Читать книгу G.F. Barner Classic 5 – Western - G.F. Barner - Страница 3

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Nein …!, dachte Hartney Shelby, großer Gott …! Nein! Und dann öffnete sich sein Mund zu einem Stöhnen, das das Grauen verriet, denn er sah nun sein Kind tief unten im ausgetrockneten Brunnen seiner Ranch liegen.

Es gab keine Shelby-Ranch am San Carlos River mehr, es gab kein fünfjähriges Mädchen mehr, das seinem Vater jauchzend entgegenlief.

»Rose – Rose«, sagte Shelby, und seine Stimme brach. »Meine Rose!«

So ist es, wenn man verrückt wird, dachte er, mein Gott, ich werde wahnsinnig, ich verliere den Verstand. Gott, hilf mir doch!

Der Himmel schwieg, der Wind sang und wisperte in den verbrannten Balken seiner Ranch, trieb Asche auf die Hände, die Shelby um den Brunnenrand gekrampft hatte. Mary, seine Frau, war tot, geschändet, zerstückelt – da lag sie und hatte keine Augen mehr. Und Abe, der Dreizehnjährige hing am Zaun, und sie hatten ein Feuer unter ihm gemacht, ehe sie ihn bestialisch ermordet hatten. Hat lag wie ein Gekreuzigter auf dem Rad des zerbrochenen Wagens – Hat, sein Ältester. Und hier war Rose, die kleine Rose. Und dort lag das Vieh – alles war tot und leer, und die Jahre waren umsonst gelebt worden, das Glück war vergangen in Schreien, blitzenden Messern, geschwungenen Kriegsbeilen und sausenden Pfeilen.

Ich war doch nur beim Nachbarn drüben, dachte Shelby, ich war doch nur einen Tag fort, um ihm zu helfen. Nachbarn müssen sich helfen, hat Mary immer gesagt, Mary …

Ich hole Rose aus dem Brunnen, dachte Shelby, ich werde hinabsteigen und mein Kind, meinen kleinen Sonnenschein, heraufschaffen. O Gott, wo bist du, warum hast du das zugelassen? Ich will hinabsteigen, ich muss sie holen!

Er nahm das Bein hoch, griff nach dem Seil, aber plötzlich hörte er eine Stimme und hielt inne.

Er redet zu mir, dachte er, ich bin schon verrückt, dass ich seine Stimme höre …

»Hartney, sieh dich erst um! Hartney, nicht in den Brunnen steigen, erst umsehen!«

»Wo, wo bist du, Murdock?«, stöhnte Hartney Shelby und blickte sich wie irr um. »Murdock – Murdock, Junge, ja, du hast recht, du hast mir abgeraten, hier meine Ranch zu bauen. Zu nahe am Indianergebiet, hast du gesagt. Tue es nicht, Hartney, auch wenn es gutes Land ist, die Apachen könnten eines Tages kommen. Dann hilft dir auch alle Tapferkeit nichts, Hartney Shelby. Du kennst die Apachen doch, du warst Quartermaster-Sergeant, der Vater des Schwadrons, mein Pflegevater, du kennst sie – siedle nicht hier!«

Es schüttelte Shelby, als hätte ihn das Mexikofieber gepackt. Murdock McCallum hatte ihn gewarnt, Murdock, der unter Indianern aufgewachsen war, der beste Sergeant der Armee, der klügste Mann, den Hartney Shelby jemals gekannt hatte, obgleich dieser Mann viel jünger als Shelby war und sein Sohn hätte sein können. Murdock war ein Genie, Murdock McCallum entging nichts, Murdock fand jede Spur und wusste alles.

Umsehen, dachte Shelby, Murdock hat wie immer recht, erst umsehen. Die sind vielleicht noch da, diese Teufel. Da liegen Ziegenlederbeutel. Sie riechen nach Tequila. Die Apachen waren betrunken. Nur betrunkene Apachen hausen so entsetzlich. Sie werden ihren Rausch ausgeschlafen haben. Bestimmt haben sie gefeiert, nachdem sie hier alles getötet hatten. Mein Gott, die Teufel sind bestimmt noch in der Nähe. Los, Hartney, nimm dein Pferd, reite an, halte die Augen auf, such sie. Und wenn du sie siehst, dann bring sie um!

Ein ehemaliger Quartermaster-Sergeant kannte keine Angst – doch nun hatte er sie in sich. Ihm grauste vor dem Anblick seiner Toten, als er aufsaß und sein Gewehr in die Hand nahm. Dann ritt er an Mary vorbei und sah nicht hin. Er kam an Abe vorüber und schloss die Augen, wie er sie fest zumachte, als er seinen Stolz, seinen Ältesten, verließ. Danach erreichte er den Steilhang am ausgetrockneten Bett des San Carlos Rivers. Und plötzlich war die Stimme wieder da – Murdock McCallums Stimme: »Pass auf, Hartney! Sie liegen verdammt gern in der Überhöhung und lassen dich vorbei, um dir einen Pfeil in den Rücken zu jagen. Reite, aber achte auf das kleinste Geräusch hinter dir. Und hörst du etwas, dann herum, Gewehr hochreißen und zur Seite kippen, aber dabei schießen!«

»Ja, Murdock, mein Junge, ja, ich weiß!«, sagte Hartney. »Schon gut.«

Reiten, lauschen, aufpassen – und dann war er fast an der Überhöhung vorbei, als das Rascheln da war.

In derselben Sekunde kippte der ehemalige Sergeant Hartney Shelby zur Seite und riss gleichzeitig das Gewehr hoch. Im Fallen sah er den Apachen breitbeinig im hohen, trockenen Gras auf dem Hang stehen, den Bogen gespannt in der linken Hand.

»Jaaa!«, brüllte Hartney voller Hass und Wut, Rachsucht und Tötungswillen. »Jaaa!«

Und dann schoss er auch schon, pflanzte die Kugel mitten in das erschreckte Gesicht des Apachen, das unter dem Schlag zerplatzte. Der nächste Apache fuhr hoch, riss sein Gewehr an die Schulter.

Hartney verwandelte sich in einen Teufel. Er jagte dem Apachen die zweite Kugel in den Bauch und sah ihn schreiend zusammenbrechen, bis er den dritten Hund aus den Büschen schnellen und den Tomahawk werfen sah. Das Pferd Shelbys flog herum, der dritte Schuss krachte, der Indianer schlug hin.

Töten, töten, töten, dachte Shelby, alle töten! Doch da kamen sie aus den Büschen, vier, fünf Krieger. Rechts wieherte ein Mustang. Staub schoss am Weg hoch, und Hartney wusste nun, dass der Weg zum Nachbarn versperrt war. Der wohnte auch fünfzehn Meilen entfernt, und nach dem Armeecamp San Carlos waren es nur fünf Meilen mehr.

Zu viele für mich, dachte Shelby, ich muss fliehen!

Der ehemalige Sergeant fiel auf den Hals des Pferdes. Zweimal schoss er noch, bis die Kugeln der Apachen nach ihm und dem Pferd griffen. Ein Schlag traf seine linke Hüfte, aber er raste im Zickzack vor der Staubwolke davon, preschte mitten durch Büsche, sah den ersten Reiter nachsetzen und knallte dem Apachen das Pferd zusammen. Danach trieb er das Pferd zum Galopp, lud das Gewehr nach und sah nach seiner Wunde. Blut lief über seine Hose, Schmerz raste durch seine Hüfte und die Rippen.

Mein Gott, dachte Hartney Shelby, die Kugel steckt in mir. Ich muss zum Armeecamp, ich muss reiten, mich verbinden lassen und versuchen, dass ich Hilfe aus dem Camp hole, damit sie begraben werden. Verflucht, das ist ja der Schwarze Falke, der wildeste Apachenchief, der dort hinten kommt. Der Hund hetzt mich, bis ich tot bin. Murdock, wo bist du? Murdock, ich werde halb tot sein, wenn ich das Camp oder die Verbindungsstraße nach Fort Defliance erreicht habe. Vielleicht finde ich einen Wagen und dort Hilfe – und vielleicht sagen sie mir, wo du bist, Murdock, denn du kannst den Schwarzen Falken finden, nur du, Junge. Murdock, wo bist du gerade mit der Armee unterwegs?

Der Verwundete jagte weiter und dachte an Murdock McCallum, den besten Sergeanten der Kavallerie.

*

Elena Pearson blickte aus der Stagecoach zum letzten Wagen der Kolonne und sah die Köpfe der vier Gefangenen im Armeetransporter im Staub verschwinden. Sie hatte nie zuvor gefesselte und angeschossene Soldaten, die von anderen bewacht wurden, zu Gesicht bekommen. Dafür sah sie jetzt, dass die sengende Sonne und der Staub die Männer umbringen musste. So ging es nun schon tagelang nach Süden, man fuhr im eskortierten Konvoi, weil die Indianerüberfälle zugenommen hatten.

»Vater, ob der Captain keine Mittagsrast machen will?«, fragte Elena beklommen. »Mein Gott, die Gefangenen müssen ja im Staub ersticken und in der Hitze verdursten.«

Charles Pearson, der größte Pferdezüchter aus Santa Cruz, ein mittelgroßer, breitschultriger Mann mit eisgrauem Haar, zuckte bei der Frage seiner Tochter die Achseln.

»Keine Ahnung«, antwortete er. »Was meinen Sie, Milland?«

Roy Milland, der Armeeagent für den Pferdeeinkauf, ein hagerer Mann mit einem stets verkniffen wirkenden Nussknackergesicht, einem randlosen Kneifer auf der langen Nase, blickte aus dem anderen Schlag nach hinten.

»Captain Spalding wird sicher Pause machen«, erklärte er näselnd. »Miss Pearson, Sie haben doch nicht etwa Mitleid mit diesen Deserteuren und Schuften dort hinten?«

Elena Pearson zupfte an dem hellblauen Seidentuch, das sie zum Schutz vor dem in die Kutsche wehenden Staub um das dunkle Haar gebunden hatte.

»Es sind Menschen – oder nicht?«, fragte sie etwas spitz, weil sie Millands Einstellung nur zu gut kannte. »Mister Milland, was immer diese Männer getan haben – man behandelt sie wie Vieh oder Aussätzige. Sie können sich weder bewegen, noch bekommen sie genug Luft in diesem heißen Wagenkasten, in den pausenlos der Staub hineinweht.«

»Daran hätten die Strolche vorher denken müssen – vorher!«, betonte Milland finster. »Deserteure und Leute, die Bestechungsgelder annehmen, haben nichts Besseres verdient. Vielleicht sind zwei der Strolche sogar Mörder, wie? Und dann erst dieser McCallum – so ein abgefeimter Schurke!«

McCallum, der Mann, der in Millands Augen ein abgefeimter Schurke war, überragte die anderen drei Gefangenen um Kopfeslänge. Er war so groß, dass sein Kopf über den Kasten blickte. Man hatte allen Gefangenen den Hut genommen. Wahrscheinlich war das eine weitere Bestrafungsmaßnahme. In diesem Land ritt niemand unter der prallen Sonne ohne Hut, wenn er nicht nach sechs Stunden einen Sonnenstich haben wollte.

»Der Captain sollte ihnen wenigstens erlauben, die Hüte aufzusetzen – oder sie ihnen aufsetzen lassen«, erwiderte Elena. »Es muss die Hölle für die Gefangenen sein.«

»Sie haben diese Hölle haben wollen«, sagte Milland mitleidslos. »McCallum macht die Sonne ohnehin nichts aus – der Kerl ist zäh wie ein Stück dreimal gewässertes und geklopftes Stiefelleder, Miss Pearson. Er ist früher sehr oft ohne Hut geritten. Sie kennen ihn doch auch, Pearson, oder?«

»Ich habe ihn nur einmal gesehen«, antwortete Charles Pearson knapp. »Ja, ich glaube, er ritt ohne Hut. Hatte man ihm nicht wegen seiner hellen Haare einen Spitznamen gegeben, Milland?«

»Sicher«, brummte Milland. »Die Mexikaner nennen ihn ›El Rubio, den Blonden‹, die Indianer haben das übernommen – oder die Mexikaner von den Indianern, genau weiß das niemand. Die Indianer nennen ihn ›Gelbhaar‹. Na, nun wird er einen anderen Namen bekommen, schätze ich. Vielleicht nennen sie ihn bald ›den Bestechlichen‹, wer weiß? Und der Mann war mal der beste Sergeant der Armee – das muss man sich vorstellen!«

Der »beste Sergeant der Armee« nahm in diesem Moment den Kopf herum, sah zur Stagecoach. Vielleicht blickte er auch zu den anderen Wagen oder versuchte durch den Staubschleier zu erkennen, ob Captain Spalding endlich das Kommando zur Rast gab. Der Captain führte die dreißig Mann starke Eskorte der Wagen. Vier Auswandererwagen waren westlich von Fort Defiance überfallen worden. Die Apachen hatten alle Leute umgebracht. Am Gila River im Osten war es auch zu einigen Apachenüberfällen auf Wagenkolonnen gekommen, und seitdem bekam jeder Transport seine Eskorte.

Elena wusste nicht, ob McCallum zur Kutsche oder den anderen Wagen sah. McCallums Haar saß voll Staub, und sein Gesicht war beinahe unkenntlich. Sie waren nun den achten Tag unterwegs, McCallum hatte sie manchmal verstohlen angesehen – die einzige Frau unter über fünfzig Männern. Seit dem ersten Tag der Fahrt hatte sie die beinahe animalisch wilde Ausstrahlung des ehemaligen Mastersergeanten gespürt. Von diesem Mann ging irgendetwas aus, was nicht greifbar, aber ständig spürbar war. Elena hatte immer das Gefühl, dass er sie beobachtete.

Murdock McCallum war ein großer, sehniger Mann mit breiten Schultern und dunklen Augen, die im seltsamen Gegensatz zu seinem hellen Haar standen. Er sprach kaum, gehorchte keinem Befehl, den man ihm gab und musste ständig vom Wagen gezerrt oder auf ihn gehoben werden. Man hatte ihn mit Kolbenstößen traktiert und ihm das Essen entzogen, aber er hatte sie nur angesehen und geschwiegen. Manchmal erinnerte McCallum an ein wildes Tier, das man in einen Käfig gesperrt hatte und das sich darum weigerte, zu essen oder den Kommandos seiner Wärter zu gehorchen.

»Unheimlich!«, stieß Milland hervor, als er den Blick des degradierten Mastersergeanten bemerkte. Der Pferdeaufkäufer zog die Schultern hoch. »Ein unheimlicher Bursche! Der hat so etwas in den Augen, dass man das Fürchten bekommt, wenn er einen ansieht. Ich sage, das ist seine angeborene Wildheit! Er ist nicht umsonst ein halber Indianer. Wenn seine Mutter eine Weiße gewesen wäre, hätte er längst Lieutenant sein können. Das wäre ein Skandal geworden! Ein Offizier, der sich von einem Indianerhändler bestechen lässt – nicht auszudenken!«

Charles Pearson hatte viel von McCallum gehört. Es war wie ein Lauffeuer herumgegangen, als man McCallum verhaftet hatte. Der Mastersergeant hätte in einigen Wochen seine Dienstzeit bei der Arme beendet gehabt. Weshalb er einen Indianerhändler gedeckt, ja, ihm sogar die Routen der Armeepatrouille verraten hatte, damit Bishop, der Händler, den Patrouillen entging und seinen Fusel und Waffen unbemerkt an die Indianer liefern konnte, war vielen ein Rätsel geblieben. Dann hatte McCallum selbst seine Beweggründe geschildert.

Angeblich hatte McCallum Angst vor dem Zivilleben gehabt und Geld zur Gründung einer eigenen Ranch gebraucht – Geld, das ihm die Armee nicht geben konnte. Bishop war von McCallum erwischt worden, hatte gefleht und gebettelt, der Mastersergeant möge ihn laufen lassen – und McCallum hatte ihm für sein Schweigen zweitausend Dollar abgenommen. Wie üblich, war der Mastersergeant weit vor seiner Patrouille gewesen. Es hatte keine Zeugen für den Handel gegeben, und Bishop war auf Wegen, die nur McCallum kannte, den beiden anderen Patrouillen entgangen. Allerdings war er auf einer der nächsten Fahrten von First Sergeant Jim Roscoe gestellt worden.

Bishop und sein Gehilfe hatten zu fliehen versucht, das Feuer auf die Kavalleristen eröffnet und waren beide niedergeschossen worden. Der Gehilfe starb nach wenigen Sekunden, Bishop lebte noch lange genug, um über seinen gemeinen Handel mit McCallum zu erzählen. Tatsächlich hatte man dann bei dem Mastersergeanten mehr als zweitausend Dollar gefunden.

Der Mann, der sich sein Schweigen hatte bezahlen lassen, starrte immer noch nach vorn.

»Der kann anderen Leuten seinen Willen aufzwingen«, sagte Milland schaudernd, als er aus dem Fenster blickte. »Ich sage Ihnen, Pearson, ein unheimlicher Kerl mit unheimlichen Augen – hypnotischen Blicken. Da …«

»Halten – halten, Mittagsrast!«, schrie es von vorn. »Alle rechts heran unter die Felswand! Rast, Leute, Rast!« Milland bückte sich nach seinem Kneifer und stammelte: »Der Teufel hat den Captain behext, endlich Rast zu machen, sage ich. Er kann hexen, dieser Bursche. Hoffentlich sind wir morgen in Camp San Carlos, dann sind wir ihn los, diesen unheimlichen Kerl, denn er soll nach Fort Grant ins Straflager gebracht werden. Zuerst sitzt er dort seine Strafe ab, ehe er unehrenhaft aus der Armee gejagt wird. Mein Gott, werde ich froh sein, wenn ich den Burschen nicht mehr sehen muss. Ich bin neugierig, ob er jetzt essen wird.«

Die Wagen fuhren in Doppelreihen unter der Felswand auf. Das Endbrett des Gefangenentransporters wurde hochgezogen. Dann stieg First Sergeant Jim Roscoe, das gefürchtete Raubein der Armee, ein untersetzter, breitschultriger und stiernackiger Mann, auf den Wagen. Roscoe hatte kurz geschnittenes krauses Haar, ein derbes, wettergegerbtes Gesicht und stahlharte Augen.

Der Sergeant hatte sechzehn Jahre Armeedienst hinter sich, wurde immer dort eingesetzt, wo es gerade brannte und bildete sonst Rekruten aus. Man nannte ihn nur den »Bullen«, denn er hatte Ähnlichkeit mit einer Bulldogge.

»Absteigen, ihr Halunken!«, befahl Roscoe finster. Er hatte die Schlüssel zu den Handschellen, machte einen Mann nach dem anderen los, schloss danach aber die Schellen sofort wieder zu und kam schließlich zu McCallum.

Augenblicklich zog der zweite Sergeant der Wacheskorte, Joe Lannon, ein baumlanger, kräftiger Mann, seinen Revolver und schlug auf McCallum an.

»Er hat den Teufel in den Augen, was?«, sagte Lannon bissig. »Na, willst du uns mit der Handschelle niederschlagen, du Satansbraten? Halte die Hände still, wenn du losgemacht bist, oder ich blase dir eine Kugel ins Fell, du Verräter!«

Murdock McCallum, der unschlagbare Fährtensucher, der sechzehn Jahre seines Lebens nur unter Indianern verlebt hatte, starrte ihn aus seinen dunklen Augen durchdringend an. Dann spie er aus. Er spuckte Lannon so haarscharf an der Nasenspitze vorbei, dass der Sergeant zurückzuckte und laut fluchte. Kaum hatte Roscoe McCallum hochgezogen und seine Handschellen wieder verschlossen, gab Lannon seinem ehemaligen Vorgesetzten einen Stoß in den Rücken.

McCallum flog vom Wagen und schlug hart auf die groben Steine unter der Felswand. Er richtete sich wortlos auf, aber der Blick, den er Lannon zuwarf, verriet alles, was er hätte sagen können.

»Heute wirst du fressen!«, sagte Lannon gehässig. »Du frisst, das schwöre ich dir, sonst …«

Und was nach dem »sonst« kommen würde, brauchte niemand zu raten.

*

Der Corporal Howell, ein dicker Mann mit einem feisten Gesicht, verließ seinen Verpflegungswagen, den er aus Camp Richards mitgenommen hatte, um das Kommando mit warmem Essen versorgen zu können, und grinste verstohlen.

Joe Lannon, der Sergeant, zwinkerte kurz, während Roscoe nun hinter den am Boden sitzenden McCallum trat. Sämtliche Männer – sogar die ausgestellten Wachen hoch oben auf dem Steilhang über dem Tal – blickten neugierig zu dem ehemaligen Mastersergeanten. McCallum hatte seit zwei Tagen nichts gegessen, um damit gegen die raue Behandlung durch Roscoe zu protestieren. Angeblich hatte ihm Roscoe in den Rücken getreten, doch gab es keinen Zeugen dafür, obwohl die anderen drei Gefangenen es hätten sehen müssen. Die drei Mann hatten geschwiegen, wahrscheinlich aus Furcht, dass der First Sergeant hinterher seine Wut an ihnen auslassen würde.

Captain Spalding, ein sehniger Mann mit grauen Schläfen und hellen Augen, blickte zu McCallum hinüber. Die Fahrer der Overland, raue Frachtwagenburschen, die schlimme Dinge gewohnt waren, hatten bis jetzt geredet. Nun schwiegen sie. Jeder war gespannt, was McCallum tun würde.

»Also«, sagte Roscoe, der Bulle, ganz freundlich, und dem Privaten Milton lief es eiskalt über den Rücken, denn er wusste, dass Roscoe immer dann freundlich sprach, wenn er bereit war, eine ganz raue Methode anzuwenden. »Also, McCallum, du bist jetzt vernünftig, wie? Du wirst jetzt schön das Maul aufmachen und dich füttern lassen.«

Roscoes Augen redeten eine andere Sprache, sie waren hart und unbarmherzig auf den Hinterkopf McCallums gerichtet. Es hatte eine Zeit gegeben, in der McCallum und Roscoe gute Freunde gewesen waren. Wie Roscoe so verdankten fast alle Männer des Kommandos McCallum das Leben. Es gehörte schon eine Menge dazu, aus Männern, die einmal Seite an Seite mit McCallum geritten und ihm vertraut hatten, Feinde des ehemaligen Mastersergeanten zu machen. Im Grunde war McCallum immer ein Einzelgänger gewesen, ein schwieriger Mann, der oft genug Befehle missachtet hatte, wenngleich er damit seinen Leuten das Leben gerettet hatte.

Sie hatten alle auf die Klugheit und Erfahrung McCallums geschworen, ihre heimliche Bewunderung für ihn war – wie es manchmal vorkam, wenn Männer enttäuscht worden waren – in Hass umgeschlagen. Niemand hätte McCallum zugetraut, dass er jemals gemeinsame Sache mit einem schurkischen Schnapsbelieferer der Indianer machen würde. Indianer waren unberechenbar, sobald sie Fusel in sich gegossen hatten, und die Männer hatten sich irgendwann ausgerechnet, dass einige ihrer Kameraden durch den Fusel und jene Gewehre umgekommen sein mussten, die Bishop mit Wissen McCallums an die Indianer verkauft hatte. Hass war ein schnell entstehendes Gefühl, vor allen Dingen dann, wenn durch vieles Gerede Dinge schlimmer gemacht worden waren.

McCallum presste die Lippen zusammen. Sein Mund wurde zu einem schmalen Strich, und er gab Roscoe keine Antwort.

»Er redet nicht – er wird auch nicht essen!«, sagte Roscoe in mühsam gezügelter Wut. »Sir, der Bursche gehorcht wieder nicht!«

»Dann zwingen Sie ihn, Sergeant!«, antwortete Spalding düster. Er machte kehrt und verschwand hinter dem Küchenwagen.

Elena Pearson hatte das Gefühl, dass der Captain nicht zusehen wollte, wie man den Mann, der unzählige Male für ihn und seine Schwadron Hinterhalte der Indianer erkannt, Wasser in der Wüste gefunden und oft genug sein Leben eingesetzt hatte, mit Gewalt zwang, die Bohnensuppe zu löffeln. Spalding galt als eisenharter Mann, streng, aber gerecht.

»Wetten, dass er die Zähne aufgebrochen bekommen wird?«, näselte Milland. »Der Kerl gehorcht keinem Befehl mehr. Ob er nicht einsieht, dass er alles noch schlimmer macht?«

»Das ist nichts, worüber man eine Wette abschließen könnte, Mister Milland!«, erwiderte Elena zornig. »Sie warten geradezu lüstern darauf, dass man ihn quält, wie?«

Milland antwortete nicht, weil Lannon nun neben McCallum trat und einen Löffel schwang.

»Na, Freund McCallum, nun sperr mal schön die Futterklappe auf!«, sagte Lannon grinsend. »Du musst doch furchtbaren Hunger haben, Mann! Von Wasser allein kann der Mensch nicht leben. Ich weiß, ich weiß, du schaffst das zwei Wochen lang, aber ärgere uns jetzt nicht mehr, sonst wird es ziemlich übel für dich ausgehen. Also, machst du nun das Maul auf?«

Corporal Howell hielt das randvolle Kochgeschirr Lannon hin. Der Sergeant tauchte den Löffel in die heiße Bohnensuppe und führte ihn langsam McCallums Mund entgegen. Gleichzeitig schlossen sich Roscoes Finger unter McCallums Kinn, nur die Daumen standen im rechten Winkel gegen die Wangen des ehemaligen Mastersergeanten. Dann drückten die Daumennägel Roscoes langsam zu – McCallums Wangen beulten sich ein, und Elena glaubte zu sehen, wie sie sich förmlich zwischen die Kiefer McCallums bohrten. Elena Pearson war in Santa Cruz, Tubac und Tuscon aufgewachsen. Sie hatte ihre ersten Lebensjahre in einem von dauernden Indianerüberfällen und den Brandzügen von Banditen heimgesuchten Land verbracht, das noch lange nicht friedlich zu nennen war. Sie hatte Tote gesehen, wilde Männer hatten auf sich eingeprügelt, andere sich geschossen, aber diese Szene widerte sie geradezu an.

»Das ist ja unmenschlich!«, sagte sie verstört. »Vater, warum tut denn niemand etwas?«

»Weil das eine Sache der Armee ist und niemand sich einzumischen hat …, auch du nicht!«, antwortete Charles Pearson finster. »Halte dich heraus, Tochter!«

Er hielt sie am Arm zurück, als sie losstürzen wollte, denn McCallums Lippen zitterten, seine Kiefer schien ein Krampf befallen zu haben, und seine Augen wollten ihm aus den Höhlen quellen. Plötzlich schnappte sein Mund weit auf, und Elena sah mit Entsetzen, dass Blut aus seinem linken Mundwinkel lief.

Roscoes Gesicht wirkte auf Elena wie eine Maske. Der First Sergeant hatte alle Kraft gebraucht, um McCallums Mundwinkel auseinanderzupressen. Elena blickte voller Abscheu und Ekel auf den bulligen Sergeanten, und sie wusste, dass sie sein erstarrtes bleiches Gesicht nie vergessen würde.

»Warte!«, sagte Roscoe zischend. »Warte, Lannon!«

Lannon hatte das Schauspiel der gewaltsamen Mundöffnung mit angehaltenem Atem verfolgt und wollte McCallum den Löffel in den Mund stoßen.

»Was ist?«

»Warte, er isst jetzt«, sagte Roscoe tief und heiser. »McCallum, ich breche dir die Kiefer, wenn du dich weigerst, verstanden?«

McCallum schloss den Mund, suckelte und spie dann aus – es war mehr Blut als Speichel, was in die Steine klatschte. Dann nahm McCallum langsam den Kopf herum und sah den First Sergeant aus schmalen Augen an.

»Ich esse«, sagte er leise. Es war so totenstill geworden, dass alle seine Stimme hörten. »Ich esse, aber du wirst irgendwann daran denken, Roscoe, das schwöre ich dir!«

Roscoe schloss die Augen – er hatte den Befehl bekommen gehabt, McCallum zum Essen zu zwingen, und vielleicht hatte er nun einen Moment etwas wie Mitleid mit seinem ehemaligen Mastersergeanten.

»O Gott!«, stöhnte Elena zitternd.

Sie hätte hinlaufen und Roscoe ins Gesicht schlagen können. In diesem Augenblick war sie froh, dass sie nur selten von Santa Cruz und der Hazienda, die ihren Eltern gehörte, über die Grenze und in Berührung mit den Sitten der US-Armee kam.

»Na, wer sagt es denn – unser Freund will essen«, grinste Lannon. »Mund auf!«

McCallum öffnete die Lippen, der Löffel fuhr ihm in den Mund. Und dann …

Elena sah, dass McCallum schluckte, bis er jäh zusammenzuckte, einmal würgte und dann losspie. Die Bohnensuppe schoss aus seinem Mund und klatschte Lannon mitten ins Gesicht.

Was dann geschah, lief so schnell ab, dass Elena kaum die einzelnen Bewegungen des Gefangenen unterscheiden konnte. McCallum warf sich blitzschnell hintenüber – er schrie irgendetwas, und seine gefesselten Beine fuhren blitzartig in die Höhe. Der Tritt traf den Corporal Howell mitten in den Bauch. Howells Grinsen war wie fortgeblasen. Der dicke Mann knickte mit weit aufgerissenem Mund ein. McCallums Beine waren schon wieder zurückgezuckt und schnellten erneut nach oben.

Howell, der bei der Hitze gekocht und sein Hemd ausgezogen hatte – er trug beim Kochen stets eine Lederschürze, deren Lederbänder über dem dicken Bauch zusammengebunden waren – taumelte stöhnend vornüber. Die Oberkante seiner Lederschürze stand weit von seiner nackten Brust ab. In derselben Sekunde trat McCallum unter das Kochgeschirr. Es flog aus Howells Händen, knallte dem Koch unter das Kinn und fiel dann, indem er sich drehte, zurück. Danach verschwand es in dem nach vorn gebeulten Lederschürzenoberteil.

Die brütend heiße Bohnensuppe hatte sich blitzschnell über die nackte Brust und den fetten Bauch Howells verteilt. Sie bildete einen glühend heißen Ring an jener Stelle, die das Lederband um die Schürze gezogen hatte.

Howell krallte die Hände in die schwere Lederschürze, sprang wie ein Irrer in die Höhe, heulte schaurig, brüllte, wobei ihm die Kalbsaugen aus den Höhlen quollen und vollführte einige Sprünge, die ihm niemand zugetraut hätte. Schließlich warf er sich zu Boden und wälzte sich auf dem Rücken hin und her. Doch die brütend heiße Suppe lief nun auch an seinen Hüften entlang.

»Ich verbrenne!«, heulte Howell. »Hilfe, ich verbrenne, ich sterbe, ich sterbe! Feuer an meinem Bauch – Feuer, Hilfe, ich verbrenne!«

Einen Augenblick später stieß er einen fürchterlichen Schrei aus, denn jemand kam im hohen Bogen durch die Luft geflogen – es war der First Sergeant Roscoe.

McCallum hatte sich mit der Geschmeidigkeit einer Wildkatze hinten übergeworfen. Seine Hände waren auf der Brust gefesselt worden, und so konnte er nun die Arme heben. Die Schellen klirrten hässlich, als der ehemalige Mastersergeant Roscoe am Gurt zu packen bekam, den First Sergeanten nach vorn riss und ihn auf seine angezogenen Stiefel beförderte. Von dort schoss Roscoe brüllend durch die Luft und stürzte auf den heulenden Howell herab.

Das alles geschah binnen drei Sekunden – und Lannon war auch noch erwischt worden. Roscoe hatte Lannon gestreift. Der Sergeant taumelte zwei Schritt zur Seite, fiel um und stand fluchend wieder auf.

Im selben Augenblick schnellte McCallum auf die Beine. Einen winzigen Moment sackte McCallum in die Hocke herunter, dann stieß er sich aus der Hocke ab und senkte den Kopf.

»Lannon, pass auf, er kommt!«

Sergeant Marconi, ein schwarz gelockter, mittelgroßer Sanitäter – der Einzige, der das Kommando begleitete – schrie los, konnte Lannon aber nicht mehr warnen. Die Fußschellen erlaubten den Gefangenen nur Trippelschritte, ehe sich die Gehkette spannte. Darum war McCallum gesprungen, und er kam wie ein Puma angeflogen. Sein Kopf fuhr dem herumfahrenden Lannon mitten in den Magen. Der baumlange Sergeant knickte wie ein Federmesser zusammen und fiel röchelnd um. McCallum landete neben ihm auf den Steinen.

Aus irgendeiner Ahnung oder vor Schmerz wälzte sich Lannon herum. McCallums Hände waren nach vorn geschossen, griffen nun jedoch ins Leere, und Marconi erkannte entsetzt, dass McCallum ohne das Herumwälzen des Sergeanten dessen Revolver erwischt hätte.

Marconi sprang vorwärts, aber auch McCallum kam hoch.

»Vorsicht, er will seinen Revolver nehmen!«, brüllte Marconi aus Leibeskräften, während er sich auf McCallum warf. »Packt ihn, schnell, schnell, helft mir ihn zu ha…, aaah!«

McCallum kam nicht mehr an den Revolver, aber er konnte Marconi an dessen schwarz gelockten Haaren packen. Als er den Sanitäter über sich riss, hatte Marconi eine Vorstellung davon, wie es sein musste, wenn einem ein Indianer die Haare abschnitt. Marconi schossen die Tränen in die Augen. Er sah nichts mehr, fühlte nur, dass er hochgerissen wurde und lag im nächsten Moment auf McCallum.

Jetzt waren es sieben Mann, die sich auf den ehemaligen Mastersergeanten warfen. Vier kamen von der einen Seite – drei von der anderen, als McCallums Beine den Sanitäter hochfliegen ließen. Marconi sauste seinen vier Kameraden entgegen, und sie stürzten im wirren Durcheinander zu Boden. Dann waren die anderen drei Mann heran und packten McCallum. Einer warf sich quer über seine Beine, bekam ein Knie ins Gesicht und hielt dennoch fest. Sie hatten ihn oft genug kämpfen sehen und wussten, dass er es mit einem Dutzend Gegnern aufnahm. Hätte er die Beine und Arme nicht gebunden gehabt, hätten sie jetzt, da er sich in wilder Wut befand, zwanzig Mann gebraucht. Einem anderen Kavalleristen schlug McCallum die Handschellen an den Kopf, ehe die nächste Verstärkung über ihm war und je zwei Mann seine Arme zu packen bekamen. Dennoch bäumte er sich auf, konnte sie niederreißen und tobte wie ein wildes Tier, bis Roscoe erschien. Roscoe holte aus, sein Revolverlauf traf den Tobenden am Kopf, und McCallum lag jäh still.

Um ihn lagen Männer am Boden und stöhnten, fluchten oder spien Blut aus. Andere rieben sich dort, wo er sie getroffen hatte.

Marconi kam auf die Knie, sah Howell immer noch hin und her rollen und taumelte zu ihm.

Spalding war vom Wagen aus herangerannt und blickte sprachlos auf die am Boden liegenden Kavalleristen herab.

»Oh, mein Gott, mein Bauch ist verbrannt!«, wimmerte Howell. »Nicht anfassen, Ticco, nicht berühren – oaaah!«

Ticco Marconi riss die Lederschürze auf und die Schürze von Howells Leib. Jetzt tropfte die Bohnensuppe in dicken Fladen von Howells Bauch, und man sah die Brandblasen.

»Allmächtiger, das ist ein Satan!«, brabbelte Milland an der Stagecoach entsetzt. »Das ist kein Mensch, das ist ein Ungeheuer, ein wildes Tier, ein Monster! Da liegen sie – da! Unglaublich, fürchterlich, entsetzlich!«

»So?«, fragte Elena, nachdem sie sich von ihrem Schreck erholt hatte. »Was ist so entsetzlich, Milland? Ich denke doch, es ist entsetzlich, wie man diesen Mann behandelt hat oder?«

»Um Gottes willen, schweig jetzt!«, schnaufte Charles Pearson. Er war ein harter Mann und in seiner Jugend ein verdammt rauer Bursche gewesen. Erst das zunehmende Alter hatte ihn gelehrt, dass es manchmal besser war, nicht mit dem Kopf durch die Wand zu laufen und seine Meinung nicht laut zu äußern. Seine Frau war einmal eine sanfte, glutäugige Mexikanerschönheit gewesen, und er hatte sich beim ersten Sehen unsterblich in sie verliebt. Jetzt war sie alt wie er, ihr Haar war weiß geworden, ihre Sanftheit geblieben – und in seinem einzigen Kind, seiner Tochter, fand er manchmal die Sanftheit seiner Frau und seinen früheren kriegerischen Zorn wieder. Elena war eine Mischung aus Anschmiegsamkeit, Hingabe und Unbeherrschtheit.

»Er hat sich nur gewehrt – oder darf sich ein Mann nicht mehr wehren?«, fragte Elena so laut, dass sich Captain Spalding umsah und die Brauen furchte. »Diese Männer haben ihn doch behandelt wie ein Tier – oder nicht?«

»Tochter, du hältst jetzt den Mund!«, donnerte Charles Pearson.

»In diesem Land wäre ich längst mündig, hier wird man es mit einundzwanzig Jahren«, fuhr sie ihn an. »Aber wir leben in Mexiko, und dort muss man fünfundzwanzig sein, um frei reden zu können. Ich bin Amerikanerin, meinst du nicht?«

Das war sie – und sie benahm sich auch so. Sie riss sich von der Hand ihres Vaters los und lief zu dem Ring Männer, der sich um McCallum gebildet hatte. Man zog McCallum hoch, er war nicht bei Besinnung, und Spalding befahl: »Roscoe, einen Strick! Dann seine Hände auf den Rücken, verstanden? Jetzt soll er was erleben!«

»Befehl, Sir«, antwortete Roscoe knapp. Er holte ein Lasso, legte eine Schlinge um McCallums Hals und ging dann mit dem anderen Ende des Lassos zum Wagen.

Elena Pearson blickte verstört zu dem Sergeanten, und als er den Strick am Wagenholm befestigte, fuhr sie herum. Kein Zweifel, man wollte McCallum hinter dem Wagen herlaufen lassen.

»Captain, was soll das werden?«, erkundigte sie sich zornig. »Der Mann kann unmöglich mit Fußschellen hinter dem Wagen herlaufen! Captain, das werde ich nicht zulassen – das ist unmenschlich!«

Spalding wandte sich langsam um, sah sie scharf an und schnarrte kühl: »Das ist eine der Armeestrafen, Miss Pearson. Sie ist bei diesem Mann nötig!«

»Was?«, fauchte Elena. »Captain Spalding, das ist eine unmenschliche Quälerei, ich werde mich über Sie beschweren.«

»Wenn Sie wollen«, murmelte Spalding gelassen. »Miss Pearson, die Armee hat ihre eigenen Gesetze. Sie können das nicht wissen, Sie sind eine Frau. Wollen Sie sich – bitte! – nicht mehr einmischen? Ich müsste Sie sonst unter Bewachung in die Kutsche setzen und dort festhalten lassen!«

»Das würden Sie wagen?«, erwiderte Elena zornbebend. »Captain Spalding, ich werde Colonel Hastings über Sie berichten, darauf können Sie sich verlassen!«

»Tun Sie das – aber jetzt gehen Sie!«, knurrte Spalding. »Roscoe, ein zweites Lasso um McCallums auf dem Rücken gefesselte Hände, ehe Sie aufsitzen. Seine Fußschellen abschließen! Ich werde ihn lehren, meine Männer anzugreifen und Armeevorräte zu vernichten.«

»Armeevorräte?«, empörte sich Elena, ohne Spaldings Aufforderung oder den Versuchen ihres Vaters, der sie fortziehen wollte, zu folgen. »Was meinen Sie mit Armeevorräten, Mr Spalding, etwa die Suppe?«

»Diese Suppe!«, entgegnete Spalding scharf. »Mr Pearson, wollen Sie Ihre Tochter jetzt fortbringen, oder soll ich es tun lassen?«

In diesem Moment schlug McCallum die Augen auf. Augenblicklich senkte Lannon den Lauf seines Revolvers und spannte den Hammer. McCallum brauchte einige Sekunden, bis er klar bei Verstand war. Er bewegte die Arme und den Kopf, spürte und sah den Strick und sagte wild: »Eine feine Sache, die du dir da ausgedacht hast, Captain, aber …«

»Halten Sie den Mund!«, fauchte Spalding. »Ich bestrafe Sie wegen tätlichen Angriffs auf meine Männer und absichtlicher Verschüttung von Armeeverpflegung, McCallum! Halten Sie den Mund, zum Teufel!«

»Den halte ich nicht, du Narr!«, schrie McCallum. »Probier doch mal die Suppe, wenn noch ein Rest im Kochgeschirr ist. Na los, probier sie, dann wirst du wissen, warum ich mich für den Schweinefraß bedankt habe!«

Spalding drehte sich wortlos um, ging hin und nahm das Kochgeschirr auf, führte seinen Zeigefinger innen entlang und leckte ihn ab, um in der nächsten Sekunde auszuspeien. Danach sah er seinen Koch an.

Howell war, obgleich seine Brandblasen ihn schmerzten, kreidebleich geworden.

»Corporal Howell!«

»Ja – ja, Sir!«, machte Howell halb erstickt und schwer würgend.

»Howell, was ist in der Suppe für McCallum gewesen, Howell?«

»Ni…, nichts, Sir!«

Howells Blick irrte ab, traf Marconi, und nun wurde der blass, ein Vorgang, den Spalding bemerkte.

»Marconi!«

»Sir?«

»Was haben Sie Howell gegeben, Marconi? Heraus mit der Sprache, Mann, oder Sie erleben was!«

Marconi biss die Zähne zusammen und sah an seinem Captain vorbei in die Luft.

»Marconi!«

»A…, Alaunpulver, Sir!«, stotterte der Sanitäter. »Er – er sagte, sein Rasiermesser tauge nichts, er schneide sich dauernd und brauche das Pulver, um das Blut zu stillen. Ich – ich habe davon nichts gewusst, Sir!«

Spaldings Blick wanderte ganz langsam weiter über die Gesichter seiner Männer und blieb schließlich auf dem Lannons liegen. Es gelang Lannon nicht, genauso bestürzt auszusehen, wie die anderen Kavalleristen. Sie hatten todsicher von der Gemeinheit nichts geahnt, er aber …

»Unser Spaßvogel, wie?«, fragte Spalding sehr sanft und leise. »Sieh einer an, unser Spaßvogel Lannon hat wieder einmal eine feine Idee gehabt. Wenn man jemand Alaun in die Suppe streut, dann schmeckt die Suppe wie kalte Schweißfüße, wie? Zudem wird der Mann Bauchschmerzen bekommen und kaum noch reden können. Wirklich ein feiner Spaß, Lannon! Es kostet Sie nicht viel, Lannon, nur drei Tage! Und Ihnen, Howell, bringt er eine Woche ein, Sie Schweinefraßkocher. Jetzt zu Ihnen, Mister McCallum … Bilden Sie sich nicht ein, dass das etwas ändert. Sie kennen die Gesetze der Armee genau, oder?«

McCallum schwieg verstockt.

»Sie kennen Sie besser als andere!«, sagte Spalding eisig. »Sie kennen alles besser, weil Sie ein halber Indianer …«

»Meine Mutter war keine Indianerin, du Lügner!«

»McCallum, das kostet Sie eine Woche!«, schrie Spalding wütend. »Ich weiß, dass sie ein Halbblut war und einen mexikanischen Vater hatte – das war nicht abfällig gemeint, Sie empfindlicher Schurke! Sie sind klüger als andere, das wollte ich damit sagen, nichts sonst, verstanden? Sie wissen doch genau, dass Sie sich beschweren konnten, aber nein – Mister McCallum trägt seine Probleme allein aus – wie immer! Sie hätten die Männer nicht angreifen dürfen, obgleich man Ihnen einen Streich spielen wollte. Haben Sie das gewusst?«

»Ja, du Affe!«

»McCallum!«, antwortete der Captain zitternd. Man sah ihm an, dass er vor Zorn fast explodierte. »Sie werden sich noch wundern, das verspreche ich Ihnen. Sie laufen hinter dem Wagen her – und Sie werden nun auch kein Wasser bekommen. Ich mache Sie klein, McCallum, so klein, dass Sie einem Sandkorn gleichen!«

»Haha!«

Das war alles, was McCallum sagte. Er hob den Kopf und sah Roscoe, seinen Quälgeist und Schinder an – und er lächelte auf eine Weise, die Elena nicht deuten konnte. Ihr lief bei diesem Lächeln ein kalter Schauer über den Rücken. Gott allein mochte wissen, wie lange ein Mensch in der Lage war, ohne Wasser und mit leerem Magen im dichten Staub hinter einem schweren Transportwagen zu laufen. Irgendwann musste auch der härteste Mann zusammenbrechen.

*

Es geschah von einer Sekunde zur anderen und so schnell, dass Elena nur noch einen gellenden Schrei ausstoßen konnte. McCallum brach blitzartig zusammen. Eben hatte noch das stereotype Lächeln wie eingefressen um seinen harten Mund gelegen, jetzt zerbrach das Lächeln, wie auch der Mann zerbrach. Er war sechseinhalb Stunden hinter dem Wagen hergelaufen, manchmal schwankend, aber immer wieder, als würde gerade dieses Schwanken ihm neue Kraft verleihen, kerzengerade hochkommend.

Diesmal fiel er wie ein Baum um, und Elena wusste, dass er ohnmächtig geworden war, ehe sie nach der Wasserflasche griff, einfach den Schlag aufriss und aus der fahrenden Kutsche sprang. Der Wagen hinten fuhr weiter – der Mann hing am Strick, den Hals in der Schlinge, die sich zusammenziehen und ihn erdrosseln musste.

»Halt – um Gottes willen, haltet an!«, schrie sie entsetzt. »Roscoe, Sie Teufel, lassen Sie halten!«

Nun erst bemerkte sie, dass Roscoe, der das andere Lasso in der einen Hand hielt, bereits nach vorn geritten war und jenes Halslasso gelockert hatte.

»Halt!«, befahl Roscoe scharf. Elena wusste nicht, ob sein Befehl ihr oder dem Fahrer des Wagens galt, sie lief weiter, sank neben McCallum in die Knie und bettete seinen Kopf in ihrem Schoß. Wie schnell sie die Flasche öffnen, das Mundstück zwischen McCallums Lippen anhob, hätte sie nie sagen können. Etwas Wasser rann über das Gesicht des Gefangenen, sie strich es ihm über die Wangen und die Stirn – und dann bewegte er die Lippen, er trank, aber er war noch nicht voll bei Bewusstsein. Plötzlich presste er die Lippen wieder fest zusammen. Nun war er genug bei Verstand, das wusste sie. Er öffnete die Lider, sah sie an – trotzig zuerst, seltsame Härte und Kälte in den dunklen Augen, bis er lächelte. Es war ein hilfloses, ja, es kam ihr vor, als wenn es ein beschämtes Lächeln war, das um seinen Mund kroch und in seine Augen trat.

Plötzlich hatte sie nicht das Gefühl, dass dieser Mann ein Wilder, ein um sich beißender Wolf war. Er war ein Mensch, der Hilfe brauchte – jemand, dessen Augen ihr sagten, dass der Mensch nicht schlecht sein konnte.

»Trinken Sie«, sagte sie zitternd. »Bitte, trinken Sie doch!«

Der Hufschlag dröhnte hinter ihr, das Pferd schnaubte in ihrem Rücken.

»Zurück – lassen Sie ihn los!«, brüllte Spalding. »Zur Hölle, was fällt Ihnen ein, Miss? Loslassen!«

»Das werde ich nicht tun!«, antwortete sie. »Spalding, Sie sind ein Unmensch, Sie haben kein Herz im Leib – und so ein Mann führt und kommandiert andere Männer?! Spalding, Sie sollten sich zutiefst schämen, hören Sie? Er wird jetzt trinken, er wird …«

»Sir, ein Reiter!«, schrie jemand irgendwo. »Sir, ein Mann – er liegt auf seinem Pferd – nordöstlich, Sir!«

Spalding nahm den Kopf herum, sein Gesicht war bleich.

Elena sah nichts davon, sie blickte nur auf den Mann hinab, der nun trank und nicht mehr lächelte. Ihr war, als hätte sie eine Sekunde das andere Ich dieses Mannes gesehen, die andere Seite seines Wesens, das nicht schlecht sein konnte, obgleich das, was er getan hatte, ein Verbrechen in den Augen der Armee und vielleicht auch vieler Zivilisten sein musste.

McCallum trank, er atmete dabei durch die Nase, atmete sehr tief und saugend, und sie hatte das Gefühl, dass er, als er die Augen schloss, über sie und ihre Tat nachdachte.

Nein, dachte sie, er ist kein Verbrecher. Ich möchte mit ihm reden und herausfinden, warum er das getan hat. Hat er es aus Angst vor der ungewissen Zukunft getan? Warum tut ein Mann das, wenngleich er doch weiß, dass es Verrat an den Gesetzen der Armee und vielleicht der Tod für Siedler ist? Warum hat er das getan?

»Sir, um Gottes willen, das ist Shelby!«, keuchte Roscoe in diesem Moment. »Sir, das ist Hartney Shelby!«

»Shelby?«, sagte Spalding erschrocken. »Roscoe, reiten Sie ihm entgegen! Mein Gott, er muss verwundet sein, er hat uns gesehen, aber sein Pferd scheint am Ende zu sein. Schnell, Roscoe, schnell!«

Der Mann, dessen Kopf in ihrem Schoß lag, öffnete jäh die Augen, sein Mund schloss sich, Wasser lief über seine Kinnwinkel in den Sand. Elena war, als tauchte tödlicher Schreck in den Augen des Gefangenen auf, als der Name Shelby fiel. Danach glaubte sie zu sehen, wie ein Schleier den Blick des Gefangenen trübte, bis McCallum die Lieder fest schloss.

G.F. Barner Classic 5 – Western

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