an seinen Vater und nicht an vier Männer. Der Junge hebt nur matt den Kopf. Aber dann wird er jäh lebendig.
»Rahel«, sagt der Junge jäh aufgeschreckt und erregt. »Rahel, da kommen Männer, aber…«
Er will sagen, daß es nicht Zane und Laroy sind, doch dann sieht er die Halstücher und kommt mit einem Schrei auf die Beine. Er sieht das Pferd, das ihm riesengroß vorkommt, denn er kauert noch am Boden. Das Tier wirft ihn herum, er prallt gegen den Kasten, gegen den nun auch das Pferd seitlich angeht. Und die Hand ist da, die behaarte Hand des Mannes, der seinen Revolver in der anderen Hand hält. Die eine Hand packt den Jungen an der Schulter und hebt ihn hoch, die andere hält den Revolver auf ihn gerichtet.
»Schnell«, sagt der eine der Männer, die überall zu sein scheinen. »Schnell, das Ende des Wagens!«
Hinten reißt jetzt ein anderer mit Gewalt die Plane auf und blickt in den Kasten.
»Leer!« sagt er. »Kein Mann da! Wen haben wir denn da, hähä?«
Rahel Taylor ist halb herumgerissen worden und lehnt am Kasten, den Mann direkt vor sich. Sie blickt in seine wilden Augen, zuckt zurück, als er sie an den Wagen drängt und weiß mit einem Schlag, daß sie Banditen vor sich haben muß.
»Was… was soll das?« fragt sie entsetzt. »Mister, was wollt ihr? Wir haben uns verirrt.«
»Hähä, das wissen wir, wissen wir alles!«
Der andere Kerl kommt von hinten in den Wagen geklettert und greift in die Truhe.
»Laß das!« sagt der Mann mit den schwarzen Augen dicht vor Rahel. »Gehen Sie runter, Lady, runter, neben den Jungen, schnell!«
»Ja«, sagt sie tonlos. »Aber warum macht ihr das? Leute, wir haben euch doch nichts getan, was sucht ihr?«
»Gehen Sie nun?«
Sie gehorcht und klettert vom Wagen.
Cole wirft sich in ihre Arme. Sie stehen dicht vor dem Feuer und sehen den vierten Mann an, der stumm auf seinem Pferd sitzt. Ein großer, hagerer Mann, der keinen Ton sagt und sein Gewehr quer vor sich auf den Knien hat.
»Wo ist der Mann? Wie heißt ihr?« fragt der mit den schwarzen Augen vom Bock herunter. »He, komm herauf!«
Das gilt dem Mann, der bisher den Jungen gehalten hat.
»Wo ist der Mann? Antworten Sie, Miß.«
»Er – ist zu den anderen geritten, er will sie suchen!«
»Hähä, kann er lange suchen. Du, sieh mal zu, ob da ’n Hemd für mich ist. Ich brauche ein Hemd, ein frisches. Aber ein gutes, kapiert?«
»Wann ist er weg?« fragt der andere vom Bock aus scharf.
»Vor – drei Stunden ungefähr!«
»Dann haben wir ja Zeit, hähä!«
»Halt die Klappe!« sagt da überraschend der vierte Mann mit dem Gewehr über den Schenkeln. »Sei ruhig!«
Der Lacher zuckt zusammen, sieht sich um und blickt auf das Gewehr. Und jetzt ist er still.
Auf dem Bock wendet sich der Schwarzäugige um, blickt auf den mit dem Gewehr und sagt kurz: »He, Lady, wo ist Geld?«
In diesem Augenblick begreift Rahel, daß sie ganz gewöhnliche Banditen, Wegelagerer sind. Dann aber fällt ihr Abes Sparsamkeit ein, seine Anstrengungen, jeden Cent zusammenzuhalten. Das Geld ist in der Kiste in einem Holzkasten, der verschlossen ist.
»Wir haben kein Geld«, erwidert sie und hat ihre Geistesgegenwart wiedergewonnen. »Wir sind arme Leute, Auswanderer, Mister. Wir haben kaum noch Geld. Vielleicht sechzig Dollar, aber die hat mein Bruder bei sich, mehr haben wir nicht.«
»Soso, mehr habt ihr nicht? Eh, soll ich sie mal allein fragen?« mischt sich der mit den aufdringlichen Blicken ein. »Boß, was meinst du, wie schnell…«
»Sei ruhig, wir suchen nach! Lady, wenn wir Geld finden, dann geht es euch beiden aber schlimm. Sagen Sie es besser gleich! Na, wo ist das Geld? Wo habt ihr es versteckt?«
Clure sitzt auf seinem Pferd und denkt nur immer wieder: Dafür überfällt man nun jemanden, für nichts, denn das sind arme Leute, die kein Geld haben. So eine Narrheit, die haben kein Geld, alles umsonst! Kein Geld…
»Mein Bruder, ich habe es doch schon gesagt!«
Der Mann mit den schwarzen Augen sieht sie an, dann greift er nach der Laterne, schüttelt sie und steckt sie an.
»Wohl sparsam, was? Finden wir Geld, dann…«
Mehr sagt er nicht, die Lampe brennt, der eine Mann verschwindet mit dem anderen im Wagen.
Und der Lacher kommt herangeritten.
»Hinsetzen, da an das Rad. Na los, setzt euch schon beide. Hinsetzen!«
Sie gehorcht zitternd und lauscht auf das Knacken und Krachen im Wagen. Sie machen sicher zuerst die Truhen auf und werden gleich den Holzkasten finden.
»Vielleicht haben sie wirklich nichts«, meldete sich da der Mann mit dem Gewehr über den Schenkeln. »Hört mal…«
Da kommt ein heiserer, keuchender Ruf. Dann klimpert es. Sie kennt das Geräusch. Das Geld im Holzkasten!
»Hier! Was hast du gesagt? Kein Geld? Und ob hier Geld ist!«
Der Junge in Rahels Armen zittert, als der eine der Burschen den Kasten neben dem Feuer zu Boden wirft und mit seinem Revolver ausholt, den er am Lauf gepackt hat.
Krach, krach.
Die Schläge fallen auf das Holz, das Holz splittert.
Und da springt der Deckel auf, dem anderen auf die gierig ausgestreckte Hand.
»Au, verdammt!«
Der Kasten stürzt um, das Geld fällt in den Sand. Scheine, viele Scheine und viele Münzen. Es sind mehr als achthundert Dollar, das weiß Rahel.
»Sieh mal, sieh doch mal, hähä, kannst baden in Geld. Von wegen arm und so, was? So eine Lügnerin.«
In diesem Augenblick reißt sich der Junge mit einem Schrei los und stürzt auf die Männer zu. Er streckt die Arme vor und ruft schrill: »Das ist meines Vaters Geld!«
Er wirft sich tatsächlich auf den einen Mann, der stolpert und der Länge nach hinfliegt, wobei er den Kasten wegstößt.
Jetzt fliegt das Geld durch die Luft.
Und der Mann mit den schwarzen Augen dreht sich um. Er nimmt nur einmal den Arm nach hinten.
»Nein!« ruft Rahel entsetzt. »Nein, der Junge hat doch nicht…«
Der Junge fliegt vier, fünf Schritt zurück und landet am Boden. Er rollt auf die rechte Seite und sagt nichts mehr, während Rahel auf den Mann mit den schwarzen Augen zustürzt. In diesem Augenblick verliert sie die Beherrschung.
»Sie!« sagt sie zornig und holt aus, aber da ist auf einmal das Pferd da. Der Mann mit den schwarzen Augen greift zu seinem Revolver. Doch das Pferd ist schneller. Rahel prallt jäh gegen die Seite des Pferdes, sieht den Arm und fühlt sich festgehalten. Der Griff ist eisern und läßt sie nicht los.
»Halt! Machen Sie keinen Fehler, Miß!« sagt der Mann, der bisher ganz ruhig die Szene beobachtet hat. »Nur keinen Fehler. Kümmern Sie sich um den Jungen und seien Sie ruhig!«
Er hat helle Augen und eine ruhige, klare Stimme. Sein Griff umklammert ihr Handgelenk. Sie sieht in seine Augen und erkennt die bittere Wahrheit.
»So eine Katze. Zähmen sollte man sie, was?« fragt der auf dem anderen Pferd hämisch. »Das habt ihr davon, trau nie einer Langhaarigen!«
»Halt die Klappe, jetzt ist es genug. Lady, kümmern Sie sich um den Jungen.«
»Ja«, sagt sie schluckend. »Ja, Mister. Für das Geld hat mein Bruder einige Jahre gearbeitet, er hat es gespart. Für eine bessere Zukunft in Kalifornien. Ihr seid ja Diebe, Diebsgesindel!«
»Seien Sie ruhig!«
Die hellen Augen sehen sie finster an. Der Mann schiebt sie auf den Wagen zu.
»Diebsgesindel, was? Das laßt ihr euch gefallen?«
Die anderen drei sehen Rahel drohend und wild an. Sie bekommt es jetzt richtig mit der Angst zu tun und weicht an den Wagen zurück, kauert sich neben Cole hin und nimmt seinen Kopf hoch. Der Junge hat eine aufgeplatzte Lippe und wird unter ihren Händen munter.
Die beiden Männer am Boden haben schon das Geld aufgehoben und greifen in die Pfanne.
»Au, verdammt heiß!«
»Nimm doch dein Messer, du Narr!«
»Eh«, sagt der mit dem seltsamen Blick. »Gib mir auch was! Gib schon, ich bin hungrig. Und Kaffee, da ist eine Kanne. Bestimmt ist sie voll, wetten?«
Der andere nimmt die Kanne hoch und trinkt gleich aus der Blechtülle.
»Du, Kaffee kochen kann das Girl, sage ich dir. Wir sollten sie mitnehmen, dann kann sie sich für uns nützlich machen. Da, willst du auch?«
Er blickt auf das Mädchen hinab, furcht etwas die Brauen und sagt dann jäh und scharf: »Ich höre was! Vorsicht!«
Rahel hebt den Kopf, spürt das Zucken des Jungen und hält ihn hastig fest.
»Schnell, alle hinter den Wagen. Jemand kommt!«
Auf einmal geraten sie alle in heftige Bewegung. Der eben noch getrunken hat, wirft die Kanne auf den Boden, daß der Kaffee spritzt. Die anderen beiden hasten zu ihren Pferden und ziehen sie hinter den Wagen.
»Seid ruhig, zum Teufel, wie soll ich denn was hören können, wenn ihr solchen Lärm macht? Paßt auf das Girl und den Jungen auf, ich sehe mal um die Plane!«
Der Mann hebt leicht die rechte Hand.
Alles ist still, im Feuer knackt es. »Einer allein, er kommt langsam!« Sie atmen alle erleichtert auf. Dann sagt der Schwarzäugige: »Wär besser, er käme schnell, er sieht uns vielleicht zu früh, wenn er langsam kommt. Geh nach rechts!«
Der andere wirft ihm die Zügel zu, geht los, kauert sich neben den Hinker hin, der am Hinterende des Wagens hält.
Er zieht mit der rechten Hand sein Gewehr hoch und repetiert einmal. Klick, klick!
»Nicht schießen!« zischt der hagere Mann warnend. »Er scheint ziemlich müde zu sein, vielleicht sieht er wirklich nichts. Ruf ihn an, Boß, wenn er nahe genug heran ist. Und sage ihm, daß wir seinen Jungen haben, verstanden? Nicht schießen.«
Sie machen alle den Fehler, daß sie auf den Mann blicken, der dort kommt. Keiner achtet auf den Jungen, der zum Feuer auf den zerbrochenen Holzkasten sieht.
Jetzt wendet er das Gesicht seinem Vater zu. Und dann schnellt er jäh unter den Wagen. Und dann schreit der Junge gellend: »Vater, Banditen, Banditen!«
*
Mit einem Schlag ist der zusammengesunkene Körper des müden Mannes aufgerichtet. Er wirft nur einen Blick auf den Wagen. Und Taylor macht das, was er in dieser Situation machen muß! Er reißt mit der linken Hand das Pferd auf dem Fleck herum. Zugleich greift seine rechte Hand nach dem Gewehr. Und der Junge schreit noch immer: »Sie haben das Geld geraubt, sie haben das Geld.«
»Verfluchter Lümmel!« keucht einer der Banditen heiser und will sich unter den Wagen werfen, um nach dem Jungen zu greifen. »Ich werde dich…«
»Halt!« schreit in diesem Augenblick der Schwarzbart heiser. »Halt, Mann, wir haben den Jungen, halt.«
Es ist der Moment, in dem Abe Taylor vielleicht übermüdet, vielleicht in seinem Schreck und dem Schock, den Schatten links vor dem Bock ausmacht und sein Gewehr hochreißt.
Er zielt, drückt ab und spürt den Rückstoß der Waffe an seiner Schulter.
Der Mann hinter dem Wagen ist weg. Verschwunden, aber dafür ist noch einer da. Und dieser eine hat den Finger am Abzugbügel des Gewehres.
Hinter ihm hat sich Clure geduckt, ist nach unten getaucht und hat sein Pferd hinter den Wagen gerissen.
Clure ist auch der Mann, der den Hinker das Gewehr an die Wange reißen sieht.
»Nicht schießen!« brüllt Clure scharf.
Rums!
Der Hinker zieht durch, der Schuß kracht und donnert als Echo in den Flügeln wider. Blitzschnell lädt er nach, aber da ist Clure schon von hinten heran, holt aus und schlägt ihm mit seiner langläufigen Waffe auf den Gewehrlauf.
Dann sieht Clure den Mann, die hocherhobene Hand, der das Gewehr entfällt. Es klatscht in den Sand. Der Mann rutscht langsam über die Seite seines Pferdes und stürzt dann zu Boden.
Das Pferd läuft keine zwanzig Schritt mehr. Der Mann liegt still, und der Junge unter dem Wagen schreit gellend: »Vater, Vater!«
Clure handelt jetzt entschlossen und schnell. Er drückt seinem Pferd die Hacken scharf an. Der Gaul rennt los, rast an dem Jungen schräg vorbei, der unter dem Wagen heraus ist und auf seinen Vater zulaufen will.
In diesem Augenblick rennt auch der Schwarzbart los. Er sieht Clure einen kurzen Tritt ausführen. Clures Pferd springt zur Seite. Und dann fliegt der Junge in den Sand, aber Clure rast weiter. Der Schwarzbart stürzt sich auf den Jungen, während Clure mit dem gesenkten Gewehr auf den Mann zureitet.
Der Mann liegt still am Boden, auf dem Sand der Vierzig-Meilen-Wüste. Clure kommt, beugt sich weit nach vorn und kann nun dem Mann in das Gesicht blicken. Nun sieht er, daß der Mann die Kugel in die rechte Schulter bekommen hat. Der Mann bewegt die Hand…
»Du Narr, was schießt du!« sagt Clure bitter. »Du hast eine Kugel in der Schulter! Was schießt du denn, wenn du doch weißt, daß wir deinen Jungen haben? Warte!«
Er reißt Abe das Halstuch herunter, schlingt es ihm um die Schulter und versucht den Mann anzuheben.
Abe Taylor seufzt einmal, dann rutscht er weg, er ist in Ohnmacht gefallen.
»Dieser verdammte Hinker«, sagt Clure zwischen den Zähnen. Dann bückt er sich, um dem Mann unter die Arme zu greifen. Er hebt ihn hoch, dreht sich und lädt ihn sich auf den Rücken. Der große, zähe Clure geht mit langen, ruhigen Schritten auf den Wagen zu. Er sieht den Hinker glotzend am Ende stehen, den Schwarzbart neben dem Jungen und dem Mädchen, und stampft um den Wagen.
»Hol die Pferde!« sagt er dann grollend zum Hinker. »Mach schon, wir müssen hier weg. Er hat eine Kugel in der Schulter. Wie schlimm sie für ihn ist, das kann ich nicht sehen. Also – reite schon, du Narr!«
Er legt den Mann neben dem Feuer nieder. Ein Seitenblick des Mädchens trifft ihn. Ihm wird einen Augenblick übel, aber er sagt in seiner Verbitterung: »Warum mußte er auch schießen, dieser Narr?«
Das Mädchen kommt mit ruhiger Selbstverständlichkeit auf den Mann am Boden zu. Clure tritt zur Seite, er kann den Jungen am Boden kauern sehen, das Gesicht bleich, das Kinn vorgeschoben und die Lippen, die sich unaufhörlich bewegen.
Dann taucht der Hinker mit den beiden Pferden auf, erscheint am Ende des Wagens und wirft Clure die Zügel hin.
Er reitet scharf an Clure vorbei, auf den Bock zu. Dann streckt er die Hand aus, nimmt die Laterne und holt aus.
Es ist der heisere Ruf des Schwarzbartes, der Clure herumwirbeln läßt.
Clure sieht die wild geschwungene Laterne in der Hand des Hinkers. Der Hinker will sie an das Planendach über den Sitz hinweg schlagen, so daß sich das Petroleum nach innen über die Truhen ergießen kann.
»Bist du wahnsinnig?«
Vielleicht ist es die gefährliche Verschlagenheit des Hinkers, vielleicht auch seine Enttäuschung mit dem Girl, er holt jedenfalls aus, während Clure mit voller Wucht gegen das Pferd prallt, das vor Schreck einen wilden Sprung ausführt. Die Hand des Hinkers verfehlt die vordere Rundung des Planenbogens um mehr als einen Schritt. Die Lampe fliegt hoch, wirbelt durch die Luft und kracht einige Schritt jenseits des Wagens zu Boden.
Clure streckt die linke Hand weit aus und greift zu. Er erwischt mit seinem Griff den Hinker am Nacken. Er hört den Mann schreien, sieht ihn fallen und nach dem Revolver greifen.
Im Aufprall hat der Hinker auf der rechten Seite liegend den Colt heraus und will ihn anheben, als Clures rechter Fuß nach vorn schnellt.
»Nur nicht gemein, nur nicht so!« flucht Clure grimmig und reißt den Mann mit einem Ruck vom Boden hoch. »Das ist das letzte, was ich vertragen kann.«
Er weicht dem Tritt des Hinkers, der tückisch ausschlägt, blitzartig aus. Dann feuert Clure seine Rechte knallhart hoch und bleibt mit angewinkelten Armen stehen.
Der Hinker torkelt rückwärts bis an die Deichsel des Wagens.
»Mann, nun zieh doch!« sagt Clure fauchend. »Nun los, wehr dich doch, du Feigling!«
Zwar zuckt der Hinker zusammen, aber er bemerkt nur zu gut Clures gesenkte rechte Hand und weiß, was ihm noch alles blühen kann.
»Immer ihr zwei!« meldet sich der Schwarzbart grimmig. »Es muß immer zwischen euch Reibereien geben, was? Geh auf deinen Gaul! Und du nimmst dein Pferd. Wer immer von euch noch etwas anfängt, der soll mich kennenlernen. Jetzt ist Ruhe, endgültig Ruhe. Mein letztes Wort!«
Er hat seinen Revolver in der Hand und blickt argwöhnisch und grimmig von Clure zu dem Hinker.
»Schon gut«, murmelt der Hinker verschlagen und wirft Clure einen hinterhältigen Blick zu. »In Ordnung, ich halte Frieden, aber darüber reden wir noch mal, mein Freund!«
»Das kannst du gleich haben. Ich sage es nicht wieder, daß du eine anständige Chance haben kannst! Na?«
Der Hinker steigt auf. Clure geht rückwärts auf sein Pferd zu, steigt dann in den Sattel und wartet, hält aber die Hand immer noch in der Nähe des Revolvers.
»Los, wir reiten, wir müssen hier weg«, sagt der Schwarzbart jetzt. »Kommt schon, es ist noch weit!«
Er wirft einen kurzen, finsteren Blick auf den Jungen und das Mädchen am Feuer, dann zieht er sein Pferd herum und reitet an. Sie folgen ihm alle, nur Clure zaudert einen Moment neben dem Feuer. »Tut mir leid«, sagt er fast traurig. »Wenn er stirbt, dann hat er sich selbst umgebracht, Lady. Er hätte nicht schießen dürfen.«
»Ach, Mister«, erwidert das Mädchen bitter. »Und ihr hättet nicht kommen sollen, wie? Was habt ihr friedliche Leute zu überfallen? Hoffentlich erwischen sie euch eines Tages und hängen euch alle auf! Verschwindet, Gesindel!«
»Nun komm schon, du hörst es doch«, sagt der Schwarzbart hämisch. »Na komm!«
»Ja, Gesindel«, sagt Clure in sich hinein und wendet sein Pferd. »Aber – nun gut.«
Er will ihr sagen, daß einige Dinge dazu gehören, um jemand zum Gesindel zu machen, aber er schweigt und reitet an. Hinter ihm wird das Feuer immer kleiner, vor ihm sind der Hinker und die Ecke des Hügels.
»Komm nach vorn, Clure«, sagt der Schwarzbart hart. »Was meinst du, wo die anderen sind?«
Clure zuckt zusammen und denkt jäh an die anderen beiden Wagen. Die auch noch! Das hätte er beinahe vergessen. Einen Moment schwankt er zwischen seinem Gefühl, wegreiten zu müssen und dem Wunsch nach viel Geld. Im Grunde hat er genug. Der Mann ist angeschossen worden, irgendein Mann nur, den er nicht kennt. Es könnte ihm gleich sein, was aus dem Mann wird, aber da ist sein früheres Leben, das er nicht wie eine lästige Haut abstreifen kann.
»Wollen wir die etwa auch noch mitnehmen?«
»Ein Aufwaschen. Sie müssen irgendwo sein. Da drüben, denke ich. Ich dachte, du wolltest mindestens tausend Dollar haben, Clure?«
Tausend Dollar, die muß er haben. Achthundert würden vielleicht auch reichen.
»Ja, so ungefähr«, erwidert Clure abwesend.
»Wie weit sind sie, Clure, was schätzt du?«
»Ich möchte wetten, die stecken etwa zehn bis fünfzehn Meilen von hier in der Desert Range«, erwidert Clure. »Zwei Stunden Ritt vielleicht? Wer fährt schon gegen den Wind? Und die Berge haben sie bestimmt vor dem Sturm gesehen. In der Ebene sind sie doch nicht, kein Feuer!«
»Stimmt, also in der Desert Range, Clure. Du kennst dich aus?«
»Ja«, sagt Clure leise und weiß selbst, daß er sich mit diesem einen Wort entschieden hat. »Ja, nach links. Drüben wird es sein. Wir reiten besser nicht so offen über die Senke, vielleicht halten die anderen nach dem einen Wagen Ausschau, was?«
»Clure«, meint der Priemer und spuckt im Strahl den Saft des Kautabaks aus. »Dich hätten wir schon immer haben müssen, verdammt. Und es wäre nicht schlecht für dich gewesen, das sage ich dir.«
Clure nickt nur.
Er hat sich entschieden.
Und er wird dafür bezahlen müssen!
Jetzt führt er sie in die Nacht hinein…
*
Zwei Schüsse. Und Terrigan Sparkes weiß genau, daß sie aus zwei verschiedenen Gewehren gekommen sind. Einen Moment zaudert er. Der Hügel liegt links von ihm, dann reitet er scharf nach links und verläßt die bisher südwestliche Rute, um scharf nach Südosten zu reiten.
Der Mann hat zwei Gewehre, zwei Pferde und fast schwarze Augen. Zu seinem hellen Haar stehen diese Augen im krassen Gegensatz, aber irgendwie haben die Sparkes alle einige Merkmale ihres schwedischen Großvaters und der spanischen Mutter mitbekommen. Terry hat die dunklen Augen eines Mexikaners und das helle Haar des Nordländers.
Nach kaum einer halben Stunde ist er auf dem rundbuckligen Berg angekommen und sieht es noch unter der Kuppe: Rechts brennt ein Feuer am Rand der Hügel. Es ist vielleicht dreizehn Meilen entfernt.
Einen Moment denkt Sparkes an seinen Auftrag, an die Conway-Linie, an die einzelnen Stationen, und lächelt. Conway kann warten, er rechnet ohnehin nicht vor dem nächsten Mittag mit ihm. Der kleine Umweg hier macht nichts mehr aus.
Anderthalb Stunden später kommen die beiden Pferde langsam an den Hügel heran.
Jetzt macht Terry Sparkes das Feuer aus. Er kann zwar den Wagen erkennen, aber kaum eine Bewegung feststellen.
Sparkes hat keine hundert Schritt mehr bis zum Feuer, als er die Stimme hört und hart an den Zügeln reißt.
Die Stimme kommt aus dem Wagen.
Und das Mädchen sagt hell und scharf: »Anhalten! Die Hände hoch, Mister!«
Sie muß ihn gegen den hellen Hintergrund des Hügels gut sehen können, wenn er auch nichts von einer Waffe erkennen kann. Aber ohne Zweifel zielt sie mit einem Gewehr auf ihn.
Sparkes nimmt langsam die Arme hoch.
»Was wollen Sie, Mister?« fragt sie kalt. »Reiten Sie weiter!«
»Haben Sie geschossen?« fragt Sparkes gelassen zurück.
»Ja, hier hat man geschossen. Wir sind überfallen worden! Mein Bruder ist verwundet, Mister. Reiten Sie weiter! Wir haben genug Besuch gehabt, verstehen Sie? Reiten Sie schon, es ist kein Platz für Sie am Feuer!«
»Ist er schwer angeschossen worden?«
»Vielleicht. Was geht Sie das an, Mister? Reiten Sie jetzt weiter, mein Bruder will niemand hier haben. Halt, Mann!«
Sparkes gleitet mit erhobenen Händen aus dem Sattel.
Für drei, vier Sekunden denkt er daran, daß das Mädchen vielleicht nervös genug sein könnte, um zu feuern, aber es kommt kein Schuß.
Langsam bewegt sich Sparkes von seinen Pferden fort. Er tritt links neben sie, behält die Hände oben und sagt kühl: »Ich verstehe etwas von Wunden, vielleicht kann ich helfen, Lady. Darf ich kommen?«
Sie zaudert einen Augenblick. Dann sagt sie knapp: »Machen Sie Ihren Gurt ab, Mann! Und behalten Sie dann die Hände oben, wenn Sie kommen, verstanden?«
»In Ordnung!«
Das Mädchen geht jetzt mehr aus der Deckung heraus, aber es zögert noch, denn es traut dem Mann nicht. Noch sieht es nicht viel von Sparkes, denn der Feuerschein reicht nicht bis zu ihm. Aber dann, als er nahe genug heran ist und sie seine Gestalt besser ausmachen kann, sagt sie jäh und peitschend: »Halt, stehenbleiben!«