Читать книгу Der exzellente Butler Parker 29 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3

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Dichter Regen klatschte gegen die Windschutzscheibe. Josuah Parker, der Mylady von den Edinburgher Opernfestspielen ins heimatliche London zurückchauffierte, saß schon seit Stunden am Steuer. Seine Konzentration ließ auch unter widrigen Umständen keine Sekunde nach. Deshalb nahm er unverzüglich den Fuß vom Gaspedal, als die merkwürdig vermummte Gestalt im Lichtkegel der Scheinwerfer auftauchte.

»Das ist mit Sicherheit eine Falle, Mister Parker«, meldete sich Agatha Simpson über die Sprechanlage, die den schußsicher verglasten Fond mit dem Fahrersitz verband.

»Ein Verdacht, der keineswegs von der Hand zu weisen sein dürfte, Mylady«, pflichtete der Butler seiner Herrin bei.

»Trotzdem werde ich halten und der Sache auf den Grund gehen, Mister Parker«, entschied die passionierte Detektivin. »Niemand soll mir nachsagen können, ich wäre einer Gefahr ausgewichen.«

Der Mann, der wie ein Hase auf dem Grünstreifen herumhüpfte, um auf sich aufmerksam zu machen, bot einen erbärmlichen Anblick. Er war nicht nur bis auf die Haut durchnäßt, sondern an Händen und Füßen gefesselt. Mit wilden Verrenkungen mühte er sich, den Jutesack abzuschütteln, der über seinen Oberkörper gestreift war...

Mit seinen Nachtvogelaugen versuchte Parker die schwarze Finsternis links und rechts der Straße zu durchdringen, ehe er das Fahrzeug verließ. Anzeichen, die auf einen Hinterhalt gedeutet hätten, vermochte er nicht zu entdecken. Auch die geheimnisvolle innere Stimme, die ihn schon oft vor tödlichen Gefahren gewarnt hatte, blieb stumm.

Würdevoll, als hätte er einen Ladestock verschluckt, schritt der Butler im Regen auf den Unbekannten zu. Rasch befreite er ihn von Sack und Fesseln und half ihm auf den Beifahrersitz.

»Gott sei Dank!« schnaufte der Fremde, sobald er sich auch noch des zusammengeknüllten Taschentuchs entledigt hatte, das als Knebel in seinem Mund steckte.

»Darf man die Hoffnung äußern, daß Sie körperlich unversehrt sind?« erkundigte sich Parker.

»Danke, es geht schon wieder«, antwortete der Mann und massierte seine Handgelenke, die noch die Spuren der Fesseln zeigten. »Wenn ich die verdammten Halunken erwische, breche ich ihnen jeden Knochen einzeln.«

Trotz seines bulligen Körperbaus und seiner martialischen Äußerung erweckte der Unbekannte nicht den Eindruck eines brutalen Schlägers. Obwohl er vor Wut schäumte, wirkten die hellblauen Augen im sommersprossigen Gesicht eher freundlich und verständnisvoll.

»Möglicherweise darf man erfahren, wer die Herren sind, die Sie auf so wenig schmeichelhafte Weise zu titulieren belieben«, äußerte Parker in seiner manchmal etwas umständlichen Art.

»Wenn ich bloß wüßte, wer die Gangster sind«, knurrte der Sommersprossige. »Auf jeden Fall sind sie mit meinem Lastwagen auf und davon.«

»Ein Umstand, den man nur bedauern kann, Mister ...«

»Fields. Marvin Fields«, nannte der Mann seinen Namen.

»Darf man fragen, wie lange Sie bereits am Straßenrand ausharren mußten, Mister Fields?« wollte der Butler wissen.

»Zum Glück nur ein paar Minuten«, erwiderte der etwa Fünfundvierzigjährige. »Weit können die Burschen nicht sein.«

»Unter diesen Umständen dürfte eine Verfolgung noch gewisse Aussichten auf Erfolg haben«, bemerkte Parker und wandte sich mit einem fragenden Blick an seine Herrin.

»Eine Verfolgung wollte ich auch gerade anordnen, Mister Parker«, nickte Lady Agatha eifrig und ließ ihren perlenbesticken Pompadour wippen. »Ich werde die Lümmel stellen und ihnen eine Lektion erteilen, die sie ihr Leben lang nicht vergessen.«

»Ein Vorsatz, der Myladys beeindruckende Tatkraft aufs neue dokumentiert«, entgegnete der Butler, legte mit unbewegter Miene den ersten Gang ein und gab seinem hochbeinigen Monstrum die Sporen.

Früher hatte das altertümlich wirkende Gefährt mal brave Dienste als Taxi geleistet. Seit Parker den Wagen erworben und nach seinen Vorstellungen umgebaut hatte, war daraus jedoch eine »Trickkiste auf Rädern« geworden, die über schußsichere Panzerung, ein leistungsstarkes Zusatztriebwerk und diverse Einrichtungen zur Abwehr von Verfolgern verfügte.

*

»Ich kam mit einer Ladung Whisky aus Aberdeen und hatte meinen Laster auf dem Parkplatz neben der Raststätte bei Darlington abgestellt, um im Führerhaus ein paar Stunden zu schlafen«, berichtete Fields, während das schwarze Vehikel mit aufgeblendeten Scheinwerfern und gleichmäßig brummender Maschine über die leere Landstraße jagte.

»Plötzlich wurde ich wach, als zwei Kerle mich packten und mir einen Wattebausch unter die Nase preßten«, fuhr der Mann auf dem Beifahrersitz fort. »Ich verlor das Bewußtsein und kam erst wieder zu mir, als ich gefesselt und geknebelt auf der Ladefläche lag. Kurz darauf hielten die Burschen an, warfen mich in den Straßengraben und fuhren weiter.«

»Sagten Sie Whisky, junger Mann?« erkundigte sich Agatha Simpson unvermittelt.

»Bester schottischer Whisky, Madam«, erwiderte Fields mit unüberhörbarem Stolz in der Stimme. »Vierzig Paletten. War alles für eine Londoner Exportfirma bestimmt.«

»Vierzig Paletten?« wiederholte die ältere Dame. »Sie wollten wohl Flaschen sagen, mein Lieber.«

»Unter Paletten versteht man im Transportgewerbe stabile Holzgestelle, auf denen eine größere Anzahl Kartons oder entsprechendes Versandgut gestapelt werden kann«, erläuterte Parker beiläufig. »Beim Be- und Entladen mit Gabelstaplern bieten Paletten entscheidende Vorteile, falls dieser Hinweis gestattet ist.«

»Dachten Sie, das wüßte ich nicht, Mister Parker?« reagierte die passionierte Detektivin gereizt.

»Nie würde meine Wenigkeit es wagen, Mylady Wissenslücken zu unterstellen«, versicherte der Butler in seiner unbeirrbaren Höflichkeit.

»Wie auch immer«, kam Agatha Simpson zielstrebig zum Thema zurück. »Wie viele Flaschen haben Sie denn auf so eine Palette gestapelt, Mister Fields?«

»Das sind jeweils zwanzig Kartons à zwölf Flaschen, macht zweihundertundvierzig Flaschen pro Palette«, rechnete der Lastwagenfahrer vor.

»Also neuntausendsechshundert Flaschen«, ergänzte Lady Agatha, die sich auf ihr Kopfrechnen etwas zugute hielt.

»Sie wollen es aber genau wissen, Madam«, schmunzelte Fields.

»Wenn ich den Fall übernehme, muß ich zunächst den präzisen Sachverhalt ermitteln«, belehrte Mylady ihren Mitfahrer. »Meine Fragen stelle ich natürlich aus rein dienstlichem Interesse.«

»Sie sind Detektivin, Madam?« fragte der Sommersprossige entgeistert.

»Sie haben es erraten, junger Mann«, bekräftigte Agatha Simpson. »Sie dürfen sich darüber hinaus glücklich schätzen, daß mein kriminalistischer Instinkt mich zu Ihnen geführt hat.«

»Das war ja wohl eher ein Zufall«, wandte Fields ein, der die Empfindlichkeit der älteren Dame noch nicht kannte.

»Zufall?« grollte Mylady. »Bei mir gibt es keine Zufälle, junger Mann. Außerdem muß ich Sie dringend davor warnen, mich zu beleidigen. In solchen Fällen werde ich ausgesprochen ungemütlich, wie Mister Parker Ihnen bestätigen kann.«

»Schon gut, Mylady«, lenkte Marvin Fields ein. »War ja nicht so gemeint. Glauben Sie denn, daß wir die Burschen, die meinen Laster geklaut haben, noch kriegen?«

»Ohne Zweifel«, stellte Agatha Simpson fest. »Mein Konzept steht bereits. Doch davon später. Auf jeden Fall werden Sie Ihren Lastwagen zurückbekommen, Mister Fields.«

»Wenn’s nur die alte Karre wäre«, entgegnete der Fernfahrer. »Damit ist sowieso kein Staat mehr zu machen.«

»Demnach kann und muß man davon ausgehen, daß die Unbekannten das Fahrzeug um der Ladung willen gestohlen haben, Mister Fields?« schaltete Parker sich wieder ein.

»Sollte man meinen«, erwiderte der Lastwagenfahrer zögernd. »Aber woher wußten die Burschen, was ich geladen hatte?«

»Darf man Ihre Äußerung so verstehen, daß die Täter vor der Tat keinerlei Gelegenheit hatten, Ihre Fracht in Augenschein zu nehmen, Mister Fields?« vergewisserte sich der Butler.

Der Fernfahrer schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Das halte ich eigentlich für ausgeschlossen«, sagte er. »Auch die Frachtpapiere können die Schurken nicht gesehen haben.«

Er griff in seine Jacke, zog eine abgeschabte Brieftasche heraus und klappte sie auf. »Da sind noch alle Unterlagen drin«, stellte er fest.

»Und Sie hegen keinen Verdacht, wer die Gangster möglicherweise über Art und Wert Ihrer Ladung informiert haben könnte, Mister Fields?« blieb Parker hartnäckig am Ball.

»Keine Ahnung«, erwiderte der Mann achselzuckend. »Die Polizei wird’s ihnen ja wohl nicht gesteckt haben.«

»Die Polizei?« fragte Agatha Simpson mißtrauisch dazwischen.

»Das hab ich nur im Scherz gesagt«, wiegelte Fields ab. »Die Polizei fiel mir gerade ein, weil sie abends auf dem Parkplatz eine Kontrolle gemacht hat.«

»Darf man um Aufklärung bitten, welcher Art die Kontrolle war, Mister Fields?« hakte der Butler sofort nach.

»Sie ließen sich Führerschein, Tachoscheibe und Frachtpapiere zeigen«, lautete die Antwort.

»Und Sie sind sicher, daß es sich tatsächlich um Angehörige der Polizei handelte, Mister Fields?« bohrte Parker weiter.

»Sie waren in Zivil, aber ich habe mir den Dienstausweis zeigen lassen«, teilte der Blauäugige mit. »Die sahen wirklich echt aus.«

»Was unter Umständen eine eingehende Überprüfung wert wäre, Mister Fields«, sagte Parker und schaltete auf Abblendlicht um. Eben waren in der Ferne die verschwommenen Rücklichter eines Lastwagens aufgetaucht.

*

Ebenso plötzlich, wie sie in der Dunkelheit aufleuchteten, waren die roten Lichter auch wieder verschwunden. Marvin Fields, der ebenfalls aufmerksam geworden war, glaubte an eine Bodenwelle, doch die unbestechlichen Augen des Butlers sahen mehr.

Josuah Parker war nicht entgangen, daß der Fahrer des vorausfahrenden Lastwagens die Fahrzeugbeleuchtung ausgeschaltet hatte und gleichzeitig von der breiten Piste nach rechts in eine schmale Landstraße abgebogen war.

»Wo fahre ich denn jetzt hin, Mister Parker?« fragte die Detektivin überrascht, als der Butler bremste und gleichfalls nach rechts abbog.

»Myladys Aufmerksamkeit dürfte kaum entgangen sein, daß der Fahrer des gesuchten Lastwagens diese Richtung einschlug«, gab Parker in seiner höflichen Art Auskunft. »Da die Fahrzeugbeleuchtung unmittelbar vor dem Abbiegemanöver ausgeschaltet wurde, dürften Mylady mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß es sich um den entführten Whiskyfrachter handelt.«

Der Butler hatte bis auf einige Wagenlängen zu dem Lkw aufgeschlossen.

»Das ist er!« jubelte Marvin Fields und drückte sich die Nase an der Frontscheibe platt. »Jetzt geht’s den Ganoven an den Kragen!«

»Meine Wenigkeit wird nichts unversucht lassen, Ihren verständlichen Wunsch der Verwirklichung näherzubringen, Mister Fields«, versprach Parker und trat gelassen das Gaspedal bis zum Anschlag durch.

Während der Rennmotor unter der eckigen Haube aufröhrte, betätigte der Butler kurz die Lichthupe und setzte zum Überholen des unbeleuchteten Fahrzeuges an. Zügig glitt das hochbeinige Monstrum an dem schon betagt wirkenden Whiskytransporter vorbei. Im selben Moment flammten Scheinwerfer und Rücklichter des Lastwagens wieder auf.

Der Butler fuhr einen kleinen Vorsprung heraus, ehe er mehrmals leicht auf das Bremspedal tippte und die Bremslichter aufleuchten ließ. Dabei hielt er sich in der Mitte der Fahrbahn, so daß an Überholen nicht zu denken war.

Der Gangster am Steuer des entführten Lkws schien das Signal zu verstehen. Er bremste und erweckte den Eindruck, als wollte er seinen Wagen hinter Parkers hochbeinigem Monstrum zum Stehen bringen. Doch dieser Schein trog ...

Der Butler, der sein altertümlich wirkendes Gefährt mittlerweile gestoppt hatte, sah die Lichter des Lastwagens in beunruhigendem Tempo im Rückspiegel näherkommen. So handelte er mit der kaltblütigen Präzision eines Computers.

Auf jaulenden Pneus machte das hochbeinige Monstrum einen regelrechten Satz nach vorn, als Parker Vollgas gab und gleichzeitig die Kupplung springen ließ. Der Start, der jedem Formel-Eins-Fahrer anerkennende Bemerkungen in der Fachpresse eingetragen hätte, erwies sich – abgesehen von seinen motorsportlichen Aspekten – als schlicht lebensrettend.

Nur um Zentimeter verfehlte die wuchtige Stoßstange des herandonnernden Lastwagens das Heck des losspurtenden Ex-Taxis.

»Das war verdammt knapp«, stöhnte Fields, derweil Mylady verärgert die Pralinen einsammelte, die aus der offenen Schachtel gefallen waren.

Im selben Augenblick legte der Butler einen der zahlreichen Kipphebel am Armaturenbrett um, deren Funktion nur ihm selbst bekannt war. Postwendend quoll eine ölige Rußwolke aus dem Auspuff seines schwarzen Vehikels und breitete sich rasch über die ganze Straße aus.

Sekunden später waren die Scheinwerfer des Lastwagens im undurchdringlichen Qualm verschwunden. Der Gangster am Lenkrad tat das einzige, was er unter diesen Blindflug-Bedingungen tun konnte: Er bremste, was die Bremsen hergaben, und brachte das schwere Gefährt unter beträchtlichem Rappeln und Quietschen, aber ohne Zwischenfälle zum Stillstand.

»Ich werde diesen kriminellen Subjekten keine Atempause gönnen und unverzüglich angreifen, Mister Parker«, setzte Agatha Simpson den Butler ins Bild, der seinen vierrädrigen Kasten gleichfalls angehalten hatte. Dabei widmete sie sich unverdrossen den Pralinen, genauer gesagt dem, was noch davon übrig war.

»Sie dürfen schon vorangehen, Mister Parker«, beschied sie den Butler, der mit höflicher Verneigung den Wagenschlag öffnete. »Und Sie dürfen Mister Parker begleiten, Mister Fields. Nur keine Angst. Ich komme gleich nach.«

»Wie Mylady wünschen«, sagte Parker und steuerte gemessenen Schrittes die schwarze Wolke an, die den Lastwagen immer noch vollständig verhüllte. Marvin Fields, dessen Rachegelüste jeden furchtsamen Gedanken vertrieben, schloß sich ihm an.

Vorsichtig tasteten die Männer sich durch den dichten Qualm vorwärts. Aufmerksam lauschte der Butler auf seine innere Stimme, doch sie meldete sich auch diesmal nicht.

Als das Duo endlich das Führerhaus des eingenebelten Lastwagens erreicht hatte, wußte Josuah Parker, warum. – Die Fahrerkabine war leer!

*

Lauschend und spähend ließ der Butler den scharf gebündelten Lichtstrahl seiner Kugelschreiberlampe umherwandern. Er leuchtete unter den Wagenboden, hinter die fast mannshohen Räder... Von den Unbekannten fehlte jede Spur.

Ob sie in der Nähe lauerten und nur darauf warteten, daß einer ihrer Widersacher ein gutes Ziel abgab?

»Wo stecken Sie denn, Mister Parker?« war in diesem Moment das sonore Organ Agatha Simpsons zu hören.

»Hier, Mylady«, meldete sich der Butler und schritt seiner Herrin entgegen, die sich schnaufend einen Weg durch die zähen Schwaden bahnte.

»Und wo sind die dreisten Lümmel, die ich unverzüglich ins Verhör nehmen werde, Mister Parker?« wollte sie wissen.

»Bedauerlicherweise sieht man sich zu der Mitteilung gezwungen, daß die Herren das sprichwörtliche Weite gesucht haben, Mylady.«

»Sie haben die Schurken entwischen lassen, Mister Parker. Das ist ja wirklich unerhört! Muß ich denn alles allein machen?«

»Passiert ist passiert, Madam«, versuchte Fields die Lady zu besänftigen. »Am besten fahren wir in den nächsten Ort und alarmieren die Polizei.«

»Polizei?« entgegnete Agatha Simpson ungehalten. »Was soll denn die Polizei hier, junger Mann?«

»Die Gangster fangen, was denn sonst?« reagierte Fields unbekümmert.

»Seit wann fängt die Polizei denn Gangster?« grollte Mylady. »Die hat doch mit dem Verkehr genug zu tun.«

»Aber wie wollen Sie denn die Schurken fangen?« gab Fields zu bedenken. »Bei Nacht und Nebel!«

»Das lassen Sie gefälligst meine Sorge sein, junger Mann«, blieb Lady Agatha unbeeindruckt und wandte sich an den Butler. »Sie dürfen mir ein paar hübsche Vorschläge unterbreiten, Mister Parker.«

»Falls meine bescheidene Wenigkeit sich nicht täuscht, dürften die Unbekannten die Hoffnung auf die hochprozentige Ladung noch nicht aufgegeben haben«, schickte Parker voraus. »Diesen Schluß dürften Mylady aus dem Umstand ziehen, daß die Herren so frei waren, die Fahrzeugschlüssel mitzunehmen.« Er sprach mit gedämpfter Stimme, damit die Gangster, die vermutlich nicht weit waren, nichts verstehen konnten.

»Und für welches konkrete Vorgehen entscheide ich mich, Mister Parker?«

»Mylady dürften es vorziehen, die Gangster in einen Hinterhalt zu locken.«

»Das ist ein taktisches Mittel, zu dem ich nur greife, wenn meine Gegner feige sind und sich der Konfrontation entziehen.«

»Ein Umstand, der meiner Wenigkeit durchaus bekannt ist, Mylady«, erwiderte Parker. »Dennoch dürften Mylady es in der gegebenen Situation vorziehen, den Gangstern einstweilen das Feld zu überlassen.«

»Das Feld überlassen? Niemals, Mister Parker!«

»Myladys taktische Überlegungen dürften darauf hinauslaufen, bei den Unbekannten den irrigen Eindruck zu erwecken, ihre Beute wäre unbewacht und wieder verfügbar«, wurde der Butler deutlicher.

»Wir könnten in Ihren Wagen steigen und so tun, als ob wir zur Polizei fahren«, schlug Marvin Fields im Flüsterton vor.

»Eine Anregung, deren Verwirklichung man unverzüglich ins Auge fassen sollte, falls die Bemerkung gestattet ist«, pflichtete Parker dem Fernfahrer bei. »Meine Wenigkeit würde hier bleiben und die Herren erwarten, sofern Mylady keinerlei Einwände erheben.«

»Eigentlich sollte ich Ihnen diese gefährliche Aufgabe nicht überlassen, Mister Parker«, zögerte die ältere Dame. Bei Handgreiflichkeiten wollte sie nicht abseits stehen, andererseits schien es ihr behaglicher im gepolsterten Fond des hochbeinigen Monstrums als auf der naßkalten Landstraße.

»Nun gut, Sie sollen Gelegenheit erhalten, sich zu bewähren, Mister Parker«, überwand sich Agatha Simpson.

»Dann lassen wir den Lastwagen hier stehen und fahren erst mal zur Polizei«, sagte Fields so laut, daß man es im Umkreis hören mußte.

Die Detektivin, die an seiner Seite auf Parkers eckiges Gefährt zuschritt, schluckte im letzten Moment ihren Protest hinunter.

»Sie sind sich ja hoffentlich im klaren, daß das nur eine List ist«, raunte sie dem Fernfahrer zu.

Parker hörte die Bemerkung nicht mehr. Er war mit katzenhafter Geschmeidigkeit, die man seiner würdevollen Erscheinung nie zugetraut hätte, auf die Ladefläche des Lastwagens geklettert und erwartete die Unbekannten. Daß sie kommen würden, daran zweifelte er nicht.

Der Butler hatte sich auf der dunklen Ladefläche bis zum Führerhaus vorgearbeitet und war damit beschäftigt, ein Stück der Plane zu lösen, als er draußen eilige Schritte vernahm. Im nächsten Moment klappten Türen, und der Motor sprang an. Rumpelnd setzte sich der schwere Wagen in Bewegung und nahm rasch Fahrt auf.

Kurz entschlossen griff Parker in die rechte Außentasche seines schwarzen Covercoats und förderte eine Handvoll Krähenfüße zutage. Diese im Winkel verschweißten Stahlnägel konnten auf die Fahrbahn fallen, wie sie wollten – immer zeigte eine der nadelscharfen Spitzen nach oben und wartete nur darauf, sich in einen prall gefüllten Reifen bohren zu können.

Vorsichtig schob der Butler die Plane ein wenig beiseite und steckte den Kopf nach draußen in den scharfen Fahrtwind. Bei Tageslicht hätte der Fahrer ihn vermutlich sofort im Außenspiegel entdeckt. In der Dunkelheit jedoch blieb ihm die schwarze Melone ebenso verborgen wie das glatte, ausdruckslose Gesicht darunter.

Parker war mit seiner Position durchaus zufrieden. Wenn er sich nur ein kleines Stück hinausbeugte, konnte er die Krähenfüße so unter das Fahrzeug werfen, daß die schweren Zwillingsreifen der Hinterachse über die gierig zupackenden Spitzen hinwegrollten.

Draußen tauchten die düsteren Umrisse einer Ortschaft auf. Wenig später nahm der Lkw-Fahrer das Gas weg und bog in eine Seitenstraße, die in ein verlassen wirkendes Industrierevier führte.

Bedächtig ließ der Butler die Krähenfüße wieder in die Tasche gleiten. Offenbar war das Ziel, das die Gangster ansteuerten, nicht mehr weit. Wenn sie ihren blinden Passagier nichtsahnend dorthin mitnahmen, konnte das die Ermittlungen nur beschleunigen.

Parker registrierte, wie der Lastwagen über einen unbeleuchteten Fabrikhof kurvte und dicht vor einer mächtigen Garage stoppte.

»Von dieser Ladung stauben wir uns aber auch ’ne Kiste ab«, rief der Fahrer dem Beifahrer zu, während er aus dem Führerhaus kletterte. »Ist ja nicht nötig, daß der Chef alles bekommt.«

Fröhlich vor sich hinpfeifend, wollte der bullig wirkende Ganove seine Schritte in Richtung Garagentor lenken, als der Butler mit der bleigefüllten Spitze seines schwarzen Universal-Regenschirmes vernehmlich auf den hölzernen Boden der Ladefläche pochte.

Wie angewurzelt blieb der Mann stehen und blickte mißtrauisch in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war.

»Hast du das gehört, Lee?« fragte er den Beifahrer, der gerade an der anderen Seite aus dem Fahrzeug stieg.

»Nee, was denn, Alan?« reagierte Lee.

»Da hat irgendwas geklopft«, gab Alan Auskunft. »Ich sehe mal nach.«

Nach kurzem Suchen kramte er eine Taschenlampe aus der Jackentasche, trat dicht an das Fahrzeug heran und leuchtete unter den Wagenboden. Um besser sehen zu können, ging der breitschultrige Alan in die Knie und ließ den Lichtstrahl in jeden Winkel wandern.

Den Urheber des geheimnisvollen Pochens entdeckte er nicht. Da der Mann seine ganze Aufmerksamkeit auf die Unterseite des Lastwagens richtete, entging ihm völlig, was sich zur selben Zeit über ihm abspielte.

Lautlos wurde die Plane beiseitegeschoben. In der Öffnung tauchte Parkers schwarz behandschuhte Rechte auf, die die Spitze des altväterlich gebundenen Regendachs fest umspannt hielt.

Gerade richtete Alan sich wieder auf, als der Bambusgriff des Schirmes in Aktion trat. Stöhnend drehte der verdutzte Gangster auf einknickenden Knien eine mißglückte Pirouette, als sich das harte Material auf seine Schädeldecke senkte.

Der Butler vernahm noch ein paar unverständliche Grunzlaute, bevor sein Gegner eilig den Kontakt zum Boden suchte und sich mit erlöstem Seufzer auf dem Beton ausstreckte. Die Lampe war ihm aus der Hand gefallen und erloschen.

»Was ist denn los, Alan?« rief Lee und umrundete hastig die wuchtige Motorhaube des Lastwagens.

Ihm blieb nicht viel Zeit, sich in den Anblick seines friedlich schlummernden Komplizen zu vertiefen. Erneut setzte Parker seinen Regenschirm in Marsch und entlockte auch dem zweiten Gangster Laute, die nur entfernt an menschliche Äußerungen erinnerten. Torkelnd probierte Lee ein paar Sambaschritte, ehe er sich ebenfalls in die Horizontale begab und seine Frage vergaß.

Der Butler harrte noch zwei Minuten in seinem Versteck aus. Als sich draußen nichts rührte, kletterte er von der Ladefläche und sah sich um.

Der betonierte Hof war an drei Seiten von Lagerschuppen und Lkw-Garagen umgeben, die einen heruntergekommenen Eindruck machten. Bewohnt schien keines der Gebäude zu sein. Offenbar hielt sich auch niemand hier auf, der das Diebesgut in Empfang nahm und für den Weitertransport sorgte.

Dennoch hielt Parker es für unwahrscheinlich, daß die beiden Männer ihre Raubzüge auf eigene Faust ausführten. Seine Vermutung wurde bestätigt, als er mit Hilfe seines handlichen Universalbestecks einen Teil der Tore öffnete. – Im scharf gebündelten Lichtstrahl der Bleistiftlampe tauchte eine Szenerie auf, die an das gut sortierte Warenlager eines Kaufhauses denken ließ.

Die Herkunft dieser Güter würde sich klären lassen. Jetzt galt es, Mylady und dem Fernfahrer die Festnahme der Gangster zu melden.

Mit sicherem Griff zog der Butler eine kleine Sprühflasche aus einer der unergründlichen Innentaschen seines schwarzen Covercoats. Ausgiebig ließ er die schnarchenden Ganoven an dem feinen, betäubenden Nebel schnuppern, um ihnen noch eine Weile ungestörter Ruhe zu ermöglichen. Anschließend legte er ihnen Handschellen aus speziell gehärtetem Stahl an und verfrachtete das Paar auf die Ladefläche des Lastwagens.

Sekunden später saß Josuah Parker hinter dem Lenkrad und startete die schwere Dieselmaschine. Rumpelnd rollte der Lastwagen vom Hof und nahm wieder Kurs auf die Landstraße.

*

Nach kurzer Fahrt erreichte der Butler die Einmündung, bremste das schwerfällige Gefährt und schaltete den linken Blinker ein. Das Fahrzeug, dessen Lichter sich von links näherten, wollte er noch vorbeilassen.

Doch plötzlich spitzte Parker die Ohren. Das Motorengeräusch des nahenden Wagens kam ihm ausgesprochen bekannt vor. Auch Form und Anordnung der Scheinwerfer stimmten. Das konnte nur das hochbeinige Monstrum sein!

Im nächsten Moment brauste der eckige Kasten an der Einmündung vorbei. Die Silhouette, die der Butler im Vorüberhuschen erfaßte, ließ keinen Zweifel daran, wer am Steuer saß: Lady Agatha Simpson persönlich.

Kurz entschlossen schaltete Parker vom linken auf den rechten Blinker um und nahm die Verfolgung auf. Eine Chance, Mylady einzuholen, hatte er nicht. Wenn überhaupt, konnten nur noch Lichthupe und Signalhorn helfen.

Offenbar erreichten die optischen und akustischen Signale ihr Ziel. Jedenfalls leuchteten gleich darauf die Bremslichter der »Trickkiste auf Rädern« auf. Lady Agatha verlangsamte ihr Tempo, so daß der Butler aufholen konnte.

Wenn Parker gehofft hatte, die ältere Dame würde halten, um sich über den aktuellen Stand der Gangsterjagd zu informieren, sah er sich gründlich getäuscht. Kaum war der Lastwagen auf zwanzig Schritte heran, gab die Detektivin wieder Gas und spurtete davon.

Kurz darauf ließ sie den Butler wieder aufschließen, um aufs neue mit dem neckischen Spiel zu beginnen. Dieses Verhalten nährte in Parker den Verdacht, daß Mylady ihn für einen Kriminellen hielt, den es abzuschütteln galt.

Die Bestätigung kam wenig später. Mit gewissem Unbehagen gewahrte der Butler, wie sich unvermittelt am Heck des gerade wieder davonbrausenden Monstrums eine Klappe öffnete.

Da er sein Fahrzeug mit allen Raffinessen kannte, wußte Parker natürlich, was das zu bedeuten hatte, und stemmte sich mit aller Kraft auf die Bremse, um den Lastwagen rechtzeitig zum Stehen zu bringen.

Agatha Simpson hatte begonnen, die zahlreichen Kipphebel am Armaturenbrett durchzuprobieren und war dabei an die Krähenfuß-Streuanlage geraten.

Was keinem echten Verfolger gelungen wäre – der Butler schaffte es. Eine Handbreit vor der ersten Nagelspitze kamen die Vorderräder des Lasters quietschend zum Stillstand.

Hundert Schritte weiter stoppte auch das hochbeinige Monstrum.

Doch ehe die Lenkerin das Fahrzeug verließ, legten ihre vorwitzigen Finger noch einen weiteren Kipphebel um, was für sie selbst ärgerliche Folgen hatte.

Von weitem sah Parker eine fettige Qualmwolke aufsteigen, die das altertümliche Vehikel im Handumdrehen seinen Blicken entzog. Husten und Keuchen signalisierten ihm, daß Mylady ausgerechnet in diesem Moment die Wagentür geöffnet hatte.

Besorgt um das Wohlergehen seiner Herrin, verließ Parker das Führerhaus des Lastwagens. Seine Schritte beschleunigte er allerdings nur soweit, wie es seine stets würdevolle Haltung zuließ.

»Wo stecken denn die dreisten Lümmel?« hörte er Agatha Simpson schon beim Näherkommen rufen. Wild entschlossen, aber einigermaßen orientierungslos irrte sie in der undurchdringlichen Wolke herum und ließ ihren Pompadour kreisen.

Ihr sogenannter Glücksbringer war ein veritables Hufeisen, das – in dem ledernen Beutel verstaut – von einem stämmigen Brauereigaul stammte und niemandem echtes Glück brachte.

»Wo bleiben Sie denn, Mister Parker. Auf keinen Menschen kann man sich heutzutage verlassen«, behauptete Agatha Simpson allen Ernstes.

»Man bittet in aller Form um Nachsicht, Mylady«, machte Parker die erregte Dame auf sich aufmerksam. »Meine Wenigkeit ist unverzüglich bereit, Myladys Wünsche als Befehl zu betrachten.«

»Ach, Sie sind das, Mister Parker«, stellte Lady Agatha dann überrascht fest, nachdem sie um ein Haar mit dem Pompadour die Melone zerbeult hätte.

»Mylady sagen es«, bestätigte der Butler mit einer höflichen Verbeugung und geleitete seine Herrin aus der Nebelzone.

»Und wo sind die kriminellen Subjekte, die mich eben verfolgt haben, Mister Parker?« wollte sie wissen. »Die Burschen haben einen Denkzettel mehr als verdient.«

»Die Herren haben es sich zu einem Nickerchen auf der Ladefläche des Lastwagens bequem gemacht, Mylady«, gab Parker zur Antwort. »In kurzer Zeit dürften sie für ein erstes Verhör zu Verfügung stehen, falls der Hinweis erlaubt ist.«

»Die Lümmel sind schon dingfest gemacht?« vergewisserte sich die Detektivin. »Da bin ich wieder mal schneller gewesen, als ich selbst geglaubt habe.«

»Mylady waren wieder absolut unvergleichlich«, versicherte der Butler. Er hielt es für besser, die ältere Dame nicht darüber aufzuklären, daß er selbst am Steuer des Lastwagens gesessen hatte. So ließen sich einige Fragen und Mißverständnisse vermeiden.

»Wie auch immer«, fuhr Agatha Simpson in unverkennbar dienstlichem Ton fort. »Ich habe keine Zeit zu verlieren. Laden Sie die Lümmel in Ihr Fahrzeug um, damit wir nach London zurückkehren können, Mister Parker.«

»Mylady beabsichtigen, von einer Vernehmung an Ort und Stelle Abstand zu nehmen?« vergewisserte sich Parker.

»«Ich habe keine Lust, mir die Subjekte von der Polizei wegschnappen zu lassen, Mister Parker.«

»Demnach haben Mylady konkrete Anhaltspunkte für die Befürchtung, die Polizei könne kurzfristig hier auftauchen?«

»Vermutlich sind die beamteten Schnüffelnasen schon unterwegs, Mister Parker.«

»Ein Umstand, den Mylady keineswegs als erfreulich betrachten.«

»Eben, Mister Parker. Also stehen wir nicht so untätig herum ...«

»Man wird sich der größten Eile befleißigen«, versprach der Butler und machte sich umgehend ans Werk.

*

Wenige Minuten später hatte Parker die immer noch übermüdet wirkenden Ganoven auf dem Rücksitz des hochbeinigen Monstrums verstaut, derweil Mylady mit dem Beifahrerplatz vorliebnahm. Dann stieß er mit der Fußspitze die verstreuten Krähenfüße in den Graben und rangierte den Lastwagen an den Straßenrand, damit er kein gefährliches Hindernis bildete.

»Darf man möglicherweise erwarten, daß Mylady Auskunft über den Verbleib von Mister Marvin Fields geben können?« fragte er, während das schwarze Gefährt rasch Fahrt aufnahm.

»Erinnern Sie mich nur nicht an diesen ungehobelten Rüpel, Mister Parker«, grollte Agatha Simpson. »Mit dem Burschen habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen.«

»Wie möchten Mylady diese Äußerung verstanden wissen?«

»Der Lümmel hatte nichts besseres zu tun, als auf kürzestem Weg zur nächsten Polizeiwache zu fahren.«

»Mylady überließen Mister Fields die Führung des Fahrzeuges?«

»Natürlich, Mister Parker. Ich glaubte, in Ruhe an der Vollendung meines taktischen Konzepts arbeiten zu können, während der Bursche fuhr. Aber er hat das Vertrauen, das ich ihm auf diese Weise entgegenbrachte, schamlos mit Füßen getreten.«

»Eine Mitteilung, die man nur mit Bedauern und Entrüstung zur Kenntnis nehmen kann, Mylady.«

»Wäre diese vermaledeite Trennscheibe nicht gewesen – ich hätte den Rüpel noch während der Fahrt zur Räson gebracht, Mister Parker.«

»Woran meine bescheidene Wenigkeit keinen Augenblick zweifelt, Mylady.«

»So mußte ich notgedrungen warten, bis er vor der Polizei hielt und hineinging. Da bin ich umgestiegen und losgefahren.«

»Hinsichtlich entschlossenen Handelns stellen Mylady ein Vorbild dar, das man nur als leuchtend bezeichnen kann und muß.«

»Das haben Sie aber wirklich schön formuliert, Mister Parker«, strich Mylady gelassen das Lob ein. »Ihren krönenden Abschluß fand die laufende Phase meiner Ermittlungen dann durch die Festnahme der Gangster. Das einzige, was noch fehlt...«

Agatha Simpson brach mitten im Satz ab und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.

»Aber das Wichtigste habe ich ja vergessen, Mister Parker.«

»Möglicherweise darf man um Auskunft darüber bitten, was Mylady zu meinen geruhen?«

»Den Whisky natürlich. Ich wollte mir doch eine Kiste zum Probieren mitnehmen.«

»Darf man die Vermutung äußern, daß Mylady von der Ladung in Mister Fields Lastwagen zu sprechen belieben?«

»Wovon denn sonst, Mister Parker. Mister Fields hätte bestimmt nichts dagegen.«

»Eine Annahme, die sich momentan kaum überprüfen lassen dürfte, Mylady.«

»Wie auch immer, Mister Parker. Nach der Schmach, die der Rüpel mir angetan hat, geschähe es ihm recht, wenn gleich mehrere Kisten fehlten.«

Josuah Parker wunderte sich ein wenig, weil seine Herrin für gewöhnlich französischen Kognak bevorzugte und dem schottischen Nationaldestillat nicht besonders zugetan war. Doch wenn es etwas umsonst gab, konnte Agatha Simpson kaum widerstehen. Nicht ohne Grund war ihre Sparsamkeit ebenso sprichwörtlich wie ihr Reichtum.

»Mylady wünschen, zu Mister Fields Lastwagen zurückzukehren?« erkundigte er sich knapp.

»Auf keinen Fall, Mister Parker. Die Polizisten dort würden nur neidisch werden, wenn ich mir nähme, was mir zusteht.«

»Was eindeutig zu befürchten ist, Mylady.«

»Wie lange bin ich noch bis London unterwegs, Mister Parker?« wollte die ältere Dame nach geraumer Zeit wissen. Ihre Stimme klang schläfrig.

»Etwa drei Stunden, falls man nicht sehr irrt, Mylady«, gab der Butler Auskunft.

»Sie hätten mich aber wirklich an den Whisky erinnern können, Mister Parker«, sagte Lady Agatha undeutlich, schon auf der Schwelle vom Wachen zum Träumen.

»Man bittet höflich, die Unterlassung zu entschuldigen, Mylady«, erwiderte Parker, bevor er sich ausschließlich auf die Straße konzentrierte. Im Osten dämmerte schon das erste graue Morgenlicht.

*

Die Sonne strahlte vom Himmel, als der Butler in die stille Wohnstraße im Londoner Stadtviertel Shepherd’s Market einbog, an der Lady Simpsons repräsentatives Anwesen lag. Hier bewohnte sie eine im Fachwerkstil errichtete Villa, die sich auf den Grundmauern einer steinalten Abtei erhob.

In der Höhe von Nottingham hatte Parker eine kurze Pause einlegen müssen, als die Fahrgäste im Fond sich durch unruhiges Stöhnen bemerkbar machten. Eine kleine Zusatzdosis aus der Sprühflasche hatte die Männer jedoch wieder in tiefen Schlummer versenkt.

Lee und Alan gaben noch immer friedliche Schnarchtöne von sich, als der Butler sein hochbeiniges Monstrum auf dem Vorplatz des Hauses abstellte und behutsam seine Herrin weckte.

Die ältere Dame zog sich in ihre privaten Gemächer im Obergeschoß zurück, und Parker verfrachtete die ausgesprochen apathisch wirkenden Gestalten in eines der Gästezimmer im Souterrain.

Dabei handelte es sich um Räumlichkeiten, die mit allem Komfort ausgestattet waren – bis hin zu Farbfernseher und Kühlschrank. Nur Fenster und Telefon suchte man vergeblich.

Die stählernen Feuerschutztüren hatte der Butler mit komplizierten Sicherheitsschlössern versehen lassen, da Lady Agatha großen Wert darauf legte, den Abreisetermin ihrer Gäste selbst zu bestimmen.

Es war schon später Vormittag, und Parker deckte im Salon, der an die weitläufige Wohnhalle grenzte, den Frühstückstisch. Er war gerade damit beschäftigt, den Tee zu richten, als herzhaftes Gähnen seine Tätigkeit unterbrach.

Wie Majestät persönlich schritt Agatha Simpson die geschwungene Freitreppe herab, die die Wohnhalle mit der umlaufenden Galerie verband.

Obwohl sie die Sechzig überschritten hatte, war die steinreiche Lady noch immer eine ausgesprochen eindrucksvolle Erscheinung. Hinzu kam ihre ausgeprägte Neigung, sich mit dem Pathos einer Bühnenheroine in Szene zu setzen.

»Ich muß doch ein wenig eingenickt sein, Mister Parker«, meinte sie jetzt. »Dabei kann ich mir unter der Last meiner beruflichen Pflichten eigentlich gar keinen Schlaf erlauben.«

»Mylady sollten der Gesundheit etwas mehr Aufmerksamkeit schenken, falls die Anmerkung gestattet ist«, äußerte der Butler, während er seine Herrin zum Frühstückstisch geleitete und ihr fürsorglich einen Sessel unterschob.

Der exzellente Butler Parker 29 – Kriminalroman

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