Читать книгу Butler Parker Jubiläumsbox 7 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 5
Оглавление»Zum Henker, Parker, dieser Nachmittag ist doch eine ausgemachte Pleite«, sagte Mike Rander und gähnte langanhaltend. »Ich möchte wissen, was Sie sich von diesem Ausflug versprochen haben.«
Anwalt Mike Rander und sein Butler befanden sich an Bord einer schnittigen, hochseetüchtigen Motorjacht und kreuzten in den Gewässern irgendwo zwischen Key West und den Bahamas. Sie waren schon seit Stunden unterwegs und warteten mit Ungeduld auf irgendeinen Zwischenfall, der sich bisher leider noch nicht ereignet hatte.
Sie waren allein an Bord. Sie hatten sich die Hochseejacht gemietet, um angeblich Barracudas zu fischen. In Wirklichkeit aber wollten sie sich in diesem Seegebiet umschauen und herausbekommen, warum und wieso Marty Conwell vor knapp einer Woche zu Tode gekommen war. Die Angehörigen Marty Conwells hatten den Anwalt beschworen, diesen rätselhaften Todesfall zu klären, zumal sie vermuteten, daß Mord im Spiel war. Mike Rander, nicht nur der Anwalt der Conwells, sondern auch gut befreundet mit den Eltern des Toten, hatte nach einigem Zögern zugestimmt und diesen Auftrag übernommen, zumal Josuah Parker natürlich wieder einen aufregenden und interessanten Kriminalfall witterte.
»Wenn Sie darauf bestehen, Sir, werde ich beidrehen und die Rückfahrt antreten«, sagte Parker vom Ruder her, das er bediente. »Ich möchte Sie allerdings darauf aufmerksam machen, daß ich, falls mich meine Augen nicht getäuscht haben, einen Gegenstand auf dem Wasser gesichtet habe.«
»Wo...?«
Mike Rander sprang wie elektrisiert vom Liegestuhl hoch und enterte hinauf in den hohen Ruderstand, den sein Butler besetzt hielt. Josuah Parker, selbst hier in tropischen Gewässern in Schwarz gekleidet, trug selbstverständlich seine schwarze Melone. Auf sie hätte er selbst in den Regendschungeln Südamerikas freiwillig niemals verzichtet.
»Ich gestatte mir, Sir, Ihre Aufmerksamkeit auf jene kleine Insel zu lenken, die vorab, wenn auch nur in Umrissen, zu erkennen ist.«
Mike Rander schmunzelte in sich hinein. Er amüsierte sich immer wieder über die barocke und umständliche Ausdrucksweise seines Butlers. Auch davon ging Josuah Parker niemals ab, selbst dann nicht, wenn er unmittelbar bedroht wurde.
Rander baute sich neben seinem Butler auf und griff nach dem schweren Marineglas. Damit suchte er die Umrisse der kleinen Insel, von der sein Butler gerade gesprochen hatte. Viel war nicht zu erkennen. Durch die Optik des starken Glases war eine Art Riff zu erkennen, das von hohen Brandungsbrechern berannt wurde. Darüber standen einige windzerzauste Palmen. Einladend sah dieses kleine Eiland gewiß nicht aus. Es machte eigentlich sogar einen abweisenden und drohenden Eindruck.
»Na und...?« fragte Rander und ließ das Glas wieder sinken. »Von diesen Dingern gibt’s doch hier genug, Parker. Wollen wir eine Insel nach der anderen abklappern?«
»Im Grunde meinte ich nicht das bewußte kleine Eiland, Sir, sondern mehr das unscheinbare Segelboot, das irgendwie in Seenot geraten zu sein scheint.«
»Segelboot...?«
Mike Rander schüttelte ungläubig den Kopf. Von einem Segelboot hatte er nichts bemerkt. Sollte sein Butler sich endlich einmal getäuscht haben?
»Nichts zu sehen«, stellte Mike Rander fest, nachdem er noch einmal durch das Marineglas geschaut hatte. »Diesmal haben Sie mit Zitronen gehandelt, Parker.«
»Das bewußte Segelboot schwabert, wenn ich mir diesen Ausdruck erlauben darf, vor der linken Landzunge, Sir.«
Mike Rander wechselte die Blickrichtung und informierte sich erneut. Und dann, nach wenigen Sekunden, sah er tatsächlich das kleine Segelboot, das nicht größer war als eine mittelgroße Nußschale. Das Segel war halb eingezogen worden und machte einen zerfetzten Eindruck.
»Nun sagen Sie mir bloß, wie Sie das ohne Glas gesehen haben«, wunderte Mike Rander sich laut.
»Ich bin immer wieder glücklich, Sir, mich auf meine Augen verlassen zu können«, erwiderte Parker ungerührt.
»Darf ich die erforderlichen Rettungsmanöver einleiten?«
»Worauf warten Sie noch, Parker? Aber passen Sie auf, ich möchte nicht von der Brandung erwischt werden. Dann gibt’s nämlich Kleinholz.«
Parker nickte nur stumm und brachte den Hochseekreuzer auf Touren. Mit der selbstverständlichen Sicherheit und Gelassenheit des erfahrenen Seemannes handhabte er das Ruder. Mike Rander wunderte sich schon nicht mehr darüber. Gab es überhaupt etwas, was Parker nicht schaffte? Er war in allen Sätteln gerecht und geriet nur höchst selten in echte Verlegenheit. Und selbst die dauerte nie länger als ein bis zwei Minuten.
Während Josuah Parker den Hochseekreuzer in rasanter Fahrt an das hilflos treibende Segelboot heranbrachte, traf Mike Rander alle Vorbereitungen für das Rettungsmanöver, obwohl er noch nicht wußte, ob das Boot leer war oder nicht.
Zwischendurch beobachtete er immer wieder durch das Glas. Von Minute zu Minute waren immer mehr Einzelheiten zu erkennen.
Das kleine Segelboot machte einen erbärmlichen Eindruck. Es schien bereits einmal in die schwere Brandung der Insel geraten zu sein. Das Holzwerk war zerschlagen und zerschunden. Das Segel glich nur noch einem wertlosen Fetzen. Das Boot schien in irgendeinen Sog geraten zu sein, denn es hatte plötzlich Fahrt aufgenommen und trieb langsam zurück auf die Brandung.
»Parker, die Brandung«, rief Rander seinem Butler zu. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß das Toben der Brandung bereits deutlich zu hören war.
Josuah Parker stand stocksteif und in durchaus korrekter Haltung am Ruder und bewegte den Motorkreuzer durch das heikle Fahrwasser. Er hatte längst erkannt, daß das kleine, zerschlagene Segelboot abgetrieben wurde. Er beschrieb einen leichten Kreis und schnitt dem gefährdeten Boot den Weg zur Brandung ab.
Dann spielte sich alles innerhalb weniger Minuten ab. Es waren für Mike Rander Minuten, die wie kleine Ewigkeiten andauerten. Die Ausläufer der Brandung rüttelten und schaukelten den Seekreuzer gehörig durch. Parker mußte sein ganzes Können aufbieten, damit sie nicht auf das Unterwasserriff geschleudert wurden.
Mike Rander hatte einen langen Enterhaken in den Händen und zog das Segelboot an den Kreuzer heran. Es war ein Kraftakt, der ihm den Schweiß auf die Stirn trieb.
Doch dieser Kraftakt sollte sich lohnen, wie sich bald herausstellte. Auf dem Rost des kleinen Segelbootes war eine unbewegliche Gestalt zu erkennen.
Es handelte sich um eine Frau, die äußerst attraktiv aussah, die offensichtlich bewußtlos war. Langes, blondes Haar fiel über ihre nackten Schultern. Sie trug einen knapp sitzenden einteiligen Badeanzug und sie lag auf dem unteren Teil eines Bademantels, der ausgebreitet auf dem Bodenrost lag.
Mike Rander wartete mit der Bergung der Frau, bis sie das lädierte Segelboot aus dem Sog herausgeschleppt hatten. Im ruhigen Wasser, weitab von der tobenden Brandung, konnte er dann schließlich die Frau an Bord des Motorkreuzers schaffen.
Sie mochte etwa dreißig Jahre alt sein und sah wirklich nicht mehr aus wie ein junges Mädchen. Es handelte sich um eine reife, sehr attraktive Frau, der das Salzwasser und die sengende Sonne noch wenig zugesetzt hatten.
Sie lebte noch!
Mike Rander und Josuah Parker trugen sie hinunter in die Kajüte und betteten sie auf eine gepolsterte Sitzbank. Dann sah Mike Rander seinen Butler fragend und etwas hilflos an.
»Was machen wir jetzt?« fragte er. »Ich wette, Sie kennen sich auch in der Ersten Hilfe aus, oder?«
»Als junger Pfadfinder, Sir, wurde ich darin ausgebildet«, stellte Parker würdevoll fest. »Da äußerliche Verletzungen nicht zu erkennen sind, kann es sich hier nur um eine Ohnmacht oder Erschöpfung handeln, die man vielleicht mit einem kleinen Schluck Whisky beheben könnte.«
Der Hinweis auf den Whisky genügte, um die Wimpern der wirklich gut aussehenden Frau zittern zu lassen. Sekunden später schlug sie die Augen auf und sah sich verwirrt um.
»Oh...!« stöhnte sie mit leiser, erschöpfter Stimme. Sie hob den Kopf, um ihn sofort wieder zurücksinken zu lassen.
»Keine Sorge, Madam, Sie sind außer Gefahr«, sagte Josuah Parker. »Haben Sie besondere Wünsche? Was darf ich Ihnen reichen?«
»Durst... Durst...!« Ihr Flüstern drückte rührende Hilflosigkeit, aber auch grenzenlose Erleichterung aus. Sie hatte wohl sofort begriffen, daß sie gerettet war.
Parker begab sich zur gut ausgestatteten Bordbar und mixte einen Belebungsdrink. Als er damit zurückkam, stellte Mike Rander sich gerade vor.
»Und das hier ist mein Butler«, meinte er, auf Parker weisend. »Schon allein seine Drinks haben ihn berühmt gemacht.«
»Ich... ich bin... Susan Kelly«, antwortete die Frau. Dann griff sie hastig wie eine Verdurstende nach dem Glas und trank. Sekunden später hatte sie ihre Erschöpfung vergessen. Sie hüstelte zwar, schüttelte sich etwas, nachdem sie das Glas leergetrunken hatte, doch dann konnte sie sich aus eigener Kraft hochsetzen. Parkers Drink hatte ein kleines Wunder bewirkt.
»Ich, ich muß mich wohl bei Ihnen bedanken«, sagte sie. »Es, es war fürchterlich!«
»Darf ich höflich fragen, seit wann Sie draußen auf See waren, Madam?« erkundigte sich der Butler.
»Ich, ich weiß nicht«, gab sie kopfschüttelnd zurück. »Vielleicht zwei oder drei Stunden. Es war schrecklich, als ich in die Brandung geriet.«
»Sie kamen dort von der Insel?« fragte Mike Rander.
»Von der anderen Seite der Insel«, erwiderte Susan Kelly. »Ich wollte nur etwas hinaussegeln, aber dann trieb ich ab. Und als Seglerin war ich wohl doch nicht so gut, wie ich dachte.«
»Hauptsache, Sie befinden sich in Sicherheit«, erwiderte Mike Rander lächelnd. »Wir bringen Sie selbstverständlich zu Ihren Leuten zurück.« Mike Rander reichte ihr eine Zigarette, die Susan Kelly fast hastig entgegennahm. Dann wandte sich Mike Rander um und rief: »Parker, zurück auf die andere Seite der Insel!«
Als keine Antwort kam, wandte Rander sich um.
Josuah Parker war bereits wieder zurück zur Bordbar gegangen und mixte einen zweiten Drink. Die Eiswürfel klapperten lautstark im Shaker.
»Wir bringen Miß Kelly zurück zur Insel«, sagte Rander, als sein Butler mit dem gefüllten Shaker zurückkam.
»Ihr Wunsch, Sir, ist mir selbstverständlich Befehl«, erwiderte der Butler mit einer leichten, angedeuteten Verbeugung. »Darf ich mir erlauben, vorher noch einen zweiten Drink zu reichen?«
Während er redete, füllte er das Glas der jungen, sehr attraktiven Frau, die dankbar nickte.
»Wollten Sie nicht ohnehin zur Insel«, fragte Susan Kelly, als sie das Glas angetrunken hatte. »Kann es sein, daß wir Sie schon gestern hier zwischen den Inseln gesehen haben?«
»Stimmt haargenau«, antwortete Mike Rander. »Wir sehen uns hier etwas um.«
»Und möchten, wenn es die Umstände erlauben, einige Barracudas fischen, Madam!« Parker goß aus dem Shaker noch etwas nach. Susan Kelly trank und schloß dann anerkennend die Augen.
»Sehr gut!« sagte sie. »Wollen Sie nicht mit mir anstoßen, meine Herren?«
»Aber selbstverständlich«, gab Mike Rander zurück. »Wir müssen ja noch auf die Rettung aus Seenot trinken, gute Idee, Miß Kelly!«
»Wir hätten Champagner an Bord, Sir!« meldete Parker.
»Genau richtig, Parker. Den können Sie uns bringen.«
»Diesmal mixe ich die Drinks«, sagte Susan Kelly. Sie wollte die langen, schlanken Beine auf den Boden stellen, verlor aber das Gleichgewicht, seufzte dumpf auf und fiel zurück auf die Polsterbank. Ihre Augen schlossen sich.
»Parker! Parker, sie ist wieder ohnmächtig«, rief Mike Rander überrascht.
»Das wundert mich nicht, Sir«, erwiderte Parker würdevoll.
»Wir haben ihr zuviel zugemutet«, meine Rander. »Die Drinks waren wohl doch zu scharf!«
»Gewiß, Sir, zumal ich mir erlaubte, ein stark wirkendes Schlafmittel unterzumischen. Ich muß sagen, die Angaben der Hersteller auf dem Röhrchen entsprechen den Tatsachen, was ich kaum zu hoffen wagte, Sir!«
»Sind Sie wahnsinnig, Parker?« Entrüstung schwang in Mike Randers Stimme mit.
»Nur vorsichtig, Sir«, erwiderte Parker höflich. »Ich fühle mich schließlich für Ihr Leben verantwortlich!«
»Wie war das?« Mike Rander, der sich gerade über die junge Frau gebeugt hatte, richtete sich erstaunt auf. »Was hat die Frau hier mit meinem Leben zu tun?«
»Darauf, Sir, kann ich Ihnen zur Zeit leider noch nicht antworten«, entgegnete der Butler. »Ich bin aber sicher, daß es recht bald schon zu einer Aufklärung kommen wird.«
»Diesmal liegen Sie schief, Parker.« Mike Rander zündete sich eine Zigarette an und warf einen verstohlenen Blick auf die Frau, die tatsächlich tief und fest schlief. Strenger fügte er hinzu: »Sie werden sich später bei Miß Kelly entschuldigen, klar?«
»Selbstverständlich, Sir, sofern meine Vermutungen sich nicht beweiskräftig belegen lassen.«
»Vermutungen? Wovon sprechen Sie eigentlich?«
»Von Miß Susan Kelly, Sir. In ihren knappen und sehr vagen Erklärungen gibt es einige Ungereimtheiten, die mich stutzig werden ließen.«
»Ich habe nichts davon bemerkt, Parker. Drücken Sie sich deutlicher aus.«
»Miß Kelly ist angeblich seit zwei oder drei Stunden als Schiffbrüchige auf dem Wasser gewesen. Ihr körperlicher Zustand aber erwies sich als ausgezeichnet. Sie erholte sich erstaunlich schnell von den schweren Strapazen.«
»Sie sieht immerhin sportlich aus«, meinte der junge Anwalt und sah anerkennend auf Susan Kelly hinunter. »Wollen Sie ihr daraus einen Strick drehen?«
»Zwei oder drei Stunden unter der gnadenlosen Sonne, Sir, ohne jeden Sonnenschutz! Müßte die Haut der Frau nicht mitgenommen aussehen? Denken Sie, falls ich mir diesen Hinweis erlauben darf, an die zerstörerische Wirkung des Salzwassers! Selbst die gesündeste Haut würde solch eine Tortur nicht überstehen!«
»Das, na ja, das könnte stimmen«, pflichtete Mike Rander seinem Butler bei. »Gut, angenommen, sie schwindelt uns etwas vor. Und nun? Vielleicht hat sie ihre Gründe, uns nicht die Wahrheit zu sagen.«
»Gewiß, Sir. Und in diesem Zusammenhang denke ich an das rätselhafte Verschwinden und an den Tod von Mr. Marty Conwell.«
»Sie wollen seinen Tod mit dieser Frau in Zusammenhang bringen? Das ist doch absurd, Parker!«
»Aus welchem Grund verließ Marty Conwell seine Motorjacht? Warum fiel er über Bord? Und warum wurde er von den ›Haien‹ angenommen? Mr. Conwell galt als besonnener Sportsmann, der freiwillig niemals sein Boot verlassen hätte. Und selbst wenn er es allein getan hätte, Sir, wieso und warum, diese Frage sei mir gestattet, wieso und warum starben auch seine beiden Begleiter?«
»Noch einmal, Sie wollen Miß Kelly damit in Zusammenhang bringen? Das will und kann ich einfach nicht glauben, Parker. Sieht sie wie eine eiskalte Mörderin aus?«
»Sie könnte als Lockvogel für den Mörder gedient haben, Sir.«
»Die Phantasie geht wieder mal mit Ihnen durch. Aus welchem Grund sollten Conwell und seine beiden Begleiter auf hoher See ermordet worden sein?«
»Das müßte man herausfinden, Sir. Und ich glaube nach wie vor, daß Miß Kelly der Schlüssel zu diesen Dingen ist.«
Parker hatte sich über die junge Frau gebeugt und sah sie sich genau an. Ihn interessierten nicht die vollendeten Formen dieser Frau. Solche äußerlichen Dinge vermochten ihn niemals zu beeindrucken. Nein, der Butler begutachtete den großen Ring am Finger der Frau und das schwere Medaillon, das an einer feinen Goldkette hing.
»Was haben Sie denn jetzt schon wieder im Visier?« fragte Rander, der sich irgendwie unbehaglich fühlte.
»Ich frage mich, warum Miß Kelly darauf bestand, die Drinks selbst zu mixen, Sir.«
»Ach, jetzt geht mir ein Licht auf.« Rander lachte wie ein großer Junge. »Sie denken an Gift, was?«
»Ich dachte an Gift, Sir, und ich habe es gerade gefunden!«
Parker ließ den Halbedelstein aufklicken. Er sprang mit Federkraft aus der Fassung und gab den Blick frei auf ein feines graues Pulver, das sich in einem Miniaturbehälter in der Fassung befand.
»Donnerwetter, Sie dürften wieder einmal den richtigen Riecher gehabt haben«, stieß Mike Rander überrascht hervor.
»Auch das Medaillon, Sir, dürfte eine Art doppelten Boden haben«, antwortete Josuah Parker. »Mit Ihrer Erlaubnis werde ich das graue Pulver bergen und es später zur Analyse einreichen.«
»Jetzt bestehe ich sogar darauf«, meinte der junge Anwalt. »Aber zum Henker, falls es wirklich Gift ist, warum schleppt sie es mit sich herum? Und warum könnte sie es womöglich uns verabreicht haben?«
»Das sind Rätsel, Sir, die erst noch einer genauen Klärung bedürfen. Oh, ich glaube, ich habe den Mechanismus des Medaillons entdeckt!«
Parker hatte nicht zu viel versprochen.
Auch das Medaillon an der feinen Goldkette ließ sich öffnen. Und auch hier fand sich das graue Pulver.
Parker holte aus der Bordapotheke ein kleines Fläschchen und füllte das Pulver um. Dann schloß er Ring und Medaillon und richtete sich auf.
»Falls ich die Dinge in einem richtigen Zusammenhang sehe, Sir, geht es um jenes kleine Eiland. Mir scheint, daß man ungebetene Gäste um jeden Preis fernhalten will.«
»Wir hatten früher schon einmal mit einer Insel zu tun, auf der sich Waffenschmuggler eingenistet hatten, Parker.«
»Daran dachte ich gerade, Sir. Hier dürfte es aber um größere Dinge gehen. Denken Sie an die Vorgänge hinsichtlich Mr. Conwells! Ich schlage vor, daß man sich dieses Eiland doch einmal gründlich aus der Nähe ansieht.«
»Okay, einverstanden, Parker. Aber vorher kümmern wir uns um Miß Kelly, falls sie wirklich so heißt!«
»Darf ich daraus entnehmen, Sir, daß wir sie mit nach Key West nehmen?«
»Sie dürfen, Parker, Sie dürfen!«
Parker warf einen letzten Blick auf die tief schlafende Miß Kelly und verließ dann die Kajüte. Er wollte sich um den Kurs des Bootes kümmern. Als er das Deck erreicht hatte, sah er sich prüfend in der Runde um.
Nun, von dem kleinen, palmenbewachsenen Eiland war längst nichts mehr zu sehen. Dafür aber machte Parker einen Außenborder aus, der mit wahnwitziger Geschwindigkeit über das Wasser tanzte und genau auf den Motorkreuzer zuhielt.
*
»Na, Parker, was halten Sie von diesem Ding?« fragte Mike Rander wenig später. Er war ebenfalls nach oben an Deck gekommen und stand nun neben seinem Butler.
»Es könnte sich nach Lage der Dinge um die Freunde oder Bekannten der jungen Dame handeln, die wir aufgefischt haben, Sir.«
»Sieht fast danach aus. Na, wir werdend bald sehr genau wissen. Ich glaube, wir sollten aber einige Vorbereitungen treffen.«
»Sie sprechen mir aus dem Herzen, Sir«, antwortete der Butler würdevoll. »Mir scheint, daß Gefahr in der Luft liegt.«
Mike Rander verschwand unter Deck, um einige diverse Schußwaffen zu holen, die Parker selbstverständlich mitgenommen hatte. Der Butler beobachtete indessen den Außenborder, der mit unverminderter Geschwindigkeit auf den Motorkreuzer zuhielt. Es sah fast so aus, als wollte er ihn rammen.
Ein Wettlauf mit dem Außenborder war sinnlos. Dazu reichte die Geschwindigkeit keinesfalls aus. Der Außenborder war wesentlich schneller. Es war inzwischen deutlich zu sehen, daß er von einem Zwillingsmotor getrieben wurde.
»Ich denke, wir stellen uns erst mal harmlos und lassen sie an Bord kommen«, schlug Mike Rander vor, der wieder neben seinem Butler im Ruderstand aufgetaucht war. »Vielleicht schnappen wir, so ein paar Hinweise auf.«
»Sie sprechen mir erneut aus dem Herzen«, antwortete der Butler. »Wenn ich richtig gesehen habe, befinden sich zwei Männer an Bord.«
Minuten später war der Außenborder heran.
Der Mann am Steuer des schnellen Flitzers winkte aufgeregt zum Motorkreuzer hinüber. Sein Begleiter auf dem Nebensitz dagegen verhielt sich vollkommen ruhig.
Der Außenborder ging geschickt längsseits. Der Mann am Ruder des Außenborders nahm ein elektrisch verstärktes Megaphon an den Mund und setzte seinen ersten Spruch ab.
»Drehen Sie bei, Küstenpolizei! Drehen Sie sofort bei!«
»Eine äußerst durchsichtige Lüge«, stellte der Butler halblaut fest.
»Drehen Sie bei«, sagte Mike Rander. »Lassen wir sie an Bord kommen. Aber passen wir höllisch auf. Ich möchte nicht wie Marty Conwell abserviert werden.«
Parker nickte. Er brachte den Motorkreuzer aus der Fahrt und stieg vom erhöhten Ruderstand hinunter an Deck, wohin Mike Rander bereits gegangen war.
Der Außenborder hatte sich ganz dicht an die Bordwand des Kreuzers geschoben. Der zweite Mann im Außenborder stand jetzt auf und sprang geschickt an Bord des Motorkreuzers.
Der Mann war mittelgroß, schlank und sah sportlich durchtrainiert aus. Er trug eine einfache, zerknitterte Leinenhose und ein kurzärmeliges, bunt bedrucktes Hemd. Waffen schien er offensichtlich nicht zu tragen.
»Vielleicht können Sie uns helfen«, sagte er, sich an Mike Rander wendend. »Wir suchen eine Blondine, die uns mit einem Segelboot entwischt ist.«
»Entwischt?« Rander tat arglos.
»Eine durchtriebene Gaunerin«, redete der Mann weiter. »Das Boot haben wir inzwischen gefunden, aber die Frau ist verschwunden. Haben Sie sie an Bord genommen?«
Der Mann sprach schnell. Seine Stimme klang energisch, fast ungeduldig. Man hörte deutlich heraus, daß er sich zu einer gewissen Höflichkeit zwang.
»Parker, haben wir eine Blondine an Bord genommen?« rief Mike Rander seinem Butler zu, der an der Reling stand und auf den längsseits festgemachten Außenborder hinuntersah.
Mike Rander hätte sich besser nicht umgedreht.
»Natürlich haben Sie sie an Bord genommen«, sagte der Mann. Gleichzeitig preßte er den Lauf eines 45ers gegen Randers Rippen. »Wir haben’s deutlich gesehen. Also, wo steckt sie?«
»Ist, ist das ein Überfall?« vergewisserte sich Mike Rander, der sich vorsichtig umdrehte.
»Sie begreifen aber schnell«, spottete der Mann mit der Waffe. »Hände hoch, und keine Dummheiten, sonst geht’s Ihnen dreckig!«
»Bestehen Sie darauf, daß auch ich die Hände hochnehme?« erkundigte sich Parker von der Reling her.
»Was Sie tun, Alter, ist mir egal! Falls Sie aber verrückt spielen, sind Sie reif!«
Der zweite Mann stieg auf den Motorkreuzer über. Er war größer und knochiger als sein Partner. Sein Gesicht war grob geschnitten. Die fliehende Stirn, die tiefliegenden Augen und die starken Wülste darüber erinnerten an die Salonausgabe eines Steinzeitmenschen. Im Gegensatz zu ihm war der Mittelgroße direkt zivilisiert.
»Geh’ runter, Andy, und sieh’ dich um«, kommandierte der Mittelgroße. Andy, wie die Salonausgabe des Steinzeitmenschen hieß, nickte, entsicherte einen handlichen Colt und verschwand unter Deck.
»Gut, wir haben die Blondine an Bord genommen«, sagte Mike Rander. »Sie befand sich in Seenot. Was paßt Ihnen daran nicht?«
»Maul halten!« kommandierte der Mittelgroße. Von einer Unterhaltung mit ihm konnte keine Rede sein.
Der Steinzeitmensch kam an Deck zurück. Er nickte seinem Partner nur zu.
»Ist sie unten?« vergewisserte sich der Mittelgroße.
»Sie pennt!« antwortete der Neandertaler. »Möglich, daß die ihr was in den Drink gekippt haben! Ich bekomm’ sie nich’ hoch.«
»Was haben Sie mit ihr gemacht?« fragte der Mittelgroße, sich an Mike Rander wendend.
»Nichts! Was sollen wir mit ihr gemacht haben? Sie kippte plötzlich um. Und wenig später tauchten Sie bereits auf. Das ist alles!«
»Los, Andy, hol’ sie rauf und trag’ sie ins Boot!«
»Darf man fragen, Sir, warum Sie uns mit solch einer furchteinflößenden Waffe bedrohen?« wandte Parker sich an den Mittelgroßen. »Vielleicht verwechseln Sie uns mit Personen, die Ihr Mißfallen erregt haben.«
»Was haben Sie da draußen vor der Insel gemacht?« fragte der Mittelgroße, ohne auf Parkers Frage überhaupt einzugehen. »Seit zwei Tagen treiben Sie sich da draußen rum.«
»Mr. Rander und meine bescheidene Wenigkeit sind zwei harmlose Sportfischer«, erläuterte der Butler in seiner höflichen Art.
»Da haben Sie sich das richtige Wasser ausgesucht«, meinte der Mittelgroße und grinste. »Die Inseln hier sind von Haien verseucht.«
»Hallo, Clem, hier is sie!«
Der Steinzeitmensch erschien erneut an Deck. Auf seinen langen, starken Armen trug er Susan Kelly. Die Last schien dem Mann überhaupt nichts auszumachen.
»Ins Boot mit ihr«, befahl Clem. Dann wandte er sich an Rander und Parker: »Und ihr, Leute, werdet gleich freundlicherweise ins Wasser hüpfen, klar?«
»Habe ich Sie richtig verstanden, Sir? Mr. Rander und meine bescheidene Wenigkeit sollen ins Wasser hüpfen, wie Sie sich auszudrücken beliebten?«
»Na und?« wiederholte Clem noch einmal, um gleichzeitig die Mündung der Waffe anzuheben. »Das ist doch euer Problem, oder?«
»Sie, Sie wollen uns ermorden?« fragte Mike Rander kalt.
»Sie sind ein verdammt schneller Denker, Mr. Rander. Schnüffler können wir nicht ausstehen!«
»Haben Sie vielleicht auch Marty Conwell umgebracht?«
»Das geht Sie einen Dreck an, Rander! Los, springen Sie! - Oder soll ich Sie erst mit ein paar Bleibohnen anbohren? Blut im Wasser, das ist genau das, was Haie anlockt. Bleiben Sie aber heil, haben Sie ’ne knappe Chance, noch mal davonzukommen.«
»Und das Boot, Sir? Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß es nur geliehen ist.« Parker sah den Gangster vorwurfsvoll an.
»Keine Sorge, der Verleiher ist garantiert versichert«, meinte Clem grinsend. »Wenn nicht, hat er eben Pech gehabt!«
Rander hatte längst eingesehen, daß dieser Mann nicht scherzte. Hier wurde ein klarer Doppelmord geplant. Die Gründe dafür waren ihm unbekannt, aber darauf kam es im Augenblick auch gar nicht an.
Rander sah zu Parker hinüber, der nach wie vor einen gelassenen und vielleicht auch etwas naiven Eindruck machte. Hatte Parker nicht verstanden? Hatte er nicht genau zugehört? Hier sollte doch ein Doppelmord begangen werden!
»Los, jetzt springt, Leute, sonst knallt’s!«
Clem war ein erstklassiger Schütze.
Um Josuah Parker und Mike Rander über die Reling zu treiben, feuerte er zwei Schüsse ab. Die Geschosse bohrten sich dicht vor Randers und Parkers Schuhspitzen in die Decksplanken. Holzsplitter zischten wie böse und gereizte Hummeln durch die Luft.
»Die nächsten Dinger sitzen anders«, sagte Clem gelassen. »Wird’s bald? Los, springt!«
Mike Rander war völlig überrascht, als sein Butler tatsächlich über die Reling hinunter ins Wasser sprang. Parker hatte nicht den geringsten Versuch einer Gegenwehr unternommen. Das war etwas, was Mike Rander eigentlich noch nie erlebt hatte.
Clem grinste, als der Butler samt Melone und Universal-Regenschirm über die Reling gehopst war. Dann wandte er sich Mike Rander zu.
»Los, jetzt sind Sie dran«, sagte er.
Mike Rander merkte, daß Clem innerhalb der nächsten Sekunden gezielt schießen würde. Um einem Treffer zu entgehen, entschloß sich Mike Rander, seinem Butler zu folgen.
Wütend und gereizt stieg Rander über die Reling und ließ sich in das aufrauschende Wasser fallen. Als er wieder an die Oberfläche kam, sah er sich nach seinem Butler um.
Josuah Parker paddelte bereits im Atlantik und schien sich in Anbetracht der Umstände recht wohl zu fühlen. Mit schnellen Stößen schwamm Mike Rander zu ihm hinüber. Als er ihn erreicht hatte, legte er sich auf den Rücken und sah zum Motorkreuzer hinüber.
Clem war bereits in den Außenborder übergestiegen. Er bückte sich und hob einen kreisrunden schwarzen Gegenstand hoch, den er mit einem Strick, den er an der Reling festband, an der Bordwand herunterhängen ließ.
Der Außenborder löste sich vom Motorkreuzer und nahm Fahrt auf. Er rauschte etwa einhundert Meter vom Motorkreuzer weg und drehte dann bei.
Sekunden später geschah es.
Eine donnernde Explosion! An der Bordwand, dort also, wo der kreisrunde schwarze Gegenstand befestigt worden war, brach eine orangerote Stichflamme hoch. Und dann wirbelten Wrackteile durch die Luft, daß Mike Rander unwillkürlich den Kopf einzog.
Als sich Rauch und Feuer gelegt hatten, sank der Motorkreuzer bereits. Er war von der Sprengmine zerrissen worden. Es mußte sich um eine sehr starke Ladung gehandelt haben.
»Diese, diese verdammten...« Rander wollte einen derben Kraftausdruck hinzufügen, doch eine Welle verstopfte ihm den Mund.
»Der Außenborder, Sir!« meldete Parker. Seine Stimme klang unbeeindruckt. Er schien sich mit der neuen und tatsächlich hoffnungslosen Situation bereits abgefunden zu haben.
Rander drehte sich in die neue Richtung.
Der Außenborder hatte wieder Fahrt aufgenommen und hielt direkt auf sie zu.
»Sie, sie wollen uns rammen«, keuchte Rander, der wieder mit einem Wasserschwall, der seinen Mund erreicht hatte, kämpfen mußte. »Aufpassen, Parker!«
Der Außenborder rauschte heran, doch der erwartete Rammversuch blieb aus.
Clem richtete sich auf und winkte ironisch.
»Viel Vergnügen«, rief er dann. »Schöne Grüße an die Haie!«
Dann hatte er plötzlich einen Benzinkanister in Händen, öffnete den Verschluß und goß eine blutrote Flüssigkeit ins Wasser.
»Das ist, doch...«, Rander spuckte Wasser und brachte seinen Satz nicht zu Ende.
»Das ist Blut, Sir«, stellte Parker fest. »Ich möchte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit behaupten und feststellen, daß sich innerhalb weniger Minuten die ersten Haie einfinden werden!«
Parker hatte sich in seinen Voraussagen keineswegs getäuscht.
Aufgeschreckt durch die Explosion des auseinanderplatzenden Motorkreuzers näherten sich drei ausgewachsene Haie. Durch Erfahrung gewitzigt wußten sie, daß leichte Beute in Sicht war. Kraftvoll und geschmeidig peitschten sie das Wasser und peilten die Unglücksstelle an. Ihre Körper glichen gefährlichen Torpedos.
Wenig später witterten sie zusätzlich noch frisches Blut. Die drei Haie kamen sofort auf den Geschmack. Sie beschleunigten ihre Reisegeschwindigkeit und kreisten die Unglücksstelle ein. Sie rechneten fest mit ein paar Menschen, die hilflos im Wasser trieben.
Der größte der drei Haie, ein erfahrener Jäger, ortete die beiden im Wasser treibenden Menschen. Blind vor Gier ging er sofort zu einem ersten Angriff über.
Die beiden großen Happen waren für ihn eine leichte Beute. Dachte sich der Hai. Er interessierte sich vor allen Dingen für zwei strampelnde, schwarz behoste Beine, die sich ihm als besonderer Leckerbissen anboten.
Der Hai schoß heran, drehte sich geschickt auf den Rücken und sperrte erwartungsvoll sein Maul auf, in dem die Zähne wie scharfe Dolche standen. Die kleinen, kalten Augen des Haies schienen bösartig zu glitzern. Der Bissen war seinem Magen so gut wie sicher.
Doch dann ereigneten sich Dinge, die der erfahrene Hai noch niemals erlebt hatte.
Er wollte gerade genußvoll zuschnappen, als er tödlich erschreckt wurde. Die beiden schwarz behosten Beine falteten sich plötzlich auseinander und wurden zu einem großen, schwarzen Kreis.
Der Hai bremste ab und warf sich zurück. Da er noch nie im Leben einen aufgespannten Regenschirm gesehen hatte, war seine Überraschung durchaus verständlich.
Mißtrauisch drehte der Hai ab und sah sich nach seinen beiden Partnern um, die ebenfalls bremsten. Auch sie wußten mit diesem Regenschirm nichts anzufangen. Sie schauten erwartungsvoll zu ihrem größeren Partner hinüber und schienen darauf zu warten, daß er dieses schwarze Rätsel löste.
Der Großhai fühlte sich in seiner Ehre empfindlich verletzt, zumal sein Ansehen auf dem Spiel stand. Er konnte es sich einfach nicht leisten, vollends abzudrehen. Solch ein Rückzug hätte sich in seinen Kreisen sehr schnell herumgesprochen.
Er fuhr also einen zweiten Angriff. Und diesmal war er fest entschlossen, sich nicht noch einmal bluffen zu lassen. Er nahm sich vor, den kreisrunden schwarzen Gegenstand einfach zu rammen.
Nach einem schnellen, prüfenden Blick auf seine beiden abwartenden Begleiter brachte er sich entschlossen in Fahrt. Und erneut glich er einem stählernen Torpedo, den nichts mehr zu halten vermochte.
Der Hai visierte den kreisrunden, schwarzen Gegenstand an und ging zum Rammen über. Diesmal, das fühlte er leichtsinnigerweise, konnte gar nichts schiefgehen.
Er erlebte eine äußerst peinliche Überraschung.
Seine Nase hatte das schwarze Ziel fast erreicht, als plötzlich aus dem Zentrum der schwarzen Scheibe heraus ein langer, wippender Gegenstand hervorschoß. Eine rasiermesserscharfe, nadelspitze Stahlspitze bohrte sich in seine empfindliche Nasenpartie.
Der Hai gurgelte erschreckt, zog das Höhensteuer und schoß über den oberen Rand des kreisrunden schwarzen Gegenstandes hinauf zur Wasseroberfläche. Er zog einen dünnen Blutfaden hinter sich her.
Die beiden abwartend zurückgebliebenen Hai staunten nicht schlecht. Sie hatten sich bereits in Bewegung gesetzt, doch als sie ihren Anführer abziehen sahen, hielten sie sich schnell zurück und beratschlagten miteinander.
Sie kamen innerhalb weniger Sekunden überein, es mit einem massiven Angriff zu versuchen. Sie wollten ihrem Anführer beweisen, daß dieses Problem durchaus zu lösen war.
Sie begannen mit einem kleinen Täuschungsmanöver, setzten sich ein paar Meter ab, warfen sich dann entschlossen herum und rauschten heran. Für sie war der Fall bereits gelaufen, wie Menschen sich möglicherweise ausgedrückt hätten. Für sie war die Beute bereits geschafft.
Doch auch sie erlebten eine herbe Überraschung.
Der schwarze, kreisrunde Gegenstand war nicht mehr existent. Er schien sich im Wasser aufgelöst zu haben. Dafür sahen die beiden angreifenden Haie die Beinpaare von zwei im Wasser treibenden Menschen. Ein besseres Ziel hätten sie sich gar nicht vorstellen können. Im Wasser treibende Menschen waren für sie kein Problem.
Doch als sie die beiden Beinpaare fast erreicht hatten, da blähte sich erneut der schwarze, kreisrunde Gegenstand auf. Und aus dem Zentrum dieser schwarzen Scheibe schoß ein langer, wippender, rasiermesserscharfe Degen.
Einer der beiden Haie wurde empfindlich oberhalb der linken Brustflosse aufgeschlitzt. Der Hai drehte sofort ab und ergriff die Flucht. Schließlich kannte er ja die Gier seiner Artgenossen.
In schneller Fahrt lief er ab, um sich irgendwo zwischen den Riffen der kleinen Inseln zu verstecken. Der zweite Hai setzte ihm nach. Ihm saß noch der Schreck in den Gliedern. Er war davon überzeugt, daß Flucht der bessere Teil der Tapferkeit war.
Die beiden mittelschweren Haie verschwanden also, doch der Haupthai wollte noch nicht aufstecken. Der Stich in die Nase hatte ihn bis zum äußersten gereizt. Um sein Prestige zu pflegen, versuchte er es mit einem Überraschungsangriff. Diesmal konzentrierte sich sein Eifer auf die hellen Hosen, die neben dem dunklen, kreisrunden Gegenstand im Wasser paddelten.
Er setzte die List langjähriger Erfahrung ein. Diesmal wollte er wie ein Pfeil von tief unten her nach oben schießen und zuschnappen. Der Haupthai konzentrierte sich. Dann zischte er los, als sei er von einem Katapult befördert worden.
Diesmal war der Hai so schnell, daß er seine Fahrt nicht mehr zu bremsen vermochte. Gierig riß er sein Maul auf. Genußvoll schloß er die Augen. Dann schlossen sich seine Kiefer. Und gleichzeitig spürte er, daß er seine Beute zwischen den Zähnen hatte.
Er biß kraftvoll zu.
Und bekam heftige Zahnschmerzen.
Seine Zähne schrammten und splitterten auf einer Halbkugel herum, die aus Stahlblech zu bestehen schien. Der getäuschte Hai spuckte den unverdaulichen Brocken hastig aus, verschluckte sich und raste, geplagt von heftigen Zahnschmerzen, davon. Sein Bedarf war, wie es so treffend heißt, restlos gedeckt. Er erinnerte sich plötzlich jener Haifänger, die diese Gewässer unsicher machten. Wahrscheinlich hatten diese Menschen sich neue Köder ausgedacht.
Wild vor Wut und Gier folgte er der Blutspur, die die beiden anderen davonzischenden Haie hinterlassen hatten. Sie führte hinüber zu einem nahen Riff. Die Blutwitterung wurde immer stärker und frischer. Der Hai wußte längst, daß sie von einem Artgenossen stammte, doch das störte ihn nicht weiter. Er wollte morden. Um jeden Preis!
»Erinnern Sie mich daran, Parker, daß ich später noch vor Angst zu zittern habe«, sage Mike Rander wasserspuckend. »Im Moment habe ich keine Zeit dazu.«
Der junge Anwalt trieb neben seinem Butler im Wasser und sah der davonjagenden Dreiecksflosse des Haies nach. Parker nickte zur Bestätigung der gehörten Worte und faltete dann sorgfältig seinen altväterlichen Universal-Regenschirm zusammen, der den Hai in die Flucht geschlagen hatte. Anschließend bemühte er sich um seine zerschrammte und angeknabberte Melone, die der Hai als unverdaulich ausgespuckt hatte. Die Melone sah noch recht ansehnlich aus. Parker konnte sie ohne weiteres wieder aufsetzen, was er wegen der sengenden Sonne auch tat.
»Rechnen Sie mit weiteren Raubfischen?« erkundigte sich Mike Rander.
»Weniger mit weiteren Fischen, Sir, als vielmehr mit der Rückkehr der Gangster«, antwortete der Butler und warf einen interessierten Blick in die Runde.
»Weit und breit nichts mehr zu sehen«, sagte Mike Rander, der sich ebenfalls umgesehen hatte. »Haben Sie ein Patentrezept, Parker, wie wir schleunigst aus dem Wasser kommen?«
»Verflixt, wie kommen wir aus dieser Wasserwüste wieder heraus«, schimpfte Rander. Er sah sich nervös in der Runde um und fügte hinzu: »Sind Sie sicher, daß die Haie sich auch wirklich verzogen haben?«
»Im Augenblick ist mit weiteren Belästigungen wohl kaum zu rechnen, Sir.«
»Keine Insel in der Nähe?«
»Ich sehe einige kreisende Vögel über dem Horizont.«
»Ich sprach von einer Insel, nicht von Vögeln«, gab Rander zurück, nachdem er wieder einmal Wasser gespuckt hatte.
»Wo kreisende Vögel sind, Sir, ist auch mit einem mehr oder weniger großen Eiland zu rechnen.«
»Na schön, setzen wir uns in Bewegung«, schlug der Anwalt vor. »Hoffentlich kreuzen wir keine Wasserstraße der Haie.«
Die beiden Männer, mochten sie äußerlich auch noch so ungleich sein, steckten selbstverständlich nicht auf. Gewiß, sie hatten einiges Pech gehabt, doch im Grunde konnte sie so etwas kaum aus dem seelischen Gleichgewicht bringen. Dazu waren sie viel zu trainiert, dazu hatten sie sich schon in ganz anderen Situationen befunden.
Parker übernahm die Führung und schwamm los. Mike Rander schloß sich seinem Butler an und mußte bald feststellen, daß Josuah Parker auch im Wasser ein einsamer Meister war. Trotz der hinderlichen Kleidung, die Parker natürlich nicht abgestreift hatte, entwickelte er ein Tempo, das Rander die Luft nahm.
Parker fand sehr schnell heraus, daß er sein Tempo drosseln mußte. Er paßte sich der Geschwindigkeit seines jungen Herrn etwas besser an. Rander entledigte sich der Oberkleidung und war einer ersten Erschöpfung nahe, als nach gut einer Stunde endlich vor ihnen die vagen Umrisse einer Insel zu erkennen waren.
»Ist das die Insel, die wir bereits angelaufen hatten?« fragte er keuchend seinen Butler.
»Das, Sir, läßt sich mit Sicherheit leider nicht feststellen«, erwiderte der Butler mit ruhiger, fast entspannter Stimme. »Die Konturen dieser Insel sind mir fremd.«
»Ist vielleicht auch besser so!« Rander legte sich auf den Rücken, um etwas zu verschnaufen. Dann, er glaubte nicht richtig gesehen zu haben, erhielt er so etwas wie einen elektrischen Schlag.
»Haie, Parker, Haie!« rief er und deutete auf eine riesige Dreiecksflosse, die sich ihnen schnell näherte.
»Ich bin bereits orientiert, Sir«, meldete der Butler. »Ich werde, wenn Sie gestatten, einen ersten Kontakt aufnehmen. Vielleicht handelt es sich um einen alten Bekannten.«
Die Dreiecksflosse kam immer näher heran. Sie kreiste um die beiden im Wasser treibenden Männer, um dann... wie von Furien gehetzt, in rasender Schnelligkeit davonzujagen.
»Das war ein alter Bekannter, Sir«, meldete der Butler, und der Anflug eines leisen Lächelns glitt über sein Gesicht. »Ich glaube nicht, daß sich ein Angriff wiederholen wird.«
Parker vermutete richtig.
Die Dreiecksflosse und der dazugehörige Hai tauchten weg und wurde nicht mehr gesehen. Rander und Parker konnten ungestört auf das Eiland zuschwimmen. Auffallend war ein Brandungssaum weit vor der Insel. Das Wasser brach sich daran. Hinter dem Brandungssaum befand sich eine weite, vollkommen ruhige Lagune.
Parker übernahm jetzt wieder die Führung. Mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms kettete er seinen jungen Herrn an sich. Dann schwamm er beherzt in die donnernde Brandung hinein und ließ sich samt seinem jungen Herrn durch einen gewaltigen Brecher in die stille Lagune tragen.
Sie kamen ohne jede Schrammen in stilles Wasser und wurden wenig später von einer sanften Unterwasserströmung auf eine schmale Landzunge zugetrieben. Minuten später hatten sie festen Sandboden unter sich und konnten sich niederlassen.
Erst jetzt merkte Mike Rander, wie erschöpft er war. Die Muskeln und Nerven vibrierten und zitterten. Nach Luft schnappend legte Rander sich auf den Rücken und blieb ausgepumpt liegen.
»Wenn Sie erlauben, Sir, sehe ich mich etwas um«, hörte er die Stimme seines Butlers.
»Tun Sie, was Sie wollen, aber lassen Sie mich erst mal in Ruhe«, gab Rander müde zurück. »Sie befinden sich in einer unverschämten Form.«
»Sie beschämen mich, Sir«, gab Parker würdevoll zurück. »Im übrigen empfehle ich, sich unter das Strauchwerk dort zurückzuziehen, zumal man wirklich nicht wissen kann, wer sich hier auf der Insel außer Ihnen und meiner bescheidenen Wenigkeit noch befindet.«
Rander hörte den knirschenden Sand unter den Schuhen des Butlers. Sekunden später umgab ihn völlige Ruhe, die äußerst einschläfernd auf ihn wirkte.
Er erinnerte sich der Worte seines Butlers, kroch mit letzter Kraft unter das dichte Strauchwerk der schmalen Landzunge, schloß die Augen und war wenig später eingeschlafen!
*
Parker ließ sich vom Frieden, der um ihn war, nicht täuschen. Er war und blieb mißtrauisch. Das Buschwerk als Deckung nutzend, arbeitete er sich an die eigentliche Insel heran. Die schmale, sichelförmige Halbinsel hatte er bereits hinter sich gelassen. Rechts von ihm befand sich die Lagune. Links von der Landzunge donnerten schwere Brecher gegen das Land. Dahinter befand sich der weite Atlantik, und weit am Horizont eine zweite, kleine Insel.
Parker sah sich die Lagune genauer an.
Sie glich, geschützt vom Riff, einem stillen See. Spuren von Menschen waren am Strand nicht zu erkennen. Hier sah alles jungfräulich aus. Und dennoch wurde Parker das Gefühl nicht los, daß irgend etwas nicht stimmte.
Vorsichtig ging er weiter. Er vermied jedes unnötige Geräusch. Und von Schritt zu Schritt sagte ihm sein Instinkt immer deutlicher, daß Gefahr in der Luft lag.
Tappte er blindlings in eine Falle? Wurde Parker bereits belauert? Unwillkürlich schlossen seine Finger sich noch fester um den Bambusgriff seines Universal-Regenschirms. Er wollte einem plötzlichen Angriff sofort begegnen können.
Hinter einem mannshohen Strauch blieb er stehen und beobachtete eine Art Wasserlauf, der von der Lagune aus im Strauchwerk der Insel verschwand. Um einen kleinen Fluß konnte es sich unmöglich handeln. Dazu war die Insel zu klein, dazu fehlte ihr jedes Gefälle. Befand sich hinter dem dichten Vorhang der tropischen Pflanzen eine zweite Lagune?
Parker wollte gerade weitergehen, als er plötzlich von irgendwoher einen schrillen Pfiff hörte.
Wie erstarrt blieb er stehen.
Hatte der Pfiff ihm gegolten? Ausgeschlossen...!
Wenig später war das Plantschen von Wasser zu hören. Ein großer Gegenstand schien sich ins Wasser gestürzt zu haben. Ein Her? Vielleicht ein Wildschwein? Das war nicht ausgeschlossen, denn die Insel konnte sehr gut von Eingeborenen bewohnt werden. Von den eigentlichen Bahamas kamen immer wieder Fischer, die sich auf den kleinen Inseln niederließen.
Dann sah Parker das Her, das geschmeidig wie ein Biber durch das Wasser glitt...
Der geschmeidige Biber aber war eine ausgewachsene Frau, die sich elegant und kraftvoll im Wasser bewegte und auf die große Lagune zuhielt. Sie schwamm einfach meisterhaft.
Und mußte es auch tun, denn sie wurde offensichtlich von einem Kanu verfolgt, in dem zwei ausgewachsene Männer saßen, die ihrer Sache vollkommen sicher waren.
Sie handhabten die kurzen Stechpaddel kraftvoll und mit Präzision. Sie schoben sich immer näher an die Frau heran, deren Gesicht der Butler nicht erkennen konnte. Er sah nur das gelöste, lange, dunkle Haar, das über ihren Schultern hing.
Josuah Parker war fasziniert. Er kam sich wie ein unbeteiligter Zuschauer vor, der Augenzeuge einer schweigenden Jagd wurde. Die beiden Männer im Kanu blieben vollkommen ruhig.
Es handelte sich übrigens um Weiße, wie Parkers Augen zur Kenntnis nahmen.
Die junge Frau hatte inzwischen eingesehen, daß sie nicht mehr entwischen konnte.
Sie handelte auf den ersten Blick hin vollkommen unlogisch. Sie bremste nämlich ab und legte sich auf den Rücken. Ruhig und ohne Angst sah sie dem schnell näher kommenden Kanu entgegen. Sie schien aufgesteckt zu haben.
Das Kanu war mit wenigen Paddelschlägen heran.
Einer der beiden Männer lachte fast amüsiert. Dann legte er sein Paddel aus der Hand und beugte sich zu der Frau hinunter. Er streckte seine Arme aus, um sie an Bord zu ziehen.
Die junge Frau - sie mochte knapp zwanzig Jahre alt sein - griff nach den Händen. Dann aber, durch eine blitzschnelle Drehung aus der Hüfte heraus, brachte sie den Mann um sein Gleichgewicht und ließ ihn geschickt ins Wasser fallen.
Blitzschnell tauchte sie weg.
Parker gestattete sich in Anbetracht der Situation ein leichtes Schmunzeln. Er zollte der jungen Frau damit seine ehrliche Bewunderung. Sie hatte zumindest einen ihrer Verfolger sehr geschickt und energisch aus dem Konzept gebracht.
Der zweite Mann im Kanu witterte die Gefahr.
Bevor er jedoch etwas unternehmen konnte, tauchte die junge Frau am Heck des Kanus auf.
Mit einem kraftvollen Griff warf sie das Kanu um.
Der Mann warf die Arme hoch in die Luft, bevor er ebenfalls im aufspritzenden Wasser landete.
Die junge Frau tauchte wieder weg, um dann nach langen Sekunden, weit vor den im Wasser herumschlagenden Männern wieder aufzutauchen. Sie kraulte kraftvoll auf die Halbinsel zu, auf der der Butler sich verborgen hielt.
Die beiden Männer waren keine guten Schwimmer. Sie retteten sich an Land, verloren dadurch sehr viel Zeit, nahmen aber dann die Verfolgung der jungen Frau auf.
Für sie war das eine einfache Rechnung.
In die Brandung konnte die flüchtende Frau nicht hineinspringen. Das wäre fast Selbstmord gewesen, zumal ihr als weiterer Fluchtweg dann nur noch die offene See zur Verfügung gestanden hätte. Die Lagune schied ebenfalls aus, denn hinter ihr befand sich wieder die Brandung.
Nein, die flüchtende Frau konnte nur versuchen, sich irgendwo auf der Landzunge zu verstecken. Und hier mußte man sie finden. Früher oder später...
Parker hörte die schnellen Schritte der Frau, die bereits auf der Landzunge war. Wenig später sah er sie. Sie trug einen zweiteiligen Badeanzug, der ihr äußerst gut stand, wie Parker sofort anerkennend feststellte.
Wie ein gehetztes Tier sah sie sich um. Sie wußte, daß ihr Vorsprung nicht besonders groß war.
Sie kam dicht an Parker vorbei, lief weiter und verschwand hinter Sträuchern und Büschen.
Parker war ein taktvoller Mensch.
Er machte sich nicht bemerkbar, was die junge Frau anbetraf. Doch als ihre beiden Verfolger herantrabten, da verzichtete der Butler auf seinen sonst gewohnten Takt und nahm Maß.
Die beiden Männer sahen keineswegs vertrauenerweckend aus. Sie hatten grobe Gesichter, die jetzt sogar noch vor Wut und Ärger verzerrt waren. Visagen dieser Art kannte Parker. In der Unterwelt von Chikago liefen sie ihm immer wieder über den Weg.
Sicherheitshalber durfte Parker keine Fragen stellen oder sich auf eine anregende Diskussion einlassen. Er mußte handeln, wenn er der jungen, dunkelhaarigen Frau helfen wollte. Und Parker handelte! Das heißt, er argumentierte mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms, der, wie Eingeweihte längst wissen, mit Blei ausgegossen ist.
Diesen Bambusgriff rotieren lassend, brachte er die beiden Verfolger innerhalb von Bruchteilen von Sekunden von den stämmigen Beinen. Sang- und klanglos ließen sie sich nieder und blieben regungslos auf dem Boden liegen.
Parker benutzte die Leibriemen der beiden Verfolger, um sie oberflächlich zu fesseln. Dann folgte er ohne Erröten den Spuren der jungen Frau. Er wollte schließlich wissen, mit wem er es zu tun hatte...!
*
Darauf brauchte er nicht lange zu warten.
Parker, immer auf der Spur, kam an einem verkümmerten Strauch vorbei, dem er kaum einen Blick gönnte, weil er einfach zu schütter und zu schäbig war.
Er hätte es aber besser getan, denn nach einem feinen Scharren, das er gerade noch wahrnahm, sprang ihm eine Wildkatze ins Genick. Der Anprall war derart ungestüm, daß Parker unwillkürlich erst einmal in die Knie ging.
Anschließend hatte er alle Hände voll zu tun, sich dieser Wildkatze zu erwehren. Die junge Dame, die sich in eine fauchende Katze verwandelt hatte, verwechselte ihn offenbar mit einem der Verfolger. Und da die junge Dame sich im Judo recht gut auskannte, mußte der Butler sich seiner Haut wehren.
Er bedauerte es im Grunde ungemein, die junge Dame außer Gefecht setzen zu müssen. Er bedauerte es, doch er tat es! Mit einigen geschickten und vielleicht auch ungewollt zu harten Griffen warf er die Last ab und blieb dann betroffen neben der jungen Frau stehen, die regungslos auf dem Boden lag.
»Sie ahnen nicht, wie peinlich mir dieser bedauerliche Zwischenfall ist«, sagte Parker unwillkürlich und halblaut. Dazu zog er höflich seine schwarze Melone.
»Und... und mir erst«, erwiderte die junge Frau, die jetzt ohne Übergang die Augen öffnete und ihn überrascht anschaute. »Wer sind Sie denn?«
»Parker mein Name, Josuah Parker...! Sie haben mich offensichtlich mit Ihren beiden Verfolgern verwechselt.«
»Und Sie haben Glück, daß Sie jetzt eben gesprochen haben«, gab sie zurück. »Ich wollte Ihnen gerade eine Handvoll Dreck in die Augen werfen.«
»Sie sind äußerst kriegerisch, Madam!«
»Und Sie geben mir Rätsel auf. Wo sind die beiden Männer?«
»Im Augenblick nicht abkömmlich«, gab Parker zurück. »Hoffentlich handelte ich in Ihrem Interesse.«
»Wo kommen Sie denn her?« wollte sie wissen und richtete sich auf. Sie schien vergessen zu haben, daß sie nur einen Badeanzug trug. Sie bewegte sich mit der Grazie eines jungen Tieres und mit der Selbstverständlichkeit einer Lady.
»Mein junger Herr und ich erlitten Schiffbruch«, antwortete der Butler. »Ein Boot können wir Ihnen also leider nicht anbieten.«
»Sind Sie... Sportfischer?« fragte die junge Frau aufmerksam.
»In der Tat... Barracudas standen heute auf unserer Liste, wie mein junger Herr sich auszudrücken beliebte. Leider, wie schon gesagt, kam es zu einem Schiffbruch.«
»Hier in der Gegend wird aber kaum gefischt«, meinte die Dunkelhaarige. »Die Gewässer sind haifischverseucht.«
»Ich verstehe, deswegen sind Sie aber hier, nicht wahr?«
»Wir müssen weg«, gab sie energisch zurück. »Außer den beiden Männern sind noch andere auf der Insel.«
»Und alle gemeinsam verfolgen Sie, nicht wahr?«
»Das erzähle ich Ihnen später«, sagte sie ungeduldig. »Wollen Sie mir helfen? Wo steckt eigentlich Ihr junger Herr, von dem Sie sprechen?«
»Mr. Rander hat sich etwas zur Ruhe niedergelegt. Wir könnten ihn gemeinsam auf wecken...!«
Sie warf Parker einen schnell abschätzenden und forschenden Blick zu. Sie war und blieb mißtrauisch.
»Kommen Sie«, sagte sie dann. Aber wenn Sie mich reinlegen wollen, dann werden Sie eine böse Überraschung erleben...!«
*
Mike Rander trat winkend hinter einem Strauch hervor. Er schien seinen Butler und die junge Frau die ganze Zeit über beobachtet zu haben. Lächelnd kam er näher.
»Hallo«, meinte er zu der jungen Frau, »hier scheint sich einiges zu tun.«
Josuah Parker berichtete in wohlgesetzten Worten, was sich zugetragen hatte. Als er schloß, sah er seinen jungen Herrn abwartend an.
»Wird man die beiden Männer nicht vermissen?« fragte Rander, sich an die Frau wendend.
»Vorerst nicht«, erwiderte sie in ihrer kühlen, energischen Art.
»Und wenn man es merkt?« fragte Rander weiter.
»Dann können wir uns auf etwas gefaßt machen«, gab sie zurück. »Sie sind hier wirklich gestrandet?«
»Genau wie mein Butler es gesagt hat«, erwiderte Rander. »Es paßt Ihnen nicht, daß wir hier sind, oder?«
»Ich bin zumindest überrascht«, gab sie zurück.
»Haben Sie eine Ahnung, wie wir von der Insel wieder runterkommen?« erkundigte sich der Anwalt. »Oder sollte man sich vielleicht mit den beiden Männern in Verbindung setzen?«
»An Ihrer Stelle ließe ich die Finger davon«, sagte sie warnend. »Sie würden wenig Freude daran haben.«
»Na schön, bleiben wir also hier auf der Landzunge und warten wir, bis man uns aufspürt.«
Sie sah Rander und Parker nachdenklich an und schien mit einem Entschluß zu kämpfen.
»Wenn Sie mitkommen wollen, nehme ich Sie mit«, sagte sie dann fast beiläufig. »Aber für das Risiko komme ich nicht auf.«
»Von welchem Risiko sprechen Sie«, fragte Rander erstaunt.
»Das werden Sie gleich sehen... Kommen Sie...!«
Ohne sich weiter um Rander und Parker zu kümmern, drehte sich die junge Frau um und verschwand zwischen den Sträuchern. Die beiden Männer blieben Ihr hart auf den Fersen. Sie trauten dem Frieden nicht. Diese junge Frau war bestimmt mehr als nur eine Touristin.
Sie blieb plötzlich stehen und deutete hinunter auf die nackten Felsen, gegen die die Brandung zischte. Sie befanden sich auf der äußersten Spitze der Landzunge.
»Helfen Sie mir«, sagte sie, »dort unten liegt mein Boot.«
»Nach Ihnen...!« meinte Anwalt Rander vorsichtshalber.
»Sie trauen mir wohl nicht, wie?« Sie lachte leise und amüsiert auf.
»Sie sagen es«, meinte Rander und grinste.
»Na schön...!« Die junge Frau verschwand geschickt zwischen den nadelspitzen Felsen, die von einem früheren Unterwasserriff stammen mußten. Rander folgte ihr vorsichtig, während Josuah Parker sich noch einmal umschaute.
Was er sah, war nicht geeignet, ruhig zu bleiben.
Auf der Innenlagune war deutlich ein kleines Motorboot zu erkennen, in dem drei Männer saßen. Es handelte sich nicht um Sportfischer, es sei denn, sie gingen ihrem Hobby mit Maschinenpistolen nach. Das kleine Boot hielt auf die Spitze der Landzunge zu.
Josuah Parker beeilte sich, nach unten zu kommen. Die junge Frau und Mike Rander trugen gerade ein Schlauchboot an das bewegte Wasser heran. Dann mühte Mike Rander sich mit einem kräftigen Außenbordmotor ab, den er aus einer kleinen, natürlichen Höhle holte.
»Die Verfolger sind uns bereits auf den Fersen«, meldete der Butler. »Es handelt sich um drei Männer, die sich mit Maschinenpistolen ausgerüstet haben.«
Die junge Frau schien nichts gehört zu haben. Zusammen mit Mike Rander befestigte sie den Außenbordmotor und deutete dann auf zwei kurze Stechpaddel.
»Wir müssen irgendwie durch die Brandung«, sagte sie. »Erfahrung besitze ich nicht. Hoffentlich haben Sie schon mal so etwas gemacht.«
»Ich auf keinen Fall«, sagte Rander. »Wie sieht’s bei Ihnen aus, Parker?«
»Ich glaube und hoffe, mit meinen bescheidenen Kenntnissen dienen zu können«, erwiderte Parker. »Wenn Sie erlauben, werde ich das Ruder übernehmen.«
Sie stiegen in das Schlauchboot.
Parker warf den starken Außenbordmotor an. Rander und die junge Frau bewaffneten sich mit den Steckpaddeln und warteten darauf, daß das Schlauchboot von der Brandung erfaßt wurde.
Wenige Sekunden später überstürzten sich die Ereignisse.
Vom starken Sog einer ablaufenden Brandungswelle erfaßt, wurde das Schlauchboot durchgeschüttelt. Dann befanden sie sich in einer tobenden Hölle aus Gischt, Wasser und Felsen. Das Schlauchboot tanzte wie ein Korken umher und drohte zurück an Land geworfen zu werden.
Während Josuah Parker die Kraft des Motors einsetzte, halfen ihm die junge Frau und Mike Rander. Wie rasend peitschten sie das Wasser mit den Stechpaddeln. Sie versuchten das Gleichgewicht des Bootes zu halten, doch ihre Anstrengungen erwiesen sich als nutzlos. Ohne eine gehörige Portion Glück hätten sie es bestimmt nicht geschafft.
Nach qualvoll langen Minuten war die Brandung überwunden. Das Schlauchboot befand sich im ruhigen Wasser. Die Landzunge war weit zurückgefallen.
»Allein wäre ich wohl niemals durchgekommen«, sagte die junge Frau. Sie sah Rander und Parker an. Dann, ohne jeden Übergang, schluchzte sie plötzlich auf und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Die Nerven hatten ihr den Dienst auf gekündigt. Sie war jetzt nur noch ein kleines Mädchen, das hemmungslos weinte...
*
»Alles in Ordnung?« erkundigte sich Mike Rander dann später. Er sah seinen Butler fragend und abwartend an.
»Alles in bester Ordnung, Sir«, meldete der Butler vom Ruder her, »ich vermisse allerdings einige Kleinigkeiten.«
»Und die wären...?«
»Ich vermisse diverse Wegweiser, Sir, ich habe nicht die geringste Ahnung, wo wir uns befinden.«
»Und was ist mit dem Sonnenstand?«
»Nun ja, Sr, dem Stand der Sonne nach zu urteilen, fahren wir in nördliche Richtung. Mehr kann ich nicht sagen...! Darf ich mich nach dem Zustand der jungen Dame erkundigen?«
»Sie sieht, wenn ich mir dieses Urteil erlauben darf, äußerst attraktiv aus.«
»So was hatten wir schon mal. Und zwar erst vor einigen Stunden«, gab Mike Rander skeptisch zurück. »Sie wissen doch verflixt genau, was daraus wurde.«
»Sie trauen ihr nicht?«
»Weiß der Himmel... Aber Vorsicht ist angebracht. Ich möchte nicht noch einmal im Wasser landen. Mein Bedarf an Haien ist reichlich gedeckt.«
»Ich frage mich, Sir, wie die junge Dame samt Schlauchboot durch die Brandung an Land gekommen ist«, sagte Josuah Parker. »Ohne zusätzliche Hilfe dürfte sie es kaum geschafft haben.«
»Stimmt haargenau...! Aber wer hat ihr dabei geholfen? Und wo ist diese Hilfsperson geblieben?«
Parker wollte antworten, doch in diesem Moment wurde seine Aufmerksamkeit geweckt. Er richtete sich womöglich noch steifer auf, als er ohnehin schon saß. Dann wies er mit ausgestrecktem Arm auf das Wasser hinaus.
»Ein Schnellboot, Sir...!«
»Ein was...?« Rander wirbelte herum und suchte die Wasseroberfläche ab. Dann sah er das kleine, schnittige und ungemein schnelle Boot, das auf sie zuhielt.
»Unsere Verfolger?« fragte er, sich wieder an Rander wendend.
»Das Boot kommt aus nördlicher Richtung«, erklärte Parker. »Warum sollten unsere Verfolger einen Umweg genommen haben.«
»Ich glaube, wir wecken unsere Begleiterin«, entschied Mike Rander. »Vielleicht weiß sie etwas mit dem Schnellboot anzufangen.«
Parker nickte und ließ das heranpreschende Boot nicht aus den Augen. Gegen die untergehende Sonne zeichnete es sich wie ein Schattenriß ab.
Bevor Mike Rander die junge Frau an der Schulter berühren konnte, um sie zu wecken, richtete sie sich auf und lächelte. Offensichtlich hatte sie wohl doch nicht geschlafen. Von dem hemmungslosen Weinkrampf war ihr nichts mehr anzumerken.
»Ich hab’ schon gehört«, meinte sie und kniete.
»Sagt Ihnen das Schnellboot etwas?« fragte Rander.
»Natürlich«, erwiderte sie. »Darauf habe ich die ganze Zeit gewartet.«
»Im Lösen von Kreuzworträtseln war ich noch nie besonders gut«, sagte Rander kopfschüttelnd. »Eines weiß ich inzwischen, Sie haben es faustdick hinter den Ohren.«
»Sie etwa nicht?« fragte sie fast kokett zurück. »Normale Sportfischer sind Sie auf keinen Fall, oder?«
»Wie leicht man doch verkannt wird«, spottete Mike Rander. Dann sah er auf das Schnellboot, das sich bereits bis auf hundert Meter genähert hatte.
Nach wenigen Minuten drehte das Boot bei.
Josuah Parker drosselte den Motor des Schlauchbootes und sah hinauf zum Deck des Schnellbootes. Er wunderte sich schon gar nicht mehr darüber, daß an der Reling einige Männer standen, die Maschinenpistolen in Händen hatten, deren Mündungen auf das Schlauchboot gerichtet waren.
»Was sagen Sie jetzt?« fragte Rander verärgert. »Vom Regen in die Traufe, oder wie würden Sie es ausdrücken?«
»Ich möchte sagen, Sir, daß dieser Fall ungemein interessant zu werden verspricht«, erwiderte Josuah Parker. »Mehr kann man von diesem Nachmittag wirklich nicht verlangen...!«
Die Männer an Bord des Schnellbootes gaben sich überraschend friedlich.
Sie kümmerten sich verständlicherweise zuerst einmal um die junge Frau, vergaßen aber nicht, Rander und Parker unter Deck in eine Kabine zu bringen, eine Kabine, die nicht gerade luxuriös eingerichtet war, aber immerhin zwei Kojen, einige Stühle und einen Tisch beinhaltete.
»Werden Sie aus diesem ganzen Theater eigentlich noch klug?« fragte Rander, nachdem das Besatzungsmitglied gegangen war, das sie unter Deck geführt hatte.
»Ich frage mich, Sir, woher das Schnellboot von dem Schlauchboot wußte«, antwortete Josuah Parker. »Und in diesem Zusammenhang frage ich mich erneut, wer die junge Dame sein mag.«
»Und ich frage mich, was das für Männer hier an Bord sein mögen. Ziemlich ungewöhnlich, mit Maschinenpistolen herumzurennen. Wenn ich daran denke, daß wir Conwells Tod aufklären wollten... Na, mit diesen verrückten Abenteuern habe ich wirklich nicht gerechnet.«
»Ob man uns zurück an die amerikanische Küste bringen wird, Sir?«
»Keine Ahnung. Inzwischen ist es draußen dunkel geworden. Ich denke, wir sollten uns mal wieder oben an Deck sehen lassen.«
Während Mike Rander noch sprach, ging er zur Kabinentür, um sie zu öffnen. Er erlebte eine äußerst herbe Enttäuschung, denn die Tür war verschlossen.
»Eingesperrt«, rief er wütend seinem Butler zu. »Das schlägt doch dem Faß den Boden aus, Parker. Ich hab’s ja gleich geahnt, daß wir vom Regen in die Traufe geraten sind. Vielleicht handelt es sich um die Leute, die uns schon einmal umbringen wollten: «
»Darf ich einmal sehen, Sir?«
Parker ging zur Tür und beschäftigte sich intensiv mit dem einfachen Schloß. Dann ließ er sich auf den Rand einer Koje nieder und schlug ein Bein über das andere. Mit schnellen, geschickten Händen drehte er den Absatz seines schwarzen Schuhs zur Seite und holte aus dem Hohlraum darunter ein kleines Besteck aus solidem Stahl.
»Falls die Tür nicht mittels eines Riegels verschlossen wurde, Sir, werde ich sie innerhalb weniger Sekunden öffnen können«, sagte er dann und ging zurück zur Tür. Nun, Parker hatte nicht übertrieben. Es dauerte wirklich nur Sekunden, bis sein Spezialbesteck aus dem Schuhabsatz die Tür bezwungen hatte. Das Schloß ließ sich willig öffnen, Parker drückte die Tür vorsichtig auf.
»Darf ich mir erlauben vorauszugehen?« fragte er. Dann, ohne Mike Randers Einwilligung abzuwarten, nahm Parker seinen Universal-Regenschirm in die Hand und marschierte los.
Rander folgte ihm natürlich. Er war nicht nur verärgert, er war geradezu wütend. Er wollte endlich wissen, woran er war. Seit langen Stunden wurden er und sein Butler gestoßen und herumgehetzt. Für seine Begriffe wurde es höchste Zeit, verschiedenen Leuten endlich mal die eigenen Zähne zu zeigen.
Parker pirschte sich bereits am Niedergang vorbei, der hinauf an Deck führte. Er hatte leise Stimmen gehört. Sie kamen aus Richtung der Bugkabine, die hinter dem Niedergang lag.
Die Besatzung des Schnellbootes hatte keine Wachen aufgestellt. Man glaubte wohl, Rander und Parker seien sehr sicher untergebracht. Deshalb gelang es den beiden Männern auch, ungestört an die Tür der Bugkabine heranzukommen.
Die Lüftungsschlitze in der Tür waren erfreulicherweise geöffnet. Das Stimmengewirr, das bisher zu hören gewesen war, verdichtete sich zu Einzelstimmen.
Rander und Parker bauten sich entspannt vor der Tür auf und mißachteten bewußt die Gesetze der Erziehung, die es verbieten, an Türen zu lauschen. Schließlich wollten sie ja herausbekommen, mit wem sie es zu tun hatten.
»... natürlich sind es keine Sportfischer«, sagte die junge Dame gerade. »Wie sie auf die Insel kamen, weiß ich nicht. Aber auf der anderen Seite haben sie mir immerhin aus der Patsche geholfen.«
»Ob es sich um Konkurrenten handelt?« fragte eine glatte Männerstimme.
»Schwer zu sagen, Herb«, erwiderte die Frau. »Aber rätselhaft bleiben sie. Dieser eigenartige Butler geht mir nicht aus dem Kopf. Dieser Mann hat es faustdick hinter den Ohren.«
»Was sollen wir also tun, Judy?« fragte Herbs Stimme.
»Könnte man sie nicht einfach in Nassau an Land setzen und unter Beobachtung halten?«
»Was wissen Sie von der Insel? Darauf kommt es an«, erwiderte Herb mit glatter Stimme.
»Keine Ahnung«, gab Judy zurück. »Ich selbst weiß es ja auch nicht. Bevor ich nahe genug an das Wrack herankam, wurde ich leider entdeckt. Was aus Hilton geworden ist, kann ich nicht sagen. Ich verlor den Kontakt zu ihm. Hoffentlich ist nichts passiert.«
»Man sollte einfach massiv auftreten und die Insel überrennen«, meinte Herb, und seine eben noch glatte Stimme klang plötzlich gereizt. »Ich traue diesen Schatzsuchern nicht, Judy. Ich möchte wetten, daß sie ganz andere Dinge planen.«
»Weshalb wären wir sonst hier?« fragte Judy ironisch zurück. »Weshalb hätte man sonst Jagd auf Hilton und auf mich gemacht? Die Männer auf der Insel sind mehr als nur Gangster.«
»Bleibt das Problem Rander und Parker«, sagte Herb.
»Ich bin dafür, sie in Nassau an Land zu setzen. Es wird sich doch irgendein Vorwand finden, sie zu isolieren.«
»Und wie stellst du dir das vor, Judy?« fragte Herb zurück.
»Das ist deine Sache, Herb«, erwiderte Judy. »Dir wird schon was einfallen. Es handelt sich doch nur um ein paar Tage.«
»In Ordnung, ich werde mir also etwas einfallen lassen«, schloß Herb.
Genau zu diesem Zeitpunkt öffnete Parker aus einer inneren Eingebung heraus die Tür und betrat die Kabine.
»Vielleicht, Sir, können wir Ihnen beim Nachdenken behilflich sein«, schlug der Butler in seiner unwiderstehlich höflichen Art vor. »Ich bin sicher, daß wir zu einem gemeinsamen Entschluß kommen werden.«
Herb, ein schlanker, drahtiger Mann von etwa vierzig Jahren mit einem kantigen, energischen Gesicht starrte den Butler wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt an.
Judy hingegen, die attraktive Frau aus dem Schlauchboot, reagierte blitzschnell und ohne jede Verblüffung. Sie trug jetzt ein einfaches Kleid, aber sie trug auch einen automatischen Revolver, den sie schußbereit in der Hand hielt und dessen Mündung auf Parker gerichtet war...
*
»Wir wurden durchaus gewollt Zeugen Ihrer interessanten Unterhaltung, Madam«, sagte Rander, sich ausschließlich an Judy wendend.
»Wie lange horchen Sie bereits an der Tür?« fragte sie kühl. »Sie hätten es besser nicht getan!«
»Sind Sie sich darüber klar, Madam, daß eine Schußwaffe, wie Sie sie in der Hand halten, durchaus losgehen kann?« schaltete sich Josuah Parker gemessen und würdevoll ein. »Sie wollen doch nicht etwa harmlose Sportfischer, die in Not geraten sind, massiv bedrohen?«
»Nehmen Sie die Waffe runter, Judy«, sagte Herb, der drahtige, schlanke Mann.
»Haben wir’s vielleicht mit irgendwelchen behördlichen Organen zu tun?« tippte Rander an.
»Und wenn...?« Herb lächelte zurückhaltend.
»Dann dürften wir in einem Boot sitzen«, redete Mike Rander weiter und nahm leger in einem der herumstehenden Sessel Platz, ohne weiter auf die Schußwaffe zu achten. »Mr. Parker, mein Butler und ich, wir sind Privatdetektive.«
»Ach nee...!« Herbs Lächeln erlosch.
»So etwas habe ich mir fast schon gedacht«, sagte Judy, die endlich die Waffe senkte.
»In bin Anwalt in Chikago, dort ist auch meine Privatlizenz ausgestellt worden«, sprach Mike Rander weiter. »Das trifft auch für meinen Butler zu.«
»Sind Sie tatsächlich ein Butler?« fragte Judy mißtrauisch und sah Parker forschend an.
»Ich hoffe, Sie nicht zu sehr enttäuscht zu haben, Madam«, antwortete der Butler und lüftete höflich seine schwarze Melone. »Ich weiß, daß Butler in Filmen erheblich anders aussehen.«
»Finden Sie wirklich?« erwiderte Judy und lächelte endlich. »Ich erkenne da kaum einen Unterschied, Mr. Parker.«
»Immerhin unterscheiden wir uns doch erheblich von jenen Männern, Madam, die Sie verfolgten.«
»Womit wir beim Thema wären«, schaltete sich Mike Rander ein. »Was ist mit dieser unheimlichen Haifischinsel eigentlich los?«
»Nach Ihnen, Rander.« Herb schüttelte lächelnd den Kopf. »Sie sind zuerst dran. Was wollten Sie denn auf der Insel? Wollen Sie nicht Ihre Karten auf den Tisch legen?«
»Parker, die Geschichte«, sagte Rander, sich an seinen Butler wendend. »Aber fassen Sie sich kurz!«
»Ich werde mich ehrlich bemühen«, antwortete der Butler, um sich dann an Judy und Herb zu wenden. »Mr. Rander wurde von einem seiner früheren Klienten gebeten, den rätselhaften Tod eines gewissen Mr. Marty Conwell zu klären, der auf- offener See augenscheinlich den Tod fand. Ich darf hinzufügen, daß die Auftraggeber die Eltern jenes Mr. Conwell sind.«
»Marty Conwell...?« Herb sah Judy verständnislos an.
»Ein hoffnungsvoller, junger Mann, der ein Motorboot besaß, mit dem er in den Gewässern östlich von Key West zu kreuzen pflegte«, berichtete der Butler weiter. »Eines Tages wurde sein Boot leer von der Küstenwache aufgebracht. Ihn selbst fand man erheblich später. Er trieb im Meer und die Haie, das sei gesagt, hatten sich leider bereits mit ihm befaßt. Ich hoffe, Sie ersparen mir Einzelheiten.«
»War dieser Conwell allein unterwegs?« erkundigte sich Herb, der drahtige, energische Mann.
»Er hatte noch einen Begleiter bei sich. Es handelte sich um einen Collegefreund. Auch dieser junge Mann muß im Atlantik umgekommen sein. Man fand niemals eine Spur mehr von ihm. Ich möchte hier einflechten, Madam, Sir, daß sich an Bord der Motorjacht offensichtlich kein Kampf abgespielt hatte. Die Spurensicherung der örtlichen Kriminalpolizei und der Küstenwache verlief negativ.«
»Sie wollen diesen, sagen wir, Unfall, jetzt klären? Wann ereignete er sich?« Herb sah den Butler gespannt an.
»Der betreffende Unfall liegt sieben Tage zurück«, erläuterte der Butler.
»Wieso wollen Sie dann noch heute Spuren finden? Und das auf offener See?«
Judy beteiligte sich nicht an dieser Unterhaltung, doch sie hörte konzentriert und aufmerksam zu.
»Nun, Sir, vor drei Tagen ging draußen auf See ein weiteres Boot verloren«, erwiderte der Butler ungerührt. »Die konzentrierte Suche verlief ergebnislos. Und vor etwa zehn Tagen ging ebenfalls ein Sportboot draußen auf See verloren. Und das alles, obwohl die See vollkommen ruhig war und blieb. Nach Lage der Dinge muß man wohl unterstellen, daß hier einige geheimnisvolle Dinge mit im Spiel waren und sind.«
»Und wie sieht’s mit Beweisen dafür aus?«
Mike Rander schaltete sich nun ein und berichtete wahrheitsgemäß von den noch sehr frischen Erlebnissen. Er erwähnte das treibende Segelboot vor der Haifischinsel, das Auftauchen des Außenborders und die Sprengung ihres gemieteten Motorkreuzers.
»Hinzufügen möchte ich noch, Sir, daß es mir gelang, das bewußte graue Pulver zu retten«, sagte Parker, nachdem sein junger Herr geendet hatte. »Vielleicht ergibt die Analyse, daß es sich um Gift handelt. Ich möchte annehmen, daß die bewußte, blonde Dame nur als eine Art Lockvogel fungierte...!«
»Diese Blondine existiert«, sagte Judy in diesem Augenblick. »Ich bin sicher, sie im Camp der Schatzsucher auf der Insel gesehen zu haben.«
»Womit unsere Geschichte wohl an Glaubwürdigkeit gewonnen haben dürfte«, meinte Rander lächelnd. »Aber jetzt sind Sie an der Reihe. Wer sind Sie denn...?«
»Das ist Herb Larron«, meinte sie, auf den drahtigen Mann deutend. »Er gehört der CIA an! Wie ich! Ich heiße übrigens Judy Malone. Wollen Sie noch mehr wissen?«
»Weshalb interessieren Sie sich für die Haifischinsel?«
»Wird dort wirklich nach Schätzen geforscht?« schaltete Josuah Parker sich höflich ein.
»Eben das wissen wir nicht genau«, meinte Judy Malone nachdenklich. »Das wollen wir herausbekommen, Parker. Vielleicht können Sie uns dabei helfen. Und wenn es nur durch Ihr Schweigen geschieht.«
»Warum stattet man dieser Haifischinsel keinen offiziellen Besuch ab?« fragte Mike Rander. »Sind Sie von der CIA oder nicht?«
»Die Insel ist englischer Besitz«, erwiderte Herb Larron und schüttelte den Kopf. »Die Schatzsuche ist von den englischen Behörden genehmigt worden. Diplomatische Verwicklungen wollen wir um jeden Preis vermeiden.«
»Aha, und deshalb sind Sie heimlich auf die Insel gestiegen«, stellte Mike Rander lächelnd fest. »Wie war das mit diesem Mr. Hilton?«
»Ein Kollege von mir«, warf Judy Malone ein. »Und ich fürchte, er ist von den angeblichen Schatzsuchern überrascht worden.«
»Damit sind wir beim Kern Ihrer interessanten Geschichte angelangt«, sagte Josuah Parker, der nach wie vor stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, neben dem Sessel stand, in dem sein junger Herr saß. »Sie glauben also nicht an eine ehrliche Schatzsuche, die in diesen Breiten durchaus nicht unmöglich wäre. Woran glauben Sie nun wirklich?«
Wieder sahen sich Judy Malone und Herb Larron schweigend an. Sie schienen sich nicht darüber klar zu sein, ob sie reden durften öder nicht.
Judy Malone brach endlich das lastende Schweigen.
»Sie sollen die Wahrheit hören«, meinte sie dann. »Und sobald Sie sie gehört haben, sollten Sie sie sofort wieder vergessen!«
»Sie können sich auf die absolute Verschwiegenheit von Mr. Rander und von meiner bescheidenen Wenigkeit unbedingt verlassen«, sagte Josuah Parker. »Handelt es sich etwa um die Atomgeschosse, die vor etwa vier Wochen aus einem Waffenarsenal der US-Army gestohlen wurden?«
Judy Malone und Herb Larron sahen den Butler entgeistert an. Aber auch Mike Rander war vollkommen überrascht. Er warf seinem Butler einen ratlos-ungläubigen Blick zu.
»Wo... woher wissen Sie davon?« fragte Herb Larron endlich.
»Ein paar unwichtige Zeitungsnotizen ließen mich hellhörig werden«, sagte Parker höflich. »Alles andere ist Kombination. Die besagte Zeitungsnotiz vor vier Wochen sprach von einem Zwischenfall in einem Waffenarsenal im Staate New Mexico. Unbekannte Täter schossen sich durch den Kordon der Wachmannschaften und erbeuteten, wie es in der betreffenden Nachricht hieß, wichtiges Waffenmaterial. Diese Nachricht an sich, das möchte ich betonen, hätte mich wohl kaum stutzig werden lassen, doch ich erinnerte mich in diesem Zusammenhang an einen Fernsehbericht, den ich ein bis zwei Wochen, vor diesem Zwischenfall sah. In diesem Fernsehbericht wurde von einem Lager von Atomgeschossen in Playcard, New Mexico, erzählt, von Atomgeschossen, die mittels konventioneller Artillerie verschossen werden können. Besagter Ort Playcard, New Mexico, tauchte auch in der Meldung über den Überfall auf. Ich erlaubte mir also, bekannte Fakten zu addieren und daraus gewisse Schlüsse zu ziehen.«
»Davon haben Sie mir ja noch nie erzählt, Parker«, rief Mike Rander aus, der unwillkürlich aufgestanden war.
»Dazu bestand kaum Anlaß, Sir, zumal Sie und meine bescheidene Wenigkeit in Los Angeles zu tun hatten.«
»Sie haben richtig kombiniert«, sagte Judy Malone, die sich von ihrer Überraschung erholte. »Es handelt sich um vier Atomgeschosse. Mehr brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen.«
»Du lieber Himmel, und solche Waffen in der Hand von Gangstern«, stöhnte Mike Rander.
»Wenn es sich wenigstens um Gangster handelte«, sagte Herb Larron. »Wir fürchten, daß die A-Geschosse sich in der Hand von politischen Abenteurern befinden. Sie wären in der Lage, die Vereinigten Staaten zu erpressen...!«
»Aber zum Henker, warum dann diese Rücksichtnahmen?« fragte Rander aufgebracht. »Hier herrscht doch ein nationaler Notstand, oder?«
»Noch können wir nicht beweisen, daß die Schatzsucher wirklich die A-Geschosse besitzen«, erklärte Judy Malone sachlich. »Und zudem erledigen wir solche Dinge lieber unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Man weiß schließlich nicht, wer hinter diesen angeblichen Schatzsuchern steht. Deutlicher brauche ich mich wohl nicht auszudrücken, oder?«
»Wir helfen Ihnen«, sagte Mike Rander. »Sie brauchen uns erst gar nicht nach Nassau zu bringen. Von uns aus können Sie umkehren. Diese Insel samt Schatzsuchern will ich mir jetzt aus der Nähe ansehen.«
»Und ich, Sir, möchte mich Ihnen in aller gebotenen Bescheidenheit anschließen«, ließ der Butler sich vernehmen. »Schatzsuche hat mich eigentlich schon immer interessiert. Und wenn mich nicht alles täuscht, findet man zudem noch die Mörder jenes Mr. Marty Conwell, der so geheimnisvoll sterben mußte!«
*
Sie fuhren dennoch nach Nassau auf den Bahamas.
Nicht wegen Mike Rander oder Josuah Parker. Die beiden CIA-Agenten Judy Malone und Herb Larron waren sich längst darüber im klaren, welch wertvolle Verbündete sie gewonnen hatten. Aber in Nassau mußten und sollten gewisse Gerätschaften an Bord genommen werden, damit den augenblicklichen Besitzern der vier A-Geschosse das Handwerk gelegt werden konnte.
Von dem erklärten Ferienziel unzähliger Amerikaner sahen Rander und Josuah Parker nur sehr wenig.
Das Schnellboot blieb weitab vom eigentlichen Hafen auf der Reede liegen. Von Bord aus waren die vielen bunten Lichter der Hafenstadt zu sehen. Man konnte nur ahnen, was das Leben an Entspannung, Reiz und an Abenteuern zu bieten hatte.
Nun, was Abenteuer anbetraf, konnten sich der junge Anwalt und sein Butler bestimmt nicht beklagen. Der ungewollte Ausflug auf die Insel der Haie stak ihnen noch in den Knochen.
Judy Malone verließ das Schnellboot und fuhr in einem kleinen Außenborder, von dem sie abgeholt wurde, hinüber in den Hafen von Nassau. Rander und Parker wußten längst, daß sie diese Aktion gegen die angeblichen Schatzsucher leitete. Herb Larron, der schlanke, drahtige Mann mit der glatten Stimme, war so etwas wie ihr Mitarbeiter, der sich aber nach ihren Wünschen zu richten hatte.
Knapp eine halbe Stunde nach dem Absetzen von Judy Malone machte der Ausguck ein schwerfälliges Boot aus, das sich langsam dem Schnellboot näherte. Es handelte sich um ein überdimensional großes Ruderboot, das von einem mehr als altersschwachen Außenbordmotor angetrieben wurde.
Herb Larron, der neben Mike Rander an der Reling stand, warf seine kaum angerauchte Zigarette ins Wasser.
»Wenn es klappt, sind wir in einer Stunde klar zum Auslaufen«, sagte er dann aufatmend. »Lind wenn wir uns ranhalten, Rander, können wir im Morgengrauen wieder vor der Haifischinsel stehen.«
»Und was soll dann über die Bühne gehen?« erkundigte sich Mike Rander.
»Diesmal heben wir die Schatzsucher aus, Rander. Was Sie und Ihren Butler angeht, so können Sie noch immer aussteigen. Leicht wird die Sache auf keinen Fall werden.«
»Gut, daß Sie das nicht zu Parker gesagt haben«, gab Mike Rander lächelnd zurück. Er ließ das herankommende, schwerfällige Boot nicht aus den Augen. »Sie hätten ihn tödlich beleidigt.«
»Ein eigenartiger Bursche, Ihr Butler!«
»Er überrascht selbst mich immer wieder«, sagte Rander und lachte leise. Dann verstummte er und beobachtete das schwerfällige Boot, das plötzlich Maschinenschaden zu haben schien. Der kleine, laut tuckernde Außenborder erstarb, das Ruderboot blieb fast unmittelbar darauf ohne jede Fahrt liegen und wurde von der leichten Dünung bewegt.
»Was übernehmen wir eigentlich?« erkundigte sich Mike Rander.
»Nur ein paar Ausrüstungsgegenstände«, gab Herb Larron zurück. »Die hat Miß Judy drüben in Nassau besorgt.«
»Ist sie nicht mit zurückgekommen?« fragte Rander..
»Natürlich, Sie wird drüben an Bord sein«, gab Herb Larron zurück.
Mike Rander nickte.
Er wollte gerade eine Art Zusatzfrage stellen, als er plötzlich die Decksplanken unter den Füßen verlor. Gleichzeitig schoß eine blutrote Wand aus Feuer und Rauch vor ihm hoch. Er fühlte sich von einer riesigen Faust ergriffen und wurde durch die Luft gewirbelt. Im Flug dröhnten seine Ohren unter dem reißenden Donner einer gewaltigen Detonation.
Fast betäubt landete er im Wasser.
Er fühlte sich ungemein müde.
Er hätte sich am liebsten in die Fluten ziehen lassen. Seine Gleichgültigkeit war lähmend.
»Doch dann - er hörte einen schrecklichen Schrei - wurde er sofort wieder hellwach. Er spürte heftige Schmerzen in seinem rechten Bein. Und dieser stechende Schmerz brachte ihn dazu, sich wieder mit sich selbst zu beschäftigen.
Er tat die ersten Schwimmstöße und hielt sich damit über Wasser. Dann sah er sich nach dem Schnellboot um.
Es sank bereits.
Es rutschte über das Heck ab und verschwand blitzschnell im gurgelnden Wasser. Der Feuerschein der brennenden Deckaufbauten erhellte die Szenerie und ließ Einzelheiten erkennen.
Ein paar Männer sprangen gerade vom sinkenden Boot ins Wasser.
Dann sah Rander das schwerfällige Ruderboot, das nun einen ungemein behenden und manövrierfähigen Eindruck machte. Der Außenborder schien nicht nur repariert worden zu sein, nein, er entwickelte auch eine gewaltige Kraft.
Das Ruderboot fuhr an die im Wasser herumtreibenden Männer heran.
Plötzlich peitschten Schüsse auf. Nach jedem versank einer der im Wasser treibenden Männer. Ein Irrtum war ausgeschlossen.
Die Männer im Ruderboot, deren Gesichter er gegen das Feuer des absackenden Schnellbootes nicht erkennen konnte, schossen auf die Schiffbrüchigen und brachten sie nacheinander um.
Mord...!
Mike Rander wußte, was er zu erwarten hatte. Hier wurde systematisch Menschenjagd betrieben. Und da das Feuer des inzwischen gesunkenen Schnellbootes nicht mehr ausreichte, flammte plötzlich ein starker Suchscheinwerfer auf, dessen Lichtstrahl über die Wasseroberfläche glitt und nach weiteren Opfern suchte.
Mike Rander konnte von Glück sagen, daß ihn die Wucht der Detonation weit hinaus ins Wasser geschleudert hatte. Er befand sich dadurch nicht mehr im unmittelbaren Bereich der Unglücksstelle.
Er wußte, daß er sich aber noch viel weiter absetzen mußte. Die Mörder im Ruderboot würden die Suche nach weiteren Opfern nicht so schnell einstellen. Sie waren bestimmt hartnäckig, zumal sie an Augenzeugen dieses Attentats nicht interessiert sein konnten.
Trotz seines sehr schmerzenden Beines kraulte Mike Rander in die Dunkelheit hinein. Es ging um jeden gewonnenen Meter. Als er einhielt, um gründlich nach Luft zu schnappen, sah er das Ruderboot, das sich ihm gefährlich genähert hatte.
Machte man bereits Jagd auf ihn? Hatte man ihn ausfindig gemacht? Rander war für ein paar Sekunden wie gelähmt. Doch dann, als plötzlich der grelle Lichtfinger des Scheinwerfers wieder über das Wasser strich, tauchte er blitzschnell weg.
Er blieb so lange unter Wasser, wie seine schmerzenden Lungen es ihm gestatteten. Dann tauchte er wieder auf und sah sich nach dem Ruderboot um.
Es war abgefallen und tuckerte gerade zurück. Es gab die Suche in diesem Bereich auf.
Erleichtert drehte Rander sich auf den Rücken. Er wollte für ein paar Minuten entspannen. Dann wollte er zurück an Land schwimmen.
In diesem Augenblick passierte es.
Rander spürte plötzlich einen harten Gegenstand am Knöchel seines linken Fußes.
Und da wußte er blitzartig, daß ihn ein Hai anfallen wollte...!
*
»Hoffentlich habe ich Sie nicht unnötig erschreckt«, sagte der »Hai« dann, der dicht neben ihm im Wasser trieb. »Ich bedaure außerordentlich, daß ich mich nicht früher bemerkbar machen konnte. Aber da meine bescheidene Wenigkeit von den Insassen des Ruderbootes verfolgt wurde, mußte ich auf jede Lautäußerung verzichten.«
»Parker...!« stieß Mike Rander erleichtert aus. »Mann, wo kommen denn Sie her?«
»Ich hatte das Glück, Sir, das Schnellboot nach der Sprengung noch verlassen zu können«, antwortete der Butler. »Und ich muß gestehen, daß mich das Sprengverfahren intensiv an die Methoden erinnerte, die hinsichtlich des Motorkreuzers schon einmal angewendet wurden.«
»Und ich erst...!« sagte Rander, der schon wieder Wasser spuckte. »Unsere Gegner sind hartnäckig, das muß ihnen der Neid lassen. Ist das Ruderboot wirklich verschwunden?«
»Ich denke schon, Sir, wenngleich in der Dunkelheit nicht sehr viel zu sehen ist.«
»Schön, schwimmen wir zurück an Land. Bis Nassau kann’s ja nicht zu weit sein, oder?«
»Auf keinen Fall, Sir, wenngleich ich vorschlagen möchte, nicht gerade im Hafen an Land zu gehen.«
»Sie glauben, die Mörder könnten uns dort auflauern?«
»Mit einiger Wahrscheinlichkeit, Sir. Sie wissen ja nicht, wer diesen Anschlag überlebt hat.«
»Es wird aber trotzdem Zeit, daß wir an Land kommen«, gab Mike Rander zurück. »Ich glaube, mein rechtes Bein hat etwas abbekommen.«
»Sie sind verwundet, Sir?« Parkers Stimme klang überstürzt.
»Sieht so aus, das heißt, fühlt sich so an...!«
Parker war wieder einmal besorgt.
Er tauchte und fühlte nach dem Grund der Schmerzen.
»Mir scheint, Sir, daß Sie sich den rechten Unterschenkel gebrochen haben«, sagte er dann, wieder auf tauchend. »Es scheint sich aber nur um einen erfreulich glatten Bruch zu handeln, wie ich gleich feststellen möchte.«
»Hauptsache, Sie sind beruhigt«, gab Rander wasserspuckend, aber auch ironisch zurück. Seitdem Josuah Parker wieder in seiner Nähe war, fühlte er sich erstaunlich geborgen und beschützt. Mit einem Josuah Parker an der Seite konnte einem kaum etwas passieren.
Die beiden Männer schwammen auf die Lichter des Hafens zu. Zwischendurch hielten sie immer wieder Ausschau nach dem schwerfällig aussehenden Ruderboot, das keineswegs schwerfällig und langsam war. Doch gegen die hellen Lichter des Hafens war davon nichts mehr zu sehen. Das Boot schien sich in der Dunkelheit aufgelöst zu haben.
Nach fast fünfundvierzig Minuten erreichten Mike Rander und Josuah Parker den Strand. Sie erreichten ihn östlich vom Hafen und konnten sich ungesehen in einem nahen Dickicht verstecken. Mike Rander, der sich verständlicherweise verausgabt hatte und dessen Bein schmerzte, ließ sich erschöpft nieder.
»Und jetzt?« fragte er seinen Butler.
»Ihre Erlaubnis, Sir, vorausgesetzt, werde ich mich mit Miß Judy Malone in Verbindung setzen«, sagte Parker in seiner unnachahmlich höflichen Art. »Falls sie noch lebt, wie ich einschränkend bemerken möchte.«
»Wo wollen Sie sie denn finden?«
»Durch einen glücklichen Zufall schnappte ich an Bord auf, an welche Adresse sie sich an Land wenden wollte, Sir.«
»Mit anderen Worten, Parker, Sie haben wieder mal gelauscht, wie?«
»So könnte man es auch ausdrücken, Sir, doch dann hört es sich wesentlich unfreundlicher an«, gab Parker zurück.
*
Ein paar Stunden später...
Josuah Parker - wieder in trockener Kleidung - stieg aus dem Taxi, entlohnte den Fahrer und schritt würdevoll auf den Eingang des modernen Bürohauses zu. Er hatte die Strapazen der nächtlichen Dauerschwimmerei längst vergessen. Korrekt gekleidet wie immer schien er sich niemals auf dem nächtlichen Wasser herumgetrieben zu haben.
Natürlich wußte er seit gut fünfzehn Minuten, daß er beschattet wurde. Sein Verfolger saß in einem unscheinbaren Wagen und folgte ihm durch alle Straßen. Das Gesicht des Verfolgers hatte Parker schon einmal gesehen. Wenn ihn nicht alles täuschte, hatte er es mit dem »Neandertaler« zu tun, den er draußen auf hoher See getroffen hatte.
Parker ließ sich natürlich nichts anmerken.
Er betrat die Halle des Bürohauses, sah sich gemessen um und bestieg anschließend den Fahrstuhl, um hinauf in die höheren Stockwerke zu fahren. Als er die Tür hinter sich schloß, konnte er seinen Verfolger zum ersten Mal richtig und genau sehen.
Es war tatsächlich der Mann, der ihn den Haien ausgeliefert hatte, nachdem der geliehene Motorkreuzer in die Luft gejagt worden war. Dieser Bursche mit dem groben, knochigen Gesicht ließ sich in einem lederbezogenen Sessel neben dem Eingang nieder und zog eine Zeitung aus der Tasche. Wahrscheinlich wollte er hier auf die Rückkehr des Butlers warten.
Parker stieg in der ersten Etage aus. Er war sicher, daß sein Verfolger dies sehr aufmerksam beobachtet hatte. Schließlich gab es Lichtsignale neben den diversen Fahrstuhltüren, die dies deutlich anzeigten. Parker schritt über den mit roten Läufern ausgelegten Korridor und verschwand hinter einer Tür, auf der eine gut sichtbare Doppelnull angebracht war.
Anschließend griff er in die Tasche seines schwarzen Jacketts und zog eine zusammenlegbare Gabelschleuder hervor, die er mit wenigen geschickten Handgriffen zusammensetzte. Er prüfte die Schleuderkraft der beiden dicken Gummistränge und versah sich mit einem seiner Spezialgeschosse. Dieses runde Spezialgeschoß legte er in die Lederschlaufe der Gabelschleuder. Dann faßte er sich in Geduld und wartete.
Die Tür mit der Doppelnull befand sich in unmittelbarer Nähe der Fahrstuhlschächte. Parker hörte Schon nach knapp zwei Minuten das Summen des Fahrstuhls, der sich bereits wieder nach oben bewegte. Er öffnete die Tür mit der Doppelnull spaltbreit und schaute in den leeren Korridor.
Der Mann mit dem Gesicht eines Neandertalers kam gerade aus dem Fahrstuhl und sah sich suchend um. Wonach er suchte, lag auf der Hand! In dieser Hinsicht brauchte Parker sich keine Fragen zu stellen.
Der »Neandertaler« fühlte sich vollkommen unbeobachtet. Deshalb griff er auch in die Innentasche seines Jacketts und zog einen 38er hervor, auf dessen Mündung ein überlanger Schalldämpfer neuester Bauart aufgeschraubt war.
Nun wußte Parker endgültig Bescheid. Hatte es vielleicht noch einige versteckte Zweifel gegeben, nun, sie waren dahin und entschwunden. Der »Neandertaler« war ihm nachgestiegen, um ihn kurzerhand niederzuschießen.
Parker war damit verständlicherweise nicht einverstanden. Er haßte die nackte, rohe, brutale und zudem noch dumme Gewalt. Er hielt es mehr, wenn es schon sein mußte, mit eleganteren Methoden. Sie hatten durchaus den Vorzug, genauso durchschlagend zu sein.
Um also jedem Kugelwechsel aus dem Weg zu gehen, bei dem vielleicht unschuldige und unbeteiligte Menschen hätten verletzt werden können, spannte der Butler im Schutz der Tür mit der Doppelnull die beiden Gummistränge seiner handlichen Gabelschleuder und beförderte das Spezialgeschoß lautlos durch die Luft.
Der »Neandertaler« wurde vollkommen überrascht.
Das Geschoß - es handelte sich um eine kleine Kugel aus Gelatine - zerplatzte auf seiner groben Nase. Die in der Gelatinekapsel befindliche Spezialflüssigkeit wurde freigesetzt und versprühte, ein im Grunde äußerst simpler Vorgang, der den Vorzug hatte, den Getroffenen kurzfristig außer Gefecht zu setzen.
Diese Spezialflüssigkeit, die Parker sich von einem Chemiker hatte zusammenbrauen lassen, reizte die Nasenschleimhäute des »Neandertalers«, der daraufhin von einem gewaltigen Niesreiz erfaßt wurde, der ihn derb durchschüttelte. Die einzelnen Entladungen waren derart stark, daß der Gangster seine Schußwaffe verlor und keine Zeit hatte, sich weiter um sie zu kümmern.
Parker, der die Wirkung dieser Spezialflüssigkeit durchaus kannte, verließ ohne Scheu den Raum, in dem er sich bisher aufgehalten hatte und schritt gemessen auf den niesenden Mann zu, dem die dicken Krokodilstränen aus den Augenwinkeln kullerten.
Parker sicherte die Waffe. Er hob sie auf und steckte sie ein.
»Haben Sie sich verletzt?« erkundigte er sich mitfühlend. »Den Symptomen nach zu urteilen, haben Sie sich einen äußerst peinlichen Schnupfen eingehandelt.«
Der Mann nieste und brach dabei fast in sich zusammen.
Parker, stets hilfsbereit und menschenfreundlich, leistete eine Art Erste Hilfe. Er sorgte dafür, daß der niesende Mann auf dem Boden Platz nehmen konnte. Dann ging er zum Fahrstuhl, stieg ein und drückte den Knopf für das Erdgeschoß. Er wollte gewisse Dinge natürlich nicht auf die Spitze treiben.
Im Fahrstuhl schaute er verwundert auf die Brieftasche, die an seiner rechten Hand klebengeblieben war.
Erstaunt und überrascht zugleich schüttelte er den Kopf. Er konnte sich dieses Versehen kaum erklären. Um sicher zu sein, daß sie auch wirklich dem »Neandertaler« gehörte, blätterte er sie schnell durch. Er suchte nach irgendeinem Ausweis mit Lichtbild. Und korrekt, wie er es stets war, übergab er wenig später dem Hauswart unten in der Halle die Brieftasche.
»Sie muß von einem Besucher verloren worden sein«, meinte Parker. »Vielleicht meldet sich der Verlierer und überreicht Ihnen ein mehr oder weniger großes Trinkgeld. Möglich ist in diesem Leben vieles...!«
Dann marschierte er würdevoll an dem verdutzten Hauswart vorbei auf die Straße und winkte ein Taxi ab, das auf der gegenüberliegenden Straßenseite auftauchte. Parker nahm im Wagen Platz und schüttelte den Kopf, als ihn der schwarzhäutige Fahrer nach dem Ziel der Fahrt fragte.
»Folgen Sie dem Mann, der gleich das Haus verlassen wird«, sagte der Butler dann freundlich. »Sie werden ihn bestimmt daran erkennen, daß er höchstwahrscheinlich ununterbrochen niest.«
Diese Personenbeschreibung war treffend und brauchte nicht durch zusätzliche Hinweise erweitert und ergänzt zu werden. Nach etwa fünf Minuten erschien der »Neandertaler« in der Glastür, die ihm vom Hauswart vorsorglich geöffnet worden war.
Auf schwachen, einknickenden Beinen, unentwegt niesend, taumelte der »Neandertaler« auf die Straße und hielt sich nur mit Mühe am Peitschenmast einer Straßenlaterne fest. Dann mühte er sich in ein Taxi und ließ sich wegbringen.
»Jetzt sind Sie an der Reihe, mein Freund«, sagte Parker zu dem Fahrer seines Taxis. »Wenn mich nicht alles täuscht, werden wir gleich in den Genuß kommen, uns den Hafen dieser schönen Stadt aus der Nähe anzusehen!«
*
Seine Prognose traf ein.
Der »Neandertaler« ließ sich hinunter zum Hafen bringen, taumelte über einen Kai und wurde von zwei stämmigen Männern in Empfang genommen, die hier mit einem kleinen Boot auf ihn gewartet hatten.
Der Steinzeitmensch war nicht in der Lage, die dringenden Fragen seiner beiden Begleiter zu erwidern, wie Parker selbst aus einiger Entfernung feststellen konnte. Gestützt von den beiden Männern kletterte er in das Boot und hätte es mit einem urgewaltigen Nieser fast zum Kentern gebracht.
Das Boot fuhr hinaus ins freie Wasser, wo Parker eine einmotorige Maschine ausmachte, die auf zwei soliden Schwimmern stand. Nach einem etwas umständlichen Umsteigen verschwand der »Neandertaler« in dieser Maschine, die bald darauf Fahrt aufnahm, vom Wasser abhob und hinter einigen romantisch schönen Wolken in Richtung Süden verschwand.
Parker, stets darum bemüht, etwaige Spuren zu vermeiden, stieg in ein anderes Taxi um und ließ sich dann auf seltsam verschnörkelten Umwegen zurück zum Hafen bringen. Im Schutze eines Lagerschuppens stieg er aus und betrat die Räume eines Büros, die zu diesem Lagerschuppen gehörten.
Vor einer Tür blieb er stehen und klopfte höflich an. In den Räumen der »Intershepping« waren Schritte zu hören. Bald darauf fragte ihn eine angenehm klingende weibliche Stimme, wer da sei und was man wolle.
»Mein Name ist Parker. Ich habe die Absicht, in geschäftliche Beziehungen mit Ihnen zu treten«, erwiderte Parker höflich.
Die Tür wurde spaltbreit geöffnet.
Zuerst schaute der Butler in die Mündung einer Pistole, dann aber in die Augen von Judy Malone, die sofort lächelte und ihn eintreten ließ.
»Alles in Ordnung?« erkundigte sie sich. Während dieser Routinefrage lächelte sie schon nicht mehr. Sie schloß hinter Parker die Tür und legte einen zusätzlichen Riegel vor.
»Mr. Rander befindet sich bereits auf dem Luftweg nach Key West«, berichtete Parker. »Sein gebrochenes Bein wurde fachgerecht eingegipst, Madam!«
»Sagen Sie nicht Madam zu mir, Parker. Für Sie bin ich Judy...!«
»Miß Malone, wenn Sie erlauben«, korrigierte der Butler in seiner feinen Art.
»Okay, Miß Malone dann also...! Sie sind nicht beschattet worden?«
»Das allerdings, Miß Malone.« Parker lächelte andeutungsweise und berichtete, was ihm und dem »Neandertaler« widerfahren war. Nach seinem Bericht konnte Judy Malone endgültig wieder lächeln. Doch nur für wenige Augenblicke.
»Demnach haben wir es auch hier in Nassau mit den Schatzsuchern zu tun gehabt«, sagte sie nachdenklich. »Und da sie ein Flugzeug benutzten, konnten sie schneller sein als wir...!«
»Darf ich fragen, ob Sie inzwischen etwas über das Schicksal der Schnellbootbesatzung in Erfahrung bringen konnten?«
Ihr Gesicht verdüsterte sich.
»Die Leichen sind gefunden worden«, gab sie dann mit einer überraschend müden Stimme zurück. »Außer Mr. Rander, Ihnen und mir hat niemand überlebt. Sie haben in der Nacht sehr genau beobachtet, Parker.«
»Es war Mord«, sagte der Butler. »Ist Mr. Lörrach auch...?«
»Auch er ist erschossen worden«, erwiderte die CIA-Agentin. »Die Polizeibehörden hier in Nassau überschlagen sich. Sie stehen vor einem Rätsel und können sich die nächtliche Schießerei nicht erklären.«
»Könnte man nicht vielleicht irgendeinen Hinweis liefern, Miß Malone?«
»Ausgeschlossen«, gab sie zurück und schüttelte den Kopf. »Wir dürfen weder für die amerikanischen noch für die englischen Behörden existieren. Die Methoden der Geheimdienste sind nicht gerade gesellschaftsfähig, aber das wissen Sie ja auch...! Ich verstoße bereits gegen die Regeln, daß ich Sie eingeweiht und daß ich noch immer Kontakt zu Ihnen habe...!«
»Nur wer die Regeln kennt, Miß Malone, darf auch gegen sie verstoßen«, erwiderte der Butler. »Ich bin äußerst froh und dankbar, daß ich Sie nach dem Attentat draußen im Hafen gefunden habe. Sonst müßte ich jetzt allein Weiterarbeiten, zumal mein junger Herr für einige Zeit in einem Krankenhaus bleiben wird.«
»Aus der gedachten Zusammenarbeit wird wohl kaum etwas werden«, erklärte Judy Malone.
»Darf ich mich nach den Gründen Ihrer Absage erkundigen?«
»Ich werde meinen Auftrag zurückgeben«, sagte sie müde. »Ich habe auf der ganzen Linie versagt.«
»Verzeihung, waren Sie nicht auf der Insel?«
»Na und? Was habe ich erreicht? Ich weiß noch nicht einmal mit Sicherheit, ob die gestohlenen A-Geschosse sich auf dieser Insel befinden. Ich habe Hilton verloren. Und jetzt Larron! Nein, Parker, ich werde den Auftrag zurückgeben. Und Sie und Mr. Rander sollten schleunigst vergessen, was Sie gesehen und gehört haben.«
»Das, Madam, ist ein Gedankenakt, den zu schaffen ich nicht in der Lage bin«, erwiderte Parker und schüttelte andeutungsweise den Kopf. »Gerade weil ich gesehen und gehört habe, werde ich zurück zur Haifischinsel fahren. Vergessen Sie nicht, daß auch ich einen Spezialauftrag zu erledigen habe!«
»Man wird Sie umbringen... Wie Conwell, Hilton, Larron und die anderen, Parker.«
»Nur dann, Madam, wenn ich mir diesen Ausdruck vielleicht doch einmal erlauben darf, wenn ich mit nackter Gewalt vorgehe, womit die Gangster sicher rechnen.«
»Und wie wollen Sie ohne Gewalt durchkommen?«
»Es gibt andere Methoden, Miß Malone! Methoden, über die man sich einmal in aller Ruhe unterhalten sollte. Die Schatzsucher, um bei dieser Bezeichnung zu bleiben, haben die Insel hermetisch abgeschlossen. Sie werden sich gerade jetzt vollkommen sicher fühlen. Diese ihre Schwäche sollte man nutzen.«
»Man wird uns aufspüren, bevor wir die Insel erreichen. Und was dann passiert, wissen Sie doch bereits, Parker.«
»Darf ich fragen, Madam, ob Sie mit Ihren Vorgesetzten in irgendeiner Verbindung stehen?«
»Möglich«, sagte sie sehr zurückhaltend. Mehr wollte sie zu diesem Thema nicht sagen. Sie wirkte plötzlich sehr verschlossen.
»Falls Sie irgendeinen Kontakt aufnehmen können, Miß Malone, sollten Sie sich um ein kleines Unterwasserfahrzeug bemühen, das im Volksmund gemeinhin U-Boot genannt wird. Es braucht sich meiner bescheidenen Ansicht nach keineswegs um ein atomgetriebenes Unterwasserschiff zu handeln. Ansprüche stelle ich nicht, Sie wahrscheinlich ja auch nicht. Mittels und an Bord solch eines Unterwasserfahrzeuges müßte es leicht sein, sich ungesehen der Insel nähern zu können. Nach der Aussetzung könnte dieses Fahrzeug wieder verschwinden. Diplomatische Verwicklungen, von denen Sie sprachen und die Sie andeuteten, sind auf solche Weise vollends zu vermeiden.«
»Wie stellen Sie sich so etwas vor«, sagte sie und lächelte unwillkürlich. »Davon kann man träumen, aber mehr nicht, Parker...!«
»Auftauchen«, befahl der Kommandant und fuhr das Seerohr ein. Er wandte sich schmunzelnd zu seinen beiden Passagieren um, die sich in seinem Kommandostand befanden. »Gleich sind Sie an der Reihe. Mehr als Hals- und Beinbruch kann ich Ihnen nicht wünschen!«
»Dankend akzeptiert«, erwiderte Josuah Parker und lüftete höflich seine schwarze, neubezogene Melone.
»Ich kann’s einfach noch immer nicht glauben, daß wir in einem U-Boot sind«, sagte Judy Malone kopfschüttelnd.
»Gern lasse ich Sie nicht raus«, meinte der Kommandant. »Muß ’ne verdammt rätselhafte Geschichte sein, die hier läuft. Seit zwei Tagen grübele ich darüber nach.«
»Ich werde mir erlauben Ihnen zu schreiben, Sir, sobald dieser Ausflug beendet ist«, schaltete Josuah Parker sich ein.
Die kurze Unterhaltung wurde jäh beendet.
Kommandos, Zurufe und Befehle schwirrten durch den Raum, kamen aus Lautsprechern oder wurden von Läufern überbracht. Der Kommandant hatte keine Zeit mehr, sich seinen beiden rätselhaften Gästen zu widmen. Er hatte sein Boot aus dem Wasser gebracht und traf nun alle erforderlichen Vorbereitungen für das Aussetzen.
»Nicht nur der Kommandant steht vor einem Rätsel«, sagte Judy Malone zu Parker und sah ihn nachdenklich an. »Ihr Name muß im Hauptquartier wie eine schwere Bombe eingeschlagen sein. Wer sind Sie wirklich, Parker? Irgendein Spitzenagent, den wir alle nicht kennen?«
»Ich bin nach wie vor Butler«, erwiderte Josuah Parker freundlich und gelassen. »Und ich werde nach Lage der Dinge auch nie etwas anderes sein.«
»Das nehme ich Ihnen niemals ab. Sie müssen schon für den Geheimdienst gearbeitet haben.«
»Das möchte ich keineswegs abstreiten«, gab Parker zurück. »Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß ich ein einfacher Butler bin, der die Ehre hat, für Mr. Mike Rander zu arbeiten.«
»Warum besorgt man uns ein U-Boot, nachdem Ihr Name durchgegeben worden ist. Ich kann das einfach nicht begreifen.«
»Vielleicht nur ein glücklicher Zufall«, gab der Butler zurück. »Und ich möchte sehr hoffen, Madam, daß uns noch weitere glückliche Zufälle begleiten Werden.«
»Irgendwie habe ich plötzlich Angst, an Land zu gehen«, sagte Judy Malone. Fröstelnd hob sie die schmalen Schultern hoch und sah den Butler fast hilfesuchend an.
»Madam, ich beschwöre Sie, im Boot zu bleiben«, sagte Parker, der eine Chance witterte, Judy Malone von diesem gefährlichen Unternehmen zurückhalten zu können. »Wenn Sie mich fragen, Miß Malone, so sollten Frauen, mögen sie auch noch so tüchtig und mutig sein, auf Vorhaben der geplanten Art verzichten.«
»Nein...!« gab sie mit harter Stimme zurück und straffte sich. »Sie kennen sich auf der Haifischinsel nicht aus. Ich weiß dort einigermaßen Bescheid. Ich weiß vor allen Dingen, wo die Wachen stehen. Ich werde mitkommen, wie es geplant ist.«
»Ich unterwerfe mich selbstverständlich Ihrem Entschluß«, erwiderte der Butler, »aber...«
»Sie brauchen nicht auszureden«, stoppte sie ihn. »Ich komme mit. Schon wegen Clive Hilton. Ich habe ihn... sehr... gemocht...«
Parker verzichtete darauf, mit weiteren Einwänden zu kommen. Er hatte längst herausgehört, daß Judy Malone auch aus sehr persönlichen Gründen zurück auf die Insel wollte. Und die kurzen Momente ihrer Angst spielten dabei kaum eine Rolle. Schon jetzt war sie wieder die Frau, die sehr genau wußte, was sie wollte.
Für eine weitere Unterhaltung wäre zudem auch keine Zeit mehr geblieben, denn nachdem das U-Boot aufgetaucht war, waren jetzt Judy Malone und Josuah Parker an der Reihe, in ein Schlauchboot umzusteigen.
Dieses Umsteigen verlief ohne Zwischenfälle.
In wasserdicht verschnürten Packen befand sich Material, das Parker angefordert hatte. Und zwar auf dem Umweg über Judy Malone. Als der Butler im Schlauchboot saß und das kurze Stechpaddel handhabte, nickte er der jungen Frau zu, die einfache Jeans trug und einen dicken, dunklen Pullover übergestreift hatte. Wie ein großer, schlanker, etwas schlacksiger Junge sah sie aus. Ein durchaus wohlgefälliger Anblick, wie Parker ohne weiteres einräumte.
Dann sah er zur Haifischinsel hinüber.
Gegen den sich aufhellenden Nachthimmel - der Mond trat hinter Wolken hervor - wirkten die windzerzausten Palmen wie Scherenschnitte, ein Bild, das dem Butler wohlvertraut war.
Das Schlauchboot wurde von der langen Dünung getragen.
Irgendwo im Hintergrund, verschluckt von der Dunkelheit, sackte das U-Boot wie ein Stein zurück in das tiefe, schützende Wasser. Wenig später waren Judy Malone und der Butler allein. Vor ihnen lag die Insel der Haifische und der Schatzsucher, lag eine Insel, die ein tödliches Geheimnis barg...
*
»Natürlich ist solch ein Ding absolut tödlich«, sagte Stew Criswood und nickte Mike Rander zu. »Wir machen uns da keine Illusionen. Das A-Geschoß besitzt die ungefähre Sprengkraft einer Atombombe, wie sie damals gegen Ende des zweiten Weltkriegs verwendet worden ist. Und solch ein Geschoß, das von einem Artilleriegeschütz verschossen werden kann, ist in einem großen Schrankkoffer zu transportieren. Muß ich Ihnen noch mehr sagen?«
Rander befand sich im Krankenhaus des Militärhospitals von Key West. Er saß in einem bequemen Sessel und hatte das eingegipste Bein auf einem nahe stehenden Hocker hochgelegt.
Stew Criswood war von Washington hergeflogen und hatte Kontakt aufgenommen. Nachdem die genaue Identität von Mike Rander und Josuah Parker bekannt geworden war, hatte die CIA gegen eine enge Zusammenarbeit nichts einzuwenden. Rander und Parker besaßen einen Namen, der einen mehr als guten Klang hatte.
»Und Sie glauben an irgendeine Erpressung durch die Gangster?« erkundigte sich der Anwalt.
»Wir wundem uns, daß sie noch nicht erfolgt ist«, erwiderte Stew Criswood, ein hoher Zivilbeamter der CIA. »Sie kann stündlich und minütlich erfolgen. Und wir können noch von Glück sagen, wenn die Gangster nur Geld haben wollen. Dann wissen wir nämlich, wohin der Hase läuft.«
»Welche Möglichkeiten bieten sich denn sonst noch an?«
»Wir rechnen, offen gesagt, mit einer politischen Erpressung«, entgegnete Stew Criswood, ein durchschnittlich aussehender Mann von etwa fünfzig Jahren. »Hinter diesen Gangstern kann irgendeine politische Macht stehen, verstehen Sie? Diese Macht, egal wie sie heißt, versteckt sich hinter den Gangstern und bleibt offiziell aus dem Spiel, um erst gar keine Vergeltung zu provozieren. Schön, oder schlecht, wie man besser sagen sollte, über diese Gangster kann man uns mit der Verwendung der vier A-Geschosse drohen. Was sollen wir in solch einer Situation tun? Wir müssen irgendein schmutziges Machtspiel mitspielen und wissen noch nicht einmal, wo wir den Hebel ansetzen können.«
»Scheußlich«, pflichtete Rander seinem Besucher bei. »Was werden Sie tun, wenn sich herausstellt, daß die vier gestohlenen A-Geschosse sich auf der Haifischinsel befinden?«
»Dann würden wir sie runterholen. Mit Genehmigung der englischen Behörden oder allein durch sie...!«
»Dann frage ich mich, warum man nur ein paar Agenten eingesetzt hat, Criswood. Nichts gegen Hilton, Larron und Miß Malone...!«
»Hört sich plausibel an, was Sie da sagen! Aber lesen Sie mal dieses Telegramm. Es kam vor ein paar Wochen in Washington an. Das war kurz nach dem Überfall in New Mexico. Vielleicht verstehen Sie dann, warum uns die Hände gebunden sind.«
Stew Criswood griff in die Brusttasche seines Sommerjacketts und reichte Mike Rander ein Telegrammformular.
Rander überlas den Text. Dann faltete er das Formular zusammen und gab es an Criswood zurück.
»Verdammt, in Ihrer Haut möchte ich nicht stecken«, sagte er dann und atmete hörbar durch.
»Begreifen Sie jetzt?« fragte Criswood und steckte das Telegramm wieder ein, »Die augenblicklichen Besitzer der vier A-Geschosse drohen mit der Zündung eines der Geschosse, falls wir versuchen, sie aufzuspüren und außer Gefecht zu setzen. Sie drohen damit, dieses Geschoß in irgendeiner Stadt irgendwo in den Staaten zu zünden. Meine private Meinung ist, daß es sich um einen harten Bluff handelt. Aber meine Meinung zählt nicht. Was ist, wenn aus dem Bluff Wirklichkeit wird? Diese Verantwortung kann niemand übernehmen, Rander! Aus diesem Grund müssen wir ungemein vorsichtig operieren. Offiziell unternehmen wir nichts. Wir setzen unsere ganzen Hoffnungen auf einen Handstreich. Viel ist bisher daraus nicht geworden.«
»Gut, daß Parker mit von der Partie ist«, erwiderte Mike Rander. »Ich will ihn nicht in den Himmel loben... Aber wenn’s einer schafft, dann Josuah Parker!«
»Halten wir ihm und Judy Malone die Daumen«, sagte Criswood mit neutraler Stimme.
»Warum wurde Judy Malone zurück auf die Insel geschickt?« erkundigte sich der Anwalt. »Ist das eine Sache für eine Frau?«
»Abgesehen davon, daß sie eine erstklassige Agentin ist, Rander, sie kennt sich etwas auf der Insel aus. Sie war fast drei Tage dort. Zusammen mit ihrem Partner Hilton. Wir konnten und durften schon aus Gründen der Zeitersparnis nicht auf sie verzichten. Sie wird Ihrem Butler eine erstklassige Hilfe sein, verlassen Sie sich darauf!«
»Zwei Menschen gegen vier A-Geschosse und eine Bande mörderischer Gangster«, meinte der Anwalt leise. »Hoffentlich geht diese Rechnung auf!«
»Sie kann nur dann aufgehen, Rander, wenn wir mit Einzelpersonen arbeiten«, erwiderte Criswood mit fester Stimme. »Sie wissen doch, wenn wir offiziell und massiv Vorgehen, müssen wir damit rechnen, daß man irgendwo eines der Geschosse zündet, das sich vielleicht bereits in einer Großstadt befindet.«
»Ein Glück, daß sich die Gangster außer mit diesem Telegramm noch nicht gemeldet haben.«
»Malen Sie nur nicht den Teufel an die Wand! Besprechen Sie es nur nicht! Ich fühle mich wie auf einem Pulverfaß, dessen Lunte bereits angezündet worden ist, Rander. Ich rechne jede Minute damit, daß die Gangster sich melden und sagen, was sie von uns und von der Regierung verlangen. Ist es erst einmal soweit, dann gnade uns Gott!«
»Ist es nicht überraschend, daß die Gangster sich bisher noch nicht gemeldet haben? Es sind immerhin fast drei Monate verstrichen, seitdem die vier Geschosse gestohlen wurden.«
»Meiner Ansicht nach eine taktische Vorsichtsmaßnahme der wirklichen Besitzer der Geschosse, die die Gangster nur vorgeschickt haben. Jeder Verdacht soll so beseitigt werden. Und jede Stunde, in der die Würfel noch nicht gefallen sind, wird für uns doch zu einer kleinen Ewigkeit. Jede Wartestunde steigert unsere Nervosität. So was nennt man normalerweise psychologische Kriegsführung!«
Rander richtete sich im Sessel etwas auf und schaute zum Fenster hinaus, hinter dem noch die Nacht stand. Nur weit über dem Horizont in Richtung See war ein erster, feiner, rosaroter Lichtschimmer zu erkennen.
»Ob Miß Malone und Parker schon von Bord gegangen sind?« fragte der Anwalt nachdenklich.
Stew Criswood schaute auf seine Armbanduhr und nickte.
»Falls die vereinbarte Zeit eingehalten wurde und falls nichts dazwischengekommen ist, müßte es soweit sein«, sagte er dann. »Hauptsache, es stellt sich heraus, daß die Schatzsucher auf der Haifischinsel tatsächlich die Geschosse besitzen. Sie wissen doch, Rander, selbst das wissen wir noch nicht einmal genau...!«
*
Sie kamen heil durch die starke Brandung und bargen das kleine Schlauchboot. Judy Malone ließ sich erschöpft im Sand niedersinken und rieb sich die schmerzenden Unterarme. Sie machte plötzlich einen bedrückten Eindruck. Vielleicht hatte sie Angst.
Parkers Tatendrang war hingegen nicht zu bremsen. Er fühlte sich ausgezeichnet, zumal er seinen jungen Herrn in Key West wußte. Ihm war dies durchaus lieb, denn für Mike Rander fühlte er sich stets besonders verantwortlich.
Parker verbarg das Schlauchboot unter dichtem Gestrüpp und blieb dann vor Judy Malone stehen, die ihn stumm und fragend anschaute.
»Haben wir überhaupt eine Chance?« fragte sie endlich leise.
»Sie war niemals größer als jetzt, Madam«, gab der Butler zurück. »Kein Mansch hier auf der Insel rechnet mit unserer Rückkehr. Schon gar nicht nach der Explosion auf dem Schnellboot. Wenn Sie erlauben, werde ich mich etwas umsehen.«
»Sie wollen mich hier allein zurücklassen? Ausgeschlossen!«
Judy Malone stand sofort auf und riß sich sichtlich zusammen. Sie sah sich in der Dunkelheit um und verfolgte die Linie des Sandstrandes mit ihren Augen.
»Dort hinter den Palmen muß die zweite Lagune liegen«, sagte sie dann. »Und dort werden wir auch auf die Schatzsucher treffen.«
Parker wußte aus Miß Malones Erzählungen, daß es weder ihr noch ihrem Begleiter Hilton gelungen war, an diese zweite Lagune heranzukommen. Sie waren leider vorher von den Wachen überrascht und gehetzt worden.
»Wenn Sie erlauben, Miß Judy, übernehme ich den Vortritt«, sagte Parker ruhig und gelassen. »Es geht auf den Morgen zu. Um diese Zeit werden selbst die gewissenhaftesten Wachen schläfrig und unaufmerksam, wie die Erfahrung lehrt.«
Judy Malone hatte nichts dagegen einzuwenden.
Parker nahm seinen Universal-Regenschirm in die Hand und rückte sich die schwarze Melone zurecht. Dann verschwand er überraschend leichtfüßig und geräuschlos im Unterholz.
Judy Malone, die längst gespürt hatte, was mit Butler Parker los war, kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der Butler bewegte sich in diesem fremden Gelände mit der Sicherheit eines erfahrenen Pfadfinders. Nervosität schien ihm vollkommen fremd zu sein. Zudem verfügte er über den wachen Instinkt und den Orientierungssinn eines Raubtieres, das sich an seine ahnungslose Beute heranpirscht.
Parker blieb plötzlich wie angewurzelt stehen.
Seine Nase wurde vom Rauch eines Feuers getroffen. Und Sekunden danach waren Schritte zu hören.
Parker bog die Strauchzweige, hinter denen er stand, etwas zur Seite. Seine Augen erblickten einige primitive Holzhütten, die von einem kleinen, heruntergebrannten Feuer beleuchtet wurden. An diesem Feuer saß ein einzelner Mann, der eine Zigarette rauchte.
Diese Holzhütten wiederum standen am Rande einer kleinen Lagune. Und in dieser Lagune, das war die eigentliche Sensation, machte der Butler die Umrisse einer alten Fregatte aus, wie sie zu Zeiten der spanischen Kolonialherrschaft in Amerika benutzt worden waren. Ein Irrtum war ausgeschlossen.
»Wenn Sie bitte einmal sehen wollen«, sagte Parker, sich leise an Judy wendend.
»Eine spanische Fregatte«, sagte sie überrascht.
»Hier scheinen tatsächlich Schatzsucher am Werk zu sein«, meinte der Butler. »Schade, daß man das Schiff nicht genau sehen kann.«
»Dagegen läßt sich einiges tun«, antwortete der Butler. »Darf ich Sie höflichst bitten, für ein paar Minuten zurückzubleiben?«
Judy Malone nickte nur.
Parker verließ das schützende Unterholz und sah zu dem Mann hinüber, der am Feuer saß und gerade Anstalten traf, sich zu erheben. War er mißtrauisch geworden? Hatte er irgendwelche verdächtigen Geräusche gehört?
Der Butler hielt längst seine kleine Gabelschleuder in der Hand. Als Geschoß verwendete er diesmal nur einen kleinen, abgeflachten Kieselstein, den er durch die Nacht katapultierte.
Der Nachtwächter, der seine Knie noch nicht ganz durchgedrückt hatte, stieß Bruchteile von Sekunden später einen sanften Seufzer aus und ließ sich wieder am Feuer nieder. Er machte es sich bequem und streckte sogar seine Beine lang aus. Dann blieb er unbeweglich liegen.
Parker huschte zu dem nun tief schlafenden Mann hinüber und nahm ihm die Handfeuerwaffe ab. Es handelte sich um einen soliden 45er, dessen Lauf er kurz und wirkungsvoll präparierte. Er füllte einige Prisen Feinsand in den Lauf und gab danach einige Tropfen Lagunenwasser hinzu, damit der nun feuchte Sand auch wirklich in den Zügen des Laufs haften blieb.
Dann wechselte der Butler hinüber an das Ufer der Lagune und sah sich das alte spanische Schatzschiff etwas genauer an.
Er hatte sich nicht getäuscht.
In der schmalen Lagune befand sich tatsächlich ein uraltes Segelschiff, das einen äußerst verwahrlosten und mitgenommenen Eindruck machte. Laufplanken führten vom Ufer hinüber an Bord dieser Fregatte. Das Schiff wurde von kräftigen Balken und von passend zurechtgeschnittenen Baumstämmen gehalten. Der Rumpf, der über und über mit Muscheln bedeckt war, strömte einen faulen Geruch aus. Das Schiff schien bis zu seiner Hebung auf Grund gelegen zu haben.
Von den Masten waren nur noch kurze Stümpfe zu sehen. Das Schanzkleid sah zerschossen aus. Die Stückpforten, in denen seinerzeit einmal Kanonen standen, waren leer.
Parker war ehrlich überrascht.
Solch eine Fregatte hatte er hier nicht erwartet. Und er fragte sich noch einmal, ob sie es nicht doch mit Schatzsuchern zu tun hatten, die eifersüchtig über ihre Beute wachten.
Parker wechselte die Blickrichtung.
Die Holzhütten am Strand waren jetzt gut zu übersehen.
Es handelte sich um primitive Hütten, die aus Palmstämmen, Ästen und Palmwedeln bestanden. Am Ufer der Lagune machte er zusätzlich Hebewerkzeuge und anderes Arbeitsgerät aus. Generell war zu sagen, daß alles einen unverdächtigen Eindruck machte. Sollte die CIA sich doch auf einer falschen Spur befinden?
Wenn hier wirklich A-Geschosse verborgen wurden, wo konnte man sie untergebracht haben? In einer der primitiven Hütten? Wie viele Männer mochten in den Hütten schlafen? Wo befanden sich das Schwimmerflugzeug und der schnelle Außenborder?
Parker ging suchend weiter. Seine Vorsicht ließ nicht nach, wußte er doch nicht, welche Nachtwachen noch zusätzlich unterwegs waren. Ihn interessierte der natürliche Stichkanal, der die Innenlagune mit der Außenlagune verband. Um Judy kümmerte er sich nicht weiter. Er war sicher, daß sie verabredungsgemäß im Versteck zurückblieb und dort auf ihn wartete.
Nach wenigen Minuten hatte der Butler den gesuchten Stichkanal gefunden. Es handelte sich um jenen Wasserlauf, durch den Judy von ihren Verfolgern gehetzt worden war.
Minuten später fand der Butler das einmotorige Wasserflugzeug. Es lag ruhig im Wasser und war mittels einiger Leinen an Palmstämmen festgemacht worden. Nicht weit davon war auch der schnelle Außenborder zu sehen, den die Gangster benutzt hatten, um das von Rander und Parker gemietete Leihboot in die Luft zu sprengen.
Nein, normale Schatzsucher konnten das wohl doch nicht sein! Diente diese Schatzsuche nur der raffinierten Tarnung, wie die CIA es vermutete?
Bevor der Butler sich diese Frage beantworten konnte, hörte er plötzlich von der Innenlagune her einen schrillen Schrei, dem kurz darauf zwei peitschende Pistolenschüsse folgten.
Sekunden später war das los, was man im Volksmund so treffend die Hölle nennt!
Signalpfeifen schrillten. Stimmen gellten durch die Dunkelheit. Auf einen Knopfdruck hin wurde zentral eine Kette von grellen Lichtern und Scheinwerfern eingeschaltet. Das Gelände der inneren Lagune wurde taghell erleuchtet.
Parker sah sich gezwungen, erst einmal von der Bildfläche zu verschwinden. Zurück ins Unterholz wollte er auf keinen Fall. Dort fehlte ihm die Sicht.
Als praktisch veranlagter Mensch verband er das Angenehme mit dem Nützlichen.
Die Schwimmer des Wasserflugzeuges befanden sich in seiner unmittelbaren Nähe.
Also stieg er schnell und geschickt auf einen der Schwimmer über, öffnete die Tür der viersitzigen Kabine und stieg in das Flugzeug. Er schloß die Tür hinter sich und richtete sich ein.
Vom bequemen Sitz aus war er in der Lage, die nun einsetzende Suchaktion zu beobachten. Schon nach wenigen Augenblicken war ihm klar, daß er sich das richtige Versteck ausgesucht hatte.
Überall wimmelte es plötzlich von Männern, die zusätzlich noch Handscheinwerfer trugen und das Gelände absuchten. Sie waren durchweg mit Pistolen bewaffnet und nahmen ihre Arbeit sehr ernst.
Sie suchten überall, aber sie gingen wiederholt am Wasserflugzeug vorbei und konnten sich wohl nicht vorstellen, daß hier irgendein heimlicher Besucher der Haifischinsel saß.
Die Männer - Parker zählte sechs von ihnen - blieben fast eine halbe Stunde lang auf den Beinen. Erst dann zogen sie sich wieder zu ihren primitiven Hütten zurück. Und schlagartig erloschen sämtliche Lichter. Die Schatzsucher waren wohl zu der Überzeugung gekommen, daß nun alles in bester Ordnung war.
Parker war verständlicherweise anderer Ansicht.
Ihm klang noch der schrille Schrei in den Ohren. Er erinnerte sich noch sehr genau der beiden Pistolenschüsse. Er dachte an Judy Malone. Hatte sie diesen Schrei ausgestoßen? War sie vielleicht von irgendeiner Nachtwache überrascht worden?
Parker wartete noch einige Zeit, bis er das Wasserflugzeug wieder verließ. Dann pirschte er sich vorsichtig zurück zu dem Punkt, an dem er Judy Malone zurückgelassen hatte.
Vorsichtig schaute er sich nach ihr um.
Doch er wußte eigentlich schon im voraus, daß er sie nicht mehr antreffen würde. Er hatte sich bereits mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß man sie überrascht und überwältigt hatte.
Viel Zeit stand dem Butler nicht mehr zur Verfügung. Der Morgen dämmerte. Bis es hell wurde, mußte Parker sich ein sicheres Versteck gesucht haben. Es stand zu erwarten, daß die Schatzsucher die ganze Insel nach weiteren Besuchern durchkämmten. Sie konnten sich ja leicht ausrechnen, daß die Frau nicht allein gekommen war.
Der Butler wollte zurück zur Außenlagune gehen, als er plötzlich eine überlaute, energische Stimme hörte, die mit Sicherheit aus einem großen Lautsprecher kam.
»Achtung...! Achtung...!« war zu hören. »In zehn Minuten werden wir die junge Dame zum Reden bringen. Und zwar mit allen Mitteln. Wir scheuen vor nichts zurück. Wer sich mit ihr auf der Insel befindet, muß sich umgehend stellen, wenn der jungen Frau nichts geschehen soll! Achtung! Achtung... Ich gebe die Meldung noch einmal durch. Und ich erkläre, daß wir nicht bluffen!«
Zur Erklärung, daß wirklich nicht geblufft wurde, war über den Lautsprecher die keuchende Stimme von Judy Malone zu hören. Wütend und verzweifelt schrie sie immer wieder den Satz:
»Loslassen... Lassen Sie mich los! Und wenn Sie mich umbringen, ich werde kein Wort sagen!«
Parker hörte einen Moment aufmerksam zu, dann entschied er, sich direkt mit den Schatzsuchern in Verbindung zu setzen. Bevor er das jedoch tat, griff er in die Außentasche seines Jacketts und holte eine kleine Metallkapsel hervor, die er mittels eines Knopfdruckes quasi entsicherte, um sie dann fast achtlos irgendwohin ins Unterholz zu werfen.
Anschließend legte er den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms über den linken Unterarm und schritt würdevoll auf das Lager der Schatzsucher zu....
So etwas wie Josuah Parker hatten sie noch nie gesehen.
Sie grinsten unverhohlen und machten ihre billigen Witze über ihn. Sie sahen ihn sich immer wieder kopfschüttelnd an, als sie ihn zu einer Hütte führten, die, etwas abgesetzt von den anderen, im dichten Unterholz stand.
Diese Hütte war überraschend solide gebaut und glich fast einem Bunker. Vor der Hütte standen zwei Männer, die der Butler schon einmal aus nächster Nähe gesehen hatte. Es handelte sich um den zivilisiert aussehenden, mittelgroßen Mann, dessen Vorname Clem war. Neben ihm stand der »Neandertaler« Andy, in dessen kleinen Schweinsaugen böse Lichter glommen. Er erinnerte sich wohl noch sehr deutlich der Panne, die der Butler ihm im Bürohaus von Nassau zugefügt hatte.
»Sie sind wohl lebensmüde, wie?« fragte Clem und lächelte fast freundlich. Dann winkte er seine Männer zur Seite. Sie spritzten förmlich zurück und hielten sich ab sofort im Hintergrund. Sie schienen großen Respekt vor Clem zu haben.
»Auf keinen Fall lebensmüde, wie Sie sich auszudrücken belieben«, antwortete der Butler. »Mich plagt nur das, was man Neugierde nennt. Aus diesem Grund kehrte ich hierher zur Insel zurück. Darf ich übrigens fragen, wie es Miß Malone geht?«
»Na, es geht«, sagte Clem und lächelte nicht mehr. »Es würde ihr bessergehen, wenn sie reden würde.«
»Darf ich erfahren, was Sie von ihr wissen wollen?«
»Wie sind Sie so schnell hierher auf die Insel gekommen?«
»Das können Sie sich wirklich nicht denken?« fragte der Butler zurück und tat es ungemein erstaunt.
»Reden Sie schon...!«
»Wir benutzten ein U-Boot«, erklärte Parker wie selbstverständlich.
»Reden Sie keinen Blödsinn!« Clem sah den Butler bitterböse an. »Mit diesem Märchen dürfen Sie mir nicht kommen.«
»Ich sage die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.«
»Blödsinn, Sie wollen mir einen Bären aufbinden, Parker.«
»Und wenn es wirklich stimmt?« schaltete sich der »Neandertaler« besorgt ein.
»Fang du bloß nicht auch noch an, Andy«, herrschte Clem seinen Partner gereizt an.
»Vielleicht sind es gar keine Konkurrenten«, redete Andy aber ungeniert weiter.
»Was sollen sie denn sonst schon sein?«
»Vielleicht Spitzel vom FBI.«
»Was Besseres fällt dir wohl nicht ein, was?« Clem grinste abfällig. »No, mein Junge, wir haben es mit einer Schmutzkonkurrenz zu tun. Aber entscheiden soll der Chef.«
»Ich wußte doch gleich, daß weder Mr. Andy noch Sie der Chef sein können«, ließ der Butler sich vernehmen.
»Ach nee, und warum nicht?« Clem sah Parker lauernd an.
»Ihnen fehlt das, was man vielleicht negatives Format nennen könnte«, gab der Butler gemessen zurück. »Wann habe ich den Vorzug, Ihren Chef sehen zu können?«
»Den werden Sie noch früh genug sehen, Parker, und dann werden Ihnen die Augen übergehen, darauf können Sie sich verlassen!«
»Ich hoffe, es kommt zu einem angenehmen Gespräch«, sagte Parker höflich. »Aber was soll in der Zwischenzeit geschehen?«
»Sehr einfach, wir werden die Wahrheit aus Ihnen und auch aus dieser Frau herausholen. Wir kennen da ein paar Mittel, die jeden zum Reden bringen.«
»Darf ich aus Ihrem Mißtrauen schließen, daß die Schätze auf der alten spanischen Fregatte oder Galeone erheblich sein müssen?«
»Von mir aus!« Clem grinste und warf Andy einen schnellen, ironisch-wissenden Blick zu. Es war ein Blick, den Andy genau so wissend erwiderte.
»Sind deswegen einige Sporttaucher und Sportfischer hier vor der Insel umgebracht worden?«
»Was wollen Sie damit sagen, Parker?« Clem baute sich breitbeinig vor dem Butler auf.
»Es war die Frage eines müden, alten und verbrauchten Mannes«, gab der Butler zurück.
»Kommen Sie uns bloß nicht mit Tricks«, fuhr Andy wütend los. Er dachte wohl an die Szene im Bürohaus, als der Butler ihn überlistet hatte. »Wir wissen genau, was mit Ihnen los ist, Parker!«
»Und darauf werden wir uns einstellen«, fügte Clem hinzu. Dann, bevor Josuah Parker mit weiteren Erklärungen dienen konnte, befahl Clem den im Hintergrund wartenden Männern, ihn wegzuschaffen.
»Ich beuge mich der brutalen Gewalt«, sagte Parker, bevor die Männer sich auf ihn stürzten und wegschleppten...
*
»Sie warten nur auf die Rückkehr ihres Chefs«, sagte Judy Malone. »Und ich glaube, daß er heute noch auf die Insel zurückkommen wird. Ich habe so etwas aufgeschnappt.«
»Ich freue mich darauf, diesen Mann kennenzulernen«, gab der Butler würdevoll zurück. Er hockte auf dem hartgestampften Boden und lehnte mit dem Rücken gegen die tiefe Grube, in die man Judy Malone und ihn hineingesteckt hatte.
Diese Grube befand sich unter dem Bretterfußboden einer Holzhütte und besaß nicht den geringsten Komfort. Weder Judy noch Parker waren erfreulicherweise gefesselt worden.
»Was versprechen Sie sich davon?« gab sie etwas gereizt zurück. »Es ist doch klar, daß man uns umbringen wird, sobald wir geredet haben.«
»Damit ist tatsächlich mit einiger Sicherheit zu rechnen«, antwortete der Butler. »Haben Sie etwas über Ihren Bekannten Hilton gehört?«
»Nichts«, sagte sie mit leiser Stimme, »und ich habe auch nicht viel Hoffnung, ihn noch einmal wiederzusehen. Diese Bestien hier bringen doch jeden um.«
»Jeder Mensch, mag er auch noch so clever sein, wie es im Volksmund heißt, findet eines Tages seinen Meister«, meinte der Butler. »Und was die hiesigen Gangster angeht, so müßte man sich vielleicht interessanter machen, als man ohnehin schon ist.«
»Wie stellen Sie sich das vor?« fragte Judy.
Parker dämpfte seine Stimme und setzte der jungen, dunkelhaarigen Frau auseinander, wie er sich die Sache vorstellte.
»Sie haben von dem U-Boot erzählt?« fragte sie dann vorwurfsvoll zurück, als der Butler endlich geendet hatte. »Und wir sollen zugeben, daß wir von der CIA geschickt worden sind?«
»Die Wahrheit, Madam, wird nur selten geglaubt«, meinte Parker leise. »Je mehr wir uns darauf versteifen, von der CIA geschickt worden zu sein, desto mehr wird man annehmen, daß wir von einer Konkurrenzbande kommen.«
»Existiert solch eine Bande überhaupt?« wollte Judy Malone wissen.
»Mit einiger Sicherheit«, entgegnete der Butler lächelnd. »Ich konnte das gewissen Andeutungen entnehmen. Diese Gangster hier auf der Haifischinsel fürchten wohl kaum die Behörden, zumal sie ja über bestimmte Druckmittel in Form von A-Bomben verfügen. Aber sie fürchten irgendeine Konkurrenzbande, die sie mit dem Einsatz eines A-Geschosses wohl kaum schrecken kann.«
»Vielleicht haben Sie recht«, meinte Judy nachdenklich. »Sie sprachen gerade von den A-Geschossen. Wenn man nur wüßte, ob sie sich tatsächlich hier auf der Insel befinden...!«
»Sie befinden sich hier auf der Insel«, sagte Parker mit einer Stimme, die keinen Zweifel aufkommen ließ.
»Sie haben die Geschosse...? Ich meine, woher wissen Sie das?« fragte Judy überrascht.
Parker lächelte und holte seine Westentaschenuhr hervor, die unförmig wie ein leicht deformiertes Ei aussah. Er ließ den Sprungdeckel aufklappen und hob durch einen Knopfdruck noch das Zifferblatt ab.
»Sehen Sie, Madam«, sagte er dann, auf ein kleines Gerät tippend, das jetzt frei lag. »Ein Miniatur-Geigerzähler. Sehen Sie den Ausschlag, Miß Judy. In allernächster Nähe dieser Grube befindet sich radioaktives Material. Meiner bescheidenen Ansicht nach kann es sich nur um die in New Mexico gestohlenen A-Geschosse handeln, zumal der Zeigerausschlag meines Spezialgerätes außerordentlich intensiv ist.«
»Woher... woher haben Sie denn dieses Ding?« fragte Judy ganz überrascht und zeigte auf die Westentaschenuhr.
»Ich bin leidenschaftlicher Bastler und hatte so meine Vorstellungen. Nach der Unterhaltung mit der CIA konnte man mir genau das Gerät besorgen, das mir vorschwebte.«
»Schade, so dicht vor dem Ziel sind wir abgefangen worden«, meinte Judy ärgerlich. »Und wir konnten uns noch nicht einmal mit Criswood in Verbindung setzen.«
»Sind Sie so sicher, Madam«, gab der Butler gelassen zurück und dachte an die kleine Metallkapsel, die er achtlos ins Unterholz geworfen hatte...
*
Josuah Parker sah sich in der Grube etwas genauer um.
Er hatte keine Lust, hier stundenlang zu bleiben. Dazu war ihm die Zeit nun doch zu kostbar.
Leicht war es nicht, aus dieser Grube herauszukommen. Sie war fast zwei Meter tief und oben mit starken Bohlen abgedeckt. Wie sollte er hier ungesehen herauskommen? Es war sicher, daß die Hütte über der Grube von einigen Gangstern bewacht wurde.
Bevor Parker aber etwas unternehmen konnte, war auf den Bohlen ein unverkennbares Geräusch zu hören. Mindestens zwei Männer betraten die Hütte und räumten einige Bohlen zur Seite.
»Rauf kommen«, kommandierte dann die Stimme von Andy. »Beeilung, sonst machen wir euch Beine. Der Chef will euch sprechen.«
»Wie soll ein alter Mann wie ich aus dieser Grube herauskommen?« gab Parker zurück.
»Schön, dann zuerst mal die Frau... Hier ist eine Schlinge!«
Ein Tampen, der unten zu einer Schlinge geformt war, kam nach unten. Judy nickte dem Butler zu, dann stellte sie ein Bein in die Schlinge und ließ sich nach oben ziehen.
Parker horchte sehr genau hin, als die Bohlen wieder quergelegt wurden und die Schritte sich entfernten. Seiner Schätzung nach war in der Hütte selbst keine Wache zurückgeblieben.
Er bemühte seinen Universal-Regenschirm, den man ihm achtlos gelassen hatte.
Parker lehnte ihn gegen die harte Grubenwand, stieg auf die Krücke, die breit genug war, seinem Fuß einen festen Halt zu geben und konnte dann einige Bohlen geräuschlos zur Seite drücken. Anschließend kletterte er geschickt in die Hütte hinein. Den Regenschirm zog er selbstverständlich nach. Von diesem Gerät trennte er sich nur höchst ungern.
Durch die Ritzen der Hütte konnte er jetzt bei der Helligkeit das Camp der angeblichen Schatzsucher gut überblicken.
Ihm fiel sofort auf, daß an dem alten, muschelübersäten Wrack überhaupt nicht gearbeitet wurde. Die wenigen Männer, die sichtbar waren, beschäftigten sich mit dem Wasserflugzeug und mit dem schnellen Außenborder.
Nicht weit von der Hütte entfernt, in der Parker sich befand, stand die sehr solide aussehende Hütte, die ihm bereits schon einmal aufgefallen war und in der er von Clem und Andy verhört worden war. Vor dem Eingang zu dieser Hütte standen zwei stämmige Männer. Sie bildeten so etwas wie eine Türwache.
Was mochte sich in dieser Hütte wohl tun? In ihr befand sich augenscheinlich der Chef dieser angeblichen Schatzsucher und verhörte gerade Judy Malone.
Plötzlich wurde seine Aufmerksamkeit von einer blonden, äußerst attraktiv aussehenden Frau gefangen, die vom Strand der Innenlagune aus hinauf zur Hütte ging.
Diese Frau war Susan Kelly! Wenigstens hatte sie sich so ausgewiesen. Sie trag einen knappsitzenden weißen Overall, der ihre Figur wirkungsvoll unterstrich. In der Hand hielt sie einen modernen, weiß lackierten Pilotenhelm.
Susan Kelly, die angebliche Schiffbrüchige aus dem Segelboot, kannte sich nicht nur sehr gut aus, sondern sie schien hier unter den Männern auch eine gewisse Sonderstellung einzunehmen. Die beiden Türwachen ließen sie ungehindert passieren. Susan Kelly verschwand in der Hütte.
Ob sie wohl das Wasserflugzeug geflogen hatte, mit dem Andy Nassau verlassen hatte? Oder hatte sie den Chef der angeblichen Schatzsucher hierher zur Insel geflogen? Dann mußte noch eine zweite Maschine existieren.
Parker, von Natur aus interessiert und neugierig, hielt es nicht länger in der kleinen Hütte. Er brauchte Informationen. Und um sie sammeln zu können, mußte er sich auf der Insel weiter umsehen. Die Frage war nur, wann man ihn zum Verhör durch den Chef abholte.
Parker wurde zu seinem Leidwesen von den Ereignissen überrascht. Die beiden Türwachen mußten einen Befehl bekommen haben, ihn abzuholen. Sie verließen das solide Blockhaus aus Palmstämmen und kamen auf die Hütte zu, in der er sich befand.
Schnell und geschmeidig wie ein Wiesel verschwand der Butler wieder in der Grube und deckte die Bohlen zu. Wenig später hörte er die Schritte der beiden Männer, die ihn mittels der Hanfschlinge aus der Grube zogen und die ahnungslos blieben, was seinen Aktionsradius anging. Parker hatte seinen Universal-Regenschirm keineswegs vergessen. Er benutzte ihn als Spazierstock und schleppte sich wie ein müder, alter und verbrauchter Mann auf die solide Palmstammhütte zu. Er besorgte das derart gekonnt, daß die beiden Gangster fast so etwas wie einen Anflug von Mitleid mit ihm bekamen.
Und dann stand Parker dem Chef der Schatzsucher gegenüber...
*
Der Mann mochte fünfundvierzig Jahre alt sein.
Er war groß, schlank, ohne mager zu sein und sah sportlich durchtrainiert aus. Sein überraschend glattes Gesicht war nur leicht gebräunt und wirkte sympathisch. Der Chef der Schatzsucher trug einen elegant geschnittenen Einreiher.
Spöttisch sah dieser Mann den Butler an. Dann drehte er sich zu den neben ihm stehenden Andy und Clem um. Damit drückte er wohl aus, daß er sich bereits im voraus über den Butler amüsierte.
Parker sah sich ungeniert nach Judy Malone um. Sie war nicht zu sehen. Man schien sie bereits aus der Hütte gebracht zu haben.
»Sie sind also auch mit einem U-Boot hierhergebracht worden, wie?«
Der Chef der Schatzsucher schmunzelte, als er Parker wieder ansah.
»Ich sagte es bereits, doch gewann ich den Eindruck, Sir, daß man mir nicht glaubt.«
»Haben Sie noch andere Geschichten parat?« fragte der Chef der Schatzsucher. »Gut erfundene Geschichten höre ich sehr gern.«
»Mr. Rander, mein junger Herr, der leider einiges Pech entwickelte, ist Privatdetektiv«, redete der Butler weiter, sich nach wie vor streng an die Wahrheit haltend. »Er und meine bescheidene Wenigkeit versuchen, das rätselhafte Verschwinden eines Mr. Marty Conwell zu klären. Er muß hier in den Gewässern der Haifischinsel zu Tode gekommen sein.«
»Jetzt klingt Ihre Geschichte aber nicht mehr sonderlich überzeugend«, sagte der Chef der Schatzsucher und schüttelte enttäuscht den Kopf. »Und deswegen sind Sie und diese Frau zurück auf die Insel gekommen? Wußten Sie nicht, wie gefährlich es hier ist?«
Der Chef zündete sich mit eleganten Bewegungen eine Zigarette an und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Palmstämme, die die Wand der Hütte bildeten.
»Ich begreife nicht recht, was Sie unter gefährlich verstehen«, gab der Butler zurück. »Oder spielen Sie damit auf das angeblich alte spanische Schiffswrack an?«
»Wie war das? Angeblich alt?«
»Nun, ich erlaubte mir, dieses Wrack etwas aus der Nähe anzusehen«, sagte der Butler.
»Nun, und?« Der Chef der Schatzsucher sah den Butler sehr interessiert und prüfend an. Parker lächelte irgendwie verstehend zurück und nestelte dann an seiner Krawatte herum, die er nach wie vor korrekt trug. In dieser Krawatte befand sich ein nicht zu übersehender Schmuckstein, den er nun zusätzlich zurechtrückte. Und gleichzeitig mit dieser Bewegung löste der Butler den Verschluß der Kamera aus, die sich unter seiner Krawatte befand. Es handelte sich um eine Miniaturkamera, wie sie speziell für den Geheimdienst hergestellt wird. Parker kam es darauf an, das Gesicht dieses Mannes genau zu fotografieren.
»Nun ja, Sir, dieses Wrack ist meiner bescheidenen Schätzung nach höchstens einige Monate alt«, sagte der Butler dann, um die Frage des Schatzsucherchefs zu beantworten, wie es sich für einen höflichen Menschen geziemte.
»Angenommen, Sie haben recht, Parker, was folgern Sie daraus?«
»Das Wrack dient zur Tarnung anderer Dinge, die hier auf der Haifischinsel versteckt gehalten werden.«
»Und was für Dinge könnten das sein?« Der Chef der Schatzsucher sprach jetzt betont gleichgültig. Clem und Andy schräg hinter ihm sahen den Butler erwartungsvoll an. Ihre Augen hingen förmlich, wie es oft so treffend umschrieben wird, an seinen Lippen.
Parker dachte nicht daran, die Dinge zu übertreiben. Er wollte nicht auf die gestohlenen A-Geschosse hinweisen. Er war sicher, daß auch Judy Malone bisher nicht davon gesprochen hatte. Schließlich hatte er mit ihr vereinbart, daß sie nur von der Privatdetektei des Mr. Mike Rander reden wollten.
»Hat es Ihnen die Sprache verschlagen, oder fällt Ihnen nichts mehr ein?« redete der Chef der Schatzsucher weiter.
»Meiner sehr bescheidenen Ansicht nach, Sir, befinden Miß Malone und ich uns im Hauptquartier einer Organisation, die sich möglicherweise mit dem illegalen Öffnen von Kassen- und Panzerschränken befaßt.«
Der Chef der Schatzsucher grinste wie ein Schuljunge.
»Klingt nicht schlecht, Parker! Und wie kommen Sie darauf?«
»Ich denke an gewisse Vorfälle, die sich hier vor der Insel abgespielt haben. Harmlose Sporttaucher oder Sportfischer kamen auf rätselhafte Art und Weise zu Tode. Man wollte sie offensichtlich daran hindern, diese Insel zu betreten.«
»Stimmt haargenau, Parker!« Der Chef der Schatzsucher nickte und grinste nicht mehr. Sein Mund war nur noch ein schmaler Strich. »Wer hier auf der Insel ist oder sich ihr nähert, ohne von uns dazu eingeladen zu sein, der macht Bekanntschaft mit den Haien! Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«
»Der tiefere Sinn Ihrer Rede war nicht zu überhören, Sir.«
»Na schön. Aber jetzt mal richtig zur Sache. Wer steht hinter Ihnen? Wer ist dieser Mike Rander? Hat Sherman ihn aufgetrieben?«
»Wer ist Sherman, Sir?« Parker hatte diesmal wirklich keine Ahnung, wenngleich ihm dieser Name ungemein bekannt vorkam.
»Spielen Sie mir bloß kein Theater vor«, herrschte der sportlich aussehende Bandenchef ihn gereizt an. »Seit wann weiß Sherman, daß wir hier auf der Insel sind?«
»Ich muß gestehen, Sir, daß ich mit dem Namen Sherman nichts anzufangen weiß.«
»Vielleicht jetzt noch nicht, Parker, aber wir werden Sie schon dazu bringen, daß Sie singen, klar? Also, seit wann ist Sherman mir auf der Spur?«
»Sie unterliegen einem bedauerlichen Irrtum, Sir, wenn Sie glauben, daß mir der Name Sherman etwas sagt.«
Der Chef der Schatzsucher drehte sich halb zu den wartenden Andy und Clem um.
»Laßt ihn durch die Mangel drehen«, sagte er dann, auf den Butler deutend. »In einer Stunde will ich wissen, was er über Sherman weiß. Er soll sagen, was Sherman vorhat. Ist das klar?«
»Sie wenden sich, das möchte ich noch einmal in aller Deutlichkeit erklären, an die falsche Adresse«, widersprach der Butler gemessen. Doch sein Einwand wurde überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Andy und Clem schienen froh zu sein, sich mit ihm befassen zu können. Es war vor allen Dingen Andy, der sich an Parker rächen wollte und glaubte, jetzt loslegen zu können.
Parker nestelte noch einmal an seiner Krawatte herum und fotografierte auch die Gesichter von Andy und Clem. Damit vervollständigte er seine private Gangsterkartei.
Clem und Andy bauten sich neben dem Butler auf und schoben ihn mit großem Nachdruck aus der Palmstammhütte. Als Parker hinaus in den Tag schritt, kam ihm die blonde Susan Kelly entgegen, die inzwischen ihren Fliegeroverall ausgezogen hatte und jetzt lange Hosen und einen weißen, ärmellosen Pulli trug.
Parkers Hand fuhr noch einmal hinauf zur Krawatte. Er war auch am Gesicht dieser äußerst attraktiven Frau sehr interessiert. Dann bugsierten Andy und Clem ihn zurück zu der Hütte, in deren Grube man ihn bereits schon einmal eingesperrt hatte...
Parker sah mit Abscheu in die Grube.
Judy Malone befand sich bereits unten. Sie schaute hoch und sah bereits sehr mitgenommen aus. Sie winkte Parker mit einer schwachen Handbewegung zu.
»Die kommt gleich auch noch mal dran«, sagte Andy und deutete nach unten. »In einer Stunde singt ihr wie Schallplattenstars.«
Parker wurde von einem mittelschweren Schwächeanfall erfaßt, als die beiden Gangster ihn hinunter in die Grube lassen wollten. Er taumelte leicht, hielt sich kräftig an Clem fest und... trat Andy mit großem Nachdruck auf die dicken Zehen.
Da Parkers Absatz ein solides Hufeisen aus Schmiedestahl besaß, jaulte Andy auf wie ein geprügelter Hund und riß den mißhandelten Fuß hoch.
Dadurch verlor er verständlicherweise an Standfestigkeit, die noch zusätzlich erschüttert wurde, als Parker infolge seines Schwächeanfalls gegen ihn taumelte. Kurz: Andy fiel krachend gegen die Wand der Hütte und war für einen Moment nicht mehr aktionsfähig.
»Idiot!« sagte Clem, ohne genauer darauf hinzuweisen, wen er nun meinte. Er wandte sich zu Andy um, der sich verdutzt den Kopf rieb. Und genau das hätte Clem wohl besser nicht getan.
Parker drückte auf den am Bambusgriff seines Regenschirms versteckt angebrachten Knopf und löste damit den nadelspitzen Degenstahl aus, der blitzartig aus dem Schirmstock hervorzischte und dessen Spitze sich durch das Oberleder von Clems Schuh bohrte.
Das Ergebnis war niederschmetternd.
Clem stöhnte auf, zumal sein dicker Zeh empfindlich gekitzelt wurde. Als er Parker mit einem Fausthieb zur Ordnung rufen wollte, landete sein Kinn auf dem bleigefütterten Bambusgriff des Regenschirms.
Es war klar, wer hier nachgeben würde...
Das Kinn Clems gab selbstverständlich nach.
Und mit diesem Kinn folgerichtig auch Clem. Etwas ausführlicher ausgedrückt, Clem verdrehte die Augen, seufzte und rollte sich auf den dicken Bohlen zusammen. Parker stolperte so unglücklich über Clems Körper, daß Clem peinlicherweise in die Lehmgrube fiel und sich zu Judys Füßen bettete.
Andy war nicht nur gereizt. Er zeigte auch kein Verständnis für diesen bedauerlichen Zwischenfall. Als Mann der nackten, brutalen Gewalt griff er nach seiner Schußwaffe.
Es blieb natürlich nur bei einem schwachen Versuch, denn Parker hatte etwas gegen eine Schießerei. Der Butler hatte blitzschnell seine schwarze Melone in der Hand und ließ sie durch die Luft segeln. Die Stahlblecheinlage dieser Melone traf den Kopf des Gangsters, der sich daraufhin beeilte, schleunigst die Augen zu schließen. Anschließend rutschte auch Andy in die Grube.
»Wenn Sie erlauben, Miß Judy, helfe ich Ihnen gern heraus«, rief Parker nach unten.
Er beugte sich nieder und streckte seine Hand nach Judy aus, die ihrerseits ihre Hand nach oben streckte. Die beiden Hände hatten sich noch nicht berührt, als Parker plötzlich zu seiner ehrlichen Überraschung hinter sich leichte, schnelle Schritte hörte.
»Nicht rühren«, sagte Bruchteile von Sekunden später eine energische Stimme. Diese Stimme, das hörte der Butler sofort heraus, gehörte der blonden Susan Kelly...
*
Natürlich rührte Parker sich.
Langsam richtete er sich auf und nickte Susan Kelly höflich zu. Die Schußwaffe in ihrer Hand ignorierte er als Wohlerzogener Butler. Ein geschulter Butler seiner Art und seines Formats übersah Dinge, die nicht zum guten Ton gehörten.
»Andy und Clem?« fragte Susan Kelly und deutete auf die Grube.
»In der Tat«, gab Parker gemessen zurück. »Sie fielen einem bedauerlichen Zwischenfall zum Opfer, leben jedoch noch, was ich gleich feststellen möchte.«
»Wo steckt die Malone?« wollte Susan Kelly wissen. Sie dachte nicht im Traum daran, den Lauf ihrer Schußwaffe sinken zu lassen. In ihrer Hand wirkte diese Waffe ungemein überzeugend. Sie ließ erst gar keinen Gedanken daran aufkommen, man könnte sie etwa überraschen.
»Holen Sie sie hoch!« sagte Susan Kelly.
»Sie meinen gewiß Miß Malone, nicht wahr?«
»Natürlich, wen denn sonst?« Ihre Stimme klang ungeduldig. Parker fiel auf, daß Susan Kelly irgendwie unter Zeitdruck zu stehen schien.
Parker nickte zur Bestätigung dessen, was er gehört hatte. Dann holte er Judy Malone aus der Grube.
»Darf ich, Ihre Erlaubnis vorausgesetzt, die Bohlen wieder über die Grube decken?« erkundigte er sich anschließend. Treuherzig und besorgt fügte er hinzu: »Wie leicht könnte sonst ein weiteres Unheil passieren?«
Sie ließ ihn gewähren.
Parker deckte die Grube ab und sicherte die Bohlen. Dann sah er Susan Kelly abwartend an, die Judy Malone kalt und abschätzend musterte. Es war offensichtlich, daß die beiden Frauen sich nicht mochten.
»Kommen Sie!« sagte Susan Kelly schließlich. »Der Chef wird gleich hier sein!«
»Wie darf ich Ihre Aufforderung interpretieren?« erkundigte sich Parker. »Möchten Sie diesem Chef etwa aus dem Weg gehen?«
»Natürlich«, gab sie ungeduldig zurück. Dann wandte sie sich um, ohne sich weiter um Parker oder um Judy Malone zu kümmern. Parker und Miß Malone ließen sich selbstverständlich nicht lange bitten. Sie folgten der Blondine, die bereits die Hütte verlassen hatte und auf das nahe Unterholz zulief.
Sie kam nicht weit.
Sie hatte das Unterholz noch nicht ganz erreicht, als plötzlich ein Schuß krachte.
Susan Kelly blieb für Bruchteile von Sekunden wie angewurzelt stehen.
Dann fiel sie auf die Knie und richtete sich noch einmal mit dem Oberkörper starr und steif auf. Dann brach sie in sich zusammen und rollte zu Boden.
Parker orientierte sich blitzschnell.
Selbstverständlich hatte er die Schußwaffen von Andy und Clem sicherheitshalber an sich genommen, damit die beiden Gangster keine unnötigen Dummheiten begingen. Diese Handlungsweise erwies sich jetzt als vorausschauend und richtig.
Parker feuerte auf die beiden Gangster, die gerade aus der Hütte des Chefs kamen. Er wußte mit Sicherheit, daß einer dieser beiden stämmigen Männer auf Susan Kelly geschossen hatte.
Sie wollten auch auf Parker und Judy Malone schießen, doch der Butler war wesentlich schneller. Beidhändig aus der Hüfte heraus schoß er zurück.
Besucher von harten Westernfilmen hätten ihre helle Freude an Parker gehabt, so schnell und gekonnt besorgte er das.
Die beiden Gangster ließen prompt ihre Waffen fallen und beschäftigten sich nur noch mit ihren Oberarmen. Dann ergriffen sie die Flucht und nahmen sich noch nicht einmal die Zeit, ihren Chef zu warnen, der gerade aus der Palmstammhütte kam.
Dieser Gangsterboß hatte Glück.
Bevor der Butler auch ihn für einige Wochen außer Gefecht setzen und in die Behandlung und Obhut eines Arztes geben konnte, warf der Mann sich zurück in die Sicherheit seiner Hütte.
Parker beugte sich zu Susan Kelly hinunter, die sich nach wie vor nicht regte. Dann hob er sie entschlossen auf und trug sie kraftvoll in das sehr nahe Unterholz, wo Judy Malone sich bereits versteckt hielt.
»Lebt... lebt sie noch?« erkundigte sich die CIA-Agentin.
»Das kann ich im Moment nicht mit letzter Sicherheit sagen, Miß Malone«, gab der Butler zurück. »Ich würde vorschlagen, daß wir erst einmal das suchen, was man gemeinhin das Weite nennt!«
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Sie wurden gehetzt wie wilde Tiere.
Der Gangsterboß, der seine übrigen Leute alarmiert hatte, hetzte sie durch das Unterholz, hielt sich selbst aber vorsichtig zurück. Er hatte wohl endlich begriffen, daß dieser Butler Parker keineswegs amüsant war.
Die stämmigen Gangster waren sehr vorsichtig, denn das Gelände war gegen sie eingestellt. Mit anderen Worten, Parker wußte aus diesem unübersichtlichen Unterholz sehr viel zu machen.
Der Vorsprung von Judy Malone und Parker, der die regungslose Susan Kelly trug, wurde dadurch immer größer. Sie erreichten die Außenlagune und konnten hier etwas verschnaufen.
»Was soll jetzt werden?« fragte Miß Malone nervös.
»Darf ich Sie zu einer Bootspartie einladen?« fragte Parker in seiner unnachahmlich höflichen Art. Gleichzeitig deutete er auf den Außenborder, der ihm ungemein bekannt vorkam. Es handelte sich um genau jenes Boot, in dem Andy und Clem schon einmal gesessen hatten, als sie sich als Piraten betätigt hatten.
Dieser schnelle Außenborder lag am Verbindungskanal, der die beiden Lagunen miteinander verband. Er war an einem Palmstamm festgemacht worden, der fast im Wasser stand.
Judy Malone ließ sich nicht lange bitten.
Sie half dem Butler, die regungslose Susan Kelly in das Boot zu schaffen, was innerhalb von einer guten Minute geschehen war. Dann befaßte Parker sich mit dem Zwillingsmotor und ließ ihn anspringen.
Der Motor wußte, was sich gehörte. Er war sofort da, wie es im Fachjargon so plastisch heißt. Parker zerschnitt mit der Spitze des Stockdegens den Strick, der das Boot mit dem Palmstamm verband und rauschte dann hinaus in die große Außenlagune.
Er hatte genau den richtigen Zeitpunkt abgepaßt. Die nachfolgenden Gangster eröffneten ein wildes Feuer auf ihn und das Boot, doch sie richteten vor lauter Nervosität keinen Schaden an.
Hinzu kam, daß Parker das Außenriff ansteuerte, ohne sich auf Umwege einzulassen. Er wollte so schnell wie möglich hinaus auf die offene See. Er konnte sich nämlich sehr gut vorstellen, daß der Chef der angeblichen Schatzsucher sehr bald schon hart reagieren würde.
Parker sah sich um.
Er entdeckte jetzt am Strand der Außenlagune zu seiner Überraschung eine zweimotorige Wassermaschine, deren Schwimmer auf den Sandstrand hinaufgezogen worden waren. Wahrscheinlich handelte es sich um die Maschine, mit der der Chef zur Insel geflogen war.
Der Butler bedauerte es ungemein, sie nicht sofort gesehen zu haben. Er hätte sich sonst liebend gern einmal mit ihr beschäftigt. Nun blieb keine Zeit mehr dazu, zumal einige Gangster bereits neben der Maschine aufgetaucht waren und sie mit ihren Handfeuerwaffen schützten und vor Schaden bewahrten.
Parker holte aus dem Motorzwilling heraus, was sich gerade noch verantworten ließ. Er passierte glücklich die schmale, brandungsumtobte Einfahrt zur Lagune und gewann die offene See.
Dann gönnte er sich etwas Ruhe, ohne dabei auch nur die beiden überlasteten Motore zu vergessen. Er kümmerte sich vor allen Dingen um Susan Kelly, der es nicht so besonders gut ging!
*
Sie war wieder zu sich gekommen. Parker hatte sie notdürftig verbunden und dabei gesehen, daß ihre Verletzung sehr schwer war. Sie brauchte umgehend ärztliche Hilfe, wenn sie mit dem Leben davonkommen wollte. Sie lag jetzt auf dem Boden des schnellen Außenborders und sah den Butler aus verschleierten Augen an.
Judy Malone saß neben ihr und hielt ihren Kopf.
»Vielen Dank nachträglich dafür, daß Sie uns weggeholfen haben«, sagte der Butler zu Susan Kelly.
»Calderhan bringt uns alle noch um«, erwiderte sie mit leiser, aber klarer Stimme. Es war deutlich zu sehen, daß sie sich zusammenriß. »Calderhan will Washington bombardieren!«
»Wie bitte?« Parker beugte sich etwas vor, um besser verstehen zu können.
»Er will die Regierung erpressen«, redete Susan Kelly weiter. Ihre Stimme klang jetzt hastiger und drängender. »Calderhan ist wahnsinnig! Sie müssen ihn ausschälten, Parker, Sie müssen...!«
Sie brach ab und verzog schmerzhaft das Gesicht. Ihre Gesichtsfarbe war aschgrau. Sie biß die Zähne zusammen, um dem Schmerz besser trotzen zu können.
»Ich werde fragen, Sie brauchen nur zu nicken«, sagte Parker. Er warf einen prüfenden Blick in die Runde, ob schon Verfolger nahten, dann beugte er sich wieder über Susan Kelly.
»Ist Calderhan der Chef der angeblichen Schatzsucher?« lautete seine erste Frage.
Susan Kelly nickte.
»Haben Sie für ihn gearbeitet?«
Susan Kelly nickte schwach. Sie kämpfte offensichtlich mit einer aufkommenden Schwäche. Ihr Blutverlust mußte bedeutend sein.
»Womit will Calderhan die US-Regierung erpressen?« stellte der Butler seine nächste Frage. »Hat er vielleicht besonders wirksame Mittel? Vielleicht A-Geschosse?«
»Ja«, sagte sie. und wollte sich aufrichten, doch Judy Malone schüttelte nur verweisend den Kopf und strich ihr über das Haar.
»Werden die A-Geschosse in der Chefhütte verwahrt?«
»Nicht mehr lange«, gab sie hastig zurück. Ihre Stimme gewann wieder an Klarheit und Kraft. »Er will schon in den nächsten Tagen losschlagen, wenn die Regierung ihm nicht fünf Millionen Dollar zahlt.«
»So etwas habe ich fast vermutet.« Parker nickte gedankenvoll. »Und falls die Regierung nicht zahlt, wird Calderhan die erste A-Granate zünden, nicht wahr?«
»Er bringt sie rüber aufs Festland«, bestätigte Susan Kelly. »Die Geschosse passen glatt in einen Schrankkoffer.«
»Seit wann wissen Sie von den A-Geschossen?«
»Seit einigen Tagen. Vorher haben wir nur mit irgendwelchen Sprengstoffen gerechnet.«
»Meinen Sie mit, ›wir‹ sich und Sherman?«
»Woher wissen Sie das?« Sie versuchte zu lächeln, doch das mißglückte ihr.
»Kombination! Sie arbeiten also für Calderhans Konkurrent, Mr. Sherman, nicht wahr?«
»Bis heute hat Calderhan nichts davon gemerkt«, erwiderte sie und konnte endlich wieder etwas schmunzeln. »Beinahe hätten wir es geschafft und wären von der Insel runtergekommen.«
Parker wollte noch einige weitere Fragen stellen, doch ein schwaches Motorengeräusch lenkte ihn ab. Er richtete sich auf und suchte die See ab.
Judy Malone beugte sich jetzt zu Susan hinunter und forschte sie mit leiser Stimme weiter aus. Parkers Aufmerksamkeit konzentrierte sich währenddessen auf die nähere Umgebung. Er hatte damit gerechnet, daß Calderhan, der Chef der angeblichen Schatzsucher, die Verfolgung aufnehmen würde. Nun schien sich endlich etwas in dieser Hinsicht zu tun. Das Motorengeräusch redete eine deutliche Sprache.
Von einem Boot war auf dem Wasser nichts zu sehen. Bis der Butler plötzlich die Eingebung hatte, hoch in die Luft zu schauen. Und schlagartig wußte er dann, woher dieses Geräusch kam, das von Sekunde zu Sekunde immer lauter und deutlicher wurde.
Am Himmel hing ein einmotoriges Wasserflugzeug, das sich gerade senkte und zu einer Art Sturzflug ansetzte. Das Ziel dieses Sturzfluges war ohne Zweifel der Außenborder, in dem der Butler saß.
Auch Susan war aufmerksam geworden.
»Er... er greift an«, stieß sie erschreckt hervor. »Calderhan ist ein erstklassiger Flieger. Die Maschine hat zwei Maschinengewehre an Bord!«
Parker ließ die schnell näher kommende Maschine nicht mehr aus den Augen. Er beschrieb einen leichten Bogen und steuerte im Grunde zurück zur Insel, die aber schon nicht mehr zu sehen, höchstens zu erahnen war.
Wenig später erfolgte der erste Angriff.
Das Wasserflugzeug kam wie ein Raubvogel heran. Es sah unheimlich und tödlich aus.
Und noch tödlicher war die Spur der im Wasser einschlagenden Geschosse, deren Richtung genau auf den Außenborder zulief...
*
Über schlechte oder schwache Nerven hatte Parker sich eigentlich noch niemals zu beklagen brauchen. Doch in diesen Sekunden wußte er, daß ihre Chancen hier im Außenborder gleich Null waren. Sie boten für einen geübten Piloten ein Ziel dar, das man nicht verfehlen konnte. Die Kette der Fontänen, die die ins Wasser schlagenden Geschoße hinterließ, näherte sich in rasender Geschwindigkeit dem Boot.
Parker blieb nach außenhin vollkommen ruhig und gelassen. Von einer drohenden Gefahr schien er überhaupt nichts bemerkt zu haben. Das tödliche Stakkato der abgefeuerten Geschosse überhörte er.
Dann aber, als die Geschoßkette das Boot fast erreicht hatte, riß er das Boot in einem wildverwegenen Haken zur Seite. Dieser Schlenker war derart abrupt und hart, daß das Boot fast kenterte.
Doch er hatte Glück. Das Boot blieb nicht nur auf dem Wasser, sondern die Geschoßkette zischte dicht außenbords vorbei und verlief sich irgendwo auf der Wasseroberfläche.
Ein zweiter Anflug!
Diesmal wollte sich der Pilot, alias Calderhan, nicht noch einmal bluffen lassen. Wieder ein gekonnter und zielstrebiger Anflug! Der Pilot drückte die einmotorige Maschine dicht auf das Wasser hinunter und visierte den Außenborder an.
Wieder die kleinen Wasserfontänen, die den Einschlag der Geschosse anzeigten.
In das Dröhnen des Motors mischte sich erneut das Stakkato der Abschüsse.
Die Geschoßkette tastete sich bedrohlich an den Außenborder heran.
Parker, der sich durchaus in die Lage des Piloten versetzen konnte, verzichtete darauf, den ersten Bluff noch einmal zu wiederholen. Er konnte sich sehr gut vorstellen, daß der Pilot mit einem zweiten scharfen Haken rechnete.
Parker wartete wieder, bis die Geschosse das Boot fast erreicht hatten. Dann tat er einen leichten Schlenker und deutete damit an, daß er erneut scharf abfallen wollte.
Der Pilot, der sich auf dieses Manöver eingestellt hatte, riß seinerseits die Maschine herum und schoß ins Leere. Denn der Butler hatte sich nur mit diesem andeutungsweisen Schlenker begnügt, um den Piloten zu täuschen. In Wirklichkeit war der Butler sofort wieder auf den alten Kurs zurückgegangen.
Die Geschoßkette zischte ins leere Wasser hinaus und verfehlte erneut den Außenborder.
»Und jetzt?« rief Judy Malone dem Butler zu. Sie hatte sich etwas aufgerichtet, um besser sehen zu können.
»Eine Sache der Nerven, Miß Judy«, gab der Butler gelassen zurück und beobachtete die Maschine, die einen weiten Boten beschrieb, um den Außenborder zum drittenmal anfliegen zu können.
Zwei Tricks kannte der Pilot jetzt. Er hatte inzwischen wohl auch eingesehen, daß er viel zu schnell flog. Mit wesentlich geringerem Tempo waren seine Chancen größer, den Außenborder zu treffen.
Der dritte Anflug!
Parker verfolgte die Maschine, deren Pilot es jetzt wissen wollte. Das einmotorige Wasserflugzeug dröhnte heran. Doch die Geschoßketten und die kleinen Wasserfontänen blieben diesmal aus.
Parker schlug einige Haken. Er schlug sie fast regelmäßig, damit der Pilot ihn richtig anvisieren konnte. Und dann, als der Pilot seiner Sache vollkommen sicher war, als die ersten Geschosse aus den beiden Maschinengewehren hervorspritzten, in diesem Augenblick unterlief der Butler mit einem riskanten Haken die Geschosse.
Das Flugzeug raste dicht über dem Außenborder hinweg. Erst jetzt merkte der Butler, daß sie diesmal nicht ungeschoren davongekommen waren.
Die Bordwand war aufgerissen worden. Einige Geschosse waren also doch noch im Ziel gelandet. Erfreulicherweise war der eigentliche Rumpf unbeschädigt geblieben.
»Mr. Parker, schnell!« Judy Malone, die sich über Susan Kelly gebeugt hatte, winkte den Butler zu sich heran.
»Sofort, Miß Malone!« Parker hielt erst Ausschau nach dem Wasserflugzeug, dessen Motorenlärm schwächer wurde. Dann stieg er nach vorn und kümmerte sich um Susan Kelly, die regungslos auf dem Boden des Außenborders lag.
Nach kurzer Prüfung richtete der Butler sich auf und zog seine schwarze Melone.
»Sie... lebt nicht mehr?« fragte Judy Malone mit heiserer Stimme.
Parker schüttelte bedauernd den Kopf. Eines der Geschosse hatte Susan Kelly tödlich getroffen. Sie brauchte keine Hilfe mehr.
Parker fand eine alte Plane, die er über Susan Kelly deckte. Dann setzte er wieder die schwarze Melone auf und hielt Ausschau nach dem Wasserflugzeug.
Es war nicht mehr zu sehen. Das Geräusch des Motors wurde immer schwächer.
»Und jetzt?« fragte Judy Malone noch einmal.
»Zurück auf die Insel«, antwortete der Butler. »Ich hoffe, daß Mr. Calderhan nicht damit rechnet. Ich kann es mir eigentlich auch nicht vorstellen.«
»Zurück zur Insel?« Judy Malones Stimme klang ein wenig ängstlich.
»Nur dort sind wir sicher«, erwiderte der Butler. »Und nur dort können wir Hilfe erwarten, Miß Judy! Ganz abgesehen davon, daß wir uns noch um die vier A-Geschosse kümmern müssen. Ich sähe es nicht besonders gern, wenn Calderhan sie hinüber aufs Festland brächte.«
»Vielleicht haben Sie recht«, sagte sie zögernd. »Aber von wem versprechen Sie sich Hilfe?«
»Lassen wir uns überraschen«, gab der Butler ausweichend zurück. Er dachte wieder einmal an die kleine Metallkapsel, die er vor seiner Festnahme durch die Gangster ins Unterholz geworfen hatte.
In dieser Metallkapsel befand sich ein kleiner, aber sehr leistungsstarker Peilsender, der nun schon seit Stunden seine Signale ausstrahlte und damit erkennen ließ, daß auf der Insel Hilfe gebraucht wurde.
Parker wendete das Boot und sah dankbar zum Himmel hoch, dessen Dunst sich in regenschwere, dunkle Wolken verwandelt hatte. Parker sehnte sich förmlich nach einem kleinen Unwetter.
*
Sein Wunsch ging in Erfüllung.
Er bekam einen mittelschweren Orkan geliefert, der die Dünung der See zu haushohen Wellenbergen auftürmte. Doch zu dieser Zeit befanden sie sich bereits wieder auf der Insel, wenngleich die Landung auch alles andere als sanft oder zivil gewesen war.
Der schnelle Außenborder war von schweren Brechern bereits am Riff zerschlagen worden. Parker und Judy Malone lagen erschöpft und leicht zerschlagen am Strand der Insel, weit von der Lagune entfernt. Wo sie sich genau befanden, war nicht auszumachen. Dazu war es zu dunkel geworden. Und die niederzischenden Blitzbündel, die für Bruchteile von Sekunden die Finsternis aufhellten, schafften nicht lange genug Licht, um sich orientieren zu können.
Susan Kellys Körper war in der See geblieben. Es war kaum damit zu rechnen, daß man sie jemals wiedersah.
»Mit Ihrer Erlaubnis, Miß Judy, werde ich mir etwas die Füße vertreten«, sagte Parker, der im Schutz einer sich hin- und herbiegenden Palme aufstand. »Sie würden mir einen Gefallen erweisen, wenn Sie hier am Strand Zurückbleiben.«
»Was haben Sie vor?« rief sie gegen den heulenden Sturm zurück.
»Ich möchte mich nach Calderhan umsehen«, erwiderte Parker, der sich zu ihr hinunterbeugte. »Sehr gut übrigens, daß er bei dem augenblicklich herrschenden Wetter die Insel nicht verlassen kann.«
»Ich komme mit«, entschied sie energisch. »Es ist auch mein Job, Calderhan auszuschalten.«
Parker ließ sich auf keine Diskussion ein. Er konnte sehr gut verstehen, was die Dame trieb. Schließlich war sie eine CIA-Agentin. Darüber hinaus wußte sie noch immer nicht mit letzter Sicherheit, was aus ihrem damaligen Begleiter Hilton geworden war.
Sie kämpften sich durch den heulenden Sturm und durch den Regen, der wie aus Kübeln zu kommen schien. Erst weitab vom Ufer, im dichten Unterholz, das die Wut des Sturmes milderte, kamen sie schneller voran.
Nach etwa einer halben Stunde hatten sie plötzlich das Ufer der inneren Lagune erreicht. Auf der gegenüberliegenden Seite dieser Lagune waren die Hütten der Gangster zu sehen. Von den Burschen selbst war nichts zu erkennen. Sie hielten sich wohl alle in den Hütten auf.
Parker orientierte sich noch eingehender.
So wollte er zum Beispiel wissen, wo die beiden Wasserflugzeuge festgemacht worden waren. In der Innenlagune waren sie nicht. Also befanden sie sich entweder in der Außenlagune oder im Stichkanal, der die beiden Lagunen miteinander verband.
Judy folgte einer Handbewegung des Butlers. Parker arbeitete sich durch das dichte Unterholz und pirschte sich an den Stichkanal heran. Dort hoffte er die beiden Maschinen zu finden. Seiner Ansicht nach waren sie dort am besten gegen das wilde, tobende Unwetter geschützt.
Dann entdeckte er die beiden Maschinen.
Sie befanden sich tatsächlich im Stichkanal, wo sie der Sturm kaum erreichte. Und sie wurden selbstverständlich bewacht. Zwei der stämmigen Gangster standen am Ufer. Sie hielten Maschinenpistolen in Händen und machten einen sehr konzentrierten Eindruck. Sie ließen sich weder von herumfliegenden Ästen noch von abgerissenen Palmwedeln ernstlich stören oder beeindrucken. Sie schienen von Calderhan äußerst nachdrücklich vergattert worden zu sein.
Judy sah den Butler zweifelnd an.
»Sie sehen uns, wenn wir das Unterholz verlassen«, sagte sie jetzt warnend.
»Mit größter Wahrscheinlichkeit«, bestätigte der Butler. Dann aber holte er seine zusammenklappbare Gabelschleuder hervor, die man ihm gelassen hatte, zumal man sie nicht als Waffe identifiziert hatte.
Parker hob einige handliche Steinbröckchen auf und betätigte sich als Sturmwind. Mit anderen Worten, er ließ diese kleinen Bröckchen durch die Luft wirbeln, worauf die beiden Flugzeugwachen sehr beeindruckt zu Boden gingen. Sie hatten noch nicht einmal die Zeit gefunden, ihre Maschinenpistolen zu heben und zu schießen.
Parker setzte Judy Malone wieder einmal in Erstaunen. Sie wunderte sich zwar am laufenden Band über ihn, doch diesmal sah sie plötzlich einen elastischen Sportler vor sich, der nicht mehr zu bremsen war.
Parker lief auf die beiden am Boden liegenden Männer zu und barg erst einmal ihre Waffen. Dann entsicherte er sie und setzte sie in Tätigkeit.
Wie rasend schnelle Nähmaschinen setzten sie sich in Tätigkeit. Sie spuckten ihre Geschosse fleißig aus und zersiebten die Tragflächen und Rümpfe der beiden Wasserflugzeuge.
Sie besorgten ihre zerstörerische Arbeit sehr nachhaltig. Und sie erwischten auch die Tanks der beiden Maschinen. Das Benzin entzündete sich explosionsartig und ließ die beiden Flugzeuge auseinanderplatzen.
Einzelteile wirbelten durch die Luft. Flammenzungen schossen aus der dunklen Explosionswolke hervor und setzten den wenig schönen Rest in Brand.
Das alles war das Werk weniger Sekunden. Danach sahen die beiden Wasserflugzeuge nicht mehr sonderlich schön aus. Und was noch schön war, wurde ein Raub der gierigen Flammen, die vom herrschenden Sturm angeschürt wurden.
Parker betrachtete ungemein zufrieden diese gekonnte Arbeit. Seine innere Rechnung war nämlich sehr einfach. Der Außenborder existierte nicht mehr. Und nun hatten sich auch die beiden Wasserflugzeuge in ihre ursprünglichen Bestandteile zerlegt. Mit anderen Worten, Calderhan saß auf der »Insel der Haie« fest und konnte nicht mehr so operieren, wie er es sich vielleicht einmal vorgestellt hatte. Er war vor allen Dingen nicht mehr in der Lage, die A-Geschosse hinüber zum Festland zu transportieren. Und genau das mußte er tun, denn er konnte sich ja an fünf Fingern ausrechnen, daß sein Versteck auf der Haifischinsel zu bekannt geworden war.
»Und nun zu den A-Geschossen«, meinte Parker, nachdem er zurück zu Judy Malone gekommen war. »Ich möchte vermeiden, daß Mr. Calderhan aus irgendeiner verständlichen Verstimmung heraus unnötigerweise mit diesen Dingen spielt.«
Auf die Antwort von Judy Malone konnte Parker nicht warten, denn von den Hütten aus wurde nun schlagartig auf sie geschossen. Die Gangster hatten sie ausfindig gemacht. Wütendes Feuer drang zu ihnen herüber.
Gemessen, als sei alles um ihn herum friedlich und schön, verschwand der Butler im dichten Unterholz. Judy Malone sah ihn kopfschüttelnd an, als die Sträucher sich hinter ihm schlossen.
»Haben Sie eigentlich niemals Angst?« fragte sie in einer Mischung aus Verzweiflung und Anerkennung.
»Selbstverständlich kenne ich dieses Gefühl, Miß Judy, was gemeinhin Angst genannt wird«, gab der Butler würdevoll zurück. »Ich kann es mir allerdings meist nicht leisten, mich diesem Gefühl hinzugeben, da ich sonst wertvolle Zeit verlieren würde. Wenn Sie erlauben, würde ich mich jetzt gern um die bewußten Geschosse kümmern. Ich möchte doch sehr hoffen, daß die Schatzsucher Sie und meine bescheidene Wenigkeit verfolgen. Ja, ich möchte fast darum bitten.«
»Was versprechen Sie sich davon?« erwiderte Judy Malone nervös. »So groß ist die Insel nun auch wieder nicht. Man wird uns früher oder später in die Enge treiben.«
»Das ist vollkommen richtig«, antwortete der Butler und nickte zur Bestätigung. »Aber diese Verfolgung bewirkt womöglich, daß wir ungehindert an die A-Geschosse herankommen, was ich ungemein begrüßen würde!«
»Dafür werde ich sorgen, Parker.«
»Was haben Sie vor, Miß Judy?« fragte Parker besorgt. Ihm war der energische Ausdruck in ihrem Gesicht nicht entgangen.
»Ich lenke die Kerle von Ihrer Spur«, sagte sie. Dann nahm sie Parker überraschend eine der beiden Maschinenpistolen aus der Hand und... war im nächsten Augenblick schon im dichten Unterholz verschwunden.
»Frauen neigen in der Tat zu überraschenden Reaktionen«, stellte der Butler halblaut und verwundert fest. Doch er versuchte erst gar nicht, sie zurückzurufen. Er wußte im voraus, daß dies sinnlos war. Judy Malone wollte ihren Teil an diesem Unternehmen liefern.
Wie geschickt sie war und was sie plante, hörte Parker wenig später, als er in einem dichten Busch verschwand, um die heranrückenden Gangster an sich vorbeizulassen.
Judy Malone - sie mußte bereits eine weite Strecke hinter sich gebracht haben - schoß plötzlich.
Die hellhörigen Burschen stürmten daraufhin an Parkers Versteck vorbei und machten sich aus Zeitgründen nicht die Mühe, hier nach dem Butler zu suchen. Sie überliefen ihn förmlich und schufen so die Voraussetzung dafür, daß Parker, wie es geplant war, sich mit den Atomgeschossen näher befassen konnte.
Sie waren unter sich.
Calderhan, Clem und Andy standen in der Palmstammhütte und arbeiteten wie besessen.
Sie wußten nicht, daß sie von Josuah Parker belauscht wurden, der sich nahe an die Hütte herangepirscht hatte. Sie unterhielten sich ungeniert miteinander.
»Dieses Schwein hat die beiden Kisten hochgehen lassen«, sagte Clem gerade, womit er mit Sicherheit den Butler meinte. »Der Außenborder ist auch hin, Chef. Wie kommen wir jetzt von dieser verdammten Insel runter?«
»Vorläufig können wir überhaupt nichts machen«, gab Calderhan zurück.
»Bei dem Sturm wären wir auch sonst nicht weggekommen.«
»Was machen wir aber, wenn’s wieder ruhig ist?« wollte der »Neandertaler« Andy Nissen wissen.
»Wir verschwinden im Schlauchboot«, sagte Calderhan.
»Und die Dinger, Chef?« fragte Clem.
»Die nehmen wir im Segelboot mit.«
»Wenn das mal gutgeht«, unkte Clem.
»Ich zerreiß diesen Butler in der Luft«, schimpfte Andy, »seitdem er aufgetaucht ist, haben wir keine Ruhe mehr.«
»Er kann ja auch nicht entwischen. Den finden wir...!« Calderhan lachte leise. »Wenn man nur wüßte, was wirklich mit ihm los ist. Langsam glaub’ ich einfach nicht, daß er zu Sherman gehört.«
»FBI, wenn ihr mich fragt«, sagte Andy.
»Na, dann ist hier bald was gefällig«, unkte Clem.
Parker, der sich informiert hatte, wußte genug.
Er benutzte ein paar leere Kisten, die neben der Hüttenwand standen, um vorsichtig hinauf aufs Dach zu klettern. Der tobende Sturm sorgte dafür, daß er kaum gehört wurde.
Genau über dem Eingang legte er sich flach auf das Dach und nahm seinen Universalregenschirm in die Hand. Er ließ die bleigefütterte Krücke nach unten baumeln und schrie dann gellend um Hilfe.
Seine verwehte Stimme wurde in der Hütte tatsächlich gehört.
Als erster kam Andy nach draußen. Er wollte sich informieren, was los war.
Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, ließ Parker den bleigefütterten Griff seines Regenschirms senkrecht nach unten fallen. Wie eine Ramme zischte der Griff nach unten und traf den Hinterkopf des Gangsters, der seine Überraschung nicht mehr äußern konnte.
Der »Neandertaler« rutschte zu Boden und rollte über das abschüssige Ufer hinunter zur Innenlagune.
Parker rief erneut um Hilfe.
Und wieder öffnete sich die Hüttentür.
Nun trat Clem hinaus ins Freie, um sich näher zu informieren.
Parker ließ den bleigefütterten Griff erneut nach unten fallen. Und traf natürlich auch diesen Hinterkopf.
Clem stöhnte wohlig auf, bevor er in den Sand fiel und ebenfalls hinunter ans Wasser rollte.
Parker war mit der Ausbeute seiner Bemühungen durchaus zufrieden. Blieb jetzt nur noch Mr. Calderhan, der Chef der angeblichen Schatzsucher und Gangster.
Er rief also zum dritten Mal um Hilfe.
Doch er wartete vergebens. Calderhan ließ sich nicht blicken. Er zog es vor, in der Hütte zu bleiben. Oder sollte er sie auf irgendeinem geheimen Weg inzwischen verlassen haben?
Parker richtete sich auf.
Er sah eine Gestalt, die hinüber zum Stichkanal lief. Es konnte sich nur um Calderhan handeln.
Parker stieg vom Hüttendach und nahm die Verfolgung auf. Doch nach wenigen Schritten bremste er sich ab und ging zurück zur Hütte. Er dachte an die beiden Gangster und an die A-Geschosse. Dies alles war erst einmal wichtiger als Calderhan, der die Insel natürlich auch nicht verlassen konnte. Wenigstens nicht bei dem augenblicklich herrschenden Wetter.
Nachdem Parker Clem und Andy verschnürt hatte, ging er in die Hütte und suchte nach den A-Geschossen. Er befragte den Miniatur-Geigerzähler in seiner Zwiebeluhr.
Der Zeigerausschlag war enorm.
Parker räumte einige Bohlen zur Seite und... sah dann einige schmale, rechteckige Kisten, in die ohne weiteres ein Geschoß vom Kaliber 20 Zentimeter hineinpaßte.
Das mußten die gesuchten A-Geschosse sein. Ein Irrtum war so gut wie ausgeschlossen.
Parker wollte gerade hinuntersteigen, um die Kisten noch eingehender zu inspizieren, als er plötzlich einen massiven Schlag auf den Schädel erhielt, der ihn wie ein Blitz fällte, ein Zwischenfall, mit dem er keineswegs gerechnet hatte...
*
Als der Butler wieder zu sich kam, brummte sein Kopf wie ein Motor. Er saß in einem zusammenlegbaren Safarisessel und war nicht gefesselt, worüber er sich ehrlich wunderte.
Als er aufsah, bemerkte er einige Zivilisten, die durchweg einen energischen Eindruck machten. Einer dieser Männer mochte etwa fünfzig Jahre alt sein. Er war beleibt, ohne eigentlich dick zu sein. Er wirkte massig wie ein Kampfstier, doch sein glattes Gesicht sah durchschnittlich aus.
»Sind Sie Josuah Parker?« fragte der Mann ihn mit kalter, energischer Stimme.
»Durchaus, Sir. Und mit wem habe ich die Ehre, die sich hoffentlich nicht als zweifelhaft herausstellt.«
»Sie sind Parker«, meinte der massige Mann und schmunzelte. »Genauso sind Sie mir von Mike Rander geschildert worden.«
Parker richtete sich auf.
»Sie haben Nachricht von Mister Rander?« wollte er wissen. »Wie geht es ihm, Sir?«
»Es geht ihm prächtig. Ich bin übrigens Stew Criswood von der CIA. Dies hier sind meine Kollegen!«
»Dann darf ich unterstellen, daß ich von Ihnen überrascht wurde, ja?«
»Tut uns leid, daß wir Sie erst mal verwechselten«, gab Criswood auflachend zurück.
»Haben Sie sich bereits um Miß Judy Malone gekümmert?«
»Hier auf der Insel ist alles in bester Ordnung«, sagte Criswood. »Machen Sie sich bloß keine unnötigen Gedanken. Miß Malone hat die Hetzjagd glücklich überstanden. Die Gangster weniger!«
»Sie haben alle Gangster ausschalten können, Sir?«
»Ein paar fehlen uns noch, aber die erwischen wir auch noch.«
»Haben Sie Calderhan gefaßt? Er ist der Boß der Gangster.«
»Sieht nicht danach aus«, sagte Criswood. »Miß Malone hat die Gangster identifiziert, soweit sie’s konnte. Calderhan war nicht darunter.«
»Das ist ungemein bedauerlich«, sagte Parker. »Darf ich mir die Frage erlauben, wie Sie auf die Insel gekommen sind, Sir?«
»Moment, erst wollen wir mal die Suche nach Calderhan organisieren«, meinte Criswood. Er wandte sich an die übrigen Zivilisten und erteilte ihnen Weisungen, woraufhin sie die Palmstammhütte verließen.
Judy Malone betrat die Hütte. Sie winkte Parker lächelnd zu. Sie sah heil und unversehrt aus.
»Meine Kollegen kamen gerade richtig«, sagte sie dann.
»Womit ich wieder bei meiner unziemlich neugierigen Frage bin«, sagte der Butler.
»Wir sind von einem U-Boot hergebracht und ausgesetzt worden«, berichtete Criswood. »Bis auf die Landung verlief alles glatt. Sie wissen doch, daß Sie den Peilsender in Betrieb gesetzt hatten, oder?«
»Das könnte man eine durchaus prompte Bedienung nennen«, gab der Butler zurück. »Damit dürfte die ›Insel der Haie und Schatzsuchen nicht mehr existieren.«
»Sie haben vergessen, von den A-Geschossen zu sprechen.«
»Sie befinden sich hier in einem provisorischen Keller«, erwiderte der Butler und deutete auf die Bohlen.
»Lassen Sie mich nachsehen«, gab Criswood zurück. »Ich muß wissen, woran wir sind!«
Während er in die Grube stieg, wandte Parker sich an Judy Malone und nickte ihr würdevoll zu.
»Ich möchte mich noch nachträglich für Ihre Aktion bedanken«, sagte er.
»Ich hatte fürchterliche Angst«, gestand sie.
»Denken Sie bitte nicht mehr daran«, bat der Butler freundlich. »Jetzt ist ja alles überstanden.«
»In jeder Beziehung«, gab sie mit überraschend leiser Stimme zurück und senkte den Kopf.
Parker verstand.
»Clive Hilton?« fragte er leise und bedauernd.
»Clive«, gab sie zurück. »Wir haben ihn in einem Gebüsch an der Innenlagune gefunden. Er ist erschossen worden.«
»Von wem?«
»Clem und Andy schieben sich gegenseitig diesen Mord in die Schuhe. Aber einer von ihnen hat es getan.«
»Wo sind sie jetzt?«
»Bei den übrigen Gangstern, die bisher festgesetzt wurden. Aber sie waren nur das Werkzeug, der wirkliche Mörder heißt Calderhan!«
»Auch ihn wird man finden«, sagte Parker. »Er verfügt schließlich nicht wie die CIA-Agenten über ein U-Boot, um die Insel zu verlassen. Man wird ihn nach dem Abflauen des Sturms finden, dessen bin ich sicher.«
In diesem Augenblick kam Criswood aus der Grube, wo er sich mit den schmalen, rechteckigen Holzkisten befaßt hatte.
»Hat mein Geigerzähler mich nun getäuscht oder nicht?« wollte Parker wissen.
»Das Ding hat richtig angezeigt.« Criswood sah dennoch nicht sehr begeistert aus.
»Sie sind nicht zufrieden, Sir?« wollte der Butler wissen.
»Wie man s nimmt«, entgegnete der CIA-Agent. »Vier A-Geschosse wurden gestohlen, nicht wahr?«
»Durchaus richtig, Sir, falls man mich richtig informiert hat.«
»Man hat Sie richtig informiert, Parker, aber in der Grube befinden sich nur drei A-Geschosse!«
»Fehlt nach Adam Riese, wenn ich diesen bedeutenden Mathematiktheoretiker richtig zitiere, eine Bombe, nicht wahr?«
»Stimmt, Parker... Ein A-Geschoß fehlt...! Und ich möchte wissen, wo dieses verdammte Ding geblieben ist. Wenn wir es nicht finden, geht das verdammte Theater weiter. Dann kann Calderhan uns weiterhin Unter Druck setzen!«
*
»Mister Criswoods Verdacht hat sich leider bestätigt«, sagte Parker anderthalb Tage später, als er seinem jungen Herrn Bericht erstattete. Parker befand sich in Key West, genauer gesagt, im Krankenzimmer von Mike Rander.
»Demnach sind Calderhan und ein A-Geschoß noch unterwegs«, meinte Anwalt Rander nachdenklich. »Das ist eine Nuß, die nur schwer zu knacken ist. Hat man von Calderhan keine Spur gefunden?«
»Er muß die Insel noch während des Sturms im Schlauchboot verlassen haben«, berichtete der Butler. »Ob er noch lebt, steht auf einem anderen Blatt, wie es so treffend heißt. Calderhan kann auch durchaus im Sturm umgekommen sein.«
»Rechnen wir besser damit, daß er noch lebt«, sagte Mike Rander. »Das würde bedeuten, daß er hier auf dem Festland über ein A-Geschoß verfügt.«
»Ich erlaube mir, Sir, Ihre Ansicht zu teilen«, erwiderte der Butler. »Die Herren der CIA sind übrigens auch dieser Ansicht. Schon aus Gründen der Sicherheit.«
»Aber wo, zum Henker, soll man denn nach Calderhan suchen?« Mike Rander richtete sich im Bett etwas auf und bettete sein eingegipstes Bein neu.
»Im Augenblick wüßte ich nicht, wo man den berühmten, sprichwörtlichen Hebel ansetzen sollte«, meinte auch Parker. »Die beiden Vertrauten Calderhans, Sir, Andy und Clem, schweigen sich aus. Sie wollen angeblich von nichts wissen. Die übrigen Gangster sind uninteressant, zumal sie eigentlich nur Handlanger ihres Chefs waren.«
»Was sagt Criswood?« wollte Mike Rander wissen.
»Er läßt das Seegebiet zwischen den Bermudas und Key West nach Mr. Calderhans Leiche absuchen. Sicherheitshalber ist eine genaue Personenbeschreibung an alle Behörden gegangen. Zusätzlich dazu auch einige Fotos, die ich von Mr. Calderhan machen konnte. Vielleicht kann man ihn auf diesem gewöhnlichen Weg doch noch finden.«
»Falls er lebt«, warf Rander ein.
»Falls er überhaupt noch lebt«, sagte auch Parker. »Die Erfahrung spricht dafür, daß er die Fahrt im Schlauchboot während des Sturms nicht überstanden hat.«
Die Unterhaltung wurde unterbrochen.
Stew Criswood, der CIA-Agent, betrat das Krankenzimmer, grüßte nur flüchtig und ließ sich dann am Fußende des Bettes nieder.
»Neue Nachrichten«, sagte er dann.
»Ob Sie s glauben oder nicht: Calderhans Leiche ist gefunden worden. Seeaufklärungsflugzeuge haben sie gesichtet und geborgen.«
»Sind Sie sicher, daß es sich um Calderhan handelt?« fragte Mike Rander zweifelnd.
»Sieht so aus«, gab Criswood zurück. Er lehnte sich zurück und zündete sich eine Zigarette an. »Jetzt brauchen wir nur noch dieses verdammte A-Geschoß zu suchen.«
»Vielleicht ist es zusammen mit Calderhan aus dem Schlauchboot gekippt, Criswood«, sagte Rander optimistisch.
»Das wäre die beste Lösung«, erwiderte Criswood. »Dann kann es kein Unheil anstiften. Wie denken Sie darüber, Parker?«
»Ich werde mir erlauben, meinen Urlaub zu nehmen, der mir tariflich zusteht«, erwiderte der Butler; seinem jungen Herrn einen schnellen Blick zuwerfend. »Ich möchte mich von den Strapazen etwas erholen.«
Rander, der seinen Butler nur zu gut kannte, hatte genug gehört. Jetzt wußte er, daß Parker nach wie vor mit Calderhan und mit dem A-Geschoß rechnete. Jetzt wußte er, daß der Butler sich ohne Verzug wieder einmal auf den Kriegspfad begeben würde. Und zusätzlich ahnte Mike Rander, daß der Butler eine Spur kannte, die von der CIA bisher übersehen wurde, oder überhaupt noch unbekannt war.
Rander seufzte.
Er ahnte, daß ihm wieder einmal einige aufregende Wochen bevorstanden, ob sein Bein nun eingegipst war oder nicht...!