Читать книгу Butler Parker 122 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3

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Butler Parker hatte das Gefühl, daß die beiden Männer ihn nicht schätzten. Er gewann sogar den Eindruck, daß sie etwas gegen ihn hatten.

Sie benahmen sich äußerst unzivilisiert und drückten ihre Mißachtung aus. Der erste Mann – er mochte fünfundzwanzig sein – wollte ihm einen Holzknüppel über den Kopf ziehen. Der zweite Mann – er war etwa dreißig – hielt ein Messer in der Hand und ließ erkennen, daß er nicht nur Parkers schwarzen Zweireiher aufzuschlitzen gedachte.

»Ihr Benehmen entbehrt jeder Form«, tadelte Josuah Parker höflich, während er mit seinem Universal-Regenschirm den Holzknüppel parierte. Der junge Mann, schlank, drahtig und recht gepflegt aussehend, stöhnte.

Er hatte mit dieser Gegenwehr nicht gerechnet und ließ den Prügel fallen. Anschließend griff er nach der Stirn und zählte die bunten Sterne, die er vor seinem geistigen Auge Sah. Er war vom bleigefütterten Bambusgriff des Regenschirmes getroffen worden und entschied sich notgedrungen für eine gewisse Neutralität...

Der zweite Mann, untersetzt, massig und mit dem quadratischen Kopf eines jungen Stiers, hatte sich einen Moment irritieren lassen. Er schaute zu seinem stöhnenden Partner hinüber und merkte Sekunden später, daß er sich den Luxus der Neugierde besser nicht geleistet hätte.

Butler Parker, der um seinen schwarzen Zweireiher fürchtete, langte herzhaft zu. Er wollte diese unerfreuliche Begegnung so schnell wie möglich hinter sich bringen. Der Massige stöhnte, als der Bambusgriff von Parkers Regenschirm sich auf sein Handgelenk legte. Das Messer wirbelte durch die Luft und landete anschließend klirrend auf den Steinen der Feldmauer.

Die beiden Männer, deren Gesichter Josuah Parker wegen der Dunkelheit nicht erkennen konnte, nahmen übel und hatten keine Lust mehr, sich mit diesem korrekt aussehenden Mann weiter zu beschäftigen. Sie stiegen mehr oder weniger sportlich über die niedrige Steinmauer und verschwanden im Eiltempo.

Butler Parker war an einer Verfolgung nicht interessiert. Sie hätte seiner Ansicht nach doch nichts eingebracht. Er war fremd hier und wäre gewiß auch nur in eine Falle gelaufen. Er drehte sich um und schlenderte zurück zum Weg, den er erst vor wenigen Minuten verlassen hatte.

Dann aber blieb er stehen.

Warum war er überfallen worden? So fragte er sich. Hatten die beiden Männer es nur auf seine Brieftasche abgesehen? Das konnte eigentlich nicht der Fall gewesen sein. Er, Josuah Parker, hatte doch ganz spontan den Fußgängerpfad verlassen, um durch das Wäldchen hinunter zum See zu gehen. Verfolgt hatten sie ihn nicht. Er mußte ihnen ganz zufällig in die Arme gelaufen sein.

Hatten sie ihn daran hindern wollen, ans Ufer zu gelangen? Was hatten die beiden Männer zu verbergen? Warum waren sie derart massiv geworden? Ein Holzknüppel und ein Messer waren Mittel, die der Verhältnismäßigkeit nicht entsprachen.

Butler Parker fand, daß er geradezu verpflichtet war, diesen Dingen auf den Grund zu gehen. Er schritt also gemessen zurück zur Steinmauer und lauschte in die Dunkelheit. Er brauchte nicht lange zu horchen. Schon sehr bald nahm er Geräusche wahr, die er im ersten Moment nicht genau zu identifizieren vermochte. Falls ihn nicht alles täuschte, wurde unten am See irgend etwas verladen.

Nun konnte der Butler überhaupt nicht mehr widerstehen.

Er setzte sich wieder in Bewegung und ging ein gutes Stück über den schmalen Pfad nach unten. Dann aber verließ er ihn und benutzte eine Weide, an die sich das Wäldchen anschloß. Er hatte die ersten Bäume noch nicht ganz erreicht, als ein schwarzer Schatten ihn überfiel. Er bewegte sich flach über dem Boden und entwickelte ein beachtliches Tempo. Es konnte sich eigentlich nur um einen Hund handeln, den man auf ihn angesetzt hatte.

Angst vor Hunden kannte der Butler aber nicht. Er wußte natürlich eine Menge über Dressur und konnte sich vorstellen, daß dieser Vierbeiner auf den Mann dressiert war. Josuah Parker blieb stehen und sah den Dingen und dem Hund mit einiger Gelassenheit entgegen. Insgeheim gratulierte er sich zu seinem Entschluß, nicht zurück zum Bootshafen gegangen zu sein. Hier schienen sich immerhin einige aufregende Dinge abzuzeichnen.

*

Die Dogge war so groß wie ein gut geratenes Kalb.

Sie hatte den Butler fast erreicht und schien sich darauf zu freuen, ihre Fangzähne gebrauchen zu können. Vielleicht war sie ein wenig irritiert, weil das vermeintliche Opfer nicht Hals-über-Kopf weglief. Der Dogge hätte eine kleine Hatz wahrscheinlich mehr Spaß gemacht. Aber nein, das Opfer blieb unbeweglich und offensichtlich ohne Angst stehen. Der ausgezeichnete Geruchssinn lieferte der Dogge keinen Angstschweiß.

Und dann passierte es ...

Der riesige Vierbeiner röhrte lustvoll und setzte zum letzten und entscheidenden Sprung an. Doch in diesem Augenblick spannte Josuah Parker blitzschnell seinen Universal-Regenschirm auf.

Die Dogge stutzte. Sie sah sich einem Hindernis gegenüber, das sie nicht kannte. Sie verzichtete erst mal auf den geplanten Sprung und ging mit sich zu Rate. Sie wollte nichts überhasten und sich auf Dinge einlassen, deren Tragweite sie nicht abzuschätzen vermochte. Sie knurrte drohend, um sich selbst ein wenig Mut zu machen.

Doch dann war dieses schwarze Hindernis plötzlich nicht mehr zu sehen. Das Opfer war erneut gegen den helleren Hintergrund des Himmels zu erkennen. Die Dogge hätte sich am liebsten die Augen gerieben, doch das ließ sich schlecht machen. Sie peilte das Opfer erneut an und nahm Maß.

Bevor sie sich abdrücken konnte, hörte sie die ruhige Stimme des Gegners, auf den man sie gehetzt hatte. Diese Stimme redete der Dogge ein, sie sei ein lieber Hund und ein wahrer Prachtkerl dazu. Der Vierbeiner empfand diese Töne als äußerst angenehm und ließ sich nur zu gern ein wenig schmeicheln. Lobpreisungen dieser Art bekam sie selten genug zu hören.

Aber dann siegte das Pflichtgefühl. Die Dogge ignorierte die Sirenenklänge und machte sich absprungbereit. Sie wollte endlich zur Tat schreiten und etwas für ihr tägliches Futter tun.

Leider spannte sich das Hindernis in diesem Moment wieder auf. Das Opfer verschwand hinter einem Vorhang aus totaler Schwärze. Die Dogge schluckte und kroch einen halben Meter zurück. Sie fühlte sich überhaupt nicht wohl unter dem glatten Fell und hätte sich am liebsten abgesetzt.

Das große, runde und schwarze Etwas bewegte sich nun auf den Vierbeiner zu. Die Dogge winselte und kroch automatisch weiter zurück. Sie wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte. Gefahrenmomente dieses Ausmaßes kannte sie nicht.

Josuah Parker hatte bereits erkannt, daß der Kampfeswille des Vierbeiners gebrochen war. Er zog den Schirm zusammen und spannte ihn blitzschnell erneut auf. Gleichzeitig rückte er dem Tier noch näher auf den Leib. Die Dogge winselte, erhob sich und entdeckte plötzlich zu ihrer Erleichterung ein Karnickel, das in der Nähe fasziniert zugeschaut hatte. Die Dogge entschied sich augenblicklich für dieses neue Opfer und hechtete in Richtung Langohr.

Doch das Karnickel war ein alter Kämpe, der die Tücken des Lebens in freier Natur kannte. Es rannte zuerst in Richtung Zick, dann in Richtung Zack. Die Dogge war überhaupt nicht in der Lage, diesen plötzlichen Richtungsänderungen zu folgen. Sie schoß jedesmal weit über das Ziel hinaus. Dann fegte das Karnickel auf die Steinmauer zu, wo es genügend Durchschlüpfe gab.

Parker gestattete sich ein amüsiertes Lächeln und ging ungehindert weiter zu dem kleinen Wald. Um die Dogge kümmerte er sich nicht weiter. Sie befaßte sich intensiv mit der Steinmauer und schnüffelte nach dem Karnickel. Zwischendurch schielte der große Vierbeiner nach diesem seltsamen Exemplar von einem Menschen, ohne sich aber weiter darum zu kümmern.

Parker hatte die ersten Bäume erreicht und lauschte.

Ein starker Motor röhrte auf. Es handelte sich einwandfrei um den Diesel eines Lastwagens. Dann knallten Türen, und kurz nacheinander heulten zwei kleinere Motoren auf. Von irgendwoher kam ein schriller Pfiff, worauf die Dogge in Sicht kam. Wie ein schwarzer Schatten rannte der Vierbeiner nicht weit von Parker entfernt in den Wald zurück, aus dem er gekommen war.

Josuah Parker schritt gemessen weiter und erreichte bald darauf eine Lichtung. Im Mondlicht entdeckte er, daß der Rasen von schweren Reifen förmlich umgepflügt worden war. In der Luft hing noch der aufdringliche Geruch von Auspuffgasen.

Lange hielt Parker sich auf dieser Lichtung nicht auf. Seine innere Alarmanlage hatte sich gemeldet. Er wußte, daß er beobachtet wurde. Um nicht ins Fadenkreuz einer Schußwaffe zu geraten, begab er sich zurück in den Schutz der Bäume, ohne dabei auch nur eine Spur seiner Gemessenheit aufzugeben. Ein Butler Parker benahm sich in allen Lebenslagen stets korrekt.

*

Er genoß den Komfort des Hausbootes.

Josuah Parker hatte sich für ein großes, behäbiges Boot entschieden, auf dem er durch die Norfolk Broads gleiten wollte. Nach langer Zeit hatte Butler Parker sich tatsächlich Urlaub genommen. Er wollte sich für wenigstens zwei Wochen von einer gewissen Lady Simpson erholen, in deren Diensten er als Butler stand.

Die recht abenteuerlich gestimmte Lady war grollend zurück in London geblieben und tyrannisierte wahrscheinlich ihre Sekretärin und Gesellschafterin Kathy Porter. Lady Agatha wäre liebend gern mit in die Broads gekommen und hätte mit Vergnügen an diesen Urlaubswochen teilgenommen, doch Butler Parker war hart geblieben. Aus Erfahrung wußte er nur zu gut, daß seine Herrin auf Gauner und Gangster wie ein Magnet wirkte. Wo immer sie sich auch aufhielt, ein Kriminalfall war niemals fern. Und falls sich wirklich mal keiner anbot, dann sorgte die unternehmungslustige Lady dafür, daß es kurz über lang zu peinlichen Verwicklungen kam.

Nein, Josuah Parker war sich bis vor einer halben Stunde vollkommen sicher gewesen, daß geruhsame Tage auf ihn warteten. Dieser Eindruck war nach dem Zwischenfall oben am See geschwunden. Die Dinge nahmen eine Entwicklung, die er in diesem Fall nicht sonderlich schätzte.

Das gemietete Hausboot lag an einem Flüßchen, dessen Name ihm schon wieder entfallen war. Es gehörte zu einem Labyrinth von Wasserläufen, die von Buschwerk, Schilf und kleinen Waldstücken gesäumt wurden. Hier draußen inmitten der idyllischen Landschaft gab es winzig kleine und verträumt aussehende Dörfer und Marktflecken, Schlösser, Burgen und große Naturschutzgebiete. Parker fühlte sich wohl in den Broads, jenem Landstrich nordöstlich von London, der über Norwich oder Yarmouth zu erreichen ist. Hier konnte er fischen und sich erholen.

Drei Tage lang hatte er diesen Dingen nach Herzenslust frönen können, doch nun schienen die Dinge ihre Wendung genommen zu haben. Menschen, die ihn hatten niederknüppeln wollen und die eine Dogge auf ihn gehetzt hatten, mußten einfach noch mal in Erscheinung treten. Sie würden sich gewiß dafür interessieren, wer ihnen da über den Weg gelaufen war. Parker rechnete fest mit ihrem Erscheinen und hatte sich bereits darauf vorbereitet.

Er befand sich unter Deck und beobachtete von einem Fenster aus den langen Bootssteg, der hinüber zum Gasthof führte. Dort hatte er vor seiner kleinen Wanderung zu Abend gegessen, dort würde man sich wahrscheinlich auch nach ihm erkundigen.

An die Wasserseite dachte Parker fast zu spät.

Doch ein feines Glucksen erregte seine Aufmerksamkeit. Zuerst dachte er an einen Fisch, der vielleicht nach einer Mücke schnappte. Als das Glucksen sich jedoch noch einige Male wiederholte, wechselte Parker seinen Standort und kontrollierte die Flußseite.

Diese Kontrolle zahlte sich voll aus.

Er entdeckte ein Schlauchboot, in dem zwei Männer hockten. Sie hatten sich geduckt und paddelten dicht am Schilfgürtel entlang auf sein Hausboot zu. Instinktiv wußte Parker, daß diese beiden nächtlichen Sportler mit jenen Männern identisch waren, die ihn überfallen hatten.

Butler Parker hatte nichts dagegen, daß sie an Bord kamen, obwohl sie sich keineswegs anmeldeten, wie es die Höflichkeit erfordert hätte. Wie Diebe kletterten sie über die Reling und stahlen sich zum Decksalon hinüber. Sie brauchten etwa zwei Minuten, bis sie die Tür geknackt hatten und traten dann ein. Parker stand gleich neben der Tür und wartete höflich ab. Er wollte die beiden Besucher nicht unnötig erschrecken.

»Wollen wir uns den Typ nicht erst mal kaufen?« fragte eine nicht gerade angenehm klingende Stimme. Sie schien jeden Morgen mit Glasscherben gepflegt zu werden. Soweit Parker es erkennen konnte, gehörte sie dem untersetzten Mann mit dem Kopf eines junges Stiers.

»Gute Idee«, fand der andere Mann und lachte leise, ein wenig hechelnd auf. »Knall ihm eins vor den Schädel! Wir haben noch was gut, Pete.«

»Ich laß dir was übrig«, versprach der Stierschädel. »Nimm dir Zeit, Rob. Nur nichts überstürzen.«

Parker war nicht zu erkennen.

Sein schwarzer Zweireiher verschmolz mit dem dunklen Holz der Vertäfelung. Der Mann, der Pete hieß und ihm eins »vor den Schädel« schlagen sollte, kam arglos zurück und lief direkt in den Regenschirm hinein. Diesmal hatte der Butler die Spitze seiner Mehrzweckwaffe eingesetzt. Die untere Eisenzwinge bohrte sich wie eine Degenspitze in die Magenpartie des Schlägers.

Pete wurde völlig überrascht.

Er produzierte einige sehr undeutliche Laute, fiel auf die Knie und kippte dann zur Seite. Dabei fiel so etwas wie ein Totschläger aus seiner Hand. Pete war derart beeindruckt, daß er auf dem Boden blieb und sich nicht rührte.

»War was?« rief Rob. Der zweite Schläger hatte gar nicht mitbekommen, was seinem Partner passiert war. Als er keine Antwort erhielt, wandte er sich um und schaltete offensichtlich auf Vorsicht. Auf Zehenspitzen pirschte er zur Kabinentür und sah sich plötzlich Josuah Parker gegenüber.

Der Butler grüßte sehr höflich.

Er liftete seine schwarze Melone und besorgte das derart schwungvoll, daß die Wölbung seiner Kopfbedeckung die Stirn des Schlägers berührte. Diese Wölbung war mit solidem Stahlblech ausgefüttert und entsprechend hart. Rob knickste, wollte nach seiner Stirn fassen und entschied sich dann im letzten Moment dafür, vor Parker niederzuknien. Sekunden später lag er neben seinem Partner Pete und beteiligte sich an dem Nickerchen.

Josuah Parker nahm eine Sichtung der Tascheninhalte vor und legte seine Beute auf den Kabinentisch. Anschließend trug er die beiden Männer nacheinander zurück zu ihrem Schlauchboot. Dabei zeigte sich, wie stark und durchtrainiert Parker war. Da er nicht beobachtet wurde, leistete er sich den Luxus, seine Körperkräfte ungeniert einzusetzen.

Nachdem die beiden Schläger im Schlauchboot lagen, löste Parker die Leine und versetzte dem Wasserfahrzeug mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms einen energischen Stoß. Das Schlauchboot setzte sich zögernd in Bewegung, wurde von der leichten Strömung erfaßt und dann abgetrieben. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis es in der Dunkelheit verschwunden war.

Parker ging zurück in die Deckkabine. Er wollte sich jetzt die Brieftaschen der beiden Schläger in aller Ruhe ansehen. Zu seiner ehrlichen Überraschung aber waren diese beiden Gegenstände im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr greifbar.

Man hatte sie in der Zwischenzeit abgeholt.

Josuah Parker kam zu dem zwingenden Schluß, daß man ihn doch noch hereingelegt hatte.

*

Schon früh am anderen Morgen war er wieder auf den Beinen.

Butler Parker lustwandelte hinauf zum Wäldchen. Er interessierte sich für die bewußte Waldlichtung, aber auch für eine gewisse Dogge. Seiner bescheidenen Ansicht nach mußte der mächtige Vierbeiner hier aus der Gegend stammen.

Vom kleinen Fluß her trieben Nebelschleier, die von der aufgehenden Sonne bereits geschluckt wurden. Die Vögel tirilierten fast aufdringlich und steckten akustisch ihre Reviere ab. Karnickel hoppelten über die Felder und kümmerten sich kaum um den Morgenwanderer. Instinktiv spürten sie, daß dieser schwarzgekleidete Mann für sie keine Gefahr bedeutete.

Parker konnte sich vorstellen, daß er auch weiterhin beobachtet wurde. Er mußte wieder an die verschwundenen Brieftaschen denken. Gehörte der Dieb zu den beiden Schlägern, die er auf dem kleinen Fluß abgesetzt hatte? Falls das der Fall war, so hatte der Mann eine bemerkenswerte Zurückhaltung gezeigt und darauf verzichtet, klärend einzugreifen. Oder arbeitete dieser Mann gegen die Schläger? Warum hatte er dann nicht seine Hilfe angeboten und gemeinsame Sache mit Josuah Parker gemacht?

Der Butler hatte die Lichtung erreicht und wollte sich noch mal den tiefen Reifenabdrücken widmen. Doch er wurde erneut überrascht. Von den Reifenabdrücken im weichen Waldboden war nichts mehr zu sehen! Sie schienen nie vorhanden gewesen zu sein.

Parker entdeckte wenig später, daß man sie geschickt gelöscht hatte. Wahrscheinlich waren dazu Rechen und Reisigbüsche verwendet worden. An der Tatsache aber änderte sich nichts. Er konnte nicht herausfinden, um welche Wagen es sich in der Nacht gehandelt hatte. Er war weiterhin auf das angewiesen, was er gehört hatte. Beweiskräftig war das allerdings nicht.

Er schritt in seiner unnachahmlich gemessenen Art über den schmalen Weg, der von der Lichtung aus weiter hinunter zum kleinen See führte. Dabei interessierte Josuah Parker sich vor allen Dingen für die Zweige und Äste in etwa zwei bis drei Meter Höhe. Er wurde nicht enttäuscht.

Immer wieder entdeckten seine Augen geknickte Zweige und vertrocknete, zusammengerollte Blätter. Ein Zweifel war ausgeschlossen. Hier auf dem Weg mußte ein Lastwagen mit hohen Aufbauten bewegt worden sein. Nur die Kanten dieses Aufbaus könnten Ast- und Blattwerk zerstört haben. Der Diesel, den er in der vergangenen Nacht gehört hatte, mußte also diesen nicht gerade kleinen LKW angetrieben haben.

Parker erreichte eine asphaltierte Straße, die hinunter zur Uferstraße führte. Die Asphaltdecke war ebenfalls gereinigt worden. Dennoch fand der Butler Erdschollen und Dreckspuren, die aus den tiefen Stollen der LKW-Reifen gefallen waren. Sie verloren sich allerdings unten auf der eigentlichen Durchgangsstraße.

Der Butler hielt es für sinnlos, der Uferstraße zu folgen. Mit weiteren Spuren, war hier gewiß nicht mehr zu rechnen. Der nächtliche Zwischenfall war wohl kaum noch aufzuklären, falls gewisse Personen von sich aus nicht aktiv wurden. Parker hatte auch schon mit dem Gedanken gespielt, sich an die örtliche Polizei zu wenden, doch er hielt diesen Gedanken inzwischen für nicht besonders gut. Herausfordern konnte er die beiden Schläger oder den Dieb der Brieftaschen nur dadurch, daß er nichts unternahm. Diese Handlungsweise machte ihn interessant und nicht ausrechenbar. Ein normaler Tourist hätte schließlich sofort Alarm geschlagen und für das Erscheinen zumindest eines Streifenwagens gesorgt.

Parker wandte sich um und blieb auf der Uferstraße. Zurück in die Waldlichtung wollte er nicht mehr. Er ging um eine Biegung herum und sah sich plötzlich einem Vierbeiner gegenüber, der ihm nicht ganz unbekannt war.

Die riesige Dogge hatte den Butler natürlich auch bereits erkannt und wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie knurrte und grollte zwar erst mal sicherheitshalber, doch ohne viel Nachdruck.

»Still, Lord«, sagte die junge Dame, die die Dogge führte. Sie lächelte Parker gewinnend an. »Sie brauchen keine Angst zu haben, Lord ist vollkommen harmlos.«

»Hoffentlich weiß das auch Ihr Begleiter«, meinte Josuah Parker und liftete höflich seine schwarze Melone. »Könnte es sein, daß ich bereits das Vergnügen mit der Dogge hatte?«

»Wann sollte denn das gewesen sein?« fragte die junge Dame. Sie mochte etwa fünfundzwanzig sein, war mittelgroß, ein wenig vollschlank und sah recht nett aus.

»In der vergangenen Nacht, wenn ich nicht sehr irre.«

»Ausgeschlossen, Sir. Dann befindet Lord sich in seinem Zwinger.«

»Mein Name ist übrigens Parker, Josuah Parker.«

»Maud Robson«, antwortete die junge Dame.

»Sie haben den einmaligen Vorzug, hier in dieser schönen Gegend zu wohnen?«

»Leider nicht«, gab sie zurück, naiv und freundlich. »Meine Familie macht hier Urlaub. Wir wohnen droben auf der Farm.«

»Ein ruhiges Fleckchen Erde.«

»Sie machen auch Urlaub, Sir?«

»Ich erschließe mir die Geheimnisse dieser Landschaft«, bekannte der Butler.

»Geheimnisse?« Sie sah ihn lächelnd an.

»Geheimnisse«, bestätigte der Butler. »In der vergangenen Nacht stieß ich zum Beispiel auf seltsame Geräusche dort oben im Wäldchen. Sie müssen Sie auf der Farm ja ebenfalls gehört haben.«

»Da ... davon weiß ich nichts.« Das Thema behagte ihr nicht. Sie preßte die Lippen zusammen, beschäftigte sich mit der Dogge und murmelte dann einen flüchtigen Gruß. Wenig später schlenderte sie mit dem Vierbeiner weiter.

Josuah Parker kannte jetzt sein nächstes Ziel. Er brauchte etwa fünf Minuten, bis er die Farm vor sich sah. Es handelte sich um ein kleines Bauernhaus aus Bruchsteinen, eine recht große Holzscheune und um eine Remise, in der landwirtschaftliches Gerät stand. Auffallend war, daß das Grundstück frisch verdrahtet worden war. Der Stacheldraht war noch nicht mal angerostet und glänzte in der Morgensonne.

Josuah Parker schritt an der Frontseite der Farm entlang und begab sich dann hinüber ins Unterholz des Uferwäldchens. Vorher aber spähte er aufmerksam nach allen Seiten, als fürchte er, beobachtet zu werden. Er stellte sich neben einen Baumstamm und sorgte dafür, daß man ihn mit einiger Mühe noch durchaus ausmachen konnte. In Sachen psychologischer Kriegsführung kannte Butler Parker sich schließlich gut aus.

*

Sie hatten keine besonders guten Nerven.

Es dauerte etwa zehn Minuten, bis Parker sie hörte. Sie mußten einen weiten Bogen beschrieben haben und pirschten sich an ihn heran. Sie wollten ihn von der Uferseite her überraschen, doch sie benahmen sich im Grund wie Elefanten im Porzellanladen. Unter ihren Schuhen knackten kleine Äste und raschelte das trockene Laub.

Butler Parker verließ den Baumstamm und ging zurück zur Durchgangsstraße. Das Rascheln und Knacken im Uferwäldchen wurde sofort lauter. Die Indianer auf dem Kriegspfad fürchteten wahrscheinlich um ihre Beute.

Parker überquerte die Straße und ging auf das verdrahtete Tor der Farm zu, hakte es auf und betrat sehr ungeniert das gesicherte Grundstück. Gemessen lustwandelte er zum eigentlichen Farmhaus und klopfte mit dem Bambusgriff seines Regenschirms an die Tür. Als ihm nicht sofort geöffnet wurde, schritt Parker zur Scheune und versuchte, die kleine Tür im großen Tor zu öffnen. Sie war fest verschlossen. Parker suchte und fand im Tor einen Spalt und schaute ungeniert ins Innere.

Er entdeckte einen Lieferwagen mit Kastenaufbau. Es war ein solider Bedford, der schon einige Lasten zu schleppen vermochte. Und wenn ihn nicht alles täuschte, stand dahinter noch ein kleinerer Lastwagen, dessen Marke jedoch nicht zu identifizieren war. Handelte es sich um die beiden kleineren Wagen, die er in der vergangenen Nacht gehört hatte?

»Faß, Lord!« hörte Parker in diesem Moment eine wütende Stimme. »Los, faß schon!«

Josuah Parker wandte sich um und entdeckte die beiden Männer, die ihn auf dem Hausboot besucht hatten. Er hatte sich also nicht getäuscht. Sie hatten versucht, sich durch den Wald an ihn heranzupirschen, standen nun auf dem verdrahteten Grundstück und hetzten die mächtige Dogge erneut auf ihn.

Die Dogge hatte das Kommando zwar gehört, doch sie konnte sich nicht entschließen, den Butler anzufallen. Lord, wie die Dogge hieß, schielte ein wenig verlegen auf den Regenschirm des Butlers und kratzte sich dann mit dem linken Vorderlauf am Ohr.

»Sollte ich Ihren Unmut erregt haben?« wunderte sich Parker und lüftete die schwarze Melone. Er sah sich Pete und Rob, wie sie ja hießen, recht interessiert an.

Sie schleppten diesmal keine Waffen mit sich herum, das heißt, sie zeigten sie ihm wahrscheinlich nicht. Sie passierten inzwischen die Dogge und rückten langsam auf Parker zu. Die junge Dame namens Maud Robson verschwand gerade hastig im Farmhaus. Sie wollte mit der geplanten Unterhaltung offensichtlich nichts zu tun haben.

»Was haben Sie hier zu suchen?« Es war der untersetzte Pete, der den Butler anfuhr. Er schob gereizt seinen eckigen Stierkopf vor.

»Ihre Frage ist schnell und umfassend beantwortet«, gab der Butler höflich zurück. »Mich gelüstet nach frischer Milch, wenn ich es so ausdrücken darf. Wie Ihnen inzwischen ja bekannt ist, liegt mein Hausboot unten am Fluß!«

»Woher sollen wir denn das wissen?« wunderte sich Rob gespielt und tat ahnungslos.

»Aber nicht doch, meine Herren!« Parker schüttelte verweisend den Kopf. »Ich mußte Sie in der vergangenen Nacht leider an die sprichwörtliche frische Luft setzen. Erinnern Sie sich wirklich nicht mehr? Darf ich bei dieser Gelegenheit übrigens erfahren, wo Sie mit dem Schlauchboot landeten?«

»Wovon reden Sie eigentlich?« Der untersetzte Pete war plötzlich noch ahnungsloser als Rob. »Schlauchboot?«

»Sie müssen uns verwechseln«, behauptete Rob unverfroren. »Wir haben kein Schlauchboot. Sagen Sie, wer sind Sie eigentlich?«

»Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor. »Ich habe den Vorzug und die Ehre, dem Beruf eines Butlers nachgehen zu dürfen.«

»Sie sind ein Butler?« staunte Pete. »Das heißt, so sehen Sie tatsächlich aus.«

»In meiner Freizeit beschäftige ich mich mit der Aufklärung großer und auch kleinerer Kriminalfälle«, stellte der Butler sich weiter vor. »Ich möchte nichts berufen oder gar übertreiben, doch mir scheint, daß sich hier hoffnungsfrohe Ansätze abzeichnen.«

»Wie war das?« Rob war nicht ganz mitgekommen. Die Diktion des Butlers überforderte ihn.

»Mich dünkt, daß ich einem veritablen Verbrechen auf der Spur bin«, erläuterte der Butler gemessen. »Sie bewohnen diese Farm?«

»Nur zeitweise. Wir haben sie für unsere Ferien gemietet«, erwiderte Pete. »Sie sind einem Verbrechen auf der Spur, Mister Parker?«

»In der Tat!« Parker nickte steif und leugnete nicht seine vornehme Zurückhaltung. »In der vergangenen Nacht bin ich von zwei Männern angegriffen worden, die meine bescheidene Wenigkeit niederknüppeln wollten. Dann hetzte man eine Dogge auf mich und belästigte mich anschließend auf meinem Hausboot. Sie müssen zugeben, meine Herren, daß so etwas stutzig werden läßt.«

»Wir sind das aber nicht gewesen, Mister Parker.« Rob zwinkerte seinem Partner Pete blitzschnell zu. Dieses Zwinkern sollte andeuten, daß man diesen Butler auf keinen Fall ernst nehmen konnte.

»Nun gut, meine Herren, diese Erklärung nehme ich zur Kenntnis«, sagte Parker feierlich.

»Sie sind also Amateurkriminalist, Mister Parker«, schickte Pete voraus. Der Untersetzte mit dem Stierkopf gab sich friedlich und fast schon amüsiert. »Was vermuten Sie denn hinter diesem Überfall? Ich bin sicher, daß Sie sich bereits eine Theorie zurechtgelegt haben.«

»So was tun Kriminalisten doch immer«, fügte der gepflegte Rob aufmunternd hinzu.

»Ich möchte Sie auf keinen Fall langweilen«, antwortete Parker.

»Nee, tun Sie überhaupt nicht.« Rob schüttelte den Kopf.

»Bestimmt nicht«, setzte Pete hinzu.

»Nun denn, meine Herren, man wollte mich offensichtlich daran hindern, eine ganz bestimmte Lichtung dort oben im Wäldchen zu betreten.«

»Aber warum denn, Mister Parker?« Pete sah den Butler ernst an.

»Weil dort eindeutig einige Lastwagen bewegt wurden«, antwortete Josuah Parker. »Falls mein Gehör mich nicht trog, handelte es sich zunächst um einen schweren LKW, dann um zwei kleinere Lieferwagen. Sie werden begreifen, daß sich meiner bescheidenen Wenigkeit zumindest eine Frage stellte.«

»Nämlich?« Rob lächelte nicht mehr.

»Was geschah auf der Waldlichtung?« Parker lüftete grüßend seine schwarze Melone und schritt gemessen zur Straße zurück, ohne sich weiter um die verdutzten und ratlosen Männer zu kümmern.

*

»So was gibt’s doch gar nicht«, sagte Pete und schaute dem davonschreitenden Butler nach. »War das nun Naivität, oder ist der Bursche nur raffiniert?«

»Naivität«, entschied Rob und grinste. »Solche Typen kennt man doch. Die haben ’ne Menge Krimis gelesen und machen jetzt auf Amateurdetektiv.«

»Ich weiß nicht, ich weiß nicht.« Pete war noch nicht überzeugt. »Vergiß nicht, wie er uns auf dem Hausboot reingelegt hat. Das war schon mächtig profihaft.«

»Stimmt auch wieder.« Rob erinnerte sich nicht gern an die nächtliche Fahrt auf dem Fluß. Das Schlauchboot war erst drei Meilen weiter flußab auf einer kleinen Insel gestrandet. Sie beide hatten eine nicht gerade erfreuliche Nacht hinter sich.

»Und dann die Geschichte oben am Wäldchen«, erinnerte Pete weiter. »Mit seinem komischen Regenschirm hat er uns verdammt fertiggemacht, Rob. Nee, das ist kein Amateur.«

»Sondern?«

»Ein Spitzel, der auf Trotteligkeit macht, Rob. Der Bursche hat es faustdick hinter den Ohren. Wir sollten den Boß anrufen und uns absichern.«

»Kann nicht schaden.« Rob nickte. »Aber ich werde mir den Burschen so oder so noch mal kaufen.«

»Wir«, korrigierte Pete grimmig. »Den werden wir uns gemeinsam vornehmen.«

Sie sahen, wie Parker um die Straßenbiegung verschwand. Rob und Pete gingen zum Farmhaus hinüber, wo Maud Robson sie erwartete. Sie stand am Fenster und hatte den Butler ebenfalls beobachtet.

»Was hältst du von dem Kerl?« erkundigte sich Pete bei seiner Schwester Maud.

»Der Mann ist mir unheimlich«, bekannte Maud Robson. »Mit dem werden wir noch viel Ärger bekommen.«

»Oder er mit uns.« Rob winkte ab. »Wir sind ja schließlich keine Anfänger, Maud.«

»Haltet mal für ’nen Moment die Klappe!« Pete Robson ging ans Wandtelefon und wählte die Nummer der ländlichen Vermittlung. Er ließ sich ein Gespräch nach London geben und brauchte nur wenige Minuten zu warten, bis der Gesprächsteilnehmer sich meldete.

»Hier Pete«, schickte er voraus. »Hören Sie, Boß, hier schleicht ’ne komische Type rum, aus der wir nicht ganz schlau werden. Wie bitte? Ja, er ist angeblich Amateurdetektiv. Natürlich haben wir ihm auf den Zahn gefühlt. Er sieht aus wie’n Butler und will auch einer sein. Parker nennt er sich. Nee, gemerkt im Endeffekt hat er nichts. Schön, machen wir, Boß. Wir lassen ihn nicht aus den Augen. Ja, sonst läuft alles wie geschmiert, Ende!«

Er legte auf und wandte sich zu seiner Schwester und Rob um.

»Wir sollen ihn unauffällig beobachten und beschäftigen«, sagte er dann. »Auch gegen ’ne kleine Abreibung hat der Boß nichts einzuwenden. Damit dürfte ja alles klar sein.«

»Wann befassen wir uns mit diesem Parker?« wollte Rob unternehmungslustig wissen.

»In der kommenden Nacht.« Pete hatte bereits bestimmte Vorstellungen und grinste. »Noch mal lassen wir uns nicht reinlegen.«

»Nehmt die Sache nur nicht auf die leichte Schulter«, warnte Maud Robson. Sie sah ihren Bruder Pete und dann Rob eindringlich an. »Mein Gefühl sagt mir, daß der Mann gefährlich ist. Ihr hättet mal sehen sollen, wie Lord sich benommen hat.«

»Wie denn?« fragte Pete.

»Ich kann’s nur schwer beschreiben«, antwortete Maud. »Vor Hunden hat der Bursche überhaupt keine Angst. Und Lord hätte ihm am liebsten die Hände geleckt. Ihr wißt doch, wie scharf Lord ist. Normalerweise geht er jeden Fremden an.«

Lord fühlte sich angesprochen und hatte wohl auch mitbekommen, daß seine Fähigkeiten in Zweifel gezogen wurden. Er knurrte. Seine Nackenhaare sträubten sich, er blickte scharf zur Tür hinüber.

»Sie haben mich doch tatsächlich abgelenkt«, war von dorther plötzlich höflich und gemessen zu vernehmen. »Kann man bei Ihnen frische Milch erstehen, wenn ich meine Frage wiederholen darf?«

»Faß!« Pete Robson explodierte fast vor Wut und Überraschung. Er stierte auf Josuah Parker, der noch mal zurückgekehrt war und in der angelehnten Tür stand. Er hatte sich völlig geräuschlos genähert. Er lüftete gerade höflich seine schwarze Melone.

»Faß!« Mauds Kommando fiel auch nicht gerade zurückhaltend aus.

»Faß, Lord!« Nun schaltete sich auch Rob ein. Er deutete sicherheitshalber auf Parker, damit die Dogge auch genau wußte, auf wen sie sich stürzen sollte. Lord knurrte noch lauter und röhrte jetzt, was wohl einem Bellen entsprach, doch die Dogge dachte nicht im Traum daran, sich noch mal mit diesem unheimlichen Zweibeiner zu befassen. Sie blieb sitzen und ... kratzte sich wieder verlegen am Ohr.

*

Lady Agatha Simpson war eine bemerkenswerte Frau.

Groß und majestätisch wirkend, erinnerte sie an eine Bühnenheroine längst vergangener Tage. Ihre Bewegungen waren wirksam und besonders ausdrucksvoll. Eine Frau wie Lady Agatha konnte man nicht übersehen. Ihre Stimme trug übrigens dazu bei. Sie war baritonal gefärbt, mitunter erinnerte sie sogar an das Grollen eines tiefen Basses.

Agatha Simpson trug mit Vorliebe bequeme und ausgebeulte Tweed-Kostüme, große Schuhe, die an kleine Flußkähne erinnerten, und dazu Hüte, die ihre Stilverwandtschaft zu Südwestern der Seefahrt nicht verleugnen könnten.

Die Lady, mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert, war seit vielen Jahren Witwe, immens reich und konnte sich jede Exaltiertheit leisten, was sie auch ausgiebig tat. Vor kurzem hatte sie beschlossen, sechzig Jahre alt zu bleiben. Sie war erstaunlich rüstig und dynamisch, betätigte sich noch sportlich und jagte seit Jahren große und kleine Gangster. Sie war Amateurdetektivin aus Leidenschaft und gab sich diesem Hobby schrankenlos hin.

Agatha Simpson saß an diesem Morgen am Steuer eines ihrer Wagen und hatte London längst hinter sich gelassen. Sie befand sich auf dem Weg nach Cambridge. Aus einer Laune heraus wollte sie dort eine Freundin besuchen, die sie seit langer Zeit nicht mehr gesehen hatte.

Kathy Porter, die neben ihr saß, glaubte der älteren Dame kein Wort. Kathy war die Sekretärin und Gesellschafterin Lady Simpsons, wurde von ihr aber wie ein Kind behandelt. Sie wußte, daß dieser Ausflug nur ein Vorwand war, um in Parkers Nähe zu gelangen. Lady Agatha hielt die Untätigkeit in ihrer Londoner Stadtwohnung nicht aus. Sie wollte sich vorsichtig an ihren Butler heranpirschen und hoffte wahrscheinlich auf einen neuen Fall.

»Sie sind so schweigsam, Kindchen?« wunderte sich die Detektivin.

»Ich ... ich genieße die Fahrt, Mylady«, behauptete Kathy und suchte nach zusätzlichem Halt im Wagen. Agatha Simpsons Fahrstil war nämlich mehr als ungewöhnlich und eigenwillig. Er war beinahe kriminell zu nennen. Die resolute Dame schien sämtliche Verkehrsregeln vergessen zu haben. Sie provozierte die Verkehrsteilnehmer am laufenden Band, nahm das aber überhaupt nicht wahr. Zudem fuhr Lady Simpson nicht gerade langsam. Es war ihr sportlicher Ehrgeiz, Cambridge so schnell wie möglich zu erreichen.

»Wenn diese Burschen doch nur fahren könnten«, seufzte Lady Simpson und betätigte nachdrücklich die Hupe. »Sehen Sie sich diesen Weihnachtsmann mal an, Kindchen! Das ist doch ein Skandal! Dieser Mann hat seinen Führerschein wohl über den Versandhandel bezogen!«

»Do ... do .... dort hinten kommt eine Kurve, Mylady«, stotterte Kathy Porter. Hastig vergewisserte sie sich, daß der Sicherheitsgurt auch besonders fest saß.

»Kurventechnik ist alles«, stellte Agatha Simpson fest und überholte den Morris. Sie jagte derart dicht an dem Fahrzeug vorbei, daß sich die Bleche fast berührten. Der Fahrer des Morris’ zuckte zusammen und riß seinen Wagen noch weiter zur Seite. Bruchteile von Sekunden später zerpfügte er das Fahrbahnbankett und trat dann entnervt auf die Bremse. Er stierte dem Rover nach, wischte sich den Angstschweiß von der Stirn und war noch nicht mal in der Lage, auch nur einen Fluch oder eine Verwünschung auszustoßen. Er legte seine Stirn auf das Lenkrad und heulte wie ein hungriger Wolf.

Lady Agatha schaute in den Rückspiegel, obwohl ein Blick auf die Kurve vielleicht angebrachter gewesen wäre.

»Haben Sie das gesehen?« erkundigte sie sich bei Kathy Porter und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Dieser Anfänger kann sich noch nicht mal auf der Straße halten. Solchen Leuten sollte man den Führerschein abnehmen. Finden Sie nicht auch, Kindchen?«

»Die Kurve«, stieß Kathy Porter angstvoll hervor.

»Nun werde ich Ihnen mal zeigen, wie schwingend und elegant man sich durch Kurven tragen lassen muß«, erklärte die Dame am Steuer. »Man muß vor allen Dingen das Gas stehen lassen, verstehen Sie?«

Und sie ließ es stehen!

Der Rover fegte in die Kurve hinein, die von Agatha Simpson schamlos geschnitten wurde. Das Heck brach ein wenig aus, doch das scherte die Fahrerin nicht. Sie schlingerte in den Kurvenmittelpunkt, riß den schweren Wagen weiter herum und rasierte einen Begrenzungspfahl ab. Dann sah sie sich einem entgegenkommenden Fahrzeug gegenüber.

Es handelte sich um einen Traktor.

Der Fahrer verlor sofort die Nerven und verzichtete auf jede Konfrontation. Dank seiner direkten Lenkung brachte er den Traktor blitzschnell von der Straße, durchfuhr den erfreulicherweise nicht tiefen Graben und erklomm anschließend die steile Böschung.

Agatha Simpson winkte dem Mann fröhlich zu und demonstrierte weiterhin ihre erstaunliche und einzigartige Kurventechnik.

Ein Radfahrer stieg sicherheitshalber ab, das heißt, er hechtete aus dem Sattel und landete im Gras der Böschung, ein Fußgänger reagierte geistesgegenwärtig und stellte sich hinter einen dicken Baum, und ein junger Motorradfahrer benutzte einen Waldweg, den er gar nicht befahren wollte.

Dieser junge Motorradfahrer war nicht allein.

Er bildete die Spitze eines Rudels von jungen Leuten, die an Rocker erinnerten. Sie folgten ihm blindlings und preschten mit donnernden Motoren ins Unterholz. Da einige von ihnen auf Geländefahrten nicht spezialisiert waren, rutschten sie auf dem weichen und feuchten Waldboden aus und suchten anschließend nach Pilzen. So sah es wenigstens aus.

»Schwingen, Kindchen«, sagte Lady Simpson zufrieden, als die Kurve geschafft war. »Schwingen, Kathy. Das ist das ganze Geheimnis!«

»Na ... natürlich«, keuchte die Gesellschafterin, und war einer Ohnmacht nahe. »Kö ... könnte man nicht eine kleine Pause einlegen, Mylady? Dort hinter der Scheune?«

Kathy Porter war Realistin.

Sie konnte sich lebhaft vorstellen, daß zumindest die Motorradfahrer die Verfolgung aufnehmen würden. Da war es vielleicht angebracht, erst mal von der Straße zu verschwinden und in Deckung zu gehen.

*

Es waren sechs Motorradfahrer, die heranbrausten.

Es handelte sich um die ungewollten Pilzsucher, die nach dem Rover Ausschau hielten. Die Fahrer, in Leder gekleidet und mit schweren Jethelmen auf dem Kopf, erschienen als Rudel und waren sicher nicht besonders guter Laune.

Kathy Porter war heilfroh, daß sie zusammen mit Lady Agatha hinter der Scheune stand. So waren sie von der Straße aus nicht zu sehen und kamen vielleicht noch mal ohne Ärger davon.

»Mir kommt da gerade eine Idee«, ließ die ältere Dame sich vernehmen. »Müssen wir unbedingt diese belanglose Freundin besuchen, Kindchen?«

»Sie wollen zurück nach London, Mylady?« Kathy ahnte, wohin der Hase laufen sollte.

»Papperlapapp«, fuhr ihre Gesprächspartnerin sie an. »Was sollen wir in London, Kindchen? Nein, nein, wir sollten weiter nach Norwich fahren.«

»Beginnen dort nicht die Norfolk Broads, Mylady«, erkundigte sich Kathy gespielt harmlos.

»Gut nachgedacht.« Agatha Simpson nickte. »Stellen Sie sich mal Mister Parkers Überraschung vor, wenn wir plötzlich auftauchen.«

»Mister Parker ist mit einem Hausboot unterwegs, Mylady.«

»So ein Kahn wird sich ja schließlich finden lassen«, lautete die entschlossene Antwort. »Ich bin mit Ihrem Vorschlag einverstanden, Kindchen. Überraschen wir also Mister Parker!«

»Ich habe diesen Vorschlag aber nicht gemacht, Mylady«, protestierte Kathy Porter.

»Klammern Sie sich gefälligst nicht an Kleinigkeiten«, tadelte die Detektivin. »Wir werden ihm nur einen kurzen Besuch abstatten und dann zurückfahren. Kommen Sie!«

Lady Agatha zitterte wieder mal vor Aktivität. Sie marschierte auf den Rover zu.

»Soll ich Sie jetzt nicht ablösen, Mylady?« fragte Kathy schüchtern.

»Besser nicht«, lautete die Antwort. »Sie sind immer noch etwas unsicher am Steuer, Kindchen. Ihnen fehlt meine Erfahrung. Ich werde mich schon melden, wenn ich tauschen möchte.«

Butler Parker 122 – Kriminalroman

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