Читать книгу Butler Parker 135 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3
Оглавление»Sie sehen meine bescheidene Wenigkeit mehr als erstaunt«, sagte Butler Parker. Er hatte die Tür zu Lady Simpsons Haus in Shepherd’s Market geöffnet und verbeugte sich grüßend vor Superintendent McWarden.
»Ich weiß, um diese Zeit sollte man keine Besuche mehr machen«, entschuldigte sich der hohe Yardbeamte. McWarden, untersetzt, stets reizbar, gab sich überraschend höflich und verbindlich. »Aber die Sache duldet keinen Aufschub.«
»Mylady ist selbstverständlich noch nicht zur Ruhe gegangen, Sir. Ich werde Sie sofort melden, Sir. Wenn Sie freundlicherweise drüben im Wohnraum Platz nehmen würden?«
»Mylady ist also noch auf.« McWarden war erleichtert.
»Mylady arbeitet an Myladys Bestseller«, erklärte der Butler.
»Was Sie nicht sagen! Sie hat endlich damit begonnen?« McWarden vergaß für einen Augenblick seine Sorgen und war ehrlich überrascht. Ihm war bekannt, daß die Dame des Hauses schon seit vielen Monaten diesen Bestseller schreiben wollte, um einer gewissen Agatha Christie zu zeigen, wie Kriminalromane wirklich verfaßt wurden.
»Mylady deutete diese Absicht zumindest an«, schränkte der Butler vorsorglich ein. Er machte wieder eine seiner knappen Verbeugungen und verließ den Superintendent, der ihm nachschaute.
Butler Parker war ein etwas über mittelgroßer Mann undefinierbaren Alters. Er besaß das ausdruckslose Gesicht eines Pokerspielers und verfügte über erstklassige Manieren. Darüber hinaus war er ein sehr phantasievoller und begabter Amateurkriminalist. McWarden hätte solch einen Mann liebend gern in seiner Abteilung gehabt, doch Parker hatte bisher allen Versuchungen widerstanden, seinen Arbeitsplatz aufzugeben. Er war mit Leib und Seele Butler und dachte nicht daran, diesen Zustand zu ändern.
Gemessen und würdevoll stieg Josuah Parker über die Treppe hinauf ins Obergeschoß und erreichte über eine Seitendiele den Trakt des Hauses, in dem seine Herrin wohnte. Nach diskretem Anklopfen und der grimmigen Aufforderung, gefälligst hereinzukommen, stand Josuah Parker Lady Agatha gegenüber.
Sie hatte sich einen kleinen Salon als Arbeitszimmer herrichten lassen. Auf einem soliden Tisch stand eine elektrische Schreibmaschine. Links vom Tisch, auf einem Aktenblock, stapelte sich Manuskriptpapier.
»Gerade wollte ich anfangen«, beschwerte sich Lady Simpson unwillig. Sie wandte sich ihrem Butler zu, der natürlich mit einem Blick sah, daß das eingespannte Papier noch keinen einzigen Buchstaben trug.
»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit hier untröstlich«, entschuldigte sich Parker. »Superintendent McWarden bittet um eine Unterredung. Es scheint sich um einen Fall höchster Dringlichkeit zu handeln.«
»Warum sagen Sie das nicht gleich?« Die ältere Dame, die seit einigen Jahren beschlossen hatte, nicht älter als sechzig Jahre zu sein, stand sofort schwungvoll auf. Man sah ihr an, wie sehr sie sich jetzt über die Störung freute.
Sie war groß, stattlich und erinnerte an die Walküre aus einer Wagneroper. Mylady verfügte über eine Stimme, die vom Klang her an eine Mischung aus Baß und Bariton erinnerte. Sie war eine sehr dynamische Frau, immens reich und mit dem Blut- und Geldadel Englands eng verschwägert und verschwistert. Darüber hinaus hielt sie sich für eine erstklassige Kriminalistin, die keiner Möglichkeit aus dem Weg ging, sich mit Ganoven und Gangstern aller Kaliber anzulegen.
Lady Agatha trug einen wallenden Hausmantel, den sie energisch zuschnürte. Dann rauschte sie aus ihrem Arbeitszimmer, begierig darauf, Superintendent McWarden wieder mal fachlich zu beraten.
»Keine unnötigen Floskeln«, raunzte sie, als sie den Wohnraum betrat. »Kommen sie zur Sache, McWarden! Ohne mich scheint es also wieder mal nicht zu gehen, wie?«
»Wir wären an einer Zusammenarbeit wirklich recht interessiert«, räumte der Superintendent widerwillig ein. »Man riet mir von höchster Stelle dazu, Mylady. Guten Abend, übrigens!«
»Welche Kastanien soll ich Ihnen aus dem Feuer holen?« Die energische Dame genoß dieses Einverständnis und ließ sich in einem der bequemen Ledersessel nieder. »Wo drückt der Schuh, McWarden? Reden Sie endlich!«
»Fatty Hitcham ist ausgebrochen«, sagte McWarden.
»Okay. Und wer ist das?«
»Der ehemalige Chef einer Gangsterorganisation«, erklärte der Superintendent. »Mylady erinnern sich bestimmt. Hitchams Bande erpreßte Reedereien. Er wurde zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt.«
»Wie lange hat er davon abgesessen?« erkundigte Agatha Simpson sich fast beglückt, denn sie hatte den Eindruck, daß es ein recht aufregender Fall werden könnte.
»Knapp ein Jahr, Mylady«, lautete McWardens Antwort. »Vor anderthalb Stunden ist er auf geheimnisvolle Art und Weise entkommen. Die näheren Umstände werden zur Zeit noch erforscht.«
»Was das schon bringt«, sagte sie verächtlich. »Mr. Parker, es dürfte klar sein, daß ich diesen Fall übernehmen werde.«
»Selbstverständlich, Mylady«, erwiderte Parker würdevoll. »Mylady dürfen meiner bescheidenen Mithilfe versichert sein.«
*
»Bescheidene Mithilfe«, grollte die Detektivin, als McWarden gegangen war. »Ich hab mich wohl verhört, Mr. Parker?«
»Wie darf, soll und muß ich Myladys Worte interpretieren?« antwortete Josuah Parker gemessen.
»Ich will doch sehr hoffen, daß Sie sich gründlich einsetzen«, forderte Agatha Simpson energisch. »Es geht schließlich um Ihren Ruf, Mr. Parker.«
»Mylady wissen, wie wenig meiner bescheidenen Person daran gelegen ist.«
»Es geht um meinen Ruf.« Lady Agatha wurde nun deutlich. »Zudem habe ich keine Ahnung, wie wir an dieses Subjekt je herankommen wollen. Sie haben hoffentlich bereits eine Idee!«
»Mylady sehen mich untröstlich.« Parker sprach die Wahrheit. »Zur Zeit sehe ich mich außerstande, brauchbare Vorschläge unterbreiten zu können.«
»Genau das habe ich erwartet,« Sie sah ihn grimmig an. »Alles muß man allein machen. Wir werden dieses Subjekt aus dem Schlupfwinkel locken.«
»Gewiß, Mylady.« Josuah Parker sah Lady Agatha fragend an.
»Mehr haben Sie dazu wieder nicht zu sagen?«
»Fatty Hitcham, Mylady, wird sich nicht so leicht provozieren lassen, wie ich vermute.«
»Jeder Mensch hat seinen ganz bestimmten schwachen Punkt, Mr. Parker, oder wollen sie das etwa abstreiten?«
»Keineswegs, Mylady. Falls es erlaubt ist, werde ich mich bemühen, einige Informationen über Fatty Hitcham zu sammeln. Er hat, wie Superintendent McWarden ja schon sagte, nicht nur Freunde. Zudem vermutet man bei ihm eine beträchtliche Beute in der Größenordnung von fast siebenhundertfünfzigtausend Pfund.«
»Sie glauben, daß gewisse Individuen der Unterwelt hinter Hitcham her sind?«
»Mit letzter Sicherheit, Mylady. Solch eine Summe aktiviert, wenn ich es so ausdrücken darf.«
»Sie wissen ja, daß ich mich mit Kleinigkeiten nicht abgebe, Mr. Parker. Tun sie, was ich für richtig halte! Sie haben völlig freie Hand. Aber ich erwarte selbstverständlich Resultate.«
Geschickterweise verzichtete Lady Simpson auf jede weitere Diskussion. Sie wollte sich angeblich wieder ihrem geplanten Bestseller widmen und ging zurück ins Obergeschoß des Hauses. Sie setzte wieder mal auf Butler Parker.
Er war sich darüber klar, daß die Polizei wesentlich mehr und bessere Möglichkeiten der Großfahndung hatte. Sie brauchte nur ihren großen Apparat und die vielen V-Männer einzusetzen. Überall waren diese Männer jetzt an der Arbeit und sammelten Hinweise, Klatsch und Tips. Mit solch einem Aufwand an Einsatz konnte Josuah Parker einfach nicht konkurrieren. So etwas wäre eine reine Zeitverschwendung gewesen, die dazu noch nicht mal etwas einbrachte. Nein, Parker mußte sich etwas Ungewöhnliches einfallen lassen, daran bestand kein Zweifel.
Butler Parker begab sich ins Souterrain des altehrwürdigen Hauses, wo sich seine privaten Räume befanden. Hier gab es unter anderem auch ein gut geführtes Privatarchiv, in dem sich auch der ehemalige Fall Hitcham befinden mußte. Parker wollte sich diese Unterlagen in aller Ruhe und Muße ansehen und dann so etwas wie ein Psychogramm des Gangsters erarbeiten. Er mußte versuchen, sich in die Gedankenwelt Hitchams zu versetzen, denn nur so war es möglich, diesen brutalen und gefährlichen Mann aufzuspüren und erneut unschädlich zu machen.
Butler Parker wußte nicht, daß Lady Agatha zu diesem Zeitpunkt bereits sehr aktiv geworden war. Von ihrem Salon aus rief sie die Redaktionen einiger großer Boulevardzeitungen an und legte damit Zeitbomben, von deren Sprengkraft sie sich keine Vorstellungen machen konnte.
*
Fatty Hitcham wäre die Idealbesetzung des Gangsterbosses in einem Kriminalfilm gewesen.
Er war untersetzt, breitschultrig und hatte das Gesicht einer Bulldogge. Das knappe Haftjahr im Zuchthaus hatte ihn überhaupt nicht verändert. Er strahlte nach wie vor wilde Energie, Brutalität und auch Autorität aus.
Nach seiner Flucht aus dem Knast hatte er ganz bewußt darauf verzichtet, zurück nach London zu gehen und sich hier einen Unterschlupf zu suchen. Fatty Hitcham war intelligent. Er konnte sich leicht ausrechnen, wie interessant er für viele kleine und große Ganoven war. 750 000 Pfund, die waren ein Köder, nach dem man immer wieder schnappen würde. Zudem rechnete er damit, daß die Behörden auf seinen Kopf einen hohen Preis aussetzten. Leicht und schnell verdientes Geld für Spitzel und Verräter, die natürlich Tag und Nacht, Stunde um Stunde nach ihm forschen würden. Nein, Hitcham hatte es vorgezogen, das wohlvertraute Stadtgebiet Londons zu meiden. Ihm ging es erst mal um Zeitgewinn. Er wollte abwarten, bis die erste Aufregung vorüber war.
Der Gangsterboß befand sich seit einigen Stunden in der Nähe von Bristol. Er hatte Quartier in einem kleinen Kurort bezogen, nicht weit entfernt von der alten Römerstadt Bath. Selbstverständlich war er nicht allein. In seiner Begleitung befanden sich drei ausgesuchte Männer, die seine Flucht in der vergangenen Nacht ermöglicht hatten. Er konnte sich unbedingt auf sie verlassen. Es waren harte Typen, etwa zwischen dreißig und fünfunddreißig Jahre alt. Sie waren bereits zu einer Zeit seine Leibwächter gewesen, als Hitcham noch der ungekrönte König der Unterwelt gewesen war.
Diese vier Männer bewohnten ein kleines Ferienhaus am Avon, nahe an einem kleinen Waldstück, doch von dem vierten Mieter wußte der Besitzer des Ferienhauses nichts. Er kannte nur die drei Mieter, durchaus zivil aussehende Männer mit guten Manieren. Sie hatten sich als Geschäftsleute aus Manchester ausgegeben, die hier in aller Ruhe neue Pläne besprechen und planen wollten.
Ihre Adressen in der großen Industriestadt stimmten durchaus.
Nach der damaligen Verurteilung von Hitcham hatten sie London verlassen und sich in Manchester niedergelassen. Ihre Namen waren im Prozeß überhaupt nicht erwähnt worden, weil Hitcham sie klugerweise verschwiegen hatte.
In der Organisation aber waren diese drei Männer so gut wie unbekannt geblieben, zumal sie seinerzeit unter falschen Namen gewirkt hatten. Inzwischen hatten sie ihr Aussehen verändert und konnten sicher sein, alle Spuren verwischt zu haben.
An diesem Morgen kam Gene Potter aus dem nahen Keynsham zurück. Er hatte eingekauft und auch Zeitungen mitgebracht. Er betrat das kleine Ferienhaus und warf die Zeitungen auf den Tisch. Gene Potter war dreißig Jahre alt, mittelgroß und schlank. Den harten Killer sah man ihm nicht an. Mit seinem dichten, schwarzen Haar erinnerte er an einen Inder, zumal er eine sehr braune Hautfarbe besaß.
»Sensation auf der ganzen Linie, wie?« fragte Fatty Hitcham, der nach den Zeitungen griff.
»Kann man wohl sagen, Boß«, erwiderte Gene Potter. »Der Yard spielt verrückt und wird ganz schön durch den Kakao gezogen.«
Paul Corston und Will Beaford traten hinter Hitcham, um gemeinsam mit ihm die Schlagzeilen zu studieren. Paul Corston war zweiunddreißig Jahre alt, groß, schlank und besaß eine ausgeprägte Stirnglatze. Will Beaford – fünfunddreißig Jahre alt, rundlich und zur Korpulenz neigend – war die Freundlichkeit in Person. Er lachte gern und oft, breit und herzlich. Darüber vergaß man in fast allen Fällen die Kälte seiner Augen.
»Großfahndung! Wenn ich das schon lese!« Fatty Hitcham grinste. »In ein paar Tagen und Wochen ist alles eingeschlafen.«
Er wollte noch mehr zu diesem Thema sagen, doch sein Blick fiel auf eine weitere Schlagzeile. Er stutze, kniffte die Zeitung zusammen und beugte sich vor.
»Was ist denn das?« meinte er dann halblaut. »Lady Agatha Simpson hat sich in die Fahndung eingeschaltet? Diese irre Ziege!«
»Wer ist Lady Simpson?» fragte Gene Potter.
»Die kennt ihr nicht«, sagte Hitcham. »Zu unserer Zeit war sie in Frankreich.«
»Und wer ist diese Lady?« wollte Paul Corston wissen.
»Sie ist stinkreich und überdreht«, gab Hitcham zurück. »Ich habe im Zuchthaus von ihr gehört.«
»Und zwar?« Will Beaford zündete sich eine Zigarette an und nahm in einem Sessel Platz.
»Sie arbeitet mit ihrem Butler zusammen. Klar, steht ja auch im Interview. Sie behauptet, Moment mal, ja, sie behauptet, schon etwas wie ’ne heiße Spur zu haben.«
»Lächerlich.« Will Beaford schüttelte den Kopf. »Wer ist diese Lady, Boß? Was hat man sich im Bau über sie erzählt?«
»Ihr Butler und sie sind Amateurdetektive. Ihr könnt euch nicht vorstellen, Leute, wie viele sie ins Gefängnis oder Zuchthaus gebracht haben. Und jetzt kommt das Verrückte an der Sache: Die meisten von diesen Jungen sind noch nicht mal sauer auf sie. Sie finden, daß die Alte und ihr Butler ihnen guten Sport geliefert haben.«
»Diese Alte können wir vergessen«, warf Paul Corston ein.
»Und ihren Butler dazu«, erklärte Gene Potter. »Hier in der Provinz bist du sicher.«
»Sie will angeblich eine heiße Spur entdeckt haben.« Fatty Hitcham überlas das Interview noch mal, diesmal genauer und intensiver. »Seid ihr sicher, Jungens, daß ihr alle Spuren verwischt habt?«
»Wer wird denn gleich nervös werden, Boß?« Will Beaford lächelte breit. »Die Alte hat das Maul voll genommen, liegt doch auf der Hand.«
»Nichts als ein Trick«, pflichtete Corston seinem Partner Beaford bei. »Die hoffte nur, daß du dich rührst, Boß.«
»Genau.« Gene Potter ging hinüber in die kleine Küche, um das Frühstück zu bereiten. »Darauf fällt doch noch nicht mal ein Anfänger ’rein, Boß. Überhaupt nicht darauf eingehen, das ist meine Meinung.«
Fatty Hitcham nickte langsam und beschäftigte sich mit den übrigen Zeitungen. Er fand schnell heraus, daß sämtliche Boulevardblätter das Interview mit Lady Simpson brachten.
Zwanzig Minuten später schmeckte ihm der Morgentee nicht mehr. Die frische, gesalzene Landbutter, die knusprigen Hörnchen und auch der Orangemarmelade brachten seine Magennerven nicht in Stimmung, obwohl er sich gerade auf dieses erste Frühstück in der Freiheit so sehr gefreut hatte.
Lady Agatha und ein gewisser Butler Parker lagen ihm bereits im Magen.
*
»Dieses Interview wird ihn herausfordern«, prophezeite Lady Agatha Simpson.
Sie hatte gefrühstückt und studierte die Zeitungen, die Parker ihr vorgelegt hatte.
»Mylady werden ungemein vorsichtig sein müssen«, antwortete der Butler höflich.
»Ich merke doch, daß Sie an diese Herausforderung nicht glauben«, räsonierte die ältere Dame.
»Mr. Fatty Hitcham scheint meiner bescheidenen Einschätzung nach ein sehr vorsichtiger Mensch zu sein, Mylady.«
»Er wird mir seine Leibgarde auf den Hals hetzen«, hoffte Agatha Simpson zuversichtlich. »So haben diese Gangsterbosse bisher doch immer reagiert. Sie wollen kein Risiko eingehen.«
»Wie Mylady meinen.«
»Sie sind also anderer Meinung?« Die Detektivin schaute ihn unwillig an.
»In etwa, Mylady, wenn ich mich erkühnen darf.«
»Sie glauben, daß er sich nicht rühren wird?«
»Davon sollte man vielleicht ausgehen, Mylady. Ich habe mir erlaubt, Mr. Hitchams Leben ein wenig zu studieren.«
»Und woher bezogen Sie dieses Wissen? Wir waren doch in Frankreich, als sein Fall vor Gericht verhandelt wurde.«
»Die Zeitungen berichteten ausführlich über den Prozeß, Mylady. Diese Berichte bieten eine gute Grundlage.«
»Dann möchte ich mehr darüber erfahren, Mr. Parker.«
»Wünschen Mylady Stichworte oder ein ausführliches Psychogramm dieses Mannes,«
»Stichworte«, raunzte sie ungnädig.
»Mr. Fatty Hitcham, Mylady, ist zweiundfünfzig Jahre alt. Seine Organisation hatte sich auf Reedereien spezialisiert, um es generell auszudrücken. Er erpreßte horrende Zahlungen, die nach einigen gelegten Explosionen an Bord und Schiffsbränden in fast allen Fällen geleistet wurden.«
»Wie wurde dieses Subjekt überführt?«
»Er ging quasi in eine Falle, Mylady, die ein besonders couragierter Reeder ihm stellte. Dieser Reeder lud Hitcham zu einer Besprechung ein und sorgte dafür, daß Beamte des Yard die Unterhaltung mitverfolgen konnten.«
»Das reichte für fünfzehn Jahre?«
»Es kam vor der Verhaftung zu einer Schießerei, Mylady, bei der zwei Beamte verletzt wurden. In diesem Zusammenhang sollte ich drei Begleiter Mr. Hitchams erwähnen, die seine Leibwache bildeten, die sich jedoch der Verhaftung entziehen konnten.«
»Kennt man ihre Namen?«
»Mr. Hitcham verweigerte jede Aussage dazu, Mylady. Meiner bescheidenen Ansicht nach dürften sie es gewesen sein, die die jetzige Flucht ermöglichten.«
»Man hat keine Spur von ihnen gefunden?«
»Sie verschwanden wie vom Erdboden, wie es in solchen Fällen so treffend heißt, Mylady. Mr. Hitcham schonte darüber hinaus auch noch die übrigen Bandenmitglieder, die ungeschoren davonkamen. Er nahm alle Schuld auf sich.«
»Damit zog er wohl Wechsel auf die Zukunft, wie?«
»Eine klassische Formulierung, Mylady, um die ich Mylady beneide.« Parker verbeugte sich. »Sein Schweigen hat sich durchaus gelohnt, wie die Tatsachen beweisen.«
»Schön, jetzt aber Details zu diesem Subjekt, Mr. Parker.«
»Mr. Fatty Hitcham, Mylady, stammt aus Liverpool und wuchs in äußerst ärmlichen Verhältnissen auf. Daher ist es verständlich, daß er später dem Luxus frönte. Mit anderen Worten, er liebt Delikatessen der Küche, eine gepflegte Umgebung und Maßanzüge.«
»Und mit diesem Wissen wollen Sie ihn aufspüren?« Lady Agatha lächelte spöttisch.
»Er entwickelte im Lauf der Zeit ganz bestimmte Vorlieben«, berichtete Parker ungerührt und gemessen weiter, »Mr. Hitcham rauchte vor seiner Inhaftierung eine ganz bestimmte, sehr teure Zigarrenmarke, die es nur in einigen Spezialgeschäften hier auf der Insel gibt. Darüber hinaus scheint er sich auf einen ganz bestimmten Sherry spezialisiert zu haben, sowie auf eine Gänseleberpastete aus Dänemark und einen Wodka, den es ebenfalls nicht gerade im Supermarkt gibt.«
»Das alles haben Sie den damaligen Zeitungsberichten entnommen?« Lady Agatha war ernst geworden.
»Es handelte sich um mehr oder weniger saloppe Randbemerkungen der Berichterstatter und Prozeßbeobachter«, antwortete der Butler. »Ich möchte mir erlauben hinzuzufügen, daß Mr. Hitcham verblüffenderweise eine ganz bestimmte, sehr billige Rotwurst aus Liverpool schätzte, die es praktisch nur in einer einzigen Fleischerei der Stadt gibt.«
»Eine Erinnerung an seine Kindheit, wie?«
»Durchaus, Mylady. Mir schienen und scheinen diese Details recht wichtig zu sein.«
»Papperlapapp, Mr. Parker!« Lady Simpson schüttelte den Kopf. »Diesmal setzen Sie auf das falsche Pferd. Hitcham wird jetzt andere Sorgen haben, als sich um seine ehemaligen Leckerbissen zu kümmern.«
»Mylady mögen gütigst verzeihen, aber ich gestatte mir, eine andere Ansicht zu vertreten. Mr. Hitcham dürfte auf all diese Genüsse gut ein Jahr lang verzichtet haben müssen! Seine Gier nach diesen Dingen wird übermächtig in ihm sein.«
»Kennen Sie denn die Firmen, die ihm früher das alles, geliefert haben?«
»Dies, Mylady, wird sich diskret erforschen lassen.«
»Und Sie glauben, daß McWarden alles übersehen wird?«
»Mit einiger Sicherheit, Mylady. Superintendent McWarden wird an scheinbare Beiläufigkeiten kaum denken, weil er es gewohnt ist nach der klassischen Methode zu arbeiten. Ihn wird die Großfahndung voll und ganz beschäftigen.«
»Befindet Hitcham sich Ihrer Meinung nach in London?«
»Er dürfte sich hinaus aufs flache Land begeben haben, Mylady. In London wäre er schon wegen der ausgesetzten hohen Belohnung nicht sicher.«
»Und Sie glauben nicht, daß er sich an dem Reeder rächen wird, dem er seine Verhaftung zu verdanken hat?«
»Sir Lance Clanters, Mylady, verstarb vor wenigen Monaten. Ein Racheakt muß ausgeschlossen werden. Sir Lance erlitt einen Herzinfarkt und hinterließ nur eine Tochter namens Patricia, sechsundzwanzig Jahre alt, die sich dem sogenannten süßen Nichtstun ergeben hat.«
»Genug, genug, Mr. Parker!« Lady Agatha stand auf und winkte ab. »Mir ist da gerade eine Idee gekommen.«
»Selbstverständlich, Mylady.«
»Hitcham wird sich an dieser Patricia rächen, wenn er ihren Vater schon nicht mehr erreichen kann. Ich weiß, was ich zu tun habe. Über Patricia Clanters werde ich an Hitcham herankommen, glauben Sie mir. Ich sehe bereits alles ganz deutlich vor mir. Ich werde Kathy einsetzen.«
Lady Simpson meinte ihre Sekretärin und Gesellschafterin Kathy Porter, die an diesem Tag aus Brighton zurückerwartet wurde. Sie hatte dort eine Verwandte besucht.
»Miß Porter wird stolz sein, Myladys Vorstellungen in die Tat umsetzen zu dürfen«, meinte der Butler höflich.
»Sie werden mich begleiten dürfen«, entschied Lady Agatha. »Ich werde diese Patricia ab sofort nicht mehr aus den Augen lassen. Sie allein ist der Schlüssel zu Hitcham, auch wenn Sie das nicht einsehen wollen, Mr. Parker!«
*
Ben Atkers, an die fünfzig Jahre alt, faltete sorgfältig die Zeitung zusammen und lehnte sich zurück. Der kleine drahtige Mann, der an einen Jockey erinnerte, ließ seine Gedanken auf Hochtouren arbeiten. Er wußte längst, daß sein Intimfeind Hitcham aus dem Zuchthaus entflohen war. Er wußte auch, wie wertvoll dieser Hitcham plötzlich geworden war: siebenhundertfünfzigtausend Pfund suchten jetzt einen neuen Erben. Und dieser Erbe wollte Ben Atkers werden . . .
Zu Beginn ihrer gemeinsamen Karriere in der Unterwelt hatten sie noch zusammengearbeitet, doch dann hatte Hitcham ihn böse hereingelegt, sich selbständig gemacht und Atkers’ Organisation an den Rand der Bedeutungslosigkeit gedrängt. Atkers hatte umsteigen und sich ein neues Betätigungsfeld suchen müssen. Er betrieb jetzt einige verbotene Spielclubs, kam gewiß gut über die Runden, wie man sich in seinen Kreisen zuraunte, doch ein As war er nicht.
Das konnte jetzt alles anders werden.
Er mußte nur diesen Hitcham aufspüren und solange unter Druck setzen, bis sein Intimfeind freudig verriet, wo er sein erpreßtes Vermögen versteckt hielt. Atkers war fest entschlossen, dieses gewiß gefährliche Spiel zu spielen. Da war noch eine alte Rechnung zu begleichen.
Er hatte auch das Interview gelesen, das eine gewisse Lady Agatha Simpson den Zeitungen gewährt hatte.
Natürlich war ihm diese skurrile Frau bekannt. Bekannter aber noch war ihm Butler Parker, der in Diensten dieser Lady stand. Ben Atkers machte sich da keine Illusionen. Er wußte genau, wie listenreich und phantasievoll Parker war. Die Unterweit respektierte diesen Mann, der immer gut für jede noch so verrückte Überraschung war.
Atkers sah hoch, als die Tür sich öffnete.
Norman Scott, seine rechte Hand, trat herein.
Der etwa Dreißigjährige war ein etwas pomadig wirkender Mann, dem man nicht zutraute, ein Wässerchen trüben zu können. Er sah stets geistesabwesend und verschlafen aus, war aber ein erstklassiger Falschspieler und harter Bursche, der leicht die Kontrolle über sich verlor.
»In der Stadt summt’s wie in ’nem Bienenkorb«, berichtete Norman Scott. »Die Gerüchte überschlagen sich, Chef. Jeder ist hinter Hitcham her!«
»Kann ich mir lebhaft vorstellen! Etwas Konkretes herauszubekommen?«
»Nichts, Chef. Ob Hitcham überhaupt noch in London ist?«
»Bestimmt nicht, Norman.« Ben Atkers schüttelte den Kopf. »Dieses Risiko geht der schlaue Hund nicht ein. Der treibt sich irgendwo auf dem Land ’rum. Ich kenne doch Hitcham.«
»Wie wollen wir dann je an ihn ’rankommen?« fragte Norman Scott.
»Über Patricia Clanters«, erwiderte Ben Atkers wie selbstverständlich. »Das ist die Tochter des Reeders, der...«
»Klar, ich weiß Bescheid, Chef.«
»Hitcham ist rachsüchtig wie die Pest.«
»Er wird sich an die Kleine ’ranmachen?«
»Ganz bestimmt. Wir werden diese Clanters ab sofort beobachten, Norman, Tag und Nacht. Irgendwann wird Hitcham aktiv werden.«
»Er selbst?«
»Natürlich nicht, aber er wird einen seiner drei Leibwächter auf sie hetzen. Oder vielleicht sogar alle drei. Dann packen wir zu und lassen uns sagen, wo Hitcham steckt.«
»Wird er sich bald rühren?«
»Er hat sich irgendwo auf dem Land versteckt, Norman. Und er wird bald Langeweile haben. Ich kenne doch meinen ehemaligen Partner. Also wird er sich ein nettes, kleines Spielzeug besorgen lassen.«
»Und dieses Spielzeug ist diese Clanters?«
»Richtig. Mit attraktiven Mädchen hat er schon immer gern gespielt.« Ben Atkers lächelte versonnen. »Nein, ich glaube nicht, daß wir besonders lange warten müssen.«
»Und die Polizei? Wird die sich nicht auch mit der Clanters befassen?«
»Möglich, aber wir werden gerissener sein. Hauptsache, dieser Parker kommt mir nicht in die Quere.«
»Und wenn?«
»Dann wird nicht lange gefackelt, Norman, dann schlagen wir zu. Ich würde ihm ja normalerweise aus dem Weg gehen, aber bei siebenhundertfünfzigtausend Pfund sieht die Sache schon anders aus. Ohne Risiko kein Vermögen!«
*
Sie war wirklich sehr attraktiv.
Patricia Clanters, die Tochter des verstorbenen Reeders und Erbin seines Vermögens, war groß, schlank und verfügte über all jene Rundungen, auf die es ankam. Sie trug knappe Shorts, eine mehr als leichte, tief ausgeschnittene Bluse und befand sich an diesem Nachmittag auf dem Tennisplatz eines exklusiven Clubs in der Nähe von Wimbledon. Sie war eine sportliche Frau und hatte gerade einen älteren Playboy in Grund und Boden gespielt. Patricia Clanters hatte sich ein Handtuch um den Nacken geschlungen und wollte hinauf zum Clubhaus gehen, als sie sich plötzlich einem Mann gegenübersah, der eindeutig nur ein Butler sein konnte.
»Parker mein Name«, stellte der Butler sich vor. »Ich habe die Ehre, Lady Simpsons Haus führen zu dürfen.«
Die junge Dame sah ihn belustigt an.
Parker paßte natürlich überhaupt nicht in diese sportlich-ungezwungene Umgebung. Er trug seinen schwarzen Zweireiher, die schwarze Melone und hatte trotz des heißen Nachmittags nicht auf seinen altväterlich gebundenen Regenschirm verzichtet. Er sah aus wie ein lebender Anachronismus.
»Falls Sie sich verändern wollen, Mr. Parker, ich brauche keinen Butler.«
»Mylady schickt meine bescheidene Wenigkeit«, sagte Parker. »Lady Simpson fürchtet im Zusammenhang mit der Flucht eines gewissen Mr. Hitcham um Ihre Sicherheit.«
»Hitcham? Ist das nicht dieser Gangster, der von meinem Vater ins Zuchthaus gebracht wurde?«
»In der Tat, Miß Clanters. Es steht zu befürchten, daß erwähnter Mr. Hitcham sich an Ihnen rächen möchte.«
»Was habe denn ich damit zu tun?«
»Die Rachsucht des Mr. Hitcham ist das, was man sprichwörtlich nennt.«
»Unsinn, ich habe keine Angst.« Patricia lächelte spöttisch. »Sollen Sie mich etwa bewachen?«
»Nicht direkt, Miß Clanters. Mylady würde sich aber recht gern über einen Dauerschutz mit Ihnen unterhalten.«
»Sie sollten sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern, finde ich.« Patricia Clanters’ Gesicht wurde kühl. »Abgesehen davon, Mr. Parker, Sie machen nicht gerade einen beschützenden Eindruck. Wissen Sie überhaupt, wie man mit Gangstern fertig wird?«
»Nicht in allen Fällen, wie ich einräumen muß.«
»Sind Sie sportlich?« Patricia Glanders sah ihn ironisch an.
»Nicht unbedingt«, räumte der Butler erneut ein. »Sie sehen sich einem bereits angejahrten und relativ verbrauchten Mann gegenüber, wenn ich es so umschreiben darf.«
»Spielen Sie Tennis?« Ihr schien ein etwas bösartiger Gedanke gekommen zu sein.
»Nur in Ausnahmefällen, Miß Clanters.«
»Kommen Sie, Mr. Parker! Spielen wir einen Satz. Ich möchte mir ein Bild von Ihnen machen. Wenn Sie einigermaßen bestehen, engagiere ich Sie vielleicht als Leibwächter.«
»Was keineswegs in meiner Absicht läge, Miß Clanters,.«
»Nun kommen Sie schon, sonst brauchen wir uns gar nicht weiter über diesen Gangster zu unterhalten. Kommen Sie endlich«
»Ihr Wunsch, Miß Clanters, ist mir natürlich Befehl.« Parker lüftete seine schwarze Melone. »Ich fürchte allerdings, daß ich kaum das abgeben werde, was man gemeinhin eine gute Figur zu nennen pflegt.
*
»Ist das alles, was ihr zu bieten habt?« fragte Fatty Hitcham verärgert und deutete auf den nachlässig gedeckten Tisch. »Konntet ihr nichts anderes auftreiben?«
»Wieso, Boß?« fragte Gene Potter achselzuckend. »Ist doch alles da: Schinken, Eier, Chips und Büchsenfisch.«
»Ihr Banausen!« Hitcham verzog sein Gesicht. »Der Fraß erinnert mich ans Zuchthaus.«
»Da scheint man nicht gerade schlecht zu leben«, frotzelte Paul Corston und merkte Sekunden später, daß er zu weit gegangen war. Er kassierte einen Blick von Hitcham, der ihn frösteln ließ.
»Immerhin hast du es mir zu verdanken, daß du in ’nem Zuchthaus nicht schlemmen brauchtest«, sagte Hitcham dann.
»Also schön, Boß, sag’, was du morgen haben willst. Ich werde es ’ranschaffen.« Der rundliche, stets freundlich wirkende Will Beaford lächelte vermittelnd. »Lange werden wir hier ja sowieso nicht bleiben, oder?«
»Wir können noch in der kommenden Nacht losfahren«, schlug Gene Potter vor. »Der richtige Unterschlupf braucht nur bezogen zu werden.«
»Ich möchte mal wieder die Rotwurst von Rich Lankwich auf der Zunge haben«, schwärmte Hitcham und lehnte sich zurück. »Ihr könnt euch einfach nicht vorstellen, wie oft ich an sie gedacht habe.«
»Was für Rotwurst?« fragte Paul Corston aus Höflichkeit.
»Die hat’s bei uns zu Hause gegeben«, erinnerte sich Hitcham. »War billig, aber erstklassig. Bekamen wir immer am Lohntag. Sagenhafter Geschmack. Ich schmecke sie richtig, wenn ich nur daran denke.«
»Also schön, ich werde sie morgen besorgen.« Will Beaford lächelte zustimmend.
»Die gibt es nur in Liverpool«, sagte Hitcham. »Nur bei Rich Lankwich, die macht keiner so wie er.«
»Liverpool ist ein bißchen weit weg«, meinte Beaford.
»Ihr könnt euch nicht vorstellen, Leute, auf was für verrückte Gedanken man so im Knast kommt«, erzählte Hitcham weiter. »Könnt ihr euch an meine Zigarren erinnern?«
»Waren verdammt teuer, oder?« fragte Potter.
»Die wurden extra für mich importiert«, redete Hitcham versonnen weiter. »Und auch die Leberpastete aus Dänemark. Das alles gibt es bei Foresters & Foresters in London.«
»Den Wodka nicht zu vergessen«, warf Potter ein. »Und auch nicht den Sherry. Ich weiß Bescheid. Ich habe das Zeug ja immer ’rangeschafft, Boß.«
»Auf das alles wirst du vorerst verzichten müssen«, warnte Will Beaford.
»Wieso eigentlich?« Hitcham stocherte in den fast kalten Eiern mit Speck herum, um dann den Teller zurückzuschieben.
»Ich wette, daß Foresters & Foresters von der Polizei überwacht werden.«
»Richtig, durchaus richtig.« Hitcham war realistisch genug, um mit dieser Möglichkeit zu rechnen. »Die Leute vom Yard werden an alles denken.«
»Bestimmt, Boß.« Will Beaford war froh, daß sein Boß Einsicht zeigte. »Die wissen über dich genau Bescheid, die kennen alles, was du mal früher getrieben hast.«
»Diese Rotwurst«, begann Hitcham nach einer kleinen Pause, »also, die schmeckte nach Majoran und Knoblauch. Und verdammt stark gepfeffert war sie.«
»Schmink sie dir ab, Boß«, ließ Paul Corston sich vernehmen. »Die Bullen werden auch von dieser blöden Rotwurst wissen, verlaß dich darauf!«
»Woher denn?« Hitcham schüttelte den Kopf. »Das mit der Rotwurst stammt doch aus meiner Jugend.«
»Die Bullen forschen alles aus, Boß«, meinte Gene Potter. »Wenn sie dich nicht in London aufspüren, werden sie eben in Liverpool nach dir suchen.«
»So nach dem Motto: Zurück in die Schlupfwinkel der Kindheit«, erklärte Will Beaford lächelnd. »Unterschätze den Yard nicht!«
Fatty Hitcham zündete sich eine der Zigarren an, die man ihm aus Bath mitgebracht hatte. Sie brannte auf seiner Zunge und schmeckte nicht. Er träumte von den ungemein teuren Importen, die er bei einem Glas Sherry geraucht hatte, von seiner Luxuswohnung, die er einst bewohnt hatte, und kam sich hier in dem kleinen Ferienhaus immer noch wie ein Gefangener vor.
»Da ist noch etwas«, sagte er schließlich und wandte sich seinen drei Leibwächtern zu. »Das Stichwort heißt Clanters. Ich habe mir wegen seiner Tochter was durch den Kopf gehen lassen. Da ist einiges zu machen, Jungens, um unsere Spuren restlos zu verwischen.«
*
Wollen Sie nicht Ihre Melone ablegen?« fragte Patricia Clanters und musterte den Butler mit amüsiertem Blick.
»Vielleicht später, falls Sie nicht schon jetzt darauf bestehen.«
»Sie werden sich sogar freiwillig den Zweireiher ausziehen«, verhieß sie ihm spöttisch. »Sie wissen doch hoffentlich, wie man einen Tennisschläger hält, oder?«
»Theoretisch, Miß Clanters, ist mir dieses Spiel durchaus vertraut«, gab Parker gemessen zurück. »Wenn mich nicht alles täuscht, geht es darum, den über das Netz ankommenden Ball zu retournieren.«
»Richtig.« Patricia unterhielt sich wunderbar. Sie hatte längst mitbekommen, daß man auf der Terasse des nahen Clubhauses wieder mal auf sie aufmerksam geworden war. Und genau das brauchte sie: Bewunderung und Anerkennung. In ihren Kreisen war sie der Motor für die verrücktesten Unternehmungen.
Butler Parker rückte sich seinen schwarzen Binder zurecht, nahm einen Tennisschläger in die Hand und begab sich auf den Platz. Er war bereit, Patricia Clanters ein wenig zu unterhalten, um danach ernst mit ihr zu reden.
Ihr Aufschlag war hart.
Sie wollte von Beginn an zeigen, wer hier Tennis spielte, deshalb diesen in ihren Augen arroganten Butler demütigen und lächerlich machen. Sie wollte ihn hetzen, bis er in Schweiß gebadet war. Die junge Dame wollte ihn praktisch am Boden zerstören.
Ihr Aufschlag hätte auch einen erfahrenen Spieler in Verlegenheit gebracht. Der Ball kam plaziert und landete dicht vor der Seitenlinie.
Parker retournierte, wie er es ausdrückte.
Scheinbar mühelos erreichte er den Ball, und man hatte den Eindruck, daß es reiner Zufall gewesen war. Er spielte den Ball zurück und sorgte dafür, daß die junge Dame ein wenig laufen mußte, um ihn im letzten Moment noch zu erreichen.
Sie drosch ihn zurück, aber sie setzte den Ball hinter die Grundlinie.
Höflich, wie Parker nun mal war, lüftete er entschuldigend seine schwarze Melone, um dann den nächsten Ball zu erwarten.
Patricia Clanters schlug noch härter auf.
Butler Parker stand aber wiederum goldrichtig, parierte, nahm den Ball auf und spielte ihn elegant zurück. Seine Bewegungen waren erstaunlich gemessen und immer noch mühelos. Er schien jeden Tag ein paar Trainingsstunden zu absolvieren.
Patricia Clanters’ Gesicht nahm einen harten Ausdruck an.
Sie begriff einfach nicht, wieso dieser komische Mensch nicht in Verlegenheit zu bringen war. Sie strengte sich an, aktivierte all ihr Können und verlor den ersten Satz, ohne auch nur einen einzigen Punkt zu machen.
Parker hatte sie diskret herumgehetzt. Und sie war es jetzt, der der Schweiß in dichten Perlen auf der Stirn stand.
Die Zuschauer auf der Terrasse lästerten längst nicht mehr über diesen Butler, der nach wie vor einen völlig trockenen Eindruck machte. Sein schwarzer Binder hatte sich nicht um einen Millimeter gelockert, das zweireihige Jackett saß korrekt, der Sitz der Hose war tadellos.
Nun war der Aufschlag an den Butler übergegangen.
Parker ging es nicht darum, Miß Clanters seine Überlegenheit zu demonstrieren. Er wollte so schnell wie möglich mit ihr reden. Daher beeilte er sich, die junge Dame so zu ermüden, daß ihr die Lust an weiteren Sätzen verging.
Parker gewann diesen Satz ebenfalls in Rekordzeit. Patricia Clanters mußte ein As nach dem anderen hinnehmen. Sie hatte überhaupt keine Chance, Parkers Bälle zu erreichen. Entweder erwischte sie sie auf dem falschen Fuß, oder aber die Bälle kamen mit solcher Härte und Geschwindigkeit, daß der Schläger ihr fast aus der Hand gerissen wurde.
Keuchend und entmutigt steckte sie auf.
Sie schaute den Butler kopfschüttelnd an und begriff nicht, wie ihr so etwas passieren konnte.
»Seit... Seit wann spielen Sie eigentlich Tennis?« erkundigte sie sich, während sie sich mit einem Handtuch den Schweiß vom Gesicht wischte.
»Nun, das war mein erstes Spiel, wenn ich es recht betrachte«, sagte der Butler.
»Unmöglich, das kann nicht sein! Bei wem haben sie diesen tollen Aufschlag gelernt?«
»Aus einem Handbuch für das Spielen von Tennis«, lautete die überraschende Antwort. »Ich muß allerdings gestehen, Miß Clanters, daß ich dieses Fachbuch nur recht oberflächlich lesen konnte. Selbstverständlich leidet mein Spiel noch unter jenen Mängeln, mit denen Anfänger zu kämpfen haben.«
»So etwas wie Sie habe ich noch nie erlebt.« Sie schüttelte den Kopf. »Und komisch, Mr. Parker, ich bin noch nicht mal sauer auf Sie.«
»Was meine bescheidene Wenigkeit glücklich macht, Miß Clanters. Wären Sie jetzt unter Umständen bereit, sich mit mir über gewisse Dinge zu unterhalten?«
»Ich springe schnell unter die Dusche.« Patricia nickte. »Sie haben gewonnen, Mr. Parker. Ich denke, ich sollte mir anhören, was Sie mir zu sagen haben.«
»Wo darf ich auf Sie warten, Miß Clanters?«
»In der Lounge des Clubs«, erwiderte sie. »Bis gleich.«
Parker lüftete seine schwarze Melone, übersah souverän die neugierigen Blicke der Clubmitglieder und der Gäste, lustwandelte aber nicht ins Clubhaus, sondern schaute sich die Nebenanlagen des Clubs an.
Waren auf Patricia Clanters bereits einige Gangster angesetzt worden? Interessierte man sich bereits für sie? Diese Interessenten mußten Parkers Meinung nach nicht unbedingt zu Hitchams Kreaturen gehören. Parker hatte da sehr private Vorstellungen und Theorien.
Der kleine Spaziergang sollte sich für ihn lohnen.
Parker bemerkte in der Höhe der parkenden Wagen eine Bewegung. War dort nicht gerade ein Mann gewesen, der jetzt blitzschnell hinter einem Wagen Deckung nahm?
Butler Parker tat natürlich so, als habe er nichts gemerkt. Er ging zurück zur Ecke der Terrasse, dann durch die Halle und wählte einen Nebenausgang, der in den Wirtschaftshof der Küche führte. Von hier aus erreichte er den Parkplatz. Schon wenige Minuten später entdeckte er einen jungen Mann, seiner Schätzung nach etwa dreißig Jahre alt.
Dieser junge Mann hatte überhaupt keine Ahnung, daß er beobachtet wurde. Er beäugte seinerseits die Terrasse und fuhr zusammen, als Parker sich diskret räusperte.
Der junge Mann blieb für eine Sekunde wie erstarrt stehen, um sich dann blitzschnell umzudrehen und gleichzeitig zum Schlag auszuholen. Das geschah völlig instinktiv.
»Einen schönen Tag erlaube ich mir zu wünschen«, sagte Parker und registrierte, daß der junge Mann sich gut zu kontrollieren wußte. Er ließ den erhobenen Arm nämlich langsam sinken.
»Tag«, sagte der junge Mann.
»Kann und darf ich Ihnen behilflich sein?« Parker lüftete grüßend die schwarze Melone.
»Wieso? Ich komme allein zurecht. Was schleichen Sie hinter mir her?«
»Ich würde das an Ihrer Stelle als einen puren Zufall betrachten«, gab der Butler zurück. »Falls ich Sie jedoch inkommodiert haben sollte, bitte ich dies entschuldigen zu wollen.«