Читать книгу Fürstenkinder 5 – Adelsroman - Gloria Rosen - Страница 3

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Grußlos und ohne vorher anzuklopfen, stürmte Hella Gerke in Arne Brunslys Zimmer. Sie baute sich kriegerisch vor ihm auf und blitzte ihn zornig an. »Ich bekomme ein Kind. Das hat mir gerade noch gefehlt.«

Arne lag auf dem Sofa, um sich noch ein bißchen auszuruhen. Er war Kellner und für die heutige Spätschicht eingeteilt.

Er blinzelte zunächst verständnislos zu der rothaarigen Hella Gerke auf. Dann fragte er gedehnt: »Du bekommst was?«

»Ein Kind. Tu nur nicht so, als könntest du das nicht begreifen. Du hast mich doch in diese schreckliche Situation gebracht«, brauste sie auf. »Hoffentlich hast du wenigstens etwas gespart, damit wir das wieder wegmachen können.«

Mit einem Satz sprang Arne Brunsly in die Höhe. Er packte Hella bei den Schultern und schüttelte sie.

Jäh huschte ein herzliches Lächeln über sein Gesicht. Ein verklärter Glanz trat in seine Augen. »Wir bekommen ein Kind! Das habe ich mir schon immer gewünscht. Natürlich werden wir so schnell wie möglich heiraten. Wir werden eine richtige Familie sein. Nun liebe ich dich noch mehr als bisher, Liebling.«

Er trat vor sie hin und wollte nach ihren Händen greifen, doch sie schlug nach ihm. Ein böses Funkeln lag in ihren Augen. »Ich will dich aber nicht heiraten. Und noch weniger will ich das Kind.«

»Hör auf«, fuhr er sie erregt an. »Du bist ja von Sinnen und weißt nicht mehr, was du sagst.«

»Weil du ein Brett vor dem Kopf hast«, fauchte sie. Dann lachte sie schrill auf. »Mich und heiraten! Was hast du mir denn schon zu bieten? Das armselige Leben einer Kellnersfrau. Du hast nichts, bist nichts und wirst meistens bis weit nach Mitternacht arbeiten müssen. Glaubst du im Ernst, ich würde Hausmütterchen – und Kindermädchen spielen und darauf warten, bis du heimkommst? Dann verlangst du womöglich noch, daß ich dir die Pantoffeln bringe und dich wie eine Sklavin bediene. Dazu habe ich noch einen Schreibalg am Hals. Und was erwartet mich als Lohn?«

Ihre Stimme triefte vor Hohn. »Ein kümmerliches Haushaltsgeld, das vorn und hinten nicht ausreicht. Jede Mark muß ich dreimal umdrehen, bevor ich sie ausgebe. Und am Sonntag wird das Fleisch auf dem Tisch fehlen, weil ich das Geld für den Friseur brauche, um nicht wie eine Vogelscheuche herumzulaufen.«

Sie war nicht abzubremsen im Aufzählen aller Nachteile, die sie als Arnes Frau erwartete.

Betroffen betrachtete Arne sie. Dann versuchte er jedoch, ihre Stimmung aufzuhellen. Er sprach davon, daß er nicht immer Kellner blieb. Eines Tages würde er Oberkellner sein. Er besaß Kraft, Mut und Zähigkeit, um sich emporzuarbeiten.

»Das sind doch alles nur Hirngespinste«, zischte sie. »Du bist doch nur ein mittelmäßiger Kellner und wirst es kaum bis zum Ober schaffen. Darauf verlasse ich mich nicht. Da suche ich mir lieber gleich einen reichen Mann, der mir ein Leben in Luxus bieten kann. Allerdings muß ich dazu erst mal das unliebsame Anhängsel loswerden. Und dazu wirst du mir verhelfen, denn du hast mir diese Suppe eingebrockt.«

Arne Brunslys Gesicht wurde tieftraurig. Er öffnete den Mund, wollte etwas sagen, aber er schloß ihn wieder.

Unbarmherzig erkundigte sich Hella nach seinen Ersparnissen. Vermutlich mußte sie ins Ausland, um die Schwangerschaft unterbrechen zu lassen. »Du wirst für alle Kosten aufkommen.«

Arnes Schultern strafften sich. »Du wirst unser Kind bekommen. Ich bestehe darauf. Und solltest du einen Trick anwenden, es loszuwerden, zeige ich dich an. Damit wir uns gleich richtig verstehen. Es ist auch mein Kind. Ich werde deine Eltern aufsuchen, um ihnen in deiner Gegenwart zu erklären, daß ich dich sofort heirate.«

Hella stampfte wütend mit dem Fuß auf. »Aber ich heirate dich nicht. Ich will keinen armen Schlucker zum Mann.«

»Wer sagt denn, daß ich nicht eines Tages reich sein werde?« Er griff blitzschnell nach ihren Händen und hielt sie mit hartem Druck umklammert. »Hella, komm doch zur Vernunft. Wir lieben uns doch. Sonst könntest du ja nicht unser Kind erwarten.«

Sie riß sich heftig von ihm los. Ihre Mundwinkel bogen sich verächtlich nach unten. »Irrtum, ich liebe dich nicht, habe mich nur mit dir amüsiert. Du bist ein leidenschaftlicher Liebhaber und hast mich ungemein gereizt. Aber so was wie dich heiratet man nicht. Bei meinem Zukünftigen muß in erster Linie das Bankkonto stimmen. Du solltest es auch so halten und dir eine reiche Frau suchen. Zwischen uns beiden läuft jedenfalls ab sofort nichts mehr.«

Sie drehte sich auf dem Absatz herum. An der Tür wandte sie sich ihm noch einmal zu. Du wirst mich nicht daran hindern, das zu tun, was ich für richtig halte. Schließlich bin ich es, die unter einer Schwangerschaft zu leiden hat und nicht du. Adieu.«

Krachend fiel die Tür hinter ihr ins Schloß.

*

Der fünfundzwanzigjährige Arne Brunsly stand noch eine ganze Weile wie zur Salzsäule erstarrt. Er konnte es einfach nicht fassen, daß es seine geliebte Hella gewesen war, die sich soeben völlig verdreht aufgeführt hatte. War sie wirklich so herzlos? Oder hatte die Neuigkeit über den Nachwuchs sie dermaßen durcheinandergebracht?

Am liebsten wäre er ihr nachgestürzt, doch er wollte nichts übereilen, sondern in Ruhe über alles nachdenken. Außerdem mußte er erst einmal Herr seiner widersprüchlichen Gedanken und Gefühle werden. Wie gern hätte er sich vorbehaltlos darüber gefreut, Vaterfreuden entgegenzusehen. Aber daran hinderte ihn die maßlose Enttäuschung über Hella. Mit ihren zweiundzwanzig Jahren war sie doch kein Kind mehr. Warum freute sie sich nicht auf ihre Mutterrolle?

Der unbändige Wunsch stieg in ihm auf, sich mit seiner Mutter über alles zu unterhalten. Schade, daß seine heutigen Freistunden begrenzt waren, sonst wäre er sofort zu ihr gefahren. So mußte er sich mit einem Telefonanruf begnügen.

Man merkte Frau Brunsly die Betroffenheit an, als sie sich dazu äußerte: »Das ist eine schwerwiegende Sache, die gut überlegt sein will. Wir müßten uns mal in aller Ruhe darüber unterhalten. Diese Hella verhält sich in der Tat sehr eigenartig. Jede Frau freut sich, wenn sie erfährt, daß sie ein Kind bekommt. Fast jede«, verbesserte sie sich. »Denn wenn eine junge Frau nicht vom Kindesvater geheiratet wird, ist das allerdings fatal für sie. Ein guter Ruf ist rasch ruiniert. Da kann man schon verstehen, wenn sie verzweifelt nach einem Ausweg sucht. Aber das trifft doch auf Hella nicht zu, denn du willst sie ja heiraten. Am besten, wir arrangieren die Hochzeit so bald wie möglich.«

»Das geht nicht«, sagte Arne hastig. »Abgesehen davon, daß sie mich nicht heiraten will, soll sie vorerst auch nicht erfahren, daß ich vermögende Eltern habe. Ich möchte um meiner selbst willen geliebt werden. Sie hält mich bislang nämlich für einen mittellosen Kellner.«

»Bravo, mein Sohn. Damit sprichst du mir ganz aus dem Herzen. Wenn es ihr so wichtig erscheint, was du bist und was du hast, ist sie deiner vermutlich nicht wert.«

Sie gab ihm dann den eindringlichen Rat: »Führe eine Aussprache mit Hella herbei und mach ihr klar, um wieviel kostbarer Liebe und Verständnis sind als Geld und Gut und Luxus. Wir sprechen noch darüber, wenn du an deinem nächsten freien Tag zu uns kommst. Ich wünsche dir, daß es dir bis dahin gelungen ist, Hella ihr Jawort abzuringen. Vater und ich würden sie gern bald kennenlernen. Aber bitte überstürze nichts.«

»Ich werde besonnen bleiben, obwohl mein Inneres reichlich aufgewühlt ist.«

Frau Brunsly redete noch eine Weile beruhigend auf ihn ein und beendete dann das Gespräch.

Arne lehnte sich auf dem Stuhl zurück und spielte gedankenverloren mit dem Telefonkabel. Er wußte, daß es die einfachste Sache von der Welt gewesen wäre, vor Hella hinzutreten und ihr zu gestehen, daß sein Vater ein renommiertes Hotel führte. Er würde später der Erbe sein.

Zu dieser Erklärung konnte er sich jedoch nicht durchringen, denn ihre Worte hatten sich wie Stacheln in seinem Herzen festgesetzt, daß sie ihn nicht liebte, weil er nur ein kleiner Kellner war. Sie traute ihm ja nicht einmal zu, daß er es zum Ober schaffen würde. Wäre sie ehrlich gewesen, hätte sie anerkennen müssen, wie tüchtig er in seinem Beruf war. Aber sie legte es förmlich darauf an, ihn zu verletzen. Demnach war sie furchtbar wütend auf ihn. In Rage sagte man oft unüberlegte Worte.

Womöglich tat es Hella schon wieder leid, ihn so behandelt zu haben, nachdem ihr maßloser Zorn verraucht war. Zu berücksichtigen blieb auch ihr Ehrgeiz, etwas Eigenes, etwas Großes auf die Beine zu stellen, um ihre Tüchtigkeit zu beweisen. Sie hatte doch stets so begeisterte Pläne für die Zukunft geschmiedet.

Durch das Kind wurde ihr nunmehr ein Strich durch die Rechnung gemacht, was sie so schnell wohl nicht verkraften konnte. Deshalb nahm Arne sich vor, ihr behutsam zu helfen, wieder zu sich selbst zurückzufinden. Sobald sie ihm wieder ihre Liebe bewies und sich vorbehaltlos auf ihr gemeinsames Kind freute, wollte er sie mit zu seinen Eltern nehmen. Sie würde staunen, welches Leben sie an seiner Seite erwartete. Dann konnten sie ihr großes Glück von ganzem Herzen genießen.

Arne mußte sich zusammenreißen, um später seine Arbeit als Kellner ordentlich zu versehen. Noch nie zuvor hatte er jedoch den Feierabend so sehr herbeigesehnt wie heute.

Endlich befand er sich in seinem Zimmer. Sein Blick glitt als erstes auf den Boden, ob dort ein Zettel lag. Hella steckte mitunter ein Stück Papier mit ein paar lieben Worten unter der Tür durch, worüber er sich maßlos freute. Heute war das leider nicht der Fall.

Arne war jedoch zu müde, um sich darüber zu ärgern. Er gähnte und kleidete sich aus. Bevor er sich ins Bett legte, vergewisserte er sich, daß er die Zimmertür nicht abgeschlossen hatte.

So konnte Hella jederzeit hereinkommen, falls die Reue sie zu ihm trieb.

Als Arne am Nachmittag erwachte, entdeckte er auf den ersten Blick, daß Hella nicht gekommen war. Fiel es ihr denn wirklich so schwer, ihn um Verzeihung zu bitten? Dann wollte er ihr auf halbem Wege entgegenkommen.

Arne ging vorzeitig ins Restaurant »Blaue Grotte« hinunter, wo Hella als Serviererin arbeitete. Auch er half dort mitunter.

Er schielte durch die Tür, sah aber nicht Hella, sondern eine Kollegin bei der Arbeit. Kurz entschlossen ging er in den kleinen Raum hinter den Gastraum und fing die Serviererin dort ab. Als er sich nach Hella erkundigte, erfuhr er, daß sie krank sei und einige Tage zu Hause bleiben müsse.

»Bis dahin werde ich sie vertreten. Wenn dir freilich so viel daran liegt, sie zu sehen, besuch sie doch«, ermunterte sie ihn.

»Ist nicht so wichtig. Ich habe ihre Adresse auch nicht.«

»Aber ich. Moment, ich schreibe sie dir auf.« Sie kritzelte hastig etwas auf ein Stück Papier und reichte es ihm.

Arne bedankte sich und verschwand. Am liebsten wäre er sofort zu Hella gefahren, doch ein Blick auf die Uhr belehrte ihn, daß er bald seine Arbeit in der Bar versehen mußte. So verschob er den Besuch auf den nächsten Tag, an dem er dann frei hatte.

Arne fiel aus allen Wolken, als ihm auf sein Klingeln eine ältere Frau öffnete und auf seine Frage nach der kranken Hella erklärte, er müsse sich irren, denn sie sei kerngesund ausgegangen.

»Aber man hat mir doch gesagt, sie habe schlecht ausgesehen und müsse sich für einige Tage zu Hause auskurieren.« Er machte ein ziemlich betretenes Gesicht, als er zögernd hinzufügte: »Hella und ich sind nicht nur Arbeitskollegen, sondern auch sehr gute Freunde. Leider haben wir uns gestritten. Ich bin gekommen, um mich mit ihr auszusöhnen.«

Da bat ihn die Dame herzlich näher zu treten. »Bis meine Tochter zurückkehrt, können wir uns doch unterhalten. Ich lade Sie zu einer Tasse Kaffee ein. Gerade habe ich welchen aufgebrüht, und in Gesellschaft schmeckt es stets am besten.«

Frau Gerke hatte zufällig Kuchen gebacken. Arne ließ sich nicht lange bitten, zuzugreifen. Die gütige Art seiner Gastgeberin nahm ihm rasch seine Befangenheit. Er taute immer mehr auf und sprach sich unversehens alles von der Seele, was ihn hinsichtlich Hellas bedrückte.

Danach herrschte eine ganze Weile Schweigen. Bis sich von Frau Gerkes Lippen ein zitternder Schrei löste. »Ich werde Großmutter. Es ist einfach unfaßbar.« Sie strahlte den jungen Mann an. »Glauben Sie mir, in stillen Stunden habe ich oft darüber nachgedacht, wie es wohl sein wird, wenn wieder neues Leben in unserem Haus erblüht. Ein Enkelkind wird mir ein bißchen die verschwundene Jugend zurückgeben. Auf die freudige Botschaft, die Sie mir soeben überbracht haben, müssen wir unbedingt ein Gläschen Wein trinken.«

Frau Gerke ließ sich in ihrer überschäumenden Freude einfach nicht bremsen, und als sie Arne Brunsly zuprostete, bekannte sie ihm offen: »Sie gefallen mir, junger Mann. Darf ich Sie schon jetzt beim Vornamen nennen? Sie und Hella werden ja ohnehin so rasch wie möglich heiraten. Wie heißen Sie doch gleich? Ihr Name ist mir wieder entfallen.«

»Ich heiße Arne Brunsly.« Er sah Frau Gerke bekümmert an. »Vermutlich haben Sie in Ihrer Freude, ein Enkelkind zu bekommen, gar nicht erfaßt, daß Hella sich weigert, meine Frau zu werden, und ihr Kind auch nicht haben will.«

Die gütige Frau lächelte. »Ach, wissen Sie, Arne, das müssen Sie nicht so wörtlich nehmen. Manchmal kommt mir Hella noch so unreif vor wie ein Teenager. Sie ist ja fast selbst noch ein Kind und soll nun eins bekommen. Als Hella geboren wurde, war ich immerhin schon dreißig Jahre alt.«

Sie ließ einen leichten Seufzer hören. »Hella gehört leider zu den eitlen Frauen, die um ihre Schönheit und vor allem um die schlanke Figur fürchten, sobald ein Kind unterwegs ist. Da malen sie sich irrtümlicherweise aus, daß sie nach der Geburt dick und unansehnlich werden.« Sie beugte sich vor und tätschelte beruhigend Arnes auf den Kien liegende Hände.

»Seien Sie unbesorgt. Das kriegen wir schon hin. Hella wird ganz anders denken, sobald ich mit ihr gesprochen und ihr ihre unbegründete Sorge genommen habe.«

Es gelang Frau Gerke jedenfalls, daß Arne wieder zuversichtlicher in die Zukunft schaute. Und deshalb zeigte er sich auch nur zu gern einverstanden, die warmherzige Frau bereits Mutter zu nennen und zu duzen. Er hegte keinerlei Zweifel mehr daran, daß Hella ihm bald voller Glück und Liebe in die Arme sinken würde, so daß sie den Hochzeitstermin festlegen konnten.

*

Hella nagte mißmutig an der Unterlippe, als sie von ihrem Frauenarzt erfuhr, daß keinerlei Anlaß zur Schwangerschaftsunterbrechung bestehe. Bei ihr lagen weder sozialer Notfall noch Gefährdung ihrer Gesundheit oder des werdenden Kindes vor, so daß ihr Begehren von amtlicher Seite mit hundertprozentiger Sicherheit abgelehnt werden würde.

Der Arzt sah es deshalb als seine Pflicht an, Hella eindringlich ins Gewissen zu reden, ihr Kind auszutragen und sich auf ihre Mutterrolle vorzubereiten und zu freuen. Gleichzeitig warnte er sie jedoch davor, noch etwas in dieser Hinsicht zu unternehmen und womöglich einen heimlichen Schwangerschaftsabbruch zu riskieren. Er war von ihrem Zustand informiert und würde das später bei einer Befragung von behördlicher Seite nicht leugnen können.

Hella kochte innerlich vor Wut über den Ausgang dieses Gespräches, das sie sich so ganz anders vorgestellt hatte. Bevor sich ihr Wutausbruch entlud, verließ sie fluchtartig die Arztpraxis und lief ziellos durch die Straßen. Bis sich der Gedanke, Hilfe im Ausland für ihr Problem zu suchen, in ihrem Kopf festsetzte und sie zur Ruhe kommen ließ.

Zunächst verspürte sie einen großen Hunger. Am besten, sie fuhr erstmal heim und aß etwas, bevor sie sich ihre weiteren Schritte überlegte.

Kaum war sie jedoch zu Hause, als die Mutter sie freudestrahlend und herzlich in die Arme schloß. »Hella, mein Kind, du ahnst ja nicht, wie glücklich ich bin, daß du mich bald zur Oma machen wirst. Ein Enkelkind wird meinem Leben wieder einen beglückenden Inhalt geben. Ich hoffe ja, daß ihr es mir anvertrauen werdet.« Sie schob ihre Tochter ein wenig von sich und drohte ihr scherzhaft mit dem Finger. »Eigentlich müßte ich dir ja böse sein, weil du es mir nicht gesagt hast.«

Hellas Augen blickten finster drein. »Und woher weißt du es?«

»Von Arne«, erklärte die Mutter. Sie wirkte plötzlich wie aufgezogen, als sie davon sprach, wie sympathisch ihr der junge Mann auf den ersten Blick gewesen sei und sie bereits einen lieben Sohn in ihm sehe. Am Abend würde man alles mit Hellas Vater besprechen, denn die oberen Räume im Haus mußten für das junge Paar renoviert werden. »Natürlich heiratet ihr in vier Wochen.«

»Nein«, sagte Hella unmißverständlich. »Ich werde weder Arne heiraten, noch mein Kind austragen. Weil ich es nicht will, denn es zerstört mir alle meine Zukunftspläne. Ich möchte beruflich vorwärtskommen und nicht auf diesem armseligen Niveau stehenbleiben.«

Vergeblich versuchte Frau Gerke ihre Tochter umzustimmen. Sie blieb bei ihrem Vorsatz und zog sich in ihr Zimmer zurück. Dort grübelte sie darüber nach, welche Adresse sie im Ausland anschreiben konnte. Leider wußte sie keine. Woher sollte sie die richtige nur erfahren?

Am Abend mußte sie sich dann von ihrem unerbittlichen Vater belehren lassen, daß die Eltern darauf bestanden, daß sie ihr Kind zur Welt brachte. Ebenso wie Arne drohte ihr auch der Vater recht unmißverständlich, notfalls Schritte gegen sie einzuleiten, falls sie das werdende Leben in sich zu zerstören trachtete.

Hella, gewohnt, daß die Eltern stets nachsichtig waren und ihr möglichst jeden Wunsch erfüllten, war wie vor den Kopf geschlagen. Sie zog alle Register, um letztlich ihren Willen durchzusetzen, doch sie biß bei dem Vater auf Granit. Das brachte sie zur Weißglut. Sie verschwand schnell in ihrem Zimmer, um nicht noch ausfallend zu werden. Dadurch würde sie erst recht nichts erreichen. Noch hoffte sie, die Eltern umstimmen zu können, damit sie sie bei ihrem Vorhaben unterstützten.

Als sie am nächsten Morgen einen schmeichelhaften Versuch bei ihrer Mutter unternahm, mußte sie indessen bitter erfahren, da sie in dieser Sache keinen Pardon kannte. Sie war einer Meinung mit ihrem Mann und bedrängte Hella, lieber einen baldigen Hochzeitstermin mit Arne auszumachen. Ihr Vater wollte sich heute noch darum kümmern, daß die Handwerker die Wohnung oben im Haus renovierten.

Hella kochte innerlich vor Wut, bezwang sich aber. Irgendwo mußte sich jedoch alles Aufgestaute in ihr entladen. So fuhr sie auf der Stelle zu Arne und klopfte an seine Tür. Als er ihr öffnete, stürzte sie sich wie eine Wildkatze auf ihn. Gewiß hätte sie ihm das Gesicht zerkratzt, wenn er sie nicht geistesgegenwärtig geschickt abgewehrt hätte.

Mit eisernem Griff schob er sie recht unsanft auf einen Stuhl und fragte betroffen: »Was soll das bedeuten?«

Sie schrie ihn aufgebracht an: »Du hättest dich gar nicht hinter meine Mutter stecken sollen, um deinen Willen durchzudrücken. Damit hast du nichts erreicht, sondern dir im Gegenteil auch noch meine restlichen Sympathien verscherzt. Ich wiederhole mich nicht gern, aber ich schwöre dir, daß ich weder deine Frau werde, noch dieses unerwünschte Kind zur Welt bringe. Und solltest du mich weiterhin in unverschämter Weise durch schulmeisterliche Reden belästigen, werde ich mich auf meine Art zu wehren wissen, die dir freilich nur schlimmen Schaden einbringen wird. Wir sind geschiedene Leute. Dein Verhalten vergesse ich dir nie. Es sei denn…«

Sie machte eine Pause, sprang auf und schmiegte sich an ihn. Von einer Sekunde zur anderen veränderte sich ihr Gesicht, wurde weich, wobei ihn ihre Augen so verführerisch wie in alten Zeiten anstrahlten. »Es kann alles wieder so werden, wie es vorher zwischen uns war. Du mußt mir nur die richtige Adresse und das nötige Geld für eine Abtreibung im Ausland besorgen. Dann will ich alles vergessen.«

Seine Haltung straffte sich, er trat einen großen Schritt zurück. »Niemals werde ich deine Bitte erfüllen. Ich will nicht mitschuldig am Mord unseres Kindes werden.«

Und als ihn ihre Augen erschrocken anstarrten, wiederholte er den Satz und fügte mit Nachdruck hinzu: »So und nicht anders sehe ich das an, was du planst. Du bist gesund, wirst geheiratet und hast dein Auskommen. An meiner Seite werden du und das Kind nicht verhungern. Es gibt also keinen Grund für dich, in Panik zu geraten.«

Da funkelte sie ihn feindselig an und verließ überstürzt das Zimmer. Nun gut, wenn er ihr nicht helfen wollte, mußte sie eben allein alle Möglichkeiten ausschöpfen, um ihren Willen durchzusetzen.

Hella legte es nunmehr bewußt darauf an, all das zu tun, was für ihren Zustand schädlich war. Sie rauchte plötzlich, trank Alkohol und schleppte schwere Lasten. Die Eltern erwischten sie jedoch dabei und machten ihr bittere Vorwürfe. Mehr noch als ihre Worte trafen Hella ihre traurigen Blicke. Sie hing trotz allem an ihren Eltern und mochte sie nicht betrüben, obwohl sie recht eigenwillig war. So sah sie zu Hause davon ab, etwas zu tun, was zu einer Fehlgeburt führte.

Dafür trieb sie es während der Arbeit um so ärger. Aber auch dort wurde ihr Einhalt geboten. Arne entdeckte, was sie plante. Er paßte auf sie auf und scheute sich auch nicht, einen Kollegen, mit dem er umschichtig arbeitete, einzuweihen, natürlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Jedenfalls würde er ein Auge auf Hella haben, sobald Arne frei hatte und schlafen mußte.

Hella schäumte innerlich vor Wut. Ihr Haß auf Arne wuchs ins Grenzenlose, zumal ihr der Barbesitzer eine abschlägige Antwort erteilte, als sie sich um die frei gewordene Stelle einer Bardame bewarb. Er begründete seine Entscheidung damit, daß sie in ihrem augenblicklichen Zustand dafür nicht in Frage komme. Allerdings war er nicht bereit, ihr zu sagen, wie er hinter ihr Geheimnis gekommen war.

Als sie in ihrer maßlosen Wut Arne die Schuld zuschob und ihn noch dazu schmähte, maß ihr Chef sie mit ernstem Blick. »Arne war es nicht, der es mir verraten hat. Demnach dürfte er ja wohl der Vater Ihres Kindes sein, nicht wahr? Dann sollten Sie ihn schleunigst heiraten.«

Hella erklärte ungehalten, warum das nicht in Betracht kam. Eigentlich hätte sie stutzig werden müssen, als er ihr eindringlich riet, ihr Leben Arne anzuvertrauen, denn bei ihm sei sie so gut aufgehoben wie bei keinem anderen Mann. Dabei lächelte er geheimnisvoll.

Hella hörte jedoch die versteckte Anspielung aus seinen Worten nicht heraus. Sie vernahm mit starrem Gesicht, daß der Chef ihr ab sofort Mutterschaftsurlaub gewährte und großzügig bereit war, ihren Monatslohn weiterhin uneingeschränkt zu zahlen. Er gab vor, ihr die Peinlichkeit ersparen zu wollen, daß man sie schon bald neugierig mustern würde, wenn sich nichts mehr verheimlichen ließ.

In Wirklichkeit wußte er Hella nur im Elternhaus in bester Obhut bis zur Niederkunft.

Hella fügte sich widerstrebend, obwohl ihr Chef es ihr sogar schriftlich gab, daß er sie später wieder einstellen würde.

Ihrer Mutter gegenüber ließ sie dann in ihrem maßlosen Zorn die Zügel schießen und erging sich in üblen Beschimpfungen auf Arne.

Bis es Frau Gerke zu bunt wurde. Sie unterbrach Hella und hielt ihr eine geharnischte Standpauke. Und als auch der Vater die Tochter am Abend in recht eindeutigen Worten ermahnte, sich zu beherrschen und lieber ihrer Verantwortung gegenüber ihrem Kind nachzukommen, da wußte Hella, daß sie sich einstweilen fügen mußte.

Leicht fiel ihr das allerdings nicht. Und es war ihr nur ein schwacher Trost, daß die Mutter sich liebevoll um sie kümmerte und nicht mal zuließ, daß sie ihr viel im Haushalt half.

Hella hielt sich vorwiegend in ihrem Zimmer auf. Sie strickte sich Pullover oder las Bücher. Hin und wieder machte sie auch Einkäufe.

Sobald sie allerdings merkte, daß Arne im Anmarsch war, verschloß sie rasch die Tür. Sie wollte ihn nicht sehen. In dieser Beziehung waren selbst ihre Eltern machtlos, die ein gutes Wort für den jungen Mann einlegten. Sie hatten ihn längst wie einen Sohn ins Herz geschlossen. Doch das kümmerte Hella nicht. Sie verabscheute Arne zutiefst, weil er sie in diese Situation gebracht hatte. Und sie malte sich aus, wie es gewesen wäre, wenn sie jetzt als begehrte Bardame in der »Blauen Grotte« ihre Arbeit versehen könnte. Zu Hause kam sie um vor Langeweile. Ihr fehlten nämlich die vergnüglichen Stunden und die Menschen, mit denen sie reden und lachen konnte.

So blieb ihr zunächst nichts anderes übrig, als sich vorzunehmen, das Versäumte später in reichlichem Maße nachzuholen. Da wollte sie kein Vergnügen auslassen. Daß sie nach der Geburt ihres Kindes sehr ernste und mit Abstand auch die schönsten, heiligsten Pflichten einer Mutter zu erfüllen hatte, kam ihr nicht in den Sinn. Für sie zählte einzig und allein die Tatsache, recht bald wieder ihr freier Herr zu sein und sich ihr Leben nach eigenem Gutdünken einzurichten.

*

Obwohl Arne Brunsly viel Boshaftigkeit von seiten Hellas einstecken mußte, ließ er nicht nach in seinem Bemühen, ihre Zuneigung zurückzugewinnen. Allerdings liebte er nunmehr in ihr auschließlich die Mutter seines Kindes. Als Frau hatte sie sich denn doch wegen ihres Verhaltens seine Sympathien erheblich verscherzt.

Trotzdem war Arne bereit, um seines Kindes willen jedes nur erdenkliche Opfer zu bringen, damit es in einem intakten Elternhaus aufwuchs.

Denn nur so war das prächtige Gedeihen des kleinen Geschöpfes gewährleistet.

Frau Gerke kannte Arnes Mutter nicht, dennoch stimmte sie mit ihr in der Ansicht überein, daß sich eine Heirat nicht erzwingen ließ. Ihre Gründe dazu waren freilich andere, denn Frau Gerke kannte ja Arnes wahre Herkunft nicht. Aber auch dann hätte sie ihre Ansicht verfochten, daß nur eine Liebesheirat zum wahren Glück führte.

Trotzdem kamen Arne immer wieder Zweifel, ob es richtig war, Hella seine wahren Vermögensverhältnisse zu verschweigen. Als er mit den Eltern darüber sprach, rieten sie ihm eindringlich davon ab, ihr vor der Geburt alles einzugestehen. Ihre Einwilligung zur Heirat war ihm dann zwar gewiß, aber sein wahres Glück würde auf recht tönernen Füßen stehen. Eine Frau, die ihren Mann und ihr Kind nicht um ihrer selbst willen zu lieben vermochte und nur auf Reichtum spekulierte, konnte keine glückliche Ehe garantieren. Aber gerade das wünschten sich die Eltern für ihren einzigen Sohn, denn auch sie waren einander in Liebe und Treue verbunden. Sie erhofften sich durch das Kind eine durchgreifende Veränderung in Hella und ermahnten Arne zu Geduld und Nachsicht.

Sie veranlaßten ihn auch, ihr in

den letzten Schwangerschaftswochen fernzubleiben. Darum baten ihn auch die Gerkes und unterstrichen, daß Hella ohnehin sehr unleidlich geworden sei, weil ihr Zustand ihr doch sehr zu schaffen mache. Sie versprachen Arne jedoch, ihn telefonisch auf dem laufenden zu halten. So blieb er ihrem Haus fern.

Frau Gerke suchte ihn eines Tages unverhofft in seinem Zimmer auf. Mit strahlendem Gesicht eröffnete sie Arne, daß Hella von einem strammen Jungen entbunden worden war. Überglücklich fielen sich die beiden Menschen in die Arme. Spontan entschloß sich Arne, seinen Chef um einen Tag Sonderurlaub zu bitten und umgehend ins Krankenhaus zu eilen.

Lächelnd machte Frau Gerke den aufgeregten jungen Vater darauf aufmerksam, Hella einen Strauß Blumen mitzunehmen und ihr für den Sohn zu danken. Gerade jetzt sei sie für ein liebes Wort empfänglich. »Wenn du es richtig anfaßt und ihre weiche Stimmung ausnutzt, kannst du heute mit Sicherheit die Weichen für eure gemeinsame Zukunft stellen.«

Arne umarmte die gütige Frau noch einmal und küßte sie auf beide Wangen. Seine Augen leuchteten. »Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt. Nun wird alles wieder gut.« Er stürmte aus dem Zimmer.

Vor dem Krankenhaus suchte er in einem Blumengeschäft die herrlichsten dunkelroten Rosen aus. Beschwingt eilte er an Hellas Krankenbett.

Er erlebte indessen eine bittere Enttäuschung. Sie sah ihn voller Verachtung an und schob die Rosen, die er zunächst wortlos auf die Bettdecke legte, so achtlos zur Seite, daß sie zu Boden fielen.

Er sah Hella fassungslos an. Damit hatte er nicht gerechnet. Bevor er sich auch nur zu einem einzigen Wort aufraffen konnte, zischte sie:

»Verschwinde. Ich will dich nie mehr sehen!« Wie gehässig ihre Stimme klang!

Es ging Arne durch und durch und nahm ihm jeglichen Mut. So bückte er sich schweigend, sammelte die Rosen auf und verließ den Raum.

Bedrückt schlich Arne ins Schwesternzimmer und bat um eine Vase für die Blumen.

Zufällig war die Stationsschwester anwesend. Sie gab der Lernschwester einen Wink, die Blumen ins Wasser zu stellen und zur Patientin zu bringen, nachdem sie erfahren hatte, zu wem Arne gehörte. Danach wies sie ihn freundlich zurecht, weil er die Mutter seines Kindes nicht längst geheiratet hatte. Sie ließ ihn nicht im Unklaren darüber, daß Hella allen erzählt hatte, er wolle sich vor der Verantwortung drücken.

Arne verschlug es buchstäblich die Sprache. Dann berichtete er mit Bitterkeit in der Stimme, wie es sich wirklich verhielt. Die Stationsschwester zeigte sich bestürzt darüber. Sie spürte, daß er die Wahrheit sprach. Außerdem hatte ihr manche Ungereimtheit an Hellas Benehmen zu denken gegeben. Mitleidig versprach sie ihm, auf die junge Mutter einzuwirken, damit sie endlich Vernunft annehme.

Arne brachte es nicht über sich, Hella noch einmal zu sehen. Statt dessen erkundigte er sich, ob er seinen Sohn mal anschauen dürfe.

Die Stationsschwester erfüllte ihm diesen Wunsch. Sie ließ den Mann nicht aus den Augen, der so ganz anders reagierte als die junge Mutter. Arnes Blicke hingen wie gebannt an dem kleinen Wesen und konnten sich daran nicht satt sehen.

Mehr zu sich selber sprach er: »Er ist das süßeste Baby von der Welt. Ich werde es Alexander nennen. Mein Sohn! Ich habe nie gedacht, daß ein Baby so entzückend sein kann! Am liebsten würde ich es auf der Stelle mitnehmen.«

Die Stationsschwester gab es der Schwester zurück, die heute die Aufsicht über die Babies hatte. Sie wandte sich Arne zu. »Er ist wirklich ein schönes Baby. Darum wird er auch das verschlossene Herz seiner Mutter noch auftauen. Sie kann sich dem goldigen Wesen auf die Dauer nicht entziehen.«

Arne machte ein ganz unglückliches Gesicht. Die Worte trösteten ihn zwar, vermochten aber nicht, ihn restlos zu überzeugen. Er war in der letzten Zeit zu oft von Hella enttäuscht worden

Schon wollte er sich verabschieden, als sich die Stationsschwester freundlich erkundigte: »Möchten Sie allen Ernstes, daß Ihr Sohn Alexander heißt?«

Er sah sie an. »Das wäre mein größter Wunsch. Allerdings bezweifle ich, daß Hella damit einverstanden sein wird.«

»Lassen Sie das nur meine Sorge sein.«

Arne nickte und ging davon. Er wußte nicht mehr, ob er sich nun freuen oder traurig sein sollte. Für den Rest des Tages schloß er sich jedenfalls in sein Zimmer ein. Unaufhörlich dachte er über Hellas unerklärliches gehässiges Verhalten nach. Würde sie sich jemals ändern?

Am nächsten Morgen ließ der Chef Arne zu sich rufen. Er richtete ihm aus, daß Herr Gerke angerufen und um seinen Besuch am Abend gebeten habe.

»Nanu, lieber Freund, Ihr Gesicht wirkt alles andere als erfreut. Haben Sie Angst vor Ihren Schwiegereltern?«

»Noch sind sie es nicht und werden es wohl nie werden.« Unwillkürlich sprach Arne über seinen privaten Kummer.

Sein Chef hörte ihm bestürzt zu. Er bemühte sich, den jungen Mann zu trösten und unterhielt sich eine geschlagene Stunde mit ihm. Danach war es ihm aufgrund eines ganz besonders verlockenden Zugeständnisses in beruflicher Hinsicht gelungen, ihn wieder aufzuheitern. Arne bedankte sich hocherfreut bei seinem Chef.

Am Abend ging er dann zu den Gerkes. Sie waren ungemein stolz darauf, Großeltern eines so prächtigen Enkelsohnes zu sein. Liebevoll umarmten sie Arne und beglückwünschten ihn zu seinem Kind.

Dann setzte man sich an den festlich gedeckten Tisch und prostete einander zu. »Auf den kleinen Alexander«, sagte Herr Gerke schmunzelnd.

Arne stutzte. »Alexander?«

Frau Gerke erzählte, daß ihnen die Stationsschwester verraten hatte, welchen Namen er sich für seinen Sohn wünschte. »Mein Mann hat es dann durchgesetzt, daß Hella sich einverstanden erklärte. Bitte, laß es vorläufig dabei bewenden, daß mein Mann das so wollte.«

»Ich könnte mir keinen besseren Namen vorstellen«, fügte Herr Gerke hinzu.

Während des Essens sprach man nur über das Baby. Erst danach erwähnte Arne, wie Hella ihn empfangen hatte, als er sich bei ihr für den Stammhalter bedanken wollte.

Tränen traten Frau Gerke in die Augen. Sie klagte sich an, weil sie Hella viel zu sehr verwöhnt und verhätschelt hatte.

Ihr Mann legte ihr beschwichtigend die Hand auf den Arm. »Auch ich bereue längst, unserer Einzigen jeden Wunsch erfüllt zu haben. Dadurch ist sie verzogen worden. Unsere Reue kommt zu spät. Trotzdem wollen wir alles versuchen, sie auf den rechten Weg zurückzuführen.«

Er reichte Arne über den Tisch die Hand und drückte sie. »Ich verspreche dir hoch und heilig, daß wir Hella beeinflussen werden, ihren Widerstand gegen dich aufzugeben. Sie muß dich doch geliebt haben, denn sonst würde sie sich dir nicht hingegeben haben. Die letzte Zeit ihrer Schwangerschaft war allerdings sehr unangenehm für sie.«

»Ja, weil sie mit ihrem Schicksal gehadert hat«, fiel ihm seine Frau ins Wort. »Bei mir war es damals ganz anders. Ich habe mich unbändig auf unser Kind gefreut und nur glückliche Gedanken gehabt. Und ich habe alles getan, damit es eine leichte Geburt wurde. Aber Hella war ja nicht zu raten.«

Arne blickte betrübt drein. »Wenn sie damals schon nicht auf euch gehört hat, wird sie es jetzt erst recht nicht tun. Ich sehe keine glückliche Zukunft vor mir.«

Gerke sah ihn milde an. »Ihr jungen Leute seid immer so ungeduldig. Warte doch erst mal ab, bis Hella aus dem Krankenhaus entlassen ist. Da ergibt sich so manches wie von selbst, was sich jetzt noch nicht voraussehen läßt.«

Arne seufzte auf. Wenn er diesen Worten doch nur glauben könnte! Plötzlich durchzuckte ihn ein Gedanke, und er fragte: »Darf ich meinen Sohn öfter mal besuchen? Am liebsten würde ich ihn ganz zu mir nehmen. Es ist jedoch völlig ausgeschlossen, denn meine Eltern…« Er brach abrupt ab.

»Sie sind wohl schlecht auf Hella zu sprechen nach allem, was sie sich geleistet hat«, meinte Frau Gerke bekümmert. »Ich kann ihnen das nachfühlen, denn mir würde es nicht anders ergehen.«

»Nein, nein, so war es nicht gemeint«, wandte Arne hastig ein. »Meine Eltern sind nur beide berufstätig.« Mehr wollte er dazu nicht sagen, denn es widerstrebte ihm nach wie vor, den Gerkes die Wahrheit einzugestehen. Er fürchtete sich schlichtweg davor, sie würden sich gegenüber Hella versprechen. Noch sollte sie seine wahre Herkunft nicht wissen, weil er sich mit einer geheuchelten Zuneigung niemals zufriedengeben würde. Entweder Hella liebte ihn von ganzem Herzen oder gar nicht. Beim Gedanken an die letzte Möglichkeit stöhnte er qualvoll auf.

Frau Gerke deutete sich sein Stöhnen freilich anders, zumal sie seine Gedanken nicht erraten konnte. Mitleidig versprach sie ihm: »Du kannst den Kleinen jederzeit besuchen. Das Recht wird dir Hella nicht nehmen können. Mein Mann und ich sorgen jedenfalls dafür, daß du Alexander uneingeschränkt Vater sein darfst. Darauf geben wir dir unser Wort.«

Drei Paar Hände ruhten ineinander, während in den Augen der drei Menschen ein heiliger Schwur zu lesen war. Jeder von ihnen würde sich an sein Wort gebunden fühlen. Arne war irgendwie feierlich und zugleich erleichtert zumute.

*

Hellas Einstellung zu Arne änderte sich nicht. Auch die Eltern vermochten nichts auszurichten. Dazu war ihre Abneigung schon viel zu tief verwurzelt in ihr. Schließlich hatte er ihr das angetan, Mutter zu werden und die damit verbundenen Unannehmlichkeiten durchstehen zu müssen. Niemals würde sie Arne das verzeihen.

Dieser Haß übertrug sich auch auf das Kind. Sie betrachtete es widerwillig, wenn es an ihrer Brust lag und gestillt wurde. Wenn diese Plage doch nur schon vorüber wäre!

Indessen waren sich sämtliche Schwestern und Ärzte einig, daß ihnen nie zuvor eine derart lieblose Mutter begegnet war wie Hella Gerke. Die Stationsschwester sprach es im Kreis der anderen unverblümt aus, daß sie hoffte, der Kindesvater würde den Kleinen zu sich nehmen und ihm in seiner Warmherzigkeit all die Liebe geben, die er brauchte. Sicherlich würde er die passende Lebensgefährtin finden, die genau das Gegenteil von Hella darstellte. Darin stimmten ihr die anderen zu.

Sie hatten Arne Brunsly gesehen, wenn er ins Krankenhaus gekommen war, um seinen Sohn mit Rührung und Freude zu betrachten. Ihm merkte man an, wie sehr er den Kleinen bereits ins Herz geschlossen hatte. Aber auch die Großeltern Gerke liebten Alexander sehr. Ihnen blieb es unbegreiflich, warum ihre Tochter dieses süße Wesen nicht lieben mochte.

Hella wußte nicht, wieviel Kopfzerbrechen man sich ihretwegen machte. Sie merkte nur die prüfenden Blicke der Ärzte und Schwestern, die ihr so gar nicht behagten. Sie sagte sich jedoch, daß sie bald entlassen werde und dann davon verschont sein würde.

Ihre Gedanken befaßten sich vielmehr mit ihren Eltern, deren Ratschläge und Belehrungen ihr lästig wurden. Besonders die traurigen Blicke, die ihr die Mutter zuwarf, gefielen Hella ganz und gar nicht. Und bei der Vorstellung, es könne zu Hause so weitergehen und die Eltern gar noch von ihr verlangen, daß sie sich ausschließlich dem Baby widmete, wurde ihr heiß und kalt. Sie suchte krampfhaft nach einer Lösung, um sich ihren Mutterpflichten zu entziehen. Dabei kam ihr der Gedanke, recht bald schon ihre Arbeit wieder aufzunehmen.

Diesen Vorsatz führte sie auch einen Tag nach ihrer Heimkehr aus. Sie überließ der Mutter den Kleinen und log ihr unbekümmert vor, sie müsse zum Friseur gehen. Zum Glück hatte Frau Gerke dafür Verständnis. Sie riet Hella sogar, sich ein hübsches Kleid zu kaufen und einige hübsche Dinge für den kleinen Alexander.

Hella fuhr jedoch schnurstracks zur »Blauen Grotte« und ging unmittelbar ins Büro ihres Chefs.

Er kam mit ausgestreckten Armen auf sie zu und beglückwünschte sie zu ihrem kleinen Erdenbürger. Gleichzeitig räumte er ihr ein, so lange zu Hause zu bleiben, wie sie es nur wünschte. Sicherlich wollte sie sich erst einmal ausgiebig ihrem Kind widmen.

Hellas Laune sank nun auf den Nullpunkt. Unmißverständlich gab sie ihm zu verstehen, daß sie möglichst am nächsten Tag wieder arbeiten wollte.

Das verschlug dem Mann denn doch die Sprache.

Sein Blick flößte ihr Unbehagen ein. Und sie sprach aus, was sie gerade dachte: »Ich hoffe, Sie haben meine Stelle inzwischen nicht besetzt. Ich habe es ja gottlob schriftlich, daß Sie mich wieder einstellen werden, sobald alles hinter mir liegt. Meine Mutter kümmert sich um das Kind. Ich muß schließlich für unseren Unterhalt aufkommen und brauche den Verdienst.«

Der Chef maß sie sehr ernst. »Sie hätten Arne Brunsly heiraten sollen. Als Ober verdient er weitaus mehr als sonst. Damit…«

»Als Ober?« rief Hella entgeistert dazwischen. »Arne ist Ober geworden? Aber so tüchtig ist er doch gar nicht.«

»Dieser Ausspruch beweist mir, wie wenig Sie ihn kennen. Er ist ein sehr fähiger Mensch und hat sich in den letzten Wochen erstaunlich gut in seiner neuen Tätigkeit bewiesen. Darum habe ich ihm sogar den größten Teil der Personalfragen übertragen. Er besitzt nunmehr Mitspracherecht über die Einteilungen für die übrigen Kellner und Serviererinnen. Ich müßte mich erst mit ihm beraten, wie wir Sie einsetzen wollen.«

»Ich will nicht von diesem Menschen abhängig sein«, rief Hella. »Am besten, Sie bringen mich in der Bar unter.«

»Ich habe genügend Bardamen. Sie sind außerdem gut ausgebildet, was ich von Ihnen nicht behaupten kann.« Er sah sie nahezu väterlich an. »Ihnen steht doch noch der gesetzliche Mutterschaftsurlaub zu. Warum nehmen Sie das nicht in Anspruch? Sie würden dadurch Zeit und Gelegenheit finden, um ungestört über Ihre Zukunft nachdenken zu können. Außerdem braucht Sie Ihr Kind jetzt noch. Ihre Mutter kann Sie nicht ersetzen, so viel Mühe sie sich auch gibt. Überstürzen Sie darum nichts.«

Hella maß den Mann mit verächtlichem Blick. »Ich sehe schon, Sie sind von Arne genau instruiert worden, wie Sie sich mir gegenüber verhalten sollen. Er möchte mich als Hausmütterchen am Herd sehen. Bestellen Sie ihm, es nützt ihm gar nichts, sich immer wieder neue Tricks auszudenken. Er kriegt mich nicht klein. Ich verzichte darauf, jemals wieder hier zu arbeiten, denn mich widert schon allein der Gedanke an, unter Arnes Kommando zu stehen. Adieu.«

Sie verließ hastig das Büro. Als sie wieder draußen stand, fragte sie sich, was sie nun beginnen sollte. Unschlüssig schaute sie sich um. Da bog plötzlich Arne um die Ecke. Wie gehetzt lief Hella in entgegengesetzter Richtung davon.

Unverhofft stand sie vor der Bar »Kolibri«. Nanu, dachte sie verwundert, die gab es doch vorher noch gar nicht. Die mußte kürzlich erst eröffnet worden sein.

Kurz entschlossen ging Hella zur Tür. Doch sie war verschlossen. Kein Wunder, denn das Lokal wurde ja erst abends eröffnet. So suchte sie den Nebeneingang und prallte um ein Haar mit einem jungen Mann zusammen.

Er musterte sie und erkundigte sich hastig: »Wollten Sie etwa zu mir? Ich bin Bernhard Burk, der Besitzer der Bar ›Kolibri‹. Welche Beschwerde möchten Sie loswerden?«

»Wieso Beschwerde?« fragte Hella betroffen. »Ich suche Arbeit.«

Wieder glitt sein suchender Blick über sie hinweg. Dann pfiff er anerkennend durch die Zähne. »Sie sind eine Schönheit, junge Frau. Ich wäre gar nicht abgeneigt, Sie einzustellen. Kommen Sie mit in mein Büro. Dort können wir uns ausgiebig unterhalten.«

Hella folgte ihm hoffnungsfroh. Sie sollte auch nicht enttäuscht werden. Über eine Stunde lang unterhielten sie sich angeregt und stellten schon in dieser ersten Stunde ihres Kennenlernens fest, daß sie einander ähnelten, auch in ihren Ansichten von goldener Freiheit und süßem Leben.

Bernhard Burk ließ Hella ebensowenig im unklaren, wie begehrenswert er sie fand – wie sie ihn, daß er der attraktivste Mann war, dem sie je begegnete. Zwischen ihnen zündete gleich der berühmte Funke.

Allerdings sprach keiner von beiden über die Vergangenheit. Besonders Hella lag daran, daß er von ihrem Kind nichts erfuhr. Sie log ihm vor, ein kleiner Kellner in der »Blauen Grotte« habe ihr in unverschämtester Weise nachgestellt und sie beim Chef in übelster Weise verleumdet, weil er bei ihr nicht zum Ziel gekommen war.

Bernhard Burk lachte. »Sie geben sich wohl nicht mit kleinen Fischen ab, nicht wahr?«

»Ich strebe nach Höherem. Vor allem lasse ich mich nicht in meiner Bewegungsfreiheit einengen«, erklärte sie und warf ihm einen verlockenden Blick zu. »Können Sie mich in Ihrem Betrieb brauchen?«

»Selbstverständlich. Ich werde Sie ganz offiziell als Bardame einstellen und…« Er ließ den Rest des Satzes offen.

»Und was?« wollte Hella ungeduldig wissen.

»Sie gefallen mir als Frau. Ich möchte, daß Sie sich ein bißchen privat um mich kümmern. Dazu müßten Sie sich allerdings überwinden können, hier im Haus ein Zimmer zu beziehen. Ich wohne hier ebenfalls, habe das ganze Haus gekauft. Zwei Zimmer stehen noch leer. Von meinen übrigen Angestellten wollte sie keiner haben, weil sie bereits Wohnungen gemietet haben. Wie steht es also mit Ihnen? Ich möchte eine Mitarbeiterin gern zur ständigen Verfügung haben.

Natürlich würden Sie mehr Gehalt als die anderen bekommen. Allerdings müßte das unter uns bleiben.«

Hella zuckte erfreut zusammen. »Mir ist es recht Ich kann schweigen, besonders dann, wenn es um meinen Vorteil geht. Aber ich möchte gern erfahren, welche besonderen Leistungen ich für Ihre Großzügigkeit zu erbringen habe.«

»Sie können es nennen, wie Sie wollen.« Er grinste vielsagend. »In erster Linie sind Sie natürlich Bardame. Ich werde Sie einweisen und Ihnen alle Raffinessen beibringen. Dann brauche ich Sie als Ratgeberin, als gute Zuhörerin und… Na ja, ich bin völlig anhanglos und wünsche mir eine zuverlässige Person, die stets für mich da ist und der ich unbedenklich vertrauen kann. Doch das alles ergibt sich wohl erst so nach und nach aus unserer Zusammenarbeit. Sind Sie bereit, alles zu lernen und zu tun, was ich von Ihnen verlange?«

»Ja, Herr Burk.«

»Nennen Sie mich Bernhard. Das macht sich besser unter guten Mitarbeitern. Sie heißen?«

»Hella«, erwiderte sie. Sie sah zu, wie er einen Vertrag ausschrieb. Er konnte sehr geschickt mit der Schreibmaschine umgehen.

Nachdem sie den Vertrag unterzeichnet hatte, verließ sie mit einem Hochgefühl das Büro des Barbesitzers. Hella wollte gleich am nächsten Abend anfangen. Heute mußte sie erst zum Friseur und sich die passenden Kleider besorgen.

Fürstenkinder 5 – Adelsroman

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