Читать книгу Butler Parker Classic 35 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3

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»Zum Henker, Parker, dieser Nachmittag ist doch eine ausgemachte Pleite«, sagte Mike Rander und gähnte langanhaltend. »Ich möchte wissen, was Sie sich von diesem Ausflug versprochen haben.«

Anwalt Mike Rander und sein Butler befanden sich an Bord einer schnittigen, hochseetüchtigen Motorjacht und kreuzten in den Gewässern irgendwo zwischen Key West und den Bahamas. Sie waren schon seit Stunden unterwegs und warteten mit Ungeduld auf irgendeinen Zwischenfall, der sich bisher leider noch nicht ereignet hatte.

Sie waren allein an Bord. Sie hatten sich die Hochseejacht gemietet, um angeblich Barracudas zu fischen. In Wirklichkeit aber wollten sie sich in diesem Seegebiet umschauen und herausbekommen, warum und wieso Marty Conwell vor knapp einer Woche zu Tode gekommen war. Die Angehörigen Marty Conwells hatten den Anwalt beschworen, diesen rätselhaften Todesfall zu klären, zumal sie vermuteten, daß Mord im Spiel war. Mike Rander, nicht nur der Anwalt der Conwells, sondern auch gut befreundet mit den Eltern des Toten, hatte nach einigem Zögern zugestimmt und diesen Auftrag übernommen, zumal Josuah Parker natürlich wieder einen aufregenden und interessanten Kriminalfall witterte.

»Wenn Sie darauf bestehen, Sir, werde ich beidrehen und die Rückfahrt antreten«, sagte Parker vom Ruder her, das er bediente. »Ich möchte Sie allerdings darauf aufmerksam machen, daß ich, falls mich meine Augen nicht getäuscht haben, einen Gegenstand auf dem Wasser gesichtet habe.«

»Wo...?«

Mike Rander sprang wie elektrisiert vom Liegestuhl hoch und enterte hinauf in den hohen Ruderstand, den sein Butler besetzt hielt. Josuah Parker, selbst hier in tropischen Gewässern in Schwarz gekleidet, trug selbstverständlich seine schwarze Melone. Auf sie hätte er selbst in den Regendschungeln Südamerikas freiwillig niemals verzichtet.

»Ich gestatte mir, Sir, Ihre Aufmerksamkeit auf jene kleine Insel zu lenken, die vorab, wenn auch nur in Umrissen, zu erkennen ist.«

Mike Rander schmunzelte in sich hinein. Er amüsierte sich immer wieder über die barocke und umständliche Ausdrucksweise seines Butlers. Auch davon ging Josuah Parker niemals ab, selbst dann nicht, wenn er unmittelbar bedroht wurde.

Rander baute sich neben seinem Butler auf und griff nach dem schweren Marineglas. Damit suchte er die Umrisse der kleinen Insel, von der sein Butler gerade gesprochen hatte. Viel war nicht zu erkennen. Durch die Optik des starken Glases war eine Art Riff zu erkennen, das von hohen Brandungsbrechern berannt wurde. Darüber standen einige windzerzauste Palmen. Einladend sah dieses kleine Eiland gewiß nicht aus. Es machte eigentlich sogar einen abweisenden und drohenden Eindruck.

»Na und...?« fragte Rander und ließ das Glas wieder sinken. »Von diesen Dingern gibt’s doch hier genug, Parker. Wollen wir eine Insel nach der anderen abklappern?«

»Im Grunde meinte ich nicht das bewußte kleine Eiland, Sir, sondern mehr das unscheinbare Segelboot, das irgendwie in Seenot geraten zu sein scheint.«

»Segelboot...?«

Mike Rander schüttelte ungläubig den Kopf. Von einem Segelboot hatte er nichts bemerkt. Sollte sein Butler sich endlich einmal getäuscht haben?

»Nichts zu sehen«, stellte Mike Rander fest, nachdem er noch einmal durch das Marineglas geschaut hatte. »Diesmal haben Sie mit Zitronen gehandelt, Parker.«

»Das bewußte Segelboot schwabert, wenn ich mir diesen Ausdruck erlauben darf, vor der linken Landzunge, Sir.«

Mike Rander wechselte die Blickrichtung und informierte sich erneut. Und dann, nach wenigen Sekunden, sah er tatsächlich das kleine Segelboot, das nicht größer war als eine mittelgroße Nußschale. Das Segel war halb eingezogen worden und machte einen zerfetzten Eindruck.

»Nun sagen Sie mir bloß, wie Sie das ohne Glas gesehen haben«, wunderte Mike Rander sich laut.

»Ich bin immer wieder glücklich, Sir, mich auf meine Augen verlassen zu können«, erwiderte Parker ungerührt.

»Darf ich die erforderlichen Rettungsmanöver einleiten?«

»Worauf warten Sie noch, Parker? Aber passen Sie auf, ich möchte nicht von der Brandung erwischt werden. Dann gibt’s nämlich Kleinholz.«

Parker nickte nur stumm und brachte den Hochseekreuzer auf Touren. Mit der selbstverständlichen Sicherheit und Gelassenheit des erfahrenen Seemannes handhabte er das Ruder. Mike Rander wunderte sich schon nicht mehr darüber. Gab es überhaupt etwas, was Parker nicht schaffte? Er war in allen Sätteln gerecht und geriet nur höchst selten in echte Verlegenheit. Und selbst die dauerte nie länger als ein bis zwei Minuten.

Während Josuah Parker den Hochseekreuzer in rasanter Fahrt an das hilflos treibende Segelboot heranbrachte, traf Mike Rander alle Vorbereitungen für das Rettungsmanöver, obwohl er noch nicht wußte, ob das Boot leer war oder nicht.

Zwischendurch beobachtete er immer wieder durch das Glas. Von Minute zu Minute waren immer mehr Einzelheiten zu erkennen.

Das kleine Segelboot machte einen erbärmlichen Eindruck. Es schien bereits einmal in die schwere Brandung der Insel geraten zu sein. Das Holzwerk war zerschlagen und zerschunden. Das Segel glich nur noch einem wertlosen Fetzen. Das Boot schien in irgendeinen Sog geraten zu sein, denn es hatte plötzlich Fahrt aufgenommen und trieb langsam zurück auf die Brandung.

»Parker, die Brandung«, rief Rander seinem Butler zu. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß das Toben der Brandung bereits deutlich zu hören war.

Josuah Parker stand stocksteif und in durchaus korrekter Haltung am Ruder und bewegte den Motorkreuzer durch das heikle Fahrwasser. Er hatte längst erkannt, daß das kleine, zerschlagene Segelboot abgetrieben wurde. Er beschrieb einen leichten Kreis und schnitt dem gefährdeten Boot den Weg zur Brandung ab.

Dann spielte sich alles innerhalb weniger Minuten ab. Es waren für Mike Rander Minuten, die wie kleine Ewigkeiten andauerten. Die Ausläufer der Brandung rüttelten und schaukelten den Seekreuzer gehörig durch. Parker mußte sein ganzes Können aufbieten, damit sie nicht auf das Unterwasserriff geschleudert wurden.

Mike Rander hatte einen langen Enterhaken in den Händen und zog das Segelboot an den Kreuzer heran. Es war ein Kraftakt, der ihm den Schweiß auf die Stirn trieb.

Doch dieser Kraftakt sollte sich lohnen, wie sich bald herausstellte. Auf dem Rost des kleinen Segelbootes war eine unbewegliche Gestalt zu erkennen.

Es handelte sich um eine Frau, die äußerst attraktiv aussah, die offensichtlich bewußtlos war. Langes, blondes Haar fiel über ihre nackten Schultern. Sie trug einen knapp sitzenden einteiligen Badeanzug und sie lag auf dem unteren Teil eines Bademantels, der ausgebreitet auf dem Bodenrost lag.

Mike Rander wartete mit der Bergung der Frau, bis sie das lädierte Segelboot aus dem Sog herausgeschleppt hatten. Im ruhigen Wasser, weitab von der tobenden Brandung, konnte er dann schließlich die Frau an Bord des Motorkreuzers schaffen.

Sie mochte etwa dreißig Jahre alt sein und sah wirklich nicht mehr aus wie ein junges Mädchen. Es handelte sich um eine reife, sehr attraktive Frau, der das Salzwasser und die sengende Sonne noch wenig zugesetzt hatten.

Sie lebte noch!

Mike Rander und Josuah Parker trugen sie hinunter in die Kajüte und betteten sie auf eine gepolsterte Sitzbank. Dann sah Mike Rander seinen Butler fragend und etwas hilflos an.

»Was machen wir jetzt?« fragte er. »Ich wette, Sie kennen sich auch in der Ersten Hilfe aus, oder?«

»Als junger Pfadfinder, Sir, wurde ich darin ausgebildet«, stellte Parker würdevoll fest. »Da äußerliche Verletzungen nicht zu erkennen sind, kann es sich hier nur um eine Ohnmacht oder Erschöpfung handeln, die man vielleicht mit einem kleinen Schluck Whisky beheben könnte.«

Der Hinweis auf den Whisky genügte, um die Wimpern der wirklich gut aussehenden Frau zittern zu lassen. Sekunden später schlug sie die Augen auf und sah sich verwirrt um.

»Oh...!« stöhnte sie mit leiser, erschöpfter Stimme. Sie hob den Kopf, um ihn sofort wieder zurücksinken zu lassen.

»Keine Sorge, Madam, Sie sind außer Gefahr«, sagte Josuah Parker. »Haben Sie besondere Wünsche? Was darf ich Ihnen reichen?«

»Durst... Durst...!« Ihr Flüstern drückte rührende Hilflosigkeit, aber auch grenzenlose Erleichterung aus. Sie hatte wohl sofort begriffen, daß sie gerettet war.

Parker begab sich zur gut ausgestatteten Bordbar und mixte einen Belebungsdrink. Als er damit zurückkam, stellte Mike Rander sich gerade vor.

»Und das hier ist mein Butler«, meinte er, auf Parker weisend. »Schon allein seine Drinks haben ihn berühmt gemacht.«

»Ich... ich bin... Susan Kelly«, antwortete die Frau. Dann griff sie hastig wie eine Verdurstende nach dem Glas und trank. Sekunden später hatte sie ihre Erschöpfung vergessen. Sie hüstelte zwar, schüttelte sich etwas, nachdem sie das Glas leergetrunken hatte, doch dann konnte sie sich aus eigener Kraft hochsetzen. Parkers Drink hatte ein kleines Wunder bewirkt.

»Ich, ich muß mich wohl bei Ihnen bedanken«, sagte sie. »Es, es war fürchterlich!«

»Darf ich höflich fragen, seit wann Sie draußen auf See waren, Madam?« erkundigte sich der Butler.

»Ich, ich weiß nicht«, gab sie kopfschüttelnd zurück. »Vielleicht zwei oder drei Stunden. Es war schrecklich, als ich in die Brandung geriet.«

»Sie kamen dort von der Insel?« fragte Mike Rander.

»Von der anderen Seite der Insel«, erwiderte Susan Kelly. »Ich wollte nur etwas hinaussegeln, aber dann trieb ich ab. Und als Seglerin war ich wohl doch nicht so gut, wie ich dachte.«

»Hauptsache, Sie befinden sich in Sicherheit«, erwiderte Mike Rander lächelnd. »Wir bringen Sie selbstverständlich zu Ihren Leuten zurück.« Mike Rander reichte ihr eine Zigarette, die Susan Kelly fast hastig entgegennahm. Dann wandte sich Mike Rander um und rief: »Parker, zurück auf die andere Seite der Insel!«

Als keine Antwort kam, wandte Rander sich um.

Josuah Parker war bereits wieder zurück zur Bordbar gegangen und mixte einen zweiten Drink. Die Eiswürfel klapperten lautstark im Shaker.

»Wir bringen Miß Kelly zurück zur Insel«, sagte Rander, als sein Butler mit dem gefüllten Shaker zurückkam.

»Ihr Wunsch, Sir, ist mir selbstverständlich Befehl«, erwiderte der Butler mit einer leichten, angedeuteten Verbeugung. »Darf ich mir erlauben, vorher noch einen zweiten Drink zu reichen?«

Während er redete, füllte er das Glas der jungen, sehr attraktiven Frau, die dankbar nickte.

»Wollten Sie nicht ohnehin zur Insel«, fragte Susan Kelly, als sie das Glas angetrunken hatte. »Kann es sein, daß wir Sie schon gestern hier zwischen den Inseln gesehen haben?«

»Stimmt haargenau«, antwortete Mike Rander. »Wir sehen uns hier etwas um.«

»Und möchten, wenn es die Umstände erlauben, einige Barracudas fischen, Madam!« Parker goß aus dem Shaker noch etwas nach. Susan Kelly trank und schloß dann anerkennend die Augen.

»Sehr gut!« sagte sie. »Wollen Sie nicht mit mir anstoßen, meine Herren?«

»Aber selbstverständlich«, gab Mike Rander zurück. »Wir müssen ja noch auf die Rettung aus Seenot trinken, gute Idee, Miß Kelly!«

»Wir hätten Champagner an Bord, Sir!« meldete Parker.

»Genau richtig, Parker. Den können Sie uns bringen.«

»Diesmal mixe ich die Drinks«, sagte Susan Kelly. Sie wollte die langen, schlanken Beine auf den Boden stellen, verlor aber das Gleichgewicht, seufzte dumpf auf und fiel zurück auf die Polsterbank. Ihre Augen schlossen sich.

»Parker! Parker, sie ist wieder ohnmächtig«, rief Mike Rander überrascht.

»Das wundert mich nicht, Sir«, erwiderte Parker würdevoll.

»Wir haben ihr zuviel zugemutet«, meine Rander. »Die Drinks waren wohl doch zu scharf!«

»Gewiß, Sir, zumal ich mir erlaubte, ein stark wirkendes Schlafmittel unterzumischen. Ich muß sagen, die Angaben der Hersteller auf dem Röhrchen entsprechen den Tatsachen, was ich kaum zu hoffen wagte, Sir!«

»Sind Sie wahnsinnig, Parker?« Entrüstung schwang in Mike Randers Stimme mit.

»Nur vorsichtig, Sir«, erwiderte Parker höflich. »Ich fühle mich schließlich für Ihr Leben verantwortlich!«

»Wie war das?« Mike Rander, der sich gerade über die junge Frau gebeugt hatte, richtete sich erstaunt auf. »Was hat die Frau hier mit meinem Leben zu tun?«

»Darauf, Sir, kann ich Ihnen zur Zeit leider noch nicht antworten«, entgegnete der Butler. »Ich bin aber sicher, daß es recht bald schon zu einer Aufklärung kommen wird.«

»Diesmal liegen Sie schief, Parker.« Mike Rander zündete sich eine Zigarette an und warf einen verstohlenen Blick auf die Frau, die tatsächlich tief und fest schlief. Strenger fügte er hinzu: »Sie werden sich später bei Miß Kelly entschuldigen, klar?«

»Selbstverständlich, Sir, sofern meine Vermutungen sich nicht beweiskräftig belegen lassen.«

»Vermutungen? Wovon sprechen Sie eigentlich?«

»Von Miß Susan Kelly, Sir. In ihren knappen und sehr vagen Erklärungen gibt es einige Ungereimtheiten, die mich stutzig werden ließen.«

»Ich habe nichts davon bemerkt, Parker. Drücken Sie sich deutlicher aus.«

»Miß Kelly ist angeblich seit zwei oder drei Stunden als Schiffbrüchige auf dem Wasser gewesen. Ihr körperlicher Zustand aber erwies sich als ausgezeichnet. Sie erholte sich erstaunlich schnell von den schweren Strapazen.«

»Sie sieht immerhin sportlich aus«, meinte der junge Anwalt und sah anerkennend auf Susan Kelly hinunter. »Wollen Sie ihr daraus einen Strick drehen?«

»Zwei oder drei Stunden unter der gnadenlosen Sonne, Sir, ohne jeden Sonnenschutz! Müßte die Haut der Frau nicht mitgenommen aussehen? Denken Sie, falls ich mir diesen Hinweis erlauben darf, an die zerstörerische Wirkung des Salzwassers! Selbst die gesündeste Haut würde solch eine Tortur nicht überstehen!«

»Das, na ja, das könnte stimmen«, pflichtete Mike Rander seinem Butler bei. »Gut, angenommen, sie schwindelt uns etwas vor. Und nun? Vielleicht hat sie ihre Gründe, uns nicht die Wahrheit zu sagen.«

»Gewiß, Sir. Und in diesem Zusammenhang denke ich an das rätselhafte Verschwinden und an den Tod von Mr. Marty Conwell.«

»Sie wollen seinen Tod mit dieser Frau in Zusammenhang bringen? Das ist doch absurd, Parker!«

»Aus welchem Grund verließ Marty Conwell seine Motorjacht? Warum fiel er über Bord? Und warum wurde er von den ›Haien‹ angenommen? Mr. Conwell galt als besonnener Sportsmann, der freiwillig niemals sein Boot verlassen hätte. Und selbst wenn er es allein getan hätte, Sir, wieso und warum, diese Frage sei mir gestattet, wieso und warum starben auch seine beiden Begleiter?«

»Noch einmal, Sie wollen Miß Kelly damit in Zusammenhang bringen? Das will und kann ich einfach nicht glauben, Parker. Sieht sie wie eine eiskalte Mörderin aus?«

»Sie könnte als Lockvogel für den Mörder gedient haben, Sir.«

»Die Phantasie geht wieder mal mit Ihnen durch. Aus welchem Grund sollten Conwell und seine beiden Begleiter auf hoher See ermordet worden sein?«

»Das müßte man herausfinden, Sir. Und ich glaube nach wie vor, daß Miß Kelly der Schlüssel zu diesen Dingen ist.«

Parker hatte sich über die junge Frau gebeugt und sah sie sich genau an. Ihn interessierten nicht die vollendeten Formen dieser Frau. Solche äußerlichen Dinge vermochten ihn niemals zu beeindrucken. Nein, der Butler begutachtete den großen Ring am Finger der Frau und das schwere Medaillon, das an einer feinen Goldkette hing.

»Was haben Sie denn jetzt schon wieder im Visier?« fragte Rander, der sich irgendwie unbehaglich fühlte.

»Ich frage mich, warum Miß Kelly darauf bestand, die Drinks selbst zu mixen, Sir.«

»Ach, jetzt geht mir ein Licht auf.« Rander lachte wie ein großer Junge. »Sie denken an Gift, was?«

»Ich dachte an Gift, Sir, und ich habe es gerade gefunden!«

Parker ließ den Halbedelstein aufklicken. Er sprang mit Federkraft aus der Fassung und gab den Blick frei auf ein feines graues Pulver, das sich in einem Miniaturbehälter in der Fassung befand.

»Donnerwetter, Sie dürften wieder einmal den richtigen Riecher gehabt haben«, stieß Mike Rander überrascht hervor.

»Auch das Medaillon, Sir, dürfte eine Art doppelten Boden haben«, antwortete Josuah Parker. »Mit Ihrer Erlaubnis werde ich das graue Pulver bergen und es später zur Analyse einreichen.«

»Jetzt bestehe ich sogar darauf«, meinte der junge Anwalt. »Aber zum Henker, falls es wirklich Gift ist, warum schleppt sie es mit sich herum? Und warum könnte sie es womöglich uns verabreicht haben?«

»Das sind Rätsel, Sir, die erst noch einer genauen Klärung bedürfen. Oh, ich glaube, ich habe den Mechanismus des Medaillons entdeckt!«

Parker hatte nicht zu viel versprochen.

Auch das Medaillon an der feinen Goldkette ließ sich öffnen. Und auch hier fand sich das graue Pulver.

Parker holte aus der Bordapotheke ein kleines Fläschchen und füllte das Pulver um. Dann schloß er Ring und Medaillon und richtete sich auf.

»Falls ich die Dinge in einem richtigen Zusammenhang sehe, Sir, geht es um jenes kleine Eiland. Mir scheint, daß man ungebetene Gäste um jeden Preis fernhalten will.«

»Wir hatten früher schon einmal mit einer Insel zu tun, auf der sich Waffenschmuggler eingenistet hatten, Parker.«

»Daran dachte ich gerade, Sir. Hier dürfte es aber um größere Dinge gehen. Denken Sie an die Vorgänge hinsichtlich Mr. Conwells! Ich schlage vor, daß man sich dieses Eiland doch einmal gründlich aus der Nähe ansieht.«

»Okay, einverstanden, Parker. Aber vorher kümmern wir uns um Miß Kelly, falls sie wirklich so heißt!«

»Darf ich daraus entnehmen, Sir, daß wir sie mit nach Key West nehmen?«

»Sie dürfen, Parker, Sie dürfen!«

Parker warf einen letzten Blick auf die tief schlafende Miß Kelly und verließ dann die Kajüte. Er wollte sich um den Kurs des Bootes kümmern. Als er das Deck erreicht hatte, sah er sich prüfend in der Runde um.

Nun, von dem kleinen, palmenbewachsenen Eiland war längst nichts mehr zu sehen. Dafür aber machte Parker einen Außenborder aus, der mit wahnwitziger Geschwindigkeit über das Wasser tanzte und genau auf den Motorkreuzer zuhielt.

*

»Na, Parker, was halten Sie von diesem Ding?« fragte Mike Rander wenig später. Er war ebenfalls nach oben an Deck gekommen und stand nun neben seinem Butler.

»Es könnte sich nach Lage der Dinge um die Freunde oder Bekannten der jungen Dame handeln, die wir aufgefischt haben, Sir.«

»Sieht fast danach aus. Na, wir werdend bald sehr genau wissen. Ich glaube, wir sollten aber einige Vorbereitungen treffen.«

»Sie sprechen mir aus dem Herzen, Sir«, antwortete der Butler würdevoll. »Mir scheint, daß Gefahr in der Luft liegt.«

Mike Rander verschwand unter Deck, um einige diverse Schußwaffen zu holen, die Parker selbstverständlich mitgenommen hatte. Der Butler beobachtete indessen den Außenborder, der mit unverminderter Geschwindigkeit auf den Motorkreuzer zuhielt. Es sah fast so aus, als wollte er ihn rammen.

Ein Wettlauf mit dem Außenborder war sinnlos. Dazu reichte die Geschwindigkeit keinesfalls aus. Der Außenborder war wesentlich schneller. Es war inzwischen deutlich zu sehen, daß er von einem Zwillingsmotor getrieben wurde.

»Ich denke, wir stellen uns erst mal harmlos und lassen sie an Bord kommen«, schlug Mike Rander vor, der wieder neben seinem Butler im Ruderstand aufgetaucht war. »Vielleicht schnappen wir, so ein paar Hinweise auf.«

»Sie sprechen mir erneut aus dem Herzen«, antwortete der Butler. »Wenn ich richtig gesehen habe, befinden sich zwei Männer an Bord.«

Minuten später war der Außenborder heran.

Der Mann am Steuer des schnellen Flitzers winkte aufgeregt zum Motorkreuzer hinüber. Sein Begleiter auf dem Nebensitz dagegen verhielt sich vollkommen ruhig.

Der Außenborder ging geschickt längsseits. Der Mann am Ruder des Außenborders nahm ein elektrisch verstärktes Megaphon an den Mund und setzte seinen ersten Spruch ab.

»Drehen Sie bei, Küstenpolizei! Drehen Sie sofort bei!«

»Eine äußerst durchsichtige Lüge«, stellte der Butler halblaut fest.

»Drehen Sie bei«, sagte Mike Rander. »Lassen wir sie an Bord kommen. Aber passen wir höllisch auf. Ich möchte nicht wie Marty Conwell abserviert werden.«

Parker nickte. Er brachte den Motorkreuzer aus der Fahrt und stieg vom erhöhten Ruderstand hinunter an Deck, wohin Mike Rander bereits gegangen war.

Der Außenborder hatte sich ganz dicht an die Bordwand des Kreuzers geschoben. Der zweite Mann im Außenborder stand jetzt auf und sprang geschickt an Bord des Motorkreuzers.

Der Mann war mittelgroß, schlank und sah sportlich durchtrainiert aus. Er trug eine einfache, zerknitterte Leinenhose und ein kurzärmeliges, bunt bedrucktes Hemd. Waffen schien er offensichtlich nicht zu tragen.

»Vielleicht können Sie uns helfen«, sagte er, sich an Mike Rander wendend. »Wir suchen eine Blondine, die uns mit einem Segelboot entwischt ist.«

»Entwischt?« Rander tat arglos.

»Eine durchtriebene Gaunerin«, redete der Mann weiter. »Das Boot haben wir inzwischen gefunden, aber die Frau ist verschwunden. Haben Sie sie an Bord genommen?«

Der Mann sprach schnell. Seine Stimme klang energisch, fast ungeduldig. Man hörte deutlich heraus, daß er sich zu einer gewissen Höflichkeit zwang.

»Parker, haben wir eine Blondine an Bord genommen?« rief Mike Rander seinem Butler zu, der an der Reling stand und auf den längsseits festgemachten Außenborder hinuntersah.

Mike Rander hätte sich besser nicht umgedreht.

»Natürlich haben Sie sie an Bord genommen«, sagte der Mann. Gleichzeitig preßte er den Lauf eines 45ers gegen Randers Rippen. »Wir haben’s deutlich gesehen. Also, wo steckt sie?«

»Ist, ist das ein Überfall?« vergewisserte sich Mike Rander, der sich vorsichtig umdrehte.

»Sie begreifen aber schnell«, spottete der Mann mit der Waffe. »Hände hoch, und keine Dummheiten, sonst geht’s Ihnen dreckig!«

»Bestehen Sie darauf, daß auch ich die Hände hochnehme?« erkundigte sich Parker von der Reling her.

»Was Sie tun, Alter, ist mir egal! Falls Sie aber verrückt spielen, sind Sie reif!«

Der zweite Mann stieg auf den Motorkreuzer über. Er war größer und knochiger als sein Partner. Sein Gesicht war grob geschnitten. Die fliehende Stirn, die tiefliegenden Augen und die starken Wülste darüber erinnerten an die Salonausgabe eines Steinzeitmenschen. Im Gegensatz zu ihm war der Mittelgroße direkt zivilisiert.

»Geh’ runter, Andy, und sieh’ dich um«, kommandierte der Mittelgroße. Andy, wie die Salonausgabe des Steinzeitmenschen hieß, nickte, entsicherte einen handlichen Colt und verschwand unter Deck.

»Gut, wir haben die Blondine an Bord genommen«, sagte Mike Rander. »Sie befand sich in Seenot. Was paßt Ihnen daran nicht?«

»Maul halten!« kommandierte der Mittelgroße. Von einer Unterhaltung mit ihm konnte keine Rede sein.

Der Steinzeitmensch kam an Deck zurück. Er nickte seinem Partner nur zu.

»Ist sie unten?« vergewisserte sich der Mittelgroße.

»Sie pennt!« antwortete der Neandertaler. »Möglich, daß die ihr was in den Drink gekippt haben! Ich bekomm’ sie nich’ hoch.«

»Was haben Sie mit ihr gemacht?« fragte der Mittelgroße, sich an Mike Rander wendend.

»Nichts! Was sollen wir mit ihr gemacht haben? Sie kippte plötzlich um. Und wenig später tauchten Sie bereits auf. Das ist alles!«

»Los, Andy, hol’ sie rauf und trag’ sie ins Boot!«

»Darf man fragen, Sir, warum Sie uns mit solch einer furchteinflößenden Waffe bedrohen?« wandte Parker sich an den Mittelgroßen. »Vielleicht verwechseln Sie uns mit Personen, die Ihr Mißfallen erregt haben.«

»Was haben Sie da draußen vor der Insel gemacht?« fragte der Mittelgroße, ohne auf Parkers Frage überhaupt einzugehen. »Seit zwei Tagen treiben Sie sich da draußen rum.«

»Mr. Rander und meine bescheidene Wenigkeit sind zwei harmlose Sportfischer«, erläuterte der Butler in seiner höflichen Art.

»Da haben Sie sich das richtige Wasser ausgesucht«, meinte der Mittelgroße und grinste. »Die Inseln hier sind von Haien verseucht.«

»Hallo, Clem, hier is sie!«

Der Steinzeitmensch erschien erneut an Deck. Auf seinen langen, starken Armen trug er Susan Kelly. Die Last schien dem Mann überhaupt nichts auszumachen.

»Ins Boot mit ihr«, befahl Clem. Dann wandte er sich an Rander und Parker: »Und ihr, Leute, werdet gleich freundlicherweise ins Wasser hüpfen, klar?«

»Habe ich Sie richtig verstanden, Sir? Mr. Rander und meine bescheidene Wenigkeit sollen ins Wasser hüpfen, wie Sie sich auszudrücken beliebten?«

»Na und?« wiederholte Clem noch einmal, um gleichzeitig die Mündung der Waffe anzuheben. »Das ist doch euer Problem, oder?«

»Sie, Sie wollen uns ermorden?« fragte Mike Rander kalt.

»Sie sind ein verdammt schneller Denker, Mr. Rander. Schnüffler können wir nicht ausstehen!«

»Haben Sie vielleicht auch Marty Conwell umgebracht?«

»Das geht Sie einen Dreck an, Rander! Los, springen Sie! - Oder soll ich Sie erst mit ein paar Bleibohnen anbohren? Blut im Wasser, das ist genau das, was Haie anlockt. Bleiben Sie aber heil, haben Sie ’ne knappe Chance, noch mal davonzukommen.«

»Und das Boot, Sir? Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß es nur geliehen ist.« Parker sah den Gangster vorwurfsvoll an.

»Keine Sorge, der Verleiher ist garantiert versichert«, meinte Clem grinsend. »Wenn nicht, hat er eben Pech gehabt!«

Rander hatte längst eingesehen, daß dieser Mann nicht scherzte. Hier wurde ein klarer Doppelmord geplant. Die Gründe dafür waren ihm unbekannt, aber darauf kam es im Augenblick auch gar nicht an.

Rander sah zu Parker hinüber, der nach wie vor einen gelassenen und vielleicht auch etwas naiven Eindruck machte. Hatte Parker nicht verstanden? Hatte er nicht genau zugehört? Hier sollte doch ein Doppelmord begangen werden!

»Los, jetzt springt, Leute, sonst knallt’s!«

Clem war ein erstklassiger Schütze.

Um Josuah Parker und Mike Rander über die Reling zu treiben, feuerte er zwei Schüsse ab. Die Geschosse bohrten sich dicht vor Randers und Parkers Schuhspitzen in die Decksplanken. Holzsplitter zischten wie böse und gereizte Hummeln durch die Luft.

»Die nächsten Dinger sitzen anders«, sagte Clem gelassen. »Wird’s bald? Los, springt!«

Mike Rander war völlig überrascht, als sein Butler tatsächlich über die Reling hinunter ins Wasser sprang. Parker hatte nicht den geringsten Versuch einer Gegenwehr unternommen. Das war etwas, was Mike Rander eigentlich noch nie erlebt hatte.

Clem grinste, als der Butler samt Melone und Universal-Regenschirm über die Reling gehopst war. Dann wandte er sich Mike Rander zu.

»Los, jetzt sind Sie dran«, sagte er.

Mike Rander merkte, daß Clem innerhalb der nächsten Sekunden gezielt schießen würde. Um einem Treffer zu entgehen, entschloß sich Mike Rander, seinem Butler zu folgen.

Wütend und gereizt stieg Rander über die Reling und ließ sich in das aufrauschende Wasser fallen. Als er wieder an die Oberfläche kam, sah er sich nach seinem Butler um.

Josuah Parker paddelte bereits im Atlantik und schien sich in Anbetracht der Umstände recht wohl zu fühlen. Mit schnellen Stößen schwamm Mike Rander zu ihm hinüber. Als er ihn erreicht hatte, legte er sich auf den Rücken und sah zum Motorkreuzer hinüber.

Clem war bereits in den Außenborder übergestiegen. Er bückte sich und hob einen kreisrunden schwarzen Gegenstand hoch, den er mit einem Strick, den er an der Reling festband, an der Bordwand herunterhängen ließ.

Der Außenborder löste sich vom Motorkreuzer und nahm Fahrt auf. Er rauschte etwa einhundert Meter vom Motorkreuzer weg und drehte dann bei.

Sekunden später geschah es.

Eine donnernde Explosion! An der Bordwand, dort also, wo der kreisrunde schwarze Gegenstand befestigt worden war, brach eine orangerote Stichflamme hoch. Und dann wirbelten Wrackteile durch die Luft, daß Mike Rander unwillkürlich den Kopf einzog.

Als sich Rauch und Feuer gelegt hatten, sank der Motorkreuzer bereits. Er war von der Sprengmine zerrissen worden. Es mußte sich um eine sehr starke Ladung gehandelt haben.

»Diese, diese verdammten...« Rander wollte einen derben Kraftausdruck hinzufügen, doch eine Welle verstopfte ihm den Mund.

»Der Außenborder, Sir!« meldete Parker. Seine Stimme klang unbeeindruckt. Er schien sich mit der neuen und tatsächlich hoffnungslosen Situation bereits abgefunden zu haben.

Rander drehte sich in die neue Richtung.

Der Außenborder hatte wieder Fahrt aufgenommen und hielt direkt auf sie zu.

»Sie, sie wollen uns rammen«, keuchte Rander, der wieder mit einem Wasserschwall, der seinen Mund erreicht hatte, kämpfen mußte. »Aufpassen, Parker!«

Der Außenborder rauschte heran, doch der erwartete Rammversuch blieb aus.

Clem richtete sich auf und winkte ironisch.

»Viel Vergnügen«, rief er dann. »Schöne Grüße an die Haie!«

Dann hatte er plötzlich einen Benzinkanister in Händen, öffnete den Verschluß und goß eine blutrote Flüssigkeit ins Wasser.

»Das ist, doch...«, Rander spuckte Wasser und brachte seinen Satz nicht zu Ende.

»Das ist Blut, Sir«, stellte Parker fest. »Ich möchte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit behaupten und feststellen, daß sich innerhalb weniger Minuten die ersten Haie einfinden werden!«

Parker hatte sich in seinen Voraussagen keineswegs getäuscht.

Aufgeschreckt durch die Explosion des auseinanderplatzenden Motorkreuzers näherten sich drei ausgewachsene Haie. Durch Erfahrung gewitzigt wußten sie, daß leichte Beute in Sicht war. Kraftvoll und geschmeidig peitschten sie das Wasser und peilten die Unglücksstelle an. Ihre Körper glichen gefährlichen Torpedos.

Wenig später witterten sie zusätzlich noch frisches Blut. Die drei Haie kamen sofort auf den Geschmack. Sie beschleunigten ihre Reisegeschwindigkeit und kreisten die Unglücksstelle ein. Sie rechneten fest mit ein paar Menschen, die hilflos im Wasser trieben.

Der größte der drei Haie, ein erfahrener Jäger, ortete die beiden im Wasser treibenden Menschen. Blind vor Gier ging er sofort zu einem ersten Angriff über.

Die beiden großen Happen waren für ihn eine leichte Beute. Dachte sich der Hai. Er interessierte sich vor allen Dingen für zwei strampelnde, schwarz behoste Beine, die sich ihm als besonderer Leckerbissen anboten.

Der Hai schoß heran, drehte sich geschickt auf den Rücken und sperrte erwartungsvoll sein Maul auf, in dem die Zähne wie scharfe Dolche standen. Die kleinen, kalten Augen des Haies schienen bösartig zu glitzern. Der Bissen war seinem Magen so gut wie sicher.

Doch dann ereigneten sich Dinge, die der erfahrene Hai noch niemals erlebt hatte.

Er wollte gerade genußvoll zuschnappen, als er tödlich erschreckt wurde. Die beiden schwarz behosten Beine falteten sich plötzlich auseinander und wurden zu einem großen, schwarzen Kreis.

Der Hai bremste ab und warf sich zurück. Da er noch nie im Leben einen aufgespannten Regenschirm gesehen hatte, war seine Überraschung durchaus verständlich.

Mißtrauisch drehte der Hai ab und sah sich nach seinen beiden Partnern um, die ebenfalls bremsten. Auch sie wußten mit diesem Regenschirm nichts anzufangen. Sie schauten erwartungsvoll zu ihrem größeren Partner hinüber und schienen darauf zu warten, daß er dieses schwarze Rätsel löste.

Der Großhai fühlte sich in seiner Ehre empfindlich verletzt, zumal sein Ansehen auf dem Spiel stand. Er konnte es sich einfach nicht leisten, vollends abzudrehen. Solch ein Rückzug hätte sich in seinen Kreisen sehr schnell herumgesprochen.

Er fuhr also einen zweiten Angriff. Und diesmal war er fest entschlossen, sich nicht noch einmal bluffen zu lassen. Er nahm sich vor, den kreisrunden schwarzen Gegenstand einfach zu rammen.

Nach einem schnellen, prüfenden Blick auf seine beiden abwartenden Begleiter brachte er sich entschlossen in Fahrt. Und erneut glich er einem stählernen Torpedo, den nichts mehr zu halten vermochte.

Der Hai visierte den kreisrunden, schwarzen Gegenstand an und ging zum Rammen über. Diesmal, das fühlte er leichtsinnigerweise, konnte gar nichts schiefgehen.

Er erlebte eine äußerst peinliche Überraschung.

Seine Nase hatte das schwarze Ziel fast erreicht, als plötzlich aus dem Zentrum der schwarzen Scheibe heraus ein langer, wippender Gegenstand hervorschoß. Eine rasiermesserscharfe, nadelspitze Stahlspitze bohrte sich in seine empfindliche Nasenpartie.

Der Hai gurgelte erschreckt, zog das Höhensteuer und schoß über den oberen Rand des kreisrunden schwarzen Gegenstandes hinauf zur Wasseroberfläche. Er zog einen dünnen Blutfaden hinter sich her.

Die beiden abwartend zurückgebliebenen Hai staunten nicht schlecht. Sie hatten sich bereits in Bewegung gesetzt, doch als sie ihren Anführer abziehen sahen, hielten sie sich schnell zurück und beratschlagten miteinander.

Sie kamen innerhalb weniger Sekunden überein, es mit einem massiven Angriff zu versuchen. Sie wollten ihrem Anführer beweisen, daß dieses Problem durchaus zu lösen war.

Sie begannen mit einem kleinen Täuschungsmanöver, setzten sich ein paar Meter ab, warfen sich dann entschlossen herum und rauschten heran. Für sie war der Fall bereits gelaufen, wie Menschen sich möglicherweise ausgedrückt hätten. Für sie war die Beute bereits geschafft.

Doch auch sie erlebten eine herbe Überraschung.

Der schwarze, kreisrunde Gegenstand war nicht mehr existent. Er schien sich im Wasser aufgelöst zu haben. Dafür sahen die beiden angreifenden Haie die Beinpaare von zwei im Wasser treibenden Menschen. Ein besseres Ziel hätten sie sich gar nicht vorstellen können. Im Wasser treibende Menschen waren für sie kein Problem.

Doch als sie die beiden Beinpaare fast erreicht hatten, da blähte sich erneut der schwarze, kreisrunde Gegenstand auf. Und aus dem Zentrum dieser schwarzen Scheibe schoß ein langer, wippender, rasiermesserscharfe Degen.

Einer der beiden Haie wurde empfindlich oberhalb der linken Brustflosse aufgeschlitzt. Der Hai drehte sofort ab und ergriff die Flucht. Schließlich kannte er ja die Gier seiner Artgenossen.

In schneller Fahrt lief er ab, um sich irgendwo zwischen den Riffen der kleinen Inseln zu verstecken. Der zweite Hai setzte ihm nach. Ihm saß noch der Schreck in den Gliedern. Er war davon überzeugt, daß Flucht der bessere Teil der Tapferkeit war.

Die beiden mittelschweren Haie verschwanden also, doch der Haupthai wollte noch nicht aufstecken. Der Stich in die Nase hatte ihn bis zum äußersten gereizt. Um sein Prestige zu pflegen, versuchte er es mit einem Überraschungsangriff. Diesmal konzentrierte sich sein Eifer auf die hellen Hosen, die neben dem dunklen, kreisrunden Gegenstand im Wasser paddelten.

Er setzte die List langjähriger Erfahrung ein. Diesmal wollte er wie ein Pfeil von tief unten her nach oben schießen und zuschnappen. Der Haupthai konzentrierte sich. Dann zischte er los, als sei er von einem Katapult befördert worden.

Diesmal war der Hai so schnell, daß er seine Fahrt nicht mehr zu bremsen vermochte. Gierig riß er sein Maul auf. Genußvoll schloß er die Augen. Dann schlossen sich seine Kiefer. Und gleichzeitig spürte er, daß er seine Beute zwischen den Zähnen hatte.

Er biß kraftvoll zu.

Und bekam heftige Zahnschmerzen.

Seine Zähne schrammten und splitterten auf einer Halbkugel herum, die aus Stahlblech zu bestehen schien. Der getäuschte Hai spuckte den unverdaulichen Brocken hastig aus, verschluckte sich und raste, geplagt von heftigen Zahnschmerzen, davon. Sein Bedarf war, wie es so treffend heißt, restlos gedeckt. Er erinnerte sich plötzlich jener Haifänger, die diese Gewässer unsicher machten. Wahrscheinlich hatten diese Menschen sich neue Köder ausgedacht.

Wild vor Wut und Gier folgte er der Blutspur, die die beiden anderen davonzischenden Haie hinterlassen hatten. Sie führte hinüber zu einem nahen Riff. Die Blutwitterung wurde immer stärker und frischer. Der Hai wußte längst, daß sie von einem Artgenossen stammte, doch das störte ihn nicht weiter. Er wollte morden. Um jeden Preis!

»Erinnern Sie mich daran, Parker, daß ich später noch vor Angst zu zittern habe«, sage Mike Rander wasserspuckend. »Im Moment habe ich keine Zeit dazu.«

Der junge Anwalt trieb neben seinem Butler im Wasser und sah der davonjagenden Dreiecksflosse des Haies nach. Parker nickte zur Bestätigung der gehörten Worte und faltete dann sorgfältig seinen altväterlichen Universal-Regenschirm zusammen, der den Hai in die Flucht geschlagen hatte. Anschließend bemühte er sich um seine zerschrammte und angeknabberte Melone, die der Hai als unverdaulich ausgespuckt hatte. Die Melone sah noch recht ansehnlich aus. Parker konnte sie ohne weiteres wieder aufsetzen, was er wegen der sengenden Sonne auch tat.

»Rechnen Sie mit weiteren Raubfischen?« erkundigte sich Mike Rander.

»Weniger mit weiteren Fischen, Sir, als vielmehr mit der Rückkehr der Gangster«, antwortete der Butler und warf einen interessierten Blick in die Runde.

»Weit und breit nichts mehr zu sehen«, sagte Mike Rander, der sich ebenfalls umgesehen hatte. »Haben Sie ein Patentrezept, Parker, wie wir schleunigst aus dem Wasser kommen?«

»Verflixt, wie kommen wir aus dieser Wasserwüste wieder heraus«, schimpfte Rander. Er sah sich nervös in der Runde um und fügte hinzu: »Sind Sie sicher, daß die Haie sich auch wirklich verzogen haben?«

»Im Augenblick ist mit weiteren Belästigungen wohl kaum zu rechnen, Sir.«

»Keine Insel in der Nähe?«

»Ich sehe einige kreisende Vögel über dem Horizont.«

»Ich sprach von einer Insel, nicht von Vögeln«, gab Rander zurück, nachdem er wieder einmal Wasser gespuckt hatte.

»Wo kreisende Vögel sind, Sir, ist auch mit einem mehr oder weniger großen Eiland zu rechnen.«

»Na schön, setzen wir uns in Bewegung«, schlug der Anwalt vor. »Hoffentlich kreuzen wir keine Wasserstraße der Haie.«

Die beiden Männer, mochten sie äußerlich auch noch so ungleich sein, steckten selbstverständlich nicht auf. Gewiß, sie hatten einiges Pech gehabt, doch im Grunde konnte sie so etwas kaum aus dem seelischen Gleichgewicht bringen. Dazu waren sie viel zu trainiert, dazu hatten sie sich schon in ganz anderen Situationen befunden.

Parker übernahm die Führung und schwamm los. Mike Rander schloß sich seinem Butler an und mußte bald feststellen, daß Josuah Parker auch im Wasser ein einsamer Meister war. Trotz der hinderlichen Kleidung, die Parker natürlich nicht abgestreift hatte, entwickelte er ein Tempo, das Rander die Luft nahm.

Parker fand sehr schnell heraus, daß er sein Tempo drosseln mußte. Er paßte sich der Geschwindigkeit seines jungen Herrn etwas besser an. Rander entledigte sich der Oberkleidung und war einer ersten Erschöpfung nahe, als nach gut einer Stunde endlich vor ihnen die vagen Umrisse einer Insel zu erkennen waren.

»Ist das die Insel, die wir bereits angelaufen hatten?« fragte er keuchend seinen Butler.

»Das, Sir, läßt sich mit Sicherheit leider nicht feststellen«, erwiderte der Butler mit ruhiger, fast entspannter Stimme. »Die Konturen dieser Insel sind mir fremd.«

»Ist vielleicht auch besser so!« Rander legte sich auf den Rücken, um etwas zu verschnaufen. Dann, er glaubte nicht richtig gesehen zu haben, erhielt er so etwas wie einen elektrischen Schlag.

»Haie, Parker, Haie!« rief er und deutete auf eine riesige Dreiecksflosse, die sich ihnen schnell näherte.

»Ich bin bereits orientiert, Sir«, meldete der Butler. »Ich werde, wenn Sie gestatten, einen ersten Kontakt aufnehmen. Vielleicht handelt es sich um einen alten Bekannten.«

Die Dreiecksflosse kam immer näher heran. Sie kreiste um die beiden im Wasser treibenden Männer, um dann... wie von Furien gehetzt, in rasender Schnelligkeit davonzujagen.

»Das war ein alter Bekannter, Sir«, meldete der Butler, und der Anflug eines leisen Lächelns glitt über sein Gesicht. »Ich glaube nicht, daß sich ein Angriff wiederholen wird.«

Parker vermutete richtig.

Die Dreiecksflosse und der dazugehörige Hai tauchten weg und wurde nicht mehr gesehen. Rander und Parker konnten ungestört auf das Eiland zuschwimmen. Auffallend war ein Brandungssaum weit vor der Insel. Das Wasser brach sich daran. Hinter dem Brandungssaum befand sich eine weite, vollkommen ruhige Lagune.

Parker übernahm jetzt wieder die Führung. Mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms kettete er seinen jungen Herrn an sich. Dann schwamm er beherzt in die donnernde Brandung hinein und ließ sich samt seinem jungen Herrn durch einen gewaltigen Brecher in die stille Lagune tragen.

Sie kamen ohne jede Schrammen in stilles Wasser und wurden wenig später von einer sanften Unterwasserströmung auf eine schmale Landzunge zugetrieben. Minuten später hatten sie festen Sandboden unter sich und konnten sich niederlassen.

Erst jetzt merkte Mike Rander, wie erschöpft er war. Die Muskeln und Nerven vibrierten und zitterten. Nach Luft schnappend legte Rander sich auf den Rücken und blieb ausgepumpt liegen.

»Wenn Sie erlauben, Sir, sehe ich mich etwas um«, hörte er die Stimme seines Butlers.

»Tun Sie, was Sie wollen, aber lassen Sie mich erst mal in Ruhe«, gab Rander müde zurück. »Sie befinden sich in einer unverschämten Form.«

»Sie beschämen mich, Sir«, gab Parker würdevoll zurück. »Im übrigen empfehle ich, sich unter das Strauchwerk dort zurückzuziehen, zumal man wirklich nicht wissen kann, wer sich hier auf der Insel außer Ihnen und meiner bescheidenen Wenigkeit noch befindet.«

Rander hörte den knirschenden Sand unter den Schuhen des Butlers. Sekunden später umgab ihn völlige Ruhe, die äußerst einschläfernd auf ihn wirkte.

Er erinnerte sich der Worte seines Butlers, kroch mit letzter Kraft unter das dichte Strauchwerk der schmalen Landzunge, schloß die Augen und war wenig später eingeschlafen!

*

Parker ließ sich vom Frieden, der um ihn war, nicht täuschen. Er war und blieb mißtrauisch. Das Buschwerk als Deckung nutzend, arbeitete er sich an die eigentliche Insel heran. Die schmale, sichelförmige Halbinsel hatte er bereits hinter sich gelassen. Rechts von ihm befand sich die Lagune. Links von der Landzunge donnerten schwere Brecher gegen das Land. Dahinter befand sich der weite Atlantik, und weit am Horizont eine zweite, kleine Insel.

Parker sah sich die Lagune genauer an.

Sie glich, geschützt vom Riff, einem stillen See. Spuren von Menschen waren am Strand nicht zu erkennen. Hier sah alles jungfräulich aus. Und dennoch wurde Parker das Gefühl nicht los, daß irgend etwas nicht stimmte.

Vorsichtig ging er weiter. Er vermied jedes unnötige Geräusch. Und von Schritt zu Schritt sagte ihm sein Instinkt immer deutlicher, daß Gefahr in der Luft lag.

Tappte er blindlings in eine Falle? Wurde Parker bereits belauert? Unwillkürlich schlossen seine Finger sich noch fester um den Bambusgriff seines Universal-Regenschirms. Er wollte einem plötzlichen Angriff sofort begegnen können.

Hinter einem mannshohen Strauch blieb er stehen und beobachtete eine Art Wasserlauf, der von der Lagune aus im Strauchwerk der Insel verschwand. Um einen kleinen Fluß konnte es sich unmöglich handeln. Dazu war die Insel zu klein, dazu fehlte ihr jedes Gefälle. Befand sich hinter dem dichten Vorhang der tropischen Pflanzen eine zweite Lagune?

Parker wollte gerade weitergehen, als er plötzlich von irgendwoher einen schrillen Pfiff hörte.

Butler Parker Classic 35 – Kriminalroman

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