Читать книгу Butler Parker 155 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3
ОглавлениеButler Parker hielt seine Nerven unter Kontrolle.
Er stand auf einem Parkplatz und blickte zur Brüstung eines Flachdaches, das gut und gern fünfzehn Meter hoch war. Er beobachtete mit Interesse die junge Frau, die dort oben stand und alle Anstalten traf, sich in die Tiefe zu stürzen.
Sie sah selbst aus dieser Entfernung noch attraktiv aus, trug schulterlanges, blondes Haar und ein Kleid, das tief eingerissen war. Die Selbstmordkandidatin sah sich wie gehetzt um, sie schien offensichtlich verfolgt zu werden.
Entsprechende Typen erschienen gerade links auf dem Flachdach. Es handelte sich um zwei Männer in schwarzer Lederkleidung, die mit Ziernieten übersät war. Sie lachten auf gemeine Art und schoben sich langsam an die ängstliche Frau heran, für die es kein Entweichen zu geben schien.
»Bleibt stehen«, schrie sie und streckte abwehrend die Arme aus, »bleibt stehen, oder ich springe!«
Die Antwort der Männer bestand in einem Lachen, das man nur als niederträchtig bezeichnen konnte. Parker war fast versucht, nach seiner Geheimwaffe zu greifen, nämlich der Gabelschleuder, die sich in der Innentasche seines schwarzen Covercoats befand.
Doch dann verzichtete er und beobachtete weiter die Szene, von der eine gewalttätige Faszination ausging.
Die beiden Männer kamen immer näher. Die junge Frau zog sich zurück und hatte nicht mehr viel Spielraum. Noch wenige Meter, und sie erreichte eine Brandmauer, die sie nicht erklimmen konnte.
»Ich ... Ich springe!« drohte die Frau mit verzweifelt klingender Stimme.
»Guten Flug«, antwortete einer der beiden Männer und zeigte ihr das Messer, das er in der linken Hand hielt.
»Mach’s doch«, fügte der zweite Mann hinzu.
Parkers Gesicht blieb ausdruckslos wie das eines Pokerspielers. Es zeigte keine Regung. Der Butler ließ sich von der Dramatik der Szene einfangen, wie auch die übrigen Zuschauer auf dem Parkplatz.
»Worauf wartest du denn noch?« höhnte der erste junge Mann und hatte die blonde junge Frau fast erreicht. Er wagte einen kleinen Sprung nach vorn und fiel mit dem Messer aus. Sein Opfer wich noch mal zurück, strauchelte aber dabei und schien das Gleichgewicht zu verlieren. Man hörte einen entsetzten Schrei. Die junge Frau kämpfte mit dem Gleichgewicht, glitt mit dem rechten Fuß von der Brüstung ab und rettete sich im letzten Augenblick an der hoch aufsteigenden Brandmauer. Damit aber hatte sie nun keinen Spielraum mehr.
Die Verfolger genossen ihre Überlegenheit und nahmen sich Zeit. Sie riefen sich etwas zu, was Parker jedoch nicht verstand. Dann schienen sie Schluß machen zu wollen, drückten sich ab und liefen auf die Verzweifelte zu, die nun nach unten auf den Parkplatz blickte und sich nicht entschließen konnte, auch tatsächlich zu springen.
Es war ein Sprung in den Tod, wie man sich leicht ausrechnen konnte. Die beiden Männer waren nahe heran und streckten beide ihre Hände nach dem Opfer aus. Genau in diesem Moment drückte die junge Frau sich von der Ziegelmauer ab und ... sprang nach unten.
Sie breitete weit die Arme aus, als gäbe es doch noch eine Möglichkeit, dem tödlichen Aufprall zu entgehen. Dann überschlug sie sich fast elegant im Flug und prallte auf.
Parker war nicht in der Lage, den Blick abzuwenden.
Die junge Frau landete in einem gewaltigen Luftkissen, das über ihrem Körper zusammenschlug. Wenige Sekunden später stand sie schon wieder auf den Beinen und winkte lächelnd nach allen Seiten.
Beifall prasselte auf. Josuah Parker, der hochherrschaftliche Butler, rührte ebenfalls seine schwarz behandschuhten Hände und spendete Beifall, wenn auch gemessen und durchaus zurückhaltend. Die Blonde rutschte inzwischen über die hohe Kante des Luftkissens und wurde hier von einigen Männern in Empfang genommen, die ihr gratulierten.
Josuah Parker wandte sich um und schritt dann hinüber zu der Kamera, die diese Szene aufgenommen hatte. Er ging um sie herum, kümmerte sich nicht weiter um den Regisseur und die Aufnahme-Crew, sondern trat auf ein Wohnmobil zu, dessen Tür geöffnet war. Hier wartete er auf die junge Frau, die sich gerade mit dem Regisseur unterhielt. Es dauerte einige Zeit, bis sie sich endlich von ihm löste und auf Parker zukam.
Parker lüftete höflich seine schwarze Melone, als die Blonde ihn erreichte. Sie blieb wie angewurzelt stehen und machte einen völlig verblüfften Eindruck. Sie stand einem alterslos erscheinenden Mann gegenüber, der die Andeutung eines leichten Bauches zeigte und rabenschwarze Kleidung trug. Am angewinkelten linken Unterarm hing ein altväterlich gebundener Regenschirm.
»Parker mein bescheidener Name«, stellte der Butler sich vor, »Josuah Parker. Hat man die Ehre mit Miß Ann Lomings?«
»Ann Lomings«, erwiderte sie und nickte. »Was kann ich für Sie tun?«
»Mr. Horace Pickett empfahl Ihnen meine Wenigkeit, wenn ich nicht sehr irre, Miß Lomings.«
»Sie sind dieser Mr. Parker?« Sie schaute den Butler verdutzt an und lächelte dann ungläubig.
»In der Tat«, antwortete Parker, »laut Mr. Pickett scheint es Dinge in Ihrem gegenwärtigen Leben zu geben, die Sie ein wenig irritieren, wenn man es mal so ausdrücken darf.«
»Das haben Sie sehr schön gesagt«, meinte sie ironisch-bitter, »ich bin tatsächlich ein wenig irritiert. Man will mich nämlich umlegen!«
*
»Sollte es tatsächlich Dinge geben, die Sie in Angst und Schrecken versetzen können?« wunderte sich Josuah Parker andeutungsweise. Er deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf das Flachdach.
»Ach so, das meinen Sie?« Sie zuckte die Achseln und lächelte flüchtig, »das ist schließlich mein Beruf, Mr. Parker. Sie wissen ja wohl von Mr. Pickett, daß ich Stunts mache, nicht wahr?«
»Sie sind das, was der Laie wohl einen weiblichen Stuntman nennen würde?«
»Richtig«, bestätigte sie, »hat es Ihnen übrigens gefallen?«
»Meine Wenigkeit war versucht, helfend einzugreifen«, antwortete Josuah Parker in ehrlicher Bewunderung.
»Wie nett«, meinte sie schon wieder ironisch, »ich frage mich allerdings, wie Sie das hätten schaffen wollen.«
»Nun, es gibt Mittel und Wege, um auch aus gewisser Distanz intervenieren zu können, Miß Lomings.«
»Sie glauben also, Mr. Parker, mir helfen zu können?« Skepsis war in ihrer Stimme.
»Mr. Pickett deutete an, daß Sie sich bisher nicht an die zuständigen Behörden gewandt haben.«
»Wie, bitte, will die Polizei mir helfen?« erwiderte sie. »Eine Leibwache kann sie mir schließlich nicht stellen, oder? «
»Die erwähnte Polizei könnte aber nach jenem Phantom fahnden, das Ihnen nach dem Leben trachtet.«
»Ich könnte der Polizei noch nicht mal sagen, wer verdächtig ist«, äußerte Ann Lomings, »ich habe selbst keine Ahnung. Ich weiß nur, daß ich per Telefon seit einigen Tagen belästigt werde. Und dazu kommen dann noch diese Drohbriefe.«
»Die meine Wenigkeit vielleicht einsehen dürfte?«
»Sie trauen sich wirklich zu, mir helfen zu können?« Sie musterte den Butler ungeniert und lächelte plötzlich nicht mehr ironisch.
»Möglicherweise erzählen Sie meiner Wenigkeit, was sich bisher ereignet hat«, schlug Josuah Parker gemessen vor, »zudem sollte man wissen, wer bisher von diesen Morddrohungen weiß.«
»Kommen Sie mit in den Wagen«, sagte sie, »ich werde Ihnen die Briefe zeigen, Mr. Parker. Sie sind wirklich nur ein Butler? «
»In Diensten der Lady Simpson«, bestätigte Josuah Parker.
»Und Sie beschäftigen sich mit der Aufklärung von Kriminalfällen?«
»Wie es sich ergibt«, erklärte der Butler, »Mr. Pickett gegenüber bin ich zu Dank verpflichtet.«
Parker betrat das Wohnmobil und blickte sich unauffällig um. Das Innere des Wagens war sachlich eingerichtet und aufgeräumt. Im hinteren Teil gab es einen großen Schminktisch, der auf Ann Lomings’ Beruf hinwies.
Parker hatte sich natürlich bereits informiert. Er wußte, daß die junge Blondine ein bekanntes und begehrtes Double für weibliche Schauspieler war. In Film- und Fernsehkreisen hatte sie einen Namen. Man sagte Ann Lomings nach, daß sie kein Risiko scheute, um einen guten Stunt abzuliefern.
»Nehmen Sie Platz.« Sie deutete auf eine kleine Sitzecke hinter dem Fahrersitz, »möchten Sie etwas trinken?«
»Danke, nein.« Parker schüttelte unmerklich den Kopf. »Wer von Ihren Freunden und Bekannten weiß von den Morddrohungen, um diese Frage noch mal aufzugreifen?«
»Ich habe bisher keinen Menschen eingeweiht, nur eben Pickett«, entgegnete sie, »ich lernte ihn vor Monaten bei Außenaufnahmen kennen. Mr. Pickett war dort als Berater tätig.«
»Meine Wenigkeit hörte andeutungsweise davon«, erwiderte Josuah Parker, »und seit wann droht man Ihnen mit dem baldigen Tod?«
»Seit genau einer Woche«, antwortete Ann Lomings, »zuerst kamen die Anrufe, dann die Briefe. Hören Sie, Mr. Parker, mißverstehen Sie mich bitte nicht, aber trauen Sie sich tatsächlich zu, diesen Kerl zu fassen?«
»Sie gehen davon aus, Miß Lomings, daß es sich um einen Mann handelt?« fragte Parker.
»Nein, das will ich damit nicht gesagt haben«, erwiderte sie sofort und schüttelte den Kopf, »auf der anderen Seite kann ich mir allerdings nicht vorstellen, daß eine Frau solche Mordbriefe verfaßt haben könnte.«
»Briefe, die Sie meiner Wenigkeit sicher zeigen können, Miß Lomings.«
»Natürlich.« Sie öffnete einen Wandschrank neben dem großen Schminkspiegel und ... stutzte dann sichtlich.
»Sie vermissen offensichtlich die gerade erwähnten Schreiben«, stellte Josuah Parker gemessen fest.
»Tatsächlich«, gab sie zurück und wandte sich ihm zu. Ihr Gesicht schien ratlos, »ich weiß genau, daß die Briefe hier im Wandschrank waren ... Ich weiß es ganz genau!«
»Der Absender, ob männlich oder weiblich, scheint sie wieder an sich genommen zu haben«, glaubte Parker.
»Anders kann ich es mir nicht vorstellen.« Ann Lomings nickte.
»Sie sollten sich darüber keine unnötigen Gedanken machen«, schlug Josuah Parker vor, »man kann und muß wohl davon ausgehen, Miß Lomings, daß Ihr Wohnmobil jedem Besucher offen steht?«
»Natürlich schließe ich nie ab«, antwortete sie, »wir sind hier ja eine große Familie, verstehen Sie, Mr. Parker?«
»Dennoch scheint diese große Familie das aufzuweisen, was man gemeinhin und im Volksmund ein schwarzes Schaf zu nennen pflegt«, entgegnete der Butler.
»Aber wer sollte das sein?« Sie hob ratlos die Schultern. »Ich glaube wirklich nicht, daß ich Feinde habe. Ich tu’ doch keinem Menschen etwas. Ich nehme keinem etwas weg.«
»Wenn Sie erlauben, wird meine Wenigkeit sich um das eben erwähnte schwarze Schaf kümmern«, fuhr Parker fort.
»Mißverstehen Sie mich bitte nicht«, wiederholte sie, »aber glauben Sie wirklich, daß Sie es schaffen werden? Bitte, das soll kein Mißtrauen sein.«
»Sie sollten sich alles noch mal gründlich durch den Kopf gehen lassen«, schlug Parker vor, lüftete die schwarze Melone und stieg aus dem Wohnmobil, »meine Adresse haben Sie ja, Miß Lomings. Fühlen Sie sich Mr. Pickett gegenüber keineswegs verpflichtet. Meine Wenigkeit würde durchaus verstehen, wenn Sie sich von einem jüngeren Mann größere Hilfe versprechen. In mir sehen Sie einen alten, müden und relativ verbrauchten Mann.«
»Ich bin ja so froh, daß Sie Verständnis für mich haben«, meinte sie erleichtert, »aber Sie müssen verstehen, daß ich viel unterwegs bin. Nach diesem Stunt hier muß ich morgen schon wieder bei anderen Außenaufnahmen sein.«
»Wo wird dies sein, Miß Lomings, wenn man sich erkühnen darf, danach zu fragen?«
»Wir drehen in Dorking«, berichtete sie, »es geht da um einen Auto-Stunt. Ich muß vom Kühler eines Jeeps auf die Ladefläche eines Trucks steigen. Und das alles bei etwa achtzig Kilometer pro Stunde.«
»Für Sie bestimmt eine reizvolle Aufgabe.«
»Routine«, meinte sie, »ich springe für eine Kollegin ein, die sich den Fuß verstaucht hat.«
»Meine Wenigkeit möchte nicht versäumen, Ihnen Hals- und Beinbruch zu wünschen«, beendete Parker die Unterhaltung, »aber nehmen Sie dies möglichst nicht zu wörtlich, wie ich hinzufügen möchte.«
*
Josuah Parker schritt gemessen vom Parkplatz, den die Polizei abgesperrt hatte. Er blickte noch mal zum Flachdach und musterte dann die beiden Männer, die auf der Brüstung Jagd auf Ann Lomings gemacht hatten.
Sie winkten sich gerade zu und waren dann zwischen dem technischen Gerät verschwunden, das man für die Aufnahmen benötigte. Parker interessierte sich kurz für das riesige Luftkissen, aus dem gerade die Luft entwich und blickte dann zurück zum Wohnmobil. Er war keineswegs beleidigt, daß Ann Lomings ihm nicht sonderlich viel zutraute. Er kannte Vorbehalte dieser Art nur zu gut. Sie machten ihm schon lange nichts mehr aus.
Parker zuckte unmerklich zusammen, als er einen Lichtblitz wahrnahm, dem ein Scheppern folgte. Er wandte sich um und entdeckte seitlich neben sich ein schweres Wurfmesser, das neben einem daumendicken Elektrokabel auf dem Asphalt des Parkplatzes lag. Es war noch in Bewegung und vibrierte. Parker überprüfte das Gestänge eines Scheinwerfers und entdeckte daran frische Kratzspuren.
Ein Zweifel war ausgeschlossen: Dieses Wurfmesser hatte ihm gegolten. Und es war mit großer Wucht geschleudert worden. Parker bückte sich und nahm mit seinen schwarz behandschuhten Fingern die Mordwaffe auf. Er ließ sie in der linken Außentasche seines schwarzen Covercoats verschwinden. Es war müßig, sich nach dem Messerwerfer umzusehen. Parker ging weiter, als wäre nichts geschehen. Diesmal sorgte er dafür, daß er nicht noch mal überrascht wurde. Er wechselte hinüber auf die frische Fläche des Parkplatzes und näherte sich seinem hochbeinigen Monstrum, das er knapp vor der Polizei-Absperrung geparkt hatte.
Bei diesem sogenannten Monstrum handelte es sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das museumsreif war. Man sah es dem seltsamen Wagen wirklich nicht an, daß er technisch völlig neu gestaltet worden war und so etwas wie eine Trickkiste auf Rädern darstellte. Schon von weitem entdeckte Parker einen unter die Windschutzscheibe geklemmten Zettel.
Ohne jede Hast nahm der Butler diesen an sich und überlas die wenigen, aus groben Buchstaben bestehenden Zeilen. Als Schreibgerät schien man einen Lippenstift benutzt zu haben. Parker wurde angeraten, sich um seinen eigenen Dreck zu kümmern. Unterschrieben hatte eine Person, die sich schlicht und einfach Tiger nannte.
Parker war wenig beeindruckt.
Als er sich ans Steuer seines hochbeinigen Monstrums setzte, dachte er über diesen Tiger nach. Die Person, die unter diesem Decknamen auftrat, hatte mit den wenigen Zeilen bereits ihren zweiten Fehler begangen. Sie hatte deutlich zu erkennen gegeben, daß sie ihn, Josuah Parker, also kannte. Der erste Fehler hatte darin bestanden, die Drohbriefe an Ann Lomings verschwinden zu lassen. Auch dies deutete darauf hin, daß der Tiger sehr wohl wußte, daß Parker sich mit der Aufklärung von Kriminalfällen befaßte.
Der eindeutig größte Fehler aber war gewesen, ein Messer auf ihn zu werfen. In Parkers Augen kam dies bereits einer Überreaktion gleich. Man schien ihn zu fürchten und hatte die Absicht, ihn so schnell wie möglich aus dem Weg zu räumen.
Das schwarze Schaf, von dem Parker erst gesprochen hatte, schien ein Mitglied der großen Familie zu sein, auf die Ann Lomings hingewiesen hatte. Parker nahm sich vor, eine Liste der Personen anzufordern, die zum Aufnahmestab gehörten. Vielleicht ließen sich solchermaßen bereits erste Rückschlüsse ziehen. Es ging seiner Ansicht nach schon nicht mehr um Ann Lomings, sondern um seine eigene Person. Er war herausgefordert worden, und ein Josuah Parker nahm jede Herausforderung an.
Er verlangte von seinem hochbeinigen Monstrum nichts besonderes, als er nach Shepherd’s Market fuhr, wo sich das Haus der Lady Simpson befand, und erweckte den Eindruck, als bewegte sich sein Wagen gerade mit letzter Kraft durch die Straßen. Parker hoffte, verfolgt zu werden. Vielleicht würde der Messerwerfer noch mal versuchen, sich mit ihm zu befassen. Stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, saß er am Steuer seines skurril aussehenden Wagens und wartete auf einen Zwischenfall.
Nun, er sollte nicht enttäuscht werden...
*
Im Rückspiegel des Wagens tauchte plötzlich ein niedriger, zweisitziger Sportwagen auf, der mit hoher Geschwindigkeit einige Wagen überholte und sich an Parkers hochbeiniges Monstrum heranschob. Dies alles geschah innerhalb weniger Sekunden.
Josuah Parker wußte sofort, daß Überholmanöver dieser Art ausschließlich ihm allein galten. Am Steuer saß eine Person mit eng anliegender Lederkappe und großer Schutzbrille. Auf dem Beifahrersitz befand sich eine zweite Gestalt, deren Gesicht ähnlich verhüllt war.
Der Sportwagen befand sich bereits in Parkers Höhe. Der Beifahrer stand plötzlich auf und hielt sich mit der linken Hand an der steilen Windschutzscheibe des offenen Wagens fest. In der rechten Hand machte Josuah Parker eindeutig eine Eierhandgranate aus.
Der Beifahrer holte geschickt aus und ... schleuderte die Eierhandgranate auf Parkers Wagen, dessen Seitenscheibe geöffnet war. Bei dieser Gelegenheit öffnete sich die hüftlange Lederjacke des Werfers, und der Butler konnte nun eindeutig weibliche Formen ausmachen. Die Brust war sehr ausgeprägt, wie er registrierte.
Die Eierhandgranate war ungemein geschickt geworfen worden. Der Fahrer des kleinen Sportwagens hatte die Geschwindigkeit seines Wagens der des hochbeinigen Monstrums angepaßt.
Nur ein Mann wie Josuah Parker reagierte wohl so, wie es hier geschah. Der Butler hielt wie durch Zauberei seine schwarze Melone in der rechten Hand und fing mit der gewölbten Innenseite den Sprengkörper auf. -Dies geschah mit einer Lässigkeit und Beiläufigkeit, die völlig verblüfften.
Und verblüfft war die Werferin ...
Sie blieb stehen und beugte sich sogar ein wenig vor. Vielleicht hatte sie noch gar nicht so recht bemerkt, wo die Eierhandgranate gelandet war. Noch entgeisterter war die Beifahrerin allerdings, als der Sprengkörper sich wieder in der Luft befand und zurückflog! Er nahm Kurs auf den kleinen Sportwagen und damit auch auf sie. Einen Wimpernschlag später landete die Eierhandgranate zwischen ihr und dem Fahrer auf dem Wagenboden.
Butler Parker gab Gas und legte eine Distanz zwischen sich und dem Sportwagen. Dann blickte er wieder in den Rückspiegel und verfolgte die Anstrengung der Beifahrerin, die eindeutig nach dem Sprengkörper suchte.
Parker, der die schwarze Melone längst wieder aufgesetzt hatte, rechnete jeden Moment mit dem Hochgehen der Ladung. Seiner Schätzung nach war die Brenndauer des Zünders bereits überschritten.
Der kleine Sportwagen wischte gerade in die nächste Querstraße und war dann verschwunden. Parker fädelte sich aus dem Verkehr und hielt am Straßenrand. Er wartete auf die schon überfällige Detonation, doch nichts war zu hören. Der Butler setzte sein hochbeiniges Monstrum wieder in Bewegung und wendete auf der sehr belebten Durchgangsstraße. Er besorgte dies mit einer Autorität, die die übrigen Verkehrsteilnehmer achtungsvoll zur Kenntnis nahmen. Nachdem Parker nach allen Seiten hin knapp mit der Melone gegrüßt hatte, fuhr er in die Seitenstraße, in die der kleine Sportwagen verschwunden war. Doch war er weit und breit nicht zu sehen und schien sich in Luft aufgelöst zu haben.
Josuah Parker hielt sich nicht lange mit Vermutungen auf, fuhr weiter und erreichte nach etwa zwanzig Minuten Shepherd’s Market, südöstlich von Hydepark. Er bog von der Durchgangsstraße aus in den kleinen, fast verschwiegenen und idyllischen Platz, dessen drei Seiten von hübschen, alten Fachwerkhäusern gesäumt wurden. An der Stirnseite dieses Platzes stand das altehrwürdige Fachwerkhaus der Lady Agatha Simpson. Es handelte sich um einen zweistöckigen Bau, der auf den Gewölben einer ehemaligen Abtei errichtet war.
Parker hielt vor dem überdachten Vorbau des Hauses an, dessen Fenster im Erdgeschoß mit prachtvollen Ziergittern versehen waren. Ohne jede Hast stieg er aus und öffnete die Tür, durchschritt den verglasten Vorflur, der gleichzeitig als Windfang diente, und erreichte die große Wohnhalle mit dem riesigen Kamin. Parker horchte nach oben, wo Agatha Simpson sich aufhielt. Aber sie hatte sein Kommen nicht zur Kenntnis genommen und hielt sich wahrscheinlich in ihrem Studio auf, um ausgiebig zu meditieren, wie sie ihren ausgedehnten Nachmittagsschlaf nannte. Parker wollte gerade in den hinteren Teil des Hauses gehen, um von dort das ausgedehnte Souterrain zu erreichen, als das Telefon sich meldete. Parker glaubte bereits im vorhinein zu wissen, wer ihn da zu sprechen wünschte. Gemessen begab er sich an den Apparat, hob ab und nannte seinen Namen.
»Nicht schlecht, Parker«, sagte eine Frauenstimme, die allerdings ein wenig dunkel klang, »das mit der Eierhandgranate haben Sie wunderbar hinbekommen. Alle Achtung!«
»Herzlichen Dank für Ihre Anerkennung«, antwortete der Butler, »spricht man mit dem sogenannten Tiger?«
»Haben Sie sich nicht gewundert, daß das Ding nicht hochgegangen ist?«
»Nun, eine Attrappe dürfte dazu kaum Neigung verspüren«, entgegnete Josuah Parker in seiner höflichen Art.
»Haben Sie’s etwa von Anfang an gewußt? Nein, das können Sie mir nicht einreden!«
»Waren Sie es auch, der das Messer auf meine Wenigkeit warf?« erkundigte sich der Butler.
»Lassen Sie’s sich gesagt sein, daß ich absichtlich nicht treffen wollte«, erwiderte die dunkle Frauenstimme, »und das mit der Attrappe sollte nur Ihre Reflexe testen.«
»Man kann nur hoffen, daß meine Wenigkeit Sie zufrieden stellte.«
»Ab sofort kommt alles anders«, redete die dunkle Frauenstimme weiter. Sie klang nun ein wenig schärfer. »Weitere Probeläufe wird’s jetzt nicht mehr für Sie geben.«
»Muß man daraus ableiten, daß Sie meiner bescheidenen Wenigkeit gram sind?«
»Mich können Sie mit Ihrer Masche nicht täuschen«, behauptete die Frauenstimme, und ein Lachen folgte. »Ich weiß genau, wie gefährlich Sie sind, Parker, und darauf stelle ich mich ein. Noch mal: das mit der Eierhandgranate war Spitze. Das war filmreif!«
»Sie beschämen meine Wenigkeit. Ist es erlaubt, noch mal zu fragen, ob Sie die sogenannte Tigerin sind?«
»Natürlich«, lautete die Antwort, »wie ich Sie einschätze, werden Sie sich nicht nur um Ihren eigenen Dreck kümmern, oder? Sie werden weiterhin versuchen, diese Lomings zu beschützen, nicht wahr? «
»Sie scheinen Miß Ann Lomings nicht sonderlich zu schätzen.«
»Ich werd’ sie schlicht und einfach umbringen, Parker! Und Sie werden das nicht verhindern, glauben Sie mir...«
»Wie Sie zu meinen belieben«, entgegnete der Butler, »fairerweise sollte man Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie bereits einige gravierende Fehler begingen.«
»Kommen Sie mir doch nicht mit diesem uralten Bluff, Parker«, verwahrte sich die dunkle Frauenstimme. »Und welche Fehler sollen das sein?«
»Sie sollten darüber reflektieren«, schlug der Butler vor, »soviel aber sei gesagt, es geht nicht um das Kennzeichen des kleinen Sportwagens, das zu merken ich mir erlaubte. Dieser Wagen wurde sicher gestohlen oder dient dazu, meine Wenigkeit auf eine falsche Spur zu lenken.«
»Wer weiß, Parker, wer weiß?« Die Frau am anderen Ende der Leitung lachte leise.
»Man erlaubt sich, Ihnen noch einen harmonischen Verlauf des Resttages zu wünschen«, meinte der Butler und legte dann auf. Er stellte das Telefon nach unten in seine Souterrainwohnung und begab sich dann in «eine Gemächer. Es wurde Zeit, den Tee für Mylady zu richten.
Er hatte seine Wohnung im Souterrain noch nicht ganz erreicht, als das Telefon schon wieder klingelte. Parker dachte allerdings nicht im Traum daran, erneut zu reagieren. Nach seinen einschlägigen Erfahrungen war ein gereizter Gegner ein relativ leichter Gegner.
*
»Sie hätten mich selbstverständlich vorher informieren müssen«, räsonierte Agatha Simpson, »wäre ich mitgekommen, Mr. Parker, hätte ich diesen sogenannten Tiger bereits ausgeschaltet.«
»Meine Wenigkeit wollte Mylady nicht stören.« Parker hatte den Tee und dazu einige kleine Backwaren serviert. Darunter befand sich ein Früchtekuchen, der mit Rum getränkt war. Lady Agatha schnupperte angetan und nickte wohlwollend.
»Obst ist immer gesund«, sagte sie und ließ sich ein Stück reichen. Sie befand sich im Salon des Hauses und hatte sich gerade Parkers Bericht angehört.
»Dieser Tiger ist also eine Frau«, meinte sie, nachdem sie ausgiebig gekostet hatte, »das schränkt den Täterkreis erheblich ein.«
»Eine Feststellung, Mylady, die man nur als trefflich bezeichnen kann«, antwortete der Butler gemessen.
»Ich werde mich in diesen Fall selbstverständlich einschalten«, verkündete die passionierte Detektivin, »aber wie gesagt, er wäre bereits gelöst, wenn ich mitgekommen wäre.«
»Meine Wenigkeit würde niemals widersprechen, Mylady.«
»Warum sollten Sie auch? Tatsachen sind und bleiben Tatsachen, Mr. Parker! Aber nachdem Sie alles unnötig verfahren haben, braucht dieser Fall jetzt eine ordnende Hand.«
»Mylady werden wieder beispielgebend sein.«
»Ich weiß, ich weiß.« Sie nickte wohlwollend. »Übrigens würde ich gern noch etwas Obst essen, Mr. Parker. Dieses Stückchen Kuchen aber jetzt etwas dicker, wenn ich bitten darf.«
Parker hielt sich an die Anordnung und schnitt dreifingerbreit ab. Lady Agatha nickte wohlwollend, als der Butler ihr den gefüllten Kuchenteller reichte.
Sie war eine große, majestätische Erscheinung, die man füllig nennen konnte. Sie hatte das sechzigste Lebensjahr zwar überschritten, doch sie nahm dies einfach nicht zur Kenntnis. Sie verfügte über die Dynamik eines außer Kontrolle geratenen Panzers und genoß es, sich ungeniert und unkonventionell zu geben.
Lady Agatha, schon seit vielen Jahren verwitwet, war eine vermögende Frau, die sich jedes noch so ausgefallene Hobby leisten konnte. Seitdem Josuah Parker in ihren Diensten stand, betrachtete sie sich als Amateurdetektiv und nutzte jede sich bietende Gelegenheit, den Kriegspfad zu beschreiten.
Ein Gefühl für Gefahr oder Angst war ihr völlig fremd. Wo immer sie sich auch aufhielt, Lady Agatha bestach durch ihre robuste Ungeniertheit und Direktheit. Sie nannte die Dinge stets beim Namen und verblüffte ihre Gegner immer wieder durch ihr Temperament.
»Ich werde mir diese Artistin ansehen«, meinte sie, während sie das wirklich sehr große Kuchenstück dezimierte, »wahrscheinlich haben Sie ihr die falschen Fragen gestellt, Mr. Parker.«
»Dies, Mylady, sollte man nicht ausschließen.« Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Haltung war für ihn oberstes Gebot.
»Es wird sich um eine Eifersuchtsgeschichte handeln«, mutmaßte die ältere Dame weiter, »dieses fahrende Volk, ob es nun zum Zirkus, zum Film oder zum Fernsehen gehört, ist doch nur zu bekannt dafür. Man sieht es doch immer wieder in den Kriminalfilmen.«
»Möglicherweise verzichtet Miß Lomings auf Hilfe«, warf der Butler ein.
»Papperlapapp, Mr. Parker! Das steht überhaupt nicht zur Debatte«, grollte sie prompt, »sie wird erst gar nicht gefragt ... Natürlich braucht sie meine Hilfe, wenn sie nicht umgebracht werden will. Oder könnte es sich hier um einen raffinierten Reklametrick handeln? Haben Sie auch daran schon gedacht?«
»Sehr wohl, Mylady«, lautete Parkers Antwort.
»Aber Sie glauben natürlich nicht daran, wie? Ich weiß doch, wie schnell Sie sich von einem unschuldigen Gesicht täuschen lassen, Mr. Parker. Was Sie brauchen, ist Menschenkenntnis. Nehmen Sie sich an mir ein Beispiel! Eine Lady Simpson kann man nicht hinter’s Licht führen!«
»Dies kann man nur bewundernd zur Kenntnis nehmen, Mylady.«
»Wo finde ich die Artistin?« fragte die ältere Dame noch mal, »ich denke, ich werde sie mir umgehend ansehen.«
»Miß Ann Lomings wohnt in Southwark«, beantwortete Parker die Frage, »und morgen wird Miß Loming einen «recht gefährlichen Stunt in Dorking ausführen.«
»Sehr interessant. Und um was handelt es sich?«
»Miß Dorking hat die feste Absicht, vom Kühler eines Jeeps auf die Ladefläche eines Trucks umzusteigen.«
»Was ist denn das schon?« Agatha Simpson schüttelte den Kopf, »ich kann nur hoffen, daß beide Fahrzeuge sich dabei auch bewegen.«
»Dies ist allerdings beabsichtigt«, antwortete Parker gemessen.
»Wahrscheinlich wird man das alles im Zeitlupentempo drehen«, sagte sie verächtlich, »man kennt doch die Tricks. Sprang sie tatsächlich von diesem Flachdach?«
»Unbezweifelbar, Mylady.«
»Das müßte ich mal versuchen«, sagte sie nachdenklich, »erinnern Sie mich bei Gelegenheit daran, Mr. Parker.«
»Mylady können sich fest darauf verlassen«, lautete Parkers Antwort. Sein Gesicht blieb glatt und ausdruckslos.
*
Das Wohnmobil stand auf einem weiten Hinterhof vor einer Lagerhalle, deren Fassade grau und abweisend aussah. Die Fenster waren von innen weiß gekalkt und dazu noch zusätzlich verschmutzt. Die Lagerhalle gehörte zum Komplex einer ehemaligen Reederei, die sich früher mit Baumwolle befaßte. Eine verwaschene Inschrift dicht unter dem Flachdach des dreistöckigen Gebäudes deutete noch darauf hin.
»Hier sollte man einen Kriminalfilm drehen«, sagte Lady Agatha und blickte sich interessiert um, »so etwas kriegt selbst der beste Bühnenarchitekt nicht fertig. Was halten Sie davon, Mr. Parker, wenn ich meinen Bestseller hier beginnen lasse?«
»Damit allein, Mylady, dürfte bereits der Welterfolg garantiert sein«, behauptete Josuah Parker. Er hatte den langen Torbogen schnell passiert und näherte sich dem Wohnmobil, das er bereits kannte. Es war dämmrig geworden. Im Hinterhof herrschte Zwielicht, das unheimlich wirkte. Nur im Wohnmobil brannte ein schwaches Licht.
»Sie muß uns doch längst gehört haben«, sagte die ältere Dame, »diese Artistin scheint sehr unhöflich zu sein, Mr. Parker.«
»Oder ist verhindert, Mylady zu empfangen«, meinte der Butler.
»Sie glauben, daß sich inzwischen etwas ereignet hat?« hoffte Lady Agatha sofort.
»Man könnte Miß Lomings beispielsweise daran hindern, sich zu zeigen.«
»Das wäre ja ausgezeichnet«, freute sich die Detektivin, »dann würde man ja bereits auf mich warten, Mr. Parker.«
»Man sollte dies nicht ausschließen, Mylady.«
Parker fuhr dicht an dem Wohnmobil vorbei und lenkte sein hochbeiniges Monstrum in engem Kreis durch den Hinterhof, steuerte das Fahrzeug dann erneut und hielt dicht neben dem Eingang. Er öffnete die Wagentür und schob sich ins Freie. Der Abstand zwischen seinem Wagen und dem Wohnmobil betrug knapp einen Meter. Parker öffnet die Tür zu Miß Lomings Fahrzeug und ... fuhr unmerklich zusammen, als dicht neben ihm ein Geschoß einschlug. Von der Gewalt des Einschusses wurde ihm die Tür aus der schwarz behandschuhten Hand gerissen.
»Was war das?« wollte Agatha Simpson umgehend wissen.
»Es dürfte sich um einen Schuß gehandelt haben, Mylady«, erwiderte der Butler, »man scheint Mylady in der Tat erwartet zu haben.«
»Natürlich«, gab sie zurück, »das möchte ich mir auch ausgebeten haben. Was werde ich jetzt tun, Mr. Parker?«
»Mylady bleiben im Wagen«, deutete Parker diskret an, »die Scheiben sind erfreulicherweise kugelsicher, wie man versichern darf.«
»Sie glauben doch wohl nicht, daß eine Lady Simpson sich verstecken wird«, grollte sie und öffnete die Wagentür auf der Seite, die dem Wohnmobil zugewandt war. Sie schob ihre Fülle nach draußen und ... fuhr ebenfalls zusammen.
Dicht an ihrem Ohr vorbei zirpte ein Geschoß und landete klatschend im Aufbau des Wohnmobils. Lady Agatha duckte sich und blickte den Butler ärgerlich an.
»Tun Sie endlich etwas, Mr. Parker«, verlangte sie, »man hat sich erfrecht, auf mich zu schießen. Das ist unerhört!«
Parker tat etwas ...
Er drückte seine Herrin sehr ungeniert und zielsicher zurück in den Fond des hochbeinigen Monstrums und schloß nachhaltig die Tür. Dann setzte er sich ans Steuer und schloß auch seine Wagentür. Er hörte hinter sich aufgebrachtes Prusten, das von Lady Agatha herrührte, doch er kümmerte sich nicht weiter darum. Da der Motor noch lief, brauchte der Butler nur den ersten Gang einzulegen, um unmittelbar darauf mehr als nur rasant anfahren zu können.
»Was soll denn das?« erregte sich Agatha Simpson inzwischen, »haben Sie mich etwa in den Wagen zurückgestoßen?«
»In etwa, Mylady«, bekannte der Butler in seiner höflichen Art, »wenn Mylady gestatten, wird man sich zu einem späteren Zeitpunkt entschuldigen.«
Parker visierte den Torweg an und steigerte die Geschwindigkeit. Ihm kam es darauf an, so schnell wie möglich den Hinterhof zu verlassen. Sein Gefühl, auf das er sich bisher stets verlassen konnte, sagte ihm mehr als deutlich, daß bald etwas passieren würde.
Das hochbeinige Monstrum schoß durch den schmalen Torweg wie das Geschoß durch den Lauf. Und Parker hatte die Straße noch nicht ganz erreicht, als plötzlich unsichtbare, riesige und überstarke Hände den Wagen durchschüttelten. Unmittelbar darauf war eine heftige Detonation zu hören, die von grellem Feuerschein begleitet wurde.
»Ist das Wohnmobil etwa in die Luft geflogen?« fragte die ältere Dame interessiert. Sie wandte sich um und blickte durch den langen, schmalen Torweg zurück. Sie sah einen grellen Feuerschein, der die Fassade der Lagerhalle zucken ließ.
»Man scheint Mylady mehr als nachdrücklich nach dem Leben zu trachten«, kommentierte Parker, der seinen Privatwagen langsam durch die Straße rollen ließ.
»Drehen Sie, Mr. Parker«, verlangte die ältere Dame, »ich muß mich natürlich um das arme Ding kümmern, das im Wohnmobil war.«
»Mylady können davon ausgehen, daß Miß Lomings das gesegnet haben dürfte, was man gemeinhin das Zeitliche zu nennen pflegt«, antwortete der Butler gemessen, »falls Miß Lomings sich im Wohnmobil befand, um diese wichtige Einschränkung machen zu dürfen.«
*
»Nun? War sie drin?« fragte Mike Rander neugierig. Er war aus der nahen Curzon Street in das Haus der Lady herübergekommen und hatte selbstverständlich Kathy Porter mitgebracht, Agatha Simpsons Sekretärin und Gesellschafterin.
Mike Rander erinnerte, was sein Äußeres betraf, an einen bekannten James-Bond-Darsteller. Er war Anwalt und hatte vor Jahren zusammen mit Josuah Parker viele Abenteuer durchgestanden. Nach Randers Rückkehr aus den Staaten war er von Agatha Simpson wie selbstverständlich mit Beschlag belegt worden und arbeitete nun als ihr juristischer Berater und Vermögens Verwalter. Er hatte kaum Zeit, sich als Anwalt zu betätigen, obwohl er in der Curzon Street eine eigene Kanzlei unterhielt.
Kathy Porter, etwas über mittelgroß, schlank und sportlich, war eine pikante Schönheit mit leicht exotischem Einschlag, wozu ihre mandelförmig geschnittenen Augen und die hohen Wangenknochen noch beitrugen. Die junge Dame hatte braunes, langes Haar mit einem leichten Rotstich und erinnerte an ein scheues Reh. Sie war auch durchaus zurückhaltend, doch sie konnte sich in eine wilde Pantherkatze verwandeln, falls man sie angriff. Sie war in fast allen Künsten fernöstlicher Selbstverteidigung beschlagen und arbeitete mit besonderer Vorliebe mit Mike Rander zusammen, falls es galt, wieder mal einen Kriminalfall zu lösen.
Sie und der junge Anwalt waren von Butler Parker mit Sherry versorgt worden und standen rechts am mächtigen Kamin. Die Hausherrin hatte in einem der tiefen und bequemen Sessel Platz genommen und bisher berichtet.
»Spannen Sie uns nicht auf die Folter, Mylady«, bat Kathy Porter, als Agatha Simpson sich mit der Antwort auf Mike Randers Frage viel Zeit nahm.
»Ich konnte keine Spur von dieser Artistin entdecken«, berichtete Lady Agatha nun genußvoll weiter, »und ich weiß auch bereits, warum sie nicht im Wagen war.«
»Tatsächlich?« staunte Mike Rander mit einem leichten Anflug von Ironie. Er kannte die Phantasie der älteren Dame nur zu gut.
»Sie hat jetzt ihre Schlagzeilen«, behauptete Agatha Simpson, »aber Mr. Parker glaubt natürlich nach wie vor, daß sie gerade an Schlagzeilen nicht interessiert ist.«
»Warum sollte sie Schlagzeilen provozieren, Mylady?« erkundigte sich Kathy Porter.
»Um Engagements zu bekommen«, antwortete Lady Agatha auf die Frage ihrer Gesellschafterin, »so etwas kennt man doch. Jüngst erst habe ich einen älteren Kriminalfilm gesehen, in dem es ebenso war. Nein, eine Lady Simpson kann man nicht aufs Glatteis führen.«
»Miß Lomings kann sich vor Angeboten kaum retten, Mylady«, ließ Josuah Parker verlauten.
»Schnickschnack«, gab sie grollend zurück, »das täuscht sie Ihnen doch nur vor, Mr. Parker.«
»Mr. Pickett ist in der Lage, meinen bescheidenen Hinweis zu erhärten, Mylady«, sagte der Butler.
»Woher wußten Sie eigentlich, daß da eine Sprengladung gezündet werden sollte?« warf Mike Rander ein.
»Es waren die beiden sehr gut gezielten Schüsse, Sir, die einen ersten Verdacht keimen ließen«, erwiderte der Butler in seiner höflichen Art, »man schien Mylady und meiner Wenigkeit damit bedeuten zu wollen, den Wagen nicht zu betreten.«
»Tatsächlich?« Agatha Simpson sah ihren Butler entgeistert an.
»Der geheimnisvolle Schütze, Mylady, hätte mit letzter Sicherheit zwei tödliche Treffer anbringen können«, redete Josuah Parker weiter.
»Unsinn«, widersprach sie umgehend und grollte, »er traf nicht, das war alles.«
»Warum hätte er schießen sollen, Mylady?« schaltete der Anwalt sich erneut ein, »er hätte doch nur auf den Sprengsatz zu setzen brauchen! Ich glaube, daß Parker mit seiner Vermutung da auf dem richtigen Weg ist.«
»Falls es so ist, handelt es sich um einen Zufall«, meinte die ältere Dame, »und warum ist die Ladung erst dann gezündet worden, als ich bereits auf der Straße war? «
Sie schaute sich triumphierend um.
»Eine gute Frage«, ließ Kathy Porter sich vernehmen.
»Natürlich, Kindchen«, lobte Lady Agatha huldvoll, »wenigstens Sie merken, worauf es ankommt.«
»Derjenige, Miß Porter, der die Ladung zündete, wurde durch die beiden Schüsse offensichtlich irritiert«, schlug Josuah Parker als Begründung vor, »daraus läßt sich schlußfolgern, daß man es auf dem Hinterhof mit zwei Personen zu tun hatte.«
»Richtig«, erklärte Agatha Simpson und änderte blitzschnell wieder ihre Meinung, »das liegt doch auf der Hand. Und das sage ich die ganze Zeit über, aber auf mich will man ja nicht hören!«
*
»Ich bewundere Ihre Geduld, Parker«, leistete sich der Anwalt ein Lob. Er war mit dem Butler allein in der großen Wohnhalle. Lady Agatha hatte sich in ihr Studio begeben und Kathy Porter mitgenommen. Angeblich wollte sich die Hausherrin noch einige wichtige Notizen zu dem anstehenden Fall machen und brauchte dazu die Hilfe ihrer Sekretärin.
»Myladys Bemerkungen, Sir, sind für meine Wenigkeit eine stete Quelle der Herausforderung«, antwortete Josuah Parker auf die Frage des Anwalts.
»Was bringt Sie eigentlich mal aus der Ruhe?« Rander lächelte.
»Dies, Sir, vermag meine Wenigkeit noch nicht zu überblicken«, gab der Butler zurück, »ich rechne jedoch damit, daß ich eines Tages ein wenig gereizt reagiere, wenngleich ich natürlich hoffe, daß dieser Tag noch weit entfernt ist.«
»Ich werde mit Spannung darauf warten«, versicherte Mike Rander, »aber zurück zu unserem Tiger, Parker. Wer könnte sich da auf dem Hinterhof hilfreich eingeschaltet haben?«
»Möglicherweise Miß Lomings, Sir.«
»Ann Lomings?« Der Anwalt blickte Parker verblüfft an. »Wie kommen Sie denn darauf?«
»Sie rechnete wahrscheinlich damit, daß Mylady und meine Wenigkeit dort erscheinen würden. Dies trifft natürlich auch auf den sogenannten Tiger zu, der eine Frau zu sein scheint.«
»Eine ziemlich komplizierte Erklärung, Parker, finden Sie nicht auch? Ann Lomings hat Sie doch ausgeladen, oder?«
»Dies trifft in der Tat zu, Sir.« Der Butler deutete ein zustimmendes Kopfnicken an.
»Wir können uns nur überraschen lassen«, meinte der Anwalt, »fest steht, daß dieser Tiger Sie und Mylady kennt.«
»Er scheint sich kundig gemacht zu haben, Sir.«
»Wer ist Ann Lomings?« fragte Mike Rander nachdenklich. »Was wissen wir von ihr?«
»So gut wie nichts, Sir, doch dies wird sich mit Sicherheit schnell ändern. Mr. Pickett ist so freundlich, Informationen einzuholen.«
»Der gute Pickett!« Rander lachte leise. »Inzwischen ist er schon zum Mitglied unseres Teams geworden, wie?«
»So könnte man durchaus sagen, Sir. Seitdem Mr. Pickett auf den Pfaden der Tugend wandelt, stellt er sein intimes Hintergrund wissen Mylady zur Verfügung.«
Parker spielte auf die Tatsache hin, daß Horace Pickett sich schon seit geraumer Zeit nicht mehr für fremde Taschen interessierte. Pickett war Taschendieb gewesen und hatte sich selbst als Eigentumsverteiler bezeichnet. Es hatte nämlich zu seinen Geschäftsprinzipien gehört, sich nur mit Klienten zu befassen, die einen mehr oder weniger, herben Geldverlust durchaus verschmerzen konnten. Nachdem Parker ihm mal das Leben gerettet hatte, weil Pickett in die Tasche eines Mafioso gegriffen hatte, war der ehemalige Taschendieb redlich geworden. Er wollte sein Schicksal nicht ein zweites Mal herausfordern und machte sich nun eine Ehre daraus, Josuah Parker seine Dienste anzubieten. Hinzu kam Picketts Verehrung für Lady Simpson. Sie hatte ihn von Anfang an akzeptiert und behandelte ihn wie einen Gentleman.
»Wir fahren morgen raus nach Dorking, nicht wahr?« erkundigte sich Mike Rander. »Ich möchte mir die Artistin mal aus der Nähe ansehen.«
»Dort, Sir, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einem Auftreten des sogenannten Tigers zu rechnen«, erklärte Josuah Parker, »und man sollte ferner davon ausgehen, daß dieses zweibeinige Raubtier mit Myladys Erscheinen rechnet.«
»Das will ich meinen, Parker. Aber was können wir gegen einen heimtückischen Mordanschlag unternehmen?«
»Man könnte gewisse Vorsicht walten lassen.«
»Können Sie’s nicht präziser ausdrücken? Mit Vorsicht allein wird es wohl nicht getan sein.«
»Wenn Sie erlauben, Sir, wird man über geeignete Maßnahmen nachdenken müssen«, lautete Parkers Antwort, »es ist übrigens fast erstaunlich, daß der sogenannte Tiger sich bisher noch nicht meldete. Die Ereignisse auf dem Hinterhof dürften für dieses Raubtier ein wenig verwirrend gewesen sein.«
»Sind Sie sicher, Parker?« Rander zog ein skeptisches Gesicht. »Sind Sie schon mal auf den Gedanken gekommen, daß man Ihnen dort drüben in Southwark etwas vorgemacht haben könnte?«
»Durchaus, Sir.« Parker nickte andeutungsweise. »Der Schütze und der Auslöser der Sprengladung im Wohnmobil könnten in der Tat eine Person gewesen sein, die allerdings im Gegensatz zu Myladys Ansicht nicht mit Miß Lomings identisch sein muß.«
*
Butler Parker befand sich in seinen Privatgemächern im Souterrain des altehrwürdigen Fachwerkhauses.
Er verfügte hier über einen großen Wohnraum, über ein kleineres Schlafzimmer, Bad und Toilette. Die Einrichtung bestand aus ehemaligem Schiffsmobiliar in Mahagoni, das er sehr schätzte. Von einem kleinen Vorflur aus erreichte Parker sein sogenanntes Labor, in dem er viele technische Überraschungen herstellte. Die Einrichtung war perfekt und enthielt alles, was er brauchte. Jeder spezialisierte Handwerker wäre hier auf seine Kosten gekommen. Teilgebiete der Elektrotechnik, der Chemie, der Feinmechanik und der Elektronik konnten von Parker abgedeckt werden. Als begabter Bastler war ihm keines dieser Gebiete fremd. Allein mit seinen vielen Erfindungen hätte Josuah Parker ein kleines Vermögen machen können. Seiner Phantasie schienen keine Grenzen gesetzt zu sein.
Parker hatte vor, noch ein wenig in technischen Magazinen zu blättern, um auf dem laufenden zu bleiben. Er hatte sich gerade in einen lederbezogenen Drehsessel gesetzt, als eine kleine rote Lampe über einem Wandschrank aufleuchtete. Ohne jede Hast erhob ersieh, ‚ öffnete den Wandschrank und stellte anhand weiterer Kontrollämpchen fest, welcher Sektor des Hauses bedroht wurde. Nach wenigen Augenblicken war ihm klar, daß sich auf dem Dach des Hauses ein Fremdkörper befand.
Josuah Parker schaltete eine Fernsehkamera ein, die sich oben auf dem Dach befand. Er steuerte die Fernbedienung dieser lichtstarken Kamera und suchte das Schieferdach mit den vielen Schornsteinen sorgfältig ab. Er dachte nicht im Traum daran, das Souterrain zu verlassen und auf den Dachboden zu gehen. Nicht umsonst hatte er sich die lückenlose Überwachung des Hauses ausgedacht.
Nach wenigen Augenblicken entdeckte er den Fremdkörper auf dem Dach. Es handelte sich um eine schlanke, mittelgroße Gestalt, die ein schwarzes Trikot trug und kaum wahrzunehmen war. Sie verließ gerade die Deckung einer hohen Esse und wechselte hinüber zu einem anderen Schornstein, wobei sie sich schnell und ungemein sicher auf dem steilen, verschieferten Dach bewegte. Die Dunkelheit und auch die Höhe schienen dem zweibeinigen Fremdkörper überhaupt nichts auszumachen. Parker dachte unwillkürlich an einen Artisten, der sich dort oben tummelte.
Die Gestalt hatte den anderen Schornstein erreicht und verschwand hinter ihm. Butler Parker wußte selbstverständlich, welche Räume im Hause mit der Esse verbunden waren. Wußte es auch die Gestalt, die nach wie vor in Deckung blieb? Warum traf sie keine Anstalten, an eines der Giebelfenster heranzukommen? Dies wäre nur zu logisch gewesen. Man hatte es doch mit einer Person zu tun, die ins Haus eindringen wollte. Oder ging es hier um einen ganz anderen Plan?