Читать книгу Butler Parker 146 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3
ОглавлениеButler Parker war konsterniert.
Lady Simpson, die füllige und majestätische Erscheinung, hatte ihr Frühstück beendet und wandte sich plötzlich mit geradezu tragischer Geste an ihn und blickte ihn eindringlich an. Ihre sonst herben und strengen Gesichtszüge waren aus unerfindlichen Gründen weich geworden, hatten einen fast bittenden und beschwörenden Ausdruck angenommen.
Dies allein reichte bereits, in Parker eine echte Überraschung auszulösen. Nun räusperte die ältere Dame sich ein wenig und reichte ihm die Hand.
»Mylady hegen noch Wünsche?« erkundigte er sich in seiner höflichen Art.
»Mein königlicher Herr«, antwortete Lady Agatha, »Ihr seid kein heitrer Wirt...«
»Wie Mylady zu meinen belieben«, erwiderte der Butler gemessen und wußte nicht recht, ob er Myladys Hand ergreifen sollte. Vertraulichkeiten dieser Art waren ihm fremd. Er war das Urbild des hochherrschaftlichen Butlers, der schon von sich aus auf Distanz hielt.
»Mein königlicher Herr«, wiederholte Agatha Simpson erneut, »Ihr seid kein heitrer Wirt. Das Fest ist feil, wird das Mahl in seinem Fortgang oft durch Willkomm’ erst geschenkt. Man speist am besten daheim, doch auswärts macht die Höflichkeit den Wohlgeschmack der Speisen, nüchtern wäre Gesellschaft sonst.«
»Mylady waren mit dem Frühstück nicht zufrieden; erkundigte sich Josuah Parker.
»Ihr habt die Lust verscheucht und die Geselligkeit gestört durch höchst fremdart’ge Grillen.«
Agatha Simpson räusperte sich erneut und blickte ihren Butler streng an. Parker fühlte sich unwohl, zeigte es jedoch nicht. Sein Gesicht blieb glatt und ausdruckslos wie das eines professionellen Pokerspielers. Solch eine Ausdrucksweise kannte er nicht, wie Lady Simpson sie gebrauchte. Normalerweise verzichtete sie auf alle sprachlichen Schnörkel und sagte rundheraus das, was sie dachte. Rücksichten waren ihr fremd.
»Sollte meine Wenigkeit Myladys Unwillen erregt haben?« erkundigte er sich sicherheitshalber.
»Ich bitt’ Euch, sprecht nicht! Es wird schlimm und schlimmer ...«
Lady Agatha hob ihren rechten Arm. legte die Außenseite ihrer Hand gegen die Stirn und schloß die Augen. Dann stieß sie einen tiefen Seufzer aus.
»Sollten Mylady sich nicht wohl fühlen?« fragte Parker ehrlich besorgt. »Unsinn«, raunzte sie sofort und nahm ihre Hand wieder von der Stirn, »haben Sie denn noch immer nicht begriffen, Mr. Parker?«
»Nicht unbedingt, Mylady«, gestand Josuah Parker erleichtert. Nun war der Tonfall wieder völlig normal.
»Ich habe zitiert, Mr. Parker«, redete die ältere Dame weiter, »es handelte sich um einen klassischen Text.«
»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit ungemein erleichtert.«
»Sie haben den Text nicht erkannt, Mr. Parker? Ich muß mich doch sehr wundern!«
»Könnte es sich möglicherweise um Shakespeare handeln, Mylady.«
»Getroffen«, erwiderte sie und nickte beifällig, »aber Sie wissen natürlich nicht, um welches Drama es sich handelt, oder?«
»Mylady sehen meine bescheidene Person momentan ein wenig rat- und hilflos«, gestand der Butler.
»Macbeth«, sagte sie, »ich arbeite an der Rolle der Lady Macbeth, Mr. Parker. Und Sie müssen zugeben, daß ich die Rolle bereits beherrsche.«
»Mylady waren in der Tat überzeugend.« Parker hütete sich, auch nur die Andeutung einer Kritik laut werden zu lassen.
»Ich arbeite gerade an der Wahnsinnsszene, Mr. Parker«, verkündete sie und stand auf. Sie drapierte den weiten Morgenmantel um ihre Fülle, »und wissen Sie auch, warum ich mich mit dieser Rolle befasse?«
»Mylady dürften damit eindeutig eine bestimmte Absicht verfolgen«, antwortete Josuah Parker. Er ahnte schreckliche Dinge.
»Ich werde die Lady Macbeth spielen, Mr. Parker«, sagte sie stolz und präsentierte ihren üppigen Busen, »ich habe beschlossen, die Theaterwelt zu verblüffen.«
»Mylady werden keinerlei Schwierigkeiten haben«, wußte Josuah Parker bereits im voraus.
»Ich werde die Leute staunen lassen«, prophezeite Lady Agatha, »ich werde selbstverständlich neue Maßstäbe setzen.«
»Man wird Mylady möglicherweise zu Füßen liegen«, übertrieb der Butler.
»Natürlich«, wußte sie und nickte wohlwollend, »ich werde mir ein Theater mieten und einige Schauspieler engagieren. Ich werde Geschichte machen und demonstrieren, wie man die Lady Macbeth wirklich spielen muß.«
»Die Kritiker der Welt werden Mylady feiern«, sagte Parker, »Mylady beabsichtigen, sich in Zukunft nicht mehr der Aufklärung von Kriminalfällen zu widmen?«
»Natürlich«, entgegnete sie, »ich werde nur noch der großen Kunst leben, Mr. Parker. Ich habe meine wirkliche Berufung gefunden!«
»Myladys Erlaubnis voraussetzend, möchte meine Wenigkeit sich erkühnen, Mylady zu diesem Entschluß zu gratulieren.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an und glaubte ihr kein Wort.
»Auch für Sie, Mr. Parker, wird ein völlig neues Leben beginnen«, sagte Agatha Simpson umgehend und lächelte.
»Mylady erwecken Neugier in meiner Person.«
»Sie werden mir beim Einstudieren der Rolle die Stichworte geben«, ordnete sie an, »besorgen Sie sich ein Textbuch, Mr. Parker. Und dann brauche ich noch zeitgenössische Schriften zur Rolle der Lady Macbeth. Ich sagte Ihnen ja bereits, ich werde eine völlig neue Auffassung präsentieren.« Sie schritt zur geschwungenen Treppe, die ins Obergeschoß des altehrwürdigen Fachwerkhauses führte, blieb unten an der ersten Stufe stehen und blickte den Butler plötzlich aus großen Augen an, die Tragik und Furcht ausdrücken sollte.
»Zu Bett«, erklärte sie dann, »daß selbstgeschaffenes Grauen mich quält, ist Furcht des Neulings, dem die Übung fehlt! Wir sind noch jung im Handeln.«
»Wie Mylady zu meinen belieben«, antwortete Josuah Parker, der den sicheren Eindruck hatte, daß seine Herrin gerade erneut zitierte.
*
»Gott, was war das?« erkundigte sich Mike Rander. Der Anwalt war zusammen mit Kathy Porter aus der Bibliothek des Hauses gekommen und verfolgte die ältere Dame mit erstauntem Blick. Lady Agatha hatte die Galerie erreicht und verschwand im Korridor.
»Das hörte sich nach Shakespeare an«, sagte Kathy Porter nachdenklich.
»Lady Macbeth«, antwortete der Butler, »Mylady beabsichtigt, jene Bretter zu erobern, die die Welt bedeuten sollen.«
»Das war aber ein Zitat von Macbeth, nicht von seiner Frau«, meinte Kathy Porter und lächelte.
»Mylady dürfte es mit den Texten wohl nicht so genau nehmen«, ahnte der Butler, der dann ausführlich von den Absichten seiner Herrin berichten mußte.
Mike Rander, der vor Jahren zusammen mit Parker viele Abenteuer erlebte, war nach seinem Aufenthalt in den USA auf die Insel zurückgekehrt und verwaltete das beträchtliche Vermögen der älteren Dame. In der nahen Curzon Street bewohnte er ein Backsteinhaus, in dem sich auch seine Anwaltskanzlei befand.
Kathy Porter, die Sekretärin und Gesellschafterin der Lady, ging ihm dabei zur Hand. Zwischen ihr und Mike Rander hatte sich im Lauf der Zeit eine Beziehung entwickelt, die von Lady Agatha mit großer Freude und Genugtuung beobachtet wurde. Die ältere Dame tat alles, um diese Verbindung zu fördern. Sie träumte davon, die lieben Kinder, wie sie Mike Rander und Kathy Porter bezeichnete, miteinander zu verheiraten.
»Falls Lady Simpson das durchsteht, werden ruhige Zeiten auf uns zukommen, wie?« fragte Rander und blickte Parker an.
»Meine Wenigkeit wurde soeben als Stichwortgeber verpflichtet«, meinte der Butler.
»Viel Spaß«, erwiderte Rander und lächelte ironisch, »aber Sie haben ja bekannterweise starke Nerven, Parker. Sie werden es überleben.«
»Offen gesagt, Sir, die Aufklärung von Verbrechen wäre sicher nervenschonender.«
»Vielleicht haben Sie Glück, Parker. Stellen Sie sich mal vor, Sie würden als Darsteller engagiert. Wäre es nicht traumhaft, an Myladys Seite auf der Bühne zu stehen?«
»Sir, Sie erwecken in meiner Wenigkeit Gefühle, die man nur als ungut bezeichnen kann.«
»Wie wäre es denn mit der Rolle des Macbeth?« stichelte Rander weiter und zwinkerte Kathy Porter zu, »Sie würden sich bestens machen.«
»Sir, Sie versetzen meine Wenigkeit in eine gewisse Panik«, gestand der Butler. »Sie erlauben, daß man sich zurückzieht, zumal Mylady auf Bücher wartet, die sich auf ihre selbstgewählte Rolle beziehen?«
»Ich erlaube«, gab Rander zurück und verbeugte sich in komischer Eleganz, »aber lassen Sie sich die Sache mit der Rolle des Macbeth noch mal gründlich durch den Kopf gehen, Mylady und Sie wären ein reizvolles Paar!«
Butler Parker war erleichtert, als er etwa zehn Minuten später in seinem hochbeinigen Monstrum saß und von Shepherd’s Market aus in die City von London fuhr. Er glaubte zu wissen, wo er jene Bücher erhielt, die Mylady von ihm erwartete. Sein Ziel war eine Bibliothek in der Nähe der Fleet Street. Sie gehörte einem gewissen John Waters, der eine angesehene Buchhandlung betrieb und als Kenner der Literatur galt. Parker hatte die Absicht, diesem John Waters mitzuteilen und ihn um Hilfe zu bitten, was die von Mylady erwarteten Bücher betraf.
Während der ganzen Fahrt ging Parker nicht aus dem Kopf, was Mike Rander ihm ironisch vorgeschlagen hatte. Parker fürchtete, daß seine Herrin von sich auf den Gedanken kam, ihm eine Rolle zu übertragen.
Josuah Parker befaßte sich mit der Möglichkeit, in solch einem Fall auszuwandern.
*
Das dunkle Ladengewölbe war eine Oase der Stille.
Parker passierte die langen, mit Büchern gefüllten Regale und hielt Ausschau nach einem Verkäufer oder John Waters. Kunden waren nicht zu sehen, und Parker gestattete sich ein lautes Räuspern. Er wollte auf sich aufmerksam machen, hatte aber keinen Erfolg damit. Da er in der Vergangenheit schon einige Male in diesem Gewölbe war, schritt er weiter, passierte eine Art Querschiff und näherte sich dem Glasverschlag am Ende des Hauptgewölbes. Dort pflegte John Waters sich aufzuhalten.
Er war auch jetzt dort, doch er lag auf dem Boden und blutete aus einer Kopfwunde. Der Butler dachte an einen Unfall, beugte sich nieder und wollte sich um den Buchhändler kümmern. Dabei nahm er den altväterlich gebundenen Regenschirm von seinem angewinkelten linken Unterarm, legte ihn auf einen Aktenbock und hörte dann plötzlich im Magazin hinter dem Glasverschlag ein Geräusch, das ihm irregulär erschien. Parker richtete sich wieder auf und wechselte zur Tür des Magazins, dessen eisenbeschlagene Tür halb geöffnet war.
»Hallo?« rief Parker verhalten, stieß die Tür vollends auf und kam jetzt erst auf die Vermutung, daß John Waters vielleicht doch keinen Unfall erlitten hatte. Parker schob sich vorsichtig ins Magazin und ... sah plötzlich nichts mehr.
Diese Tatsache hing mit seiner schwarzen Melone zusammen, die man ihm tief in die Stirn getrieben hatte. Parker ging unter der Wucht des harten Schlages in die Knie, reagierte aber sofort geistesgegenwärtig und ließ sich seitlich fallen. Mit der linken Schulter stützte er sich dabei gegen ein Regal und griff gleichzeitig mit der rechten, schwarz behandschuhten Hand nach seiner Kopfbedeckung, um sie wieder in die normale Lage zu bringen. Er verfolgte damit auch die Absicht, sein Sehvermögen wiederherzustellen. Nur so war er schließlich in der Lage, sich auf den nächsten Angriff zu konzentrieren. Parker konnte sich nicht vorstellen, daß man ihn schonen würde. Er dachte an John Waters im Glasverschlag, der immerhin aus einer Kopfwunde blutete.
Der Butler konnte die schwarze Melone genau im richtigen Moment wieder nach oben drücken. Schräg vor sich machte er die Umrisse einer Person aus, die die Hände zum nächsten Schlag erhob. In diesen Händen befand sich augenscheinlich ein dickes Buch, das mit Sicherheit das Gewicht eines Vorschlaghammers hatte. Parker besaß die Nerven, diesen Schlag abzuwarten. Als die Person den Folianten erneut auf seinen Kopf setzen wollte, rollte der Butler sich noch mal seitlich weg und entging dem Schlag, der ihn bestimmt außer Gefecht gesetzt hätte.
Parker hörte einen Fluch, als der Foliant sein Ziel verfehlte. Die Gestalt wandte sich hastig ab und ergriff die Flucht. Parker erhob sich und verzichtete auf jede Verfolgung. Unnötige Hast war ihm fremd, zudem war der Vorsprung des Mannes schon zu groß. Daß es sich um einen Mann handelte, wußte er inzwischen. Er hatte deutlich eine Männerstimme ausgemacht.
Weit hinten im Magazin fiel eine Tür ins Schloß. Der Mann hatte sich endgültig abgesetzt und das Weite gesucht. Parker vergewisserte sich, daß die Melone korrekt auf dem Kopf saß, schnipste einige Stäubchen von seinem schwarzen Covercoat und begab sich zu John Waters.
Der Buchhändler war inzwischen zu sich gekommen und stöhnte. Er wollte sich aufrichten, doch ohne Parkers Hilfe hätte er es kaum geschafft. Waters öffnete die Augen und blickte Parker verblüfft an.
»Darf man sich nach Ihrem werten Befinden erkundigen, Mr. Waters?« fragte der Butler.
»Mr. Parker . ..?«
»Meine bescheidene Wenigkeit, Mr. Waters. Sie wurden das bedauernswerte Opfer eines Überfalls?«
»Der Kerl stand plötzlich hier hinter mir«, erklärte John Waters. Er war etwa sechzig, mittelgroß und hager. Er faßte nach der blutenden Verletzung am Hinterkopf und stöhnte, als Parker ihn behutsam in den Bürosessel drückte.
»Beraubte man Sie gewisser Barmittel?« fragte Parker, der sich im Glasverschlag bereits umgeschaut hatte. Der Butler deutete auf eine zerbeulte Blechkassette.
»Wenn schon«, meinte John Waters, »viel war nicht in der Kasse, nur ein paar Pfund.«
»Wenn Sie erlauben, wird man einen kurzen Blick in besagte Kasse werfen«, sagte Josuah Parker, um dann umgehend den Inhalt der Kassette zu überprüfen.
»Sie sind in der glücklichen Lage, keinen Verlust für sich verbuchen zu müssen«, meldete der Butler wenige Augenblicke später.
»Dann begreife ich überhaupt nichts mehr«, entgegnete Waters und blickte auf das Taschentuch, das er gegen die Platzwunde am Kopf gepreßt hatte, »warum bin ich dann niedergeschlagen worden?«
»Es könnte sich nicht um einen persönlichen Feind gehandelt haben?«
»Aber nein, mit wem sollte ich schon verfeindet sein, Mr. Parker? Ich habe keine Feinde und ...«
Das Telefon meldete sich in diesem Augenblick. Der Buchhändler hob ab, stutzte einen Moment und reichte dann den Hörer an Parker weiter.
»Ich muß Ihrer Geste entnehmen, daß man meine Wenigkeit zu sprechen, wünscht«, sagte Parker, um sich dann in die Verbindung einzuschalten.
»Parker, sind Sie’s?« fragte eine schneidend klingende Männerstimme.
»Ohne jeden Zweifel«, erwiderte der Butler, »die Form Ihrer Anrede läßt übrigens den Schluß zu, daß Sie die sprichwörtliche Kinderstube im Eiltempo durchmessen haben.«
»Zum Teufel mit Ihrer Kinderstube, Parker! Hören Sie jetzt mal genau zu, klar? Ich lasse mir von Ihnen nicht die Tour vermasseln, ist das kapiert worden?«
»Sie erwecken in mir ein gewisses Unverständnis.«
»Ich hab’ keine Ahnung, wieso und warum Sie sich an mich gehängt haben, Parker, aber hüten Sie sich! Das nächste Mal knall’ ich Ihnen nicht nur ’ne alte Schwarte auf den Kopf!«
»Sie deuten eine Steigerung Ihrer Methoden an?«
»Beim nächsten Mal, Parker, gibt’s blaue Bohnen. Also, halten Sie sich raus und spielen Sie nicht mit Ihrem Leben.«
»Sie könnten meiner Wenigkeit nicht freundlicherweise andeuten, wer Sie sind?«
»Na schön«, lautete die Antwort. Die schneidende Stimme ging in ironisches Lachen über, »ich bin der Maulwurf. Und jetzt können Sie mal rumrätseln, wer ich sein könnte.«
»Sie sind unlogisch«, stellte Parker in seiner höflichen Art fest, »vor wenigen Augenblicken deuteten Sie erst an, daß man sich kennt.«
»Zerbrechen Sie sich mal ruhig den Kopf, Parker.« Es klickte in der Leitung. Auf der Gegenseite war aufgelegt worden. Parker tat dies nun ebenfalls und wandte sich wieder dem Buchhändler zu, der gerade erneut sein Taschentuch gegen die Platzwunde drückte.
»Es geht schon wieder«, sagte John Waters, »es blutet nicht mehr.«
»Sie sollten vielleicht dennoch einen Arzt aufsuchen«, schlug Josuah Parker vor, »doch vorher möchte ich noch einen flüchtigen Blick ins Magazin werfen, wenn es erlaubt ist.«
»Ich komme mit«, sagte Waters, »vielleicht ist was gestohlen worden, Mr. Parker.«
»Sie verwahren dort kostbares Gut?«
»In einem Stahlschrank.« Der Buchhändler nickte. »Darin verwahre ich bibliophile Kostbarkeiten auf.«
»Was, bitte, sollte man sich darunter vorstellen?« wollte Josuah Parker wissen.
»Alte Bücher, Erstausgaben, Stahlstiche und Landkarten«, meinte John Waters, »aber ich kann mir kaum denken, daß der Täter hinter diesen Dingen her gewesen ist.«.
»Gibt es Gründe für diese Annahme, Mr. Waters?« wollte Parker wissen und deutete dann auf den Schrank, dessen Türen weit geöffnet waren. Vor dem Schrank lagen alte Folianten, Karten und Stahlstiche wüst durcheinander.
John Waters seufzte.
*
»Das klingt aber sehr interessant«, meinte Agatha Simpson anderthalb Stunden später. Parker war in das große und alte Fachwerkhaus der Lady Simpson zurückgekommen und hatte gerade Bericht erstattet.
»Haben Sie die Bücher für Mylady mitgebracht?« fragte Mike Rander nicht ohne Grund.
»Was für Bücher?« erkundigte sich die passionierte Detektivin.
»Fachliteratur zu Macbeth«, erinnerte Kathy Porter. Sie tat so harmlos wie Mike Rander. Beide wollten Lady Agatha nur ein wenig auf die Probe stellen. Sie hatte schließlich angekündigt, sich nur noch der Kunst zu widmen.
»Mr. Waters wird eine kleine Sammlung zusammenstellen, sobald er sich dazu wieder in der Lage fühlt«, beantwortete der Butler die Frage, um sich dann wieder Mylady zuzuwenden, »können Mylady unter Umständen noch solange warten?«
»Dieser Täter war also hinter alten Büchern her«, sagte Agatha Simpson und runzelte die Stirn, »aber gestohlen hat er nichts, wie?«
»Augenscheinlich nicht«, erwiderte Josuah Parker, »Mr. Waters wird aber noch eine genaue Sichtung vornehmen.«
»Was halte ich davon, Mr. Parker?« wollte sie prompt wissen.
»Mylady halten diesen Überfall für rätselhaft«, erwiderte der Butler.
»Das kann man wohl sagen«, sagte sie und nickte, »hatte ich in der Vergangenheit schon mal mit einem Maulwurf zu tun, Mr. Parker?«
»Meine Wenigkeit kann sich an dies nicht erinnern, Mylady.«
»Eben«, redete sie weiter, »von einem Maulwurf habe ich bisher auch noch nie etwas gehört.«
»Möglicherweise nannte der Anrufer diesen Namen, um Mylady zu täuschen.«
»Und dabei hat er mit Zitronen gehandelt«, äußerte Mike Rander, »er weiß schließlich nicht, daß Lady Simpson ab sofort nur noch Schauspielerin sein wird.«
»Und das ist ein guter Entschluß«, fügte Kathy Porter hinzu und zwinkerte Mike Rander zu.
»Nun, man soll niemals nie sagen«, erwiderte die ältere Dame umgehend, »und man sollte nicht alles wörtlich nehmen. Schließlich hat man mir da in der Buchhandlung den Fehdehandschuh hingeworfen.«
»Ihnen, Mylady?« staunte Kathy Porter sichtlich.
»Mir, mein liebes Kind. »Die ältere Dame nickte nachdrücklich, »natürlich auf dem Umweg über Mr. Parker, um genau zu sein.«
»Sie fühlen sich herausgefordert?« fragte Mike Rander erstaunt.
»Und wie, mein lieber Junge«, bestätigte sie, »ich kann es nicht dulden, daß man Mr. Parker einfach brutal niederschlägt. Das gleicht einer Kampfansage an mich!«
»Mylady sind zu gütigst«, warf Butler Parker ein, »aber Mylady sollten sich von ihren Absichten nicht abbringen lassen, die Rolle der Lady Macbeth zu spielen.«
»Ich werde beides tun«, erklärte sie, »man kann das eine tun und braucht das andere nicht zu lassen.«
»Sie wollen die Rolle der Lady Macbeth studieren«, fragte Kathy Porter ungläubig.
»Aber selbstverständlich, meine Liebe«, antwortete die ältere Dame selbstbewußt, »das ist doch die einfachste Sache der Welt. Während ich den Kriminalfall löse, werde ich die Rolle memorieren. Das läßt sich gut miteinander verbinden.«
Kathy Porter und Mike Rander tauschten schnell einen amüsierten Blick, während Parker höflich zu Boden schaute. Er ahnte wieder mal, was da auf ihn zukam.
»Haben Sie diesen Bücherwurm davon abgebracht, sich an die Polizei zu wenden?« fragte Lady Agatha ihren Butler.
»Dies, Mylady, war nicht notwendig«, erwiderte Josuah Parker. »Mr. Jon Waters wollte von sich aus den Zwischenfall nicht an die große Glocke hängen, wie er sich ausdrückte.«
»Dann kein Wort zu McWarden«, erklärte Lady Agatha, »ich werde mir auch diesen Fall nicht aus der Hand nehmen lassen, meine Lieben. Die Stunde des Maulwurfs ist gekommen, erfaß’ ich ihn, so werd’ ich keine Gnade kennen und ihn dem Richter überliefern.«
»Donnerwetter«, meinte der junge Anwalt, »stammt das auch aus ›Macbeth‹, Mylady?«
»Unsinn, erwiderte sie lächelnd, »das war von mir. Ich lebe bereits in meiner neuen Rolle, mein Junge! Ich weiß bereits jetzt, daß ich großen Erfolg haben werde ...«
*
»Könnte er nach einem bestimmten Buch gesucht haben?« fragte Mike Rander, als er mit Josuah Parker in die City zurückfuhr. Lady Agatha hatte sich zum Rollenstudium in ihr Studio zurückgezogen, wie sie laut und deutlich verkündet hatte. Tatsächlich jedoch saß sie wohl vor dem Fernsehgerät und sah sich einen Video-Film an. Seitdem sie ein solches Gerät angeschafft hatte, lief der Video-Rekorder auf Hochtouren. Agatha Simpson plante immer noch, einen Bestseller zu schreiben und hatte die feste Absicht, eine gewisse Agatha Christie in den Schatten zu stellen. Sie wußte, daß sie besser sein würde, als die in aller Welt bekannte Kriminalschriftstellerin. Dies jedenfalls behauptete sie unentwegt und war auch bereit, den Beweis dafür anzutreten. Mylady suchte allerdings vorerst noch nach einem passenden Stoff für ihr Buch.
Kathy Porter war ebenfalls im Fachwerkhaus in Shepherd’s Market zurückgeblieben. Sie wollte noch einige Briefe schreiben und rudern das Telefon bedienen.
»Sie sprachen gerade von jener Person, Sir, die sich Maulwurf nennt?« fragte der Butler zurück.
»Wie auch immer«, redete der Anwalt weiter. Er war vierzig, groß und schlank und erinnerte ein wenig an einen bekannten James-Bond-Darsteller. Randers Manieren waren lässig bis phlegmatisch, doch er konnte sich blitzschnell in einen harten Einzelkämpfer verwandeln, wenn man ihn angriff.
»Dieser komische Maulwurf muß Sie kennen«, stellte Mike Rander fest, der neben Parker im hochbeinigen Monstrum des Butlers saß. »Er hätte sonst wohl kaum angerufen.«
»Diese Tatsache, Sir, kann und sollte man unterstreichen.«
»Und der scheint Sie auch zu fürchten, sonst wäre er Ihnen am Telefon nicht mit dieser Drohung gekommen.«
»Ich möchte Ihnen nach wie vor beipflichten.«
»Um einen miesen kleinen Dieb kann’s sich also nicht gehandelt haben. Solch ein Typ würde sich auch kaum einen Kriegsnamen zulegen.«
»Sie unterstreichen alle Punkte, Sir, auf die es ankommt.«
»Also dürfte er etwas Bestimmtes gesucht haben, Parker. Und da er in einem Buchladen war, kann es sich nur um ein Buch handeln.«
»Solch eine Gedankenkette, Sir, drängt sich förmlich auf.«
»John Waters wird mit uns die Schwarten im Stahlschrank durchgehen«, redete der Anwalt weiter, »und dann werden wir unsere Schlüsse ziehen. Ich wette, Parker, Sie haben sich bereits eine erste Theorie gebildet, oder?«
»In Ansätzen, Sir, zwischen dem Niederschlag Mr. Waters und meinem bescheidenen Auftauchen in den Gewölben müssen schätzungsweise zehn Minuten gelegen haben, wie eine Befragung Mr. Waters’ ergab. Innerhalb dieser Minuten hat der Täter sich ausschließlich mit dem Stahlschrank befaßt und darin gesucht.«
»Damit dürfte klar sein, daß er nach einem bestimmten Buch fahndete«, faßte Mike Rander zusammen, »haben Sie sich schon danach erkundigt, ob in der Unterwelt ein Kerl namens Maulwurf bekannt ist?«
»Man setzte sich bereits mit Mr. Horace Pickett in Verbindung, Sir.«
»Aha, unser ehemaliger Meister in Sachen Taschendiebstahl«, antwortete Mike Rander und lachte leise.
»Ein Meister seines Faches, Sir, der auf den Pfad der Tugend zurückgekehrt ist.«
»Ich weiß, Parker, ich weiß. Sie sollten doch inzwischen wissen, daß ich Pickett durchaus schätze. Hat er etwas herausgefunden?«
»Nichts, Sir. Mr. Pickett wird jedoch weiterforschen und seine Beziehungen von früher spielen lassen.«
»Warum interessiert man sich für alte Bücher?« sinnierte Mike Rander halblaut. »Ich denke jetzt nicht an echte Liebhaber, sondern an Kriminelle.«
»Alle Bücher, Stiche und Landkarten können unter Umständen einen beträchtlichen Wert darstellen. Es gibt Sammler, die dafür horrende Summen zahlen.«
»Der Täter hat aber kostbare Folianten einfach auf den Boden geworfen und wühlte noch, als Sie auf der Bildfläche erschienen, Parker. Warum hat er die alten Schwarten nicht einfach in einen Koffer befördert um sie dann später abzutransportieren?«
»Er suchte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nach einer ganz bestimmten Ausgabe, Sir.«
»Das ist es nämlich, Parker! Er suchte nach einem einzigen Buch!«
»Man wird den Bestand im Stahlschrank zusammen mit Mr. Waters sichten müssen«, antwortete der Butler. Er steuerte sein hochbeiniges Monstrum, wie sein uralter Privatwagen spöttisch genannt wurde, durch die schmale Straße, in der sich der Buchladen befand. Wenig später trat Parker auf das Bremspedal und hielt.
»Geschlossen«, sagte er, »Mr. Waters scheint den Überfall physisch und psychisch noch nicht ganz verwunden zu haben.«
»Aber wir wollten uns doch hier treffen, oder? Sie riefen ihn an, Mr. Parker.«
»In der Tat, Sir«, antwortete der Butler, »man kann nur hoffen, daß Mr. Waters dieses Schild an der Tür höchst eigenhändig angebracht hat.«
*
»Hallo, Waters, wo sind Sie?« rief Mike Rander, nachdem Butler Parker die Tür geöffnet hatte. Sie war nicht verschlossen gewesen. Im Gewölbe herrschte Dunkelheit, obwohl es erst auf Mittag ging.
»Wo, zum Teufel, mag der alte Bücherwurm stecken?« fragte Rander weiter. Auch er kannte den Buchhändler von einigen Besuchen her. Während Mike Rander Parker einen warnenden Blick zuwarf, ging er weiter, sorgte aber dafür, daß er nicht aus der Tiefe des Gewölbes aufs Korn genommen werden konnte.
»Mr. Waters scheint sich ein wenig verspätet zu haben«, erwiderte Josuah Parker, der ebenfalls sehr aufmerksam war. Er hatte seinen schwarzen Covercoat geöffnet und auch die Knöpfe seines Zweireihers. Seine rechte, schwarz behandschuhte Hand griff nach einem der vielen Kugelschreiber, die sich in den Westentaschen befanden. Parker rechnete längst mit einer Falle und fürchtete, daß dem Buchhändler erneut etwas passiert war. Um aber lauernde Gegner zu verwirren und an möglicherweise gezielten Schüssen zu hindern, entschied er sich für eine Miniatur-Blitzlichtbombe. Er nahm den betreffenden Kugelschreiber in die Hand und entsicherte den Auslösermechanismus.
»Es empfiehlt sich, Sir, die Augen zu schützen«, sagte Parker dann und ... warf den Kugelschreiber weit in die Tiefe des Gewölbes. Während das angebliche Schreibgerät noch durch die Luft flog, ergiff die Hand den Rand seiner schwarzen Melone und brachte die Kopfbedeckung dicht vor das Gesicht. Gleichzeitig schloß er fest die Augen.
Dennoch, Parker wurde intensiv geblendet.
Nachdem der Kugelschreiber fast in der Höhe des Glasverschlages auf dem Steinboden aufgeschlagen war, schien eine kleine, intensiv strahlende Sonne zu explodieren. Parkers Netzhaut schmerzte. Er sah nach einer weißen Leere bunte Kreise und war nicht in der Lage, auch nur einen einzigen Schritt zu tun.
»Guter Gott«, sagte Rander halblaut, »das hat mal wieder gereicht, Parker.«
»In der Tat, Sir«, gab der Butler zurück, »darf man sich erlauben, Sie auf ein deutliches Stöhnen aufmerksam zu machen?«
»Tatsächlich.« Rander hatte die Ohren gespitzt, hörte das Stöhnen und dann einen dumpfen Fall, der von einem wüsten Fluch abgelöst wurde. Parkers Augen hatten sich inzwischen wieder einigermaßen an die herrschenden Lichtverhältnisse gewöhnt. Er ging vorsichtig weiter und entdeckte im letzten Moment vor sich einen Bücherstapel, der förmlich aus dem Boden wuchs. Parker umging das Hindernis, näherte sich dem Glasverschlag und entdeckte dann hinter der Tür zum Magazin eine Gestalt, die verzweifelt mit den Händen in der Luft herumfuchtelte. Auf dem Boden machte er eine zweite Gestalt aus, die sich über eine Bücherkiste gelegt hatte und einem nassen Handtuch glich.
Die beiden Männer im Magazin konnten noch immer nichts sehen, was allerdings auch kein Wunder war. Ohne jede Vorwarnung waren sie geblendet worden und hatten das grellweiße Licht voll hinnehmen müssen.
Josuah Parker verzichtete auf Höflichkeiten, die in dieser Situation wirklich nicht angebracht waren. Mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms, der mit Blei ausgegossen war, klopfte er bei beiden Gestalten höflich an und wählte sich als Ziel die Stirn des ersten Mannes, der sofort Wirkung zeigte und zu Boden ging.
Den zweiten Magazinbesucher behandelte Parker auf ähnliche Weise, diesmal jedoch wählte er den Hinterkopf des Mannes, der sich nach dem Anklopfen restlos entspannte und über der an sich großen Bücherkiste liegen blieb.
»Wo stecken Sie, Parker?« rief Mike Rander. Er befand sich neben dem Glasverschlag und traute sich nicht weiter.
»Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich Ihnen meine hilfreiche Hand leihen«, antwortete der Butler. Er wartete diese Erlaubnis allerdings nicht ab, sondern führte den Anwalt in den Glasverschlag und drückte ihn in einen einfachen Bürosessel aus Holz.
»Wie lange werde ich noch bunte Kreise sehen?« erkundigte sich Rander.
»Einige Minuten, Sir, werden Sie den Vorzug noch genießen können«, lautete Parkers Antwort, »inzwischen könnte meine Wenigkeit sich mit den beiden Männern befassen, die sich augenscheinlich unbefugt im Magazin aufhalten.«
»Zwei Männer? Etwa dieser Maulwurf?«
»Dies, Sir, wird man noch eruieren müssen«, entgegnete Josuah Parker in seiner höflichen Art. Er ging zurück in das Magazin und durchsuchte es. Dabei hatte er Gelegenheit, sich die Gesichter der beiden Bücherfreunde aus nächster Nähe anzusehen.
Es waren rohe Visagen mit niedriger Stirn und eng stehenden Augen. In einem Kriminalfilm hätte man die Männer ohne weiteres als Vertreter der Unterwelt eingesetzt.
Parker fand zwei Schlagringe, zwei Springmesser und einen kleinen Stahldorn, wie man ihn zum Öffnen von Milchdosen benutzt. Der Butler nutzte die geistige Abwesenheit der beiden Gestalten, um sich nach Verpackungsmaterial für sie umzusehen. Er entschied sich für ein zähes, breites Klebeband aus Kunststoff und verschnürte damit die Handgelenke der Männer.
»Wen haben wir denn da?« Mike Rander war ins Magazin getreten und hielt die Augen bis auf schmale Schlitze geschlossen.
»Es dürfte sich um zwei ordinäre Kriminelle handeln, Sir, beantwortete der Butler die Frage, »meiner bescheidenen Ansicht nach wollten Sie nur einen Auftrag ausführen, der von dem bereits mehrfach erwähnten Maulwurf stammt.
»Und was ist mit Waters, Parker?«
»Vielleicht gibt es Kellerräume, Sir, in denen man nach Mr. Waters suchen sollte.«
*
Sie fanden John Waters in schlechtem Zustand.
Er lag in seinem engen, stickigen Keller und mußte dann förmlich nach oben getragen werden. Es dauerte einige Zeit, bis er die ersten Fragen des Anwalts beantworten konnte. Ja, er war plötzlich von den beiden Männern überfallen und in den Keller geprügelt worden. Nein, sie hatten keine Fragen an ihn gestellt.
»Waren Sie inzwischen in der Lage, Mr. Waters, einen kurzen Blick in den Stahlschrank zu werfen?« fragte Josuah Parker.
»Ich begreife das alles nicht«, beschwerte sich John Waters, »warum plötzlich diese Überfälle? Ich bin doch nun wirklich nicht reich. Auch die Bücher drüben im Stahlschrank stellen kein Vermögen dar, auch nicht für einen eingefleischten Sammler.«
»Haben Sie vielleicht in jüngster Zeit irgendwelche Bücher angekauft?« fragte Mike Rander.
»Das allerdings.« John Waters nickte. »Es handelte sich um zwei Frühausgaben von Shakespeare, aber bibliophile Kostbarkeiten sind das nicht gewesen.«
»Diese beiden Bücher würde ich mir gern mal aus der Nähe ansehen«, bat Rander, »kommen Sie, Waters, wir werden Ihnen helfen.«
Der Buchhändler blieb betroffen stehen, als sein Blick auf die beiden Männer fiel, die inzwischen wieder zu sich gekommen waren, ihre Augen aber fest geschlossen hielten. Sie saßen dicht nebeneinander auf den Steinplatten des Bodens, hatten die Näherkommenden gehört und zogen unwillkürlich die Köpfe ein.
»Zu Ihnen später, meine Herren«, sagte Josuah Parker zu den Kriminellen, um sich dann John Waters zuzuwenden, »verfügen Sie über einen passenden Verschlag, in den man die beiden Besucher stecken könnte?«
»Der Raum für das Putzgerät«, antwortete Waters und deutete auf eine Tür im Hintergrund. Parker bat die Kriminellen, sich von ihren Plätzen zu erheben, was sie allerdings nur mühsam schafften. Anschließend führte er sie in den kleinen, engen Raum, wo er sie auf Putzeimer drückte und dann die Tür hinter ihnen schloß. Danach ging er zurück zu Mike Rander, der mit Waters vor dem Stahlschrank stand.
»Waters nimmt an, daß man die Bücher dort in der Kiste wegschaffen wollte«, meinte Rander und deutete auf einen solchen Behälter.
»Ich habe sie nicht dorthin gestellt«, schaltete der Buchhändler sich ein, »und sehen Sie, Mr. Parker, ein Teil der Bücher aus dem Schrank ist bereits in der Kiste.«
»Dann sollte man auch noch die restlichen Bücher einpacken, wenn ich diesen Rat erteilen darf«, schlug Josuah Parker vor und blickte Mike Rander an. Der Anwalt nickte und wartete auf Waters Antwort.
»Sie wollen die Bücher mitnehmen?« fragte Waters erstaunt.
»Man wird sie pfleglich behandeln, Mr. Waters«, versicherte der Butler gemessen.
»Was ist denn mit diesen Büchern?« fügte Waters fast verzweifelt hinzu. »Ich kann mir das plötzliche Interesse einfach nicht erklären. Sehen Sie doch, das dort sind die beiden Shakespeare-Ausgaben. Ich wiederhole noch mal, besondere Kostbarkeiten sind es gerade nicht.«
»Auch jene Bände würde man mitnehmen, zumal Lady Simpson gerade an Shakespeare interessiert ist.«
»Okay, nehmen Sie von mir aus alles mit«, sagte Waters entschlossen, »ich kann nur hoffen, daß ich dann meine Ruhe habe.«
»Wie schaffen wir die Kiste weg, Parker?« fragte der Anwalt.
»Wenn Sie gestatten, Sir, wird man sich um eine passende Transportmöglichkeit bemühen.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an und begab sich zurück in den Glasverschlag, um von dort aus einen Spediteur anzurufen. Er hatte das kleine Büro von John Waters noch nicht ganz erreicht, als das Telefon läutete.
»Buchhandlung Waters«, meldete sich der Butler, nachdem er abgehoben hatte.
»Waters? Sind Sie es etwa, Parker?«
»In der Tat«, erwiderte der Butler, »und was Sie betrifft, hat man es gewiß mit dem sogenannten Maulwurf zu tun?«
»Haben Sie etwa meine Warnung vergessen?« fragte die schneidende Stimme gereizt. »Hören Sie, Parker, ich scherze nicht!«
»Sie sprachen von blauen Bohnen, um genau zu sein.«
»Ist was passiert? Ich meine, in dieser Buchhandlung?«
»Keineswegs und mitnichten«, gab der Butler zurück, »man erfreut sich allgemein der besten Gesundheit.«
»Nicht mehr lange«, behauptete der Mann am anderen Ende der Leitung, der sich Maulwurf nannte, »wenn Sie die Buchhandlung verlassen, werden Sie sterben, darauf gebe ich Ihnen jede Garantie!«
*
»Reiner Bluff«, meinte der Anwalt, nachdem der Butler ihn informiert hatte. John Waters bekam nichts davon mit. Wegen eines kleinen Schwächeanfalls hatte er sich auf einen Stapel Bücher gesetzt und lehnte mit dem Kopf gegen die Wand.
»Wenn Sie gestatten, Sir, möchte ich mich Ihrer Meinung anschließen«, sagte Josuah Parker, »der Maulwurf kann sich unmöglich hier in der Nähe befinden, sonst hätte er Sie und meine Wenigkeit beim Betreten der Buchhandlung sehen müssen.«
»Also, was bezweckt dieser komische Maulwurf, Parker?«
»Er möchte Zeit gewinnen, Sir, um inzwischen das in Marsch setzen zu können, was man wohl Hilfstruppen nennt.«
»Und uns hier solange festnageln, wie?«
»Davon sollte man in der Tat ausgehen, Sir.«
»Dann nichts wie weg, Parker! Haben Sie einen Spediteur angerufen?«
»Mr. Pickett, Sir. Er wird innerhalb der nächsten zehn Minuten mit letzter Sicherheit hier erscheinen.«
»Seit wann betätigt Pickett sich als Spediteur?« Rander lächelte. Er hatte einen ganz bestimmten Verdacht.
»Mr. Pickett ist das, Sir, was man gemeinhin flexibel zu nennen pflegt.«
»Hoffentlich wird er nicht erwischt, wenn er sich einen Lieferwagen ausleiht, Parker.«
»Mr. Pickett betätigt sich nur noch innerhalb der Legalität, Sir«, versicherte der Butler. Er half dem jungen Anwalt, die restlichen Bücher in die Transportkiste zu legen. Nach wenigen Minuten war die Arbeit bereits beendet.
»Darf man Sie einladen, Mr. Waters, bei Lady Simpson den Nachmittagstee zu nehmen?« fragte der Butler dann den Buchhändler.
»Ich werde mein Geschäft schließen«, erklärte John Waters, der sich inzwischen ein wenig erholt hatte, »ich will nicht noch mal überfallen werden.«
»Wo können Sie denn wegtauchen, Waters?« begehrte der Anwalt zu wissen.
»Ich fahre aufs Land«, redete John Waters weiter, »ich fahre zu meiner Schwester nach Oxford. Dort bin ich hoffentlich sicher.«
»Ich glaube kaum, daß man Sie noch belästigen wird, wenn die Bücher erst mal hier aus dem Haus sind«, vermutete der Anwalt, »kommen Sie allein nach Oxford? Oder möchten Sie, daß wir Sie dorthin bringen?«
»Nein, ich komme schon zurecht, wirklich. Vielen Dank für die Einladung, Mr. Parker, aber ich möchte so schnell wie möglich London verlassen. Ich habe jetzt nur noch Angst.«
»Sie sollten sich einem gewissen Mr. Pickett anvertrauen«, schlug Josuah Parker vor, »dieser Gentleman wird Sie sicher nach Oxford bringen.«
»Keine schlechte Idee«, fand Mike Rander und lächelte. »Pickett ist ein Bursche, der sich auskennt. Sie sollten das Angebot annehmen, Mr. Waters. Aber schnell eine andere Sache: Sie wissen ja, welche Bücher dort im Stahlschrank waren. Entwickeln Sie mal Phantasie, für welches Buch könnten die Kerle sich wohl interessieren? Gehen Sie davon aus, daß es nur um ein einziges Buch geht.«
»Ich kann keinen klaren Gedanken fassen«, meinte John Waters und schüttelte langsam den Kopf, »ich kann immer nur wiederholen, daß die Bücher keine einmaligen Raritäten sind.«
Während Mike Rander sich mit dem Buchhändler weiter unterhielt, schritt Parker nach vorn ins Gewölbe und beobachtete von einem der schmalen und hohen Schaufenster aus die Straße. Er glaubte nach wie vor nicht daran, daß der Maulwurf, wie er sich nannte, sich in der Nähe der Buchhandlung aufhielt.
Parker zeigte sich kurz in der geöffneten Ladentür, als dann ein kleiner Kastenlieferwagen erschien, der vor dem Eingang zum Gewölbe hielt. Wenig später stand der Butler einem gewissen Horace Pickett gegenüber, der eine durchaus bemerkenswerte Erscheinung war. Pickett, ehemaliger Meister-Taschendieb, war etwa sechzig, groß, schlank und hatte ein gut geschnittenes Gesicht. Er trug einen gepflegten Schnauzbart und erinnerte an einen hohen, jetzt allerdings pensionierten Offizier.
»Ich habe zwei junge Männer mitgebracht, auf die man sich unbedingt verlassen kann«, sagte Pickett, nachdem er den Butler begrüßt hatte, »wohin soll die Kiste gebracht werden?«
»Zu Lady Simpson nach Shepherd’s Market«, antwortete Josuah Parker und deutete eine knappe Verbeugung an, als die beiden jungen Männer aus dem Kastenaufbau des kleinen Lieferwagens stiegen, »darf man fragen, Mr. Pickett, ob Sie inzwischen etwas von einem Maulwurf gehört haben?«
»Nichts, Mr. Parker«, bedauerte Horace Pickett, »es scheint sich um eine neue Figur in der Szene zu handeln, falls es diesen Maulwurf überhaupt gibt.«
»Sie haben Grund für die Annahme, daß der Maulwurf gar nicht existieren könnte?«
»Warum sollte er auf sich aufmerksam machen, falls es ihn unter dieser Bezeichnung gibt?«
»Eine Begründung, die man nur als logisch bezeichnen kann«, entgegnete der Butler, »hier scheint man Spuren verwischen zu wollen.«
»Was will denn der sogenannte Maulwurf, Mr. Parker?«
»Er interessiert sich eindeutig für alte Bücher, Mr. Pickett.«
»Wichtige Erstdrucke?« Horace Pickett kannte sich aus. Er hatte die beiden jungen Männer in die Buchhandlung geschickt, wo sie von Mike Rander in Empfang genommen worden waren.
»Mr. Waters verfügt nach seinen eigenen Worten nicht über teure Erstdrucke, Mr. Pickett.«
»Er könnte ein bestimmtes Buch von hohem Wert vielleicht übersehen haben?«
»Damit dürfte kaum zu rechnen sein.« Parker und der ehemalige Eigentumsverteiler traten zur Seite, als die beiden jungen Männer mit den schweren Bücherkisten erschienen und sie auf die Ladefläche des kleinen Lieferwagens schoben.
»Ab durch die Mitte«, schlug Rander vor, der kurz danach mit John Waters erschien, »räumen wir das Feld, bevor der Maulwurf mit seinen Hilfstruppen hier erscheint.«
»Ein paar von meinen jungen Freunden sind mitgekommen, aber schon vorher ausgestiegen«, schickte Horace Pickett voraus, nachdem man sich kurz begrüßt hatte, »sie werden die Buchhandlung im Auge behalten.«
»Es ist immer wieder ein reines Vergnügen, Mr. Pickett, mit Ihnen zusammenarbeiten zu können«, versicherte Josuah Parker gemessen.
»Ich will wissen, wer dieser Maulwurf ist«, erwiderte Horace Pickett, »das ist reine Neugier, Mr. Parker.«
»Sie möge Ihnen erhalten bleiben«, gab der Butler zurück und wandte sich an Waters, der nervös in der Tür zu seiner Buchhandlung stand, »Sie sollten einsteigen, Mr. Waters. Stellen Sie sich unter den Schutz Mr. Picketts, wie ich nur empfehlen kann.«
»Sie kommen nicht mit?«
»Wenn Sie erlauben, wird meine Wenigkeit sich noch etwas in der Buchhandlung aufhalten und jener Dinge harren, die vielleicht noch kommen werden.«
Parker lüftete höflich seine schwarze Melone und ging zurück in die Buchhandlung. Er hoffte auf baldigen Kontakt mit dem Maulwurf.
*
»Ich hoffe, Sie fühlen sich relativ wohl«, schickte Josuah Parker voraus, nachdem er die Tür zu dem kleinen Raum geöffnet hatte. Sein Satz galt den beiden Kriminellen, die nach wie vor auf bzw. in den Putzeimern saßen und einen recht unglücklichen Eindruck machten.
»Wir sehen uns noch mal wieder«, drohte einer der beiden dann und wollte Eindruck schinden.
»Sie sollten solch einem zweiten Kontakt möglichst aus dem Weg gehen«, schlug der Butler vor, »und Sie sollten nicht ohne weiteres Aufträge übernehmen, deren Tragweite Sie nicht zu überschauen vermögen.«
»Was sollen wir nicht?« fragte der Mann irritiert.
»Übernehmen Sie niemals Aufträge von Personen, die Sie nicht kennen«, übersetzte der Butler, »auf Sie wartet jetzt die Polizei, wie Sie sich vorstellen können.«
»Hören Sie mal, Mann«, schaltete der zweite Kriminelle sich hastig ein, »müssen Sie die Sache hier gleich an die große Glocke hängen?«
»Dem darf man sicher entnehmen, daß Sie der Polizei wohlbekannt sind, nicht wahr?« fragte Parker. Er bezog sich auf die Frage des Mannes. »Wir machen Ihnen ’nen Vorschlag«, redete der Kriminelle weiter, »wir packen aus, und Sie lassen uns laufen. Was halten Sie von dem Geschäft?«
»Offen gesagt, gar nichts«, erwiderte Josuah Parker, »Sie werden meine Wenigkeit mit Sicherheit belügen.«
»Lassen Sie’s doch darauf ankommen.«
»Sie wollen tatsächlich wissen, wer Sie engagierte?«
»Nee, das nun gerade nicht«, redete der Mann weiter, »aber wir wissen, wohin wir die Schwarten bringen sollten.«
»Sie reden jetzt von den Büchern, nicht wahr? Wie lautete genau Ihr Auftrag?«
»Wir sollten einen Stahlschrank ausräumen und die alten Bücher wegschaffen.«
»Stimmt«, fügte der andere Mann hinzu und nickte eifrig, »und wir sollten die Bücherkiste dann nach Soho bringen.«
»Sie verfügen sicher über eine genaue Adresse, was Soho betrifft?«
»Die Kiste sollten wir bei einem Ralph Moreland abliefern. Der hat da einen Spiel-Salon.«
»Ihrem Weggang steht nichts mehr im Wege«, äußerte Parker und drückte dem Mann, der gerade seine Aussage gemacht hatte, eine Schere in die Hand, »meine Wenigkeit geht davon aus, daß Sie dieses Werkzeug zu nutzen verstehen, um sich zu befreien.«
»Wo ist da der Trick« fragte der Kriminelle mißtrauisch.
»Darüber sollten Sie intensiv nachdenken«, meinte Parker höflich, »vielleicht kommen Sie so zu einem Resultat, meine Herren.«
Er kümmerte sich nicht weiter um die beiden Männer, die wohl mit Sicherheit nicht wußten, wer sie engagiert hatte. Parker ging sogar davon aus, daß sie eben die Wahrheit gesagt hatten. Es war sinnlos, diese Kriminellen der Polizei in die Hand zu spielen. Damit brachte man sie nur um die Möglichkeit, sich um ihren Auftraggeber zu kümmern. Josuah Parker konnte sich nämlich gut vorstellen, daß die Männer nun alles unternahmen, um an ihren Auftraggeber heranzukommen. Kriminelle dieses Schlages würden nichts unversucht lassen, aus diesem Auftraggeber Geld herauszuholen. Möglicherweise hatten sie, was ihr Teilgeständnis betraf, einige wichtige Details unterschlagen.
Parker schritt gemessen durch das Gewölbe der Buchhandlung, erreichte die Tür und entdeckte auf der Straße zwei junge Männer, die eindeutig betrunken waren und miteinander stritten. Parker öffnete die Tür.