Читать книгу Butler Parker 186 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3
ОглавлениеAgatha Simpson wirkte rundum zufrieden. An dem kalten Büfett, das die Immobiliengesellschaft »Plus« einem erlauchten Kreis betuchter Zeitgenossen im luxuriösen Seebad Brighton serviert hatte, gab es selbst für sie nichts auszusetzen. Die wortreichen Ausführungen von »Plus«-Geschäftsführer Marty Rodgers, der für angeblich profitträchtige Anlageobjekte auf den Kanarischen Inseln warb, hatte die majestätische Dame zwar zunächst als störend empfunden, dann aber mit bemerkenswerter Gelassenheit überhört.
Dafür saß schließlich ihr Vermögensberater Mike Rander mit am Tisch. Randers (fast) ständige Begleiterin, die attraktive Kathy Porter, und Josuah Parker, Agatha Simpsons gemessen und würdevoll sich gebender Butler, vervollständigten die Delegation, mit der die extravagante Lady angereist war.
»Papperlapapp! Was soll der Unsinn?« protestierte die passionierte Detektivin, als in diesem Augenblick die Lichter im Saal verloschen.
»Myladys Aufmerksamkeit dürfte kaum entgangen sein, daß Mister Rodgers soeben die Absicht äußerte, Farblichtbilder der angebotenen Immobilien zu zeigen«, bemerkte Parker mit gedämpfter Stimme.
»Natürlich habe ich jedes Wort mitbekommen, Mister Parker«, versicherte die füllige Lady umgehend. »Aber dieser ungezogene Mensch hätte ja wenigstens warten können, bis ich mit meinem Dessert fertig bin.«
»Eine Feststellung, der man mitnichten widersprechen möchte, Mylady«, erwiderte der Butler höflich und wandte sich der Leinwand zu, wo gerade die erste Ansicht aufleuchtete. Auch Lady Agatha konzentrierte sich jetzt auf die Vorführung – wie jeder im Saal. Nur die Kellner huschten im Kalbdunkeln hin und her und schenkten Getränke nach.
Die Bilder, die Rodgers zeigen ließ, hätten aus Urlaubsprospekten stammen können, wo die Sonneninseln vor der westafrikanischen Küste in den strahlendsten Farben präsentiert wurden. Mit deutlicher Genugtuung registrierte der Immobilienverkäufer die entzückten Ausrufe, mit denen das Publikum keineswegs geizte.
Zwischen dem sechsten und dem siebten Bild verlor der wortgewandte Geschäftsmann im eleganten Nadelstreifenanzug jedoch unvermittelt die Fassung. Und daran war Agatha Simpson nicht ganz unbeteiligt.
Ein klatschendes Geräusch ließ Rodgers mitten im Satz verstummen. Im nächsten Moment folgte ein sirenenähnlicher Heulton, dann war da Klirren und Krachen, schließlich vielstimmiges Weh- und Wutgeschrei.
»Licht an!« schrie der graumelierte Mittfünziger, verließ seinen Platz am Rednerpult und stürzte in die Richtung, aus der der Tumult kam.
Als Sekunden später die Lichter aufflammten, bot sich ihm und allen übrigen Anwesenden ein Bild grausiger Verwüstung. Nur der schwarzbefrackte Kellner, der im Halbdunkeln zwei Tische umgestoßen und damit eine folgenschwere Kettenreaktion ausgelöst hatte, zeigte sich ruhig und gelassen.
Entspannt hatte sich der Mann in dem Chaos von Tischdecken, umgestürzten Stühlen und zerbrochenem Geschirr ausgestreckt. Er atmete friedlich und schien im Schlaf sogar zu lächeln.
Verletzungen hatte sich der Kellner bei dem Sturz zum Glück nicht zugezogen. Nur die rechte Wange zeigte feuerrote Striemen in Form einer gespreizten Hand und schwoll zusehends an.
»Wie ... wie konnte das passieren?« stammelte Rodgers und ließ entgeistert seine Blicke schweifen.
»Der dreiste Lümmel ist mir zu nahe gekommen«, lieferte Mylady liebenswürdig lächelnd die Erklärung. »Deshalb mußte ich ihm Manieren beibringen.«
Der Immobilienverkäufer schluckte hörbar und musterte die ältere Dame ungläubig.
»Es... es wird sich um ein Versehen gehandelt haben«, mutmaßte er. »Ein Mißverständnis ...«
»Ausgeschlossen, junger Mann«, gab Lady Simpson grimmig zurück. »Das war weder ein Versehen noch ein Mißverständnis, sondern ein eindeutiger Angriff.«
»Sie wollen doch nicht etwa behaupten, der Kellner hätte Sie unsittlich ...«
»Wo denken Sie hin, Mister Lodgers!« fiel Mylady ihm ins Wort. »Dann wäre der Lümmel nicht so glimpflich davongekommen.«
»Na, wenn Sie das glimpflich nennen«, stöhnte der Graumelierte.
»Ich kann auch anders, Mister Lodgers«, trumpfte die Detektivin auf und schwenkte neckisch ihren perlenbestickten Pompadour. »Möchten Sie vielleicht eine Kostprobe?«
»Nein, nein, besten Dank. Was ich gesehen habe, reicht mir«, versicherte ihr Gegenüber eilends. »Übrigens heiße ich Rodgers, Mylady. Marty Rodgers, nicht Lodgers.«
»Sagte ich etwas anderes, Mister Lodgers?« entgegnete Mylady überrascht. »Sie müssen sich verhört haben.«
»Schon möglich«, gab Rodgers ausweichend zur Antwort. »Aber was ist denn nun eigentlich passiert, Mylady?«
»Der Lümmel wollte mir den Pompadour rauben«, teilte die resolute Dame mit und bedachte den allmählich zu sich kommenden Kellner mit einem mißbilligenden Blick. »Da habe ich ihn zur Ordnung gerufen.«
»Eine Ohrfeige etwa?« Der Immobilienhändler schüttelte fassungslos den Kopf. »Und dann diese Verwüstung?«
»Was kann ich dafür, wenn der Lümmel nicht fest auf den Beinen steht?« reagierte die Detektivin vorwurfsvoll. »Der Mann muß betrunken sein.«
»Unmöglich, Mylady«, widersprach Rodgers. »Das Personal hier ist absolut zuverlässig.«
»Ich weiß, was ich weiß«, beharrte Agatha Simpson.
»Vermutlich sind Sie aber doch einem Mißverständnis unterlegen, Mylady«, fuhr Rodgers fort. »Der Mann wollte Ihnen Champagner nachschenken, und Sie haben gedacht …«
»Sie nehmen den Schurken auch noch in Schutz?« grollte die gewichtige Dame. »Das ist die Höhe! Eigentlich sollte ich Ihnen auch Manieren beibringen.«
»Wir wollen die Sache nicht auf die Spitze treiben«, lenkte ihr Gesprächspartner ein. »Sind Sie einverstanden, wenn der Kellner sich bei Ihnen entschuldigt, Mylady?«
»Nun, ich bin nicht nachtragend, junger Mann«, signalisierte Lady Agatha Zustimmung.
Herbeigeeilte Kollegen halfen dem Befrackten vom Boden auf und sorgten mit routinierten Handgriffen für Ordnung. Widerstrebend verneigte sich der Gemaßregelte vor Mylady, murmelte etwas Unverständliches und strebte anschließend mit schwankenden Schritten dem Hinterausgang zu.
Tuschelnd zogen sich die Gäste, die neugierig ihre Plätze verlassen hatten, wieder an die Tische zurück. Im Saal wurde es dunkel. Von der Leinwand leuchtete das nächste Farbdia.
*
Ohne weitere Zwischenfälle ging die Vorführung zu Ende. Beim größten Teil des Publikums schienen Rodgers’ Ausführungen und die prachtvollen Fotos den gewünschten Eindruck hinterlassen zu haben. Als der Immobilienhändler mit einer Vorbeugung vom Rednerpult abtrat, rauschte sogar Beifall auf.
Entsprechend groß war die Nachfrage nach Anteilscheinen, die gleich an Ort und Stelle gezeichnet werden konnten.
»Man lernt eben immer noch dazu«, meinte Agatha Simpson nachdenklich. »Daß in Kanada Palmen wachsen und fast pausenlos die Sonne scheint, höre ich zum erstenmal.«
»Wieso Kanada, Mylady?« fragte Kathy Porter entgeistert.
»Mylady dürfte mitnichten Kanada, sondern die Kanarischen Inseln gemeint haben, Miß Porter«, griff Parker erläuternd ein.
»Richtig, die Kanadischen Inseln«, nickte Mylady. »Sagte ich das nicht, Kindchen?«
»Die Kanarischen Inseln, die Mylady zweifellos zu meinen geruhen, gehören mitnichten zu Kanada, sondern unterstehen der spanischen Krone«, ließ der Butler verlauten. »Der aus sieben Inseln bestehende Archipel liegt vor der Westküste Afrikas, sofern der Hinweis gestattet ist.«
»Wie auch immer, Mister Parker«, überging Agatha Simpson souverän den kleinen Unterschied. »Eine Feriensiedlung auf diesen Inseln ist jedenfalls eine Geldanlage mit Zukunft.«
»Da würde ich Ihnen grundsätzlich zustimmen, Mylady«, meldete Rander sich zu Wort. »Im vorliegenden Fall wäre ich allerdings äußerst vorsichtig. Die Sicherheiten, die die Firma ›Plus‹ ihren Kunden bietet, scheinen mir nicht ausreichend.«
»Darauf wollte ich Sie gerade aufmerksam machen, mein lieber Junge«, behauptete die Detektivin. »Als alleinstehende Dame kann ich es mir nicht erlauben, finanzielle Risiken einzugehen.«
Als Vermögensverwalter, der sich in den Besitztümern der wohlhabenden Witwe auskannte, hatte Rander ganz andere Vorstellungen davon, was Mylady sich erlauben konnte und was nicht. Dennoch versagte er sich einen Kommentar und warf lediglich seiner hübschen Begleiterin einen amüsierten Blick zu.
Marty Rodgers, der sich wenig später an die wegen ihrer Sparsamkeit bekannte Millionärin wandte, verhielt sich weniger diplomatisch und kassierte prompt eine entschiedene Abfuhr.
»Wer sagt mir denn, daß es die Häuser, die ich da kaufen soll, wirklich gibt, junger Mann?« hielt sie dem Immobilienhändler entgegen.
»Aber Sie haben doch die Bilder gesehen, Mylady«, bemerkte ihr Gegenüber irritiert.
»Solche Fotos besagen überhaupt nichts, Mister Lodgers«, setzte die ältere Dame ihn ins Bild. »Wahrscheinlich sind es nur geschickt gemachte. Wie nennt man das noch, Mister Parker?«
»Mylady dürften Fotomontagen meinen, falls man nicht sehr irrt«, half der Butler aus.
»Aber Mylady«, protestierte der Graumelierte. »Derart unseriöse Methoden liegen einem Unternehmen, wie ich es vertrete, fern. Sie können die Objekte an Ort und Stelle besichtigen, wenn Sie das wünschen.«
»Ein guter Vorschlag, junger Mann«, nickte Lady Simpson. »Vorausgesetzt, Sie kommen für den Flug und alle sonstigen Unkosten auf.«
Rodgers holte tief Luft und dachte einige Sekunden angestrengt nach. Die eigenwillige Dame hier und jetzt zur Unterschrift bewegen zu können erschien ihm offenbar aussichtslos;
»Falls genügend Interessenten vorhanden sind, ließe sich darüber reden, Mylady«, teilte er schließlich zögernd mit. »Ihre Adresse liegt ja vor, so daß wir Sie zu gegebener Zeit benachrichtigen können.«
»Tun Sie das, junger Mann«, ermunterte die majestätische Dame ihn und erhob sich unter verhaltenem Ächzen. »Ich habe hier schon genug Zeit verschwendet und werde jetzt nach Hause fahren.«
»Und die Hotelsuite, die wir in Ihrem Auftrag gebucht haben, Mylady?« erkundigte sich der elegante Geschäftsmann.
»Dort können Sie sonstjemand unterbringen, Mister Lodgers«, gestattete Mylady großzügig. »Ich brauche sie nicht.«
»Wie stellen Sie sich das denn vor, Mylady?« reagierte Rodgers ungehalten. »Wir haben inzwischen späten Abend. Da finden sich doch keine neuen Gäste mehr.«
»Das ist Ihr Problem, junger Mann«, stellte die resolute Dame unbeeindruckt klar, schenkte ihrem sichtlich irritierten Gegenüber ein huldvolles Kopfnicken und wandte sich zum Gehen.
Steif, als habe er einen Ladestock verschluckt, schritt der schwarzgewandete Butler an ihrer Seite durch den Saal und wies den Weg zum Ausgang. Mike Rander und Kathy Porter folgten dichtauf.
*
Seit dem Ausflug nach Brighton waren einige Tage vergangen. Lady Agatha hatte gerade am reichhaltig gedeckten Frühstückstisch Platz genommen, als es läutete.
Mißmutig blickte die Hausherrin von dem Hummercocktail auf, den Parker als Auftakt serviert hatte.
»Erwarte ich etwa Besuch, Mister Parker?«
»Von einer Verabredung ist meiner Wenigkeit nichts bekannt«, antwortete der Butler. »Sofern Mylady keine Einwände erheben, wird man sich zur Tür begeben und nachsehen, wer Einlaß begehrt.«
»Falls es Mister McWarden ist, sagen Sie ihm, daß ich jetzt keine Zeit habe, Mister Parker«, rief die Detektivin ihm nach. »Meinetwegen soll er am Nachmittag vorsprechen.«
»Wie Mylady wünschen«, erwiderte Parker sich umdrehend und steuerte gemessen und würdevoll den verglasten Vorflur an.
Bei dem Mann handelte es sich allerdings nicht um einen der ranghöchsten Beamten von Scotland Yard.
Agatha Simpsons Befürchtung, das Frühstück mit McWarden teilen zu müssen, erwies sich als unbegründet.
»Ein gewisser Mister Raven, der sich als Mitarbeiter der Immobilienfirma ›Plus‹ ausgewiesen hat, wünscht Mylady für einige Minuten zu sprechen«, meldete Parker, nachdem er kurz mit dem Besucher an der Haustür gesprochen hatte.
»Plus?« wiederholte die ältere Dame. »Wo habe ich diesen merkwürdigen Namen schon mal gehört, Mister Parker?«
»Mylady geruhten kürzlich, eine Einladung der erwähnten Firma anzunehmen«, half der Butler ihrem etwas widerborstigen Gedächtnis nach. »Die Veranstaltung in Brighton diente dem Zweck, Anteilscheine an Immobilien auf den Kanarischen Inseln zu verkaufen, falls der Hinweis genehm ist.«
»Richtig, das fiel mir auch gerade wieder ein, Mister Parker«, versicherte die Detektivin. »Lassen Sie den Mann ruhig herein. Wahrscheinlich will er nur die Tickets für den Flug nach Kanada überbringen.«
»Eine Möglichkeit, die man keinesfalls von vornherein ausschließen sollte, Mylady«, gab Parker zur Antwort und entfernte sich wieder.
Ben Raven, der wenig später die weitläufige Wohnhalle betrat, war ein Mann von knapp vierzig Jahren. Er war schlank, blond und mittelgroß. Die blaugrauen Augen im blassen Gesicht zeigten einen Ausdruck konzentrierter Aufmerksamkeit.
Bekleidet war der Firmenvertreter mit grauem Straßenanzug und Trenchcoat. Eine Aktenmappe aus weinrotem Leder hatte er unter den Arm geklemmt.
»Nett, daß Sie persönlich hereinkommen, um die Tickets zu bringen, junger Mann«, empfing ihn die Hausherrin. »Sie hätten sie aber auch gleich Mister Parker geben können. Ich bin im Moment nämlich sehr beschäftigt.«
»Was für Tickets, Mylady?« reagierte Raven verdutzt. »Davon weiß ich nichts.«
»Für den Flug auf die Kanadischen Inseln, junger Mann«, wurde Lady Simpson konkret. »Ehe ich meine bescheidenen finanziellen Mittel mobilisiere, will ich die angebotenen Immobilien natürlich vor Ort in Augenschein nehmen.«
»Ein sehr vernünftiger Standpunkt«, pflichtete Raven ihr mit leicht säuerlichem Lächeln bei. »Soweit ich informiert bin, laufen die Vorbereitungen für einen Charterflug auch bereits.«
»Freut mich zu hören, junger Mann«, bemerkte Agatha Simpson, während Parker ihr ein Kräuteromelett mit Schinken als zweiten Gang vorlegte. »Dann kommen Sie am besten wieder, wenn es soweit ist.«
»Sie könnten aber hier schon unterschreiben, Mylady«, entgegnete der Besucher und fischte geschickt ein Formular aus seiner Aktenmappe. »Dann habe ich den Weg nicht ganz umsonst gemacht.«
»Unterschreiben?« konterte Mylady entrüstet. »Ich unterschreibe nie etwas, junger Mann.«
»Aber das verpflichtet Sie zu nichts«, behauptete Raven und schob das Formular über den Tisch. »Mit der Bezahlung können Sie warten, bis Sie die Objekte besichtigt und sich endgültig entschieden haben.«
»Kommt nicht in Frage«, beendete die Hausherrin das Gespräch. »Mister Parker wird Sie zum Ausgang geleiten, Mister Raven.«
»Moment mal. So einfach geht das nicht«, ließ ihr Gegenüber unvermittelt die lächelnde Vertretermaske fallen. »Und was ist mit den Kosten, die die Firma ›Plus‹ für Sie vorgeschossen hat?«
»Ich habe Ihre Firma nicht gebeten, irgendwelche Kosten für mich in Anrechnung zu bringen, junger Mann«, gab Lady Agatha ungehalten zurück. »Und jetzt stören Sie mich bitte nicht länger, sonst werde ich ärgerlich.«
»Die Prominenten-Suite, die wir für Sie und Ihre Begleitung gebucht haben, kostet immerhin zwölfhundert Pfund«, beharrte Raven. »Hinzu kommen zweihundertundachtzig Pfund für Speisen und Getränke.«
»Und Sie schämen sich nicht, einer alleinstehenden Dame derartige Preise zu berechnen, junger Mann?« grollte die leidenschaftliche Detektivin. »Bin ich vielleicht ein Ölscheich?«
»Viel ärmer als ein orientalischer Potentat scheinen Sie aber nicht zu sein«, reagierte der Firmenvertreter clever und ließ seine Blicke über die Ausstattung der Wohnhalle gleiten. »Jedenfalls werden Sie mich nicht los, ehe Sie einen Scheck über eintausendvierhundertundachtzig Pfund ausgestellt haben.«
Das war der Punkt, an dem Agatha Simpson endgültig die Fruchtlosigkeit einer verbalen Auseinandersetzung begriff und sich auf andere Mittel besann.
*
Ehe Ben Raven wußte, wie ihm geschah, war das noch fast vollständige Omelett unterwegs. Der schrille Laut des Mißfallens, den Raven Augenblicke später ausstieß, war wohl nur eine instinktive Schreckreaktion. Immerhin stand ihm das goldbraun gebackene Omelett, das sich wie ein Barett über seine blonde Bürstenfrisur legte, nicht übel.
Allerdings fehlte es der wärmenden und gutgefetteten Kopfbedeckung am nötigen Halt, so daß sie dem Vertreter gleich darauf ins Gesicht rutschte.
Fluchend entfernte der Besucher Öl und Omelettreste.
Parker, der mit einer derartigen Entwicklung des Gesprächsklimas kaum gerechnet hatte, wollte eingreifen, doch Ben Raven gönnte sich keine Verschnaufpause, warf der liebenswürdig lächelnden älteren Dame einen haßerfüllten Blick zu und stürmte Richtung Ausgang.
»Darf man fragen, ob Mylady die Unterredung mit Mister Raven fortzusetzen gedenken?« erkundigte sich Parker in seiner stets höflichen Art.
»Ich denke, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt. Der Lümmel wird mich nicht wieder belästigen«, erwiderte die energische Dame und wandte sich der Wildpastete mit Pfifferlingen zu, die als nächster Gang bereitstand. »Lassen Sie ihn laufen, Mister Parker.«
»Wie Mylady wünschen«, sagte der Butler, verneigte sich und lenkte seine Schritte in Richtung Diele, wo Raven bereits ungestüm an der Haustür rüttelte, ohne sie öffnen zu können.
»Darf man sich erlauben, dem Herrn behilflich zu sein?« fragte Parker, schaltete die elektronische Türsicherung ab und öffnete den Weg ins Freie.
Am halbgeöffneten Gittertor zur Straße wäre der grußlos davonhastende Vertreter um ein Haar mit einem untersetzten Mittfünfziger zusammengeprallt, der unmittelbar vorher einer schwarzen Limousine entstiegen war.
Chief-Superintendent McWarden stutzte, als der Mann im grauen Anzug an ihm vorbeispurtete. Doch im nächsten Moment gewahrte er den Butler, der bewegungslos in der offenen Haustür stand, und entschied sich, nicht einzugreifen.
»Man erlaubt sich, einen möglichst angenehmen Morgen zu wünschen, Sir«, sagte Parker und verneigte sich andeutungsweise, als der Yard-Beamte das spitzgiebelige Vordach erreichte.
»Danke, wünsche ich Ihnen auch, Mister Parker«, gab der Chief-Superintendent aufgeräumt zurück. »Wer war das denn?« Dabei deutete er mit dem Daumen in die Richtung, die Ben Raven eingeschlagen hatte.
»Es handelt sich um einen gewissen Mister Raven, der Mylady Beteiligungen an ausländischen Immobilien aufnötigen wollte, Sir«, teilte der Butler mit.
»Da war er bei Mylady wohl an der falschen Adresse«, schmunzelte McWarden. »Sie scheint ihm eine drastische Antwort gegeben zu haben.«
»Eine Einschätzung, der man mitnichten widersprechen möchte, Sir«, erwiderte Parker.
»Hätte Mylady denn ein paar Minuten Zeit für mich?« wollte der Yard-Beamte wissen, als der Butler keine Anstalten traf, ihn hineinzubitten.
»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir«, sagte Parker bedeutungsvoll, ließ den Chief-Superintendent aber herein.
»Einen wunderschönen guten Morgen, Mylady!« rief McWarden, während er auf Agatha Simpson zuschritt. Da sein Blick bei diesen Worten fest auf die Detektivin gerichtet war, übersah er allerdings die Omeletthälfte, auf die er seinen Fuß setzte. Doch Parker war rechtzeitig zur Stelle und verhütete das Schlimmste.
»Man bittet um Nachsicht, Sir«, sagte der Butler und geleitete den erbleichten Kriminalisten sicher zu einem Sessel.
»Was ist denn hier passiert?« wollte McWarden wissen und tupfte sich mit einem Taschentuch imaginäre Schweißperlen von der Stirn.
»Nicht der Rede wert, mein Lieber«, antwortete Agatha Simpson mit einer lässigen Handbewegung. »Ich habe einem zudringlichen Vertreter nur die Meinung gesagt.«
»Zum Glück sind Sie ja eine Frau, die sich wehren kann, Mylady«, bemerkte der Yard-Beamte, dessen Teint allmählich wieder die gewohnte Färbung annahm.
»Das kann man wohl sagen«, nickte die passionierte Detektivin geschmeichelt. »Schade, daß Sie so spät kommen, McWarden. Ich hätte Sie gern zum Frühstück eingeladen.«
»Verbindlichen Dank, Mylady«, gab der Besucher lächelnd zurück. »Ich habe schon gefrühstückt. Außerdem bin ich fest entschlossen, etwas mehr auf meine Linie zu achten.«
»Das ist auch höchste Zeit«, entgegnete die füllige Dame. »Ihr Bauchansatz ist nicht mehr zu übersehen.«
»Übrigens ... dieser Vertreter, der Sie eben besuchte«, wechselte der Chief-Superintendent unverzüglich das Thema. »Er wollte Ihnen obskure Immobilien andrehen, nicht wahr?«
»Woher wissen Sie?« reagierte die ältere Dame überrascht.
»Meine Wenigkeit war so frei, Mister McWarden über den Anlaß von Mister Ravens Besuch zu informieren«, teilte Parker mit.
»Ist ja auch kein Geheimnis«, fuhr die Hausherrin fort. »Jedenfalls hat der Lümmel eine Lektion erhalten, an die er noch lange denken wird.«
»Aber ermittelnd sind Sie in der Sache nicht tätig, Mylady?« McWarden war hörbar bemüht, seiner Frage einen beiläufigen Klang zu geben, was ihm aber nur unvollständig gelang.
»Wie kommen Sie denn darauf, mein Lieber?« stellte die Detektivin entgeistert ihre Gegenfrage. »Ein zudringlicher Vertreter – was ist das schon? Jedenfalls kein Fall für mich, Mister McWarden.«
»Das vielleicht nicht, aber Schwindelfirmen, die mit ausländischen Immobilien Betrügereien großen Stils begehen, kommen mehr und mehr in Mode«, wußte der professionelle Ganovenjäger zu berichten. »Da ist schon mancher Leichtgläubige übel hereingefallen.«
»Sie wollen doch nicht etwa andeuten, daß ich leichtgläubig bin, McWarden?« reagierte Agatha Simpson entrüstet. »Das käme einer Beleidigung gleich.«
»Seien Sie doch nicht gleich pikiert, Mylady«, versuchte der Chief-Superintendent die Dame des Hauses zu besänftigen, doch seine Worte wirkten eher wie Öl, das man ins Feuer gießt.
»Ist das der Dank für meine Gastfreundschaft?« erkundigte sich Mylady wütend. »Erst beleidigen Sie mich, und dann beklagen Sie sich auch noch, ich sei pikiert?«
»Aber Mylady«, entgegnete der Besucher in beschwörendem Ton. »Von Beleidigung kann keine Rede sein. Ich gehe wohl besser«, knurrte er und sprang auf. Sein Teint hatte inzwischen die Farbe einer vollreifen Tomate angenommen. Die Ader an seiner Schläfe pochte. McWardens ohnehin etwas vorstehende Basedow-Augen traten noch weiter aus den Höhlen und verliehen ihm das Aussehen einer gereizten Bulldogge.
Schnaufend wie eine alte Dampflok, steuerte der Chief-Superintendent den Ausgang an, gefolgt von Josuah Parker, der ihm in der Diele Hut und Mantel reichte.
»Man erlaubt sich, noch einen möglichst angenehmen Tag zu wünschen, Sir«, sagte der Butler, als er den leitenden Yard-Beamten devot zur Tür hinausließ.
*
»Manchmal führt der gute McWarden sich wirklich mimosenhaft auf. Ich kann es nun mal nicht ausstehen, wenn man mich aushorchen will.«
»Mylady sehen Anhaltspunkte für die Annahme, daß Mister McWardens Besuch dem erwähnten Zweck dienen sollte?«
»Haben Sie denn nicht gemerkt, wie er mich gefragt hat, ob ich gegen die Immobilienschwindler ermittle, Mister Parker?«
»Die entsprechende Frage hat meine Wenigkeit durchaus vernommen, Mylady. Allerdings erblickte man darin eher eine verständliche Neugier als eine bestimmte Absicht.«
»Ihnen fehlt es an Menschenkenntnis, Mister Parker. Für mich ist McWardens Beamtenseele immer lesbar wie ein aufgeschlagenes Buch.«
»Demnach dürften Mylady über die Beweggründe Auskunft geben können, die Mister McWarden zu der bewußten Frage veranlaßten?«
»Vermutlich kommt der Phantasielose mal wieder mit seinen Ermittlungen nicht vom Fleck und wollte auf den Busch klopfen, um zu hören, ob ich wie üblich für ihn die Kastanien aus dem Feuer hole, Mister Parker.«
»Eine Möglichkeit, die man keinesfalls von vornherein ausschließen sollte, Mylady. Immerhin gab Mister McWarden mit keinem Wort zu erkennen, daß er gegen die Immobiliengesellschaft ›Plus‹ ermittelt, falls der Hinweis gestattet ist.«
»So schlau ist er nun auch wieder. Er will sich ja nicht blamieren, Mister Parker.«
»Wie Mylady meinen.«
»Wie weit sind eigentlich meine Ermittlungen in dieser Sache? Fassen Sie die bisherigen Schritte zusammen, Mister Parker.«
»Sofern man umfassend unterrichtet ist, stehen Mylady noch am Anfang der Ermittlungen«, gab der Butler mit unbewegter Miene Auskunft. Er hatte es verlernt, sich über die Sprunghaftigkeit seiner Herrin zu wundern.
»Und wo werde ich als nächstes den Hebel ansetzen, Mister Parker?«
»Konkrete Hinweise dürften sich aus belastendem Material ergeben, das Mylady in vorausschauender Weise sicherstellten.«
»Belastendes Material? Was für Material, Mister Parker?«
»Es dürfte sich um Auszüge aus der Kundenkartei handeln, mit der die Firma ›Plus‹ arbeitet, wie Mylady unschwer erkennen«, antwortete Parker und brachte den weinroten Aktenkoffer näher, den Ben Raven in der Hast des Aufbruchs vergessen hatte.
Während McWardens Anwesenheit hatte der Butler nur einen verstohlenen Blick hineingeworfen. Jetzt klappte er den Deckel auf und blätterte die Papiere auf den Tisch.
In der Tat handelte es sich um Anschriften von gut zwei Dutzend Londoner Bürgern. Einige davon waren Parker entfernt bekannt. Er hatte die Betreffenden während der Veranstaltung in Brighton gesehen und registriert, daß sie sich ebenfalls geweigert hatten, Anteilscheine zu unterschreiben.
Immerhin zeigte sich, daß Raven nicht ganz vergeblich Klinken putzen gegangen war. Zwei der fix und fertig ausgefüllten Verträge waren unter dem heutigen Datum unterschrieben. Beide beliefen sich auf sechsstellige Pfundsummen.
Agatha Simpson ließ es bei einem kurzen Blick auf die Formulare bewenden. Papierkram war ihre Sache nicht. Sie zog turbulente Aktionen vor.
»Was für Schlüsse ziehe ich aus dem Material, Mister Parker?« erkundigte sie sich.
»Mit diesen Papieren allein dürfte es außerordentlich schwer sein, dem mehrfach erwähnten Unternehmen betrügerische Absichten nachzuweisen«, tat der Butler seine Einschätzung kund.
»Das habe ich mir gedacht«, nickte Lady Agatha. »Ich werde mir die Lümmel vorknöpfen und sie gründlich verhören.«
»Wie Mylady zu wünschen belieben.«
»Ärgerlich ist nur, daß ich deshalb zum zweitenmal nach Brighton fahren muß«, fuhr die Detektivin fort. »Die Benzinkosten hätte ich sparen können, wenn ich am ersten Abend zugepackt hätte, statt auf Sie zu hören, Mister Parker.«
Höflich, wie er nun mal war, überging Parker den Seitenhieb, obwohl er sich beim besten Willen nicht erinnern konnte, Mylady von Ermittlungen abgeraten zu haben.
»Die Fahrt nach Brighton dürfte sich erübrigen, falls man eine Vermutung äußern darf«, teilte er statt dessen mit. »Der Sitz der Firma befindet sich in London, wie Mylady aus dem Briefkopf ersehen können.«
»Da haben wir‘s, Mister Parker«, war die majestätische Dame sofort sicher. »Das Ausweichen nach Brighton war nur eine Finte, um mir die Verfolgung zu erschweren. Aber als Kriminalistin läßt man sich durch plumpe Tricks natürlich nicht hinters Licht führen.«
»Eine Feststellung, der man sich vorbehaltlos anschließen kann, Mylady«, erwiderte der Butler und deutete eine Verbeugung an. »Darf man im übrigen um Auskunft bitten, wann Mylady bei der Firma ›Plus‹ vorzusprechen gedenken?«
»Heute nachmittag, Mister Parker. So eilig ist es nun auch wieder nicht«, meinte Agatha Simpson. »Vorher werde ich ein Weilchen meditieren und meinem taktischen Konzept den letzten Schliff verleihen.«
Mit diesen Worten erhob sich die Hausherrin, nickte huldvoll und steuerte die geschwungene Freitreppe an, die von der Wohnhalle zu ihren privaten Gemächern im Obergeschoß führte.
»Und vergessen Sie nicht, mir ein Stärkungsmittel zu bringen, Mister Parker«, mahnte die ältere Dame, ehe sie den ersten Fuß auf die Treppe setzte.
»Meine Wenigkeit wird es keinesfalls versäumen«, versprach Parker. Während Mylady sich in Richtung Studio entfernte, stellte er eine Flasche Cognac edelster Provenienz nebst einem Schwenker auf ein Silbertablett. Anschließend folgte er in würdevoller Haltung seiner Herrin und brachte ihr den sogenannten Kreislaufbeschleuniger hinauf.
Kurz darauf kehrte er wieder in die Wohnhalle zurück, räumte den Frühstückstisch ab und begab sich in die Diele zum Telefon.
Die Nummer brauchte der Butler nicht nachzuschlagen. Er hatte sie im Lauf der letzten Jahre oft genug gewählt.
»Man erlaubt sich, einen ausgesprochen heiteren Tag zu wünschen, Mister Pickett«, sagte Parker in seiner stets höflichen Art, als der Angerufene sich meldete.
»Danke, Mister Parker, das wünsche ich Ihnen auch«, antwortete Horace Pickett gut gelaunt. »Gibt es wieder was zu tun für mich?«
»Meine bescheidene Wenigkeit wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sich bereit fänden, diskrete Erkundigungen über ein Unternehmen der Immobilienbranche einzuziehen, Mister Pickett«, bestätigte der Butler.
»Immobilien?« wiederholte der Mann am anderen Ende. »Geht es um Betrügereien?«
»Eine Möglichkeit, die man im genannten Fall zumindest in Betracht ziehen sollte, falls der Hinweis erlaubt ist, Mister Pickett.«
»Und wie heißt das saubere Unternehmen, Mister Parker?«
»Es firmiert unter dem Namen ›Plus‹ und hat seinen Sitz laut Briefkopf in Kensington, Philimore Walk 86.«
»Schon notiert, Mister Parker. Auf jeden Fall eine noble Gegend.«
»Allerdings lehrt die Lebenserfahrung, daß auch in noblen Gegenden nicht nur noble Menschen wohnen, Mister Pickett.«
»Das stimmt allerdings«, pflichtete sein Gesprächspartner ihm bei. »Ich werde meine Fühler ausstrecken und melde mich, sobald ich etwas Konkretes erfahren habe.«
»Ein Angebot, das man mit Dankbarkeit vermerkt, Mister Pickett.«
Der Angerufene wehrte bescheiden ab. »Sie wissen doch, daß ich immer gern für Sie und Ihre Herrin tätig bin.«
Gemessen kehrte der Butler in die Wohnhalle zurück und beseitigte die letzten Spuren, die Ben Ravens Besuch hinterlassen hatte. Bis Mylady ihre Meditation beendet hätte, würde der ehrenwerte Mister Pickett, wie er ihn meist nannte, vermutlich schon die ersten Informationen geliefert haben.
Der etwa sechzigjährige Pickett war ein hochaufgeschossener Mann, dessen gepflegtes Äußere auf einen pensionierten Offizier schließen ließ. Kaum jemand wußte, daß Pickett einst als »König der Londoner Taschendiebe« eine wichtige Rolle in der Unterwelt gespielt hatte.
Doch waren seine flinken Finger nur dort tätig geworden, wo der Verlust einer prall gefüllten Brieftasche nicht schmerzte. Deshalb gab er seinen früheren Broterwerb manchmal schmunzelnd mit »Eigentumsumverteiler« an.
Bei dieser Tätigkeit war Horace Pickett vor Jahren allerdings an ein hochkarätiges Mitglied der Mafia geraten. Sein Leben hatte damals auf Messers Schneide gestanden, aber Parker hatte zu seinen Gunsten eingegriffen und die rettende Wende herbeigeführt.
Seitdem bestritt der ehemalige Eigentumsumschichter seinen Lebensunterhalt auf legale Weise und rechnete es sich zur Ehre an, dem Duo aus Shepherd’s Market als Informant zur Hand gehen zu können. Dabei kam ihm zugute, daß er noch immer über intime Kenntnisse der Londoner Szene verfügte.
Und was die Kunst diskreter Observierung betraf – da konnte dem ehrenwerten Mister Pickett wirklich niemand etwas vormachen.
*
Josuah Parker stand in der geräumigen Wirtschaftsküche im Souterrain und hatte gerade die Spülmaschine bestückt, als die rote Warnlampe über der Tür zu blinken begann. Bislang unbekannte Besucher hatten eine der Infrarotschranken überquert, die alle Zugänge zu Lady Simpsons herrschaftlichem Anwesen abschirmten.
Gemessen und würdevoll stieg der Butler die Stufen zum Erdgeschoß hinauf und näherte sich der Haustür. Hasch öffnete er den Wandschrank in der Diele und schaltete mit geläufigen Handgriffen die hauseigene Fernsehüberwachungsanlage ein.
Sekunden später zeigte der kleine Monitor ein kristallklares Bild des Vorplatzes und ... zwei breitschultrige Männer um die Dreißig, die mit forschen Schritten das Haus ansteuerten.
Was sie dabei redeten, konnte Parker nicht verstehen. Aber die Ausbuchtungen unter ihren grauen Anzugjacken sprachen eine beredte Sprache.
»Darf man sich höflich nach den Wünschen der Herren erkundigen?« fragte Parker über die Sprechanlage, nachdem einer der Fremden auf den Klingelknopf gedrückt hatte.
»Wir... wir wollten bloß was abholen«, teilte der Rechte, ein massig gebauter Rotschopf mit sommersprossigem Mondgesicht, mit. Dabei blickte er sich argwöhnisch um, ohne ausmachen zu können, woher die Stimme kam.
»Man wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie konkret verlauten ließen, was Sie abzuholen beabsichtigen«, erwiderte der Butler.
»Einen Aktenkoffer, den ein Kollege vergessen hat«, lautete die Antwort.
»Demnach sollte man davon ausgehen, daß Sie in Diensten der Firma ›Plus‹ stehen?« vergewisserte sich Parker.
»Richtig, Mann, nun machen Sie schon auf«, drängelte der Rothaarige. »Wir haben nicht viel Zeit.«
»Ein Umstand, dem man unverzüglich Rechnung tragen wird«, entgegnete der Butler. Ein letzter Kontrollblick auf den Monitor zeigte, daß keiner der Männer die Hand in der Nähe des Jackenausschnitts hatte. Kurz entschlossen öffnete Parker die Tür ein wenig und ließ die Besucher eintreten.
»Man bittet um Nachsicht«, murmelte der Butler gleich darauf, als er wie unabsichtlich in der schmalen Öffnung mit dem Sommersprossigen zusammenprallte.
Der Mann grunzte zwar unwillig. Daß Parker ihn aber in dieser Sekunde mit der Gewandtheit eines professionellen Taschendiebes entwaffnete, merkte er nicht. Entsprechend erging es seinem Kollegen, der gleich dahinter in den Flur drängte.
»Leider muß man die Herren bitten, sich noch einige Zeit zu gedulden«, eröffnete der Butler den Männern, nachdem er sie in die Wohnhalle geleitet und ihnen Plätze angewiesen hatte. »Ohne Myladys ausdrückliche Einwilligung fühlt meine Wenigkeit sich nicht autorisiert, Ihnen den erwähnten Aktenkoffer auszuhändigen.«
»Und wo steckt Ihre Lady?« wollte der zweite, ein Schnauzbärtiger mit Pferdegebiß und schwarzen Haarsträhnen, wissen. »Sie soll sich beeilen.«
»Innerhalb der nächsten Stunde dürfte nur schwer mit Myladys Gesprächsbereitschaft zu rechnen sein«, setzte Parker die ungeduldigen Fremden gelassen ins Bild. »Unter Umständen darf man die Herren bitten, sich einstweilen auszuweisen?«
»Ausweisen?« protestierte der Schwarzhaarige, der die Funktion des Sprechers übernommen hatte, während sein Komplice sich mit unverhohlener Neugier umsah. »Was soll der Quatsch?«
»Ohne Legitimation dürfte Mylady wohl kaum geneigt sein, Ihnen Mister Ravens Eigentum auszuhändigen«, machte der Butler deutlich.
»Da ist er ja!« rief der Rotschopf in diesem Augenblick, sprang mit einer Gewandtheit, die man seinem Körper nicht zugetraut hätte, aus dem Sessel und marschierte Richtung Anrichte, wo Parker tatsächlich Ben Ravens weinroten Aktenkoffer abgestellt hatte.
Der Mann erreichte sein Ziel allerdings nicht, obwohl es schon zum Greifen nahe war.
Mit einer blitzschnellen Bewegung ging Parker in die Hocke, ergriff das Ende der kostbaren afghanischen Brücke, die vor der Anrichte lag, und zog ruckartig. Auf die Standfestigkeit des mondgesichtigen Mannes hatte dieses Manöver eindeutig ungünstige Auswirkungen.
Da der Teppich auf dem Parkettuntergrund eine beträchtliche Gleitfähigkeit entwickelte, riß es dem Rotschopf, der gerade die Hand nach dem Koffer ausgestreckt hatte, förmlich die Beine unter dem Leib weg. Sekundenlang versuchte er hüpfend und mit den Armen rudernd das Gleichgewicht zu halten.