Читать книгу Der exzellente Butler Parker 2 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3

Оглавление

»Wenn es noch lange dauert, Mister Parker, werde ich im nächsten Ort einen kleinen Imbiß nehmen«, sagte Agatha Simpson ungeduldig. Sie saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und musterte gelangweilt die bilderbuchschöne Landschaft. Weideflächen wechselten ab mit Baumgruppen und Waldstücken. Die Sonne stand schon tief, bis zum Einbruch der Dunkelheit konnte es nicht mehr lange dauern.

»Mylady sollten vielleicht noch mit einer halben Stunde rechnen«, gab der Butler Auskunft. »Man wird in wenigen Minuten Cudlam Hill passieren.« »Und was hat das zu bedeuten?« grollte sie.

»Nach dem Durchfahren von Cudlam Hill sind es höchstens noch zwanzig Minuten, Mylady!«

»Ich hätte diese verrückte Einladung nicht annehmen sollen«, räsonierte sie. »Wie kann man sich nur in dieser Einöde vergraben?«

»Auf Mylady warten eine Treibjagd«, erinnerte der Butler, der am Steuer seines bemerkenswerten Privatwagens saß.

»Ich hasse Treibjagden«, gab die ältere Dame zurück, »aber Sir Alfreds Küche ist gut, denke ich.«

»Man wird sich mit Verlaub anstrengen, um Mylady zu verwöhnen«, versicherte Parker.

»Das möchte ich mir aber auch ausgebeten haben.« Sie räusperte sich explosionsartig. »Zur Not können ja Sie die Küche übernehmen, Mister Parker. Sie kochen zwar nicht besonders gut, aber immerhin.«

»Mylady verfügen eben über eine Zunge, die man allenthalben zu rühmen pflegt.«

»Das stimmt allerdings.« Sie nickte wohlwollend. »Ich nehme es mit jedem Feinschmecker auf, Mister Parker. Vielleicht sollte ich eines Tages einen Führer durch die Londoner Restaurants herausbringen. Erinnern Sie mich bei Gelegenheit daran.«

»Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Butler Parker war durch nichts zu erschüttern. Er kannte die wilden Gedankensprünge seiner Herrin nur zu gut. Sie nahm sich stets viel vor, doch mit der Ausführung ihrer Absichten und Pläne war es nicht weit her. Die ältere Dame ließ sich liebend gern ablenken und war dankbar für jede neue Anregung.

Lady Agatha hatte die Fahrt in den tiefen Süden von London aus einer Laune angetreten. Unter der Morgenpost hatte sie die Einladung Sir Alfreds vorgefunden, an seine vorzügliche Küche gedacht und sich sofort entschieden. An der angekündigten Treibjagd war sie mit Sicherheit nicht interessiert.

Man hatte Cudlam Hill erreicht. Das Städtchen schien aus einem Reiseprospekt zu stammen. Fachwerkhäuser herrschten vor und scharten sich um eine romanische Kirche. Es gab kleine Geschäfte und Gasthäuser.

Parker fiel sofort auf, wie klinisch sauber hier alles war. Es gab vorschriftsmäßig geschnittenen Rasen, Vorgärten, wie mit dem Lineal angelegt und kein Fenster ohne Blumenschmuck.

»Sehr hübsch«, urteilte die ältere Dame, »aber ziemlich langweilig, Mister Parker. Finden Sie nicht auch?«

»Mylady haben sicher den Eindruck, durch ein Freiland-Museum zu fahren«, erwiderte der Butler.

»Genau das wollte ich gerade noch hinzufügen«, behauptete sie sofort. »Ich vermisse eine gepflegte Unordnung.«

Parker warf einen Blick auf den Tourenzähler seines Wagens und minderte die Geschwindigkeit. Er hielt sich strikt an das Limit, das am Eingang zu dem kleinen, malerischen Städtchen per Hinweisschilder vorgeschrieben war.

»Sehen Sie, was ich sehe, Mister Parker?« ließ die passionierte Detektivin sich plötzlich vernehmen, beugte sich vor und blickte nach vorn durch die Windschutzscheibe.

»Mylady meinen jene Auseinandersetzung, die man nur als ausgesprochen handgreiflich bezeichnen kann?«

»Da wird doch ein Halbwüchsiger geschlagen«, empörte sie sich. »Halten Sie sofort!«

Parker reagierte unverzüglich.

Auf einem kleinen Parkplatz vor einem Gemüseladen wurde ein junger Mann von zwei ausgewachsenen Schlägern traktiert. Sie hatten ihm eine gefüllte Einkaufstüte aus dem Arm geschlagen und ohrfeigten ihn gezielt.

Der kaum Achtzehnjährige hatte keine Chance. Er schützte das Gesicht mit den hochgezogenen Unterarmen und fiel auf die Knie. Die beiden Schläger verzichteten deshalb auf ihre Fäuste und gingen zu ausgesprochen gemeinen Fußtritten über.

Lady Agatha hatte bereits den Wagen verlassen.

Der perlenbestickte Pompadour an ihrem rechten Handgelenk war bereits in heftige Schwingung geraten. Die ältere Dame fühlte sich wieder mal voll gefordert. Sie stand grundsätzlich auf der Seite der Unterlegenen.

Josuah Parker folgte diskret und würdevoll. Er bot das Bild eines untadeligen englischen Butlers, wie man ihn nur noch in entsprechenden Kostümfilmen zu sehen bekam. Er trug einen schwarzen Zweireiher, hatte die gewohnte schwarze Melone auf dem Kopf und trug einen altväterlich gebundenen Regenschirm am angewinkelten linken Unterarm »Darf man nach dem Grund der Diskussion fragen?« Parker hatte sich neben Agatha Simpson aufgebaut.

Die beiden Schläger fühlten sich angesprochen und drehten sich um. Ungläubiges Erstaunen war von ihren Gesichtern abzulesen. Mit solch einer Unterbrechung hatten sie nicht gerechnet.

»Ich hasse Fußtritte«, meinte Lady Agatha und ... verabreichte ihre erste Ohrfeige. Da sie mit Leidenschaft Golf spielte und auch den Sportbogen schoß, war ihre Armmuskulatur nicht gerade unterentwickelt.

Die ältere Dame setzte ihre linke Hand auf die rechte Backe des Schlägers und brachte ihn auf diese einfache Art völlig aus dem Gleichgewicht; um ihn restlos zu erschüttern, trat die resolute Dame ihm dann noch zusätzlich gegen das rechte Schienbein.

Der Schläger fiel gegen die Hauswand und rutschte danach langsam an ihr hinunter zu Boden.

Der zweite Schläger reagierte endlich.

Er holte zu einem Fausthieb aus und hatte keine Bedenken, eine Dame zu schlagen. Das Ziel seiner nicht gerade kleinen Faust war Myladys Gesicht.

Josuah Parker, normalerweise der rohen Gewalt abhold, kam diesem Schlag fast beiläufig zuvor. Mit der Spitze seines Universal-Regenschirmes traf er den Solarplexus des Mannes und veranlaßte ihn, eine tiefe, fast höfliche Verbeugung zu machen.

In diesem Moment setzte die ältere Dame ihren Pompadour auf den Hinterkopf des Mannes, der plötzlich das Gefühl hatte, von einem auskeilenden Pferd getroffen worden zu sein. Er verdrehte die Augen und lagerte sich auf den Gehwegplatten.

»Wagen Sie es nicht noch mal, eine hilflose Frau anzugreifen«, warnte sie anschließend den Schielenden mit baritonal gefärbter Stimme.

Der Halbwüchsige kroch inzwischen auf die Zuschauer dieser Szene zu und wollte sich in Sicherheit bringen. Um die verstreut liegenden Eßwaren aus der Einkaufstüte kümmerte er sich nicht.

»Halt, junger Mann«, donnerte Agatha Simpson, während Parker die beiden Schläger höflich-abwartend musterte. »Selbstverständlich wird man Ihnen den Schaden ersetzen. Wir kaufen jetzt noch mal gemeinsam ein.«

»Nein, nein«, stammelte der Halbwüchsige ängstlich. »Es ist schon gut.«

»Überhaupt nicht«, entschied die Detektivin und wandte sich an ihren Butler. »Bringen Sie die beiden Waschlappen auf die Beine, Mister Parker. Diese Subjekte werden selbstverständlich den Neueinkauf aus ihren Taschen bezahlen.«

»Eine Entscheidung, Mylady, die man nur als gerecht bezeichnen kann und muß«, gab Parker zurück. Er wußte bereits zu diesem Zeitpunkt, daß da wieder mal einiges auf Mylady und ihn zukam.

*

Der Halbwüchsige schleppte sich mit zwei prall gefüllten Tüten ab und machte dennoch einen unglücklichen Eindruck, als er im Fond des hochbeinigen Monstrums Platz nahm.

»Sie hätten sich nicht einmischen sollen, Mylady«, meinte er und tupfte sich mit einem Papiertaschentuch die immer noch blutende Nase ab. »Sie haben ja keine Ahnung, was da alles nachkommen wird.«

»Nun reißen Sie sich mal zusammen, junger Mann«, grollte Lady Agatha. »Sie stehen unter meinem Schutz.«

»Jetzt noch, Mylady«, lautete die Antwort. »Aber Sie werden weiterfahren. Und dann werden die Männer wieder über mich herfallen.«

»Sollte es dafür einen bestimmten Grund geben?« schaltete der Butler sich vom Steuer her ein. Er fuhr die Hauptstraße hinunter und hatte die Absicht, den jungen Mann nach Hause zu bringen.

»Ich bin ein Pakistani«, sagte der Fahrgast mit leiser Stimme.

»Aha«, meinte Agatha Simpson ironisch. »Ich muß, Ihre Hautfarbe völlig übersehen haben.«

»Man hat Sie wegen dieser Hautfarbe geschlagen?« erkundigte sich Parker.

»Und weil ich Pakistani bin«, klang müde die Antwort. »Wir sind hier in Cudlam Hill nicht besonders beliebt.«

»Ihr Englisch ist recht gut, junger Mann«, stellte die ältere Dame fest.

»Ich bin ja hier geboren«, erwiderte der junge Mann, der älter sein mußte, als Mylady zuerst angenommen hatte. »Meine Eltern und ich sind vor einem Vierteljahr nach Cudlam Hill gezogen. Mein Vater bekam hier einen Job.«

»Darf man sich nach Ihrem Beruf erkundigen?« warf Josuah Parker ein.

»Ich arbeite als Dreher in einem kleinen Betrieb, aber ich hab’ schon die Kündigung in der Tasche.«

»Eine Kündigung wegen Ihrer Hautfarbe, junger Mann?« fragte Agatha Simpson interessiert.

»Wegen meiner Hautfarbe«, bestätigte der Fahrgast und wandte sich an den Butler. »Gleich rechts, Sir, dann das letzte Haus links.«

»Ich kenne genügend Leute, die Sie wegen Ihrer braunen Hautfarbe beneiden würden«, spottete die ältere Dame, »um sie zu erreichen, liegen sie für sündhaft teures Geld auf diesen verrückten Sonnenbänken.«

»Aber die sind weiß, wir sind von Geburt aus braun«, meinte der junge Mann resigniert. »Und genau das ist der Unterschied, Mylady.«

Parker hatte das kleine, ebenerdige Haus erreicht und hielt. Der junge Mann stieg aus und bedankte sich noch mal.

»Es war mir ein echtes Vergnügen«, gab die Detektivin zurück.

»Sie sprachen davon, daß noch etwas auf Sie zukommen würde«, erinnerte der Butler den jungen Mann, der die beiden hoch gefüllten Papiertüten in die Arme genommen hatte.

»Vergessen Sie es, Sir«, meinte der Pakistani hastig. »Sie sind ja nur auf der Durchreise.«

»Müssen Mylady davon ausgehen, daß sogenannte Fremde in Cudlam nicht sonderlich erwünscht sind?«

»Und zwar ganz gleich, welche Hautfarbe man hat«, lautete die Antwort. »Dafür sorgt schon der Sauber ...«

»Sie führen absichtlich Ihren Satz nicht zu Ende?«

»Schon gut. Nochmals, vielen Dank! Und gute Weiterfahrt!« Der junge Mann nickte und ging auf die kleine Haustür zu, die geöffnet worden war. In ihr stand wohl der Vater des jungen Mannes. Er war schmal, fast klein zu nennen, und verbeugte sich, als Parker grüßend die schwarze Melone lüftete.

»Was sage ich dazu, Mister Parker?« fragte die ältere Dame, als Parker langsam anfuhr.

»Mylady dürften entrüstet sein«, stellte der Butler fest.

»Das kann man wohl sagen, Mister Parker. Ich hätte noch viel intensiver zulangen sollen. Ich denke, ich werde noch mal zurückkehren und mir die beiden Schläger kaufen.«

»Mylady können sich nach Lage der Dinge diese Rückfahrt ersparen«, gab Josuah Parker zurück. »Mylady brauchen nur in der Nähe des kleinen Hauses zu warten.«

»Aha. Die beiden Subjekte werden nachkommen, um sich für den Zwangseinkauf zu rächen?«

»In der Tat, Mylady«, lautete Parkers Antwort, »zudem müssen diese beiden Schläger ihr sogenanntes Image wahren. Darf man Mylady in diesem Zusammenhang an den Satz erinnern, den der junge Pakistani nicht zu Ende brachte?«

»Sprach er nicht von ...? Von wem sprach er noch?«

»Von einer Person, deren Name ›Sauber‹ lautet, wobei man davon ausgehen muß, daß zumindest eine Silbe aus Angst verschluckt wurde.«

»Selbstverständlich werde ich hier in der Nähe auf diese beiden Lümmel warten«, meinte Lady Agatha. »Der gute Sir Alfred kann warten. Die Sache hier hat absoluten Vorrang.«

Sie betastete freudig den sogenannten Glücksbringer in ihrem perlenbestickten Pompadour. Ihre Finger umrundeten das veritable Hufeisen in dem Handbeutel. Der Größe nach zu urteilen mußte es von einem mächtigen Brauereipferd stammen.

*

Das hochbeinige Monstrum stand hinter einer übermannshohen Hecke auf einem schmalen Feldweg. Parker hatte die Wagenlichter gelöscht und das Fenster auf seiner Seite nach unten gedreht. Er horchte in die Dunkelheit und rechnete jeden Augenblick damit, daß zumindest die beiden Schläger erschienen. Bis zum kleinen, ebenerdigen Haus, in dem die pakistanische Familie wohnte, war es nicht sonderlich weit.

Josuah Parker war durchaus damit einverstanden, daß man sich in dieses Geschehen einschaltete. Er war ein Mann ohne Vorurteile. Fragen der Hautfarbe interessierten ihn grundsätzlich nicht. Für ihn zählte nur die Tatsache, daß ein Mensch sich menschenwürdig benahm und verhielt.

»Sie haben die Lage wieder mal völlig falsch eingeschätzt«, räsonierte die ältere Dame und ließ ihn aus seinen Gedanken hochfahren. »Selbstverständlich werden diese beiden Subjekte nicht erscheinen und ...«

»Man scheint zu kommen, Mylady«, meldete der Butler gemessen nach hinten in den Wagen.

»Unsinn«, widersprach sie, »das ist ein durchfahrender Wagen, der ... vor dem Haus hält.«

Sie war wie elektrisiert und stieß die linke Tür auf. Sie schob ihre imponierende Fülle nach draußen und brachte ihren Pompadour in Schwingung.

Parker verließ ebenfalls den Wagen und übernahm die Führung. Er hatte das leise Zuschlagen einer Wagentür gehört. Parker übernahm die Führung und geleitete seine Herrin durch ein schmales, geöffnetes Gartentor. Von hier aus konnte man bereits auf die Rückseite des kleinen Hauses blicken. Hinter zwei Fenstern brannte schwaches Licht.

Wenige Augenblicke später wußte der Butler, daß man sich nicht geirrt hatte. Die beiden Schläger standen in einem kleinen Wohnraum und waren bereits dabei, einen Tisch auf ihre spezielle Art abzuräumen.

Sie fegten mit Stahlruten das wenige Porzellan von der runden Platte. In einer Zimmerecke machte Parker den jungen Mann aus, der zusammen mit seinem Vater und seiner Mutter hier Schutz suchte.

Der Butler passierte die beiden Fenster und erreichte die Hintertür, die verschlossen war. Er bemühte sein kleines Spezialbesteck und brauchte nur wenige Sekunden, bis er das mehr als einfache Schloß dazu gebracht hatte, sich zu öffnen.

»... zwanzig Pfund auf den Tisch«, sagte einer der beiden Schläger und wandte sich an die drei Hausbewohner, »und dann noch mal zwanzig Ordnungsstrafe.«

»Und zwar ein bißchen plötzlich«, warf der zweite Schläger ein Und fetzte mit seiner Stahlrute ein Bild von der Zimmerwand. »Anschließend unterhalten wir uns über eure Rückkehr nach London. Wir hier in Cudlam Hill wollen keine Fremden sehen. Langsam müßtet ihr das doch kapiert haben, wie?«

Ohne jede Vorwarnung schlug er nach dem Vater des jungen Pakistani und traf dessen Schulter. Der Getroffene stöhnte und wurde noch kleiner.

»Morgen haut ihr ab«, sagte der erste Schläger, »und falls nicht, brennen wir euch das Dach über den Köpfen ab.«

Josuah Parker öffnete die Tür zum Wohnraum und lüftete äußerst höflich die schwarze Melone.

»Wie klein ist doch die Welt«, sagte er dann. »So sieht man sich also wieder.«

Die beiden Schläger waren vorgewarnt und wollten sich nicht noch mal überrumpeln lassen. Wie auf ein geheimes Kommando hin stürzten sie sich auf Parker, doch sie erlebten ein weiteres Wunder, was diesen so konservativ gekleideten Mann betraf.

Der Butler verwandelte seinen Universal-Regenschirm in einen Kendo-Stab. Seine schwarz behandschuhten Hände umspannten den Schirmstock oben und unten. Dann kam es zu einer Reihe blitzschneller und verwirrend erscheinender Bewegungen, die die beiden Schläger völlig irritierten.

Bevor sie dann überhaupt begriffen, was mit ihnen tatsächlich geschah, nahmen sie sehr angeschlagen auf dem Teppich aus Reisstroh Platz und stöhnten um die Wette. Die Stahlruten hatten sie längst weggeworfen.

»Sie haben wieder mal übertrieben«, beschwerte sich Agatha Simpson grollend. »Ich kann doch jetzt nicht auch mit meinem Pompadour zulangen. Oder doch?!«

*

Sie hatten glasige Augen. Um ihre Lippen spielte ein Lächeln, das man nur als ausgesprochen töricht bezeichnen konnte.

Parker hatte sie gebeten, den engen Kofferraum zu verlassen. Sie waren seinem Wunsch sofort nachgekommen und standen nun wie geistesabwesend neben Parkers hochbeinigem Monstrum.

Sie befanden sich eindeutig auf einer anderen Bewußtseinsebene, was mit dem Spezialspray zusammenhing. Der Butler hatte sie damit kurz behandelt, bevor er sie gebeten hatte, im Kofferraum Platz zu nehmen.

Dieser Spray, der auf der Basis von Lachgas entwickelt worden war, machte friedfertig und auch ein wenig apathisch. Er stammte aus einem Sprayfläschchen, das Parker stets mit sich führte.

»Man sollte vielleicht gemeinsam die Frische der Nachtluft genießen«, schlug Josuah Parker vor und deutete mit der Schirmspitze auf den Rand eines kleinen Waldstücks.

»Und etwas schnell, wenn ich bitten darf«, grollte die Stimme der älteren Dame, die am Wagenheck plötzlich unternehmungslustig auftauchte.

Die beiden benommenen Schläger gehorchten augenblicklich und setzten sich in Bewegung. Parker dirigierte sie unauffällig auf eine Buche zu, die einen besonders stämmigen Eindruck machte.

Hier ließ er die Männer Platz nehmen und scherenförmig die Beine ausbreiten. Da sie sich gegenübersaßen, umschlossen ihre Beine nun den Stamm, und Parker brauchte nur noch zwei seiner privaten Handschellen an den Fußgelenken anzubringen, um die Männer unentrinnbar am Stamm zu fixieren.

Sie fanden dies recht unterhaltsam und kicherten ein wenig albern. Ihnen war noch gar nicht aufgegangen, was da gerade passiert war. Sie grinsten den Butler fröhlich an.

»Wann werden diese Lümmel wieder ansprechbar sein?« fragte Agatha Simpson ungeduldig. »Ich habe keine Lust, mir die Nacht um die Ohren zu schlagen.«

»Das Lächeln kündigt ein baldiges Erwachen aus dem Schwebezustand an, Mylady«, versicherte der Butler. »Darf man sich nach Myladys Kreislauf erkundigen?«

»Eine sehr gute Frage«, fand sie sofort. »Er ist natürlich in sich zusammengebrochen, Mister Parker.«

Der Butler wußte Rat.

Aus der Brusttasche seines schwarzen Covercoats, den er inzwischen trug, holte er eine lederumspannte Taschenflasche hervor, deren ovaler Verschluß als Trinkbecher dienen konnte. Der Butler füllte einen mehr als doppelten Cognac ab und reichte Mylady den Becher.

»Sehr schön«, meinte sie, nachdem sie durchaus gekonnt getrunken hatte. »Es geht mir bereits erheblich besser, Mister Parker. Nur weiter so.«

»Darf man Ihre Worte dahingehend interpretieren, daß Mylady noch einer weiteren Anregung bedarf?«

»Manchmal verstehen Sie mich auf Anhieb, Mister Parker«, lobte sie ihn und ließ sich einen zweiten Kreislaufbeschleuniger servieren. Dann blickte sie auf die beiden Männer, die nicht mehr fröhlich lächelten, sondern irritiert-ärgerlich an ihren Fußfesseln zerrten. Das schwache Mondlicht reichte völlig aus, um ihr Mienenspiel genau zu beobachten.

»Was soll der Quatsch?« fragte der erste Schläger wütend. Seine Zunge war zwar noch etwas schwer, doch man konnte deutlich heraushören, wonach er sich erkundigte.

»Mylady haben Ihnen und Ihrem Partner eine Nacht der Besinnung und inneren Einkehr verordnet«, erwiderte Josuah Parker. »In Ihrem Interesse ist zu hoffen, daß es möglichst nicht regnet.«

»Mann, uns findet hier doch kein Mensch«, beschwerte sich der zweite Schläger wütend.

»Es kostete in der Tat einige Zeit, bis man das geeignete Waldstück fand«, erklärte der Butler in seiner höflichen Art. »Sie werden mit einiger Sicherheit kaum gestört werden.«

»Dafür werden Sie noch zahlen«, drohte der erste Schläger. Seine Sprache wurde eindeutig flüssiger, die Wirkung des Sprays ließ merklich nach.

»War das gerade eine Drohung, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha freudig.

»Eindeutiger hätte solch eine Drohung kaum ausfallen können, Mylady.«

»Nun, so etwas läßt eine Agatha Simpson sich nicht bieten«, entschied sie prompt. »Ziehen Sie die Lümmel bis auf die Unterwäsche aus! Ich hoffe, daß die Nacht kalt wird.«

»Sind Sie wahnsinnig, Lady?« brüllte der zweite Schläger. »Wollen Sie uns umbringen?«

»Man könnte die beiden Männer auch freilassen, Mylady«, warf der Butler ein. »Aber dazu müßten Sie Mylady ausführlich berichten, in wessen Auftrag Sie die Pakistani-Familie aus Cudlam Hill vertreiben sollen.«

»Da könnt ihr lange warten«, lautete die Antwort, »aber ihr werdet euch noch wundern. Wir erwischen euch auch in London! Und dann seid ihr reif!«

»Um Ihnen unnötige Arbeit zu ersparen, sollten Sie vielleicht die Visitenkarte meiner Wenigkeit entgegennehmen«, schlug Parker vor. Zwischen seinen Fingern, die in schwarzen Lederhandschuhen steckten, erschien wie durch Zauberei eine Visitenkarte.

*

»Stopp, Mann ... Warten Sie doch!«

Der erste Schläger verlieh seiner Stimme einen bittenden und beschwörenden Unterton. Butler Parker und Lady Simpson, die sich umgedreht hatten und zum Wagen zurückgehen wollten, schienen jedoch nichts gehört zu haben.

»Wir packen ja aus«, rief der Schläger eindringlich. »Verdammt, wir können doch nicht die ganze Nacht hier rumsitzen.«

»Mylady sind an Auskünften nicht weiter interessiert«, antwortete der Butler, der stehengeblieben war.

»Eben haben Sie doch noch wissen wollen, für wen wir arbeiten, oder?«

»Wer würde schon Schläger Ihrer Provenienz beschäftigen?« fragte Josuah Parker.

»Der Saubermann«, lautete die Antwort, die den Butler hellhörig werden ließ. Er erinnerte sich an die Andeutung des jungen Pakistani, der die Silben »Sauber« erwähnt hatte.

»Mylady schätzen es keineswegs, belogen zu werden.« Josuah Parker ließ sich nicht anmerken, wie wichtig das eben gehörte Stichwort für ihn war.

»Wir lügen nicht. Wir arbeiten für den Saubermann«, schaltete der zweite Schläger sich ein.

»Und was soll Mylady sich unter diesem Saubermann vorstellen?«

»Der sorgt für Ordnung hier in der Gegend«, redete der Schläger hastig weiter.

»Aber wir wissen nicht, wer das ist«, fügte der andere Sitzende hinzu, »und das ist die Wahrheit.«

»Der Saubermann sorgt für Ordnung?« Mylady marschierte zurück zu den beiden Männern. Ihre Stimme klang bissig. »Für seine persönliche Ordnung, wie?«

»Für Ordnung eben«, sagte der Schläger. »Der sorgt für ›klar Schiff‹ und so, verstehen Sie, Lady?«

»Überhaupt nicht«, grollte sie. »Aber Subjekte wie Sie sind seine Vollstrecker, nicht wahr?«

»Der Saubermann sagt uns genau, was wir tun sollen.«

»Und Sie erledigen dies mit Fausthieben und Fußtritten?« fragte der Butler.

»Wer nicht kapieren will, der muß eben fühlen«, kam die zynische Antwort. »Mit der Zeit werden die schlaffen Säcke schon merken, wo’s lang geht.«

»Auf welche Art pflegt dieser Saubermann sich mit Ihnen in Verbindung zu setzen?« wollte Parker wissen. Er wußte längst, daß die beiden Männer die Wahrheit sagten.

»Der ruft an, oder er hinterläßt Nachrichten«, hörten Parker und Lady Agatha. »Das ist von Fall zu Fall verschieden.«

»Sind Sie seine einzigen Handlanger?«

»Keine Ahnung«, meinte der andere Schläger achselzuckend. »Aber wir müssen wohl mehr sein. Überall werden die miesen Typen hochgenommen.«

»Und welchen Sold beziehen Sie?« lautete Parkers nächste Frage.

»Wir kriegen Kopfprämien«, sagte der Mann. »Für jeden Typ, den wir zur Ordnung rufen, kassieren wir zwanzig Pfund.«

»Sie befassen sich ausschließlich mit andersfarbigen Menschen?« In Parkers Stimme war nichts mehr von der sonst bekannten Verbindlichkeit zu verspüren.

»I wo, Mann«, hörte er. »Wir schnappen uns auch Typen, die weiß sind. Wir haben doch genug Schrott davon.«

»Aber Ihre Hinweise erhalten Sie nur von dem von Ihnen erwähnten Saubermann?«

»Nur von ihm«, erwiderte der Schläger, »so, jetzt haben wir ausgepackt. Sie sollten uns wieder freilassen.«

»Dazu werden Sie einen sehr persönlichen Beitrag leisten müssen«, gab Josuah Parker zurück. »Man wird Ihnen eine kleine Handfeile zur Verfügung stellen. Mit Fleiß, Ausdauer und Geschick brauchen Sie höchstens drei bis vier Stunden, bis Sie wieder frei sind.«

*

Auf Umwegen war Parker zurück zur Durchgangsstraße gelangt.

»Wie lange brauche ich denn noch, Mister Parker?« mäkelte die ältere Dame. »Ich habe Hunger, Mister Parker.«

»In zwanzig Minuten müßte man Cudlam Castle erreicht haben, Mylady, falls es nicht zu einem weiteren Zwischenfall kommt.«

»Ein weiterer Zwischenfall? Was stelle ich mir denn darunter vor?«

»Der sogenannte Saubermann dürfte inzwischen einige Erkenntnisse gewonnen haben, Mylady. Er wird seine beiden Handlanger vermissen. Darüber hinaus ist möglicherweise bereits bekannt, daß die pakistanische Familie Cudlam Hill per Taxi verließ, um in London Schutz zu suchen.«

»Sie glauben, daß dieses Subjekt bereits nach mir fahndet, Mister Parker?«

»Man sollte dies unterstellen, Mylady.«

»Nun ja, dagegen hätte ich überhaupt nichts einzuwenden.« Sie lächelte versonnen. »Ich denke, hier kündigt sich ein neuer. Fall für mich an, nicht wahr?«

»Mylady haben die Absicht, diesem Saubermann das Handwerk zu legen?«

»Aber selbstverständlich, Mister Parker.« Sie nickte nachdrücklich. »Man muß den selbsternannten Beglückern der Menschheit nachdrücklich auf die Finger schlagen, bevor sie völlig verrückt spielen.«

»Wenn es erlaubt ist, möchte meine Wenigkeit sich der Auffassung Myladys vollinhaltlich anschließen«, gab der Butler zurück. »Sir Alfred ist sicher in der Lage, einige weitere Hinweise auf diesen Saubermann zu geben.«

Während Parker sprach, registrierte er einen dunklen Morris, der an einer Bushaltestelle parkte. Im Licht der Wagenscheinwerfer machte der Butler zwei Insassen aus.

Seine innere Alarmanlage funktionierte und meldete sich. Mit sicherem Instinkt wußte er, daß der Morris dort nicht per Zufall stand. Der Saubermann schien tatsächlich bereits so etwas wie eine Fahndung eingeleitet zu haben. Als man die Haltebucht passiert hatte, setzte der Morris sich sofort in Bewegung und folgte dem hochbeinigen Monstrum.

Parker minderte das Tempo seines Wagens und ließ den Morris aufkommen. Der Fahrer des folgenden Wagens setzte sofort zu einem Überholmanöver an und passierte Parkers Privatwagen. Wenige Augenblicke später streckte der Beifahrer einen Leuchtstab durch das Seitenfenster und gab energische Haltzeichen.

»Was soll denn das, Mister Parker?« fragte Agatha Simpson gereizt.

»Möglicherweise handelt es sich um eine Privatstreife der Polizei, Mylady.«

»Die ich mir aber verbitten möchte«, grollte sie aufgebracht. »Mit einem Leuchtstab kann schließlich jedes hergelaufene Subjekt arbeiten.«

»Eine Bemerkung, Mylady, die man nur als trefflich bezeichnen kann«, entgegnete der Butler, doch er ging auf das Haltezeichen ein und ließ seinen Wagen langsam ausrollen. Er hielt etwa drei Meter vor dem haltenden Morris. Dann langte er in eine seiner vielen Westentaschen und holte seinen ganz speziellen Spray hervor.

Die beiden Männer hatten bereits den Morris verlassen und kamen auf das hochbeinige Monstrum zu. Sie trugen Cordhosen, Lederwesten und dunkle Pudelmützen.

»Eigenartig«, räsonierte die ältere Dame. »Ich glaube, ich werde mich gleich sehr ärgern.«

»Aussteigen«, schnarrte der größere der beiden Männer. Sie hatten die Fahrerseite erreicht und bauten sich vor der Tür auf. Parker kurbelte das Fenster spaltbreit herunter.

»Würden Sie sich bitte erst mal legitimieren?« fragte der Butler.

»Streifengarde«, schnarrte der Mann weiter und wirkte sehr ungeduldig. »Aussteigen!«

»Und zwar ein bißchen dalli«, fügte sein Begleiter hinzu. Er langte nach dem Türgriff und wollte das Schloß öffnen, doch Parker hatte sämtliche Türen bereits zentral verriegelt.

Er war durchaus in der Lage, diese Abwehr noch zu steigern, doch vorerst verzichtete er darauf. Er wollte die Geheimnisse seines hochbeinigen Monstrums nicht vorzeitig preisgeben.

»Machen Sie die Tür auf«, brüllte der Mann, der wütend am Türgriff zog und zerrte.

»Darf man sich noch mal nach Ihrer Legitimation erkundigen?« fragte der Butler, »oder sollten Sie vielleicht gar nicht Vertreter einer Behörde der Krone sein?«

»Wir sind die Streifengarde. Und verdammt ... Sie werden uns gleich kennenlernen! Wetten?«

Während der Mann noch redete, hielt er plötzlich eine automatische Faustfeuerwaffe in der rechten Hand. Er richtete die Mündung auf die Wagenscheibe.

*

Josuah Parker sah sich gezwungen, Gegenwehr zu leisten.

Die beiden Männer bekamen nicht mit, daß seine linke Hand einen der vielen Kipphebel auf dem Armaturenbrett umlegte, nachdem er mit der Spitze des linken Schuhs vorher die Gesamtsperre aufgehoben hatte. Dazu hatte er einen versteckt angebrachten Knopf oberhalb des Kupplungspedals betätigt.

Der Mann, der am Türgriff rüttelte und riß, wurde augenblicklich von konvulsivischem Schütteln erfaßt. Er zappelte wie an vielen unsichtbaren Fäden und führte einen wilden Tanz auf. Dazu stieß er Laute aus, die man nur als unartikuliert bezeichnen konnte.

Dies war an sich kein Wunder, denn der Türgriff stand unter Strom. Gesundheitliche Schäden waren jedoch kaum zu erwarten, da die Stromstärke gering war. Parker hatte diese Türsicherung nach dem Prinzip eines elektrisch geladenen Weidezauns eingebaut und war immer wieder überrascht, wie wirkungsvoll die Sperre war.

Der Mann brüllte also, stieß spitze Schreie aus und hinderte seinen Begleiter daran, von der mächtigen Schußwaffe Gebrauch zu machen. Inzwischen benutzte der Butler sein Sprühfläschchen, um die beiden Streifengardisten in ausgesprochen friedliche und heitere Stimmung zu versetzen.

Aus dem kleinen Zerstäuber entwich mit feinem Zischen der Spezialspray. Ein kaum wahrnehmbarer Feuchtigkeitsfilm legte sich prompt auf die Gesichter der Männer. Parker stoppte den Stromfluß und wartete auf die Reaktion der beiden wohl selbsternannten Streifengardisten.

Der Waffenträger warf bereits seine Automatic in hohem Bogen über Parkers Wagen auf eine Wiese. Der andere Gardist grinste töricht dazu und wischte sich nun über das Gesicht.

»Muß man unterstellen, daß Sie bereits lange warten?« fragte der Butler höflich.

»Seit ’ner Stunde schon ... Wir sin’ hinter ’nem Wagen her.«

»In dem sich zwei Insassen befinden?«

»’ne Frau und ’n Mann. Komische Typen.«

»Und wie lautet Ihr spezieller Auftrag, wenn man fragen darf? Oder hat der Saubermann verboten, nähere Angaben zu machen?«

»Hat er, hat er«, bestätigte der ehemalige Waffenträger und nickte. Dazu lächelte er breit und machte momentan einen durchaus zivilen Eindruck.

»Und wie melden Sie dem Saubermann, daß Sie Ihre Pflicht getan haben?« bohrte der Butler weiter.

»Der ruft uns an, klar? Ganz einfache Sache.«

»Und wo erreicht man die Streifengardisten?«

»Im Sportklub«, verriet der Mann, der elektrisiert worden war.

»Der sich wo befindet, meine Herren?« Josuah Parker gab sich überaus verbindlich.

»Na, wo wohl? In Cudlam Hill, auf der alten Biggin Farm. Die kennt doch jeder hier.«

»Sie sollten jetzt dort hinüber zur alten Feldscheune gehen«, schlug der Butler vor. »Dort werden Sie den gesuchten Wagen finden.«

Die Streifengardisten nickten, salutierten in einer Art, die man durchaus als militärisch bezeichnen konnte, wandten sich stramm um und marschierten zu der bezeichneten Feldscheune, die in Umrissen weit jenseits der Straße auf einer Weide stand.

»Sie lassen diese Lümmel gehen, Mister Parker?« entrüstete sich die ältere Dame. Sie hatte bisher geschwiegen.

»Mit weiteren Angaben dürfte kaum zu rechnen sein, Mylady«, versicherte Josuah Parker ihr.

»Das ist allerdings richtig.« Sie nickte ein wenig zögernd. »Nun gut, Mister Parker, man wird ja sehen. Aber nun weiter zu Sir Alfred. Ich fühle mich bereits ziemlich entkräftet.«

»Wenn Mylady gestatten, sollte meine Wenigkeit den Wagen vorher noch unbrauchbar machen.«

»Genau das wollte ich gerade Vorschlägen«, lautete ihre umgehende Antwort. ‘»Sollen die beiden Lümmel doch zu Fuß nach Dulham Hill gehen.«

»Cudlam Hill, Mylady«, korrigierte Parker, der aus langjähriger Erfahrung wußte, daß seine Herrin sich keine Namen merken konnte.

»Wie auch immer«, meinte sie unwirsch. »Was sind schon Namen, Mister Parker? Es kommt immer auf den Inhalt an, nicht wahr?«

»Meine bescheidene Wenigkeit würde es niemals wagen, Myladys Feststellungen anzuzweifeln«, sagte der Butler. Er blickte zu den beiden Männern hinüber, die gerade einen Stacheldrahtzaun überstiegen und weiter stur die Feldscheune ansteuerten. Vorerst war mit ihnen nicht mehr zu rechnen.

*

»Der Wahrheit die Ehre, meine Liebe«, bekannte Sir Alfred nach der Begrüßung. »Mir geht es bei der Einladung weiß Gott nicht um die Treibjad.«

»Aber das kalte Büfett wird es doch geben, oder?« Sie sah Sir Alfred nervös an.

»Selbstverständlich, Lady Agatha«, versicherte der Gastgeber. »Und es wird auch die Treibjagd geben, aber wie gesagt, ich habe Sie wegen einer völlig anderen Geschichte hierher gebeten.«

Während Sir Alfred noch sprach, blickte er wiederholt auf den Butler. Lady Agatha bemerkte diesen Blick und winkte ab.

»Mister Parker ist mein Vertrauter«, sagte sie knapp. »Reden Sie schon, Sir Alfred!«

»Könnten Sie möglicherweise Ärger mit einem gewissen Saubermann haben, Sir?« warf Josuah Parker ein.

»Saubermann?! Woher wissen Sie? Sie haben von ihm gehört?« Sir Alfred, ein großer, hagerer Sechziger mit weißem Haar und gleichfarbigem Schnauzbart, blickte den Butler irritiert an.

»Mylady nahm bereits Kontakt mit der gerade erwähnten Person auf«, erklärte der Butler in seiner höflichen Art, die niemals devot wirkte. »Mylady setzte sich überdies bereits mit zwei Männern auseinander, die sich als Streifengardisten bezeichneten.«

»Guter Gott«, stöhnte Sir Alfred verhalten. »Vielleicht hätte ich Sie vorher warnen sollen, wie? Es ist doch nichts passiert, oder?«

»Nicht mir oder Mister Parker«, gab die ältere Dame genußvoll zurück, »aber diese Subjekte werden sich ganz sicher nicht gern an mich erinnern.«

Sir Alfred hatte seine Gäste in der Bibliothek von Cudlem Castle empfangen. Hier war man unter sich und konnte sich ungestört unterhalten

Sir Alfred, ein alter Bekannter Myladys, war zwar Großgrundbesitzer, bezeichnete sich aber als Landwirt und Viehzüchter. Er gab sich keineswegs dem Nichtstun hin, sondern bewirtschaftete die Felder mit Sachkenntnis und Geschick. Sein Verhältnis zu den Mitarbeitern war durchaus als gut zu bezeichnen.

»Darf man hören, was passiert ist?« erkundigte sich Sir Alfred. Agatha Simpson blickte ihren Butler an.

»Fassen Sie sich aber kurz, Mister Parker«, forderte sie ihn auf. »Ich will endlich etwas essen.«

Der Butler faßte sich kurz. Er berichtete von dem Zwischenfall in Cudlam Hill, von der pakistanischen Familie und von den insgesamt vier Anhängern des Saubermannes.

»Pakistani«, sagte Sir Alfred, nachdem Parker ihn ins Bild gesetzt hatte, »das ist auch mein Problem, Pakistani und Inder... Ich habe einige Leute von ihnen hier bei mir angestellt. Und nun hat dieser Saubermann eine Ordnungsstrafe verhängt. Pro Person tausend Pfund. Lächerlich, natürlich, Lady Agatha, aber ich weiß aus Erfahrung, daß er dieses Geld eintreiben läßt.«

»Der erwähnte Saubermann verlangt natürlich auch die umgehende Entlassung der Pakistani und Inder, Sir?«

»Ich müßte sie eigentlich schon längst weggeschickt haben, aber der Saubermann hat mir noch eine Frist bis morgen um die Mittagszeit eingeräumt.«

»Per Telefon, Sir, wie zu vermuten ist?«

»Per Telefon«, bestätigte Sir Alfred und nickte. »Mein Verwalter hat den Anruf angenommen.«

»Wann, Sir, wenn man fragen darf, kam es zum ersten Kontakt mit dem Saubermann?« erkundigte sich der Butler.

»Vor drei Tagen, Mister Parker. Aber ich rechnete bereits schon seit Wochen mit solch einer Ordnungsstrafe. Der Saubermann ist schon seit etwa einem Monat tätig.«

»Eine Person, die dem Rassenhaß frönt, Sir?«

»Das bestimmt, aber auch ein Verrückter, der sich anmaßt, die Gesundung der Insel einleiten zu müssen. Moralisch gesehen, versteht sich.«

»Und was sagt die Polizei, mein Bester?« wollte Lady Agatha wissen.

»Die ist tätig, aber geschafft hat sie bisher überhaupt nichts.« Sir Alfred winkte resigniert ab. »Wir leben hier auf dem Land und haben nicht die Spezialisten wie Sie in der Stadt.«

»Keine Sorge.« Agatha Simpson setzte ihre majestätische Fülle in Bewegung. »Nun bin ja ich hier, Sir Alfred. Betrachten Sie den Fall als bereits erledigt. Ist es nicht so, Mister Parker?«

»Mylady war bisher noch kein Täter gewachsen«, lautete die Antwort des Butlers.

*

Die ältere Dame machte einen zufriedenen Eindruck.

Sie hatte sich am kalten Büfett mit spielerischer Leichtigkeit durchgesetzt und die übrigen Gäste um Längen geschlagen. Sie hielt einen Cognacschwenker in Händen und ging, gefolgt von Parker, zum großen Kamin in der Halle.

»Halten Sie mir die Gäste vom Leib«, meinte sie zu ihrem Butler. »Die Leute interessieren mich nicht.«

»Darf man Mylady darauf aufmerksam machen, daß auch Einheimische zur morgigen Treibjagd eingeladen wurden?«

»Einheimische?« Sie nahm einen nicht gerade kleinen Schluck aus dem großen Schwenker. »Und was schließe ich daraus, Mister Parker?«

»Theoretisch könnte sich der gesuchte Saubermann darunter befinden, Mylady.«

»Daran dachte ich auch gerade«, behauptete sie prompt. »Man kann nicht vorsichtig genug sein. Sir Alfred soll mir diese Leute vorstellen, ich werde mir dann ein erstes Bild verschaffen.«

»Inzwischen könnte meine Wenigkeit Kontakt mit dem Hauspersonal herstellen, Mylady.«

»Aber passen Sie auf sich auf, Mister Parker. Sie wissen hoffentlich, daß Sie mehr denn je zum Leichtsinn neigen, nicht wahr?«

»Wie Mylady zu meinen belieben.« Parkers Gesicht blieb glatt und ausdruckslos. Er verbeugte sich andeutungsweise und verließ die Halle, während Agatha Simpson dem Gastgeber zuwinkte.

Über eine schmale Wendeltreppe, die sich um den Speisenaufzug schlängelte, stieg Josuah Parker hinunter in die große Küche, die in einem mächtigen Gewölbe untergebracht war. Hier traf er auf den Verwalter von Cudlam Castle.

Vance Stratons war etwa fünfunddreißig, mittelgroß und schlank. Er hielt sich militärisch straff, wozu seine Breecheshosen und die Reitstiefel noch beitrugen. Er hatte eine nasalarrogante Stimme und blickte den Butler kühl an.

»Ist die allgemeine Abfütterung beendet?« erkundigte er sich herablassend.

»Muß man unterstellen, Mister Stratons, daß Sie die Gäste nicht sonderlich schätzen?«

»Die sind mir herzlich gleichgültig, Parker«, antwortete der Verwalter von Cudlam Castle wegwerfend. »Sie als Insider werden doch wohl bemerkt haben, daß die eigentliche Rasse und Klasse fehlt, nicht wahr?«

»Sie scheinen den sogenannten Adel zu vermissen, Mister Stratons.«

»Da weiß man doch wenigstens, woran man ist«, sagte Stratons. »Aber oben im Haus ist doch nichts anderes als Landvolk vertreten. Sie verstehen, was ich meine?«

»Meine Wenigkeit muß bedauern, Mister Stratons.«

»Na ja, Sir Alfred hat bei seinen Einladungen nicht gerade hochgegriffen«, mäkelte Stratons herum, »nichts als kleine Grundbesitzer und Kaufleute aus der Region. Alles bestimmt schlechte Schützen, eben keine Rasse und Klasse.«

»Ehrenwerte Mitglieder der Gesellschaft, Mister Stratons.«

»Lassen wir das, Parker«, näselte der Verwalter. »Dafür ist ja Lady Simpson erschienen. Wie kommen Sie mit ihr hin?«

»Mylady hat ein durchaus gutes Verhältnis zu ihren Mitarbeitern, Mister Stratons.«

»Sie soll sich als Detektivin betätigen? Kann ich mir kaum vorstellen. Frauen als Detektive, so etwas gibt es doch nur in Filmen und im Fernsehen.«

»Mylady ist eben eine rühmliche Ausnahme.«

»Helfen Sie ihr bei der Arbeit?« Stratons blickte den Butler eindeutig belustigt an.

»Soweit es in den mehr als schwachen Kräften meiner bescheidenen Wenigkeit steht, Mister Stratons.«

»Nun, hier bei uns auf dem Land werden Sie sich kaum anstrengen müssen«, prophezeite der Verwalter und lächelte für einen Moment. »Hier passiert so gut wie gar nichts.«

»Wofür schon ein gewisser Saubermann sorgt, wie man hört.«

»Saubermann? Sie ... Sie haben schon von ihm gehört?« Stratons stutzte.

»Es kam bereits zu ersten Kontakten, Mister Stratons«, versicherte der Butler ihm. »Man verlangte von Mylady eine sogenannte Ordnungsstrafe.«

»Die Sie besser umgehend bezahlen, Parker.« Stratons dämpfte seine Stimme und blickte zum Küchenpersonal hinüber, das an einem langen Tisch saß und aß.

»Gibt es einen Grund für Ihre Empfehlung, Mister Stratons?« wollte der Butler wissen.

»Und ob, Parker, und ob!« Stratons lächelte herablassend. »Und dieser Grund ist die Gesundheit. Der Saubermann fackelt nicht lange, wenn er einen aufs Korn genommen hat. Fragen Sie mal unseren Koch Deveter. Der ist seinen Armgips erst seit ein paar Tagen wieder los. Der wollte auch nicht zahlen. Ich wette, daß er in Zukunft die Ordnungsstrafen pünktlich auf die Minute überweist. Aus Schaden wird man schnell klug.«

Der exzellente Butler Parker 2 – Kriminalroman

Подняться наверх