Читать книгу Der exzellente Butler Parker 18 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3
Оглавление»Wie ein weißer Wirbelwind werde ich über die Pisten fegen«, schwärmte Agatha Simpson in den höchsten Tönen. »Sie werden beeindruckt sein, Mister Parker.«
»Davon ist meine Wenigkeit zutiefst überzeugt, Mylady«, gab Josuah Parker höflich zurück. »Dennoch erlaubt man sich, darauf hinzuweisen, daß am Ort eine Skischule existiert, die gegen entsprechenden Aufpreis auch Einzelunterricht erteilt.«
»Unterricht?« entrüstete sich die korpulente Dame, die das sechzigste Lebensjahr sichtlich überschritten hatte. »Sie hätten mich erleben sollen, als ich noch die Töchterschule in der Schweiz besuchte! Keine Abfahrt konnte halsbrecherisch genug sein! So etwas verlernt man nicht, Mister Parker.«
»Wie Mylady meinen«, sagte der Butler mit unbewegter Miene und lenkte seine Schritte zum Frühstücksbüfett, um Nachschub für seine Herrin zu holen. Ihm schwante Schlimmes...
Dichtes Schneetreiben hatte die steinreiche Dame seit Tagen in dem feudalen Sporthotel im nordwalisischen Bergland festgehalten. Heute aber war ein strahlender Tag angebrochen. Tiefblauer Himmel spannte sich über einer märchenhaften Winterlandschaft, die in der Sonne glitzerte. Und Myladys Tatendrang war ebenso unbändig wie ihr Appetit...
Eine Stunde später verließen Agatha Simpson und Butler Parker das Hotel. Vorbei an Boutiquen und Souvenirläden durchschritt das Paar die Ortschaft Llanfynydd, die erst vor kurzem vom verschlafenen Bergnest zum Wintersportzentrum aufgerückt war.
Irritierte Blicke folgten dem skurrilen Gespann, das mit zielsicheren Schritten die Talstation des Sessellifts ansteuerte, die gleich neben Ron Fasts Skischule und Skiverein lag.
In dem blendend weißen, wattierten Skidreß, den Parker in einem Londoner Spezialgeschäft nach Myladys beeindruckenden Maßen hatte anfertigen lassen, wirkte die ältere Dame ausgesprochen zünftig. Dieser Eindruck wurde selbst durch ihre Kopfbedeckung nur unwesentlich getrübt. Um nichts in der Welt hätte sie sich von dem abenteuerlich wuchernden Filzgebilde getrennt, das sie hartnäckig als Hut bezeichnete. Dabei erinnerte es eher an einen mißglückten Napfkuchen, in dem zwei als Hutnadeln deklarierte Grillspieße steckten.
Josuah Parker hingegen, ein alterslos wirkender Mann von durchschnittlicher Statur, konnte und wollte selbst im Wintersport seine Profession nicht verleugnen. Die dezent gestreiften Beinkleider, der schwarze Covercoat und die Melone wiesen ihn unzweifelhaft als hochherrschaftlichen Butler aus.
Der altväterlich gebundene Regenschirm am angewinkelten Unterarm vervollständigte dieses Bild noch. Ein grauer Mohairschal und eine Schneebrille stellten sein einziges Zugeständnis an die Umgebung dar.
»Selbst ein so ungemein dynamischer Mensch wie ich muß ab und an ausspannen, Mister Parker«, plauderte die passionierte Detektivin Agatha Simpson gutgelaunt, während man sich dem Kassenhäuschen des Lifts näherte. »Manchmal tut es gut, einfach alle Pflichten zu vergessen.«
»Möglicherweise dürften Mylady aber schon in naher Zukunft mit neuen Pflichten konfrontiert werden, falls der Hinweis erlaubt ist«, wandte der Butler ein.
»Sie meinen, wenn ich wieder in London bin?«
»Keineswegs und mitnichten, Mylady.«
»In dieser Einöde ereignet sich doch höchstens einmal im Jahrhundert etwas, das eine Kriminalistin reizen könnte, Mister Parker.«
»Falls man sich nicht gründlich täuscht, dürfte das von Mylady angesprochene Jahrhundertereignis allerdings nicht mehr lange auf sich warten lassen.«
»Da können Sie natürlich recht haben, Mister Parker«, räumte Agatha Simpson ein. »Jedermann weiß, daß ich eine geradezu magische Anziehungskraft auf kriminelle Elemente ausübe.«
»Eine Anziehungskraft, die sich auch in Llanfynydd auszuwirken scheint, Mylady.«
»Habe ich etwa schon konkrete Anhaltspunkte für eine solche Annahme, Mister Parker?« wurde die ältere Dame plötzlich neugierig.
»Zweifellos wurden Mylady im Hotel auf die drei Herren aufmerksam, die am Tisch rechts neben dem Büffet das Frühstück einnahmen.«
»Selbstverständlich ist mir das Trio sofort aufgefallen«, schwindelte Agatha Simpson umgehend. »Es kann sich nur um Mitglieder der Londoner Szene handeln.«
»In der Tat, Mylady«, bestätigte Parker mit einer angedeuteten Verbeugung. »Bei dem korpulenten Herrn mit Stirnglatze dürfte es sich mit einiger Sicherheit um Mister Ed Kenney handeln, der Mylady eine mehrjährige Freiheitsstrafe wegen schweren Diebstahls verdankt.«
»Richtig, Pat Kennedy«, nickte Agatha Simpson. »Sogar den Namen des Schurken habe ich noch im Kopf, obwohl die Sache einige Jahre zurückliegt.«
»Mister Kenney dürfte inzwischen seine Strafe abgesessen haben«, meinte der Butler. »Bei einem Mann seines Schlages sollte man jedoch davon ausgehen, daß der Aufenthalt hinter Gittern die erzieherische Wirkung verfehlt hat. Mylady dürften deshalb damit rechnen, daß Mister Kenney und seine beiden Begleiter sich aus rein beruflichen Gründen in Llanfynydd aufhalten.«
Das Gespräch wurde jäh unterbrochen, weil Mylady und der Butler inzwischen das Kassenhäuschen erreicht hatten. Hoch erhobenen Hauptes schritt die selbstbewußte Dame an der Schlange der Wartenden vorbei. Die Protestrufe, die auf dem Fuße folgten, entlockten ihr nur ein mitleidiges Lächeln.
»Eine Lady Simpson ist es nicht gewohnt, daß man sie warten läßt«, herrschte die resolute Dame den Fahrkartenkontrolleur an, der sich ihrer wogenden Fülle in den Weg stellen wollte.
Parker vermied einen Eklat, indem er dem Mann diskret eine Banknote zusteckte, was seine Herrin mit mißbilligendem Blick quittierte.
Die stählernen Trag- und Zugseile des Lifts ächzten vernehmlich, als Lady Agatha sich mit Parkers diskreter Hilfe in einen der schaukelnden Sessel sinken ließ und gleich darauf dem in gleißendem Sonnenlicht liegenden Bergkamm entgegenschwebte.
Butler Parker, der zwei Paar Skier geschultert hatte, folgte Sekunden später im nächsten Sessel. Er genoß die klare, kalte Luft, er war ein Freund der Berge. Im Moment jedoch nahm er das majestätische Panorama der verschneiten Gipfel rund um dem Mount Snowdon kaum wahr. Seine Gedanken kreisten immer wieder um dasselbe Problem: Wie konnte er nur seiner ebenso draufgängerischen wie untrainierten Herrin die geplante Schußfahrt über die bevölkerte Piste ausreden?
*
»Ein herrliches Gefühl ist das, wenn einem die Welt zu Füßen liegt, Mister Parker«, frohlockte die ältere Dame. Der Rundblick, der sich von der Bergstation des Lifts aus bot, war in der Tat beeindruckend. Von hier oben wirkte das Dorf Llanfynydd wie eine Ansammlung von Spielzeughäusern.
»Wollen Sie mir nicht helfen, meine Skier anzuschnallen, Mister Parker?« fragte die Detektivin und einen Moment später, als sie in Parkers undurchdringlichem Pokergesicht einen sorgenvollen Zug zu entdecken glaubte: »Sie haben doch nicht etwa Angst?«
»Keineswegs, Mylady«, versicherte der Butler. »Alpines Format dürfte dem Hang kaum zuzusprechen sein. Allerdings sieht man sich veranlaßt, auf die große Zahl von Wintersportlern hinzuweisen, die eine ungehinderte Abfahrt außerordentlich erschweren dürfte, falls die Anmerkung erlaubt ist.«
»Kein Problem, Mister Parker«, fegte Agatha Simpson den Einwand beiseite. »Die Leute werden schon ausweichen. Halten Sie sich einfach in meiner Spur. Dann kann Ihnen gar nichts passieren.«
»Wie Mylady meinen«, erwiderte Parker schicksalsergeben, doch in diesem Moment fiel sein Blick auf das kleine Gasthaus, das nur wenige Schritte von der Liftstation entfernt lag.
»Hat man übrigens richtig vernommen, daß Mylady vor der Abfahrt noch eine kleine Stärkung zu sich zu nehmen gedachten?« spielte er seiner Herrin einen Ball zu, den sie prompt auffing.
»Sie haben recht, Mister Parker«, nickte Agatha Simpson. »Mein sensibler Kreislauf könnte ein wenig Pflege brauchen. Das muß an der dünnen Luft hier oben liegen.«
Wenig später saßen Mylady und der Butler auf der Sonnenterrasse des Gasthauses, und nach dem dritten sogenannten Kreislaufbeschleuniger in Gestalt eines edlen französischen Kognaks hatte Agatha Simpson es mit der Abfahrt nicht mehr so eilig.
Parker begann erleichtert aufzuatmen. Doch seine Hoffnung, das Verhängnis noch abzuwenden, sollte sich wenig später als trügerisch erweisen ...
»Dieser Pat Kennedy«, begann Lady Agatha unvermittelt, nachdem sie einen Moment die Stirn in nachdenkliche Falten gezogen hatte.
»Verzeihung, Mylady«, unterbrach der Butler. »Darf man vermuten, daß Mylady Mister Ed Kenney zu meinen geruhen?«
»Nichts anderes habe ich gesagt, Mister Parker«, behauptete die ältere Dame in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Mein Gedächtnis arbeitet hervorragend, vor allem, was Namen betrifft. Dieser Ed Kennedy, wollte ich sagen, handelte also mit Rauschgift, bis ich ihn entlarvte und dingfest machte.«
»Man bittet Mylady untertänigst um Verzeihung, aber falls meine bescheidene Wenigkeit sich nicht gründlich täuscht, gilt Mister Kenney als einer der fähigsten Safeknacker der Londoner Szene«, wandte der Butler vorsichtig ein.
»Auch gut«, überging Mylady den kleinen Unterschied. »Bei der Vielzahl von Fällen, die ich im Lauf der Jahre gelöst habe, kann schon mal eine Verwechslung Vorkommen. Schließlich bin ich kein seelenloser Computer.«
»Eine Feststellung, die man nur mit allem Nachdruck unterstreichen kann, Mylady«, meldete Parker sich zu Wort.
»Wie auch immer, Mister Parker«, fuhr Agatha Simpson fort und genehmigte sich den vierten Kreislaufbeschleuniger. »Was sucht ein professioneller Safeknacker in diesem verlassenen Dorf, wo es nicht mal eine richtige Bank gibt?«
»Fraglos ziehen Mylady in Betracht, daß Mister Kenney es auf den Safe des Hotels abgesehen haben könnte.«
»Selbstverständlich, Mister Parker«, versicherte die Detektivin umgehend. »Das war mein erster Gedanke, als ich das Trio heute morgen entdeckte.«
Schwungvoll hob sie das Glas zum Mund, ließ es aber plötzlich wieder sinken. Ein entsetzlicher Gedanke durchzuckte sie.
»Wo haben Sie meinen Schmuck verwahrt, Mister Parker?«
»Alle wertvollen Stücke befinden sich im Hotelsafe, wie Mylady es angeordnet haben«, gab der Butler wahrheitsgemäß Auskunft.
»Das soll ich angeordnet haben?« entrüstete sich Lady Simpson. »Ausgeschlossen!«
»Man bittet ausdrücklich um Nachsicht, falls meine Wenigkeit Myladys Weisung mißverstanden haben sollte«, entgegnete Parker. »Man handelte jedoch in bester Absicht, falls der Hinweis erlaubt ist. Wie Mylady bekannt sein dürfte, kommt die Versicherung des Hotels für Wertgegenstände, die aus den Zimmern entwendet werden, nicht auf.«
»Natürlich weiß ich das, Mister Parker«, erwiderte die resolute Dame derart heftig, daß die Gespräche an den Nachbartischen schlagartig verstummten. »Trotzdem bestehe ich darauf, daß Sie mir den Schmuck gleich nach der Rückkehr ins Hotel aufs Zimmer bringen. Ich kann selbst auf meine Werte aufpassen.«
»Was man keinesfalls bezweifeln möchte, Mylady«, warf Parker rasch ein, während seine Herrin Atem schöpfte.
»Glauben Sie, ich warte seelenruhig, bis dieser Kennedy mit seinen Komplizen den Hotelsafe ausgeräumt hat?« fuhr die ältere Dame fort, ohne zu bemerken, daß die Ohren an den Nachbartischen immer länger wurden. »Natürlich werde ich die Lümmel trotzdem im Auge behalten, Mister Parker. Was ist das eigentlich für ein merkwürdiges Knattern?« wollte die Detektivin nach einer Pause wissen, die wiederum der Pflege ihres Kreislaufs gewidmet war.
»Falls man sich nicht gründlich täuscht, dürfte es sich um einen Helikopter handeln«, gab der Butler die gewünschte Auskunft. Er hatte das rasch näher kommende Geräusch ebenfalls vernommen und hielt bereits nach dem Flugobjekt Ausschau, Da tauchte der kleine Brummer auch schon hinter einer Bergkuppe auf. Die Hoheitszeichen wiesen ihn eindeutig als Polizeihubschrauber aus. Knatternd schwebte der Helikopter über das Gasthaus und nahm Kurs auf die Ortschaft im Tal. Wenige Minuten später war er auf einer verschneiten Wiese in der Nachbarschaft des Hotels gelandet.
»Ein Polizeihubschrauber?« wiederholte Agatha Simpson, nachdem Parker seine Beobachtung mitgeteilt hatte. »Was schließe ich daraus, Mister Parker?«
»Mylady dürften der Vermutung zuneigen, daß sich in Llanfynydd eine Straftat ereignet hat, deren Bearbeitung die Kapazität der örtlichen Polizeikräfte übersteigt«, antwortete der Butler in seiner gelassenen Art.
»Mein Schmuck!« kreischte die Detektivin postwendend und sprang auf. »Habe ich’s nicht gleich gesagt? Wo sind meine Skier, Mister Parker?«
Vergeblich versuchte der Butler, seiner Herrin eine Talfahrt im Sessellift schmackhaft zu machen.
»Unsinn!« empörte sie sich. »Das geht doch viel zu langsam.«
Parker blieb keine Wahl. Gehorsam schnallte er seiner Herrin die Skier unter und gab ihr die Stöcke in die Hand. Unaufhaltsam nahmen die Dinge ihren Lauf...
*
Mylady hatte nicht zuviel versprochen: Was an diesem denkwürdigen Januartag die Piste hinunterfegte, war schon eher ein weißer Wirbelsturm. In grenzenlosem Selbstvertrauen hatte die ältere Dame die Talfahrt angetreten.
Entsetzte Schreie wurden hörbar. Blitzartig verbreitete sich die Schreckensnachricht auf der ganzen Piste. In heilloser Panik versuchten mehr oder weniger wendige Skiläufer, eine Gasse für diese Naturkatastrophe in Menschengestalt freizumachen.
Familienväter rissen ihre Kinder von den Schlitten und warfen sich mit gewagten Hechtsprüngen seitwärts in den Schnee – den kreischenden Nachwuchs im Arm.
Nicht alle schafften es, der breiten Wolke aus Pulverschnee zu entrinnen, die sich wie eine Lawine zu Tal wälzte.
Ein älterer Herr mit Monokel, der ohnehin gewisse Schwierigkeiten mit den gleitenden Brettern unter den Füßen hatte, gewahrte das Unheil erst, als Lady Agatha, den »Hut« tief in die Stirn gezogen, über die Spitzen seiner Skier hinwegfegte.
Plötzlich zeigte der etwas steif wirkende Skiläufer eine Beweglichkeit, die man ihm keineswegs zugetraut hätte. Seine ausgesprochen akrobatische Darbietung endete jedoch mit einem Kopfstand im Schnee, so daß von dem rüstigen Sportler nur noch die zappelnden Füße mit den Skiern daran zu sehen waren.
Auf diese Weise blieben dem Bedauernswerten immerhin die Flüche erspart, die Agatha Simpson ihm über die Schulter nachsandte.
Vergeblich versuchte Parker, das Tempo seiner ungestümen Herrin zu halten. Er hätte schon die Pfunde eines Schwergewichtsboxers auf die Bretter bringen müssen, um in diesem ungleichen Rennen nicht zu unterliegen.
Hilflos sah er zu, wie die couragierte Dame furchtlos auf einen Betonpfeiler des Sessellifts zuraste, als würde das Hindernis im letzten Moment von selbst ausweichen. Wie durch Zufall verlagerte Agatha Simpson jedoch ihr Gewicht auf den rechten Fuß und schoß um Haaresbreite an dem Hindernis vorbei.
Doch die nächste Klippe rückte unaufhaltsam näher.
Unter den Wintersportgästen, die am Kassenhäuschen nach gut britischer Art um Karten Schlange standen, brach eine Panik aus, als der Wirbelsturm auf Skiern Kurs auf das hölzerne Gebäude nahm.
Mylady dagegen schien diese Art der Fortbewegung ausgesprochen zu genießen. Gutgelaunt gab sie sich mit den Skistöcken noch zusätzlichen Schwung.
Irgendwie würde die hinderliche Menschenmenge, die inzwischen vor Angst die Scheibe des Kassenhäuschens eingedrückt hatte, schon rechtzeitig weichen. Wozu beschäftigte sie schließlich einen Butler, der sich um solche und andere Details zu kümmern hatte?
Wo war eigentlich Mister Parker? Fast hatte sie ihn vergessen. Sekunden vor der Katastrophe fiel er ihr plötzlich wieder ein.
Der Tatsache, daß Mylady sich in diesem Moment neugierig nach ihrem Butler umwandte, war es zu verdanken, daß die Talfahrt der korpulenten Dame nicht noch schlimmere Folgen zeitigte.
Myladys Skier reagierten auf die Verlagerung des Körpergewichts mit einer geringfügigen Kursänderung, die man nur als segensreich bezeichnen konnte. Die vor Entsetzen erstarrten Wintersportgäste atmeten hörbar auf, als Lady Agatha in einer beeindruckenden Schneefahne auf Tuchfühlung an ihnen vorbeigefegt war.
Dafür schoß die schnelle Dame jetzt mit fast unvermindertem Tempo auf einen Parkplatz, der mit chromblinkenden Karossen vollgestellt war. Daß es nicht zu Blechschäden kam, lag lediglich an einem Prachtexemplar von Schneemann, das eine kinderreiche Familie soeben vollendet hatte.
Furchtlos stellte sich der weiße Riese mit der Karottennase der heranbrausenden Detektivin in den Weg. Papa, Mama und die Kleinen schienen von diesem selbstlosen Einsatz ihres Geschöpfes nicht gerade erbaut, bezahlte der brave Schneemann seine Kühnheit doch mit dem Leben.
Mit ausgebreiteten Armen warf sich Mylady der rundlichen Gestalt an die Brust. Wie von einer Explosion zerrissen, stob das Kunstwerk aus Schnee unter dem ungestümen Anprall der resoluten Dame nach allen Seiten auseinander.
Plötzlich waren nur noch zwei Skier zu sehen, die für Sekundenbruchteile über der dichten Schneewolke auftauchten und den schwarzen Hut des Schneemannes aufgespießt hatten. Daraus schlossen die Augenzeugen, daß Agatha Simpson gerade einen Salto absolvierte.
Als der stiebende Schnee sich wieder gelegt hatte, saß Lady Agatha in etwas unbequemer Haltung mitten in dem weißen Haufen, der mal ein Schneemann gewesen war, und verzog vor Empörung das Gesicht. Die Sicherheitsbindung ihrer Skier hatte sich nicht geöffnet.
»Man bedauert zutiefst, nicht rechtzeitig zur Stelle gewesen zu sein, Mylady«, versicherte Parker, als er Sekunden später am Ort des Geschehens eintraf und seiner wütenden Herrin auf die Beine half.
»Au!« gab Lady Simpson von sich, als sie den linken Fuß aufsetzen wollte. »Was ist das, Mister Parker?«
»Falls man nicht völlig fehlgeht, dürften Mylady einen Knöchelbruch erlitten haben«, antwortete der Butler nach kurzer Inspektion des schmerzenden Fußes.
Minuten später war der Krankenwagen zur Stelle. Eine gaffende Menschenmenge, auf deren Gesichtern sich Mitleid mit Schadenfreude paarte, verfolgte den Einsatz der Sanitäter.
»Und was ist jetzt mit meinem Schmuck?« protestierte Mylady, als man sie auf der Trage in das Fahrzeug schob.
*
Auf einen stationären Klinikaufenthalt wollte sich Agatha Simpson partout nicht einlassen, obwohl Parkers Verdacht durch eine Röntgenaufnahme eindeutig bestätigt wurde. Kopfschüttelnd ließ der Chefarzt die ungeduldigste Patientin seiner langen Laufbahn eine Erklärung unterschreiben, in der sie versicherte, das Krankenhaus auf eigene Verantwortung zu verlassen.
»Ihre Herrin hat, mit Verlaub gesagt, eine Konstitution wie ein Pferd«, raunte der Mediziner dem Butler zu, während Agatha Simpson mit ihrem schneeweißen Gipsbein zum Ausgang humpelte.
»Eine Feststellung, der meine Wenigkeit keinesfalls etwas hinzufügen möchte, Sir«, entgegnete Parker und lüftete höflich seinen schwarzen Bowler. »Man wünscht noch einen möglichst angenehmen Abend.«
Der Butler hatte während der ärztlichen Behandlung ein Taxi zum Hotel genommen und sein hochbeiniges Monstrum geholt, das dort in der Tiefgarage parkte. So konnte Mylady die Rückfahrt aus der benachbarten Kleinstadt in den bequemen Polstern des geräumigen Fonds antreten.
Früher hatte das schwarze, eckige Gefährt brave Dienste als Londoner Taxi geleistet. Seit Parker den Wagen erworben und umgebaut hatte, war daraus allerdings eine »Trickkiste auf Rädern«, geworden, die über einen leistungsstarken Rennmotor, schußsichere Panzerung und diverse technische Raffinessen verfügte, die der Abwehr von Verfolgern dienten.
»Bestimmt haben mir diese beamteten Schnüffelnasen schon wieder in die Ermittlungen gepfuscht«, behauptete die Detektivin mißgelaunt, als der Butler ihr vor dem Hotel aus seinem schwerfällig wirkenden Gefährt half.
Jetzt stand sogar ein zweiter Hubschrauber auf einem benachbarten Schneefeld. Bei den Fahrzeugen rechts und links des Hauptportals handelte es sich ausschließlich um Dienstwagen mit Polizeikennzeichen.
Myladys ohnehin angegriffene Stimmung sank schlagartig auf den absoluten Nullpunkt, als sie den untersetzten Mittfünfziger erblickte, der mit allen Zeichen des Erstaunens im hektischen geröteten Gesicht auf sie zuging.
»Sie hier, Mylady?« fragte McWarden fassungslos.
»Sie hier, McWarden?« äffte Agatha Simpson ihn nach.
»Demnach haben Sie noch nichts von der Entführung gehört?« erkundigte sich ihr Gegenüber. »Als ich erfuhr, daß es sich um den einzigen Sohn von Alexander Bramfield handelt, bin ich natürlich sofort im Hubschrauber von London hierhergeflogen.«
»Hamfield?« fragte Agatha Simpson mit gekrauster Stirn.
»Bramfield, Mylady. B-r-a-m-field« buchstabierte McWarden, der die kleinen Schwächen der großen Detektivin aus jahrelanger Erfahrung kannte.
Obwohl Chief-Superintendent McWarden als Chef einer Spezialabteilung bei Scotland Yard gemeinhin auf Amateure herabsah, hatte er sich bei Butler Parker doch schon manchen wertvollen Tip geholt, wenn seine konventionellen Ermittlungsmethoden nicht weiterführten.
Mylady sah den einflußreichen Beamten nicht ungern in ihrem Haus im Londoner Stadtteil Shepherd’s Market. McWardens Besuche gaben ihr nämlich jedesmal Gelegenheit zu boshaften Sticheleien, die dem schnell eingeschnappten Chief-Superintendent jedesmal die Zornesröte ins Gesicht trieben.
»Darf man auf Auskünfte hoffen, wie und wo sich das Verbrechen zugetragen hat, Sir?« schaltete Parker sich ein.
»Es geschah heute vormittag während einer Ski Wanderung, an der etwa ein Dutzend Minderjährige teilnahmen, darunter auch der zwölfjährige Oliver Bramfield«, gab der Yard-Beamte bereitwillig Auskunft, »An einer einsamen Stelle tauchte plötzlich ein mit zwei Bewaffneten besetzter Motorschlitten auf. Die maskierten Entführer bedrohten den von einer örtlichen Skischule gestellten Führer der Gruppe, schnappten sich zielsicher den jungen Bramfield und verschwanden mit Vollgas.«
»Wer ist denn dieser Hamfield, daß Sie sich persönlich aus London herbemühen, lieber McWarden?« wollte Agatha Simpson wissen.
»Alexander Bramfield besitzt eine Reihe größerer Industrieunternehmen und dürfte einer der reichsten Männer der Insel sein«, teilte der Chief-Superintendent mit. »Außerdem gilt er als sicherer Kandidat für den Posten des Wirtschaftministers in der nächsten konservativen Regierung.«
»Darf man noch fragen, Sir, ob die Entführer bereits Kontakt mit den Eltern des Jungen aufgenommen haben?« schaltete Parker sich wieder ein.
»Bisher nicht, Mister Parker«, sagte McWarden mit kummervoller Miene. »Wenn es sich um Profis handelt, werden sie vermutlich auch eine gewisse Zeit verstreichen lassen, um die Angst der Eltern noch zu steigern.«
»Eine Einschätzung, der auch meine Wenigkeit sich anschließen möchte, falls es genehm ist, Sir«, pflichtete Parker dem Beamten bei.
»Wir haben natürlich längst die Umgebung abgesucht und dabei auch die beiden Hubschrauber eingesetzt, aber die Spur des Motorschlittens im losen Pulverschnee ist längst verweht«, fuhr McWarden fort. »Selbst die kleinste Jagdhütte in den Bergen haben wir überprüft – aber alles ohne Erfolg. Wir werden uns also in Geduld fassen müssen, bis die Gangster anrufen.«
»So lange werde ich nicht warten, McWarden«, verkündete die Lady mit überlegenem Lächeln. »Ich will mich nur umziehen und ein wenig meinen Kreislauf therapieren, dann mache ich die Schurken dingfest und liefere Sie Ihnen ab.«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst, Mylady!« rief McWarden belustigt. »Sie wissen wohl schon, wer die Täter sind, obwohl ich Ihnen eben erst von dem Fall erzählte habe?«
»Allerdings weiß ich, wer die Täter sind, mein Hochgeschätzter«, gab die ältere Dame in einem Tonfall zurück, dessen Liebenswürdigkeit schon an Unverschämtheit grenzte. »Doch davon später. Am besten warten Sie an der Hotelbar, bis ich fertig bin. Ihre Gehilfen können Sie auch nach Hause schicken. Die werden nicht mehr gebraucht.«
Entschlossen humpelte Mylady weiter, ohne die verdutzten Blicke des etwas aus der Fassung geratenen Yardbeamten zu registrieren. Jetzt erst fiel McWarden auf, daß Agatha Simpsons linkes Bein eingegipst war.
»Um Himmels willen, Mylady!« rief er. »Was haben Sie denn gemacht?«
»Ich bin nur ein wenig Ski gelaufen«, sagte die passionierte Detektivin leichthin. »Wenn die boshaften Kinder ihren vermaledeiten Schneemann nicht mitten in meiner Bahn gebaut hätten, wäre alles glatt verlaufen.«
»Es gab doch hoffentlich keine weiteren Verletzten?« erkundigte sich McWarden besorgt.
»Natürlich nicht«, erwiderte die ältere Dame, als sei das die selbstverständlichste Sache der Welt. »Ich bin ja schließlich keine Anfängerin.«
Agatha Simpsons Garderobenwechsel und die Behandlung ihres Kreislaufs dauerten etwas länger. Parker nutzte die Zeit, um sich an der Rezeption diskret nach der Nummer des Appartements zu erkundigen, das die drei Herren aus London gemietet hatten. Bei dieser Gelegenheit erfuhr er auch, daß das Trio erst am Tag zuvor angereist war und schon am nächsten Morgen Llanfynydd zu verlassen plante.
»McWarden wird an Wunder glauben, wenn ich ihm die Lümmel überantworte«, feixte die passionierte Detektivin, als Parker in die Luxus-Suite zurückkehrte, die seine Herrin gemietet hatte.
»Myladys kriminalistische Fähigkeiten versetzen meine bescheidene Wenigkeit immer wieder in tiefes Erstaunen«, versicherte der Butler in seiner höflichen Art und schenkte noch einen Kognak nach. »Demnach darf man als sicher annehmen, daß Mylady Mister Ed Kenney und seine Begleiter für hinreichend verdächtig halten, den zwölfjährigen Oliver Bramfield entführt zu haben?«
»Verdächtig ist gar kein Ausdruck«, erwiderte Lady Agatha großspurig. »Die Schurken sind praktisch schon überführt. Das Geständnis ist nur noch eine Formsache. Wer das nicht sieht, dem fehlt eben Talent, Mister Parker.«
»Nie würde man es wagen, Myladys untrüglichen Instinkt in Zweifel zu ziehen«, versicherte Parker mit einer angedeuteten Verbeugung. »Dennoch dürfte der Umstand Beachtung verdienen, daß Mister Kenney bisher ausschließlich als Safeknacker aufgetreten ist, sofern die vorliegenden Informationen vollständig sind.«
»Na und?« schob die Detektivin den Einwurf beiseite. »Vielleicht hat Pat Kennedy einfach Abwechslung gebraucht. Immer nur Geldschränke knacken – das wird irgendwann mal langweilig.«
»Bedauerlicherweise verfügt man nicht über die einschlägigen Erfahrungen, Mylady«, antwortete der Butler. »Immerhin dürfte ein kurzer Höflichkeitsbesuch bei Mister Kenney und seinen Zimmergenossen zumindest für Unterhaltung sorgen.«
Daß Parker sich in diesem Punkt nicht getäuscht hatte, stellte sich bald heraus.
*
Mit einem indiskreten Blick durchs Schlüsselloch überzeugte sich der sonst so diskrete Josuah Parker davon, daß das angegebene Appartement tatsächlich von Kenney und Co bewohnt wurde. Der behäbig wirkende Geldschrankspezialist hatte es sich auf einem Sofa bequem gemacht, vor dem ein niedriger Couchtisch mit Rauchglasplatte stand.
Neben ihm saß einer der wesentlich jüngeren Männer, die ihm beim Frühstück Gesellschaft geleistet hatten. Beide pafften Zigaretten, starrten wortlos Löcher in die Luft und bekämpften ihre offensichtliche Nervosität mit einer Whiskyflasche, die schon halb geleert war.
»Man wünscht einen möglichst erholsamen Aufenthalt im romantischen Llanfynydd, Mister Kenney«, sagte Parker, während er seine Herrin eintreten ließ.
Kenney war derart perplex, daß ihm die glimmende Zigarette aus dem offenen Mund fiel und auf dem rechten Hosenbein einen kleinen Schwelbrand nebst schmerzhafter Blase verursachte.
»Mi-mister Parker!« stammelte er.
»Man dankt in aller Form für die überaus freundliche Einladung zum Eintreten, Mister Kenney«, fuhr der Butler fort und lüftete formvollendet die schwarze Melone. »Mylady wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sich bereitfinden könnten, wahrheitsgemäß auf einige Fragen zu antworten.«
»Wenn’s unbedingt sein muß ...«, entgegnete Kenney zögernd.
Parker merkte dem Mann deutlich an, daß ihm die jahrelang zurückliegende Begegnung mit Agatha Simpson immer noch in den Knochen steckte. Ed Kenney hielt es für ratsam, die temperamentvolle Lady nicht unnötig zu reizen.
Sein Sitznachbar, dem die nötige Erfahrung noch fehlte, zeigte sich dagegen weniger schüchtern.
»Soll ich die komische Schachtel rausschmeißen, Chef?« erkundigte er sich genüßlich, stand vom Sofa auf und baute sich in drohender Haltung vor Mylady auf.
»Könnte es zutreffen, Mister Parker, daß dieser junge Rüpel mich soeben in unverschämter Weise beleidigt hat?« erkundigte sich die ältere Dame und setzte ihren gipsbewehrten linken Fuß recht nachdrücklich auf die Hühneraugen ihres Gegenübers.
Der Mann reagierte mit Verrenkungen, die an die Darbietung eines wild gewordenen Rock’n-Roll-Sängers erinnerten. Allerdings fehlte den Schreien, die er dabei ausstieß, der mitreißende Rhythmus.
»Stellen Sie sich gefälligst nicht so zimperlich an, junger Mann!« herrschte Lady Agatha den zappelnden Ganoven an. »Das war nur eine kleine Lektion, die Ihnen zeigen sollte, daß man eine Lady Simpson nicht ungestraft beleidigt.«
Jammernd hüpfte der Mann auf einem Bein herum, sobald die gewichtige Dame seinen Fuß freigegeben hatte. Mit beiden Händen massierte er vorsichtig die malträtierten Zehen. Dabei kam dem tapsigen Tänzer neben dem allgemeinen Wohlbefinden auch der Gleichgewichtssinn abhanden.
Heftig ruderte der Mann mit den Armen, verlor dann die Balance und kippte nach hinten. Klirrend flog die Whiskyflasche mit den Gläsern vom Tisch, ehe der Unglückliche sich unversehens auf dem Schoß seines Chefs wiederfand.
»Hau ab, alter Idiot!« raunzte Kenney seinen Gehilfen an und stieß ihn wütend beiseite. »Und verhalt dich bloß ruhig, Herbie! Mit den beiden ist nicht zu spaßen. Davon kann ich ein Lied singen.«
»Es freut mich ungemein, wenigstens bei Ihnen, Mister Kennedy, gewisse Zeichen von Einsicht zu entdecken«, kommentierte Mylady. »Es wäre nur zu Ihrem Besten, wenn Sie ohne Umschweife ein Geständnis ablegen würden. Sonst...«
Kokett ließ die ältere Dame ihren perlenbesticken Pompadour wippen, den sie selbst beim Skilaufen am Handgelenk trug. Der vielfach bewährte Beutel mit den bunt lackierten Perlen aus Gußeisenenthielt ihren sogenannten Glücksbringer – ein veritables Hufeisen, das ein stämmiger Brauereigaul verloren hatte.
»Nein, bloß nicht«, winkte Kenney ab. Nur zu gut erinnerte er sich, mit welcher Präzision und Schnelligkeit Agatha Simpson ihren Glücksbringer einzusetzen wußte.
»Ein Geständnis?« fragte er vorsichtig. »Nicht, daß ich Ihnen etwas vorenthalten möchte, Mylady. Aber ich weiß überhaupt nicht, was für ein Geständnis Sie von mir erwarten.«
»Keine Ausflüchte!« Die Detektivin setzte genüßlich ihren Pompadour in etwas heftigere Schwingung. »Gestehen Sie endlich, daß Sie heute vormittag den kleinen Oliver Hamfield entführt haben, um seine Eltern zu erpressen!«
Kenney schien aus allen Wolken zu fallen.
»Das muß eine Verwechslung sein«, wandte er schüchtern ein und schielte argwöhnisch nach dem wippenden Beutel. »Meine Freunde und ich wollen hier ein paar Tage ausspannen. Mit krummen Dingern hab’ ich seit dem Knast nichts mehr zu tun, Mylady. Ehrlich!«
»Der Lümmel lügt, Mister Parker«, entgegnete Agatha Simpson wütend. »Ich werde ihm doch eine Maßregelung zuteil werden lassen.«
»Darf man sich möglicherweise erkundigen, welche Art von legalem Broterwerb es Ihnen erlaubt, einen Urlaub in diesem nicht gerade billigen Hotel zu verbringen, Mister Kenney?« schaltete Parker sich an dieser Stelle ein. Er fürchtete aus Erfahrung, das Verhör könnte vorzeitig mit der Vernehmungsunfähigkeit des Gangsters enden.
»Ich verkaufe Alarmanlagen«, antwortete Kenney, ohne lange zu überlegen. »Das ist ein lohnendes Geschäft.«
»Eine Feststellung, die man keinesfalls anzweifeln möchte, Mister Kenney«, antwortete der Butler. »Allerdings sieht meine Wenigkeit eine gewisse Gefahr, daß die Tätigkeit in der genannten Branche Sie mit dem Problem der Versuchung konfrontieren könnte, falls ein derart offenes Wort erlaubt ist.«
»Manchmal ist es nicht einfach, Mister Parker«, räumte Kenney mit treuherzigem Augenaufschlag ein. »Aber von der Entführung des Jungen habe ich wirklich nur zufällig gehört. Nie würde sich ein ehrlicher Safeknacker die Finger an Kidnapping schmutzig machen.«
»Gelegenheit macht nicht nur Diebe, wie es der Volksmund in seiner ebenso schlichten wie treffenden Art formuliert, sondern möglicherweise auch Kidnapper, Mister Kenney«, entgegnete Parker kühl.
»Aber bei mir sind Sie diesmal ganz bestimmt auf dem Holzweg, Mister Parker«, beteuerte der Ganove. »Glauben Sie etwa, ich hätte den Bengel hier im Hotelzimmer versteckt? Im Kleiderschrank vielleicht?«
»Darf man übrigens um Auskunft darüber bitten, wo sich Ihr zweiter Begleiter momentan aufhält, Mister Kenney?« wechselte der Butler unvermittelt das Thema.
»Sie meinen Dean?« vergewisserte sich Kenney, offenbar in der Absicht, Zeit zu gewinnen. Die Frage schien ihm nicht sehr gelegen zu kommen. »Der ist eben mal weggegangen, um ein paar Ansichtskarten zu kaufen. Er muß jeden Moment zurück sein.«
»Man dankt für die freundliche Auskunft, Mister Kenney, und wünscht weiterhin einen angenehmen Aufenthalt in Llanfynydd«, sagte Parker mit höflicher Verbeugung, ehe er seine Herrin zur Tür geleitete.
Ed Kenney und sein Gehilfe Herbie stießen Seufzer der Erleichterung aus, als das skurrile Paar den Raum verließ und der Butler die Tür hinter sich zuzog.
»Natürlich sind Sie mit dem abgefeimten Lümmel viel zu zaghaft umgegangen, Mister Parker«, kritisierte die Detektivin, während man durch den Korridor zur Hotelhalle schritt. »Daß ich nicht eingegriffen habe, hatte ausschließlich taktische Gründe, wie Sie sich denken können.«
»Immer wieder ist meine Wenigkeit zutiefst beeindruckt von Myladys unvergleichlichem Scharfsinn«, bemerkte der höfliche Parker.
»Im Moment soll der Schurke ruhig glauben, daß ich von seiner Unschuld überzeugt bin«, dozierte Agatha Simpson, während sie mit der Grazie einer Elefantendame auf dem Gipsbein durch das Foyer stampfte. »Um so leichter werde ich ihm anschließend die Schlinge um den Hals legen können.«
In diesem Augenblick erspähte sie Chief-Superintendent McWarden, der eiligen Schrittes mit hochrotem Kopf die Halle in entgegengesetzter Richtung durchquerte.
»Alles läuft planmäßig«, rief sie dem gestreßten Yard-Beamten gutgelaunt zu. »Nur einen Moment müssen Sie sich noch gedulden, mein Bester.«
Mit geistesabwesendem Lächeln nickte der professionelle Ganovenjäger der passionierten Detektivin zu und setzte geschäftig seinen Weg fort, ohne etwas zu erwidern.
»Jetzt bringt er schon vor Neid kein Wort mehr heraus«, frohlockte die Lady händereibend. »Dabei müßte er sich doch längst damit abgefunden haben, daß er gegen mich keine Chance hat.«
»Nichts liegt meiner Wenigkeit ferner, als dieser Feststellung zu widersprechen, Mylady«, versicherte Parker beiläufig und warf im Gehen einen schnellen Blick über die Schulter.
Bei dem Mann, der in diesem Augenblick von der Straße hereinkam und die Richtung zu Kenneys Appartement einschlug, handelte es sich zweifelsfrei um den zweiten Begleiter des Safeknackers. Ob der knapp dreißigjährige Hüne mit dem wiegenden Gang eines Seemanns tatsächlich Ansichtskarten gekauft hatte, würde sich noch heraussteilen...
*
»Halt, Mister Parker!« sagte Lady Simpson im Flüsterton.
Es hatte geklopft, und der Butler lenkte seine Schritte zur Tür, um zu öffnen.
»Das können nur die Gangster sein«, raunte die Detektivin. »Anscheinend fürchten die Lümmel doch, daß ich ihnen gefährlich werde, und möchten mich jetzt ausschalten.«
Überraschend flink stemmte sich die ältere Dame aus dem Sessel und bezog neben der Tür Posten. Der Pompadour am muskulösen Handgelenk wippte erwartungsvoll.
Durch Kopfnicken bedeutete Mylady dem Butler, ruckartig die Tür zu öffnen. Gleichzeitig holte sie in grimmiger Entschlossenheit aus ...
Mit der schwarz behandschuhten Rechten riß Parker die Tür auf. Fast gleichzeitig zog er mit der Linken die steife, schwarze Melone und hielt sie schützend über den Kopf des korpulenten Mittfünfzigers, der im Türrahmen stand.
Metallisches Klingen wie von einem Gong wurde hörbar, als der Glücksbringer im ledernen Beutel auf die mit Stahlblech gefütterte Halbkugel traf.
»Zum Teufel!« knurrte Chief-Superintendent McWarden und wich erblassend einen Schritt zurück. »Wollen Sie mich umbringen, Mylady?«
»Können Sie sich denn nicht vernünftig anmelden, wenn Sie mich besuchen wollen, mein lieber McWarden?« entgegnete die passionierte Detektivin. »Sie können sich doch denken, daß selbst eine Kriminalistin im Kampf gegen skrupellose Gangster gewisse Vorsichtsmaßnahmen treffen muß.«
»Ist ja noch mal gutgegangen, Mylady«, meinte McWarden und trat ein. Allmählich kehrte die Farbe in sein Gesicht zurück.
»Sie sind übrigens zu ungeduldig, McWarden«, belehrte Agatha Simpson ihren Gast. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen in der Bar warten, bis ich Ihnen die Lümmel bringe. Im Moment kann ich Ihnen noch nichts Neues berichten.«
»Aber ich«, konterte der Chief-Superintendent. Der verdutzte Ausdruck auf Myladys Gesicht schien ihn ausgesprochen zu amüsieren.
»Darf man um Aufklärung darüber bitten, wie Sie diese Andeutung verstanden wissen möchten, Sir?« hakte Parker gleich nach.
»Die Erpresser haben sich gemeldet«, teilte der Yard-Beamte mit. »Vor einer Viertelstunde. Telefonisch.«
»Kann und muß man von der Annähme ausgehen, daß konkrete Forderungen gestellt wurden, Sir?« wollte der Butler wissen.
»Hunderttausend Pfund wollen die Burschen von Sir Bramfield haben«, gab McWarden Auskunft. »Und zwar noch heute nacht.«
»Keinen Penny werden die Lümmel kriegen«, fuhr die resolute Dame dazwischen. »So wahr ich Agatha Simpson heiße!«
»Sir Bramfield wird dennoch zum Schein auf die Forderung der Kidnapper eingehen müssen, Mylady«, gab McWarden zu bedenken. »Anders kommen wir an die Kerle nicht heran.«
»Sie gewiß nicht, McWarden«, bestätigte Lady Agatha in herablassendem Ton. »Bei mir ist das etwas anderes. Ich bin Ihnen wieder mal um Nasenlängen voraus.«