Читать книгу Butler Parker 181 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 4

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»Wenn Sie erlauben, Miß Porter, möchte ich meiner Verwunderung und Bestürzung andeutungsweise Ausdruck verleihen«, sagte Josuah Parker, nachdem er die Haustür geöffnet hatte. Die Gesellschafterin und Sekretärin der Lady Agatha Simpson bot einen beklagenswerten Anblick. Die modische Jacke war an der linken Schulter tief eingerissen, die Bluse wurde mehr als notdürftig von einigen Sicherheitsnadeln gehalten. Zudem schien Kathy Porter auch ihren rechten Schuh verloren zu haben.

»Was ich eben erlebt habe, ist kaum zu glauben«, erwiderte die junge Dame und wandte sich zur Durchgangsstraße zurück. »So etwas ist mir noch nie passiert, Mr. Parker.«

»Sie sollten vielleicht erst mal eine kleine Erfrischung zu sich nehmen«, schlug Josuah Parker vor. Er ließ Kathy Porter eintreten, schloß die Tür und führte sie dann in die große Wohnhalle des Fachwerkhauses. Die dreißigjährige Kathy Porter, groß, schlank und sehr attraktiv aussehend, fuhr sich durch das kastanienbraune Haar und ging unruhig auf und ab, während der Butler die Erfrischung besorgte. Er kehrte mit einem ovalen Silbertablett zurück und reichte ihr einen Brandy.

»Vielen Dank, Mr. Parker«, sagte sie, »genau so etwas brauche ich jetzt.«

»Kann und muß man davon ausgehen, Miß Porter, daß Ihnen Ungemach widerfuhr?« fragte Parker. Er war ein etwas über mittelgroßer, fast schlanker Mann undefinierbaren Alters, das Urbild eines hochherrschaftlichen Butlers.

»Ich bin regelrecht angefallen worden«, beantwortete Kathy Porter die Frage, »und das am hellen Tag. Glauben Sie, daß mir auch nur ein einziger Mensch beigestanden hätte?«

»Sie sollten die Angst der Menschen nicht unterschätzen, Miß Porter«, erwiderte Parker gemessen und höflich, »sind Sie möglicherweise jetzt und hier in der seelischen Verfassung, sich zu dem Geschehen näher zu äußern?«

»Ich bin angefallen worden«, wiederholte sie und war endlich in der Lage, wenigstens auf der Lehne eines schweren Ledersessels vor dem mächtigen Kamin Platz zu nehmen, »ich kam aus dem Papierladen und wollte zurück zu meinem Wagen. Und dann war plötzlich dieser Kerl da, groß wie ein Grizzly. Und er kam sofort zur Sache, wie man wohl sagt.«

»Was soll meine bescheidene Wenigkeit sich darunter vorstellen, Miß Porter?« fragte Josuah Parker.

»Er wollte mich als Tänzerin engagieren und bot mir einen Job als Striptease-Schönheit.«

»Er nannte seinen Namen, Miß Porter?«

»Nein, er kam sofort zur Sache und hielt es für selbstverständlich, daß ich zu ihm in den Wagen stieg.«

»Sie hatten diese Person bereits vorher wahrgenommen?« wollte der Butler wissen.

»Überhaupt nicht«, berichtete Kathy Porter weiter, »ich habe den Kerl vorher noch nie gesehen, aber ich nehme an, daß er mir gefolgt ist, als ich aus dem Schnellimbiß kam.«

»Er war allein, Miß Porter, um auch dieses Detail noch zu klären?«

»Nein, in seiner Begleitung befanden sich zwei weitere Männer, die wie scharfe Wachhunde aussahen und ihm alles von den Augen ablasen.«

»Es kam zu einem Eklat, wie zu vermuten ist.«

»Als ich mich natürlich weigerte, in seinen Wagen zu steigen, wurden die beiden anderen Männer aufdringlich und wollten mich in den Jaguar drängen. Aber das ließ ich mir natürlich nicht gefallen.«

»Was meine Wenigkeit bereits unterstellte, Miß Porter.«

»Als alles nichts mehr half, habe ich sie zu Boden geschickt, Mr. Parker. Und der Grizzly war völlig überrascht. Bevor er sich einschalten konnte, lief ich weg.«

»Man traute Ihnen mit letzter Sicherheit wohl nicht zu, daß Sie sich in den Künsten fernöstlicher Selbstverteidigung bestens auskennen, Miß Porter«, stellte Josuah Parker fest.

»Jetzt wissen es zumindest die beiden Männer«, gab sie zurück und lächelte plötzlich, »einige gezielte Handkantenschläge genügten völlig, um sie außer Gefecht zu setzen. Aber vorher gab es ein heftiges Gerangel. Sie sehen ja selbst, daß mein Kostüm leicht gelitten hat.«

»Könnten Sie die Person beschreiben, die Ihrer Ansicht nach wie ein Grizzly-Bär aussah?« fragte der Butler.

»Der Mann ist gut und gern einsfünfundachtzig groß, breitschultrig und hat engstehende Augen, eine hohe Stirn, eine überraschend kleine Nase und Hände wie Pranken. Ein unangenehmer Typ, Mr. Parker!«

»Erdreistete der erwähnte Mann sich, Ihnen bis hierher zu folgen?«

»Und ob er sich erdreistete«, meinte sie, »er blieb meinem Mini-Cooper dicht auf den Fersen und hat den Wagen mehrfach sogar leicht gerammt. Ich glaube, er steht mit seinem Jaguar noch drüben auf der Durchgangsstraße, Mr. Parker.«

»Wer steht da drüben an der Durchgangsstraße, Kindchen?« war in diesem Moment die baritonal gefärbte Stimme der Hausherrin zu vernehmen. Lady Agatha Simpson schritt majestätisch die Treppe herab und erinnerte in ihrer Fülle und Größe an eine Heroine beim großen Auftritt im Drama.

»Miß Porter wurde belästigt«, erklärte Josuah Parker, »und es dürfte sich um mehr als nur um eine Bagatelle gehandelt haben.«

»Wie interessant!« Agatha Simpson, die einen weiten Morgenmantel trug, betrat die große Wohnhalle. »Ich bestehe darauf, Kindchen, Einzelheiten zu hören. Sie wissen, daß ich mich für Sie verantwortlich fühle.«

In diesem Augenblick wußte Josuah Parker bereits, daß wieder mal mit Komplikationen zu rechnen war.

*

»Sie haben sich hoffentlich das Kennzeichen gemerkt, Kathy«, fragte Lady Simpson, als ihre Gesellschafterin ihren kurzen Bericht beendet hatte.

»Das habe ich in der Aufregung völlig vergessen, Mylady«, antwortete Kathy Porter, »und jetzt kann ich mich darüber nur ärgern.«

»Mir wäre so etwas natürlich nicht passiert, meine Liebe«, stellte die ältere Dame klar. Sie hatte das sechzigste Lebensjahr überschritten, wie man durchaus erkennen konnte, doch sie strahlte eine unbändige Energie aus.

»Es dürfte nicht sonderlich schwer sein, Mylady, die betreffende Person ausfindig zu machen«, schaltete Josuah Parker sich ein, »meine Wenigkeit hörte bereits von einem Mann, der einem Grizzly ähnlich sieht.«

»Ich werde mir dieses Subjekt umgehend kaufen«, kündigte Lady Agatha an und nickte nachdrücklich, »Mr. Parker, ich hoffe, daß ich noch heute tätig werden kann.«

Bevor Josuah Parker sich zu diesen Wunsch näher äußern konnte, meldete sich die Türglocke. Der Butler schritt zum verglasten Vorflur und öffnete einen Wandschrank, der sich daneben befand. Er schaltete die Fernsehkamera über der Tür des überdachten Vorbaus ein und hatte Sekunden später ein gestochen scharfes Bild auf dem kleinen Monitor.

»Nun, wer erlaubt sich, mich um diese Zeit zu stören?« wollte die ältere Dame wissen.

»Zwei Personen männlichen Geschlechts, Mylady, begehren Zutritt«, informierte Josuah Parker, »sonderlich vertrauenerweckend sehen die beiden Besucher allerdings nicht aus.«

Lady Agatha bewegte ihre Fülle energisch Richtung Wandschrank, gefolgt von Kathy Porter. Die Gesellschafterin der älteren Dame warf nur einen kurzen Blick auf den Monitor und nickte dann.

»Das sind die beiden Wachhunde des Grizzly«, sagte sie, »ein Irrtum ist ausgeschlossen.«

»Wie man an diversen Gesichtsschwellungen unschwer erkennen kann«, meinte der Butler und wandte sich dann zu seiner Herrin um, »Mylady wünschen die beiden Besucher zu empfangen?«

»Aber selbstverständlich«, gab sie zurück, »lassen Sie sie herein, Mr. Parker! Etwas Abwechslung vor dem Tee ist durchaus angebracht.«

Parker bewegte einen der vielen kleinen Kipphebel, die auf einer Art Schalttafel im Wandschrank angebracht waren, worauf der elektrische Türöffner die schwere Haustür aufschwingen ließ.

Die Besucher betraten stürmisch den verglasten Vorflur und erblickten Kathy Porter neben dem Butler. Lady Agatha ließ sich hingegen nicht sehen. Sie befand sich neben dem Wandschrank, konnte ihrerseits aber die Szene gut überblicken.

Die beiden Männer waren mittelgroß, schlank und wirkten durchtrainiert. Sie trugen dunkelgraue, überraschend gut geschnittene Anzüge und bewegten sich mit sportlicher Lässigkeit. Sie gingen zur Glastür, betraten die große Wohnhalle, steuerten sofort auf Kathy Porter zu und übersahen leichtsinnigerweise den Butler.

»So sieht man sich wieder, Süße«, sagte einer von ihnen, dessen linke Gesichtshälfte deutlich geschwollen war, »so geht das aber nicht, klar?«

»Erst unseren Wagen demolieren und dann abhauen«, fügte der zweite Mann ein wenig gequält-heiser hinzu, was wohl mit der Schwellung seiner rechten Halspartie zu tun hatte, »unser Boß braucht ein paar persönliche Daten von Ihnen, von wegen Versicherung und so.«

»Du kommst besser gleich mit, klar?« Der Mann griff nach Kathys Arm. »Die Sache ist gleich überstanden.«

»Ich soll Ihren Wagen gerammt haben?« Kathy Porter tat ängstlich und überrascht zugleich, »aber das stimmt doch gar nicht.«

»Mach keine Zicken, Kleine«, sagte der andere Mann, »und komm uns nicht noch mal mit faulen Tricks. Auf so was fallen wir immer nur einmal rein.«

»Könnte man in Erfahrung bringen, meine Herren, was Sie unter der Bezeichnung faule Tricks zu verstehen belieben?« ließ Josuah Parker sich in seiner höflichen Art vernehmen, »darf man übrigens um Ihre Karten bitten?«

Der Butler streckte das ovale Silbertablett aus, auf dem er den Brandy serviert hatte.

»Karten?« Der erste Besucher runzelte die Stirn und verstand nicht.

»Ihre Visitenkarten, über die Sie doch sicher verfügen«, gab Josuah Parker zurück, »es entspricht dem Stil dieses Hauses, daß Besucher Ihre Karten überreichen.«

»Ich glaub’, ich brech’ zusammen«, belustigte sich der zweite Gast, »Visitenkarten? Mann, haben Sie noch nicht kapiert?«

»Keineswegs und mitnichten«, entgegnete der Butler und ... überreichte nun seinerseits das schwere Silbertablett, und zwar auf eine Art, mit der die beiden Besucher auf keinen Fall gerechnet hatten.

*

Der Besucher, der sich gerade noch so intensiv amüsiert hatte, tat es nicht mehr. Josuah Parker hatte ihm die Rückseite des Silbertabletts in fast diskreter Geste gegen die Brust gedrückt. Eine Schußwaffe, die sich in einer Schulterhalfter befand, wurde so fast zum Rippenbrecher. Der Mann schnappte nach Luft, fand im ersten Moment keine und bekam einen dunkelroten Kopf.

»Meine Wenigkeit wollte nur möglichen Anfängen wehren«, erläuterte Josuah Parker die Situation. Der erste Besucher, der sich hatte ablenken lassen, wandte sich zu seinem Begleiter um und starrte ihn entgeistert an. Als er dann seinerseits aktiv werden wollte, erlebte er eine mehr als peinliche Überraschung.

Lady Agatha hatte die bisherige Zurückhaltung aufgegeben und erschien seitlich hinter dem Ahnungslosen, um ihn mit einer ihrer gefürchteten Ohrfeigen zu beglücken.

Sie legte ihre wirklich nicht kleine Hand auf die linke Wange des Mannes, der daraufhin im wahrsten Sinn des Wortes den Boden unter den Füßen verlor und seitlich wegrutschte. Dabei senkte er den Kopf und brachte ihn in eine Lage, der Josuah Parker nicht zu widerstehen vermochte. Der Butler setzte sein Silbertablett noch mal gezielt ein und legte es auf den Hinterkopf des Besuchers, der sich daraufhin auf dem Boden ausbreitete.«

»Sehr schön«, stellte die passionierte Detektivin fest und nickte dem Butler wohlwollend zu. »Sie lernen es noch, Mr. Parker.«

»Vielleicht handelte meine Wenigkeit doch ein wenig zu spontan und ausgelassen«, entschuldigte sich Parker.

»Unsinn, Mr. Parker«, erwiderte Lady Agatha, »Sie hätten natürlich noch etwas fester zuschlagen können, aber das werden Sie noch lernen.«

Der Mann, dessen Rippen in Gefahr geraten waren, hatte plötzlich wieder Luft in den Lungen und griff blitzschnell nach seiner Schulterhalfter. Er griff allerdings ins Leere, wie sich zeigte. Josuah Parker hatte die Schußwaffe mit der Geschicklichkeit eines professionellen Taschendiebes an sich gebracht und in den Taschen seines schwarzen Zweireihers verschwinden lassen.

»Sie sollten vielleicht eine Erklärung abgeben«, schlug Parker dem Besucher vor und deutete auf seine Herrin, »Mylady geruht zuzuhören.«

»Erklärung?« fragte der Mann zurück und blickte die ältere Dame scheu an, »hören Sie, Lady, oder was immer Sie auch sein mögen, Sie haben einen verdammt großen Fehler gemacht.«

»Sprechen Sie sich ruhig aus, junger Mann«, lautete Agatha Simpsons Antwort. Ihre Augen funkelten.

»Das hier hätten Sie nicht tun sollen, Lady«, redete der Mann weiter, »Sie haben ja keine Ahnung, was da auf Sie zukommt.«

»Genau das will ich von Ihnen hören«, raunzte Lady Agatha, »und ... beeilen Sie sich damit, bevor ich die Geduld verliere! Sie wollten meine Gesellschafterin entführen, wie ich hörte?«

»Unsinn, Lady, Mr. Preston will sie nur sprechen, mehr nicht.«

»Wollen Sie Mylady unterstellen, Unsinn zu reden?« fragte Josuah Parker gemessen und höflich.

»Nein, nein, natürlich nicht«, kam schnell die Antwort, »ich meine nur, daß Preston sie sprechen will, mehr nicht.«

»Und wer, wenn man fragen darf, ist Mr. Preston?« erkundigte sich der Butler

»Vince Preston«, wiederholte der Besucher, »er ist der Boß, verstehen Sie? Mehr weiß ich auch nicht.«

»Und besagter Mr. Preston wartet in einem Jaguar an der nahen Durchgangsstraße?«

»Stimmt«, lautete die Antwort, »er will nur die Kleine da, äh, ich meine, die Lady da sprechen.«

Er deutete auf Kathy Porter, die interessiert zuhörte.

»Sie versuchten, Miß Porter in den Jaguar zu drängen, wenn meine Wenigkeit richtig informiert ist?«

»Das sah doch nur so aus«, verteidigte sich der Mann verzweifelt, »okay, mein Partner und ich waren vielleicht etwas zu ruppig, aber wir wollten doch nichts von ihr.«

»Mylady wünscht zu erfahren, wo man Mr. Vince Preston erreichen kann«, stellte Josuah Parker fest.

»Der Boß ist meist in seinem Lieblings-Club, im ›Granada‹.«

»Sie sollten noch zusätzlich erklären, wo dieser Club beheimatet ist.«

»In Pimlico«, wurde geantwortet, »in ’ner Seitenstraße der Lupus Street.«

»Damit sind Sie entlassen, junger Mann«, schaltete die ältere Dame sich ein, »ich werde jetzt meinen Tee trinken. Und nehmen Sie dieses Subjekt mit.«

»Zumal es sich auf dem Teppich nicht gerade dekorativ ausmacht«, fügte der Butler hinzu, »man wünscht Ihnen noch einen guten Heimweg.«

*

»Allmächtiger, ich will ja nicht gerade den Teufel an die Wand malen«, sagte Chief-Superintendent McWarden, »aber mußten Sie sich unbedingt mit Vince Preston anlegen, Mylady?«

Der Chief-Superintendent, der im Yard ein Sonderdezernat leitete und sich mit organisiertem Verbrechen befaßte, war ein untersetzter, dicklicher Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren, der an eine stets leicht gereizte und aggressive Bulldogge erinnerte. Er war vor wenigen Minuten in Shepherd’s Market im Haus der Lady Simpson angekommen und zu seiner ehrlichen Verblüffung zu einer Tasse Tee eingeladen worden. Er kannte die Sparsamkeit der älteren Dame nur zu gut, eine Eigenschaft, die sogar von Freunden als nackter Geiz bezeichnet wurde.

»Reden Sie gefälligst nicht um den heißen Brei herum«, grollte Agatha Simpson, »wer ist dieses Subjekt? Wie war noch der Name, Mr. Parker?«

»Vince Preston, Mylady«, ließ Parker sich diskret vernehmen.

»Sagte ich doch«, erwiderte sie umgehend, »also, McWarden, warum sind Sie so entsetzt? Sie wollen wieder mal übertreiben, wie ich vermute.«

»Vince Preston ist ein gerissener und brutaler Gangster«, sagte der Chief-Superintendent eindringlich, »und es hat mich ehrlich gewundert, daß er Ihnen bisher noch nicht ins Gehege gekommen ist, Mylady.«

»Wahrscheinlich ist der Lümmel mir aus Angst systematisch aus dem Weg gegangen«, erwiderte sie wegwerfend.

»Angst ist Preston fremd«, warnte McWarden, »er hat sich sogar mit der örtlichen Mafia angelegt und sich dann mit ihr arrangiert. Preston hat sich ein kleines Imperium aufgebaut und kontrolliert eine Vielzahl von Clubs und Nachtlokalen. Darüber hinaus inszeniert er Schönheits-Konkurrenzen und dreht mit Sicherheit Pornostreifen für seinen privaten Video-Verleih.«

»Das höre ich aber sehr gern«, meinte die Detektivin und nickte beifällig, »es lohnt sich also, diesem Subjekt das Handwerk zu legen?«

»Sie können von mir jede Hilfe haben, Mylady«, erwiderte der Chief-Superintendent.

»Ich soll also wieder mal die Kastanien für Sie aus dem Feuer holen?«

»Aber nein, Mylady.« McWarden bekam einen leicht roten Kopf. »Noch mal, nehmen Sie diesen Preston nicht auf die leichte Schulter! Der Mann schreckt vor keiner Gemeinheit zurück ...«

»Darf man höflichst fragen, warum die Polizei ihm bisher nicht das Handwerk zu legen vermochte?« schaltete der Butler sich ein.

»Er hat sich bisher keine Blöße gegeben«, gab der Chief-Superintendent zurück, »Zeugen, die gegen ihn aussagen, gibt es nicht. Er setzte sie vorher unter Druck.«

»Stammt er hier von der Insel?« erkundigte sich die ältere Dame.

»Richtig, aber er war jahrelang drüben in den Staaten«, berichtete McWarden bereitwillig, »dort dürfte er auch gewisse Praktiken gelernt haben. Sie wissen, Mylady, wie man ihn in seinen Kreisen nennt?«

»Natürlich, mein lieber McWarden.« Sie nickte wissend und lächelte dazu verzeihend. »So etwas weiß man eben, wenn man sich mit Kriminalistik befaßt. Dieses Subjekt wird ... äh ... Gorilla genannt.«

»Fast«, meinte McWarden und lächelte ironisch, »Grizzly, um genau zu sein.«

»Wie auch immer.« Sie schoß einen kühlen Blick auf ihn ab. »Mit Kleinigkeiten halte ich mich grundsätzlich nicht auf. Nehmen Sie zur Kenntnis, daß ich diesem Gangster das Handwerk legen werde.«

»Ich habe Sie gewarnt«, erinnerte der Chief-Superintendent, »Sie werden sich an ihm die Zähne ausbeißen. Er hat erstklassige Leute um sich.«

»Das habe ich gemerkt.« Agatha Simpson lächelte ironisch. »Aber wollen Sie mir nicht endlich sagen, warum Sie gekommen sind, McWarden?«

»Ich möchte mich mit Mr. Pickett unterhalten«, erwiderte der Chief-Superintendent, »nein, nein, es geht nicht um seine Vergangenheit, ganz sicher nicht. Ich brauche seine Verbindungen.«

»Sie sollten sich Mylady anvertrauen«, schaltete Josuah Parker sich ein. Horace Pickett, um den es ging, war ehemaliger Taschendieb und stand nun auf der richtigen Seite des Gesetzes, nachdem Parker ihm mal das Leben gerettet hatte. Horace Pickett fühlte sich seit dieser Zeit Josuah Parker zutiefst verpflichtet und führte für ihn immer wieder spezielle Aufträge aus.

»Es geht um einen meiner besten Leute«, sagte McWarden, »aber was ich jetzt sage, sollte unter uns bleiben, Mr. Parker. Dieser Mann ist wie vom Erdboden verschwunden und hat sich seit vier Tagen nicht mehr gemeldet. Offen gesagt, ich fürchte, daß ihm etwas passiert ist.«

»Wie heißt dieser Mann?« fragte die ältere Dame.

»Dave Horlay«, gab McWarden Auskunft, »er sollte wegen einer Drogensache ermitteln.«

»Handelt es sich um den wirklichen Namen dieses Mannes, Sir?« fragte der Butler.

»Um den Namen, unter dem er in die Unterwelt eingetaucht ist«, erwiderte McWarden, »Pickett kann ohne weiteres nach einem Dave Horlay fragen. Aber er sollte vorsichtig sein, dieser Fall ist brisant.«

»Ich werde mich selbstverständlich auch um diesen Mann kümmern, mein lieber McWarden«, sagte die Detektivin wohlwollend, »Mr. Parker, regeln Sie die Details dazu. Sie wissen ja, worauf es mir ankommt, nicht wahr?«

»Mylady können sich auf meine Wenigkeit verlassen«, lautete Parkers höfliche Antwort.

Er rechnete mit ungewöhnlich stürmischen Stunden und Tagen.

*

Agatha Simpson war bereit, sich mit dem Grizzly anzulegen.

Sie erschien in der Wohnhalle und zupfte an ihrem natürlich zu weiten und derben Tweed-Kostüm herum. Sie trug dazu einen sehr eigenwilligen Hut, der an einen völlig mißglückten Napfkuchen erinnerte. Dieses wenig zarte Gebilde wurde von zwei langen, bratspießähnlichen Hutnadeln gehalten. An den Füßen hatte die ältere Dame derbe Schnürschuhe, denen man auf den ersten Blick viel Bequemlichkeit ansah. An ihrem linken Handgelenk baumelte ein perlenbestickter Pompadour, der an langen Lederschnüren hing. In diesem Handbeutel, der irgendwie an einen verkleinerten Seesack erinnerte, befand sich Myladys sogenannter Glücksbringer, nämlich ein übergroßes Pferdehufeisen.

Butler Parker sah aus wie üblich. Über seinen schwarzen Zweireiher hatte er sich einen ebenfalls schwarzen Covercoat gezogen. Auf dem Kopf thronte ein Bowler, im Volksmund respektlos Melone genannt. Am angewinkelten linken Unterarm hing sein altväterlich gebundener Universal-Regenschirm.

»Ich bin äußerst guter Stimmung, Mr. Parker«, verkündete Lady Agatha, »wohin werde ich jetzt fahren?«

»Mylady dachten an eine kleine Tour in den Südwesten der Stadt«, behauptete Josuah Parker, »Mylady gehen davon aus, daß Mr. Vince Preston eine Verfolgung einleiten wird.«

»Richtig«, bestätigte sie, obwohl sie an so etwas überhaupt nicht gedacht hatte, »oder wollte ich da nicht einen bestimmten Club besuchen?«

»Den Club namens ›Granada‹, Mylady«, bestätigte der Butler, »aber dort dürfte man bereits hoffnungsfroh auf Mylady warten, da die beiden Besucher diesen Club als das Hauptquartier des Grizzly bezeichneten. Sie dürften ihren Arbeitgeber entsprechend informiert haben.«

»Ich werde stets das tun, was man von mir eben nicht erwartet«, erklärte Agatha Simpson und nickte wohlwollend, »haben Sie bereits Erkundigungen über dieses Subjekt eingezogen?«

»Es handelt sich um einen in der Tat sehr gefürchteten Mann«, entgegnete Josuah Parker. »Mr. Vince Preston hat sich vor etwa anderthalb Jahren hier in London etabliert, um es mal so auszudrücken. Nach Lage der Dinge ist er gewillt, sein privates Imperium noch weiter auszubauen.«

»Und was macht der gute Pickett?« wollte die Lady wissen.

»Meine Wenigkeit konnte ihn bereits informieren«, sagte der Butler. »Mr. Picketts Aufmerksamkeit gilt ab sofort dem Mitarbeiter des Chief-Superintendent. Darüber hinaus sammelt er aber auch noch Hinweise, die den erwähnten Grizzly betreffen.«

»Ich denke, ich habe die Weichen wieder mal gut gestellt«, lobte sich die ältere Dame, »gehen wir, Mr. Parker, lassen wir die Gangster nicht länger warten.«

Parker geleitete seine Herrin zum Wagen, der dicht vor dem überdachten Vorbau parkte. Bei diesem Gefährt handelte es sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das einen sehr angejahrten Eindruck machte. Technisch traute man diesem hochbeinigen und eckigen Wagen wirklich nichts zu, doch dieser Eindruck täuschte. Der Wagen war nach Josuah Parkers Vorstellungen umgemodelt worden. Neben einem ungewöhnlich leistungsstarken Motor verfügte Parker noch zusätzlich über einige Einrichtungen, um Angreifer abzuwehren. Eingeweihte nannten diesen Wagen nicht ohne Grund eine Trickkiste auf Rädern.

Von der nahen Durchgangsstraße aus konnte weder Parker noch Lady Simpson unter Beschuß genommen werden. Nachdem die ältere Dame im Fond des Wagens Platz genommen hatte, setzte Parker sich ans Steuer und ließ sein hochbeiniges Monstrum langsam anrollen.

Er umfuhr die Blumenrabatte in der Mitte des Vorplatzes und steuerte dann das schmiedeeiserne Einfahrtstor an. Als er es passierte, entdeckte er ohne Schwierigkeiten den Wagen, in dem man auf Mylady und ihn wartete. Es handelte sich um einen kleinen Sportwagen italienischer Schule, in dem zwei Männer saßen. Sie trugen Sonnenbrillen und studierten unnötigerweise eine Stadtkarte.

Nachdem Parker den Wagen passiert hatte, setzte der Sportwagen sich in Bewegung und nahm die Verfolgung auf. Die Dinge erhielten damit ihren fest vorausgeplanten Verlauf.

*

»Ich werde doch wohl hoffentlich verfolgt, oder?« erkundigte sich Agatha Simpson bereits nach wenigen Minuten.

»In der Tat, Mylady«, erwiderte der Butler, »es handelt sich um einen italienischen Sportwagen mit zwei Insassen.«

»Und wo werde ich die beiden Lümmel zur Rede stellen, Mr. Parker?«

»Hegen Mylady spezielle Wünsche?«

»Ich lasse Ihnen da völlig freie Hand, Mr. Parker.«

»Wären Mylady mit dem Flughafen einverstanden?«

»Genau das wollte ich gerade sagen, Mr. Parker.« Sie nickte wohlwollend, »wie gut Sie mich doch inzwischen verstehen. Nur weiter so.«

Parker enthielt sich einer Antwort und konzentrierte sich auf den Straßenverkehr. Er fuhr über die M4 und ging davon aus, daß sich hier auf der sehr belebten Schnellstraße wohl kaum etwas ereignen würde. Dennoch blieb er auf der Hut. Vince Preston hatte jahrelang in den Staaten gelebt und entsprechende Mitarbeiter engagiert. Gangster dieses Zuschnitts waren nicht zimperlich.

Parker konnte sich ferner vorstellen, daß ein Kraftprotz wie Vince Preston alles daransetzen würde, die erlittene Scharte wieder auszuwetzen. Niederlagen ertrugen solche Menschen nicht. Sie wollten um jeden Preis das letzte Wort haben.

In der Höhe von Cranford Park verließ Parker mit seinem Wagen die M4 und bog nach Süden ab. Der kleine Sportwagen folgte beharrlich, und der Fahrer gab sich noch nicht mal die Mühe, dies zu verschleiern.

Doch damit befand er sich bereits auf der Verliererstraße. Parker konnte in dieser Region, die nicht mehr so dicht bebaut war, die Kraft seines Wagenmotors geschickt ausspielen. Er gaukelte dem Fahrer des Sportwagens nun vor, sich absetzen zu wollen, ließ sich dann wieder einholen und machte sich zum gehetzten Wild, das nur noch die angstvolle Flucht kennt. Dieses neckische Spiel trieb er einige Minuten lang, bis er die Verfolger genau dort hatte, wohin er sie haben wollte. Als ein freies Gelände erreicht war, täuschte Parker einen Motordefekt vor. Er legte einen der vielen Kipphebel auf dem Armaturenbrett um und produzierte augenblicklich eine weiße Dampfwolke, die aus dem Kühlerverschluß drang. Parker verriß einige Male das Steuer, brachte das hochbeinige Monstrum in Schaukelbewegung und minderte dann jäh das Tempo.

Die beiden Verfolger im Sportwagen schöpften keinen Verdacht. Blitzschnell holten sie auf und schoben sich mit dem Sportwagen an den immer langsamer werdenden schwarzen Wagen des Butlers heran. Der Beifahrer stemmte sich aus dem Sitz und gab Parker ein Zeichen, anzuhalten.

Der Butler kam diesem Wunsch nach und ließ seinen Wagen ausrollen. Gleichzeitig öffnete er das Wagenfenster und machte sich bereit, seinen Verfolgern eine Überraschung zu servieren. Sie bestand aus einem völlig normal aussehenden Kugelschreiber, deren beide Hälften er gegeneinander verdrehte. Anschließend warf er diesen Kugelschreiber mit leichter Hand in den offenen Sportwagen.

Und dann passierte es bereits ...

Aus dem Kugelschreiber schoß eine weiße Nebelwolke, die dem Fahrer die Sicht nahm. Er bremste übertrieben hart, brachte seinen Wagen ins Schlingern und anschließend von der Straße. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis der Sportwagen auf einer sumpfigen Wiese landete und mit den Reifen tief einsackte.

»Wegen mir hätte der Wagen sich überschlagen können«, sagte die ältere Dame boshaft, »Sie haben wieder mal zuviel Rücksicht genommen, Mr. Parker.«

»Hoffentlich können Mylady meiner Wenigkeit noch mal verzeihen«, lautete Parkers Antwort. Er stieg aus und wartete auf das Erscheinen der Männer, die im dichten Nebel verschwunden waren. Auch der Sportwagen war jetzt nicht mehr zu sehen.

In Parkers schwarz behandschuhten Händen befand sich eine Gabelschleuder, die einen soliden Eindruck, machte. Die beiden Gummistränge, die vorn an den Gabelenden befestigt waren, warteten auf viel Kraft, um sich dehnen zu lassen.

In der Lederschlaufe der Zwille lag bereits das erste Spezialgeschoß des Butlers. Es handelte sich um eine Tonmurmel, die der Butler aus einer seiner vielen Westentaschen geholt hatte. Lady Agatha hatte inzwischen ebenfalls den Wagen verlassen und räsonierte.

»Natürlich sind die beiden Subjekte längst davongelaufen«, meinte sie verärgert, »Sie haben die Lage wieder mal falsch eingeschätzt, Mr. Parker, und ich ...«

»Der Beifahrer, Mylady«, meldete Parker, als der erste Mann aus der dichten Nebelwand kam und hustete.

»Damit habe ich gerechnet, Mr. Parker«, erklärte sie umgehend, »warum schießen Sie denn nicht endlich?«

»Mit Myladys Erlaubnis möchte meine Wenigkeit nicht den zweiten Mann unnötig warnen«, gab Josuah Parker zurück.

»Unsinn, er liegt bestimmt auf der Wiese.«

Sie hatte ihren Satz noch nicht ganz beendet, als der zweite Mann in den Nebelschwaden, die sich bereits auflösten, erschien. Auf ihn konzentrierte sich der Butler, zumal dieser Mann ungeniert eine Waffe in der rechten Hand hielt.

Josuah Parker hob die Schleuder, zielte kurz und schickte dann die Tonmurmel auf die Reise. Der Butler kümmerte sich nicht weiter um diesen Verfolger, der übrigens bereits getroffen wurde, die Arme hoch in die Luft warf und dann wegsackte.

Die zweite Tonmurmel war unterwegs.

Der Beifahrer wollte nach seiner Stirn greifen, doch er fand dazu nicht mehr die Kraft. Er rutschte nach hinten weg und landete im sumpfigen Gras. Parker steckte die Gabelschleuder zurück in die Innentasche seines Covercoats, den er zuknöpfte, bevor er sich in Bewegung setzte. Stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, schritt Parker dann würdevoll auf die beiden Männer zu, die sich nicht mehr rührten.

Mit wenigen Handgriffen entwaffnete Parker sie, suchte und fand ihre Brieftaschen, ließ sie im Covercoat verschwinden und widmete sich dann seiner Herrin, die energisch auf ihn zukam.

»Mylady sollten vielleicht auf die kleinen Wasserlöcher achten«, rief Josuah Parker.

»Machen Sie sich nur keine Sorgen«, erwiderte sie unternehmungslustig, »ich habe ja schließlich Augen im Ko ...«

Zu mehr reichte es nicht.

Agatha Simpson trat voll in ein Wasserloch und stand plötzlich bis zu den Knien in einer dunklen, moorigen Brühe.

»Sie haben mich absichtlich abgelenkt, Mr. Parker«, grollte sie prompt und schoß einen eisigen Blick auf ihren Butler ab, »darüber wird noch gesprochen werden, Mr. Parker. Sie wollten mir einen Streich spielen.«

Es kostete Josuah Parker einige Mühe, ernst zu bleiben.

*

»Es kann sich doch nur um ein Mißverständnis handeln«, sagte Mike Rander, nachdem er Myladys Geschichte gehört hatte. »Mr. Parker dürfte über jeden Zweifel erhaben sein, Mylady.«

»Er sah dieses Wasserloch, doch er warnte mich nicht«, behauptete Agatha Simpson, »aber ich werde mir das merken.«

»Darf ich Mylady noch mal versichern, daß meine Wenigkeit völlig ahnungslos war?« fragte Josuah Parker. In seinem glatten Gesicht regte sich kein Muskel.

»Und dann ließen Sie auch noch die beiden Subjekte laufen«, beschwerte sich Lady Agatha weiter, »ich hätte schon die Wahrheit aus ihnen herausgeholt.«

»Welche Wahrheit, Mylady?« wollte der Anwalt wissen. Mike Rander, vierzig, groß, schlank und lässig, erinnerte in seinem Äußeren an einen bekannten James-Bond-Darsteller. Vor geraumer Zeit hatte er mit Josuah Parker einige Jahre in den Staaten verbracht, wo sie gemeinsam viele Abenteuer überstanden. Nach seiner Rückkehr aus den USA war Mike Rander von Lady Simpson wie selbstverständlich »vereinnahmt« worden und verwaltete jetzt neben der Tätigkeit als Anwalt das immense Vermögen der älteren Dame.

Agatha Simpson aber wollte mehr.

Sie tat alles, um die beiden jungen Menschen, als die sie Kathy Porter und Mike Rander bezeichnete, zusammenzubringen. Sie träumte davon, eine Ehe stiften zu können.

»Diese beiden Lümmel hätten ein volles Geständnis abgelegt«, wiederholte die ältere Dame, ohne auf Mike Randers Frage einzugehen.

»Wir wissen doch, daß die Sportwagenfahrer von Vince Preston geschickt wurden«, antwortete Mike Rander lächelnd, »dieses Fußvolk kann Sie doch unmöglich interessieren, Mylady.«

»Nun, lassen wir das, mein Junge.« Sie winkte ab und räusperte sich explosionsartig. »Aber diesen Gorilla hätte ich wenigstens in seinem Hauptquartier besuchen können. So aber mußte ich nach Hause zurückfahren und mich umziehen.«

»Der Grizzly wird Ihnen nicht entgehen«, meinte der Anwalt, »im Grund wollen Sie ihn doch nur reizen, damit er Fehler macht.«

»Das ist allerdings völlig richtig, mein Junge«, schwenkte sie sofort ein und nickte wohlwollend, »in Fragen der Taktik macht niemand einer Lady Simpson etwas vor. Ist es nicht so, Mr. Parker?«

»Mylady werden stets ein leuchtendes Vorbild sein«, behauptete Josuah Parker.

»Ich weiß«, sagte sie und wehrte ohne Überzeugung mit einer sparsamen Handbewegung ab, »aber bleiben wir beim Thema: Wie stelle ich mir die nächsten Schritte vor?«

»Mr. Vince Preston wird sie Mylady ungewollt vorschlagen«, ließ Josuah Parker sich vernehmen, »nach dieser zweiten Niederlage dürften seine Nerven in gewisse Vibration geraten sein.«

»Er wird also versuchen, mich hier zu überfallen?« Sie sah ihren Butler erwartungsvoll an.

»Auch mit solch einer Möglichkeit ist durchaus zu rechnen«, antwortete der Butler.

»Und mit welchen Möglichkeiten noch?« forschte sie ungeduldig.

»Mr. Vince Preston wird darauf warten, daß Mylady sich in die Stadt begeben. Und diesmal wird er besonders vorsichtig sein.«

»Und brutal«, warf Mike Rander ein, »nehmen wir diesen Gangster nur nicht auf die leichte Schulter. Ich habe auch schon Kathy gewarnt. Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß er sich an sie heranmacht, um sie vielleicht als Geisel zu nehmen. Und das gilt natürlich auch für mich.«

»Das klingt doch alles sehr gut«, fand die ältere Dame. Ihre Augen funkelten vor Tatendrang. »Dieser Gangster hat das Spiel bereits verloren, er weiß es nur noch nicht.«

Lady Agatha wollte noch etwas hinzufügen, doch in diesem Augenblick klingelte das Telefon auf dem kleinen Wandtisch in der großen Wohnhalle. Parker begab sich gemessenen Schritts hinüber zum Apparat, hob ab und meldete sich. Als er Kathy Porters Stimme erkannte, schaltete er den Raumverstärker ein.

»Man scheint mich hier in der Kanzlei belagern zu wollen«, sagte sie in fast beiläufigem Ton, »vor dem Haus lungern drei Gestalten herum, die mit Sicherheit zur Unterwelt gehören.«

»Drei Personen, Miß Porter, die sich nicht mal andeutungsweise bemühen, ungesehen zu bleiben?« fragte der Butler.

»Genau, Mr. Parker«, erwiderte Myladys Sekretärin, »ich habe den Eindruck, daß sie gesehen werden wollen.«

»In der Hoffnung, Miß Porter, daß Sie dies telefonisch weitergeben.«

»Möglich, Mr. Parker, doch, das könnte durchaus sein. Oh, ich verstehe, man will Sie aus dem Haus locken, nicht wahr?«

»Man sollte dies sicherheitshalber unterstellen, Miß Porter«, entgegnete Josuah Parker, »Mr. Vince Preston scheint sich in einer Stimmung zu befinden, die man nur als gereizt bezeichnen kann.«

*

Josuah Parker und Mike Rander waren auf den riesigen Dachboden des zweistöckigen Fachwerkhauses gegangen und standen vor einem der vielen Giebelfenster. Von hier aus hatten sie einen ausgezeichneten Blick auf die nahe Durchgangsstraße.

»Klarer Fall«, meinte der Anwalt, der sich zusätzlich mit einem starken Fernglas bewaffnet hatte, »werfen Sie mal einen Blick auf den Kastenlieferwagen links von der Parkbank, Parker. Ich wette, im Aufbau sitzt wenigstens ein Scharfschütze.«

Er reichte das Fernglas an den Butler weiter, der seinerseits die Szene beobachtete. Nach kurzer Prüfung deutete Parker ein knappes Nicken an.

»Sie dürften den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf getroffen haben, Sir«, sagte er dann und reichte das Fernglas an den Anwalt zurück, »leider vermag meine Wenigkeit die Distanz mit der Gabelschleuder nicht zu überbrücken.«

»Und wie steht’s mit dem Hinterausgang?« Rander setzte sich bereits in Bewegung und schritt zielsicher über den dämmerigen Dachboden, bis er ein anderes Giebelfenster erreichte. Von hier aus konnte man auf das hohe, schmiedeeiserne Tor blicken, das den Zugang zu der schmalen Sackgasse hinter Myladys Haus verwehrte. Diese Gasse wurde gebildet aus der Rückfront des Hauses und einer hohen, soliden Backsteinmauer, die mit einem Ziergitter versehen war. Hinter dieser Mauer befand sich ein kleiner Park, an dessen Rändern Gebäude eines staatlichen Instituts standen.

»Wen sehen wir denn da?« Mike Rander lächelte ein wenig abfällig. »Vince Preston hat sich bereits informiert und kennt auch unseren zweiten Zugang zum Haus.«

»Die beiden Herrn dort traten bereits schon mal in Erscheinung«, schickte Josuah Parker nach einem kurzen Blick voraus, »sie erdreisteten sich, Miß Porter in den bereits erwähnten Jaguar abdrängen zu wollen.«

»Und wo haben wir den guten Grizzly?« fragte Rander und änderte die Blickrichtung. Er suchte die schmale Nebenstraße ab, konnte aber nichts entdecken.

»Mr. Vince Preston dürfte sich in Deckung befinden, Sir«, erwiderte der Butler, »möglicherweise hält er sich im Granada-Club auf und wartet auf eine Erfolgsmeldung.«

»Könnten wir ihn dort nicht überraschen?«

»Ein Gedanke, Sir, den man nur als ungemein verlockend bezeichnen kann.« Während Parker sprach, beobachtete er die beiden Männer, die bereits einige Lektionen hinter sich hatten. Sie standen in der Nähe des schmiedeeisernen Tores und warteten neben einem geparkten Ford. Sie gaben sich keine Mühe, verborgen zu bleiben.

»Meiner bescheidenen Einschätzung nach, Sir, muß es noch zusätzlich eine dritte Person geben«, vermutete Josuah Parker.

»Den Abstauber, wie?«

»So könnte man sie durchaus bezeichnen, Sir. Dieser dritte Mann hat die Aufgabe, die geplanten Schüsse abzufeuern.«

»Aber den können wir nicht einsehen, wie?«

»Nach einschlägiger Erfahrung müßte der Schütze sich auf einem der gegenüberliegenden Hausdächer befinden, Sir.«

»Ein verdammt großes Risiko, das Haus hier zu verlassen, Parker. Preston scheint uns belagern zu wollen.«

»Seine Gereiztheit dürfte größer sein als angenommen.«

»Wollen wir uns einschnüren lassen, Parker?«

»Keineswegs und mitnichten, Sir. Meine Wenigkeit darf auf die alten Gewölbe der ehemaligen Abtei verweisen, die die Grundmauern des jetzigen Hauses darstellen.«

»Und ob Sie das dürfen, Parker«, sagte der jung gebliebene Anwalt und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Sie haben aus diesem Haus ja einen wahren Fuchsbau gemacht.«

»Mit einigen Ein- und Ausgängen, Sir, die sich gerade in diesen Minuten vielleicht als nützlich erweisen werden.«

»Okay, informieren Sie Lady Simpson, Parker. Der Grizzly soll seine Überraschung serviert bekommen.«

Parker und Mike Rander verließen den geräumigen Dachboden und begaben sich ins Erdgeschoß des Hauses. Während Josuah Parker seine Herrin informierte, dachte der Anwalt an die vielen Geheimnisse des altehrwürdigen Hauses, die aus Butler Parkers Trickkiste stammten. In weiser Voraussicht dessen, was eines Tages vielleicht zu erwarten war, hatte der Butler das Haus radikal umbauen lassen. Geld hatte dabei keine Rolle gespielt. Lady Agatha war mit allem einverstanden gewesen.

Rander wartete auf das Erscheinen der Lady Simpson und auf Parker. Er dachte selbstverständlich auch an Kathy Porter, die ebenfalls belagert wurde. Sorgen machte er sich allerdings nicht. Kathy war eine Frau, die sich zu helfen wußte.

*

»Irgendwie gefällt mir das alles nicht«, räsonierte die ältere Dame, »Sie wissen sehr genau, Mr. Parker, daß ich stets für den offenen Angriff bin.«

»Mylady greifen diesmal zu einer List«, versicherte Josuah Parker, »Mylady werden den sogenannten Grizzly völlig verunsichern und das Überraschungsmoment für sich in Anspruch nehmen.«

»Das klingt schon besser«, meinte sie einlenkend, »zudem möchte ich Ihnen auch mal einen Gefallen tun.«

Parker, Lady Agatha und Mike Rander befanden sich bereits im Souterrain des Hauses und betraten die Küchen- und Wirtschaftsräume des großen Fachwerkhauses. Parker führte die kleine Gruppe durch die sehr modern eingerichtete Küche und blieb dann kurz vor einem Kühlraum stehen. Er öffnete die schwere Tür und hielt auf eine gekachelte Wand zu, an der eine Reihe von Regalen angebracht waren. In den Fächern dieses sehr solide aussehenden Regals befanden sich Lebensmittelvorräte aller Art.

Parker ließ die Kachelwand mit den Regalbrettern zu einer Tür werden. Dazu drückte er eine untere Halte-Konsole nach rechts, worauf die Wand geräuschlos zur Seite schwenkte und den Zugang zu einem schmalen Gang freigab.

Nachdem die Gruppe diesen betreten hatte, ließ Parker die getarnte Tür in die alte Lage zurückgleiten und übernahm weiter die Führung. Nach wenigen Minuten erreichte man eine zweite Tür, die von Parker geöffnet wurde. Lady Agatha, Mike Rander und der Butler betraten einen völlig normal aussehenden Hauskeller mit Gerümpel aller Art. Über eine Treppe ging man ins Erdgeschoß des schmalen Hauses, dessen Frontseite an die Trebeck Street grenzte.

Das Erdgeschoß dieses zwar völlig eingerichteten, aber sonst unbewohnten Hauses gestattete den Zugang zu einer angebauten Garage, in der ein fahrbereiter Vauxhall wartete.

»Ich nehme an, Mr. Parker, daß auch dieses Haus hier mir gehört«, fragte die ältere Dame.

»In der Tat, Mylady«, antwortete der Butler, »Mylady bestanden seinerzeit beim Aus- und Umbau des Haupthauses auf einem Fluchtweg.«

»Was das alles kostet!« Sie schüttelte den Kopf und seufzte tragisch, »diese Unkosten werden mich noch ruinieren.«

»Zur Zeit ist damit aber kaum zu rechnen, Mylady«, schaltete Mike Rander sich lächelnd ein, »falls es aber soweit ist, werde ich Sie rechtzeitig unterrichten.«

»Man könnte dieses Haus natürlich zur Vermietung oder zum Verkauf anbieten, Mylady«, ließ der Butler sich vernehmen, »dank der ausgezeichneten Wohnlage könnten Mylady schon bald über Barmittel verfügen.«

»Ausgeschlossen«, sagte sie grollend, »ich werde mich nicht von einem einzigen Ziegel trennen, Mr. Parker. Sagen Sie mir lieber, wie es jetzt weitergehen soll.«

»Mylady haben die Absicht, dem sogenannten Grizzly einen Besuch abzustatten.«

»Und Kathy, das hilflose Kind?« fragte sie.

»Wir können ja an der Kanzlei in der Curzon Street vorbeifahren«, schlug Mike Rander vor, »aber wir sollten die dortigen Belagerer nicht warnen. Vince Preston darf nichts merken.«

»Vince Preston?« Sie runzelte die Stirn und hatte den gerade erwähnten Namen nicht abrufbereit in ihrem Gedächtnis.

»Der Gangster, den man Grizzly zu nennen pflegt«, erinnerte der Butler diskret.

»Ich weiß, ich weiß«, reagierte sie unwirsch, »ich brauche keine Belehrungen, Mr. Parker! Und wo finde ich das Subjekt?«

»Im nahen Pimlico, Mylady, in einem Club namens Granada, wie Mylady selbstverständlich wissen.«

»Und ob ich das weiß, Mr. Parker, ich brauche keine verdeckte Hilfestellung. Aber verlieren wir keine Zeit, dieser Gorilla soll sich wundern!«

»Der Grizzly, Mylady«, erinnerte Mike Rander.

»Wie auch immer, mein Junge.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung, »ich denke, ich werde dieses Subjekt mit einer meiner Hutnadeln schockieren. Was halten Sie davon, Mr. Parker?«

»Eine ungemein reizvolle Vorstellung, Mylady«, lautete Parkers höfliche Antwort, »Mr. Vince Preston dürfte solch eine Behandlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht kennen.«

*

Es war Mike Rander, der für den Einlaß sorgte.

Vor dem Club angekommen, verließ der Anwalt den Vauxhall und baute sich vor der glatten Eingangstür auf. Er klopft fast beiläufig gegen das Türblatt und nahm noch nicht mal den Kopf herum, als eine kleine Klappe in der Tür geöffnet wurde.

»Nun machen Sie schon, Mann«, sagte er in blasiertem Ton, »ich möchte hier nicht gerade anwachsen.«

»Sie sind Clubmitglied, Sir?« fragte der Angesprochene hinter der Tür betont höflich.

»Fragen Sie Preston«, gab Rander arrogant zurück, »verdammt, nun machen Sie endlich.«

Das reichte völlig, um den Türsteher zu überzeugen. Er hakte eine Sperrkette aus und öffnete. Dann aber riß er die Augen weit auf, als er sich plötzlich der Fülle Agatha Simpsons gegenübersah, die förmlich in den Vorraum des Clubs stürmte. Er staunte nicht weniger, als er Josuah Parker gewahrte, der höflich die schwarze Melone lüftete.

»Man sucht einen kleinen Wandschrank«, sagte der Butler.

»Wandschrank?« fragte der Türsteher verblüfft. Der stämmige Mittelgroße hatte sich von seiner Überraschung noch immer nicht erholt. Dann erst begriff er und öffnete eilfertig eine Art Garderobenschrank.

»Sind Sie meiner bescheidenen Ansicht, daß Sie in diesen Schrank passen?« erkundigte sich der Butler nun.

»Das müßte gehen.« Der Mann nickte.

»Dann rein mit Ihnen«, schaltete Mike Rander sich ein und langte unter das linke Revers seines dunklen Blazers. Diese Geste überzeugte den Mann. Er hüstelte nervös, rechnete mit einer Schußwaffe und zwängte sich eilig in den engen Schrank. Rander schloß die Tür und riegelte ab. Danach nickte er Parker zu.

»Die geplante Überraschung müßte eigentlich klappen«, sagte der Anwalt und trat zur Seite, damit Lady Simpson das eigentliche Clublokal betreten konnte. Viele Gäste waren nicht zu sehen. In einigen Nischen saßen gelangweilte Besucher. Weiter hinten in Höhe des halbrunden Tresens hockte ein wahrer Bär von einem Mann auf einem Barhocker und trank gerade aus einem Glas. Links von ihm saßen an einem kleinen runden Tisch zwei schlanke, wesentlich kleinere Männer, die sich unterhielten.

Der »Bär« hatte Mylady im Spiegel hinter dem Bartresen entdeckt und wandte sich überraschend schnell und geschmeidig um. Dann glitt er von seinem Barhocker herunter.

Butler Parker 181 – Kriminalroman

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