Читать книгу Die großen Western Classic 47 – Western - G.F. Barner - Страница 3

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John Blunt, der sich selbst den größ­ten und gerissensten Hehler westlich von Del Rio in Texas nannte, hockte hinter dem Tisch, als hätte ihn der Schlag getroffen. Der große, dicke Mann, für den der gefürchtete Grenz­bandit Tyler Coburn und einige andere Schurken laufend in Texas Pferde und Vieh stahlen, atmete rasselnd. Was, zum Teufel, war nur passiert?

Wenn Blunt auch geizig war, so hatte er doch bis jetzt beinahe zweitausend Dollar ausgegeben, um den Texas Ran­ger Tom Kelly tot zu sehen. Alle hinter­hältigen Anschläge Blunts waren jedoch mißlungen. Vor acht Wochen hatte er zwei mexikanischen Pistoleros dreihun­dert Dollar gezahlt. Beide waren nun tot, und selbst der verrufene, tödlich schnelle Skalpjäger Bat Kilroy, dem Blunt fünfzehnhundert Dollar »Ab­schußprämie« für Kelly im voraus ge­zahlt hatte, lebte nun nicht mehr.

Adam Pierce, der Revolvermann und persönliche Leibwächter John Blunts, lehnte an der Wand des Hotelzimmers in Acuna und blinzelte müde. Pierce war zwar erschöpft, doch hellwach. Er hatte Blunt nie gemocht. Dieser dicke Bursche machte sich nie die Finger selbst schmutzig. Er ließ immer andere die Dreckarbeit verrichten, und manch­mal behandelte er auch Pierce wie den letzten schmutzigen Hofhund.

Jetzt hat es ihn voll erwischt, dachte Pierce voller Schadenfreude, fünfzehn­hundert Dollar verloren, die er bestimmt niemals wiedersieht, das haut den dicken Halun­ken glatt um, was?

Pierce blickte gleichmütig vor sich nieder. Niemand ahnte, daß Kilroy ihm, wenige Stunden bevor er aus dem Hin­terhalt auf Tom Kelly und dessen Hund Rex gefeuert hatte, die Satteltaschen mit den fünfzehnhundert Dollar über­geben hatte. Kilroy war sich immer ein Stück größer als andere vorgekommen. Er und Pierce hatten sich vom ersten Se­hen an nicht gemocht, und um Pierce zu beweisen, daß er groß genug war, auch einen Ranger zu töten, hatte ihm Kilroy die Satteltaschen übergeben.

Es war Kilroys »Geschäftsbedingung« gewesen, sein Geld stets vor einem Auftrag zu kassieren. Wahrscheinlich hatte er, wenn sein Auftrag fehlschlug oder sogar tödlich für ihn endete, wenigstens mit dem Geld in der Tasche sterben wollen.

Nicht einmal Kilroys vier Skalpjägerfreunde, die auf den Kerl in Del Rio gewartet hatten, hatten es für denkbar gehalten, daß sich ein Mann wie Kilroy jemals von seinem Geld getrennt haben sollte.

Und doch war es so gewesen. Wie diese vier heruntergekommenen Strolche nahm ganz Del Rio an, daß Kilroy die fünfzehnhundert Dollar dort versteckt haben mußte, wo ihn sein gerechtes Schicksal ereilt hatte. Alles, was Beine hatte, suchte nun fieberhaft nach Kilroys Dollars.

Sogar Pierce hatte mitgesucht, und er war sicher, kein Mensch würde auf die Idee kommen, dieses Geld bei ihm zu vermuten.

»Pierce!«

»Wenn du meine ganz ehrliche Meinung hören willst – nein«, antwortete

Pierce achselzuckend. »Du hättest diese Narren sehen müssen, Blunt. Sie haben jeden Stein umgeworfen und jede Felsplatte hochgehoben, unter der etwas versteckt sein konnte. Ich habe viel gesehen, aber einen solchen Haufen Narren noch nicht. Statt erst nach Spuren zu sehen und zu suchen, sind sie wie Heuschrecken auf das Gelände gestürzt. Sie haben alles umgewühlt, was auf zweihundert Schritt in der Runde von der Stelle entfernt liegt, an der Kilroy gestorben ist.«

»Läßt sich dieser Idiot erschießen«, giftete Bunt. »Mein gutes Geld. Glaubst du, es ist für immer verloren?«

»Was sonst?« murmelte Perce kühl. »Vielleicht hat es längst jemand entdeckt, zum Schein weitergesucht und wartet ab, bis alle anderen es aufgegeben haben. Dann kehrt er zurück und holt es. Es muß zudem gar nicht dort versteckt sein.«

»Das ist wahr«, ächzte der geldgierige dicke Hehler. Er starrte wieder hinaus – ein Blick, der ins Leere ging – schien Pierce vergessen zu haben und sah doch etwas vor sich: die einsame Zelle des State-Jails, in der sich sein kleiner Bruder Jack vor Monaten selbst umgebracht hatte.

Mein armer, kleiner Bruder Jack, dachte Blunt, immer sehe ich ihn vor mir. Und dann weiß ich, daß ich nicht eher Ruhe finden werde, bis Tom Kelly, dieser verfluchte Ranger, tot ist. Ich will ihn lebend haben, denn dann kann ich ihn genauso aufhängen, wie sich der arme Jack…

John Blunt schloß die Augen. Sein jüngerer Bruder hatte sich vor Jahren Black-Jack genannt und Stagecoaches überfallen.

Er war dann von Tom Kelly überrascht worden, hatte auf den Ranger gefeuert und der zurückgeschossen. Die Kugel hatte Jacks Lunge erwischt, und wenn er auch überlebt hatte, er war später krank geworden – die Schwindsucht hatte ihn langsam aufgezehrt.

Kelly ist schuld, dachte Blunt voller Haß und Rachsucht, ohne seine verdammte Kugel lebte Jackie noch. Ich muß Kelly umbringen.

»Pierce!«

»Ja, Boß?«

»Pierce, wie ist es gewesen, Mann? Kilroys Gaul ist durchgegangen, Kilroy abgestürzt – und danach hat dieser alte stelzbeinige Rusty, Kellys Freund und Partner, den Gaul eingefangen. Er ist mehr als eine Viertelstunde fortgewesen?«

»Boß«, erwiderte Pierce mürrisch. »Fang nicht an, dasselbe wie Kilroys vier Partner zu denken. Die Burschen haben mit einem Trick den Alten aus dem Boardinghouse in Del Rio locken wollen, um seinen Packen durchwühlen zu können. Der Alte hat das Geld nicht. Zudem ist er nach Dalesville unterwegs.«

»Ja«, nuschelte Blunt, indem er wieder hinausblickte. »Ja, ich weiß, was passiert ist. Drei dieser Narren hat das Maultier Old Rustys, dieses Höllenvieh, fertiggemacht. Den Kerl, der den Packen geöffnet hat, hat der Alte erwischt. Jetzt sitzen die Strolche im Jail drüben, geschieht ihnen recht. Dennoch, Pierce, über fünfzehn Minuten – bedenke die Zeit, Mann. Der Alte kann das Geld gefunden und versteckt haben.«

»Nein«, sagte Pierce. Er merkte mit Schrecken, daß sich Blunt in etwas verrannte, was nicht in seine Pläne paßte. »Ich habe ihn doch von einem deiner Spitzel beobachten lassen. Er ist direkt nach Dalesville geritten. Du mußt das Geld abschreiben.«

Blunt antwortete nicht. Er stand auf, trat ans Fenster und blickte in die Ferne. Und wieder war es ihm, als könnte er den Baum mit dem knorrigen Ast in seinem Hof sehen und die Stimmen seines kleinen Bruders Jack hören:

»Erwische ihn lebend, John. Und dann hänge ihn an diesem schönen Ast auf – hänge ihn auf, John.«

»Ich habe das Geld abgeschrieben, Pierce.«

»Was?« fragte Pierce ehrlich bestürzt. »Nun ja, dann ist es ja gut.«

»Nichts ist gut«, fauchte Blunt. Er fuhr auf dem Absatz herum, starrte seinen besten Mann durchdringend an und zischte: »Deinen todkranken Bruder hat keiner auf dem Gewissen, aber ich muß dauernd an diesen verdammten Ranger denken, der ihn umgebracht hat.«

»Boß, die Wunde war verheilt und…«

»Das weiß ich besser!« schrie ihn Blunt an. »Dieser Kelly ist schuld – schuld – schuld, verstanden? So, der Alte ist also nach dieser Totenstadt Dalesville, in der nur noch eine knappe Handvoll alter Narren lebt? Er will dort mit dem alten Dale dessen Geburtstag feiern? Gut, sehr gut. Kelly und der Alte wollen sich in fünf Tagen in Brackettville treffen? Das ist sicher?«

»Ja«, gab Pierce gepreßt zurück. Es hatte keinen Sinn, daß er es abstritt. Erstens hatte er es selber Blunt erzählt, und zweitens wußte das ganz Del Rio.

Die Stadt sprach immer noch davon, wie Rosinante, Old Rustys Maultier, drei von Kilroys Freunden unlängst die Furcht eingeblasen hatte. Die Geschichte war längst über den Rio Grande nach Acuna zu Blunt gedrungen.

»Ist das alles, was du zu sagen hast?« fauchte Blunt messerscharf. »Ich möchte nur wissen, wozu ich dir soviel bezahle, Mann. Was tust du schon für dein Geld, he? Du kannst jetzt beweisen, daß du wirklich dein Geld wert bist, Pierce.

Also, wir wissen, daß zwischen dem Alten beinahe ein Vater-Sohn-Verhältnis besteht. Du willst doch immer so schlau sein, Pierce, oder? Nun, Mister, dann erkläre mir mal, was passiert, wenn der Alte nicht nach Brackettville kommt. Was wird Kelly tun, he?«

Adam Pierce hatte Mühe, sich zusammenzunehmen. Er war sicher gewesen, daß Blunt keinen Cent mehr für eine aussichtslose Rache opfern würde. An Blunts Stelle hätte Pierce jeden Versuch, sich an Kelly zu rächen, aufgegeben. Nicht nur, daß Kelly jede Falle geradezu zu riechen schien – sein Hund Rex machte ihn überlegen. Nur ein Verrückter konnte versuchen, Kelly zu ermorden. Nur ein Verrückter.

»Was starrst du mich so an?« knurrte Blunt giftig. »Antworte schon, Mann. Nun gut, dann werde ich dir die Antwort geben, wenn du nicht schnell genug denken kannst: Kelly wird sich Sorgen machen. Taucht der Alte nicht spätestens am nächsten Morgen auf, jagt Kelly nach Dalesville. Und was ist Dalesville, Mann?«

»Eine Totenstadt«, erwiderte Pierce knapp, der sich nun wieder ganz in der Gewalt hatte. »Früher hieß das Nest La Soledad, die Einsamkeit. Man fand dort Silber. Der Mann, der es entdeckt hat, ist der Freund des Alten – Samuel Dale. Nach ihm hat man das Nest umgetauft.«

»Aha, ich staune«, stieß Blunt höhnend hervor. »Wahrhaftig, du weißt mal etwas, Pierce. Ja, so ist es. Du kennst das Nest?«

»Einmal durchgeritten, einmal vorbei, aber ich habe keine Seele gesehen.«

»Das ist sehr gut«, rieb sich Blunt die Hände. Er schien seinen Schock überwunden zu haben und die gute Laune wiederzugewinnen.

»Dale kennt mich ganz gut, auch Groccer und Temple, deine Revolverschwingerfreunde. Oha, beleidigt, Pierce?«

»Ja«, gab Pierce finster zurück. »Von mir aus kannst du Groccer,

Temple und Harrison Revolverschwinger nennen, aber nenne sie nicht meine Freunde. Sie arbeiten für dich, sind schnell und tun alles, was du befiehlst, aber…«

»Aber du bist etwas Besonderes, was?« lachte Blunt spöttisch auf. »Schon gut, schon gut, Pierce. Der Ehrenkodex eines Revolvermannes, ich verstehe, mein Freund. Du bist mein Leibwächter, doch sie sind das auch, wenn auch auf andere Weise. In Ordnung, Mann, reden wir nicht mehr darüber.

Also, Pierce, ich werde mit Groccer und Temple nach Dalesville reiten und Dale erzählen, ich hätte hier eine Verabredung mit Viehhändlern aus dem tiefen Süden. Es gibt da unten zwei, die hier niemand kennt – Harris und Crossman.«

Pierce schwieg. Er haßte es, wenn man ihn mit den anderen harten Burschen auf eine Stufe stellte. Sie schossen ohne Anruf auf jemand – etwas, was er niemals getan hatte und tun würde.

»Du wirst Crossman spielen. Harrison – sieh einer an, das paßt ja beinahe – wird Harris sein. Ihr trefft einen Tag später ein. Ja, einen Tag, das ist gut, dann kann ich so tun, als hätte ich Langeweile und mit dem Alten ein Spielchen machen.«

»So ist das«, murmelte Pierce. »Hier in Mexiko nennen sie dich ›El Jugador‹, den Spieler, aber Old Rusty, habe ich gehört, soll ein ausgefuchster Kartentrickser sein. Du willst ihn gewinnen lassen, dann rupfen und ihn so festhalten, oder?«

»Wenn nicht so, dann mit Gewalt«, antwortete John Blunt mit funkelnden Augen.

»Pierce, wenn du mit Harris nach Dalesville kommst, werdet ihr wie echte Händler aussehen. Das Geld für neue Sachen und harmlose Halfter und Revolver stecke ich noch in die Sache.

Pierce, Mann, ich hätte es längst selbst in die Hand nehmen sollen, verstehst du? Kelly reitet ahnungslos nach Dalesville, die Falle schnappt zu, und er kommt nicht mehr heraus.«

Pierce biß sich auf die Lippen, das war seine einzige Antwort. Er hatte vorgehabt, nur noch wenige Wochen bei Blunt zu bleiben, sich dann von ihm zu trennen und dorthin zu gehen, wohin es ihn immer gezogen hatte – weit fort von Oregon.

»Was ist?« keuchte Blunt erregt. »Willst du etwa kneifen? Pierce, ich sage dir, du brauchst nicht auf den Ranger zu feuern, wenn du das nicht willst. Harrison, Groccer und Temple blasen den Kerl in Stücke. Du bist nur zu meinem Schutz da, also…«

»Der Hund«, gab Pierce zu bedenken. »Blunt, du vergißt, daß er jeden wittert, der im Hinterhalt liegt.«

»Unsinn«, wehrte Blunt ab. »Mann, wenn ich mich nicht irre, wohnen in Dalesville außer Dale nur noch drei Familien. Diese Leute werden Besuch bekommen – ich stelle meine Burschen in ihren Häusern hinter Fenster oder Türen. Was will der Hund dann noch wittern, frage ich dich? Es wird wirklich eine leichte Sache, Mann. Der Alte dient mir als Lockvogel, verstehst du? Was ist mit dir los, Pierce? Hast du vielleicht einen Grund zu kneifen?«

Die Hölle, dachte Adam Pierce beklommen, wenn ich mich weigere mitzureiten, denkt der teuflisch schlaue Halunke darüber nach. Und will es der Teufel, kommt er noch auf die Idee, daß ich Kilroys anderthalbtausend Dollar Blutgeld habe. Ich muß mitreiten oder ich verderbe mir alles. Der dicke Hundesohn ist wahnsinnig.

»Ja, ich habe einen Grund«, sagte er verbissen. »Zwei Pistoleros und ein hartgesottener, gewissenloser Schurke wie Kilroy haben es nicht geschafft, Kelly über den Jordan zu schicken. Ich habe das verdammte Gefühl, du solltest die Finger davon lassen. Und mein Gefühl hat mich selten getrogen, Blunt.«

»Gefühl – Gefühl«, sagte John Blunt wegwerfend. »Wissen und berechnen muß man alles. Oder habe ich nicht für Tyler Coburn gedacht, die Pläne für seine Überfälle drüben ausgearbeitet? Ist vielleicht einmal etwas schiefgegangen, Pierce? Ich sage dir, das wird leichter als du annimmst.

Wenn Kelly kommt und zum Beispiel das verdammte Maultier des Alten bepackt vor Dales Palast stehen sieht, schöpft er gar keinen Verdacht. Er wird denken, daß der Alte gewaltig gefeiert hat. Und das ist bei dem alten Burschen möglich. Er kann saufen wie ein Loch, Pierce, da geht nichts schief, diesmal nicht.«

»Wenn du das meinst?« zweifelte

Pierce. »Also gut, Harrison und ich kommen erst am nächsten Tag. Noch etwas, Blunt?«

»Wir besorgen gleich neue Sachen für euch. Danach kannst du dich ausschlafen, Pierce«, brummte Blunt. »Ich breche mit Groccer und Temple nachts auf, da reitet es sich bequemer. Ich sage dir, ich werde Kelly sogar lebend erwischen.«

»So?« murmelte Pierce. »Und was dann?«

»Dann schaffe ich ihn herüber und hänge ihn eigenhändig auf.«

Pierce sah Blunt kurz an.

Er ist verrückt, dachte Pierce, wenn ich schon so ein verdammtes Gefühl in mir habe, aber bis jetzt ist dem Kerl alles gelungen.

*

Als Groccer rief, fuhr Blunt im Sattel zusammen. John Blunt taten sämtliche Knochen weh, denn er war keinen langen Ritt mehr gewohnt. Sonst war er immer mit dem Wagen unterwegs.

»Verdammte Hitze«, knurrte Blunt unwirsch. »Groccer, was willst du? Teufel, ich schwitze wie ein Ochse.«

Blunt saß jetzt bereits zwölf Stunden im Sattel. Zwar war er in den ersten Nachtstunden aufgebrochen, doch nun sengte die Sonne seit fünf Stunden auf ihn herab. Seine Schenkel brannten innen wie Feuer, das Hemd klebte an seinem Körper, und er hatte die gute Laune längst verloren, obgleich er allen Grund hatte, sich über die Genialität seines Planes zu freuen.

»Wir sind hier hoch genug, Boß«, erwiderte Groccer. Der hagere Mann hatte sein Pferd angehalten und auch das Ersatzpferd zum Stehen gebracht. »Es ist doch gut, daß wir keinen Wagen genommen haben, die Spuren sind tagelang zu sehen.

Boß, sieh nach halbrechts, da liegt das Nest. Ein verdammter anderer Anblick, als wenn man durch das Tal hinkommt. Von hier aus kann man erst richtig erkennen, wie dicht Dalesville unter der Bergflanke im Tal liegt. Mir ist noch nie aufgefallen, daß der alte Förderturm der Minenanlage auf der Bergflanke so hoch über die Vorhügel hinwegsieht.«

Blunt hielt an. Er war keine Meile mehr von Dalesville entfernt und mußte nun Groccer recht geben. Obwohl Blunt ein dutzendmal in Dalesville gewesen oder doch zumindest durchgefahren war, hatte er nie auf die Lage der Gebäude geachtet.

»Links«, erklärte Groccer. »Sieh dir den Förderturm der alten Soledad-Mine an, Boß. Wenn dort oben einer sitzt, dann blickt er glatt über die Vorhügel hier hinweg. Ich wette, der kann jeden ausmachen, der noch sieben bis acht Meilen von Dalesville entfernt ist.«

Dalesville lag am Südhang der Pecan Mountains. Man entdeckte das Nest erst, wenn man um die nördlichen Ausläufer der Berge war. Nicht viel anders war es, näherte man sich von Südwesten.

Vor Dalesville, das in einem beinahe flachen Tal lag, erhoben sich die Vorhügel der Berge, so daß das Nest sozusagen eingebettet zwischen Bergen und Vorhügeln verschwand.

John Blunt starrte auf die Bergkette und den Förderturm aus einem Balkengespinst. Dann wandte er den Kopf nach Südwesten und erkannte sofort, daß Groccer recht hatte. Wer dort oben steckte, mußte alles sehen, was sich durch das weite Tal von Südwesten näherte.

»Stimmt«, stieß Blunt erregt hervor und vergaß seine juckenden Oberschenkel und den verdammten Schweiß. »Alle Wetter, Groccer, du wirst dich da oben umsehen, verstanden? Fragt dich einer, was du da oben willst, dann sagst du, du hättest noch nie eine Mine besichtigt, klar? Los, vorwärts, ich will mir die Lage der Häuser einprägen, wir reiten hinunter zur alten Mailroute.«

Bis jetzt hatte es Blunt vermieden, auf der alten Poststraße zu reiten. Kelly mußte sie nehmen, und je weniger Spuren der Ranger sah, desto besser würde es für Blunts Pläne sein.

Blunt trieb sein Pferd an, ritt jedoch nicht gleich von den Vorhügeln herunter, sondern blieb so lange auf ihnen, bis er den Weg und die Häuser von Dalesville vom Hügel aus einsehen konnte. Er hielt erneut an. Von dieser Stelle aus sah er alles, und er stieß einen kurzen Pfiff aus, als er den Wasserturm mit seinem riesigen hölzernen Wasserfaß betrachtete.

Dalesville wurde vom alten Postkutschenweg in zwei Teile getrennt. Die Mailroute lief mitten durch die Reihen der Häuser und Hütten. Die meisten Hütten waren verschwunden. Man sah nur noch die Stümpfe der Eckbalken aus dem Boden ragen. Die knochentrockenen, in der Sonne ausgedörrten Bretterbuden waren zu Brennholz verfeuert, die Balken abgesägt und nur noch die größeren Häuser standen.

Von den ehemaligen Diggerhütten gab es nur noch ein halbes Dutzend. Es waren keine dreißig Häuser mehr. Nur aus drei Schornsteinen stieg der Rauch zum Himmel. Der Rauch war das einzige, was ein scharfes Auge entdecken konnte, wenn man von Südwesten kam.

Ganz rechts und dort, wo die Mailroute schon nach Norden herumschwang, erhob sich die alte Mail-Station, eins der sechs doppelstöckigen Gebäude. Dort hauste der alte Dale, den viele für verrückt hielten. Der kleine, magere Mann war einmal erfolgreich gewesen und auf Silber gestoßen. Damals hatte die Entdeckung Dales einen Boom ausgelöst, Dale die Schurfrechte an die Minenbosse verkauft und sich das Mailrecht gesichert.

»So dumm ist der gar nicht gewesen«, brummte Blunt, dessen Blick über den völlig intakten Corral hinter Dales Mietstall glitt. »An der Konzession hat er mehr verdient als alle anderen Narren, die auf den Silberfund ihres Lebens gehofft haben, wetten? Als Posthalter, Mietstallbesitzer, Hotelier und Eigentümer des General-Stores muß er mächtig Geld gemacht haben.«

»Und was hat ihm das geholfen?« fragte Temple grinsend. »Er ist verrückt geworden und kriecht den ganzen Tag in den Bergen umher, weil er sich einbildet, er findet noch mal eine Ader. Hier leben doch nur Verrückte oder Alte, die zu gebrechlich sind, um noch mal etwas anzufangen. Boß, vom Wasserturm aus beherrscht man mit einem Gewehr das ganze Nest, oder?«

»Ja«, antwortete Blunt nachdenklich. »Sicher stimmt das, Mann, aber denke an den verdammten Hund. Das Ungeheuer wittert jeden, der auf dem Turm hinter dem Faß steckt. Wenn Kelly kommt, darf niemand auf dem Turm sein, das ist viel zu gefährlich.

Nein, wir müssen in die Häuser, die ohnehin bewohnt sind. Das Teufelsvieh kann nur Menschen wittern – ob bewaffnete oder friedliche, kann es auch nicht unterscheiden. Da links…«

Blunt deutete auf den ehemaligen Drugstore links der Straße. Aus dem Schornstein des Hauses mit dem falschen Giebel, der ein zusätzliches Stockwerk vortäuschen sollte, stieg eine dünne Rauchfahne. Dort wohnten noch Leute.

Genauso war es rechts am alten Haus der Minenverwaltung. Wer in die Stadt kam, mußte an beiden Häusern vorbei. Danach hatte er noch hundertfünfzig Schritt bis um die Straßenbiegung zu Dales alter Mailstation zu reiten.

Gegenüber von Dales Station lag das Eckhaus von Felipe Suarez. Der alte Suarez war geblieben, weil ihm die Agavenfelder im Osten gehörten und seine Schnapsbrennerei immer noch genug einbrachte. Er zockelte nach Uvalde, Brackettville und sogar bis nach San Antonio hinüber. Für Suarez hieß Dalesville immer noch La Soledad – er war schon vor Dale hier gewesen, und er hatte beschlossen, hier zu sterben.

»Die vier Häuser«, sagte Blunt mit einem schiefen Grinsen, »liegen genau richtig. In jedem Haus ein Gewehr – und dann will ich den sehen, der um die Biegung kommt, ohne daß er tot vom Gaul kippt. Verdammt guter Blick von hier aus – so sieht man alles und kann sich vorstellen, wie Kelly in die Falle reitet.

Nein, wir brauchen niemand auf dem Turm hinter der Tonne, wenn Kelly auftaucht. Ein Mann in der Heuluke der Mietstallscheune reicht. Der braucht nur abzudrücken, wenn Kelly an der Biegung und mitten auf der Main-Street ist. Danach schießen alle, und der verdammte menschliche, Spürhund ist ein Sieb, ehe er auch nur drei Längen mit seinem Gaul zurücklegen kann.«

John Blunt wußte jetzt, was er zu tun hatte. Ritt Tom Kelly in die Falle, war er verloren.

»Weiter!« befahl Blunt mit einem hämischen Grinsen. »Diesmal hat Kelly keine Chance. Vergeßt nur nicht, daß wir auf Harris und Crossman warten, verstanden? Verwechselt mir bloß die Namen nicht und nennt sie aus Versehen Pierce und Harrison. Es ist nicht sicher, ob Dale oder der alte Rusty etwas von Pierce oder Harrison gehört haben.«

Er ritt an und war beinahe unten am Weg, als Temple hinter ihm keuchte:

»Boß, Boß, sieh mal unter das Remisendach am Dalesville-Hotel. Schnell, Boß, schnell, sonst siehst du das Mistvieh nicht mehr. Da steht der gehörnte Ziegenbock, das Maultier des Alten.«

Blunt kniff die Lider zusammen und ritt langsamer. Kein Zweifel, dort stand Old Rustys Maultier. Der Alte war also da – und er hatte sein Maultier wie üblich nicht neben Pferden angebunden oder es in den Corral getrieben.

»Tatsächlich«, knurrte John Blunt. »Da ist das Ungeheuer ja. He, was hat Pierce gesagt, wann hat der alte Dale Geburtstag?«

»Gestern«, antwortete Groccer. »Sollte mich wundern, wenn die beiden alten Burschen nicht anständig gefeiert haben. Rusty soll Dale ein paar Jahre nicht gesehen haben.«

»Dann haben sie bestimmt ordentlich in die Flasche gesehen«, meinte Blunt. »Also, ganz friedlich und freundlich – Dale weiß nur, daß ich Viehhändler bin und in San Antonio und Sonora zwei Ankaufsstellen habe. Er wird sich kaum darüber wundern, wenn ich hier auf einen anderen Händler warten will. Und der alte Rusty kann nicht auf die Idee kommen, daß ich in Wahrheit hinter dem Ranger her bin. Toomey ist klug genug gewesen, von einem reichen Mexikaner zu reden, als würde der Alte erst beim Auftauchen eines Greasers mißtrauisch werden. Benehmt euch so lange anständig und friedlich, bis wir die Maske fallen lassen, verstanden?«

Er wußte, sein Spiel würde laufen und erfolgreich sein. Man nannte ihn nicht umsonst »El Jugador«, den Spieler. Das Spiel mußte für Tom Kelly, den verhaßten Ranger, tödlich enden. Mochte der alte Tuffy auch noch so gerissen sein, er konnte nicht auf die Idee kommen, daß er zum Lockvogel von John Blunt werden sollte. Er würde erst sein Geld und danach sein Leben verlieren – er und alle anderen Leute, die jetzt noch in Dalesville lebten. Verließ Blunt das Nest, würde es wirklich eine Totenstadt sein, deren Bewohner spurlos verschwunden waren.

*

Der hagere Groccer ging wie immer voraus, wenn er und Temple mit Blunt unterwegs waren. Groccer trat durch die sperrangelweit geöffnete Tür von Dales Saloon, während Blunt noch vor der Tür stehenblieb. John Blunt starrte kopfschüttelnd zu dem großen Schild empor, dessen Farbe und Schrift erst vor kurzer Zeit erneuert worden sein konnten.

Dort stand, als wäre Dalesville keine Totenstadt und lebten hier dreihundert Leute, die Handel und Wandel trieben:

US. Mail Office. Station-Saloon und Hotel

Samuel J. Dale – Besitzer –

John Blunt studierte die Schrift, sah sich dann nach Temple um und warf ihm einen alles sagenden Blick zu. Dale mußte tatsächlich verrückt geworden sein. Er hatte nicht nur das Schild neu gestrichen und bemalt, auch die Fassade des fünfzehn Schritt langen und zweistöckigen Hauses war geweißt worden. Selbst die Stützpfosten des Vorbaudaches hatten frische Farbe bekommen.

Es konnte keinen größeren Gegensatz als den zwischen Dales pompösem Palast und all den anderen dem Verfall geweihten Häusern geben. Während anderswo Türen und Fenster fehlten, die Gehsteigbohlen herausgerissen waren und ein ständiges Ächzen und Knarren sich im Wind bewegender loser Hauswandbretter zu hören war, sah Dales Palast aus, als sei das Nest voller Leben und das Haus der Treffpunkt der ganzen Stadt.

»Jetzt ist er völlig wahnsinnig geworden«, sagte Temple halblaut. »Boß, er muß den Verstand verloren haben.«

»Ja«, gab Blunt zurück. »Das ist schon keine Spinnerei mehr, das ist nackter Irrsinn. Hier wird nie wieder der Reichtum ausbrechen. Also gut, gehen wir hinein.«

Blunt trat ins Haus, machte vier Schritte und prallte dann beinahe auf den hageren Groccer. Der Revolvermann war stehengeblieben. Groccer starrte entgeistert auf die beiden über dem langen Saloontresen hängenden brennenden Lampen. Er hatte zwar von außen gesehen, daß die Blendladen vor sämtlichen Fenstern vorgelegt worden waren, aber das geschah in der Mittagshitze, wenn die Sonne voll herabprallte, wirklich oft genug in diesem Land.

Groccer brauchte nicht zu schnüffeln – er roch den Whiskydunst augenblicklich. Auf dem langen Tresen standen etwa vierzig Gläser in einer leichten Schlangenlinie. Eine Flasche lag auf der blanken Platte, zwei andere standen leer neben einer Vase, über der ein Strauß Wildrosen einen blaßrosa Ball bildeten.

»Ich werde verrückt«, stieß Groccer ungläubig hervor. »Die haben hier ein Gelage abgehalten. Elf Uhr – und die Lampen brennen noch? He, niemand hier?«

Es kam keine Antwort. Die Uhr über dem Tresen tickte, aber sonst blieb alles still. Erst als Blunts und Temples Schritte auf den Dielen verstummten, hörten sie etwas.

Das seltsam pfeifende Geräusch kam aus dem Flur rechter Hand. Die Tür zum Flur stand genauso weit offen wie die Eingangstür. Hinter dem Flur, der gleichzeitig die Vorhalle zu Dales Hotel bildete, lag der Eßraum. Dahinter gab es das Stationszimmer, so daß Saloon, Eßraum und Stationszimmer alle zur Straßenfront hin lagen und man von einem Raum in den anderen kommen konnte.

Groccer ging bei dem knappen Nikken Blunts voraus, bog dann um die Tür in den Vorraum und schnappte dann nach Luft. Auf dem alten Queen-Anne-Sofa neben der ins Obergeschoß führenden Treppe lag Samuel Jonathan Dale.

Der magere kleine Alte mit dem schlohweißen und mähnenlangen Haar, das ihm bis auf die Schultern herabfiel, war selbst für das zweisitzige Sofa zu groß. Seine Beine baumelten über die eine Lehne herab. Er hatte die Hände auf der Brust gefaltet und hielt eine Flasche zwischen den Fingern. Er sah aus wie ein Säugling, der sich an seiner Milchflasche satt genuckelt hatte und dann vom Schlaf übermannt worden war.

Samuel Jonathan Dale trug einen weißen Seehundsbart. Jedesmal, wenn er die Luft ausblies, stülpte er die Unterlippe vor. Dann pfiff die Luft durch den Seehundsbart und hob die Haare an. Er tat es in diesem Augenblick. Das Pfeifen erklang, aber es schien doppelstimmig zu sein, wurde laut und verstummte nach einem blubbernden Schnarren.

Erst dieses blubbernde Schnarren ließ Groccer, der stehengeblieben war, noch zwei Schritt machen und um die Tür blicken. Und dann griff Groccer unwillkürlich nach dem Colt.

Gegenüber dem Queen-Anne-Sofa und Samuel Jonathan Dale stand das braune Schreibpult. Hier hatte einmal, als noch Leben in Dalesville gewesen war, ein Clerk gehockt und die Hotelgäste begrüßt. Neben dem Pult lag ein Sessel auf der Seite. Und zwischen Pult und Sessel ruhte sich ein riesiger Braunbär aus, der sich in Sam Dale einen Gesellschafter gesucht zu haben schien.

Wenn die staubigen, schiefgetretenen Stiefel nicht aus dem Fell hervorgesehen hätten, hätte Groccer geschossen. Der Mann, der dort lag, hatte das Fell, das an der Wand aufgehängt gewesen war – man konnte noch den helleren Fleck dort erkennen –, herabgenommen. Danach mußte er sich in das Fell gewickelt haben. Nur seine Stiefel waren zu sehen. Er schien seinen Kopf unter den präparierten Bärenschädel gesteckt zu haben, dessen Glasaugen im Licht der Wandlaterne funkelten.

Blunt war neben Groccer getreten. Auch Temple hatte sich um die Tür geschoben, und die drei Männer starrten auf die Schlafenden herab.

»Leise«, flüsterte Blunt und grinste breit. »Die werden wir anders wecken. Zurück in den Saloon.«

Er machte auf der Stelle kehrt, ging bis zum Tresen und betrachtete die Gläser. In jedem Glas war Whisky gewesen, das sah er auf den ersten Blick, und er wußte nun, was hier passiert war.

»Alle Teufel, zwei Mann und vierzig Gläser«, zischte Blunt. Er nahm die Flasche auf, roch an ihr und schüttelte sich. »Kein Whisky – Agavenschnaps. Die beiden alten Narren haben sich rechts und links hingestellt und dann aufeinander zugesoffen. Vorher müssen sie dort am Tisch gehockt haben und…«

Blunt verstummte. Auf dem großen runden Tisch linker Hand standen ein halbes Dutzend leerer Flaschen und sechs Gläser. Es standen auch genausoviel Stühle um den Tisch.

»Sechs Männer«, stellte Temple wispernd fest. »Er muß alle Männer, die hier noch leben, eingeladen haben. Als die anderen gegangen sind, haben er und Old Rusty weitergetrunken, wetten? Boß, die müssen bis zum Hellwerden gefeiert haben.«

»Ja«, bestätigte Blunt und grinste wieder breit. »Und jetzt wollen wir mal sehen, ob wir sie aufwecken können.«

Er nahm seinen Geldbeutel, ging zum Orchestrion in der Ecke und warf einen Nickel in den Schlitz. Dann riß er den Hebelarm, der das Schwungrad antrieb, herunter. Zu seinem eigenen Erstaunen setzte augenblicklich das Schnarren ein. Das Schwungrad zog die Feder auf, die den Mechanismus auslöste. Der Vorgang dauerte etwa zehn Sekunden. Blunt fuhr herum, hastete in den Vorraum zurück und lehnte sich an das Treppengeländer, gefolgt von den grinsenden beiden Burschen.

Einen Moment später begann das schrille Geklimper nebenan. Es war auch noch im Flur laut genug zu hören. Es war ausgerechnet die Melodie, die jeder Mensch kannte.

O mother what a fun my father was a drunken tun…

Temple hatte Mühe, nicht laut aufzulachen. Das Lied paßte haargenau auf den Zustand der beiden Schläfer, die wahrscheinlich den Weg nach oben hatten nehmen wollen, jedoch nicht mehr fähig gewesen waren, die Treppe heraufzukommen.

Schon beim ersten Vers dieses Liedes, das zwei Dutzend Strophen hatte und das Schicksal eines irischen Fuhrmannes beschrieb, der zuletzt statt der Ochsen weiße Mäuse vor seinem Wagen im Geschirr zu sehen glaubte, zuckten Samuel Jonathan Dales Hände. Dann fuhren sie auseinander. Die Flasche kollerte von Dales magerer Hühnerbrust. Sie fiel auf die Dielen herab. Der Aufschlag schien für den mickrigen Dale ein Kanonenschuß zu sein, denn er preßte die Hände mit einem schrecklichen Laut gegen die Ohren.

»Aufhören, aufhören!«

Jetzt schrie Samuel Dale los, doch mußte ihm seine eigene Stimme so laut durch den Kopf schallen, daß er sofort abbrach und nur noch stöhnte. Er machte jedoch nicht die Lider auf.

Blunts Blick sauste von dem weißhaarigen Alten zu dem Braunbärenfell. Durch das dicke Fell schien das Geklimper kaum zu dringen, aber da bewegte sich plötzlich der linke Stiefel. Er zuckte unter das Fell, war fort, und der Kopf des Bären wackelte heftig, er hob sich an. In der nächsten Sekunde fiel er mit einem Bumser auf die Dielen zurück, fuhr gleich wieder in die Höhe, und eine ganz schrecklich rauhe und krächzende Stimme erklang:

»Ouh, mein Kopf, mein armer Kopf. Sam, wer macht da so einen Höllenspektakel? Ouh, stoppt das greuliche Geklimper, halt, aufhören, aufhören!«

Das Fell geriet nun in eine jähe Seitenbewegung. Es entrollte sich, wurde dann angehoben, und die drei Männer, die den alten Rusty nie zuvor gesehen hatten, sahen ihn zuerst von hinten.

Der Alte hatte das linke Bein an den Leib gezogen, das schwere Bärenfall mit der rechten Hand von sich geschleudert, und es flog über den umgefallenen Sessel. Dann griff der Alte mit der Rechten zum Sessel, wandte den Kopf und erstarrte.

Old Rusty hatte sich hochziehen wollen. Daß er das Fell so über den Sessel geworfen hatte, daß es ihn bedeckte und der präparierte Bärenkopf mit seinen funkelnden Glasaugen ihm zugewandt war, hatte er nicht ahnen können. Ob er sich überhaupt noch dran erinnerte, daß er das Fell von der Wand genommen hatte, bezweifelte John Blunt.

Was dann geschah, war zuviel für die drei Zuschauer.

Old Rusty glotzte aus hervorquellenden, sich vor Entsetzen weitenden Augen in den aufgesperrten Rachen und die funkelnden Augen des Bären, stieß einen heulenden Schrei aus und fuhr in die Höhe. Wie schnell er trotz seines lahmen rechten Beines hochkam, war Blunts erste Überraschung. Die zweite war der wilde Sprung nach hinten. Der Alte sprang in seinem Schreck, ohne sich umzublicken, zurück.

Dort wollte sich Samuel Dale, dem Old Rustys Schrei durch Mark und Bein ging und seinen armen Kopf beinahe explodieren lassen mußte, aufrichten. Dale fahr hoch, Old Rusty flog zurück.

Blunt hatte lachen wollen, vergaß es aber genauso wie Groccer und Temple, denn was sie sahen, hatten sie nicht erwartet. Der Oldtimer mochte vor weniger als sechs Stunden noch betrunken gewesen sein – er war es wahrscheinlich immer noch – und dennoch riß er so blitzartig, wie sie es niemals erwartet hätten, mitten im Sprung die Rechte herunter und den Colt aus dem Halfter.

Daß Old Rusty dann allerdings Sam Dale mit dem Gesäß rammte, Dale zurückschleuderte und selbst – über alle fallend und sich rücklings neigend – auf dem Queen-Anne-Sofa landete, änderte seine Absichten.

»Ein Bär, ein Bär!«

Der Schrei des Alten erstickte, denn Old Tuffy knallte mit dem Hinterkopf gegen die Wand. Er saß sozusagen auf Dale, kam dadurch mit dem Kopf über die Rückenlehne des Sofas und schlug so heftig an die Holzwand, daß er die Augen verdrehte. Sein Gebrüll erstickte schlagartig. Seine Knie wurden weich. Der Anprall war zuviel gewesen.

Während er benommen abrutschte und der Colt für seine Hand zu schwer wurde, brüllte Dale heulend los. Old Rusty rutschte jedoch von Dales magerem Bauch herunter. Er landete auf den Dielen, blieb sitzen und starrte den vermeintlichen Bären verstört an. Jetzt schien er auch das Schreibpult zu erkennen und zu begreifen, wo er gelandet war.

Hinter ihm jammerte zudem Sam Dale klagend, hielt sich den Kopf und setzte sich endlich auf.

»Oh, mein Gott«, stöhnte Dale. »Die Hölle, was ist das für ein Lärm? Rusty, warum hast du so geschrien?«

»Der Bär«, lallte Old Rusty. »Oh, dieser Suarez und sein höllischer Agavenschnaps, mein Schädel platzt, mir kommen die Trommelfelle wie Blasen aus den Ohren – meine Augen quellen mir aus den Höhlen. Dieser gotteslästerliche Lärm – wer macht diesen Lärm, welcher Hundesohn hat das Teufelsding gefoltert?«

Er wandte stöhnend den Kopf, sah zur Tür und endlich die drei an der Teppe stehenden Männer. Als er sie entdeckte, machte er wirklich das zweitdümmste Gesicht seines Lebens. Wenn Blunt und seine beiden Burschen nicht gesehen hätten, wie schnell Old Rusty gezogen hatte, wären sie felsenfest überzeugt gewesen, einen alten Schwachkopf und Trunkenbold vor sich zu haben.

Groccer konnte nicht länger an sich halten. Er lachte wiehernd los. Temple fiel in das Gelächter ein, und schließlich brüllte auch noch Blunt mit. Das Gelächter schien Old Rusty förmlich Schmerzen zu bereiten. Er schrie auf und hielt sich genau wie Dale die Ohren zu. Dann nahm sein Gesicht einen grimmigen, wütenden Ausdruck an, und er brüllte:

»Zum Teufel, stellt das Ding ab und hört mit dem blöden Gelächter auf! Mein armer Kopf platzt, Leute. Bringt das verdammte Klimperding zum Verstummen, schnell, schnell, ehe ich wahnsinnig werde.«

»Drück den Stift ein«, befahl Blunt, indem er sein Lachen verbiß und Groccer anstieß. »Mach schon, Mann. Himmel, Mister, du hättest beinahe einen präparierten Bären erschossen. Hallo, Dale.«

»Hallo«, ächzte Samuel Dale, Blunt verwundert anstarrend und die Beine herumnehmend, um die Stiefel auf die Dielen zu bringen. »Wieder mal in meiner Stadt? O Gott, mein Kopf – wie spät ist es, Blunt?«

»Elf Uhr durch«, erwiderte Blunt, der scheinbar Dale anblickte, Old Rusty jedoch nicht aus den Augen ließ. »Muß eine mächtige Feier gewesen sein, wie?«

Er sah keine Reaktion Old Rustys, als Samuel Dale seinen Namen nannte. Wahrscheinlich hatte der Oldtimer niemals von Black Jack gehört, und er würde auch nicht wissen, daß der berüchtigte Black Jack in Wahrheit Blunt geheißen hatte. Soviel Blunt wußte, war Old Rusty damals noch nicht mit dem Ranger bekannt gewesen.

Drüben verstummte der Klimperkasten. Der Bremsstift stoppte die Walze, und die letzten Töne klangen scheußlich verzerrt, ehe es still wurde.

»Gott sei Dank«, seufzte Old Rusty. »Ah, tut das gut, dieses Höllenkonzert nicht mehr hören zu müssen. Tatsächlich, beinahe hätte ich das zottelige Ungeheuer noch einmal erschossen. Es hat mich Mühe genug gekostet, damals die Glasaugen zu beschaffen – und ich hätte ihm verdammt das linke Auge ausgeschossen.

Samuel, ich wette, es gibt keinen Präparator in dieser Gegend, der dir mein schönes Geschenk wieder hingeflickt hätte. O Gott – zehn Dollar für einen Becher Kaffee. Samuel, was ist vorhin passiert? Warum sind wir nicht nach oben gegangen?«

»Weil wir hier unten von alten Zeiten geredet haben – das weiß ich noch«, ächzte Dale. »Da war wenigstens noch etwas los, aber heute?

Alles öde, alles traurig und ohne Humor, sage ich dir.

Hallo, Mister Blunt – ich habe heute – gestern habe ich Geburtstag gehabt. Und wer ist gekommen von allen, die mal hier gewesen sind – von allen, die mal in meiner Stadt gelebt haben? Keiner. So ist das, Blunt, so ist das. Aber er ist gekommen, er, weißt du, Blunt? Das ist mein Freund Old Rusty, ist mein Freund. Der einzige Freund, den ich jemals gehabt habe, verstehst du? Und – und der hat hier nie gewohnt – nur besucht hat er mich.

Aber er ist gekommen, jawohl. Und für ihn habe ich mein Haus gestrichen, so ist es, jawohl, ja. Das ist mein Freund, mein richtiger Freund.«

»Bin ich«, verkündete Old Rusty und steckte seinen Colt ein. »Will in die Hölle verdammt sein, wenn ich es nicht bin. Hallo, Blunt, hast du auch hier gelebt?«

»Nein, hat er nicht«, antwortete Sam Dale für Blunt. »Er ist Viehhändler, hat ein Office in Sonora und eins in San Antonio und woanders. Kommt manchmal hier vorbei. So ist das – keiner von denen, die mal hier gewesen sind – keiner – sie haben mich vergessen.

Du wirst vergessen, wenn du alt bist – das ist es, Rusty. Du hast mich nicht vergessen – hätte ich dich auch nicht, das schwöre ich. Hallo, Blunt, was soll es sein?«

Er mußte mehr als Old Rusty getrunken oder weniger vertragen haben, er war noch halb betrunken und lallte mehr als er sprach.

»Nun«, sagte John Blunt mit seinem freundlichsten und falschesten Lächeln. »Dale, die Sache ist die – ich habe einen günstigen Handel vor, wenn es so läuft, wie ich hoffe. Harris, ein mir bekannter Händler, der bis zur Bay hinunter Geschäfte macht, will mit seinem Partner Crossman nach San Angelo hinauf. Er hat mir geschrieben, daß er am Sabinal und Frio River zu tun hat und will sich mit mir treffen.

Um ihm den Umweg zu mexikanischen Viehzüchtern zu ersparen, habe ich ihm Dalesville als Treffpunkt vorgeschlagen. Er muß noch heute kommen. Kann ich hier auf ihn warten und bei dir mit ihm verhandeln?«

»Kannst du«, versicherte Samuel Dale. »Solange du willst, Mann. Oh, mein Schädel. Harris und Crossman – kommt mir bekannt vor, ja.«

»Sie sind unten auf der King Ranch und im Calhoun County bis hinauf nach Port Lavaca tätig«, gab Blunt zurück.

»Sie verschiffen Rinder überallhin. Sicher hast du von ihnen gehört.«

»Ja, irgendwie bestimmt«, antwortete Dale und massierte seine Schläfe. »Macht es euch im Saloon bequem – was ihr braucht, könnt ihr euch nehmen, ist genug zu trinken da. Eine Flasche für euch, weil ich Geburtstag gehabt habe. Essen – wollt ihr auch essen?«

»Nur, wenn du etwas hast«, murmelte Blunt. »Das hat keine Eile – sieh nur zu, daß du in Ordnung kommst, mein Freund. Gehen wir.«

Er winkte Groccer und Temple, trat mit ihnen vor die Tür auf den Vorbau und zwinkerte.

»Na, was denkt ihr?«

»Es läuft«, flüsterte Groccer. »Sie haben es geschluckt. Glaubst du, der alte Rusty wird heute noch munter genug werden, um uns zuzusehen, wenn wir vor Langeweile anfangen, mit den Karten zu jonglieren?«

»Stimmt das, was ich über ihn erfahren habe«, murmelte Blunt mit einem dünnen Grinsen, »könnte er halbtot sein und würde doch aufstehen und sich an einen Spieltisch setzen, sobald er etwas von Karten riecht.

Immer langsam, das muß alles echt aussehen. Ich halte jede Wette, der sitzt, ehe es dunkel wird, am Tisch und pokert mit uns. Stellt die Pferde in den Schatten, aber nur nicht in die Nähe dieser schlappohrigen Maultierbestie.«

John Blunt trat grinsend zurück. Er war sicher, er würde seinen Fisch noch vor dem Abend an der Angel haben.

*

Wie ein Hund, dachte Blunt, wie ein schnüffelnder, einen dicken Fleischknochen riechender Hund, was?Der Alte kam näher, zog das rechte Bein nach, humpelte, schlich sozusagen am Tresen entlang. Er sah irgendwie zerzaust aus, noch halb verschlafen, denn nach dem Mittag war er nach oben verschwunden und in irgendein Bett gekrochen, um den Restrausch auszuschlafen.

Ich hab’s doch gewußt, dachte John Blunt und tat so, als bemerkte er den Oldtimer gar nicht. Jede Wette, daß er die Ansage da hinten in der Küche gehört hat, der Kaffeeschlürfer. Mein Gott, wie der schlürfen kann, was? Wie ein Nilpferd.

Blunt schielte kurz, sah die Großvatertasse, ein Monstrum, das der Alte in der Hand hielt. Dampf stieg über der Tasse hoch, heißer Kaffeedampf. Und den Kaffee hatte er nicht mal ausgetrunken – er hatte nur etwas von »noch zwei Karten« gehört. Danach hatten sich seine Beine sicherlich von allein bewegt.

»Noch fünf Schöne«, sagte Blunt. Er sah gar nicht mehr hin, er hörte nur dieses Schleifen des steifen Beines. »Na, Temple, gehst du mit?«

»Du hast sie wieder mal alle zusammen, was, Boß?« nuschelte Temple. Er starrte auf sein Blatt, schob es seufzend zusammen und warf es auf den Tisch. »Na, Groccer, hältst du dagegen?«

»Ich gebe nicht so schnell auf«, brummte Groccer und schüttelte seinen hageren Schädel, während er fünf Dollar zur Tischmitte schob. »Du hast eben keine Ausdauer, Mann.«

»Nicht, wenn ich mein Geld davonschwimmen sehe«, murrte Temple. »Verliere du nur…«

Blunt hob den Kopf und sah Temple an.

»Sieh mal nach, ob Harris und

Crossman nicht bald auftauchen. Sechs Uhr schon, die könnten langsam kommen, meine ich.«

Er wußte, daß Harrison und Pierce, der angebliche Crossman, erst am morgigen Vormittag eintreffen würden, Temple und Groccer wußten es natürlich auch, aber Blunts falsches Spiel mußte so absolut echt erscheinen, daß es auch den mißtrauischsten Mann täuschen sollte.

»Boß, die werden schon kommen«, maulte Temple gekonnt. »Immer ich.«

»Ja, du«, sagte Blunt barsch. »Nachmittag war ausgemacht, oder? Für mich ist der Nachmittag um sechs Uhr vorbei, Mann. Also los, sie müssen von Südosten kommen, den Hügel da drüben im Norden umgehen. Reite bis zur Biegung und den Hügel herauf, dann siehst du sie auf ein paar Meilen schon.«

»Das ist mein vierter Ausflug«, nörgelte Temple, erhob sich jedoch. Es lief genau nach Plan – und es war immer nach Blunts Plänen gelaufen. Wenn Blunt nicht für Tylor Coburn, den Grenzbanditen, gedacht hätte, wäre der längst erwischt worden. Hier ging es nur darum, daß ein Platz am Tisch frei werden mußte. Ein Platz für Old Rusty. »So weit reiten – als wenn die nicht von allein kommen.«

Am Tresen hüstelte jetzt Samuel Dale.

Die großen Western Classic 47 – Western

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