Читать книгу Butler Parker Classic 38 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3
Оглавление»Ich möchte nur wissen, wie lange dieser Blödsinn noch andauern soll«, sagte Anwalt Mike Rander und schüttelte amüsiert den Kopf, als Butler Josuah Parker ihm die Morgenzeitung reichte. »Sehen Sie sich mal diese verrückte Schlagzeile an. Schon wieder unbekannte Flugobjekte gesichtet.«
»Nicht nur dies, Sir«, erklärte Josuah Parker gemessen. »Man will jetzt sogar schon Marsmenschen gesichtet haben. Falls Sie sich die Mühe machen wollen und die Innenseiten aufschlagen, werden Sie eingehende Berichte von Augenzeugen finden.«
»Dumme Massenhysterie«, sagte Mike Rander kopfschüttelnd. »Aber so ist das in jedem besonders heißen Sommer. Die Zeitungen heizen die Phantasie ihrer Leser an und lachen sich wahrscheinlich ins Fäustchen, wenn die Augenzeugenberichte eintreffen.«
»Ich habe mir die Zeit genommen, Sir, diese Augenzeugenberichte genau zu studieren«, meinte der Butler. Josuah Parker stand stocksteif neben dem Sessel seines jungen Herrn und legte ihm das Frühstück vor. Parker trug seine kleine Dienstkleidung. Zur pechschwarzen Hose kam die knappsitzende, gestreifte Weste. Schneeweißer Eckkragen und dunkler Binder waren bei ihm ohnehin obligatorisch.
»Seit wann lesen Sie solche Berichte?« spottete Mike Rander. »Sind Sie von dieser Hysterie auch angesteckt worden? Keine Sorge, in spätestens zwei oder drei Wochen werden die Zeitungen wieder mal vom Loch-Ness-Ungeheuer berichten. Das ist nun mal so in der Saure-Gurken-Zeit. Sie sollten das inzwischen wissen, Parker.«
»Diese Augenzeugenberichte waren äußerst interessant«, sagte der Butler, ohne sich aus dem Konzept bringen zu lassen. »Sie waren, möchte ich sagen, bestürzend aufschlußreich.«
»Aufschlußreich?« Rander setzte die angehobene Kaffeetasse ab und sah seinen Butler erstaunt an. »Worauf wollen Sie hinaus?«
»Ich möchte mir erlauben, Sir, Sie auf die Tatsache hinzuweisen, daß sämtliche Augenzeugenberichte von einer einzigen Person geschrieben worden sein könnte.«
»Na bitte!« Mike Rander lachte auf. »Einen besseren Beweis für die Massenhysterie gibt es doch gar nicht.«
»Darf ich mir erlauben, Sir, Ihnen zu widersprechen?«
»Natürlich! Was haben Sie also entdeckt?«
»Ich würde sagen, Sir, daß Hysterie die Phantasie beflügelt. Mit anderen Worten, abgesehen von einigen Grundtatsachen, müßten die einzelnen Augenzeugenberichte in Details erheblich voneinander abweichen. Was sie aber auf keinen Fall tun.«
»Soll das heißen, daß alle Augenzeugenberichte von gleichen Details sprechen?«
»In der Tat, Sir! Falls Sie die bewußten Augenzeugenberichte lesen, würden Sie sich erheblich wundern, wenn mich nicht alles täuscht.«
»Jetzt haben Sie mich neugierig gemacht, Parker. Wo sind die Berichte? Die will ich jetzt lesen!«
»Ich habe mir erlaubt, Sir, eine Sammlung dieser Augenzeugenberichte anzulegen. Wenn ich Ihnen dienen darf?«
Während Parker noch redete, legte er seinem jungen Herrn eine ledergebundene Mappe vor, in der sich ausgeschnittene Zeitungsartikel befanden.
»Ich möchte Sie noch darauf hinweisen, Sir«, sagte er dann, »daß ich alle wichtigen Zeitungen der Stadt und des Bundesstaates ausgewertet habe. Und das über einen Zeitraum von drei Wochen!«
»Was versprechen Sie sich davon, Parker?« Mike Rander sah nur kurz hoch und blätterte dann die einzelnen Ausschnitte durch. »Wie ich Sie kenne, haben Sie das doch bestimmt nicht aus Langeweile getan.«
»Gewiß nicht, Sir. Ich vermute, daß hier auf der Erde seit drei Wochen tatsächlich Marsmenschen gelandet sind, oder daß hier systematisch ein Serienverbrechen vorbereitet wird!«
»Aha, daher pfeift also der Wind!« Rander schmunzelte. »Sie wittern natürlich einen besonders deftigen Kriminalfall, oder?«
»Ich bin in der Tat äußerst mißtrauisch und besorgt«, gestand der Butler.
»Na schön, dann will ich mich mal überraschen lassen!« Rander nahm einen Schluck aus der Kaffeetasse und widmete sich den Ausschnitten. Josuah Parker verließ auf unhörbaren Sohlen den großen Salon und ging hinaus auf den weiträumigen Dachgarten, der auf dem Flachdach eines Bürohochhauses hart am Michigan-See in Chikago angelegt worden war.
Die Sonne lastete wie flüssiges Blei auf der Stadt. Über dem See stand milchig-weißer Dunst. Selbst hier oben auf dem Dachgarten war der scharfe Geruch des heißen, weichen Asphalts zu riechen.
Seit Wochen war kein Tropfen Regen vom Himmel gefallen. Der Rasen im nahen Lincoln Park war verbrannt. Die Hitze des Äquators schien sich zum Michigan-See verlagert zu haben. Die Menschen in der riesigen Stadt litten derart unter der sengenden Glut, daß sie kaum noch über das Wetter schimpften und sich apathisch durch die Tage schleppten.
Parker sah vorsichtig zum blauen Himmel hoch und beschattete seine Augen mit der flachen Hand. Weit und breit war nicht die Andeutung einer Wolke zu sehen.
Und dennoch konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, daß sich irgendwo über der Stadt ein gewaltiges Gewitter zusammenbraute...
*
Fast zu dieser Stunde rollte ein mittelgroßer Lieferwagen mit Kastenaufbau durch die Straßen von Chikago und steuerte die Filiale der North Western Chikago Bank an.
Dieser graugestrichene Lieferwagen ging im üblichen Verkehr unter. Nichts Besonders war an ihm. Am Steuer saß ein durchschnittlich aussehender Mann von etwa dreißig Jahren, der einen verwaschenen grauen Arbeitsanzug trug.
Dieser Mann stand zwar Todesängste aus, doch davon war außerhalb des Wagens nichts zu sehen. Konzentriert, fast vorsichtig, bremste er in der Nähe der Bankfiliale ab und hielt in Höhe der parkenden Personenwagen am Straßenrand.
Dann setzte der graue Kastenlieferwagen schnell und geschickt zurück. Die Zwillingsreifen der Hinterachse rollten über den niedrigen Bordstein und prallten weich gegen die erste Stufe der breiten Treppe, die hinauf zum Portal der Bankfiliale führte.
Sekunden später sackte der Fahrer in sich zusammen und fiel seitlich auf die Fahrerbank.
Die hintere Tür des Lieferwagens wurde von innen aufgedrückt.
Dann geschah etwas, was das Blut der Zuschauer mehr oder weniger leicht gefrieren ließ.
Sechs seltsam anmutende Gestalten purzelten förmlich aus dem Kastenaufbau und liefen mit der Eilfertigkeit kleiner Kinder über die restliche Treppe hinauf zum Portal, um in der Bankfiliale zu verschwinden.
Der Vergleich hinsichtlich der eilfertigen Kinder stimmte sogar in etwa.
Die Gestalten waren fast klein zu nennen. Sie erinnerten an Gnome, wie Zeugen später übereinstimmend aussagten. Und übereinstimmend wurde später ebenfalls ausgesagt, es habe sich um Bewohner eines fremden Planeten gehandelt.
Auch diese Beschreibung stimmte in etwa.
Die sechs kleinen, schmalen Männer trugen Raumfahrerhelme, silbern glänzende Raumfahreranzüge und Atemgeräte auf dem Rücken. Auf den Helmen befanden sich je zwei fast gleichlange Antennen, die an dünne, überdimensional große Hörner oder Insektenfühler erinnerten.
Diese sechs Männer trugen seltsam geformte Instrumente. Sie erinnerten an eine Kreuzung aus Maschinenpistolen und Flammenwerfer. Auch diese seltsamen Geräte waren so glänzend, als handele es sich um frisch poliertes Tafelsilber.
Die Passanten in der Nähe der Bankfiliale brauchten einige Sekunden, bis sie sich von ihrer Überraschung erholt hatten. Und als sie endlich klar sahen, waren im Schalterraum der Bankfiliale dumpfe, explosionsartige Geräusche zu hören, die an schallgedämpfte Schüsse erinnerten.
Weitere Sekunden später tauchten die sechs fast klein zu nennenden Raumfahrer wieder auf.
Sie schleppten sich mit einigen Jutesäcken ab, die prall gefüllt waren.
Die sechs Raumfahrer von irgendeinem Stern liefen eilfertig zurück zu dem wartenden Wagen und verstauten die Jutesäcke im Kastenaufbau.
Die noch völlig entgeisterten Passanten wagten nicht, dieses seltsame Schauspiel zu stören.
Aber sie registrierten voll Dankbarkeit, daß in einer nahen Nebenstraße das auf und abschwellende Geräusch einer Polizeisirene zu hören war.
Wieder einige Sekunden später, und zwei Streifenwagen der City Police fegten förmlich um die Straßenecke und näherten sich in scharfer Fahrt der Bankfiliale.
Sie kamen allerdings nicht weit.
Die sechs Raumfahrer hatten zwar den Lieferwagen noch nicht bestiegen, doch aus dem Innern dieses Wagens fielen in schneller Folge dumpfe Schüsse.
Das Blech und die Glasfüllungen der Polizeiwagen fetzten auseinander. Die heranjagenden Streifenwagen kamen dadurch verständlicherweise vom Kurs ab und schrammten gegen diverse Mauerwände.
Dann hüpften die sechs Raumfahrer in den Kastenaufbau des Lieferwagens, dessen hintere Tür sich schloß. Unmittelbar danach setzte sich der graue Lieferwagen in Bewegung und fuhr ohne jede Hast davon. Nicht ohne eine dichte, fast undurchdringliche Rauch- und Nebelwand hinter sich zu lassen...
Auf dem Pflaster vor der Bank blieb eine einsame Gestalt liegen.
Es handelte sich um den Fahrer, der so plötzlich in sich zusammengesackt war und das Bewußtsein verloren hatte. Er lebte noch, doch daran glaubte in diesem Moment kaum ein Mensch...
*
Lieutenant Madford von der Mordabteilung wischte sich den Schweiß von der Stirn und griff dankbar nach dem Drink, den Parker ihm gerade reichte. Er nahm einen tiefen Schluck, schnappte etwas nach Luft und zündete sich eine Zigarette an.
»Ich weiß«, sagte er dann zu Mike Rander. »Sie halten mich möglicherweise für übergeschnappt. Von wegen der Hitze und so. Aber ich wiederhole noch einmal, wenigstens ein Dutzend Passanten hat die Raumfahrer gesehen. Ich will es auch nicht glauben, aber die Aussagen sprechen dagegen.«
Mike Rander warf seinem Butler, der an der Hausbar stand, einen schnellen Blick zu.
»Sie sind nicht übergeschnappt«, sagte er dann zu Lieutenant Madford, einem schmalen, kleinen, drahtigen Mann, der in der Mordabteilung der City Police arbeitete. »Parker hat so etwas vorausgesagt. Höchstens vor anderthalb Stunden.«
»Ich bedaure es außerordentlich, Sir, daß meine pessimistischen Voraussagen eingetroffen sind«, erklärte Josuah Parker. »Darf ich auch Ihnen einen kleinen Erfrischungsdrink mixen?«
»Wieso hat Parker so etwas vorausgesagt?« schnappte Lieutenant Madford überrascht zu. Er wandte sich zum Butler um.
»Parker hat die Zeitungsberichte über die ›Marsmenschen‹ analysiert«, entgegnete Mike Rander. »Er ist der Ansicht, daß diese Marsmenschen tatsächlich existieren.«
»Wie bitte?« Lieutenant Madford, der gerade wieder trinken wollte, setzte das Glas ab und starrte den Butler entgeistert an. »Sie glauben, daß diese Marsmenschen wirklich existieren? Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen, wie?«
»Keineswegs, Sir«, erklärte der Butler würdevoll wie ein Angehöriger der Hocharistokratie. »Diese Marsmenschen, um bei diesem Ausdruck zu bleiben, sind doch von sehr vielen Augenzeugen gesehen worden. Schon seit drei Wochen. Und vor anderthalb Stunden während eines Banküberfalls.«
»Aber das ist doch irgendeine raffinierte Gangstermasche«, brauste Lieutenant Madford auf. »Wundert mich, daß Sie das nicht längst durchschaut haben!«
»Mich wundert, Sir, mit Verlaub gesagt, daß die Behörden nicht hellhöriger geworden sind«, redete der Butler würdevoll weiter. »Darf ich noch einmal rekapitulieren? Seit drei Wochen beobachten Augenzeugen sogenannte Marsmenschen, die meist außerhalb der Stadt im freien Gelände aufgetreten sind. Seit drei Wochen berichten die Zeitungen von diesen Marsmenschen. Wissenschaftler werden um Erklärungen gebeten und geben ihre Hypothesen bekannt. In freiem Gelände wurden Brandspuren entdeckt, die darauf schließen lassen, daß Raumfahrzeuge gelandet und gestartet sind, kurz, Sir, diese Marsmenschen entstammen nicht irgendeiner Massenhysterie, wie man vielleicht annehmen könnte, die Marsmenschen sind existent.«
»Ich habe mir die Zeitungsausschnitte genau angesehen«, schaltete sich Mike Rander ein. »Parker hat sie seit drei Wochen gesammelt. Diese Artikel und die dazugehörigen Zeugenaussagen sind ungemein aufschlußreich. Zuerst wurden die Marsmenschen nur von einigen wenigen Personen auf dem flachen Land gesehen. Dann steigern sich die Berichte der Augenzeugen, bis schließlich alle Welt davon spricht und schreibt.«
»Einen besseren Beweis für eine Hysterie gibt es doch gar nicht«, erklärte Lieutenant Madford nachdrücklich. »Was wollen Sie eigentlich beweisen, Rander?«
»Ich will Sie erst mal darauf hinweisen, daß die Augenzeugen durch die Bank immer die gleichen Angaben machen«, redete Mike Rander weiter. »Es gibt in diesen Berichten kaum phantasievolle Ausschmückungen. In allen Berichten dieser Augenzeugen wird von Gnomen oder kleinen Männern gesprochen, die nur etwas größer sind als die uns bekannten Liliputaner. In allen Fällen trugen diese sogenannten Marsmenschen Raumfahreranzüge und Raumhelme mit Antennenfühlern. In allen Fällen waren diese Marsmenschen immer nur für wenige Sekunden oder Minuten zu sehen. Dann verschwanden sie plötzlich von der Bildfläche und wurden nicht mehr gesehen. Sieht das nach Massenhysterie aus?«
»No, eigentlich nicht«, räumte Madford ein. Er schaute nachdenklich auf sein Glas.
»In keinem einzigen bekannten Fall versuchten die Marsmenschen Sprechkontakt mit den Augenzeugen aufzunehmen«, zählte Mike Rander weiter auf. »Würde es sich um eine Massenhysterie handeln, Madford, dann würden die obligaten Verrückten auftauchen und behaupten, die Marsmenschen hätten irgendwelche Botschaften an die Erde ausgerichtet. Sie kennen das doch noch aus der Zeit, als die angeblichen fliegenden Untertassen unterwegs waren.«
»Und ob ich mich an diese Zeit noch erinnere«, sagte Madford und mußte unwillkürlich schmunzeln.
»Keine Sorge, diese Verrückten werden früher oder später auftauchen und Ihnen die Hölle heiß machen«, fuhr Mike Rander lächelnd fort. »Aber bleiben wir bei den uns bekannten Tatsachen. Kleine, gnomenhafte Gestalten in Raumfahreranzügen sind seit drei Wochen unterwegs und haben vor anderthalb Stunden eine Bankfiliale ausgeraubt.«
»205 000 Dollar«, warf Madford seufzend ein. »Ganz zu schweigen von zwei Streifenbeamten, die verwundet wurden. In der Bank selbst passierte nichts. Da warfen die Marsmenschen nur Rauchgaspatronen und, nebelten alles ein!«
»Sehr irdische Methoden, wenn ich dazu etwas bemerken darf«, sagte Josuah Parker, der aufmerksam zugehört hatte.
»Natürlich, irgendeine Gangstermasche«, wiederholte Lieutenant Madford noch einmal. Er atmete sichtlich auf. »Diese kleinen Zwerge besagen nichts, rein gar nichts!«
»Natürlich. Und die Raumfahreranzüge selbstverständlich auch nicht«, erklärte Mike Rander. »Aber ob Masche oder nicht, Madford, Sie ahnen doch wohl, was auf Sie zukommt, oder?«
»Und ob ich das ahne! Diese Marsmenschen werden Schlagzeilen machen. Jede Menge...!«
»Und man wird Ihnen beweisen, daß sie wirklich von einem anderen Stern gekommen sind«, meinte der junge Anwalt. »Ich fürchte, jetzt kommt das, wovon Sie eben gesprochen haben, jetzt müssen Sie mit einer Massenhysterie rechnen.«
»Worauf diese Marsmenschen, Sir, wenn ich mir diesen Hinweis erlauben darf, von Beginn an hingearbeitet haben.« Parker sah seinen jungen Herrn eindringlich an. »Dieser Bankraub dürfte meiner bescheidenen Ansicht nach das Signal für eine Kette von Verbrechen sein.«
»Malen Sie nur nicht den Teufel an die Wand«, stöhnte Lieutenant Madford und wischte sich wieder einmal den Schweiß von der Stirn. Dann sah er sehr betont zu Parker hinüber. »Sie interessieren sich also für diese Marsmenschen, Parker?«
»Nur, wenn Mister Rander damit einverstanden ist, Sir«, antwortete der Butler steif und würdevoll.
»Natürlich bin ich einverstanden », seufzte Mike Rander auf und verdrehte anklagend die Augen. »Früher oder später würden Sie mich ja doch in diesen Fall hineinziehen. Ich kenne doch Ihre Tricks!«
»Ich wußte, daß Sie mich nicht hängenlassen würden«, sagte Lieutenant Madford und sah plötzlich erleichtert aus. »Vielleicht beginnt jetzt wirklich eine Kette von Verbrechen!«
Er griff nach seinem Glas und wollte trinken, doch das Schrillen des Telefons schreckte ihn hoch.
»Wahrscheinlich für mich«, sagte er, als Parker ans Telefon trat und sich meldete. Dann wandte Parker sich um und hielt den Hörer hoch. Madford nahm ihn entgegen und nannte seinen Namen.
Er hörte nur wenige Augenblicke zu. Dann legte er auf und drehte sich zu Mike Rander und Josuah Parker um.
»Ins Schwarze getroffen«, meinte er. »Die Serie beginnt! Marsmenschen haben soeben innerhalb von zwanzig Minuten zwei Juweliere ausgeraubt. Ein Geschäftsführer wurde erschossen. Die Beute beträgt nach grober Schätzung etwa 110 000 Dollar! Pro Geschäft, damit keine Mißverständnisse aufkommen!«
Madford blickte zu Boden und konzentrierte sich.
»Wenn man nur wüßte, wo man anfangen kann«, sagte er dann langsam. Dann wandte er sich an Parker und fügte hinzu: »Vielleicht haben Sie eine Idee, Parker?«
*
Die von Mike Rander vorausgesagte Massenhysterie griff um sich.
Genau einen Tag später beschäftigten sich sämtliche regionalen und überregionalen Zeitungen mit den Raubüberfällen der Marsmenschen. Die Frage wurde aufgeworfen, ob es sich wirklich um Wesen von einem anderen Stern handeln könnte. Tiefschürfende Stellungnahmen mehr oder weniger berühmter Wissenschaftler wurden abgedruckt. Die Rundfunk- und Fernsehstationen verbissen sich in dieses Thema und zogen öffentliche Diskussionen auf.
Parker interessierte sich nicht weiter für diese Dinge. Ob Marsmenschen oder nicht, für ihn handelte es sich um simple und brutale Verbrechen, die möglichst schnell aufgeklärt werden mußten. Er wußte allerdings nicht, wo er den Hebel anzusetzen hatte.
Einen Tag nach dem Verbrechen durch die Marsmenschen bestieg der Butler seinen Privatwagen und rollte durch die Stadt. Stocksteif saß er am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und mißachtete souverän die teils erstaunten, teils amüsierten Blicke der übrigen Verkehrsteilnehmer.
Parkers Wagen war seltsam genug.
Es handelte sich um ein ehemaliges Taxi aus London, das nach seinen privaten Wünschen umgebaut worden war. Dieser hochbeinige, schwarz lackierte Wagen sah recht altertümlich und anfällig aus. Alles an diesem Wagen war eckig. Ja, dieser Wagen schrie im Grunde nach dem nächsten Schrottplatz. Doch Parker wußte sehr wohl, warum er sich von seinem Privatwagen nicht trennte.
Unter der eckigen Motorhaube befand sich ein hochgezüchteter Rennmotor. Die Federung des hochbeinigen Monstrums hätte es an Straßenlage und Raffinesse mit der eines hochmodernen Rennwagens aufnehmen können. Es handelte sich eigentlich um einen äußerst schnellen Rennwagen, der sich eine Art tiefstapelnde Tarnung zugelegt hatte.
Mit diesem Monstrum bewegte sich Parker durch die Stadt. Sein Ziel war das Haus jenes jungen Mannes, den die Marsmenschen am Tatort vor der Bankfiliale bewußtlos zurückgelassen hatten. John Herald, wie der junge Mann hieß, war zwar schon von der Polizei verhört worden, doch Parker wollte selbst hören, was der Fahrer zu sagen hatte.
Herald wohnte in der Nähe des Midway-Airport.
Parker brauchte einige Zeit, bis er die überfüllte Innenstadt hinter sich gebracht hatte. Später, als der Flugplatz in Sicht kam, schlug er die südliche Richtung ein und näherte sich den großen Verschiebebahnhöfen. Dort in der Nähe gab es eine Unmenge kleiner, adretter Fertighäuser. Und in einem von ihnen war John Herald anzutreffen.
Parker rollte an den Fertighäusern entlang und suchte nach einer bestimmten Nummer. Als er sie gefunden hatte, hielt er den Wagen an und stieg aus. Gemessen und würdevoll schritt er durch den kleinen Vorgarten auf das einstöckige Haus zu. In der Auffahrt zur Garage stand ein Lieferwagen mittlerer Größe. Der Reklameaufschrift nach zu urteilen handelte es sich um eine Firma für Funk und Fernsehen.
Parker legte den Bambusgriff seines Universal-Regenschirms über den linken Unterarm und betätigte die Klingel. Dann räusperte er sich kurz und wartete ab.
Hinter der Haustür rührte sich nichts. Sollte Mister Herald gar nicht zu Hause sein? Was hatte dann der Lieferwagen mit dem geschlossenen Kastenaufbau zu bedeuten?
Parker suchte gerade nach einer Antwort auf seine Frage, als er plötzlich im Innern des Hauses ein kurzes, dumpfes Geräusch hörte, dem ein halberstickter Schrei folgte.
Bruchteile von Sekunden später wurde die Haustür ruckartig geöffnet. Im gleichen Moment starrte der Butler in die Mündung eines seltsamen Gerätes, das ihn an eine Kreuzung aus Maschinenpistole und Flammenwerfer erinnerte.
Der dicke, silbern glänzende Lauf dieser seltsamen Waffe lud ihn herrisch ein, schleunigst näherzutreten.
Parker gehorchte.
Er studierte aufmerksam das Aussehen der Person, die dieses seltsame Gerät in Händen trug. Es handelte sich um einen zwergenhaft kleinen Mann, der in einem Raumfahreranzug steckte. Das Gesicht dieser Gestalt, durch den Raumfahrerhelm nur undeutlich zu erkennen, erinnerte ihn an das eines Ochsenfrosches.
Parker nickte höflich und trat näher, zumal die Waffe einen drohenden und unheimlichen Eindruck machte. Dennoch tat Parker der Höflichkeit genüge und lüftete seine schwarze steife Melone.
Der Marsmensch, um solch einen handelte es sich unzweifelhaft, bugsierte den Butler in den Wohnraum hinein. Dann wurde ihm die Mündung der Waffe gegen die hinteren Rippen gepreßt.
Parker starrte betroffen auf einen jungen Mann, der regungslos am Boden lag. Wahrscheinlich handelte es sich um John Herald, den er besuchen wollte.
Herald war offensichtlich tot. Auf seinem Rücken war der Stoff seines Anzugs kreisrund verbrannt. Blut sickerte aus einer nicht zu sehenden Wunde und vertropfte im Teppich.
In dem nicht zu großen Wohnraum befanden sich vier weitere Marsmenschen.
Auch sie trugen Raumfahreranzüge und die dazugehörigen Helme. Alle Marsmenschen waren zwergenhaft klein und hatten scheußliche Ochsenfroschgesichter.
»Ich wünsche das, was man einen guten Tag nennt«, sagte Parker gemessen und würdevoll. »Ich fürchte, ich störe!«
Die vier Marsmenschen starrten ihn ausdruckslos an. Dann sprachen sie untereinander. Und zwar auf dem Umweg über ihre Antennenfühler. Parker hörte ein kurzes, stakkatoartiges Gequake, das er nicht einzuordnen wußte. Zudem wurden diese seltsamen Töne noch durch die Raumfahrerhelme zusätzlich verzerrt.
»Sie haben nicht zufällig einen Dolmetscher bei sich?« erkundigte sich Parker gemessen.
Die Marsmenschen quakten wieder miteinander und ließen ihn nicht aus den Augen. Die dicken, hervorquellenden Froschaugen waren kalt und zeigten keine menschliche Wärme.
»Vielleicht könnte man sich der Zeichensprache bedienen«, schlug der Butler höflich vor. Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, obwohl der Druck der Waffe auf seinen Rippen sich immer mehr verstärkte.
Parker gab sich keinen unnötigen Hoffnungen hin. Er wußte genau, daß er getötet werden sollte. Er wunderte sich, daß der Marsmensch hinter ihm noch nicht abgedrückt hatte.
Natürlich dachte der Butler nicht im Traum daran, sich so einfach ins Jenseits befördern zu lassen. Situationen dieser Art waren ihm schließlich nicht fremd. Dafür hatte er sich schon zu häufig mit Gangstern aller Kaliber herumgeschlagen.
Er wollte gerade seinen Universal-Regenschirm kreisen lassen, als er angesprochen wurde.
»Du mitkommen«, sagte einer der Marsmenschen quakend, aber immerhin verständlich. »Du fahren uns! Dann gehen... Nicht Angst haben! Wir friedlich. Nur Menschen brutal...!«
»Sollte Mister Herald Selbstmord begangen haben?« fragte Parker und deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf den am Boden liegenden jungen Mann.
»Er schießen wollte, er sterben mußte«, quakte es zurück. »Du mitkommen jetzt, Mensch!«
»Ihrer höflichen Einladung möchte ich auf keinen Fall widersprechen«, erwiderte Parker würdevoll. »Darf ich in aller Bescheidenheit fragen, ob Sie die bewußten Marsmenschen sind, von denen in letzter Zeit so intensiv gesprochen wird?«
»Wir nicht Mars... Alpha Tauri...!«
»Wie interessant!« erklärte Parker mit einer gewissen Begeisterung. »Darf man erfahren, wo das ist?«
»Mitkommen!« quakte es verzerrt. »Du lenken Auto! Jetzt!«
Parker spielte erneut mit dem Gedanken, seinen Universal-Regenschirm als Keule kreisen zu lassen, doch dann siegte seine Neugier. Man brauchte ihn also als Fahrer eines Wagens. Wahrscheinlich handelte es sich um den Lieferwagen, der in der Auffahrt zur Garage des Hauses stand. Eine äußerst günstige Gelegenheit, etwas Näheres über die Marsmenschen zu erfahren!
Parker setzte sich also in Bewegung und ließ sich in die Küche des Hauses dirigieren. Die Marsmenschen folgten auf äußerst leisen Sohlen. Von der Küche aus ging es durch eine schmale Seitentür, die mit Fliegendraht verspannt war. Hinter dieser Seitentür befand sich die Garage, vor der der Lieferwagen stand.
Die vier Raumfahrer verschwanden geschmeidig im Kastenaufbau und schlossen die Tür hinter sich. Der fünfte Marsmensch, der Parker bewachte, deutete knapp auf das Fahrerhaus.
Parker wußte Bescheid.
Er nickte und setzte sich ans Steuer. Sein Bewacher ließ sich auf dem Boden des Fahrerhauses nieder und quakte dem Butler einen Befehl zu, den Parker richtig interpretierte.
Wenige Sekunden später fuhr Parker an.
Äußerlich war ihm nichts anzusehen. Stocksteif und würdevoll saß er am Steuer. Doch er wußte, daß er sich auf ein tödliches Abenteuer eingelassen hatte...
Die kalten Froschaugen bewachten und überprüften jede seiner Bewegungen. Parker spürte, daß es ihm kalt den Rücken hinaufkroch. Hinzu kam dieser seltsame Geruch, den der Marsmensch intensiv verströmte. Dieser Geruch erinnerte den Butler an den süßlich-strengen Moschusgeruch von Krokodilen.
Der Marsmensch auf den Bodenbrettern des Fahrerhauses kümmerte sich nicht um die Fahrtrichtung. Die Befehle, wie er zu fahren hatte, kamen über einen kleinen Lautsprecher, der am Armaturenbrett festgeklemmt war.
Diese Befehle waren mehr als knapp. Sie bezogen sich nur auf »links« oder »rechts«. Mehr war nicht zu hören.
Parker fand natürlich schnell heraus, wohin die Fahrt ging. Das Ziel war der riesige Verschiebebahnhof, auf dem kaum ein Mensch zu sehen war. Hier wurde alles vollautomatisch erledigt und von einem zentralen Stellwerk aus dirigiert.
Bald darauf mußte er vor einem Schuppen anhalten, der früher einmal als Lagerhalle gedient haben mochte. Die Fenster waren durchweg eingeworfen und zersplittert. Schutt türmte sich. In nächster Nähe befanden sich abgewrackte Güterwagen, die auf verrosteten Gleisen standen.
Parker spürte, daß nun der kritische Moment gekommen war. Es war ihm klar, daß man ihn nicht ungeschoren lassen würde. Er hatte eine sichere Vorstellung von dem, was ihn erwartete. Er mußte an den jungen Mann im Fertighaus denken, der offensichtlich niedergeschossen worden war.
Parker hörte den schrillen Pfiff einer Elektrolok, die irgendwo in der Nähe vorbeifuhr.
Der Butler richtete sich plötzlich auf, als habe er etwas außerordentlich Wichtiges gesehen. Er deutete mit dem ausgestreckten Arm nach vorn und richtete sich auf, als ob er seinen Augen nicht trauen dürfe.
Der Marsmensch unterhalb von ihm zeigte Interesse.
Er spähte durch die Plexiglasscheibe seines Raumhelms.
Er sah auch etwas. Allerdings nur Sterne!
Parker hatte ihm nämlich dezent, aber nachdrücklich den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms in die Magenpartie geschlagen.
Der Raumfahrer gab einen kicksenden Ton von sich, der glatt von der Erde stammen konnte. Dann rutschte er in sich zusammen und ließ sein seltsames Instrument aus der Hand fallen.
Parker griff nach dieser Waffe und nahm sie sicherheitshalber an sich. Er versetzte dem Raumfahrer einen zweiten Rammstoß mit dem Bambusgriff. Parker tat das gewiß nicht aus Grausamkeit. Solche Regungen waren ihm fremd. Er tat es aus Vorsorge und reiner Menschenfreundlichkeit. Er wollte dem Raumfahrer jede Möglichkeit eines Angriffs nehmen. Denn hätte dieser Marsmensch ihn angegriffen, nun, Parker hätte dann wohl zu weniger dezenten Mitteln greifen müssen.
Der Butler klinkte die Fahrertür auf seiner Seite auf.
Und zuckte wie von einer Tarantel gebissen zurück. Ein brennender Gluthauch zischte an seinem Gesicht vorbei. Gleichzeitig war ein dumpfes, unangenehmes »Plopp« zu hören.
Der Butler ging niemals mit dem Kopf durch die Wand. Für ihn gab es immer mehrere Möglichkeiten. Er warf sich flach auf den Fahrersitz, stieg über den liegenden Marsmenschen, der wohl von fremden Welten träumte, und klinkte die andere Wagentür auf. Dann ließ er sich geschmeidig wie eine Katze nach außen rollen und besaß die Nerven, hart neben dem Wagen liegenzubleiben.
Gleichzeitig angelte der Butler mit dem Griff seines Regenschirms nach dem immer noch schlafenden Raumfahrer. Er wollte ihn ins Freie zerren und ihn als Beute mit nach Hause nehmen.
Nun, dieses Manöver geriet nicht.
Die vier Marsmenschen im Kastenaufbau des Lieferwagens wurden unmutig.
Sie hatten wohl inzwischen herausgefunden, daß der planmäßige Ablauf der Dinge erheblich gestört worden war. Auf dem Umweg über den Lautsprecher hörte Parker selbst draußen neben dem Wagen das erregte Gequake der Raumfahrer.
Lange konnte es nicht mehr dauern, bis die hintere Tür des Lieferwagens geöffnet wurde.
Parker führte keine Waffe mit sich, ein Umstand, den er ungemein bedauerte. Er hatte allerdings auch nicht damit rechnen können, daß er auf die Raumfahrer stoßen würde. Schnell und konzentriert untersuchte er das seltsame Instrument, das er dem Marsmenschen im Fahrerhaus abgenommen hatte. Die Zeit reichte nicht aus, den Mechanismus zu enträtseln. Sie reichte nicht aus, um diese Spritze feuerbereit zu machen...
Parker, also waffenlos, wenn man von seinem Universal-Regenschirm einmal absah, war und blieb vorsichtig. Leichtsinn war ihm stets verhaßt. Neigung zum Selbstmord war ihm fremd. Er setzte sich also siegreich ab.
Wobei er einige böse Überraschungen erlebte.
Die Raumfahrer im Kastenaufbau des Lieferwagens beobachteten seine Flucht. Und sie setzten alles daran, sie zu verhindern. Sie »ploppten« aus allen Rohren und waren versessen darauf, ihn niederzuschießen.
Parker ließ sich nicht beeindrucken.
Er schlug Haken und setzte sich würdevoll weiter ab. Bis er sich im Schutz des abwrackreifen Schuppens und der Waggons befand. Dann legte er eine kleine Beobachtungspause ein und hielt Ausschau nach seinen seltsamen Gegnern.
Sie hatten den Kastenwagen längst verlassen und schwärmten aus. Ihr Anblick war unheimlich, bedrückend und beklemmend. In den silbern glänzenden Raumfahreranzügen und in ihren Helmen waren sie tatsächlich Wesen von einem fremden Stern. Die Atmungsgeräte auf ihren Rücken, die durch dünne Metallschläuche mit ihren Atemmasken verbunden waren, vervollständigen nur noch diesen Eindruck.
Die Raumfahrer wußten übrigens genau, was sie wollten.
Sie schwärmten nicht nur aus, sondern sie setzten auch noch zu einer gekonnten Zangenbewegung an. Sie wollten den Butler einschließen und dann konsequent zur Strecke bringen.
Parker war mit diesem Vorgehen nicht sonderlich einverstanden. Er kannte schließlich den Spruch von den vielen Hunden, die des Hasen Tod sein können. Er sah sich also nach einer geeigneten Verteidigungswaffe um.
Und strahlte wenig später in sich hinein.
Zufällig stand er neben einigen Zementsäcken, die nachlässig mit einer Plane zugedeckt waren. Daneben lagen einige Schaufeln, Harken und sonstige Arbeitsgeräte. Der Schuppen sollte wohl wieder hergerichtet werden. Zu diesem Zweck waren die erforderlichen Grundmaterialien herbeigeschafft worden.
Parker griff nach einer dieser Schaufeln und hieb sie entschlossen in einen Zementsack. Dann prüfte er kurz die allgemeine Windrichtung und schaufelte die erste Ladung Zement hoch in die Luft.
Der Effekt war erstaunlich.
Der trockene Zementstaub wirkte wie eine Rauchbombe. Er verteilte sich in der Luft und wehte den Angreifern entgegen, die sich dem alten Schuppen bereits bedrohlich genähert hatten.
Parker setzte seine Arbeit konsequent fort.
Schaufelladung auf Schaufelladung stäubte hoch. Innerhalb weniger Sekunden bildeten sich dichte Schleier, die die Sicht nahmen. Dann, nach einer letzten Bestäubung, setzte der Butler seine Flucht fort. Er konnte jetzt einigermaßen sicher sein, daß er nicht mehr mit gezieltem Feuer belegt wurde, wenn er hinüber zu den Gleisen lief.
Seine Taktik zeitigte Erfolg.
Die Marsmenschen, sehr beeindruckt und vielleicht auch schockiert, zögerten etwas. Parker nutzte diesen kleinen Vorsprung aus, um hinter die abgestellten Waggons zu kommen. Als die Sicht wieder besser geworden war, hatte er sich schon fast in Sicherheit gebracht.
Er sah die Marsmenschen, die sich am Schuppen zusammengerottet hatten und wahrscheinlich miteinander quakten. Sie beratschlagten offensichtlich, ob sie die Verfolgung fortsetzen sollten.
Sie kamen zu einem Entschluß. Sie drehten ab und liefen zu dem Lieferwagen zurück. Wollten sie wegfahren? Etwa zurück auf belebte Straßen? Parker konnte sich das nicht vorstellen. Die Gefahr einer Entdeckung wäre dann wohl zu groß gewesen.
Des Rätsels Lösung kam schnell.
Parker hörte zuerst nur ein dumpfes, schnell näherkommendes Brausen in der Luft. Dann wurde daraus das typische Knattern von Hubschrauber-Rotoren.
Er sah hoch.
Über das Bahngelände kam ein Hubschrauber heran. Ein völlig normal aussehender Hubschrauber, der sich in nichts von anderen Hubschraubern unterschied.
Er senkte sich in der Nähe des Lieferwagens zu Boden und nahm die fünf Raumfahrer auf. Wie kleine Gnomen oder Zwerge kletterten die Marsmenschen in dieses Luftgefährt, das sich Sekunden später bereits erhob und davonsurrte.
Parker atmete auf.
Die Gefahr schien abgewendet. Jetzt konnte ihm nicht mehr viel passieren.
Oder doch?
Der Hubschrauber drehte bei, blieb einen kurzen Moment wie eine Libelle in der Luft stehen und rauschte dann mit knatternden Rotoren direkt auf die Waggons zu, hinter denen er Deckung genommen hatte.
Parker sah hoch und entdeckte deutlich den länglich geformten Gegenstand, der vom Hubschrauber aus auf die Waggons heruntergeworfen wurde . ..
Parker war im ersten Moment wie versteinert.
Er wußte sehr gut, welche Liebesgaben dieser Behälter nur enthalten konnte.
Parker sah sich gezwungen, unter einen der abgestellten Waggons zu kriechen. Und zwar blitzschnell.
Bruchteile von Sekunden später platzte der Stahlblechbehälter auseinander. Ein schwacher Explosionsknall, dann schoß eine grelle Stichflamme hoch. Flüssiges Öl spritzte hoch und verwandelte die Aufschlagstelle in einen Glutofen.
Parker verzichtete diesmal auf seine sonstige Würde und robbte schleunigst aus der Gefahrenzone. Es gelang ihm mit knapper Not, dem brennenden Öl zu entkommen.
Dunkle, beizende Rauchwolken stiegen zum Himmel empor.
Das harte Knattern der Rotoren entfernte sich. Der Hubschrauber schien wegzufliegen.
Parker konnte wegen der dunklen Rauchwolken nichts sehen. Er nutzte diesen Rauchvorhang allerdings aus, um zurück zum Schuppen zu laufen. Hier gönnte er sich einen Moment Ruhe.
Der Hubschrauber entfernte sich tatsächlich. Er flog dicht über den Gleisen und verschwand dann hinter einem Getreidesilo. Parker wechselte die Blickrichtung und sah sich die Aufschlagstelle genauer an.
Die abgestellten Waggons brannten lichterloh. Das brennende Flammenöl brodelte und kochte. Parker konnte wirklich von Glück sagen, daß er dieser Hölle hoch einmal entkommen war.
Parker, sonst kaum zu erschüttern, brauchte diesmal einige Sekunden, bis er seine Grundfassung wiedergewonnen hatte. Dann wandte er sich um und ging zurück zu dem Kastenlieferwagen, den die Marsmenschen zurückgelassen hatten.
Mißtrauisch blieb der Butler vor dem Wagen stehen.
Ihm fiel auf, daß sämtliche Türen dieses Wagens geschlossen waren. Er fragte sich, warum die Marsmenschen sich wohl die Zeit genommen hatten, sie korrekt zu schließen. Schließlich hatten sie es doch nach seiner Flucht sehr eilig gehabt.
Sollte es einen bestimmten Grund dafür geben? Sollten die Raumfahrer vom anderen Stern eine unfreundliche Überraschung hinterlassen haben? Parker verzichtete darauf, etwas zu unternehmen. Dazu war es ohnehin zu spät, denn nach dem Abwurf des Flammölbehälters kamen die ersten aufgescheuchten Eisenbahnarbeiter quer über die Gleise gerannt und hielten auf die Brandstelle zu.
Parker wurde mit Fragen überschüttet, doch seine Antworten fielen nur vage und hinhaltend aus. Im übrigen sorgte er geschickt dafür, daß die Männer dem Lieferwagen nicht zu nahe kamen.
Diese weise Voraussicht sollte sich bezahlt machen.
Plötzlich, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, platzte der Wagen auseinander. Eine Stichflamme setzte das Wrack dann anschließend in Brand. Parker und die übrigen Männer hatten Glück, daß sie von den in der Luft herumwirbelnden Trümmern nicht getroffen wurden.
Sie konnten hinter der Wand des baufälligen Schuppens in Deckung gehen.
Parker sah sich die beiden Flammenherde an.
Er wußte, daß die Marsmenschen den offenen Kampf begonnen hatten. Er wußte auch, daß sie wahrscheinlich außerordentlich böse auf ihn waren. Er hatte ihnen schließlich die erste Schlappe zugefügt...
»Hört sich an, als hätten Sie zuviel getrunken«, sagte Mike Rander eine gute Stunde später, nachdem Parker ihm in der Dachgartenwohnung Bericht erstattet hatte.
»Er hat höchstens noch untertrieben«, fiel Lieutenant Madford ein, der sich ihnen zugesellt hatte. »Ich war draußen auf dem Rangierbahnhof... Was er erzählt hat, stimmt Wort für Wort!«
»Ich weigere- mich einfach, an außerirdische Raumfahrer zu glauben«, sagte Mike Rander und lachte spöttisch.
»Ich erlaube mir, Sir, Ihrer Ansicht zu sein«, warf der Butler gemessen ein. »Wenngleich ich gestehen muß, daß das Aussehen der Raumfahrer ungemein verblüffend war.« »Gesichter wie Frösche!« Mike Rander schüttelte amüsiert den Kopf. »Die Kerle trugen natürlich Masken.«
»Sehr echt wirkende Masken, Sir, wenn ich diesen Einwand machen darf. Sie waren, um es allgemeinverständlich auszudrücken, frappierend.«
»Und Sie sagen, daß diese angeblichen Marsmenschen nicht größer als Liliputaner gewesen sind?« erkundigte sich Lieutenant Madford.
»In der Tat, Sir. Sie erinnerten an Zwerge. Aber an äußerst boshafte und ungemein aktive Zwerge!«
»Zwerge, die wie Raumfahrer aussehen und Flammöl verwenden«, fragte Mike Rander zusammen. »Diese Nuß werden Sie nicht leicht knacken, Madford.«
»Ich denke voller Grauen schon an die Panik, die jetzt um sich greifen wird«, meinte Lieutenant Madford. »Die Zeitungen werden sich auf diesen Zwischenfall stürzen. Sagen Sie, Parker, legen Sie Wert darauf, daß ich im Polizeibericht Ihren Namen unterschlage?«
»Allerdings, Sir!«
»Halt ich auch für richtig«, meinte Madford. »Vielleicht sind die Raumfahrer nachtragend.«
»Mit Sicherheit, Sir, zumal ich sie an der Ausführung ihrer Mordpläne hinderte. Ich denke jedoch, wenn Sie erlauben, an einen anderen Punkt.«
»Ich weiß, daß Sie keine Angst haben«, sagte Lieutenant Madford schnell.
»Es ist nicht die Angst, Sir«, erwiderte der Butler steif und würdevoll. »Ich denke und hoffe, daß die Raumfahrer versuchen werden, Kontakt mit mir aufzunehmen.«
»Wie denn das?« Madford sah verblüfft aus. »Glauben Sie etwa, die würden das auf telepathischem Weg hinbekommen?«
»Nein, Sir! Aber ich denke an meinen Privatwagen, den ich vor dem Haus des unglücklichen Mister John Herald zurückließ! Möglicherweise haben die Raumfahrer sich das Kennzeichen gemerkt.«
»Na und?«
»Anhand dieses Kennzeichens könnten die Marsmenschen feststellen, wie der Wagenbesitzer heißt, der ihnen draußen auf dem Rangierbahnhof entwischte.«
»Die werden sich gewiß bei der Zulassungsstelle nach Ihnen erkundigen«, spottete Lieutenant Madford.
»Die Marsmenschen gewiß nicht«, antwortete der Butler, »aber vielleicht irgendein Mittelsmann, der für sie und mit ihnen zusammenarbeitet.«
»Sie glauben, diese verrückten Gangster hätten Mittelsmänner?«
»Ich bin dessen sicher, Sir«, gab der Butler zurück. »Denken Sie an Mister John Herald! Ich möchte behaupten, daß er für die Marsmenschen arbeitete. Warum hätten die Burschen ihn sonst umgebracht? Herald war doch unwichtig, wie ich es sehe!«
»Vielleicht haben Sie recht«, gab Lieutenant Madford zurück. »Ich werde die Zulassungsstelle informieren. Wenn man sich nach Ihrer Wagennummer erkundigt, könnten wir eine erste, wichtige Spur aufnehmen. Das meinen Sie doch, oder?«
»In der Tat, Sir! In diese Richtung bewegen sich meine bescheidenen Vorstellungen!«
»Hoffen wir, daß sich etwas tut«, sagte Madford. »Ob es uns gefällt oder nicht. Wir sind in die Verteidigung gedrängt. Vorerst werden wir nervös darauf warten müssen, daß die Marsmenschen wieder zuschlagen.«
»Kann man denn gar nichts unternehmen? Wo sollen wir den Hebel ansetzen?« Madfords Stimme steigerte sich. »Machen wir uns nichts vor! Noch stehen wir vor einem Rätsel.« Er wandte sich an Josuah Parker und fügte hinzu: »Oder sind Sie anderer Meinung, Parker?«
»Im Augenblick kaum, Sir«, gab der Butler trocken zurück. »Ich fürchte, man muß sich auch weiterhin überraschen lassen!«
*
Die diversen Zeitungen schwelgten wieder einmal in Augenzeugenberichten. Sie berichteten ausführlich über die Tätigkeit der Marsmenschen auf dem Rangierbahnhof, brachten Fotos vom ermordeten John Herald und rätselten herum, hinter wem die Raumfahrer vom anderen Stern draußen auf dem Rangiergelände wohl hergewesen sein mochten.
Die Rundfunk- und Fernsehstationen der Stadt veranstalteten neue Rundgespräche, und weitere Wissenschaftler ließen sich darüber aus, ob es technisch überhaupt möglich sei, daß Marsmenschen existierten. Sämtliche Berichte und Kommentare mündeten in der einen wichtigen Frage, wo die Marsmenschen sich nach ihren Raubzügen versteckt hielten. Die verrücktesten Theorien wurden aufgestellt. Sie hatten alle den Nachteil, daß sie keine Beweiskraft hatten.
Während Chikago diese Berichte sah, hörte oder las, gab es in der Stadt die ersten Zwischenfälle.
Menschen mit zwerghaftem Wuchs, ahnungslos und unschuldig, wurden plötzlich zu gejagten Opfern. Es kam zu Schlägereien, zu wilden Verfolgungen und Beschimpfungen. Alles, was zwei Beine hatte und anormal klein war, wurde plötzlich mit den Marsmenschen identifiziert. In der Stadt und auf dem nahen Lande wuchs die allgemeine Nervosität. Die Menschen bekamen es mit der Angst zu tun.
Sie suchten den strahlend blauen Himmel nach unbekannten Flugobjekten ab. Sie erzitterten, wenn die fahrplanmäßigen Düsenriesen die Flugplätze ansteuerten, und sie verschwanden in Hausfluren, wenn geschlossene Kastenlieferwagen auf der Straße zu sehen waren.
Josuah Parker ließ sich davon selbstverständlich nicht beeindrucken. Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums, das er wieder geborgen hatte und fuhr in mäßigem Tempo durch die Straßen der Stadt.
Es war bereits Nachmittag geworden.
Er hatte ein festes Ziel vor Augen. Er hatte sich telefonisch mit dem Inhaber einer Künstleragentur verabredet. Nach einer geruhsamen Fahrt durch die erstaunlich leeren Straßen erreichte der Butler im Herzen der Stadt ein graues Mietshaus, das in einer engen Seitenstraße stand.
Parker stellte seinen Privatwagen ab und griff nach seinem Universal-Regenschirm. Er war guter Dinge, auch wenn er an die Marsmenschen dachte. Nach dem Zwischenfall auf dem Rangierbahnhof hatte er sich in seiner Bastei- und Waffenkammer umgesehen und sich sorgfältig ausgerüstet. Für ihn war es klar, daß er das gesuchte Ziel der Außerirdischen war.