Читать книгу Butler Parker 157 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3

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»Ich möchte Sie darauf verweisen, daß Sie das ausgesprochene Mißfallen meiner bescheidenen Wenigkeit erregen«, sagte Josuah Parker in seiner höflichen Art und lüftete seine schwarze Melone. Anschließend legte er die Rundung dieser konservativen Kopfbedeckung zielsicher auf die ausgeprägte Nase des untersetzten, breitschultrigen Mannes, der mit dieser Ausweitung des Grußes nicht gerechnet hatte. Da die innere Wölbung der Melone mit Stahlblech gefüttert war, wurde die Nase des Breitschultrigen nachdrücklich zur Seite gedrückt, was umgehend einen Tränenfluß auslöste.

Der Breitschultrige ließ die junge Frau los und langte automatisch nach seinem Riechorgan. Die junge Frau drückte sich ängstlich in die Ecke des Treppenabsatzes und starrte völlig entgeistert auf Josuah Parker, der ihr beruhigend zunickte und dann die Spitze seines Universal-Regenschirmes auf die linke Zehenpartie des Mannes setzte.

Der Breitschultrige heulte auf, ließ die Hände sinken und langte nach seinen schmerzenden Zehen. Dabei tanzte er auf dem noch unbeschädigten Fuß herum und kam aus dem Gleichgewicht.

»Sie sollten sich vorsehen«, warnte der Butler und deutete mit der Spitze seines Schirmes nach unten auf die Treppe, »wie leicht passiert man eine Treppe, ohne die Beine zu benutzen.«

Nachdem Parker diese Feststellung getroffen hatte, wollte er den Mann offensichtlich vor einem Treppensturz bewahren. Dabei aber verrechnete er sich und schob den Mann in die falsche Richtung. Nach einem Aufschrei trat der Breitschultrige ins Leere und brachte die Treppe hinter sich. Er benutzte dabei seine Schultern und rutschte in rasantem Tempo nach unten. Auf halbem Weg absolvierte er einen etwas mißglückten Überschlag, und landete auf dem Treppenabsatz.

»Hoppla«, kommentierte Parker dieses Ereignis durchaus freundlich, um sich dann der jungen Frau zu widmen, die ihn nach wie vor anstarrte, als hätte sie es mit einer Erscheinung zu tun.

»Mein Name ist Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor, »ich habe die Ehre und den Vorzug, Lady Simpson dienen zu dürfen.«

»Sie sind das also?!« Sie sah ihn irritiert an, »Kathy, ich meine natürlich Miß Porter, hat mir schon viel von Ihnen erzählt.«

»Miß Porter bat mich, Sie nach Shepherd’s Market zu holen«, antwortete Josuah Parker gemessen, »meine Wenigkeit scheint einen bemerkenswerten Zeitpunkt gewählt zu haben. Geht man recht in der Annahme, daß Sie nachdrücklich belästigt werden sollten?«

Der Butler wandte sich um und blickte hinunter auf den Breitschultrigen, der sich zu rühren begann und verhalten stöhnte. Er fingerte vorsichtig an seiner rechten Hand, die er sich wohl verstaucht hatte.

»Er hat mich überfallen und geschlagen«, erwiderte die junge Frau ängstlich. Sie mochte dreißig sein, war mittelgroß und vollschlank. Sie hatte braunes Haar und trug eine modische Brille.

»Hat dieser Überfall mit dem zu tun, was Sie Miß Porter vor wenigen Stunden anzudeuten beliebten?«

»Das muß bestimmt so sein, Mr. Parker«, entgegnete sie, »aber ich kann mir das alles nicht erklären.«

»Vielleicht sollten Sie an anderer Stelle ausführlich darüber berichten, Miß Merton. Sie können sich meiner Wenigkeit ohne weiteres anvertrauen. Wie bereits gesagt, man erwartet Sie in Shepherd’s Market.«

»Und ob ich mitkommen werde.« Sie nickte eifrig, »ich hatte ja mit Miß Porter verabredet, daß ich für einige Tage zu ihr ziehen werde.«

Parker trat abwartend zur Seite und vergewisserte sich mit einem Seitenblick, daß der Breitschultrige sich nach wie vor mit sich selbst beschäftigte. Er prüfte inzwischen den Sitz diverser Halswirbel.

»Müssen Sie noch mal zurück in Ihre Wohnung?« fragte der Butler die junge Frau.

»Nur für einen Moment.« Sie deutete auf die halb geöffnete Tür hinter sich und war dann verschwunden. Der Butler stieg würdevoll hinab zu dem Breitschultrigen und bot seine Hilfe an.

»Geh’ zum Teufel«, brauste der Mann auf, »wir sprechen uns noch, darauf kannst du dich verlassen.«

»Man könnte es jetzt und hier tun.«

»Du wirst noch dein blaues Wunder erleben.« In den Augen des Mannes stand nackter Haß.

»Ihre Erregung ist verständlich«, meinte der Butler, »sie dürften noch unter einem gewissen Schock stehen.«

Während Parker diese Feststellung traf, holte er aus der Schulterhalfter des Mannes einen kurzläufigen Revolver. Der Breitschultrige hatte keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Und er bekam auch nicht mit, daß Parker eine Brieftasche an sich nahm, die förmlich nur darauf zu warten schien, endlich den Besitzer zu wechseln. Parker verfügte über die Fingerfertigkeit eines Taschendiebes.

Liz Merton erschien wieder im Treppenhaus, hielt eine Reisetasche in der linken Hand, schloß die Tür hinter sich und stieg zögernd nach unten. Als sie den Treppenabsatz erreichte, blickte sie ängstlich auf den Breitschultrigen.

»Sie haben nichts zu befürchten«, beruhigte Josuah Parker, »Sie stehen unter meinem bescheidenen Schutz.«

»Mach’ dich auf was gefaßt, Süße«, zischte der Überwältigte der jungen Frau zu, »wenn du quasselst, bist du geliefert, mein Wort darauf.«

»Der Herr scheint ein wenig verärgert zu sein«, stellte Josuah Parker beiläufig fest, »Sie sollten seine Worte nicht auf die sprichwörtliche Goldwaage legen, Miß Merton.«

*

Ihre Hand zitterte leicht, als sie die Teetasse zum Mund führte. Sie brauchte die zweite Hand, um endlich trinken zu können. Liz Merton saß zusammen mit Butler Parker in einem kleinen italienischen Lokal und schien erst jetzt so richtig zu begreifen, daß man sie kidnappen wollte.

Parker konnte von der Schaufensterscheibe des Restaurants aus das Haus beobachten, das er mit Liz Merton vor wenigen Minuten verlassen hatte. Der Breitschultrige befand sich noch dort, mußte seiner Schätzung nach aber bald auf der Straße erscheinen.

»Sie wurden vor einigen Stunden von Miß Porter besucht«, schickte der Butler voraus, »und Sie müssen sich laut Miß Porter in einem Zustand innerer Erregung befunden haben. Sie baten um den Besuch Miß Porters?«

»Nein, eben nicht«, erwiderte Liz Merton, die die Tasse vorsichtig absetzte, »Kathy wollte mich besuchen, und ich bat sie dann, noch zu warten. Kathy kam aber trotzdem und muß wohl etwas gemerkt haben.«

»In der Tat«, sagte der Butler gemessen, »Miß Porter fiel auf, daß Sie sich in einem seelischen Zustand befanden, den man nicht mehr als normal bezeichnen konnte.«

»Weil ich Angst habe! Und weil ich noch immer nicht begreife, warum man mich seit Tagen derart belästigt.«

»Könnten Sie dazu nähere Angaben machen, Miß Merton? Miß Porter gegenüber sprachen Sie ja nur von einer Krankheit, die mit Ihrer Überlastung im Büro zusammenhängen soll.«

»Wenn ich darüber spreche, will man mich... Nein, ich werde nichts sagen. Bitte, haben Sie Verständnis für mich.«

»Sie deuteten Miß Porter einiges an, Miß Merton, wenn man meine Wenigkeit recht informiert hat.«

»Ich habe von diesen scheußlichen Anrufen erzählt«, räumte sie ein, »das geht nun schon seit Tagen.«

»Darf man daraus schließen, daß man Sie fernmündlich terrorisiert?«

»Genau das ist der Fall. Im Büro und dann auch zu Hause werde ich belästigt. Es handelt sich um Anrufe, die einfach unappetitlich sind, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Es dürfte sich um sexuelle Anzüglichkeiten handeln, nicht wahr?«

»Das ist sehr vornehm ausgedrückt, Mr. Parker.« Sie nickte. Aber dann änderten sich die Anzüglichkeiten. Ich wurde bedroht und ... Guter Gott, jetzt erzähle ich ja bereits, und dabei hat man mich davor gewarnt, nur ein Sterbenswort weiterzugeben. Bitte, Mr. Parker, stellen Sie keine weiteren Fragen.«

»Falls es erlaubt ist, Miß Merton, sollte man doch noch eine Frage ins Gespräch bringen. Seit wann werden Sie telefonisch belästigt und bedroht?«

»Seit fast vierzehn Tagen.«

»Ihr Besucher verläßt gerade das Haus«, sagte Parker und wechselte das Thema. Er hatte den Breitschultrigen ausgemacht, der auf schweren Beinen die Straße erreichte und sich einem Ford näherte, der am Straßenrand stand. Parker konnte sich das Kennzeichen ohne Schwierigkeiten merken.

»Er wollte mich angeblich zu einer Spazierfahrt einladen«, sagte sie leise und blickte starr in eine andere Richtung, »und er schlug mich, als ich mich dagegen wehrte. Wenn Sie nicht gekommen wären ...«

»Sie arbeiten, falls ich Miß Porter richtig verstanden habe, bei einem Inkasso-Agenten?«

»Bei Brett Crickle«, antwortete sie und nickte, »es ist nur ein kleines Büro, aber ich verdiene doch sehr gut.«

»Sie sind schon seit längerer Zeit mit Miß Porter befreundet?«

»Schon seit Jahren, aber häufig haben wir uns nicht gesehen.«

»Darf man höflichst fragen, wie es zu dieser neuen Begegnung kam?«

»Wir trafen uns in der City in einem Kaufhaus«, lautete ihre Antwort, »und wir vereinbarten, uns gegenseitig zu besuchen.«

»Zu diesem zufälligen Treffen kam es, als Sie bereits per Telefon belästigt und bedroht wurden, Miß Merton?«

»Das ist richtig.« Sie nickte. »Übrigens, als wir uns unterhielten, erzählte Kathy mir von Ihnen, von Lady Simpson und Mr. Rander.«

»Man könnte jetzt nach Shepherd’s Market fahren«, schlug Josuah Parker vor, »das heißt, falls man nicht die Absicht hat, meine Wenigkeit und Sie daran zu hindern.«

»Sie glauben, daß man uns verfolgt?« Sofort war wieder Angst in ihren Augen.

»Es handelt sich um eine Gewißheit«, meinte der Butler, während er sich gemessen erhob, »man dürfte die Absicht hegen, nun auch meine Wenigkeit belästigen zu wollen.«

Parker musterte die beiden schlanken und drahtigen Männer, die langsam auf die Nische zukamen, in der er sich noch befand.

*

Sie hatten glatte, ausdruckslose Gesichter und waren mittelgroß. Die höchstens Fünfundzwanzigjährigen trugen dunkelgraue Anzüge und machten einen durchaus korrekten Eindruck. Doch es waren die kalten Augen, die sie verrieten. Parker wußte sofort, daß es sich um Profis handelte, die man auf ihn und Miß Merton angesetzt hatte.

Wahrscheinlich hatten sie vor dem Haus, in dem Liz Merton wohnte, gewartet, um sich an der geplanten Spazierfahrt zu beteiligen. Nun waren sie also auf dem Weg, um das Blatt doch noch zu wenden.

Parker hielt seinen Universal-Regenschirm in der linken Hand und hob die Spitze seines Regendaches. Mit spitzen Fingern, von den beiden jungen Männern mißtrauisch beobachtet, griff er in eine der vielen Westentaschen.

»Darf und kann man möglicherweise etwas für Sie tun, meine Herren?« fragte der Butler höflich.

»Der Wagen wartet«, sagte einer der beiden Männer knapp.

»Und auch je ’ne blaue Bohne, falls ihr nicht spurt«, fügte der zweite hinzu.

»Darf man in Erfahrung bringen, was Sie sich unter einer blauen Bohne vorstellen?« erkundigte sich Parker.

»Ziehen Sie bloß keine Show ab«, meinte der Mann gereizt. Er sprach halblaut wie sein Partner und konnte von den Gästen an den anderen Tischen kaum verstanden werden.

»Sie erlauben, daß ich Ihnen meine Visitenkarte überreiche?« Parker holte den Gegenstand aus der Westentasche, nach dem er gegriffen hatte. Es handelte sich dabei um eine kleine Spraydose, wie man sie zur akuten Schnupfenbekämpfung verwendet. Die beiden jungen Männer ließen den Butler diese Bewegung ausführen, da sie sicher sein konnten, daß ihr Opfer keineswegs nach einer Schußwaffe greifen würde. Dadurch wurden sie völlig überrascht, wie sich umgehend zeigte.

Parker drückte auf den Auslöser und sprühte die beiden Männer an. Genauer gesagt, er richtete den Spray auf die Gesichter der Profis, die unwillkürlich zurückwichen und plötzlich nichts mehr sahen. Der Spray enthielt einen Reizstoff, der sofort die Augen schloß. Die beiden kamen sich mehr als hilflos vor, griffen zwar nach ihren Schulterhalftern, verzichteten dann aber doch darauf, die Waffe zu ziehen. Sie befaßten sich lieber mit ihren brennenden, bereits tränenden Augen. Hilflos wurden die Kerle von Parker auf Stühle dirigiert, die sie dankbar benutzten. Sie nahmen Platz und rieben weiter intensiv ihre Augen.

»Meine Wenigkeit möchte nicht versäumen, sich zu entschuldigen«, schickte Josuah Parker voraus, »aber in Anbetracht einer Entwicklung, die sich eindeutig zuspitzte, ließen Sie mir keinen Spielraum.«

Er reichte Liz Merton die schwarz behandschuhte Hand und führte sie um die beiden Männer herum, die nach wie vor verbissen ihre Augen rieben und dabei quiekende Töne produzierten.

Die Gäste im Restaurant waren inzwischen aufmerksam geworden und beobachteten die Szene. Parker lüftete die schwarze Melone und wandte sich an die Zuschauer.

»Haben Sie Mitgefühl mit den beiden Herren«, bat er in seiner unnachahmlich höflichen Art, »es handelt sich um eine vorübergehende Sehschwäche, die keine gesundheitlichen Folgen negativer Art haben wird.«

Er führte Liz Merton aus dem Lokal, nicht ohne vorher noch einige Pfundnoten auf den Tisch in der Nische gelegt zu haben. Sie folgte ihm wie hypnotisiert und blickte sich dabei immer wieder nach den beiden Männern um.

Sie waren aufgestanden, fuchtelten mit den Händen in der Luft herum und stießen dabei Stühle und Tische um. Die Gäste zogen sich zurück und verfolgten das Schauspiel aus der sicheren Distanz. Einige Kellner schoben sich vorsichtig an die beiden Männer heran, die zu Boden gegangen waren und sich in diversen Stuhlbeinen verhedderten.

»Wer war das?« fragte Liz Merton, als sie mit Parker das Freie erreicht hatte.

»Es dürfte sich um zwei Kriminelle gehandelt haben«, beantwortete der Butler die Frage, »Sie scheinen, um es mal so auszudrücken, Miß Merton, für gewisse Personen von höchstem Interesse zu sein. Man treibt einen Aufwand, der darauf schließen läßt, daß Sie auch in naher Zukunft mit weiteren Überraschungen zu rechnen haben.«

*

»Und Sie haben diese Subjekte nicht gleich mitgebracht?« wunderte sich Agatha Simpson und schüttelte ungläubig den Kopf.

»Meine Wenigkeit hatte den Eindruck, daß Miß Merton erst mal in Sicherheit gebracht werden müßte«, antwortete Parker, »die junge Dame befand sich in einem Gemütszustand, den man nur als bedenklich bezeichnen konnte.«

»Papperlapapp, Mr. Parker, »soviel Zeit hätte immer noch sein müssen«, gab Lady Agatha mißbilligend zurück. Sie war eine große, majestätisch aussehende Dame, die das sechzigste Lebensjahr überschritten hatte. Agatha Simpson machte einen energischen Eindruck, wozu eine gewisse körperliche Fülle noch beitrug. Mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert, war sie eine immens reiche Frau, die sich jedes Hobby leisten konnte. Lady Agatha hatte sich vor Jahren entschlossen, als Amateur-Detektivin tätig zu werden. Sie hielt sich für durchaus einmalig und hatte keine Ahnung, daß sie von Butler Parker mehr als behutsam und außerordentlich geschickt geführt wurde. Sie war eine Frau, die stets alles besser wußte, und für die der Begriff Gefahr überhaupt nicht existierte. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, daß man es wagen würde, einer Lady etwas anzutun.

Sie bewohnte in Shepherd’s Market, in der Nähe von Hyde Park, ein altes Fachwerkhaus, das auf den Gewölben einer uralten Abtei stand. Dieses Stadthaus erhob sich an der Stirnseite eines kleinen Platzes, der von weiteren Fachwerkhäusern gesäumt wurde, die ihr ebenfalls gehörten. Von hier aus unternahm Agatha Simpson ihre Ausflüge in die Unterwelt und legte sich freudig mit jedem an, den sie nicht mochte.

»Wissen Sie denn wenigstens, wer diese Lümmel sind?« stellte die ältere Dame ihre nächste Frage. Sie hielt sich zusammen mit Parker in der imposanten Wohnhalle des Hauses auf.

»Aus einer Brieftasche geht hervor, Mylady, daß der eigentliche Entführer ein gewisser Hank Hasker ist«, erläuterte Josuah Parker, »weiter scheint erwiesen zu sein, daß besagter Hank Hasker Lastwagenfahrer ist und in Lambeth wohnt.«

»Und die beiden Subjekte aus dem Lokal?«

»Sie konnten aus Zeitgründen nicht näher befragt werden, Mylady. Und Sie hatten mit Sicherheit auch keine Brieftaschen bei sich, wie meine Wenigkeit eruieren konnte.«

»Zwei Killer, die man auf dieses arme Kind ansetzt«, meinte Lady Agatha und runzelte die Stirn, »was halte ich davon, Mr. Parker? Fest steht doch wohl, daß ich bereits wieder mal mit einem neuen Kriminalfall zu tun habe, oder?«

»Dies sollte man in der Tat nicht ausschließen, Mylady.«

»Wo steckt die Kleine jetzt?«

»Miß Porter kümmert sich zur Zeit um ihre Freundin.«

»Kann ich dieser Liz Metten, oder wie immer sie auch heißen mag, über den Weg trauen, Mr. Parker?«

»Miß Liz Merton, Mylady«, korrigierte der Butler höflich.

»Sagte ich doch.« Sie sah den Butler streng an. »Ich werde mich mit der Kleinen noch ausführlich unterhalten müssen. Sie wird doch wohl wissen, warum man sie kidnappen wollte ...«

»Davon sollte man ausgehen, Mylady.« Parker deutete eine zustimmende Verbeugung an.

»Zu mir wird sie selbstverständlich mehr Vertrauen haben als zu Ihnen, Mr. Parker. Zudem bin ich natürlich die bessere Psychologin.«

»Daran würde meine Wenigkeit nie zu zweifeln wagen, Mylady.«

»Sie schleppt ein Geheimnis mit sich herum«, mutmaßte die ältere Dame, »wahrscheinlich ist sie die Erbin eines Millionenvermögens, was sie allerdings noch gar nicht weiß. Vor ein paar Tagen erst sah ich einen Kriminalfilm, in dem es ähnlich zuging.«

»Das Leben soll nach Aussagen von Kennern stets die besten Romane schreiben, Mylady.«

»Wem sagen Sie das, Mr. Parker. Nicht umsonst widme ich mich ja der Schriftstellerei.« Sie lehnte sich in ihrem Ledersessel zurück und schloß für einen Moment die Augen. Agatha Simpson hatte tatsächlich vor, einen Bestseller zu schreiben, doch bisher war sie über die Absicht nicht hinausgekommen.

»Wie war das mit dem Ford?« fragte die passionierte Detektivin dann und öffnete wieder die Augen.

»Man stellt zur Zeit fest, wer der Wagenhalter ist, Mylady«, erwiderte der Butler.

»Sehr schön.« Sie stand auf und räusperte sich explosionsartig. »Sobald Sie mehr wissen, Mr. Parker, möchte ich verständigt werden. Dann werde ich dieses Subjekt besuchen und ein paar unangenehme Fragen stellen. Treffen Sie alle erforderlichen Vorbereitungen. Ich möchte später keine Zeit verlieren.«

Parker verbeugte sich, als seine Herrin zur Treppe hinüberging, die ins Obergeschoß des Fachwerkhauses führte. Parker war klar, daß wieder mal mit Tagen zu rechnen war, die turbulent würden. Wenn eine Lady Simpson erst mal aktiv wurde, war sie nicht mehr zu stoppen. Parker verfügte in dieser Beziehung über einschlägige Erfahrungen.

*

Die Detektivin saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und freute sich auf das Zusammentreffen mit Hank Hasker. Der Entführer war identisch mit dem Wagenhalter, wie Josuah Parker herausgefunden hatte. Die Fahrt in Parkers Privatwagen ging hinüber nach Lambeth, wo Hasker wohnte. Der Butler kannte inzwischen die genaue Adresse.

»Ich werde Ihnen gleich demonstrieren, wie man ein Verhör führt«, meinte Lady Agatha, »dazu braucht es natürlich psychologisches Einfühlungsvermögen, Mr. Parker.«

»Mylady können die Lernwilligkeit meiner bescheidenen Person voraussetzen«, entgegnete Josuah Parker.

»Mit etwas Glück werde ich bei diesem Lastwagenfahrer auch die beiden Profis aus dem italienischen Restaurant antreffen.«

»Damit dürfte sogar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu rechnen sein, Mylady. Mr. Hasker wird inzwischen den Verlust seiner Brieftasche registriert haben und daraus gewisse Schlüsse ziehen.«

»Aha, Sie glauben also, daß man mich bereits erwartet?«

»Davon sollten Mylady ausgehen.«

»Dann ist eine tödliche Falle im Spiel?«.

»Man sollte sie unterstellen, Mylady.«

»Sehr schön«, fand sie und nickte wohlwollend, »es wird sich inzwischen auch bei diesen Subjekten herumgesprochen haben, wie erfolgreich ich als Detektivin bin.«

»Dies mit letzter Sicherheit, Mylady.«

»Hoffentlich können Sie mir nette Vorschläge machen, wie ich die Flegel hereinlegen kann, Mr. Parker.«

»Mylady werden sich entscheiden, sobald Mr. Horace Pickett sich zu den örtlichen Gegebenheiten geäußert hat.«

»Der gute Pickett! Er ist wieder mal für mich tätig?«

»Es ist ihm eine Ehre, Mylady.«

»Was ein guter Einfluß doch vermag, Mr. Parker, nicht wahr? Kaum zu glauben, daß Pickett mal Taschendieb war.«

»Ein Meister dieses Faches, Mylady.«

»Und nun steht er auf der richtigen Seite.« Sie nickte versonnen. »Ich werde ihn wieder mal zum Tee einladen, Mr. Parker, erinnern Sie mich daran. Er ist ein gut erzogener und amüsanter Mensch.«

»Meine Wenigkeit möchte sich erkühnen, Mylady vollinhaltlich beizupflichten. Mr. Pickett und einer seiner Bekannten sind so freundlich, das sogenannte Terrain zu sondieren.«

»Eine lobenswerte Idee von Ihnen, Mr. Parker, ihn einzuschalten.«

»Mylady lassen meine bescheidene Person erröten.« Während der Butler dies sagte, verzog sich in seinem Gesicht kein Muskel. Es blieb so glatt und ausdruckslos wie das eines professionellen Pokerspielers.

Parker näherte sich mit dem hochbeinigen Monstrum, wie sein Wagen von Freund und Feind genannt wurde, dem Stadtteil Lambeth. Sein Wagen, ein ehemaliges Londoner Taxi, glich nur rein äußerlich einem betagten Museumsstück. Die Technik befand sich auf dem neuesten Stand, der Wagen war im Grund nichts anderes als eine raffinierte Trickkiste auf Rädern, für viele Überraschungen geeignet. Parker hatte sich den Wagen nach seinen eigenwilligen Vorstellungen umgestalten lassen und hatte dabei viel Phantasie entwickelt.

Nach knapp fünf Minuten verließ Parker die Durchgangsstraße und näherte sich der Region, wo der Kidnapper Hank Hasker wohnte. Als Parker in die bewußte Straße einbog, entdeckte er vor der Auslage eines Zeitungshändlers eine schlanke, hochgewachsene Gestalt. Es handelte sich um Horace Pickett, der etwa sechzig Jahre zählte und an einen pensionierten Offizier erinnerte. Pickett trug einen dunklen Stoffmantel und einen Travellerhut.

Parker hielt, verließ den Wagen und schritt auf den Kiosk zu. Er kaufte einige Zeitungen, entfaltete ein Blatt und blieb in Picketts Nähe stehen, der bereits in einer Zeitung las.

»Zwei Profis sitzen drüben in einer Teestube«, sagte Pickett, wobei er kaum seine Lippen bewegte, »und Hank Hasker hat Stellung in einer Nachbarwohnung bezogen. Ich habe ihn an der Beschreibung sofort erkannt. Er hofft wohl, daß Sie sich Zutritt zu seiner Wohnung verschaffen.«

»Sie sind allein, Mr. Pickett?« fragte der Butler.

»Eine meiner Bekannten sitzt in der Teestube.«

»Mylady dankt Ihnen bereits jetzt für die geleistete Vorarbeit«, meinte der Butler, »Sie sollten ab sofort Zurückhaltung üben, Mr. Pickett, und sich nur einschalten, wenn Sie das Gefühl haben, unbedingt gebraucht zu werden.«

»Ich werde in der Nähe sein, aber erst mal unsichtbar bleiben«, erwiderte der ehemalige Taschendieb, der die Zeitung zusammenschlug und sich in Bewegung setzte. Parker stieg zurück in seinen Wagen und fuhr fort. Er passierte die Teestube, die dem Haus gegenüberlag, das er aufzusuchen gedachte. Parker wendete am Ende der Straße. Vor dem bewußten Haus hielt er und öffnete den hinteren Wagenschlag. Agatha Simpson, die von Parker natürlich bereits ins Bild gesetzt worden war, brachte ihren perlenbestickten Pompadour umgehend in leichte Schwingung. Sie konnte es kaum erwarten, den Glücksbringer in Aktion zu setzen, der sich im Handbeutel befand.

*

Bei diesem sogenannten Glücksbringer handelte es sich um ein Pferdehufeisen von beachtlicher Größe und daher auch Schwere. Es war nur oberflächlich in dünnen Schaumstoff verpackt und verursachte die Wirkung eines auskeilenden Pferdes, falls Mylady sich veranlaßt sah, diesen Glücksbringer einzusetzen. Sie handhabte den Pompadour, der an langen Lederriemen am linken Handgelenk hing, mit außerordentlicher Kraft und Geschicklichkeit. Da sie dem Hobby des Sportbogenschießens und dem Golf huldigte, war ihre entsprechende Muskulatur sehr gut ausgebildet.

An all das dachte Parker natürlich nicht, als er die Treppe hinaufstieg. Anhand der Namensschilder am Klingelbrett hatte er sich kurz orientiert und wußte, wo Hank Hasker wohnte. Man mußte in die zweite Etage. Im Treppenhaus roch es penetrant nach Feuchtigkeit und frischer Farbe.

Auf dem Treppenabsatz der zweiten Etage entdeckte der Butler den Grund für diesen fast beleidigenden Geruch. In einer Ecke standen Eimer und Kübel, waren Farbrollen und Blechkanister abgestellt worden. Man war dabei, das Treppenhaus zu streichen, doch die betreffenden Handwerker waren weit und breit nicht zu sehen.

Parker legte seinen schwarz behandschuhten Zeigefinger auf den Klingelknopf und trat abwartend zurück, obwohl er von Pickett erfahren hatte, daß der Lastwagenfahrer nicht in seiner kleinen Wohnung war. Parker wußte, daß man Lady Simpson und ihn beobachtete, spielte die von ihm erwartete Rolle also erst mal durch.

»Mr. Hasker scheint nicht zu Hause zu sein, Mylady«, meldete er nach wenigen Augenblicken.

»Sehr schön«, freute sich die ältere Dame, »Sehen Sie nach, ob dieses Subjekt die Tür wirklich geschlossen hat, Mr. Parker. Es kann ja sein, daß er etwas nachlässig war.«

»Wie Mylady befehlen.« Parker holte sein Patentbesteck aus einer Tasche seines Zweireihers und unterhielt sich auf seine Weise kurz mit dem an sich recht guten und komplizierten Schloß. Es ging sofort auf seine Vorstellungen und Anregungen ein und öffnete sich willig. Parker drückte mit der Spitze seines Regenschirmes das Türblatt auf und horchte in die Wohnung.

»Einem Nähertreten, Mylady, dürfte nichts im Weg stehen«, sagte er dann und trat zur Seite. Seine Herrin nickte und stürmte förmlich in die Wohnung. Sie brannte darauf, sich mit dem Kidnapper gründlich zu unterhalten. Parker folgte, zog hinter sich die Tür zu, wartete einen Moment und öffnete dann wieder. Er blieb neben der benachbarten Tür stehen, und es dauerte nur Sekunden, bis sie geöffnet wurde.

Hank Hasker erschien auf der Bildfläche und war sich seiner Sache völlig sicher. Er hielt eine schallgedämpfte Automatik in Händen und pirschte an die Tür zu seiner Wohnung. Er legte das Ohr gegen das Türblatt, zog dann einen Schlüssel aus der Hosentasche und sperrte vorsichtig auf. Er rechnete fest damit, Lady Simpson und Butler Parker überraschen zu können. Er kam nicht auf den Gedanken, sich umzuwenden. Parker stand genau hinter ihm und hatte seinen Universal-Regenschirm bereits gehoben. Der Butler wollte sich auf nichts einlassen und keine Möglichkeit geben, einen Schuß abzufeuern. Daher verzichtete Parker auch darauf, sich in seiner höflichen Art bemerkbar zu machen. Sicherheit hatte jetzt Vorrang.

Parker klopfte bei Hank Hasker kurz an.

Der Kidnapper blieb wie versteinert stehen, ließ einen tiefen Seufzer vernehmen und schraubte sich dann nach unten zu Boden. Bevor er auf ihm landete, wurde er von Parker aufgefangen. Dabei nahm der Butler die gefährliche Schußwaffe an sich, klopfte noch mal an, doch diesmal bei Lady Simpson, die in Haskers Wohnung gewartet hatte. Sie öffnete die Tür, faßte den Breitschultrigen am Kragen und zerrte ihn in die Wohnung. Dabei funkelten ihre Augen unternehmungslustig.

Parker horchte nach unten ins Treppenhaus und hörte leise, schnelle Schritte.

Die beiden Profis waren demnach bereits in Anmarsch. Sie hatten die Teestube verlassen und wollten Hasker Hilfestellung geben. Parker war bereit, wieder mal zu improvisieren und sie entsprechend zu empfangen. Dicht neben ihm standen ja einige Gegenstände, die man zweckentfremdend einsetzen konnte...

*

Der erste Profi färbte sich rosa.

Butler Parker hatte einen der Farbkübel nach unten geschickt und dafür gesorgt, daß die Binderfarbe während des Fluges den Behälter bereits verließ. Klatschend landete der Farbguß auf dem Kopf des völlig verdutzten Mannes und verschloß ihm die Augen.

Der zweite Profi wollte sich blitzschnell absetzen und die Flucht ergreifen, doch Parker, der mit dieser Reaktion gerechnet hatte, arbeitete mit einem gewissen Vorhaltewinkel und nickte andeutungsweise, als die Farbe aus dem zweiten Kübel genau im Gesicht des Flüchtenden landete. Der zweite Profi hatte nämlich prüfend nach oben geblickt und so sein Gesicht zur Landefläche der Farbe förmlich angeboten.

Es handelte sich um weiße Binderfarbe.

Der Mann wischte sich verzweifelt durch’s Gesicht, weil auch er nichts sehen konnte. Dabei kollidierte er mit seinem Partner, der sich ebenfalls mit seinen Augen befaßte. Sie behinderten sich gegenseitig, rutschten auf der Farbe aus und hielten sich krampfhaft aneinander fest. Dabei vermischten sich beide Binderfarben und schufen ein interessantes pinkfarbenes Muster.

Keiner der Profis war in der Lage, Gebrauch von der Schußwaffe zu machen. Man saß inzwischen auf dem schlüpfrigen Boden, versuchte aufzustehen und landete doch immer wieder auf dem Boden des Treppenabsatzes. Parker konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, Augenzeuge eines eigenwilligen Balletts zu sein. Nach einigen recht gewagt wirkenden Tanzschritten verloren die Profis allerdings an Konzentration und trudelten übereinander die Treppe hinab. Für den Butler war damit die private Vorstellung beendet. Er klopfte an und bat um Einlaß. Seiner Schätzung nach beeilten die beiden Kerle sich jetzt, in ihren Wagen zurückzukommen, um den Schauplatz der Panne schleunigst zu verlassen. Horace Pickett, jetzt auf der Seite des Rechts, würde die beiden Männer wie geplant verfolgen.

Lady Agatha öffnete und lächelte in einer Art, die man nur als boshaft bezeichnen konnte.

»Dieser Lümmel wollte mich angreifen«, sagte sie, »das muß man sich mal vorstellen, Mr. Parker. Er wollte eine wehrlose Frau attackieren.«

»Mylady verbaten sich diesen Versuch?«

»Worauf Sie sich verlassen können.« Sie nickte. »Dieser Lümmel fingert jetzt an seinem Unterkiefer herum ... Aber kommen Sie, Mr. Parker, sehen Sie sich das an!«

Parker folgte seiner Herrin in einen kleinen, unaufgeräumten Wohnraum, dessen Mobiliar mehr als nur gebraucht und zusätzlich noch verschlissen war. Hank Hasker saß vor einem Polstersessel und beschäftigte sich voller Hingabe mit seinem Unterkiefer. Er blickte scheu und ärgerlich zu Lady Simpson, zog die Beine an und hob abwehrend die rechte Hand.

»Stop, Lady«, sagte er mühsam und nuschelnd, »ich hab’ die Schnauze voll. Mir reicht’s.«

»Wagen Sie es nicht noch mal, mich schlagen zu wollen«, drohte die ältere Dame, »das heißt, von mir aus können Sie es ruhig erneut versuchen. Ich warte nur darauf!«

»Mir reicht’s«, wiederholte Hasker.

»Sie haben sich eindeutig Myladys Unwillen zugezogen«, schickte Josuah Parker höflich voraus, »Sie sollten alles tun, Mylady wieder versöhnlich zu stimmen.«

»Bin ich ein blöder Hund«, nuschelte Hasker, »wieso hab’ ich mich auf sowas eingelassen.«

»Mylady will in Erfahrung bringen, von wem Ihre sogenannte Arbeitskraft gekauft wurde«, sagte Josuah Parker.

»Vom Henker«, kam prompt die Antwort, »ob Sie’s glauben oder nicht, vom Henker!«

»Und was stelle ich mir darunter vor?« fragte die Detektivin.

»Keine Ahnung, Lady«, antwortete Hank Hasker recht undeutlich, was eindeutig mit seinem leicht verrenkten Unterkiefer zu tun hatte, »ich weiß nur, daß er der Henker heißt.«

»Und in welcher Form nahm dieser Henker Kontakt mit ihnen auf?« lautete Parkers nächste Frage.

»Der hat mich hier angerufen«, entgegnete Hasker prompt, »er wollte mich angeblich aus dem ›Einhorn‹ kennen.«

»Dabei handelt es sich wohl um einen Pub, nicht wahr?«

»Hier am Ende der Straße«, bestätigte Hasker, »hören Sie, ich sollte die Kleine nur zu ’nem Treff bringen, nicht mehr. Sie glauben doch wohl nicht, daß ich sie umbringen wollte, oder?«

»Und wo sollten Sie Miß Liz Merton abliefern, um auch dies zu klären?«

»Wagen Sie es nur nicht, mich etwa anzulügen«, warnte die ältere Dame grollend.

»Ich bin bedient, Lady«, versicherte der Kidnapper hastig, »ich sollte die Kleine aufs Land schaffen, nach Croydon. Da sollte ich sie in ’nem Landhaus absetzen und dann wieder verschwinden.«

»Die genaue Adresse, Sie Lümmel!« Agatha Simpson hoffte, wie man deutlich sah, ihren Glücksbringer im Pompadour erneut einsetzen zu können. Doch Hank Hasker war daran überhaupt nicht interessiert. Er beeilte sich, die Adresse zu nennen.

*

»Sie sehen, Mr. Parker, man muß nur höflich fragen«, sagte die ältere Dame, die im Fond des hochbeinigen Monstrums saß, »nur so bekommt man ehrliche Antworten.«

»Mylady sind ein leuchtendes Vorbild und Beispiel«, erwiderte Parker, der den Wagen steuerte.

»Ich weiß, ich weiß«, meinte sie wohlwollend, »aber lenken Sie nicht ab. Was stelle ich mir unter diesem Henker vor?«

»Dabei dürfte es sich um einen Spitznamen handeln, Mylady, der allerdings zu denken gibt.«

»Ich frage mich immer wieder, warum man Kathys Freundin kidnappen wollte«, redete die ältere Dame weiter, »man sollte umgehend feststellen, aus welcher Familie sie stammt. Ich bleibe dabei, sie ist eine Millionenerbin, die man ausschalten will.«

»Miß Porter und Mr. Rander gehen Myladys Anregung bereits nach«, versicherte der Butler höflich, »Mylady denken aber sicher auch an den Arbeitsplatz, den Miß Merton einnimmt.«

»Ich denke an alles«, behauptete sie, »was ist mit diesem Arbeitsplatz? Ich bin gespannt, ob Sie ebenfalls so mißtrauisch sind wie ich.«

»Miß Merton arbeitet als Sekretärin in einem Inkasso-Büro«, erinnerte der Butler, der natürlich genau wußte, daß seine Herrin dies längst vergessen hatte.

»Und das läßt aufhorchen«, erwiderte die ältere Dame sicherheitshalber, ohne sich aber festzulegen.

»Miß Merton könnte Einblicke in gewisse Berufspraktiken gewonnen haben.«

»Könnte, Mr. Parker? Sie hat!« Lady Agatha nickte bedeutungsschwanger.

»Man muß sich auch mit Mr. Brett Crickle befassen, wie Mylady bereits andeuteten.«

»Crickle? Wer ist denn das schon wieder?« Sie war ein wenig irritiert.

»Mr. Brett Crickle ist der Besitzer des erwähnten Inkasso-Büros, Mylady.«

»Richtig.« Sie tat sofort so, als erwähnte man etwas, was sie längt schon wußte.

»Mylady planen sicher, Mr. Crickle einen Besuch abzustatten.«

»Aber selbstverständlich.« Sie nickte nachdrücklich. »Ich werde jeder Spur nachgehen, Mr. Parker, das wissen Sie doch. Darum will ich ja jetzt auch nach Croydon und mir dieses Landhaus ansehen. Mit etwas Glück werde ich dann dort den Henker erwischen.«

»Der inzwischen bereits möglicherweise weiß, daß sein Anschlag auf Mylady mißglückte.«

»Ich hätte diesen Hasker mitnehmen sollen«, entgegnete die ältere Dame leicht grollend.

»Mylady waren aber sofort der Ansicht, daß dieser Kidnapper eine unwichtige Person ist«, erwiderte Parker.

»Das stimmt allerdings«, lautete Myladys Antwort, »er hätte mich jetzt nur gestört.«

Sie räkelte sich in den Polstern zurecht und war zufrieden mit sich. Sie hatte einige erfreuliche Abwechslungen gehabt und hoffte, daß diese Serie nicht plötzlich abriß. Daher hatte sie darauf bestanden, nach Croydon zu fahren. Insgeheim hoffte sie, den Henker dort anzutreffen.

»Werde ich eigentlich verfolgt?« fragte sie nach einer Weile.

»Bedauerlicherweise ist dies nicht der Fall, Mylady«, meldete Josuah Parker, der immer wieder in die Außenspiegel geblickt hatte, »aber möglicherweise wartet der Henker bereits im Landsitz.«

»Das wäre nicht schlecht«, hoffte Agatha Simpson, »dann wird er mir Rede und Antwort stehen müssen, Mr. Parker.«

»Sehr wohl, Mylady.« Parker nickte nur andeutungsweise und gab sich wieder seinen Überlegungen hin. Natürlich glaubte er nicht daran, daß Liz Merton die Erbin eines Millionenvermögens war. Dies war seiner Ansicht nach zu weit hergeholt. Aber sie mußte eine wichtige Schlüsselfigur sein, sonst hätte man ja nicht einen Kidnapper und zwei Profis auf sie angesetzt. Liz Merton mußte also, bewußt oder unbewußt, im Besitz von Informationen sein, die diesen Einsatz rechtfertigten.

Die Frage war allerdings, warum man die junge Frau angeblich seit vierzehn Tagen telefonisch belästigte und terrorisierte. Oder hatte Liz Merton sich dies nur aus den Fingern gesogen, um von der richtigen Spur abzulenken? Hatte sie früher mal Kontakt zur Unterwelt gehabt? War sie die Freundin eines Gangsters gewesen?

Fragen, die geklärt werden mußten.

*

Das Landhaus war nichts anderes als eine etwas zu groß geratene Farm in einer Wiesensenke, von sattgrünen Weiden umgeben. Sie machte einen unbewohnten Eindruck, wie Butler Parker feststellte. Er hielt ein schon recht bejahrtes Fernrohr aus Messing in Händen, das er teleskopartig auseinandergeschoben hatte.

»Die Fensterläden sind geschlossen und teilweise durch quer angebrachte Bretter zusätzlich vernagelt«, meldete der Butler. Man hatte das Ziel erreicht, das der Kidnapper bezeichnet hatte.

»Natürlich wartet man dort auf mich«, sagte die ältere Dame, »eine Lady Simpson kann man nicht täuschen, Mr. Parker.«

»Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, Mylady, dies auch nur ansatzweise versuchen zu wollen«, gab der Butler zurück.

»Ich lasse Ihnen freie Hand«, redete die Detektivin munter weiter, »Ich verlange nur, daß ich die Subjekte, die sich im Haus befinden, überraschen kann.«

Parker provozierte etwa vorhandene Kriminelle.

Er fuhr näher an das Farmhaus heran, stoppte und langte nach seiner zusammenlegbaren Gabelschleuder. Er steckte sie mit wenigen Handgriffen zusammen und verfügte über eine äußerst wirkungsvolle Waffe. Vom Prinzip her handelte es sich dabei um eine Steinschleuder, wie sie noch immer von Jungen aus kleinen Astgabeln geschnitten werden. Parker hatte das nicht ungefährliche Gerät natürlich weiterentwickelt und verstand es meisterhaft, damit umzugehen. Aus einer seiner vielen Westentaschen holte er ein Spezialgeschoß. Dabei handelte es sich um eine perforierte Plastikkapsel, in der sich eine kleine Glasampulle befand, die mit einer wasserklaren Flüssigkeit gefüllt war.

Parker legte dieses Geschoß in die Lederschlaufe, strammte die beiden Gummistränge und setzte die Kapsel dann vor der Haustür des Farmhauses ab. Obwohl die Distanz vom hochbeinigen Monstrum bis zum Haus gut und gern sechzig Meter betrug, landete das Geschoß genau dort, wohin der Butler es plazieren wollte.

Sekunden später breitete sich eine kompakte Nebelwand aus, die die gesamte Vorderfront des Hauses einhüllte.

»Was soll denn das, Mr. Parker?« wollte die ältere Dame wissen, »ich kann ja überhaupt nicht mehr sehen, was sich da im Haus tut.«

»Ähnlich werden auch die Bewohner der Farm empfinden, Mylady. Während man sich also auf die Vorderfront konzentriert, werden Mylady nach einem kleinen Umgehungsmanöver sich dem Haus von der Rück- oder Seitenfront nähern.«

»Das dachte ich mir schon«, behauptete sie umgehend, »man muß seine Gegner stets verwirren, Mr. Parker. Sie sollten sich das merken.«

»Sehr wohl, Mylady.« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos. Er ließ das hochbeinige Monstrum wieder anrollen, fuhr näher an das Farmhaus heran, schlug dann einen Bogen, gab Vollgas und wischte mit seinem Privatwagen um die linke Stirnseite des Gebäudes. Er hielt vor einem Hinterausgang an und verschanzte sich nach dem Aussteigen neben einem schmalen Fenster. Er brauchte nicht lange zu warten.

Einige Augenblicke später erschien der kurze Lauf einer abgesägten Schrotflinte im Fenster. Dieser Lauf wurde vorsichtig weiter geschoben und auf das hochbeinige Monstrum gerichtet, in dem Agatha Simpson saß.

Gewiß, die ältere Dame hatte nichts zu befürchten. Der Wagen war diskret gepanzert, die Scheiben schußsicher. Dennoch, Parker wollte es nicht zulassen, daß der schwarze Lack seines Gefährts mißhandelt wurde. Er holte mit dem bleigefüllten Griff seines Universal-Regenschirms aus und setzte ihn schwungvoll auf die Mündung des Gewehrs.

Ein unterdrückter Aufschrei war das Resultat...

Parker hatte das Gewehr nachdrücklich zurückgetrieben und auf diese Art den potentiellen Schützen außer Betrieb gesetzt. Der Butler ging zur Hintertür und brauchte nur wenige Sekunden, bis er das Schloß überrumpelt hatte. Parker drückte die Tür auf und betrat eine Art Waschküche. Er sah den Mann, der das Schrotgewehr gehalten hatte. Dieser Mann fingerte behutsam an seiner Nase herum, die blutete und einen durchaus windschiefen Eindruck machte. Das Gewehr mit dem abgesägten Lauf lag auf dem Steinfußboden.

»Man wünscht einen passablen guten Tag«, sagte Parker und lüftete andeutungsweise die schwarze Melone, »würden Sie freundlicherweise sagen, wie viele Mitbewohner sich vorn im Haus befinden?«

»Zwei«, sagte der restlos verblüffte Mann. Er starrte den Butler an, als hätte er es mit einem Bewohner eines fremden Sterns zu tun.

»Mein Dank sei Ihnen gewiß.« Parker nickte und hielt auf die geöffnete Verbindungstür zu. Mit der Spitze seines Schirmes stieß er das Schrotgewehr unter einen schweren Holzbottich, der auf einem niedrigen Dreibein stand. Damit war die Waffe unerreichbar für den Mann.

»Sie werden draußen erwartet und sollten Mylady nicht unnötig warten lassen«, meinte der Butler dann von der Verbindungstür her, »befleißigen Sie sich bester Manieren, wenn Sie Myladys Unwillen nicht erregen wollen.«

Der Mann nickte hastig und wischte nach draußen.

Er schien direkt in den schwingenden Pompadour der älteren Dame gelaufen zu sein, denn Parker hörte ein dumpfes Klatschen, dem ein satter Niederschlag folgte.

*

»Nun ja, das sieht ja recht zufriedenstellend aus«, fand Agatha Simpson und blickte auf die beiden Männer, die im Wohnraum des Farmhauses auf dem Holzfußboden saßen und einen etwas geistesabwesenden Eindruck machten. Parker hatte sie mit leichter Hand unter Einsatz seines Schirmes außer Gefecht gesetzt. Er war gerade dabei, die Überwältigten miteinander zu verschnüren und benutzte dazu einen langen Hanfstrick, den er an der Wand neben der offenen Feuerstelle gefunden hatte.

»Wurden Mylady attackiert?« erkundigte sich Parker.

»Dieser Lümmel versuchte es«, erwiderte die ältere Dame, »aber ich habe ihm sofort Manieren beigebracht.«

»Darf man fragen, wo dieser Mann sich zur Zeit befindet?«

»Ich habe ihn in einen Wandschrank gesteckt«, sagte Lady Agatha,, »ich denke, er wird es inzwischen kapiert haben, Mr. Parker.«

Sie nahm die Schußwaffen in die Hand, die den beiden Männern in der Wohnküche gehört hatten. Es handelte sich um zwei moderne, kurzläufige Revolver, die jetzt auf dem Küchentisch lagen.

»Haben die beiden Subjekte bereits ein erstes Geständnis abgelegt?« wollte Agatha Simpson wissen.

»Dazu waren die Herren bisher noch nicht in der Lage, Mylady. Aber man scheint sich bereits in einer Phase erster Erholung zu befinden.«

»Sie sollen sich beeilen, sonst werde ich ihnen Beine machen«, grollte sie, »ich hatte also recht, Mr. Parker: Man erwartete mich hier und wollte mich ermorden.«

»So könnte man diesen erheblichen Aufwand an krimineller Energie interpretieren, Mylady.«

»Ich denke, ich werde den Kreislauf der beiden Flegel etwas anheben«, erklärte die Detektivin, »sanfte Ohrfeigen sollen da sehr wirksam sein.«

Sie bückte sich und massierte den Kreislauf der Männer, die nach den ersten Ohrfeigen ausgesprochen munter wurden und die energische Dame entgeistert anstarrten.

»Jetzt dürfte es wieder gehen«, stellte Agatha Simpson zufrieden fest, »sehen Sie doch, Mr. Parker, die beiden Subjekte haben wieder eine gesunde Gesichtsfarbe.«

»Wie nach einem anregenden Fußmarsch«, pflichtete der Butler ihr bei.

»Ich erwarte Geständnisse«, schickte die Lady voraus und widmete sich den Männern. Sie baute sich vor ihnen auf und entdeckte dann an der Wand eine Fliegenklatsche, die sie sofort in die rechte Hand nahm.

»Mylady möchte in Erfahrung bringen, meine Herren, auf welche Rechnung Sie hier auf wen warteten«, ließ Josuah Parker sich in seiner höflichen Art vernehmen.«

»Ich möchte nicht, ich will!« Agatha Simpson korrigierte ihren Butler und schlug mit der Fliegenklatsche prüfend durch die Luft. Die überrumpelten zogen unwillkürlich die Köpfe ein und machten einen nervösen Eindruck.

»Sie kennen die Frage«, erinnerte Parker gemessen, »Sie sollten sich einer schnellen und umfassenden Antwort befleißigen.«

Butler Parker 157 – Kriminalroman

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