Читать книгу Der exzellente Butler Parker 24 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 4
Оглавление»Und jetzt zeigen wir Ihnen die Top-Kreation unseres verehrten Meisters Pierre Lebrun«, kündigte der Conférencier, ein schlanker Mittdreißiger mit messerscharfem Menjou-Bärtchen, an und breitete dazu theatralisch die Arme aus. »Voilà, hier sehen Sie das Modell ›Minouche‹, einen Traum aus Samt und Seide, der auch Sie begeistern wird.«
Auf dem Laufsteg erschien ein hochgewachsenes, blondes Modell, das sich immer wieder drehte, um ein in aufdringlichem Rot gehaltenes und mit weit schwingendem Glockenrock im Stil der fünfziger Jahre ausgestattetes Kleid mit engem Oberteil und tiefem Rückenausschnitt zu präsentieren.
»So was habe ich als junges Mädchen schon getragen, Mister Parker«, teilte Agatha Simpson Ihrem hinter ihr stehenden Butler mit und schüttelte mißbilligend den Kopf. Sie war der Ansicht, ihren Kommentar geflüstert zu haben und wunderte sich ein wenig, als sie die indignierten Blicke der übrigen Besucherinnen trafen, die ihre Meinung zum Höhepunkt des Abends mitbekommen hatten. Myladys baritonal gefärbte Stimme trug bis in den letzten Winkel.
Plötzlich machte eine der anwesenden Ladys auf sich aufmerksam. Sie sprang keuchend auf den Laufsteg, griff wütend nach dem Modell »Minouche« und riß es in kleine Fetzen. Das Mannequin versuchte verzweifelt, sich der flinken Hände der aufgebrachten Frau zu erwehren und die allmählich entstehenden Blößen zu bedecken ...
»Ich will doch hoffen, daß Sie nicht genauer hinsehen, Mister Parker«, bemerkte Lady Agatha, die aufstand und an den Ort des Geschehens trat, damit ihr nichts entging. »Die Kleine ist zwar etwas mager, aber der Anblick könnte trotzdem zuviel für Sie sein.«
»Meine bescheidene Wenigkeit wird die Augen schamerfüllt abwenden«, versprach der Butler, der das seltsame Geschehen äußerlich ungerührt, aber dennoch sehr aufmerksam verfolgte.
Die Überschlanke trug jetzt nur noch die Andeutung von hauchdünner Unterwäsche sowie einige ihr verbliebene Fragmente des ehemaligen Modellkleides, drehte sich schreiend um und flüchtete in die Kulissen. Die angreifende Frau setzte ihr umgehend nach und stieß schrille Schreie aus, die den übrigen Besucherinnen durch Mark und Bein gingen.
Schließlich waren beide Damen hinter dem Vorhang verschwunden. Eine fast andächtige Stille senkte sich über den Raum. Der Conférencier erschien wieder auf der Bühne und wischte sich mit zitternden Händen über die schweißnasse Stirn. Er bat um eine kleine Unterbrechung, in der das Publikum sich dem Büffet widmen möge, wie er mit fast stotternder Stimme empfahl.
*
»Ich wittere einen interessanten neuen Fall, Mister Parker«, freute sich Lady Agatha. »Mein Instinkt hat mich wieder mal nicht im Stich gelassen, ich wußte, warum ich hierher wollte.«
Die Detektivin stürmte förmlich durch die erregt debattierenden Besucher und genierte sich nicht, herzhafte Rippenstöße auszuteilen.
Sie erreichte über eine schmale Treppe die Bühne und eilte zielstrebig in die dahinterliegenden Räume, aus denen lautstarkes Geschrei ertönte. Mylady pflügte durch einen engen Umkleideraum, in dem sich leicht bekleidete Mannequins drängten und Berge von Kleidern türmten, und steuerte eine als Büro gekennzeichnete Tür an, hinter der die Auseinandersetzung offensichtlich stattfand.
»Mister Parker, lassen Sie sich nicht ablenken«, rief sie, während die Mannequins auseinanderspritzten und der Lady eilig Platz machten.
»Was geht hier vor?« begehrte sie zu wissen und sah sich animiert in dem kleinen Büro um. Parker schloß diskret die Tür und nahm schweigend hinter seiner Herrin Aufstellung.
»Zum Teufel! Wer sind Sie denn?« Ein grauhaariger, hochgewachsener Mann in einem erstklassig sitzenden Smoking drehte sich überrascht um und musterte Agatha Simpson stirnrunzelnd.
»Machen Sie, daß Sie hier rauskommen, Sie haben hier nichts zu suchen!« knurrte die energische, nicht mehr ganz taufrische Dame, die vor wenigen Augenblicken auf der Bühne für Unruhe gesorgt hatte. Sie hob die Hände und spreizte die Finger, als wollte sie mit ihren blutrot gefärbten Fingernägeln auf Lady Agatha losgehen.
»Mäßigen Sie sich, meine Liebe, sonst muß ich Ihnen Manieren beibringen«, empfahl Agatha Simpson lächelnd und blickte die aufgebrachte Frau nahezu wohlwollend an.
»Sie hören wohl schlecht, Sie komische Alte! Raus, habe ich gesagt!«
Die Temperamentvolle mit den langen Fingernägeln war so unvorsichtig, einige Schritte auf die Detektivin zuzugehen und mit den Fingern nach ihr zu schlagen. Lady Agatha nahm diesen Angriff erfreut zur Kenntnis, wich etwas zurück und klopfte mit einem Fächer, den sie ihrem Handbeutel entnommen hatte, auf die vorgestreckten Fingerspitzen.
Dieser an sich recht oberflächliche Kontakt hatte Folgen. Die reizbare Frau mit dem ungezügelten Temperament stöhnte plötzlich verhalten, schwenkte ihre Finger durch die Luft und wurde unter ihrer verschwenderisch aufgetragenen Schminke blaß. Sie wich umgehend zurück, stolperte über einen Sessel, der ihr im Weg stand, und wäre gefallen, wenn sie nicht der Smokingträger im letzten Augenblick aufgefangen und wieder auf die Füße gestellt hätte.
Sie war jetzt nicht mehr streitlustig, massierte ihre Finger und musterte die Detektivin mit scheuen Blicken.
»Sie haben mich verstümmelt, ich bin für den Rest meines Lebens gezeichnet.«
»Übertreiben Sie nicht so schamlos, junge Frau«, grollte die ältere Dame und sah ihre Gegnerin kopfschüttelnd an. »So ein Klaps ist kaum der Rede wert. Haben Sie sich nicht so!«
Lady Simpson öffnete ihren Handbeutel und ließ den Fächer – eine Spezialanfertigung Parkers – wieder verschwinden. Der Butler hatte den zierlichen Fächer mit einigen von außen nicht zu sehenden Bleistreifen verstärkt und ihn zu einer durchaus ernst zu nehmenden Abwehrwaffe gemacht.
»Ich möchte endlich wissen, was hier vorgeht«, grollte Lady Agatha und näherte sich dem Smokingträger, der vorsichtshalber zurückwich und sich hinter einem Schreibtisch in Sicherheit brachte.
»Wer... wer sind Sie überhaupt, ich kenne Sie nicht!« stellte er fest und versuchte, einen energischen Eindruck zu machen.
»Sie lernen mich gleich kennen, wenn Sie mir nicht antworten«, versprach die energische Lady und schwang ihren Pompadour mit dem darin befindlichen sogenannten Glücksbringer, einem Hufeisen, das mal einem stämmigen Brauereipferd gute Dienste geleistet hatte.
Der Handbeutel entglitt versehentlich ihren Händen und landete auf dem zierlichen Schreibtisch. Holzsplitter sirrten durch die Luft und bohrten sich in Möbelstücke und Wand. Einer davon nahm sogar Kontakt zur Hemdbrust des Smokingträgers auf und setzte sich dort fest. Rings um die Einschlagstelle zeigten sich tiefe Risse, die spinnwebartig nach allen Seiten strebten und die auf Hochglanz polierte Schreibtischplatte verunzierten.
Lady Agatha zog ihren Handbeutel zurück und verursachte dabei ein weiteres Malheur. Eine Vase mit einem bunten Strauß stand dem Pompadour im Weg und wurde zur Seite gefegt. Der Blumengruß löste sich und fiel dem wie versteinert stehenden Smokingträger vor die Füße. Das in der Vase befindliche Wasser ergoß sich über seine Hose, was ihm offensichtlich nicht gefiel. Der Mann schrie auf und sprang entsetzt zurück, bis er mit dem Rücken an die Wand stieß und dabei ein Bild zum Absturz brachte.
»Wie kann man nur so ungeschickt sein«, tadelte Lady Agatha und schüttelte den Kopf.
*
»Und wer war nun diese temperamentvolle Dame?« fragte Mike Rander zwei Stunden später. Der Anwalt und Vermögensverwalter Lady Agathas war mit Kathy Porter auf einen Sprung aus der nahen Kanzlei in der Curzon Street herübergekommen und lauschte gespannt dem farbigen Bericht der Hausherrin.
»Eine Boutiquen-Besitzerin, irgendwo aus Schottland«, erklärte die Lady nachdenklich. »Mister Parker wird Ihnen das Nähere dazu sagen.«
»Es handelte sich in der Tat um eine Dame aus Glasgow, die in mehreren schottischen Städten eine Reihe von Boutiquen unterhält«, erläuterte der Butler würdevoll. »Besagte Unternehmerin kam eigens hierher nach London, um sich die neuesten Kreationen anzusehen und sich abzeichnenden Trends nachzuspüren, Sir. Sie fühlte sich dann allerdings ein wenig getäuscht und reagierte darauf außerordentlich temperamentvoll.«
»In welcher Hinsicht fühlte sie sich getäuscht, Mister Parker?« wollte Kathy Porter wissen und sah ihn neugierig an.
Die etwa dreißigjährige junge Dame war groß, schlank und sah gut aus. Sie betätigte sich als Gesellschafterin und Sekretärin der Lady und sollte, wenn es nach deren Wünschen und Vorstellungen ging, eines nicht mehr allzufernen Tages Mike Rander heiraten. Jedenfalls unternahm Mylady alles, um sich diesen Herzenswunsch zu erfüllen.
»Sie hatte eines der Modelle bereits Wochen vorher auf dem Kontinent gesehen und gekauft und ärgerte sich nun darüber, daß es ihr auf dieser Modenschau als das Neueste vom Neuen vorgestellt wurde«, antwortete Agatha Simpson an Parkers Stelle und lächelte versonnen in der Erinnerung an die Szene, die die Vorführung jenes Modells ausgelöst hatte.
»Daraufhin dürfte die Dame etwas die Contenance verloren haben und stürmte den Laufsteg, um das besagte Modell in seine Bestandteile zu zerlegen«, berichtete Parker weiter.
»Was sie anscheinend sehr gründlich tat, nicht wahr, Mylady?« vergewisserte sich Kathy Porter bei der Hausherrin.
»Worauf Sie sich verlassen können, Kindchen.« Agatha Simpson lehnte sich in ihrem Lieblingssofa zurück und schloß die Augen, um das Geschehen in der Erinnerung noch mal Revue passieren zu lassen.
»Ich mußte dann allerdings auf Mister Parker aufpassen, damit er nicht sittlich gefährdet wurde«, fuhr sie fort. »Das Mannequin wurde von der aufgebrachten Boutiquen-Dame bis auf die spärliche Unterwäsche entblößt, und ich ertappte Mister Parker dabei, wie er sich einen verstohlenen Blick leistete.«
»Das darf doch wohl nicht wahr sein, Parker!« rief Mike Rander scheinbar entsetzt aus und sah Kathy Porter grinsend an. Im nächsten Augenblick drehten sich beide schnell um, um ihr aufsteigendes Lachen unter Kontrolle zu bringen.
»Und wie ging es dann weiter?« wollte Mike Rander schließlich wissen, nachdem er den Heiterkeitsausbruch erfolgreich bekämpft hatte.
»Die Unbeherrschte raste in das Büro des Modechefs und las ihm ordentlich die Leviten«, wiederholte Lady Agatha bereitwillig diesen Teil ihres Berichts. »Dabei ging es recht turbulent zu.«
»Als Sie dazukamen, Mylady?« fragte Kathy Porter und erntete dafür einen strengen Blick der Hausherrin.
»Auch vorher schon, Kindchen«, bemerkte sie spitz. »Hinterher allerdings erst recht! Stellen Sie sich vor, diese Furie ging doch auf mich los und wollte mir das Gesicht zerkratzen!«
Lady Agatha war auch in der Erinnerung noch aufrichtig empört und sah sich mit funkelnden Augen um. Josuah Parker, der deutlich sah, wie der Kreislauf seiner Herrin zu streiken drohte, griff schnell ein und reichte ihr ein Glas mit altem französischen Cognac, der von der Detektivin freudig aufgenommen wurde.
»Aber zum Glück konnten Sie diesen Angriff noch rechtzeitig abwehren«, stellte Mike Rander belustigt fest.
»Ich habe dem üblen Subjekt mit meinem Fächer die Krallen gestutzt«, stellte Lady Agatha zufrieden fest. »Danach war die Dame eigentlich recht friedlich.«
»Konnten Sie bereits eine Erklärung für die Vorstellung eines bereits bekannten Modells als neueste Kreation eruieren?« erkundigte sich Kathy Porter interessiert.
»Nun ja, ich habe mich anschließend noch mit diesem Modemenschen, diesem Pete Lebron, unterhalten«, erklärte die Hausherrin. »Auch er zeigte sich zu Beginn unseres Gesprächs ein wenig störrisch, muß ich sagen.«
»Monsieur Pierre Lebrun, Mylady«, korrigierte Parker den Namen des Modemachers gemessen und deutete eine leichte Verbeugung an.
»Stürzen Sie sich doch nicht immer auf solche Kleinigkeiten, Mister Parker«, ärgerte sich Agatha Simpson umgehend und sah ihn kopfschüttelnd an. »Erzählen Sie den Kindern lieber, was dieser aufgeblasene Modegockel als Erklärung anbot.«
»Monsieur Lebrun sprach von sogenannten Kopisten, die sich auf kriminellem Weg Zeichnungen und Fotografien und die erforderlichen Angaben über Material und Schnitt beschaffen. Diese Modelle dürften dann in sogenannten Billiglohnländern bereits vor der offiziellen Vorstellung imitiert und vertrieben werden.«
»Lohnt sich das denn?« wunderte sich Kathy Porter und schüttelte überrascht den Kopf.
»Man kopiert nur die Modelle der führenden Designer und Anbieter, Miß Porter«, antwortete Parker gemessen. »Es handelt sich hierbei um einen Markt, der Millionengewinne abwerfen dürfte, wobei der Zeitfaktor eine sehr wichtige Rolle spielt. Um ein gängiges Sprichwort zu zitieren: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, wie es so treffend heißt«
»Aber jetzt bin ich im Spiel, und ich pflege grundsätzlich zuerst zu kommen und zu mahlen«, stellte die energische Lady fest und blickte zufrieden um sich. »Ich werde den Kopisten zeigen, daß es sich nicht lohnt, sich mit einer Lady Simpson anzulegen«, deutete sie das Kopieren neuer Modekreationen großzügig als Angriff auf sich selbst.
»Ich war noch nie auf einer Modenschau. So was würde ich mir auch mal gern ansehen«, äußerte Kathy Porter träumerisch.
»Das lohnt sich nicht, Kindchen, glauben Sie mir!« lenkte die Hausherrin ab. »Was da als neueste Modelle angepriesen wurden, habe ich schon als junges Mädchen getragen. Es ist unverschämt, was sich diese Modeexperten erlauben... Und dann die Preise, die sind wirklich der Gipfel!« Bei der Erinnerung an die Preise schüttelte es Mylady, daß Parker sich genötigt sah, noch mal mit einem Kreislaufbeschleuniger einzugreifen.
*
»Guter Gott, Mister Parker, wo haben Sie mich bloß hingeführt?« sagte Lady Agatha am Abend desselben Tages und sah sich in dem Etablissement »Le Point« um, das Parkers Recherchen zufolge der Ort war, an dem sich Englands Modezaren ein Stelldichein zu geben pflegten.
Die ältere Dame blickte blinzelnd in einen durch grelle Neonlichter hell erleuchteten Raum, Eine lange Theke, die dicht umlagert war, glänzte in schwarzen und rosa Kacheln und war durchaus geeignet, zartbesaiteten Naturen gewisse Beklemmungen zu verursachen.
Die Damen hinter der Theke präsentierten sich in schrillem Outfit und waren Bewohnern fremder Sterne ähnlicher als Angehörigen der Erdbevölkerung. Sie hatten die Haare zu sogenannten Brikettfrisuren verstümmelt, wie sie zur Zeit von einer prominenten Sängerin getragen wurde, und ihre weißgepuderten Gesichter mit schwarzer Schminke »verschönert«.
Ihre Kleidung bestand aus diversen Schichten seltsam geformter, pinkfarbener Plastikteile, die wie die Schuppen von Insekten übereinandergestaffelt waren. Der dazu passende Schmuck bestand aus riesigen Plastiktotenköpfen oder Kunststoff-Früchten, die an langen, dünnen Kettchen an ihren Ohren baumelten. Ein paar von ihnen hatten sich außerdem große Plastikringe in die Nasenflügel gehängt oder diese mit falschen Brillanten verziert.
»Es ist wirklich schön scheußlich hier«, stellte Lady Agatha lächelnd fest, während sie sich auf einem sehr futuristisch anmutenden Sofa niederließ. »Ich denke, ich werde mich hier gut amüsieren, Mister Parker.« Sie nickte dem Butler wohlwollend zu und musterte neugierig das merkwürdige Lokal mit den noch merkwürdiger anmutenden Gästen. Man gab sich samt und sonders sehr extrovertiert, laut und ungezwungen und schien unbedingt den Eindruck vermitteln zu wollen, die Crème de la crème der Menschheit darzustellen.
»Über Geschmack läßt sich angeblich nicht streiten«, fuhr die Lady lautstark fort. »Aber was ich hier sehe, ist wirklich unter aller Kanone.«
»Mylady haben Bedenken hinsichtlich gewisser Darstellungsformen, die sich hier präsentieren?« erkundigte sich der Butler höflich.
»Bedenken ist etwas untertrieben, Mister Parker«, stellte die Detektivin mit ihrer baritonal gefärbten Stimme richtig. »Dies hier ist ein Ausbund an Geschmacklosigkeit und Scheußlichkeit.«
Der junge Kellner näherte sich Lady Agathas Tisch und baute sich stirnrunzelnd vor ihr auf. Er trug einen bonbonfarbenen Smoking mit einer überdimensionalen Fliege, kurze, grellgetönte Haare und ein Medaillon aus einem Kranz bunter Steine, die das Licht der Neonlampen reflektierten.
»Paßt Ihnen etwas nicht?« wollte er wissen und musterte sie grinsend von oben bis unten. »In dem Fall sollten Sie nämlich besser gehen, wissen Sie. Auf langweilige Gäste legen wir hier keinen Wert. Überhaupt, wie sind Sie hereingekommen, wer hat Sie eingelassen?«
»Mylady war in der erfreulichen Lage, den Herrn Portier davon überzeugen zu können, den heutigen Abend hier zu verbringen«, antwortete Parker anstelle seiner Herrin und deutete eine Verbeugung an.
»Wie war das?« Der Kellner wandte sich zu Parker um, rieb sich die Stirn und dachte angestrengt über den Sinn dieser Äußerung nach.
»Mylady machte Ihrem Kollegen am Eingang klar, daß sie Ihr Lokal unbedingt besuchen muß«, übersetzte Parker seinen Satz in allgemeinverständliches Englisch. »Auch Sie sollten sich der Einsicht Ihres Kollegen anschließen und Mylady mit einem Getränk versorgen, wenn man Sie auf Ihre Pflichten aufmerksam machen darf.«
»He, Mann, du hast ja ’ne echt starke Aussprache«, stellte der Kellner anerkennend fest und grinste. »So was wie dich und deine Mutter hatten wir hier noch nicht!«
»War das eben eine Beleidigung, Mister Parker?« erkundigte sich Agatha Simpson, die erfreut aufhorchte und den jungen Mann freundlich musterte.
»Möglicherweise handelte es sich lediglich um eine anerkennende Äußerung, die allerdings in einem etwas befremdlichen Jargon geäußert wurde«, schwächte Parker gemessen ab. »Man schien feststellen zu wollen, daß es sich bei Mylady um eine beeindruckende Persönlichkeit handelt, die absolut ihresgleichen sucht.«
»Genauso hab ich das gemeint, alter Knabe, aber so wie du hätte ich das nie sagen können.« Der Kellner geriet immer mehr in Begeisterung und stand kurz davor, Parker freundschaftlich auf die Schulter zu klopfen.
»Hier kann man durchaus verdursten«, beklagte sich Lady Agatha und blickte Parker an. »Bestellen Sie etwas, Mister Parker, mein Kreislauf ist sehr angegriffen.«
»Man wird Mylady sofort helfen«, versprach Parker und verhandelte mit dem Kellner, der sich daraufhin eilig entfernte und einen Augenblick später mit einem hohen Glas zurückkehrte, in dem eine schillernde Flüssigkeit undefinierbarer Farbe schwappte.
»Was soll das denn sein?« fragte die Detektivin argwöhnisch und musterte das seltsame Getränk stirnrunzelnd. »Erwarten Sie etwa, daß ich das trinke, Mister Parker?«
»Möglicherweise trügt auch hier der äußere Schein, wie so oft im Leben«, zitierte der Butler eine alte Volksweisheit leicht abgewandelt. »Mylady haben noch nie gezögert, einer neuen Herausforderung zu begegnen und sich ihr zu stellen.«
»Das ist wohl wahr, Mister Parker«, gab die ältere Dame geschmeichelt zu und ergriff mutig das Glas mit der perlenden Flüssigkeit. »Ich denke nicht daran, mich von einem abschreckenden Äußeren einschüchtern zu lassen.«
*
»Was treibt ihr beiden denn so?« erkundigte sich der Kellner neugierig, während Lady Agatha ihren seltsam anmutenden Cocktail einem ersten Geschmackstest unterzog.
»Mylady nennt eine florierende Kette von Boutiquen ihr eigen«, teilte Parker dem jungen Mann bereitwillig mit. »Besagte Firma soll jetzt stark ausgebaut und auch auf dem Kontinent tätig werden.«
»Tatsächlich? Donnerwetter!« Der Kellner staunte und warf Lady Agatha, die gerade genüßlich schlürfend ihr Glas leerte, einen anerkennenden Blick zu. »Und was führt Sie hierher, ich meine, hat der Besuch einen bestimmten Grund? Ich sehe euch beide zum erstenmal hier«, setzte der Kellner seine Befragung fort. Er schien viel Zeit zu haben und seinen ganzen Ehrgeiz in die Ausforschung der neuen Gäste legen zu wollen.
»Normalerweise überläßt Mylady die Erledigung des Tagesgeschäfts ihren Managern«, führte Josuah Parker würdevoll aus. »Bei Gelegenheit jedoch pflegt sie sich persönlich einzuschalten, um auf dem laufenden zu sein und eine gewisse Übersicht und Kontrolle zu haben. Sie sehen in Mylady eine in Sachen Mode überaus kompetente und der Zeit und dem Trend stets vorauseilende Persönlichkeit, die durch Weitsicht und Mut einen Konzern von beachtlicher Größe aufgebaut hat.«
»Alle Achtung, das sieht man ihr gar nicht an.« Der Kellner beeilte sich, das leere Glas entgegenzunehmen und es zur Theke zu bringen, um es nachfüllen zu lassen. Parker, der ihm unauffällig, aber nichtsdestoweniger aufmerksam nachsah, bemerkte, wie er sich zu einem älteren Mann hinter dem Tresen beugte und ihm etwas ins Ohr flüsterte, wobei er immer wieder verstohlen in Richtung der Lady schielte.
»Der Cocktail fand Myladys Beifall?« erkundigte sich der Butler höflich bei seiner Herrin.
»Ich weiß nicht so recht, Mister Parker.« Lady Agatha wiegte nachdenklich den Kopf und runzelte die Stirn. »Ich bin mir noch nicht so recht schlüssig, ich konnte mir noch kein endgültiges Urteil bilden. Ich werde es auf mich nehmen und noch ein oder zwei Kostproben nehmen, ehe ich mich festlege. Man soll nie vorschnell und unüberlegt urteilen, daran sollten Sie stets denken.«
»Mylady werden auch in dieser Hinsicht stets und ständig ein leuchtendes Vorbild sein«, wußte Parker zu erwidern und verneigte sich leicht.
»Was haben Sie übrigens diesem seltsamen jungen Mann erzählt, Mister Parker? Mir war so, als hätte ich dabei meinen Namen gehört.«
»Meine bescheidene Wenigkeit war so frei, dem wißbegierigen jungen Mann einige grundsätzliche Informationen zu geben«, erläuterte Parker würdevoll. »Dies entspricht hoffentlich den Vorstellungen, die Mylady auf der Fahrt hierher anzudeuten beliebten.«
»Ich hoffe, Sie haben mich dabei richtig interpretiert, Mister Parker«, äußerte sie umgehend und sah ihn besorgt an. »Sie wissen, Ihr Gedächtnis ist nicht mehr das allerbeste. Vorsichtshalber sollten Sie mir nochmal sagen, wie meine Vorstellungen aussahen, ich werde Ihnen dann sagen, ob Sie mich richtig verstanden haben.«
Lady Agatha beugte sich erwartungsvoll vor und war gespannt auf die Vorstellungen, die sie natürlich keinesfalls geäußert hatte, weder auf der Fahrt zum Lokal noch sonst irgendwo.
Sie war jedoch felsenfest davon überzeugt, Parker entsprechende Instruktionen erteilt zu haben und wartete nun ungeduldig, sie wiederholt zu bekommen.
»Wie Mylady andeuteten, ist dies möglicherweise der Ort, um mit den sogenannten Kopisten in Kontakt zu treten«, schickte Parker voraus. »Entscheidend dabei dürfte sein, einen veritablen Köder anbieten zu können.«
»Genau, was ich sage, Mister Parker«, nickte die Detektivin und lächelte huldvoll. »Bis jetzt haben Sie mich richtig interpretiert. Und an welchen Köder habe ich dabei gedacht?«
»Man hofft, Myladys Vorstellungen noch mehr oder weniger im Gedächtnis zu haben«, fuhr Parker fort. »Mylady dachten daran, als Großabnehmerin in Sachen Textilien aufzutreten und so den bewußten Anreiz zu schaffen.«
»Nicht schlecht, Mister Parker!« lobte Agatha Simpson und lehnte sich zufrieden zurück. »Ich meine, Sie müssen zugeben, daß meine Taktik diese Leute zwangsläufig zur Kontaktaufnahme zwingen wird, nicht wahr? Man muß sich schon was einfallen lassen, um Erfolg zu haben, Mister Parker. Ist es nicht so?«
»Man ist Mylady für diesen wertvollen Hinweis ungemein dankbar«, äußerte Parker ungeniert und ohne eine Miene zu verziehen. Er wunderte sich nicht darüber, daß die ältere Dame seine Vorstellungen wieder mal ohne Zögern als ihre eigenen vereinnahmt hatte und anpries. »Darf man übrigens darauf verweisen, daß sich Mister Lebrun nähert und ganz offensichtlich die Absicht hat, mit Mylady einige Worte zu wechseln?« fuhr er fort, während er den herankommenden Modeschöpfer beobachtete.
Der Mann schien dem Alkohol kräftig zugesprochen zu haben und hatte eindeutig das, was man gemeinhin als Schlagseite bezeichnete. An seiner Seite hielt sich eine hochgewachsene, schlanke Frau, deren Gesicht mit dicker Schminke bedeckt war, so daß man ihr Alter kaum zu schätzen vermochte. Sie hatte sich dicht an den Modedesigner gedrängt und stützte ihn mehr oder weniger unauffällig ab.
»Lebron?« fragte die Lady halblaut und blickte nachdenklich zur Decke. »Mir ist, als hätte ich den Namen schon mal gehört, Mister Parker.«
Der Butler, der das Namensgedächtnis seiner Herrin nur zu gut kannte, frischte es diskret auf.
»Mister Pierre Lebrun, Mylady«, korrigierte er, um prompt unterbrochen zu werden.
»Papperlapapp, Mister Parker«, monierte sie. »Was sind schon Namen? Mich interessiert nur die große Linie, das wissen Sie doch! Woher kenne ich den Lümmel eigentlich? Ich bin gespannt, ob Sie darauf kommen«, fuhr sie fort und wartete ungeduldig auf Parkers Antwort.
»Mylady wechselten mit Mister Lebrun nach der Modevorführung gestern nachmittag einige Worte«, erklärte Parker würdevoll. »Dabei kam es zu einer kleinen Meinungsverschiedenheit, die Mylady jedoch schnell bereinigen konnten.«
»Richtig, Mister Parker. War da nicht auch noch diese Boutiquenbesitzerin dabei, die sich unbedingt mit mir anlegen wollte?« Agatha Simpson lächelte in Erinnerung an die besagte Szene und fuhr spielerisch mit einer Hand durch die Luft, als teilte sie nochmal eine ihrer gefürchteten Ohrfeigen aus.
Parker wurde einer Antwort enthoben, weil in diesem Augenblick der beschwipste Modeschöpfer Myladys Tisch erreichte und sich in einen der futuristisch geformten Sessel fallen ließ. Dabei stieß er an den etwas wackeligen Tisch und brachte Myladys Drink in die Horizontale.
Die Flüssigkeit mit der undefinierbaren Farbe ergoß sich über den Tisch und tröpfelte dann langsam über die Kante, wobei auch ein Tropfen andeutungsweise Myladys großzügig geschnittenes Sackkleid streifte.
Die Detektivin sprang auf. Sie stützte eine Hand auf den Tisch, musterte den erschrockenen Modedesigner und erteilte ihm umgehend eine Rüge in Form einer Ohrfeige, die klatschend auf seiner Wange landete.
Daraufhin erhob sich Lebrun andeutungsweise aus dem Sessel, kippte nach hinten um und ... riß einen Kellner mit zu Boden, der gerade Vorbeigehen wollte, um an einem entfernten Tisch zu servieren.
Das Tablett des Mannes flog durch die Luft und katapultierte die darauf befindlichen Gläser im freien Flug durch die Gegend, was einigen Gästen überhaupt nicht gefiel. Sie sprangen auf, als sie von Gläsern oder diversen Flüssigkeiten getroffen wurden, äußerten mehr oder weniger laut ihre Mißbilligung und sahen sich aufgebracht nach dem Urheber der Störung um.
*
»Ich kann nichts dafür, laßt mich los!« kreischte der Modedesigner und zappelte verzweifelt im Griff eines sehr massiv gebauten Mannes, von dessen spärlicher Frisur eine grüne Flüssigkeit tropfte. »Ich bin selbst angestoßen worden, das war die Lady da.«
»Das ist ja wohl doch die Höhe, Mister Parker. Haben Sie gehört, was man einer alten, wehrlosen Frau andichtet?« Lady Agatha glaubte ihren Ohren nicht zu trauen und sah den Butler empört an.
»Von wegen alte, wehrlose Frau!« schaltete sich Lebruns Begleiterin mit schriller Stimme ein. »Sie haben doch Pierre umgestoßen, Sie Monsterweib, Sie!«
»War das gerade eine Beleidigung, meine Liebe?«
Es war das Pech der jungen Frau, daß sie die Lady und deren Temperament nicht kannte. Mutig wiederholte sie ihre Äußerung und fügte lautstark weitere hinzu. Lady Agatha hörte ihr lächelnd zu und nickte beifällig. Dann holte sie aus und ... traf den massiven Mann, der Pierre Lebrun unsanft auf seinen Sessel drückte und dabei in Myladys Reichweite kam. Die junge Frau hatte die drohende Gefahr im letzten Augenblick erkannt und sich schnell zur Seite gedreht. So geriet der Mann mit dem spärlichen Haarwuchs in den Genuß, Myladys Schlagfertigkeit am eigenen Leib zu erfahren.
Ungläubig blickte er auf und starrte die Detektivin verdutzt an. »Das darf doch wohl nicht wahr sein!« Er kam langsam um den Tisch herum.
»Allerdings, Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund.« Lady Agatha erhob sich und sah dem Massigen entgegen. »Das ist doch wohl die Höhe!« fuhr sie fort und rang die Hände dabei. »Kann eine alte Frau wie ich nicht mehr in ein Lokal gehen, ohne belästigt zu werden? Sie sollten sich schämen, junger Mann, so was gehört sich einfach nicht!«
»Wie bitte?« Der Massige sah die Lady verblüfft an und schüttelte ungläubig den Kopf. Bevor er weitersprechen und seine Meinung zu dieser Anschuldigung äußern konnte, wurde er von der Detektivin nachdrücklich daran gehindert. Sie hatte nämlich ausgeholt, und einen Augenblick später kam es zu einem sehr innigen Kontakt zwischen ihrem Schuh und dem gegnerischen Schienbein.
Der Getroffene heulte auf, griff mit den Händen an die malträtierte Stelle und begann, einen Tanz zu improvisieren. Danach wollte er sich auf keine weitere Diskussion mehr einlassen und ohne Rücksicht auf Verluste seinen Standpunkt klarmachen. Er walzte mit ausgebreiteten Armen auf Lady Agatha zu und hatte offensichtlich die Absicht, sie zu umarmen.
»Gestatten Sie, Sir?« schaltete sich Parker höflich und formvollendet in die Auseinandersetzung ein und stellte sich dem Mann in den Weg.
Dabei hob er ein Tablett, das er von der Theke geholt hatte, und stieß versehentlich an den nur schütter behaarten Kopf des Wütenden. Es gongte hohl, als Tablett und Schädel zusammentrafen, dann seufzte der Massige und verdrehte abenteuerlich die Augen.
Parker legte das Tablett beiseite und fing den Stürzenden scheinbar mühelos auf. Ohne daß ihm auch nur die geringste Mühe anzusehen war, trug er den schweren Mann in eine Nische, wo er ihn auf einen Sessel legte. Dann zog er sich diskret zurück und schloß einen Vorhang, um den Ruhebedürftigen vor neugierigen Blicken zu schützen.
*
»Das ist doch wirklich nicht zu fassen, Mister Parker«, beschwerte sich Lady Agatha auf dem Weg zum Parkplatz. »Da sehen Sie wieder mal, wie leicht es einen Unschuldigen trifft.«
»Mylady wurden in der Tat das Opfer einer bedauerlichen Verwechslung«, bestätigte Parker umgehend, obwohl er es natürlich besser wußte.
Der Manager des »Le Point« hatte sich in die Auseinandersetzung eingemischt und Mylady der Urheberschaft beschuldigt, um sie anschließend zu bitten, sein Lokal zu verlassen. Damit hatte er Parker in Verlegenheit gebracht, der alle Mühe aufwandte, seine aufgebrachte Herrin zu beruhigen und aus dem »Le Point« zu lotsen.
»Aber in dieser Angelegenheit ist noch nicht das letzte Wort gesprochen«, fuhr die Lady fort und konnte es noch immer nicht fassen. »Ich werde demnächst zurückkommen und diesen Möchtegern-Manager zur Rechenschaft ziehen, Mister Parker.«
»Mylady pflegen grundsätzlich nichts und niemandem etwas schuldig zu bleiben«, erwiderte Parker gemessen und bedauerte im vorhinein den Manager, der die Ordnung in seinem Lokal herstellten wollte.
Man erreichte Parkers sogenanntes hochbeiniges Monstrum. Dabei handelte es sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das sich im fortgeschrittenen Stadium von Altersschwäche zu befinden schien und bei nicht eingeweihten Beobachtern Spott und Mitleid hervorrief.
In Wirklichkeit handelte es sich um eine sogenannte Trickkiste auf Rädern, die mit modernster Technik ausgestattet war und bei einem gewissen James Bond mit Sicherheit einen Anfall von Neid hervorgerufen hätte.
An diesem bemerkenswerten Gefährt lehnte ein schlanker, hochgewachsener Mann in einem violetten Smoking, der Mylady umgehend die Nase rümpfen ließ.
Der Violette blickte auf, als er Agatha Simpson und den Butler bemerkte, und trat seine Zigarette auf dem Asphalt aus. Er verzog sein etwas verlebt wirkendes Gesicht zu einer Grimasse, die er wohl für ein freundliches Lächeln hielt, und nickte dem Paar aus Shepherd’s Market grüßend zu.
»Ich hoffe, Sie haben eine gute Erklärung dafür, daß Sie sich an Mister Parkers Wagen zu schaffen machen«, grollte die Detektivin, die eine unerwartete Gelegenheit witterte, ihren aufgestauten Ärger abreagieren zu können. »Sie dürfen ruhig erst ein wenig lügen, junger Mann, das macht mir gar nichts aus.«
»Wie bitte?« Der Mann im Smoking sah die energische Dame stirnrunzelnd an und verstand offensichtlich nicht den Sinn ihrer Äußerung. Dann zuckte er die Achseln und gab sich einen deutlich sichtbaren Ruck.
»Ich saß im Lokal zufällig in Ihrer Nähe, Madam«, begann er und sah sich dabei scheu nach allen Seiten um. »Vielleicht könnten wir uns im Wagen weiter unterhalten? Ich möchte Ihnen ein Angebot machen, und ich verspreche Ihnen, daß es hochinteressant ist.«
»Das hoffe ich in Ihrem Interesse auch«, stellte Lady Agatha grimmig fest. »Andernfalls müßte ich Sie nämlich ein wenig zur Rechenschaft ziehen, weil Sie es wagen, einer vielbeschäftigten Frau die Zeit zu stehlen.«
»Sie wollen nicht unbedingt zusammen mit Mylady gesehen werden?« erkundigte sich Parker höflich, während er seinen Privatwagen aufschloß und einladend die Fondtür aufhielt. »Sie können sicher auch einen Grund dafür nennen?«
»Lassen Sie uns erst mal abfahren, auf dem Weg in die City erkläre ich Ihnen alles«, wehrte der Mann in Violett ab und kletterte hastig in Parkers hochbeiniges Monstrum. »Sie werden es jedenfalls nicht bereuen, mit mir zu sprechen.«
»So ähnlich äußerten Sie sich bereits, sagen Sie mir endlich, um was es sich handelt«, forderte die Detektivin und sah den etwa Fünfundvierzigjährigen ungeduldig von der Seite an.
»Ich hörte per Zufall, daß Sie eine Boutiquenkette besitzen, Madam, das ist doch richtig, oder?«
»Ach, tatsächlich?« wunderte sich Lady Agatha, die im Lokal nicht mitbekommen hatte, mit welchen Informationen Parker den wißbegierigen Kellner versorgt hatte. »Was sage ich dazu, Mister Parker?« wandte sie sich an den Butler, der die Bemerkung des Smokingträgers gehört hatte und umgehend reagierte.
»Normalerweise legt Mylady keinen Wert darauf, daß dies bekannt wird«, meldete er sich von vorn würdevoll. »Mylady schätzt es, mehr aus dem Hintergrund zu agieren und nicht aus selbstsüchtigen Motiven das Interesse der Öffentlichkeit auf sich zu lenken.«
»Das haben Sie sehr treffend formuliert, Mister Parker«, bestätigte Agatha Simpson, die nach wie vor nicht wußte, um was es ging. »In der Tat lege ich auf eine gewisse Zurückhaltung Wert.« Sie nickte gewichtig zu ihren Worten und sah dabei ungemein respektheischend aus.
»Ich besitze also eine Kette von Boutiquen«, erinnerte die Detektivin ihren Gast. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Möglicherweise möchten Sie Mylady in dieser Sache ein Angebot unterbreiten?« vermutete Parker höflich vom Vordersitz her, während er seinen Wagen Richtung Innenstadt lenkte.
»So ist es.« Der Mann im violetten Smoking nickte bestätigend und wandte sich eifrig der Lady zu. »Ich kann Ihnen die neuesten Modelle lange vor der offiziellen Vorstellung auf den einschlägigen Messen und Veranstaltungen besorgen«, erklärte er. »Dazu weit unter Preis und in bester Qualität selbstverständlich. Allerdings ist eine gewisse Mindestabnahme erforderlich, aber das ist ja schließlich überall so.«
»Was sage ich dazu, Mister Parker?« fragte Lady Agatha. »Äußern Sie meine Meinung zu diesem Angebot!« Sie lehnte sich zufrieden in ihrem Sitz zurück und wartete gespannt auf Parkers Antwort. Sie war überzeugt davon, völlig auf dem laufenden zu sein und wollte dies nur von Parker bestätigt wissen.
»Ein durchaus bemerkenswertes Angebot«, gab der Butler zu. »Darf man fragen, wie es Ihnen möglich ist, eine derartige Offerte zu unterbreiten?«
»Man hat halt so seine Beziehungen«, wich der Mann im Smoking aus. »Und natürlich den richtigen Riecher. Sie wissen selbst, wie wichtig der in der Branche ist. Auf jeden Fall können wir die Modelle sämtlicher renommierter Designer liefern, bevor die überhaupt der Fachwelt und der Öffentlichkeit vorgestellt wurden.«
»Nun sind die englischen nicht unbedingt sehr bedeutend, junger Mann«, bedauerte Lady Agatha. »In erster Linie sind ja Modelle aus Frankreich und Italien gefragt, wie Sie sicher wissen, wenn Sie wirklich aus der Branche sind«, bewies sie erstaunliches Fachwissen.
»Und Modelle aus Japan und zunehmend auch aus Deutschland«, trumpfte ihr Fahrgast auf. »Aber wie gesagt, wir liefern Ihnen, von wem immer Sie wollen, und das lange vor der eigentlichen Vorstellung.«
»Könnte man Sie möglicherweise als sogenannten Kopisten bezeichnen, Sir?« erkundigte sich Parker gemessen.
»Nennen Sie mich, wie Sie wollen, wichtig ist nur, daß ich Ihnen ein Angebot unterbreiten kann, das Sie von niemandem sonst bekommen können«, wehrte der Mann in Violett ab. »Der Mindestwert der Erstbestellung sollte hunderttausend Pfund betragen, aber das ist für Sie natürlich ein Klacks, wenn Sie ’ne ganze Kette von Läden haben«
»Haben Sie möglicherweise auch jene Dame beliefert, die auf der Modenschau gestern nachmittag ein wenig aus der Rolle fiel und den Laufsteg stürmte?« setzte Parker seine Befragung fort.
»Das konnte ja keiner ahnen, daß die so ausflippt«, beschwerte sich der Smokingträger. »Meine Firma hat sie mit einer tollen Kollektion beliefert, und sie wird damit glänzende Geschäfte machen. Wir haben ihr ausdrücklich gesagt, daß es sich dabei um Modelle handelt, die auf dieser Modenschau zum erstenmal der Öffentlichkeit gezeigt werden. Es ist mir schleierhaft, warum sie sich trotzdem so benommen hat.«
»Die Dame hatte dem Alkohol zugesprochen, das habe ich deutlich bemerkt«, stellte Lady Agatha fest. »Sie sollten sich Ihre Kunden sorgfältiger aussuchen, junger Mann.«
»Da haben Sie recht, Madam. Aber Sie machen mir nicht den Eindruck, als könnte bei Ihnen was schieflaufen.«
»Wer weiß?« Agatha Simpson lächelte versonnen. »Ich bin immer für eine Überraschung gut, nicht wahr, Mister Parker?«
»In der Tat, Mylady. Aber Mylady sind auch als nüchterne und erfolgsorientierte Geschäftsfrau bekannt, die deshalb ein solch interessantes Angebot wohlwollend überdenken wird.«
»Das ist sehr richtig, Mister Parker, nicht umsonst habe ich soviel Erfolg«, bestätigte die Detektivin ein wenig zweideutig und nickte zufrieden.
*
»Es war ein Fehler, den Mann einfach so aussteigen zu lassen«, stellte Lady Agatha später fest, als man sich wieder im altehrwürdigen Fachwerkhaus in Shepherd’s Market befand. »Ich hätte ihn besser noch ein wenig verhört, aber Sie waren viel zu voreilig, Mister Parker.« Die Detektivin sah den Butler an und nippte ausgiebig an ihrem Glas, um ihren Kreislauf wieder in Schwung zu bringen.
»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit untröstlich«, versicherte Parker ungeniert. »Man wird sich bemühen, dies künftig zu vermeiden.«
»Ich weiß nicht mal, wer der Kerl war«, fuhr die Lady fort.
»Und dieser Bursche hat Ihnen einfach so die Lieferung dieser Modellimitationen angeboten, ohne Sie zu kennen, Mylady?« wunderte sich Mike Rander. »Ich muß sagen, das halte ich für außerordentlich leichtsinnig.«
»Ich mache eben einen vertrauenswürdigen Eindruck«, stellte Agatha Simpson fest. »Außerdem werde ich den Manager des Lokals verklagen.«
»Was hat er denn angestellt?« erkundigte sich Kathy Porter lächelnd. Lady Agatha hatte bislang nur die Episode mit ihrem seltsamen Fahrgast erwähnt und ihren Aufenthalt im »Le Point« nur kurz gestreift.
»Er hat es gewagt, mir Haus verbot zu erteilen«, teilte die Lady ihrer Gesellschafterin und Sekretärin grimmig mit. »Stellen Sie sich das mal vor, Kindchen!«
»Eine ausgemachte Unverschämtheit, Mylady«, bestätigte Mike Rander und grinste dazu jungenhaft. »Ich möchte wetten, daß dazu nicht der geringste Grund bestand, oder?«
»Eine bedauerliche Verwechslung, Sir«, ließ sich Parker würdevoll vernehmen. »Man lastete Mylady versehentlich eine kleine Auseinandersetzung an und beschuldigte sie der Urheberschaft.«
»Das darf doch wohl nicht wahr sein, doch nicht Sie, Mylady, das liegt doch ganz und gar nicht auf Ihrer Linie«, rief Kathy Porter aus und wandte sich schnell ab, um aufsteigendes Lachen zu unterdrücken. Sie kannte das Temperament der älteren Dame nur zu gut und hatte sie oft genug in Aktion erlebt. Sie konnte sich die Geschehnisse im Lokal gut vorstellen, ohne Näheres darüber gehört zu haben. Auch Mike Rander drehte sich plötzlich um und sah angestrengt aus dem Fenster, als hätte er dort etwas Interessantes entdeckt. Seine Schultern zuckten verhalten und verrieten, daß auch er mit einem Heiterkeitsausbruch zu kämpfen hatte.
»Wie dem auch sei, ich werde dieses Lokal in Kürze erneut aufsuchen und die Sache richtigsteilen«, versprach die Hausherrin energisch. »Ich kann diesem Lümmel von Manager nur raten, mit gut zuzuhören.«
Sie nickte und machte einen äußerst entschlossenen Eindruck.
»Und welche Funktion hatte Mister Parker übernommen, Mylady?« wollte Mike Rander wissen, der sich inzwischen wieder in der Gewalt hatte.
»Meine Wenigkeit ließ andeutungsweise verlauten, daß Mylady die Betreiberin einer erfolgreichen Kette von Boutiquen ist«, erläuterte Parker würdevoll. »Diese Andeutung machte anscheinend schnell die Runde und führte schließlich zu dem bereits erwähnten Kontakt.«
»Der durch Ihre Großzügigkeit bereits wieder abgerissen ist, Mister Parker«, beklagte sich die Detektivin. »Ich weiß nicht mal den Namen dieses Lümmels, weil Sie mich daran gehindert haben, ihn zu verhören.«
»Es handelt sich um einen gewissen Mister Bruce Waterman, Mylady«, bemerkte Parker zur Überraschung seiner Herrin.
»Ich kann mich nicht erinnern, daß sich der Lümmel vorgestellt hat«, überlegte sie. »Woher wissen Sie das also, Mister Parker?«
»Beim Aussteigen verlor Mister Waterman bedauerlicherweise seine Brieftasche«, erläuterte der Butler gemessen. »Man wird sie ihm umgehend auf dem Postweg zurückerstatten.«
»So ganz zufällig, wie Parker?« erkundigte sich Mike Rander ebenso spöttisch wie salopp. Er konnte sich Parker gegenüber diesen Ton erlauben, da sich beide Männer seit vielen Jahren kannten und schätzten.
Mike Rander hatte bis vor wenigen Jahren britische Unternehmen in den Staaten juristisch vertreten und in dieser Zeit Parker als Butler beschäftigt. Dabei war es Parker immer wieder gelungen, den jungen Anwalt in diverse Kriminalfälle zu verwickeln und diese gemeinsam mit ihm zu lösen. Nach der Rückkehr aus den Staaten hatte Rander die Vermögensverwaltung Lady Agathas übernommen, während Parker als Butler schon in die Dienste der älteren Dame getreten war.
»Mehr oder weniger, Sir«, beantwortete Parker Mike Randers Frage. »Zufällig gelangte Mister Watermans Brieftasche in die Hände meiner Wenigkeit, so daß man über nähere Angaben zu besagtem Herrn verfügt.«
»Er hat seine Brieftasche verloren?« wunderte sich auch die Detektivin und schüttelte indigniert den Kopf. »Also wirklich, die heutigen Ganoven werden auch immer unvorsichtiger.«
»Sie haben nicht zufällig nachgeholfen, Mister Parker?« fragte Kathy Porter, die Josuah Parkers diesbezügliche Fähigkeiten kannte und schätzte. Der Butler verfügte über eine Fingerfertigkeit, die manchen Taschendieb beschämt hätte. Selbstverständlich setzte Parker sein Talent grundsätzlich nur zur Klärung seiner Fälle ein und erstattete das auf diese Weise in seinen Besitz gelangte fremde Eigentum stets umgehend zurück.
»Möglicherweise blieb meine bescheidene Wenigkeit geringfügig an Mister Waterman hängen, als man dem Mann beim Verlassen des Wagens eine hilfreiche Hand reichte«, räumte der Butler gemessen ein. »Bei dieser Gelegenheit muß sich besagte Brieftasche vermutlich selbständig gemacht haben.«
»Halten wir uns doch nicht mit unwichtigen Details auf«, ließ sich Lady Agatha vernehmen und blickte ungeduldig. »Was haben Sie denn in der Brieftasche dieses Individuums gefunden, Mister Parker?«
»Führerschein und Ausweis auf den Namen eines gewissen Mister Bruce Waterman sowie eine auf den gleichen Namen lautende Visitenkarte, die ihn als Mitarbeiter einer Textilfirma namens ›Global Couture‹ ausweist. Dazu ein abgelaufenes Flugticket nach Paris und zurück und etwas Geld.«
»Ein Gangster, der einwandfreie Identifikationsmöglichkeiten mit sich herumschleppt, nicht zu glauben«, staunte Mike Rander. »Einfach nicht zu fassen!«
»Dieser Mann hat eben nicht mit mir und meiner Findigkeit gerechnet«, mischte sich Lady Agatha ein und übernahm ungeniert Parkers Leistung. »Er konnte schließlich nicht ahnen, daß es für mich eine Kleinigkeit sein würde, an seine Brieftasche zu kommen ...«
»Sie haben Mister Parker dazu angestiftet, Mylady?« erkundigte sich Kathy Porter, die natürlich wußte, wie es sich in Wirklichkeit verhielt.
»Selbstverständlich, Kindchen, was dachten Sie denn?« erwiderte die Hausherrin. »Sie wissen doch, wie ich schlummernde Talente einsetze und immer wieder Erfolg haben.«