Читать книгу Larissas Geheimnis - Gisela Garnschröder - Страница 6

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II

Vergeblich hatte Hauptkommissarin Wiedemann versucht, Verena Bornfeld zu erreichen, auch Herr Bornfeld war in Deckung gegangen und ließ durch sein Hausmädchen melden, dass er verreist sei. Verärgert sprang Mira in ihren Wagen und wollte gerade das Grundstück verlassen, als ein kleines sportliches Auto an ihr vorbeizischte, dass der Kies knallende Geräusche an ihrem Lack verursachte. Wutschnaubend setzte sie zurück, direkt hinter den Verursacher, sprang aus dem Wagen und schrie:

»Was fällt Ihnen ein, hier solch ein Tempo vorzulegen? Sie haben meinen Lack beschädigt!«

Die rothaarige Fahrerin stieg betont lässig aus, was Mira erst recht zum Kochen brachte, nahm ihre Sonnenbrille ab, warf einen abschätzenden Blick auf den Golf und erklärte hochnäsig:

»Bei der alten Karre ist ohnehin ein neuer Anstrich fällig, außerdem befinden Sie sich hier auf einem Privatgrundstück!«

Mira Wiedemann blieb vor Empörung die Stimme weg, und als sie sich endlich gefasst hatte, war die junge Frau schon im Haus verschwunden. Verärgert klingelte sie Sturm; als das Hausmädchen erschien, schob sie es zur Seite und stürmte in die Halle. Stella Bornfeld wollte gerade mit Schwung die Treppe nehmen, als sie den Tumult an der Haustür mitbekam und Frau Wiedemann hereinkommen sah. Augenblicklich drehte sie sich um und schrie:

»Was fällt Ihnen ein!«

Die Beamtin hatte ihre Fassung wieder gefunden.

»Wiedemann, Kripo, ich habe ein paar Fragen an Sie!«

Überrascht kam Stella Bornfeld zurück.

»Sie wollen mich doch wegen dieser Lächerlichkeit nicht verhaften?«

»Es geht um ihre Tante. Sie sind doch die Tochter von Verena Bornfeld, nicht wahr?«

»Sie haben es erraten, ich heiße Stella. Tante? Welche Tante?«

»Larissa Norton, eine Schwester Ihrer Mutter.«

Stella kräuselte die Stirn, dann lächelte sie.

»Ach die, sie wohnt in Bielefeld, nicht wahr. Was ist mit ihr?«

»Sie wurde nur wenige Kilometer von hier ermordet aufgefunden. Hat Ihr Vater nichts gesagt?«

Sichtlich geschockt schüttelte Stella den Kopf.

»Wie entsetzlich. Wissen Sie, wer es war?«

Mira verneinte.

»Es gibt keine verwertbaren Spuren des Täters. Vielleicht können Sie mir sagen, ob Ihre Tante jemanden in Hooksiel, dort wurde sie ermordet, oder in Wilhelmshaven aufsuchen wollte.« Stella war blass.

»Ich habe meine Tante noch nie gesehen, wie soll ich da etwas wissen? Wir hatten keinen Kontakt zu ihr. »

»Ihr Vater soll ihr regelmäßig geschrieben haben, das jedenfalls hat Frauke Thomas ausgesagt, Ihre Cousine.«

»Meine was? Ich habe keine Cousine! », empörte sich Stella Bornfeld.

»Das hat Frau Thomas auch gedacht. Sie ist die Tochter der Zwillingsschwester Ihrer Mutter.«

Stella sprang auf.

»Meine Mutter hat nur eine Schwester, und das ist - war Larissa Norton.«

Mira zog eines der Fotos aus der Tasche, welche die drei Schwestern vor etwa dreißig Jahren zeigten, und hielt es ihr hin.

»Ihre Cousine hat es mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt.«

Stella wurde abwechselnd rot und blass.

»Sie müssen mir glauben, ich habe nichts davon gewusst«, stotterte sie.

Mira nahm ihr das Bild wieder ab und verabschiedete sich.

»Können Sie mir sagen, wo sich Ihre Mutter aufhält? Ich muss sie dringend sprechen.«

Stella hatte sich in einen Sessel geworfen und schüttelte wortlos den Kopf.

Der Umschlag enthielt den Befund eines Krankenhauses, mit dem Frauke nichts anzufangen wusste. Gefrustet steckte sie das Blatt wieder zurück und untersuchte das Geheimfach des Koffers noch einmal gründlich. Nichts. Sie faltete den Umschlag zusammen und steckte ihn wieder in das Fach. In diesem Moment klopfte es und ohne ihr »Herein« abzuwarten, stand Friedrich Lust im Zimmer.

»Hallo, wie geht es dir?«

Sie verstaute den Koffer im Schrank und lächelte.

»Gut, ich habe nur auf einen Kavalier gewartet, der mich an den Strand begleitet.«

Hauptkommissarin Mira Wiedemann war es endlich gelungen mit Verena Bornfeld telefonisch Kontakt aufzunehmen. Die Dame hatte sich bereit erklärt, das Kommissariat persönlich aufzusuchen. Sie kam des Nachmittags im goldgelben Porsche vorgefahren, in einem eleganten zartgrünen Kostüm, welches hervorragend zu ihren rötlichen Haaren passte und ihre schönen Beine zeigte, die in zum Kostüm passenden Pumps steckten. Als sie gegenüber von ihrem Schreibtisch Platz nahm, konnte Mira trotz des gut deckenden Make-ups die vielen kleinen Sommersprossen auf ihrer Nase sehen, welche die Ähnlichkeit mit ihrer Tochter deutlich hervorhoben.

»Ist es wahr, dass meine Schwester Larissa ermordet wurde?«

Ihre hellbraunen Augen musterten Mira interessiert.

»Sie wurde mit durchschnittener Kehle aufgefunden.«

»Wie entsetzlich!«

Verena Bornfeld riss die Augen auf und spielte nervös mit ihrem Autoschlüssel.

»Wissen Sie, ob Ihre Schwester hier mit jemandem in Kontakt stand? Alte Freunde, Schulkameraden?«

Verena seufzte vernehmlich.

»Woher soll ich das wissen? Ich habe sie seit Jahren nicht gesehen.«

»Warum nicht?«

Zum ersten Mal hatte Mira das Gefühl, Frau Bornfeld aus dem Konzept gebracht zu haben. Ihre Wimpern flackerten verräterisch, und es dauerte einige Sekunden, bis ihre Antwort kam.

»Es hat Streit gegeben, wir hatten nichts Gemeinsames. Larissa war so pedantisch, wie soll ich sagen - Lehrerin eben!«

Mira lächelte und stellte leise, ihre Augen fest auf Verena gerichtet, die nächste Frage.

»War Ihre Zwillingsschwester auch Lehrerin?«

Verena beugte sich vor, die Augen zu kleinen Schlitzen verengt.

»Was fällt Ihnen ein?«, fauchte sie. »Meine Zwillingsschwester ist tot. Mehr möchte ich dazu nicht sagen!«

Mira Wiedemann setzte zur nächsten Frage an.

»Wo waren Sie am Samstagabend zwischen zehn Uhr und Mitternacht?«

Verena Bornfeld starrte die Beamtin empört an, stand auf, fasste ihre Handtasche mit festem Griff und antwortete:

»Im Wellnesscenter an der Bremer Straße.« Dann wandte sie sich zur Tür und erklärte bestimmt: »Ich bin in Eile, wenn Sie weitere Fragen haben, wenden Sie sich bitte an meinen Anwalt!«

Sie warf eine Visitenkarte auf den Schreibtisch und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Mira Wiedemann blickte ihr empört nach und nahm den Telefonhörer zu Hand.

Wenige Sekunden später öffnete sich die Tür erneut, und Thorben Weller ließ sich schnaubend vor Wut auf den Stuhl fallen, den Frau Bornfeld gerade geräumt hatte.

»Dieses Miststück! Sie weiß mehr als sie sagt!«

Er war rot im Gesicht und bemerkte in seinem Ärger nicht, dass seine Kollegin nicht eben begeistert über sein Benehmen war.

»Was fällt Ihnen ein, hier so hereinzuplatzen? Sehen Sie nicht, dass ich telefoniere?«

Erst jetzt sah er ihr zornrotes Gesicht und duckte sich automatisch in seinem Stuhl, als befürchte er einen tätlichen Angriff.

Mira warf den Hörer auf die Gabel und fauchte:

»Polizeiarbeit ist kein Zuckerschlecken, wenn Sie dafür zu sensibel sind, sollten Sie die Ausbildung abbrechen!«

Weller stotterte eine Entschuldigung und erklärte, nun ruhiger:

»Diese Frauke Thomas hat mich praktisch hinausgeworfen, nachdem ich ihr geholfen habe, aus einem Geheimfach ihres Koffers einen Umschlag zu bergen.«

Seine Schilderung ließ Miras Zorn verblassen.

»Diese Familie hat so viele Geheimnisse, dass ich fest überzeugt bin, dass der Mörder im familiären Umfeld zu suchen ist. Diese Verena Bornfeld war vor wenigen Minuten hier, keine vernünftige Aussage, aber die Visitenkarte ihres Anwalts hat sie hinterlassen.«

Weller war froh, dass Mira sich wieder dem Fall zuwandte und steuerte einen weiteren Aspekt hinzu.

»Frau Thomas hat auch einen Gewinn durch den Tod der Norton, sie hat nicht nur eine Wohnung, sondern auch etliches an Geld geerbt, das hat sie mir gesagt.«

»Für die Tat hat sie ein bombensicheres Alibi«, warf Mira ein und fuhr fort: »Da muss es noch andere Gründe geben, die einen Mord rechtfertigen.«

»Wir müssen an den Umschlag kommen, den die Kleine so schnell vor mir versteckt hat, sicher wusste sie, was drin war.«

Weller war noch immer verärgert, dass er mit so wenig in der Hand bei seiner Hauptkommissarin erschienen war. Mira schüttelte den Kopf.

»Für eine Hausdurchsuchung haben wir keinerlei Handhabe.«

»Es muss etwas geben, was sie verbirgt«, ereiferte sich Weller, »völlig ohne Grund wird niemand umgebracht.«

Mira schmunzelte.

»Ihren Eifer in Ehren, aber ich glaube nicht, dass die Nichte mit dem Mord zu tun hat. Sie schien mir völlig glaubwürdig, als sie von den Ängsten der Ermordeten sprach. Wir müssen herausfinden, vor wem diese Frau Angst hatte. Ich tippe da eher auf einen Erpresser.«

»Warum soll man eine Lehrerin erpressen?«

Thorben Weller seufzte und gab sich selbst die Antwort:

»Es muss ein Geheimnis geben, was so brisant ist, dass es einen Mord rechtfertigt.«

Die Hauptkommissarin pflichtete ihm bei.

»Gehen Sie der Sache auf den Grund, versuchen Sie etwas über den Umschlag zu erfahren. Heute Abend ist die Dame sicher im Hotel.«

Wenig begeistert machte sich Weller des Abends erneut auf den Weg zu Frauke Thomas und traf sie im Garten der Pension beim Abendessen.

»Sie schon wieder?«

Frauke war verärgert, am Nachmittag mit Fried hatte sie die schrecklichen Ereignisse fast vergessen und nun brachte dieser Kripobeamte alles wieder zum Vorschein. Weller bestellte sich eine Schorle, wartete, bis sie ihre Mahlzeit beendet hatte, und befragte sie nach dem Umschlag aus dem Koffer.

»Es war nichts Wichtiges, ein Krankenblatt aus einer Klinik. Ich habe es gleich wieder weggelegt. Ich zeige es Ihnen.«

»Merkwürdig, dass es im Geheimfach des Koffers war, finden Sie nicht?«

Sie waren auf dem Weg in Fraukes Zimmer, sie nickte zustimmend, schloss auf und ging zu dem Koffer, um es ihm zu zeigen.

»Es ist weg.«

Hastig schüttete sie den Inhalt des Köfferchens auf das Bett. Es waren nur noch die Fotos vorhanden.

»Komisch, ich habe es zu den Fotos gelegt.«

Sie durchsuchten noch einmal den Koffer und das ganze Zimmer, der Brief war verschwunden.

»Es war vielleicht wichtiger, als Sie angenommen haben.«

Weller war verärgert und Frauke schockiert von dem Gedanken, dass während ihrer Abwesenheit jemand ihr Zimmer durchsucht hatte.

»Sagten Sie nicht, in der Wohnung Ihrer Tante hätten Einbrecher alles durchwühlt, aber nichts mitgenommen?«

Frauke sah Weller verwundert an.

»Sie glauben, es gibt einen Zusammenhang?«

Weller nickte.

»Fassen wir doch einmal zusammen: Sie haben die Zwillingsschwester Ihrer Mutter am Strand gesehen, anschließend fanden Sie einen Zettel mit einer Drohung an Ihrem Wagen. Larissa Norton eilt herbei, um Sie zu warnen, bringt Ihnen den Koffer, in dem sich besagter Umschlag befindet, und wird noch am selben Tag umgebracht. Später wird deren Wohnung in Bielefeld durchsucht, und nun ist der Umschlag weg. Also muss dieses Krankenblatt, wie Sie es bezeichnen, eine mehr als brisante Information enthalten.«

Frauke war bleich geworden und hatte sich auf ihr Bett gesetzt. Zum ersten Mal betrachtete Thorben Weller sie genau und plötzlich wusste er, woran sie ihn erinnerte, und noch etwas wurde ihm schlagartig klar:

»Sie müssen hier weg, und zwar schnell.«

»Aber wo soll ich denn hin? Außerdem habe ich die Wohnung noch für diese Woche bezahlt«, jammerte Frauke.

»Wir werden schon etwas finden. Packen Sie Ihren Kram zusammen. Ich nehme Sie mit.«

Thorben Weller war normalerweise kein Mensch schneller Entschlüsse, fühlte sich aber auf ihm unerklärliche Weise zum Handeln gedrängt. Wie er seine eigenmächtige Vorgehensweise seiner Dienststellenleiterin erklären sollte, musste er sich noch überlegen. Er zumindest hatte keine Lust, schon wieder eine Leiche zu begutachten. Wenig später tauchte er mit Frauke im Schlepptau bei seiner Schwester auf, die etwa drei Kilometer entfernt direkt am Wasser einen kleinen Bungalow besaß.

Mira Wiedemann hatte noch einmal gründlich alle Briefe kontrolliert, die Frauke Thomas ihr zur Verfügung gestellt hatte, auch die Unterlagen der Spurensicherung, alle Protokolle der aussagenden Personen, und die Tatortfotos hatte sie gründlich geprüft. Negativ. Dann ließ sie sich Unterlagen des Unfalls von Fraukes Vater vor zwölf Jahren kommen. Werner Thomas war auf der Autobahn Richtung Bremen aus ungeklärter Ursache ins Schleudern geraten und in die Leitplanken geknallt. Er war sofort tot. Die Untersuchung des Unfallfahrzeugs ergab plötzliches Bremsversagen durch ausgetretene Bremsflüssigkeit. Eine Manipulation an der Bremsleitung konnte nicht eindeutig nachgewiesen werden.

Mira hatte gerade die Möglichkeit in Erwägung gezogen, dass auch dieser Unfall ein Mord sein könnte, als Thorben Weller hereingestürmt kam.

»Ich habe Frau Thomas bei meiner Schwester untergebracht. Irgendjemand hat ein Schriftstück aus ihrem Hotelzimmer gestohlen.«

Er war außer Atem und sein Gesicht war gerötet. Mira warf ihm einen skeptischen Blick zu.

»Halten Sie die junge Frau für so gefährdet?«

Weller, überrascht ernst genommen zu werden, antwortete erleichtert:

»Auf jeden Fall. Ihre Erbschaftsunterlagen, Briefe ihrer Eltern und auch Geld wurden nicht angetastet, nur ein brauner Umschlag ist entwendet worden.«

Mira nickte zustimmend.

»Vielleicht ist es besser, sie verschwindet einige Zeit. Ihr Vater scheint auch keinen normalen Unfall gehabt zu haben. Was enthielt denn der Umschlag?«

Weller zuckte die Schultern.

»Sie sprach von einem Krankenblatt. Sie konnte nichts damit anfangen. Dann kam dieser Friedrich Lust, der vor Kurzem schon bei ihr war, und hat mit ihr einen Strandspaziergang gemacht.«

»Wir müssen ihn dringend vernehmen. Er taucht immer auf, wenn etwas passiert, finden Sie nicht?«

Weller nickte und nach kurzem Überlegen erbot er sich, Lust aufzusuchen.

Das Zimmer im Hause Meier war einfach, aber sauber. Die Familie Meier hatte zwei Kinder im Vorschulalter, die für die vorübergehende Unterbringung von Frauke in das Spielzimmer umgezogen waren. Elke Meier war freundlich und nett und Frauke machte es Spaß, ihr bei der Beaufsichtigung der beiden drei und fünf Jahre alten Jungen zu helfen. Nach dem neuerlichen Vorfall traute sie sich nicht mehr allein hinaus, hier würde weder Friedrich Lust noch sonst jemand sie vermuten. Nach diesem turbulenten Tag hatte sie sich noch einmal die Unterlagen vorgenommen, die sie in Larissas Tresor gefunden hatte. Mittlerweile ging sie davon aus, dass ihre Mutter und ihre Tante Verena mit demselben Mann ein Verhältnis hatten. Warum der Streit der Schwestern auch nach deren Eheschließung weiter anhielt, war für Frauke noch immer ein Rätsel. Die Unterlagen gaben darauf keine Hinweise, außerdem handelte es sich größtenteils um Bankberichte und Investitionsunterlagen, deren Bedeutung sie später mit ihrem Anwalt klären wollte.

Von der Polizei hatte sie erfahren, dass ihr Onkel, Karsten Thilo Bornfeld, regelmäßig mit Larissa brieflichen Kontakt hatte, was ihre Annahme bestätigte, nachdem sie den letzten Brief von Bornfeld in Larissas Wohnung gefunden hatte. Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als diesen Onkel aufzusuchen. Auf Anraten von Kommissar Weller hatte sie ihren Wagen vor der Pension in Hooksiel stehen lassen, für die letzten Urlaubstage beschaffte sie sich einen Leihwagen, was ihr durch das Geld, welches sie in Larissas Wohnung gefunden hatte, nicht schwerfiel. Am nächsten Tag half sie Elke Meier, die Kinder in den Kindergarten zu bringen und fuhr anschließend nach Wilhelmshaven. Zuerst machte sie an einem Friedhof halt. Sie wusste nicht, wo das Grab ihrer Eltern war, aber sie musste es finden. Langsam ging sie zwischen den Gräberreihen hindurch, las Inschrift um Inschrift, aber den Namen ihrer Eltern entdeckte sie nicht.

Fast eine Stunde lief sie zwischen den Gräberreihen hin und her, wurde immer unglücklicher und beschloss dann, erst ihre Verwandten aufzusuchen. Später wollte sie im Einwohnermeldeamt erfragen, auf welchem Friedhof ihre Eltern begraben lagen. Sie war damals erst zwölf Jahre alt gewesen und konnte sich nicht mehr erinnern, wo ihre Mutter beerdigt wurde. Seufzend stieg sie in ihren Wagen und machte sich auf die Suche nach ihrer Tante. Der Polizeibeamte hatte ihr zum Glück die Anschrift gegeben. Das Anwesen lag in einer gepflegten Straße und war durch ein Tor mit Sprechanlage gesichert. Auf ihre Frage nach Herrn Bornfeld wurde ihr vom Hausmädchen mitgeteilt, der Herr befinde sich nicht im Hause, eine weitere Auskunft erhielt sie nicht. Enttäuscht fuhr sie eine Runde um die Siedlung, parkte drei Häuser weiter und hatte Glück. Ein Mercedes kam langsam angerollt, das Tor glitt zur Seite, Frauke startete und fuhr hinterher, allerdings nicht schnell genug, das Tor war schon wieder zu. Verärgert sprang sie aus dem Wagen, klammerte ihre Hände an die Eisenstäbe des Tores und sah einen Herrn aussteigen, der zu ihr hinüber schaute. Er zögerte einen Moment, kam dann mit großen Schritten auf sie zu.

Friedrich Lust hatte sein Fahrrad geputzt und wollte gerade zu seiner üblichen Abendtour aufbrechen, als er Besuch bekam. Sofort erkannte er diesen Grünling von der Kripo, der beim Auffinden der ermordeten Larissa Norton fast in Ohnmacht gefallen wäre.

»Haben Sie den Mörder schon gefunden, Herr Kommissar?«, frotzelte er.

Thorben Weller grinste.

»Ich bin auf dem besten Wege. Wo waren Sie gestern Nachmittag?«

»Wieso? Gibt es schon wieder eine Leiche?«

Weller lachte jetzt laut auf.

»Nicht, dass ich wüsste. Sie haben mir meine Frage nicht beantwortet.«

»Ich war mit Frau Thomas unterwegs.«

»Woher kennen Sie Frau Thomas?«

»Ich habe sie vor zwei Wochen zufällig auf der Straße getroffen, das habe ich Ihrer Kollegin schon gesagt.«

Langsam wurde Lust ärgerlich. Dieser Anwärter auf einen Beamtenposten konnte einem ganz schön auf die Nerven gehen.

»Vorher haben Sie Frau Thomas nie gesehen? Oder ihre Tante?«

»Nein, verdammt noch mal! Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«

»Reine Routine. Ist Ihnen an Frau Thomas etwas aufgefallen?«

Jetzt wurde es Friedrich Lust zu viel.

»Was soll mir aufgefallen sein? Dass sie traurig war, weil ihre Tante ermordet wurde? Das ist doch normal, oder?«

Er drehte sich demonstrativ um und begann, wie wild an seinem Fahrrad herumzuputzen. Weller ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

»Als Sie gestern mit Ihr unterwegs waren, ist Ihnen da etwas aufgefallen?

Hat Sie jemand beobachtet oder verfolgt?«

Lust drehte sich um und schaute erstaunt in dieses rote Gesicht mit den blassen Glupschaugen.

»Nein. Ist Frauke was passiert?«

Weller verneinte und Lust schimpfte.

»Wollen Sie mit mir Ihre Zeit totschlagen, oder was soll die Fragerei?«

Weller zückte ungerührt seinen Notizblock, kritzelte etwas hinein und verabschiedete sich. Friedrich Lust schaute ihm verärgert nach.

Kurz darauf fuhr er mit seinem Fahrrad bei der Pension vor, um Frauke von dem Besuch des Beamten zu erzählen. Ihr Wagen stand draußen, aber auf seine Frage antwortete die Wirtin, sie sei ausgegangen. Weit konnte sie nicht sein, da war er sicher, also fuhr er eine Stunde durch die Gegend und erschien kurz vor Einbruch der Dunkelheit erneut in der Pension. Sie war noch immer nicht zurück, und Lust fuhr nachdenklich heim, ohne zu merken, dass er beobachtet wurde.

Thorben Weller war davon gefahren und hatte seinen Wagen gut einen Kilometer weiter vor einem Imbiss abgestellt. Er hatte Feierabend, aber seine Ermittlungen waren auf einem absoluten Tiefpunkt. Es ärgerte ihn, ohne jedes konkrete Ergebnis am nächsten Tag zum Dienst zu erscheinen. Hauptkommissarin Wiedemann würde kaum begeistert sein. Nachdem er sich gestärkt hatte, machte er sich zu Fuß auf den Weg zu der Pension. Er hatte das Gefühl, etwas übersehen zu haben. In der Einfahrt eines Nachbargebäudes stand eine Bank, die einen guten Blick auf den Eingang der Pension bot, er ließ sich darauf nieder und vertiefte sich in eine Zeitung, die er für alle Fälle eingesteckt hatte. Eine ältere Dame kam vorbei, musterte ihn skeptisch und ging vor sich hin brummelnd davon. Er musste nicht allzu lange warten, Friedrich Lust kam mit seinem Rennrad vorgefahren, verschwand für wenige Minuten in der Pension und fuhr anschließend langsam wieder davon. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erschien er erneut und war abermals recht schnell verschwunden. Weller wollte gerade zu seinem Wagen zurück, als er plötzlich stutzte. Eine Dame mit rötlichen Haaren betrat die Pension. Als sie nach einer Stunde noch immer nicht zurück war, ging er hinüber und erkundigte sich an der Rezeption.

»Sie meinen sicher die Mutter von Frau Thomas«, erklärte die Wirtin lächelnd, »sie wollte deren restliche Sachen holen.«

Weller wusste, dass Frauke alle ihre Sachen mitgenommen hatte, und forschte weiter:

»Ist die Dame noch in Frau Thomas Zimmer?«

»Ich glaube, ja.«

Weller ging hinauf und fand das Zimmer wie erwartet. Alle Schubläden und Schranktüren waren geöffnet, aber von der Rothaarigen keine Spur.

»Sie können das Zimmer jetzt aufräumen und neu vermieten«, erklärte Weller kurz darauf der sprachlosen Wirtin. »Frau Thomas Mutter ist übrigens seit zwölf Jahren tot.«

Nach der Beschreibung, die ihm die Wirtin gab, handelte es sich wahrscheinlich um Verena Bornfeld. Weller notierte sich Uhrzeit und Beschreibung und machte sich gefrustet auf den Heimweg. Am nächsten Morgen wurde er, wie erwartet, von seiner Vorgesetzten mit säuerlicher Miene empfangen.

»Es ist neun Uhr! Wo haben Sie die ganze Zeit gesteckt? Ich habe x- mal angerufen, Ihr Handy war ausgeschaltet!«

»Ich habe Friedrich Lust vernommen und später die Wirtin der Pension, in der die Thomas gewohnt hat. War übrigens ganz interessant, eine rothaarige Dame...« Hier wurde er von Mira Wiedemann grob unterbrochen.

»Sparen Sie sich den Rest. Ihre Schwester hat angerufen, Frauke Thomas ist verschwunden.«

»Was? Davon weiß ich doch gar nichts!«, erregte sich Weller.

»Weil Sie in der Welt herumgondeln ohne Plan.«

»Ich hatte Feierabend«, knurrte Weller trotzig. Da hatte er sich den ganzen Abend um die Ohren geschlagen, die Pension beobachtet und nun wollte seine Kollegin nicht einmal hören, was er ermittelt hatte.

»Egal, Sie sollten sich bei mir melden. Lassen Sie demnächst Ihr Handy an!«, fauchte Mira und fuhr fort: »Nun machen Sie sich auf die Socken, und wir fahren zu diesen Bornfelds.«

»Frau Bornfeld war gestern in der Pension.«

Mira schaute Weller ungläubig an.

»Wieso? Ich verstehe nicht!«

Thorben Weller winkte ab.

»Vergessen Sie‘s!«

Mira sprang auf und schnappte sich ihre Jacke.

»Kommen Sie, und auf dem Weg berichten Sie mir von gestern Abend.«

Die Tür fiel ins Schloss, der Schlüssel drehte sich hörbar und Frauke fand sich in einem riesigen Zimmer wieder. Empört donnerte sie mit den Fäusten gegen die Tür, keine Reaktion. Wütend stampfte sie mit dem Fuß auf und ließ sich wenig später erschöpft in einen Sessel fallen. Erst jetzt sah sie sich im Zimmer um. Es war mit hellen Buchenmöbeln ausgestattet, in der hinteren Ecke stand ein Bett.

Angst überkam sie, verdrängte die Wut, mit klopfendem Herzen stand sie auf und sah durch die hohen, langen Fenster in den parkähnlichen Garten hinunter.

‚Ich will hier raus‘, dachte sie und versuchte einen der Fensterflügel zu öffnen, was ihr auch gelang.

Frische Luft drang herein, aber als sie sich hinausbeugte, stellte sie fest, dass sie sich mindestens im dritten Stock befand und ein Hinunterklettern unmöglich war. Seufzend ging sie weiter bis zu der Tür am anderen Ende. Sie führte in ein luxuriöses Bad, in dem es an nichts fehlte. Sie benutzte die Toilette, warf einen Blick in den Spiegel und überlegte, was zu tun sei.

Ihr Onkel, Herr Bornfeld, hatte sie freundlich empfangen, aber darauf bestanden, dass sie den Wagen weit entfernt vom Haus vor einem Kaufhaus abstellte. Schon dabei hätte ihr ein Licht aufgehen müssen, aber sie war so beeindruckt von dem Mann mit den dichten, blonden Haaren und den freundlichen, grauen Augen, dass sie alle Vorsicht vergessen hatte. Wieder im Haus zurück, war er nach einem kurzen Gespräch in der Eingangshalle mit ihr in den Fahrstuhl gestiegen und hatte sie gebeten, in diesem Zimmer auf ihn zu warten. Erst das Geräusch des Schlüssels brachte sie wieder auf den Boden der Tatsachen. Was zum Donnerwetter wollte der Typ von ihr? Würde er sie umbringen, wie ihre Tante? Sie lief aus dem Bad wieder in das Zimmer zurück und donnerte erneut an die Tür bis ihre Fäuste blaue Flecken hatten, nichts rührte sich. Dann ging sie ans Fenster und schrie hinaus:

»Hilfe! Hilfe!«

Keine Reaktion.

Mira Wiedemann jagte über die Straße, dass es Thorben Weller ganz schwindelig wurde.

»Müssen Sie so rasen? Wir sind in der Innenstadt.«

Mira beachtete seinen Einwurf nicht, fuhr unbeirrt weiter und hielt kurz darauf mit quietschenden Reifen vor dem Tor der Bornfelds. Sie sprang aus dem Wagen und bellte in die Sprechanlage, dass es jeden rechtschaffenen Bürger kalt überlaufen musste, was seine Wirkung nicht verfehlte. Das Tor öffnete sich augenblicklich, Mira schwang sich wieder hinter das Steuer und fuhr grinsend, als habe sie eine Schlacht gewonnen, hindurch. Der Hausherr erwartete sie bereits am Eingang, elegant wie zuvor, und begrüßte sie lächelnd.

»Frau Hauptkommissarin, was kann ich für Sie tun?«

»Wo ist Frauke Thomas?«

Herr Bornfeld wollte gerade zu einer Entgegnung ansetzen, als aus dem Haus eine empörte Stimme erklang und Sekunden später Verena Bornfeld an der Haustür erschien.

»Verschwinden Sie von unserem Grundstück!«, schnauzte sie, doch ihr Mann beschwichtigte sie mit sanften Worten.

»Die Herrschaften sind von der Polizei, Liebes. Sie suchen unsere Nichte, Frauke Thomas.«

So den Wind aus den Segeln genommen, schluckte Verena einmal kräftig und meinte noch immer leicht empört:

»Da kommen Sie zu uns! Ich habe sie seit Jahren nicht gesehen.«

»Falsch!«, fuhr Weller dazwischen.

»Frau Thomas behauptet Sie in den Dünen am Strand gesehen zu haben.« Schnippisch zuckte Verena mit den Schultern.

»In den Dünen? Ich war seit Jahren nicht dort. Das kann nur ein Irrtum sein.«

Sie schaute von einem zum anderen, nickte ihrem Mann zu und verschwand mit schnellen Schritten im Haus. Bornfeld malte ein undefinierbares Bild mit der Schuhspitze in den Kies, zuckte mit den Schultern und seufzte:

»Wir können Ihnen leider nicht weiterhelfen.«

Ohne sich weiter um die Beamten zu kümmern, ging auch er hinein und warf die Tür hinter sich zu.

»Eine Unverschämtheit ist das!«, schnaubte Mira.

Weller stieg ohne ein Wort in den Wagen; nach kurzem Zögern tat sie desgleichen und fuhr langsam davon. Kaum im Wagen piepte Wellers Handy. Seine Schwester war am Apparat und erklärte aufgeregt, sie habe den Leihwagen von Frau Thomas vor einem Einkaufsmarkt gesehen. Wenig später standen die Beamten etwas ratlos vor dem Fahrzeug. Mira Wiedemann beäugte es von allen Seiten und informierte die Spurensicherung sowie den Autovermieter.

Sie war fest eingeschlafen, ein leises Geräusch an der Tür ließ sie erschreckt auffahren und augenblicklich wusste sie wieder, wo sie sich befand. Unhörbar setzte sie sich auf und starrte in den Raum. Es war dunkel, das Fenster zeichnete sich schwach vom Weiß der Wand ab.

Nur wenige Sekunden und ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Ein Schatten bewegte sich auf sie zu, instinktiv rollte sie sich zur Seite. Eine Taschenlampe flammte auf, irritiert blickte sie in den hellen Lichtkegel.

»Komm«, flüsterte der Mann, »schnell.«

Er schärfte ihr ein, leise zu sein, zog sie an der Hand zur Tür. Sie wich zurück, griff ihre Tasche, die sie neben sich aufs Bett gelegt hatte, und folgte ihm hinaus. Diesmal nahmen sie nicht den Fahrstuhl, sondern die Treppe. Fast geräuschlos glitten sie hinunter. Erst als er die schwere Haustür sanft hinter sich ins Schloss zog, atmete er auf und flüsterte:

»Ich bringe dich zu mir.«

Jetzt erst erkannte sie Friedrich Lust und blieb erstaunt stehen.

»Wie kommst du denn hierher?«

Ohne ihre Frage zu beantworten, griff er ihren Arm und raunte:

»Die Gefahr ist noch nicht vorüber.«

In diesem Moment ertönte ein Alarm. Ohne sie loszulassen, rannte er durch das Gebüsch bis zu der hohen Mauer, fasste ein Seil und kommandierte.

»Da hoch, schnell.«

Überall gingen Scheinwerfer an und tauchten den Garten in helles Licht. Sie wurden nur durch ein Gebüsch geschützt. Frauke zögerte eine Sekunde, krallte dann ihre Hände in das Seil und schwang sich mit Frieds Hilfe auf die Mauer. Er folgte ihr, und kaum waren beide oben, knallten Schüsse durch das Gebüsch. Ohne nachzudenken rutschten sie an der anderen Seite der Mauer hinunter auf die Straße. Fraukes Hände bluteten, ihre Hose hatte einen Riss, doch Fried zog sie mitleidslos weiter an einem Wagen vorbei in die nächste Seitenstraße. Jetzt erklang Hundegebell, noch im selben Moment hielt Fried ihr die Tür seines Wagens auf, und kaum eingestiegen, fuhr er mit quietschenden Reifen davon. Im Rückspiegel sah er, wie ein schwarzer Hund wild kläffend am Tor der Bornfelds emporsprang. Frauke hatte sich tief in den Beifahrersitz geduckt und schluchzte leise vor sich hin.

»Ist doch gut gegangen«, beruhigte er sie.

»Wie hast du mich gefunden?«

Er antwortete nicht und konzentrierte sich ganz auf den Straßenverkehr. Eine Stunde lang fuhren sie durch die Nacht, dann hielt er an einem kleinen Holzhaus. Beim Aussteigen hörte Frauke das Meer rauschen und sah, wie das Mondlicht die See in silbriges Licht tauchte.

»Wo sind wir hier?«, flüsterte sie.

»In Sicherheit.«

Er öffnete eine Holztür und machte Licht. Sie befanden sich in einem kleinen Wohnraum und Frauke betrachtete die liebevoll zusammengestellten Möbel aus hellem Holz.

»Möchtest du etwas essen?«

Sie schüttelte den Kopf. Er holte zwei Flaschen Bier, schüttete ihr ein Glas ein und trank selbst aus der Flasche.

»Ich kann auch aus der Flasche trinken. Meine Freunde haben bei unseren Partys draußen immer aus der Flasche getrunken.«

Sie lächelte ihn an. Ein dunkles, dankbares Lächeln. Nachdem sie beide den Durst gelöscht hatten, zeigte er ihr das Schlafzimmer. Sie zögerte.

»Wo schläfst du?«

»Im Wohnzimmer, auf der Couch.«

In einer plötzlichen Eingebung legte sie ihm die Hände in den Nacken, zog seinen Kopf zu sich heran und küsste ihn. Ein kühler Schauer fuhr durch seine Glieder, er fasste um ihre Taille und erwiderte den Kuss, dass es ihr den Atem nahm. Frauke ließ ihn gewähren, drängte sich an ihn. Seine Nähe, seine Wärme, sie brauchte das jetzt. Langsam mit zitternden Fingern fuhr sie unter sein T-Shirt.

Der Mond schien durch die Sprossenfenster auf das Bett und die beiden jungen Menschen vergaßen alles um sich herum.

Der Anrufbeantworter blinkte, als Mira Wiedemann gähnend ins Büro kam.

»Frauke Thomas ist in Sicherheit!«

Mehr war auf dem Band nicht drauf. Fluchend steckte Mira sich eine Zigarette an und warf sie gleich wieder in den Ascher. Der Arzt hatte ihr dringend geraten, sich das Rauchen abzugewöhnen. Momentan fiel es ihr besonders schwer. Vor sich hin brummelnd sank sie in ihren Drehstuhl und wählte die Nummer ihres Assistenten. Thorben Weller meldete sich verschlafen, war aber sofort hellwach, als sie ihn mit den neuesten Ereignissen konfrontierte und stand kaum eine halbe Stunde später vor ihrem Schreibtisch.

»Wer hat die Info abgegeben«, erkundigte er sich aufgeregt.

»Kein Name angegeben. Ich denke, das ist eine schöne Aufgabe für Sie.«

Weller, der sich persönlich für Frauke Thomas verantwortlich fühlte, seit er sie bei seiner Schwester untergebracht hatte, machte sich gleich an die Arbeit, und schon nach einer Stunde hatte er den Sprecher ermittelt.

»Die Handynummer gehört zu Friedrich Lust. Er muss die Thomas entführt haben.«

»Konnten Sie feststellen, von wo er angerufen hat?«

Weller schüttelte den Kopf.

»Trotzdem bin ich sicher, dass wir sie bald finden, denn Lust besitzt ein Wochenendhaus im Vogelschutzgebiet.«

»Ach.« Mira staunte nicht schlecht. »Woher wissen Sie das?«

»Alte Geschichte. Stand vor zwei, drei Jahren in der Zeitung. Er hatte das Grundstück geerbt und man wollte die Hütte abbrechen lassen, er hat sich gerichtlich dagegen gewehrt und Recht bekommen.«

Mira schüttelte den Kopf.

»Manche kriegen einfach alles hin.«

Thorben winkte ab.

»Er hat, so viel ich weiß, strenge Auflagen bekommen. Keine Partys, keine laute Musik und keinerlei Störung der Vögel während der Brutzeit.«

»Interessant! Das haben Sie herausbekommen?«

Mira steckte sich erneut eine Zigarette an, was Thorben mit einem empörten Blick registrierte.

»Ich bin im Naturschutzbund, außerdem habe ich ihn vor Kurzem gefragt.«

»Na, denn fahren Sie mal hinaus, um zu sehen, ob das Vögelchen dort ist.«

»Und ob ich das tue. Dann will ich wissen, welches Interesse er an der Puppe hat.«

Mira lächelte.

»Sie haben doch nicht etwa auch ein Auge auf sie geworfen?«

»Blödsinn!«

Sie hätte ihm geglaubt, wäre da nicht dieser rote Schimmer gewesen, der sein Gesicht augenblicklich überzog. Noch als er fort war, musste sie lächeln, rief sich aber sogleich zur Ordnung und befasste sich mit dem Verkehrsunfall, der schon über zehn Jahre zurücklag.

Es war nur eine Vermutung, die sich nach dem Durcharbeiten der Unterlagen nach wie vor bei ihr hielt. Der Vater von Frauke Thomas war bei dem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, weil eine defekte Benzinleitung Feuer gefangen hatte. Es handelte sich um einen Neuwagen, vierzehn Tage nach Übergabe, für den Sachverständigen völlig unverständlich, da die Leitung eingerissen und nicht eingeschnitten war. Da aber für einen Anschlag keinerlei Hinweise vorlagen, ging man von einem bedauerlichen Unfall durch Materialschwäche aus. Mira war fast sicher, dass jemand nachgeholfen hatte, aber beweisen konnte sie es nicht. Plötzlich stieß sie auf eine Randnotiz ihres Vorgängers, Hauptkommissar Franz, der vor sieben Jahren in den Ruhestand gegangen war.

»Warum reißt ein nagelneuer Schlauch?«, war an den Rand gekritzelt worden. Mira überlegte einen Moment, kopierte die Seite und verließ mit eiligen Schritten das Büro.

Larissas Geheimnis

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