Читать книгу Butler Parker 176 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3

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Er schnarrte mit der Stimme wie ein Oberst alter Schule, hatte sich ein Monokel ins linke Auge geklemmt und hielt Hof in einem kleinen Nebenzimmer des örtlichen Pub. Der Mann mochte etwa sechzig sein, war groß, hielt sich straff und strich hin und wieder über seinen gepflegten weißen Schnurrbart.

Er sprach deutlich von alten Zeiten und betonte mehr als penetrant, welche Heldentaten er im zweiten Weltkrieg vollbracht hatte. Seine wesentlich jüngeren Zuhörer hingen mit Blicken bewundernd an seinen schmalen Lippen und hatten ein verdächtiges Leuchten in ihren Augen. Sie waren stolz auf diesen Mann, der durch Stahlgewitter geschritten war, wie er gerade überlaut geschildert hatte.

»Mister Parker, dieser Gimpel geht mir auf die Nerven«, stellte Lady Agatha Simpson fest, »ich glaube nicht, daß ich das noch länger aushalte.«

»Ein Mann, der von einer sehr dubiosen Vergangenheit lebt«, erwiderte Josuah Parker,« falls Mylady es wünschen, könnte man die Verbindungstür schließen.«

Lady Agatha hatte sich ablenken lassen. Sie hörte, wie dieser Oberst alter Schule gerade von einem Kommandounternehmen bei Tobruk berichtete. Er allein hatte die Landung überlebt und anschließend eine feindliche Stellung im Handstreich genommen.

»Härte allein gegen sich selbst, Leute, nur Härte allein zählt«, schwadronierte der ehemalige Kriegsheld ungeniert und lautstark weiter, »und keine Gnade mit dem Gegner. Nur wer gefürchtet ist, wird respektiert.«

»Es dürfte nun an der Zeit sein, Mylady, die Tür zu schließen.« Butler Parker wartete die Erlaubnis dazu gar nicht erst ab, stand auf und schritt würdevoll wie ein Haushofmeister zur Verbindungstür. Sein Schließen fiel ein wenig nachdrücklich aus.

»Das war sein Glück, Mr. Parker,« Lady Simpson entspannte sich sichtlich, »ich spielte bereits mit dem Gedanken, ihn zur Rede zu stellen.«

Agatha Simpson, eine füllige, majestätische Dame, die das sechzigste Lebensjahr längst überschritten hatte, war eine ungemein temperamentvolle Natur, die ungeniert sagte, was sie dachte. Sie liebte geradezu Fettnäpfchen, um mit Genuß in sie zu treten. Hemmungen waren ihr absolut fremd.

Sie befand sich auf der Heimfahrt nach London. Die ältere Dame hatte in der Nähe von Harlow ein Pferdegestüt besichtigt und nahm bei dieser Gelegenheit überrascht zur Kenntnis, daß sie die Eigentümerin dieses Gestüts war. Agatha Simpson war nämlich eine immens vermögende Frau, die sich jede Marotte leisten konnte.

Um ihren angegriffenen Kreislauf zu stärken, war sie eingekehrt und trank gerade ihren zweiten Kognak. Josuah Parker hingegen hielt sich an Tee, zumal er den Wagen fuhr, der sie zurück nach London bringen sollte.

»Guter Gott, Mr. Parker, die Stimme dieses Helden ist ja immer noch zu hören«, räsonierte die Lady und erhob sich ohne jede Vorankündigung.

»Mylady beabsichtigen eine Intervention?« erkundigte sich Parker in seiner höflichen Art. Er war ein altersloser Mann, etwas über mittelgroß, fast schlank und bot das Bild eines englischen Butlers, wie man ihn nur noch auf der Leinwand und auf dem Bildschirm zu sehen bekommt. Über seinem schwarzen Zweireiher trug er einen ebenfalls schwarzen Covercoat. Auf einem Stuhl in der Nähe lagen sein altväterlich gebundener Regenschirm und eine schwarze Melone.

»Wir fahren weiter«, meinte Agatha Simpson, »ich will mir meine gute Laune nicht verderben lassen.«

Sie hatte den Satz noch nicht ganz beendet, als die Tür zum Nebenraum schwungvoll aufgestoßen wurde. Einer der jungen Zuhörer und Bewunderer des Oberst erschien mit einem Zinnkrug, in dem frisch gezapftes Bier schäumte.

»Mit den besten Grüßen vom Oberst«, sagte er und nahm militärische Haltung an.

»Man dankt und erlaubt sich, diese Grüße zu retournieren«, antwortete Josuah Parker, der angesprochen war, »aus Gründen der Fahrsicherheit sieht meine Wenigkeit sich außerstande, die möglicherweise gut gemeinte Gabe anzunehmen.«

»Machen Sie keinen Quatsch«, antwortete der etwa vierzigjährige Mann, »wollen Sie dem Oberst einen Korb geben?«

»So kann man es natürlich auch ausdrücken«, lautete Parkers Antwort.

»Das würd’ ich an Ihrer Stelle aber nicht tun«, warnte der Mann, »der Oberst kann verdammt empfindlich sein.«

»Eine empfindsame Seele, wie man bereits deutlich hörte«, gab Josuah Parker zurück.

»Bestellen Sie Ihrem komischen Oberst, daß er sich zum Teufel scheren soll«, schaltete Lady Agatha sich ein, »er ist mir bereits gründlich auf die Nerven gegangen.«

Diese Feststellung bekam der Haudegen mit. Er stand bereits in der Tür und rückte sein Monokel zurecht. Sein Gesicht war krebsrot. Er hatte Mühe, einen Hustenanfall der Empörung zu unterdrücken.

»Wie war das gerade?« erkundigte er sich schnarrend.

»Der Mann hier weigert sich das Bier anzunehmen«, meldete der junge Mann und deutete dann auf Parker.

»Wohl wahnsinnig geworden, wie?« Der Mann, der Oberst genannt wurde, rückte erneut an seinem Monokel und musterte dann den Butler, der bereits nach Melone und Regenschirm gegriffen hatte.

»Aus Gründen, die mit der allgemeinen Sicherheit im Straßenverkehr zu tun haben, verzichtet meine Wenigkeit auf die Annahme des Tranks«, sagte Josuah Parker, »wenn Sie erlauben, nimmt man die Absicht für die Tat.«

»Sie trinken das Bier, ist das klar?« schnarrte der Oberst und baute sich breitbeinig vor Parker auf. »Bisher hat es noch keiner gewagt, einem Oberst Randolph Bingham einen Drink abzuschlagen.«

»Kommen Sie, Mr. Parker«, schaltete die streitbare Dame sich ein, »dieser Mann ist ja betrunken.«

»Sie trinken jetzt, klar?« Bingham riß dem jungen Mann den Zinnkrug aus der Hand, daß das Bier überschwappte. Dann stieß er den Krug leichtsinnigerweise in Richtung Parker, um ihn so zu zwingen, dem Befehl nachzukommen.

Josuah Parker reagierte.

Der Bambusgriff des altväterlich gebundenen Regenschirms stieß fast zufällig unter den Boden des Zinnkrugs. Das Getränk verließ daraufhin den massiven Behälter und formte sich zu einem Riesentropfen, der über den Rand quoll, dann zu einer Fontäne wurde und sich schließlich auf das Gesicht des kriegerischen Mannes legte.

»Sehr schön«, lobte Lady Agatha und nickte wohlwollend in Richtung Parker.

»Meine bescheidene Wenigkeit möchte nicht versäumen, sich zu entschuldigen«, erklärte der Butler und deutete eine knappe Verbeugung an. Randolph Bingham wischte sich mit fahriger Bewegung das Bier vom Gesicht und griff dann nach seinem Monokel, ohne es allerdings zu finden.

»Falls Sie nach Ihrem Einglas suchen sollten, so finden Sie es im Zinnkrug«, meinte Parker gemessen.

»Das war ein Angriff auf meine Person«, deutete der Oberst diesen Zwischenfall und wandte sich abrupt ab. Er stakste zurück in den Raum, aus dem er gekommen war. Seine Begleiter folgten dicht auf, dann wurde die Verbindungstür hart ins Schloß geworfen.

»Ein Zwischenfall, Mylady, der meiner Wenigkeit ungemein peinlich ist«, äußerte Josuah Parker.

»Unsinn, Mr. Parker«, gab sie zurück, »Sie hätten ihm den Griff unter das Kinn setzen sollen. Kommen Sie! Dieser Lümmel dürfte inzwischen begriffen haben, wer ich bin.«

Sie verließ die Ecke, in der sie mit Parker gesessen hatte und durchquerte den Pub. Die wenigen Gäste vorm Tresen schienen von diesem kleinen Intermezzo überhaupt nichts bemerkt zu haben. Sie taten so, als wäre Lady Simpson und Parker überhaupt nicht vorhanden.

Vor dem Pub blieb die Detektivin einen Moment stehen und blickte zum nächtlichen Himmel, der Regen verhieß.

»Ich glaube, Mr. Parker, ich habe einen Fehler begangen«, schickte sie dann nachdenklich voraus, »ich hätte diesen Flegel ohrfeigen sollen.«

»Eine Reaktion, Mylady, die dieser Mann wohl kaum verdient hat«, gab Josuah Parker zurück. Er ging voraus und hielt auf seinen Privatwagen zu, der auf dem Parkplatz vor dem Pub stand. Bei diesem Wagen handelte es sich um ein betagt aussehendes Londoner Taxi, das hochbeinig und sehr kantig und eckig aussah. Es war ein Wagen, der auf jeder Veteranen-Rally Beachtung gefunden hätte.

Parker öffnete die hintere Wagentür und wartete, bis seine Herrin eingestiegen war. Er hütete sich, ihr seine hilfreiche Hand zu leihen. Lady Agatha schätzte Unterstützungen dieser Art überhaupt nicht.

Als Parker die Fahrertür öffnete, entdeckte er im Eingang zum Pub einige junge Männer, die schweigend das Lokal verließen und dann zu einem Jeep liefen, der ebenfalls auf dem Parkplatz stand. Dabei entging dem Butler keineswegs, daß die drei jungen Männer mit Sicherheit angetrunken waren.

Er setzte sich ans Steuer und ließ den Motor unter der eckigen Haube anspringen. Dann brachte er sein Gefährt in Bewegung und steuerte die Landstraße an. Dabei blickte er kurz in den Außenspiegel. Es war so, wie er es sich bereits gedacht hatte. Der Jeep nahm sofort die Verfolgung auf.

»Ich werde verfolgt?« freute sich die ältere Dame, als Parker ihr diesen Vorgang berichtet hatte, »das hört sich aber doch sehr gut an, Mr. Parker. Daraus könnte vielleicht noch etwas werden.«

»Eine Möglichkeit, Mylady, die in der Tat nicht völlig auszuschließen ist«, antwortete der Butler, »der Mann, der Oberst genannt wird, scheint Genugtuung fordern zu wollen.«

»Drücken Sie mir die Daumen, Mr. Parker.« Sie nickte zufrieden und räkelte sich in der Wagenecke zurecht. »Gegen eine kleine Abwechslung habe ich überhaupt nichts einzuwenden. Ich hasse diese Maulhelden. Ist man auch noch wirklich hinter mir her?«

»In der Tat, Mylady«, lautete Parkers Antwort, »wann beabsichtigen Mylady, den Jeep zu stellen?

»Das überlasse ich völlig Ihnen, Mr. Parker«, erwiderte sie, »ich will mich aber auf jeden Fall ungestört mit den Lümmeln unterhalten.«

»Wäre ein kleines Waldstück genehm?«

»Das ist es, Mr. Parker, wie gut Sie mich inzwischen doch kennen!«

Parker blickte in den Rückspiegel seines hochbeinigen Monstrums, wie sein Privatwagen von Eingeweihten genannt wurde. Dieses Gefährt war zu einer raffinierten Trickkiste auf Rädern geworden, nachdem es nach Parkers Plänen technisch völlig umgestaltet worden war Der Jeep holte auf und schickte sich an, dieses hochbeinige Monstrum zu überholen. Der Beifahrer stand vor seinem Sitz, hielt sich am oberen Rand der Windschutzscheibe fest und schwang zu Parkers Überraschung eine Maschinenpistole.

»Falls Mylady einverstanden zu sein belieben, sollte man es auf einen Test ankommen lassen«, schlug Josuah Parker vor, während der Jeep inzwischen überholte. Schüsse aus der Maschinenpistole hatten die Insassen des Wagens nicht zu befürchten. Das hochbeinige Monstrum war völlig schußfest, was sich selbstverständlich auch auf die Scheiben erstreckte.

»Ich habe aber auch nichts dagegen, wenn Sie den Jeep in den Straßengraben abdrängen«, erwiderte die ältere Dame. Sie blickte interessiert auf die drei Männer, die mit den Fäusten drohten und inzwischen Parkers Wagen überholt hatten.

Der Butler hatte absichtlich darauf verzichtet, die unbändige Kraft des Rennsportmotors unter der Haube auszuspielen. Er wollte herausfinden, was die Männer wollten. Der Jeep holte spielend leicht einen kleinen Vorsprung heraus und stellte sich plötzlich quer zur Fahrbahn. Der Beifahrer sprang heraus und brachte seine Maschinenpistole in den Hüftanschlag. Im Licht der aufgeblendeten Scheinwerfer konnte Parker dies genau ausmachen.

Man befand sich immerhin auf einer normalen Landstraße, und der Butler wunderte sich über die Ungeniertheit der drei Männer. Auf der anderen Seite hatten sie wohl kaum mit anderen Autos zu rechnen. Noch befand man sich auf einer Straße zweiter Ordnung, die kaum befahren wurde.

Parker hielt, als er den Jeep fast erreicht hatte. Er wartete am Steuer, bis der Träger der Maschinenpistole an die Wagentür kam. Dabei beobachtete er die beiden anderen Männer, die in der Dunkelheit verschwunden waren. Wahrscheinlich beabsichtigten sie, sich dem Wagen von der anderen Seite zu nähern.

»Loß, steigen Sie aus!« brüllte der Waffenträger und machte eine entsprechende Geste mit der Waffe, »ein bißchen plötzlich, Mann, sonst mache ich Ihnen Beine.«

»Würden Sie meiner Wenigkeit freundlicherweise den tieferen Sinn dieser Aufforderung mitteilen?« erkundigte sich der Butler durch den oberen Spalt der Wagenscheibe.

»Der Oberst will sich mit Ihnen unterhalten, is’ das klar?«

»Hat man es tatsächlich mit einem richtigen Oberst der britischen Armee zu tun?«

»Der Oberst ist pensioniert, aber das steht jetzt nicht zur Debatte, klar? raus aus dem Schlitten, sonst passiert was!«

»Würden Sie tatsächlich schießen, wenn man höflichst fragen darf?« Während Parker diese Frage stellte, legte seine rechte, schwarz behandschuhte Hand einen kleinen Kipphebel auf dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett um. Damit aktivierte Parker eine Art Verteidigungssystem des Wagens. Seiner Schätzung nach mußten die beiden Männer inzwischen den Wagen erreicht haben. »Ob ich schießen werde, Mann«, brüllte der Mann aufgebracht, »los, raus jetzt!«

In diesem Moment waren zwei spitze Schreie zu vernehmen.

Parker wandte sich um und machte zwei Schatten auf der anderen Seite des hochbeinigen Monstrums aus. Diese Schatten zappelten wie Marionetten an unsichtbaren Drähten und krümmten sich. Sie schienen nachhaltige Schmerzen zu spüren.

Der Waffenträger war irritiert, griff nun seinerseits nach der Türklinke und erlebte genau, was seine beiden Begleiter bereits hinter sich hatten. Ein elektrischer Schlag durchzuckte Hand und Arm, setzte sich fort bis in die Schulter und löste dann im Hirn einen wilden Schmerz aus. Er war derart stark, daß der Mann freiwillig seine Maschinenwaffe wegwarf und sich ebenfalls krümmte.

Parker öffnete die Tür des Wagens, nachdem er den Strom abgestellt hatte, der die Wagentür unter Spannung setzte. Er stieß mit der Spitze seines Universal-Regenschirms die Maschinenpistole unter seinen Wagen und widmete sich dann dem Mann, der sich langsam aufrichtete und seine schmerzende Hand rieb.

»Sie können versichert sein, daß der Schmerz bald nachlassen wird«, beruhigte Parker den Mann, »Sie gehören, wenn man fragen darf, zu den Freunden des Oberst Bingham, wie er wohl heißt?«

»Freunde, Mann?« Der Entwaffnete starrte Parker fast entgeistert an, »wir gehören zu seiner Truppe.«

»Zu seiner Truppe, junger Mann?« Lady Agatha hatte inzwischen ebenfalls den Wagen verlassen und baute sich vor dem Sprecher auf. »Von welcher Truppe reden Sie da?«

»Vom Bingham-Kommando«, lautete die Antwort, »aber mehr kann ich dazu nicht sagen.«

»Sie erwähnten, daß der Oberst sich mit meiner Wenigkeit unterhalten möchte.«

»Der wird Ihnen Manieren beibringen.«

»Mylady würde gern erfahren, wo Oberst Bingham sein Hauptquartier hat?« fragte der Butler und ging auf den Jargon des Militärs ein.

»Der Oberst wohnt auf Bingham-Castle«, kam prompt die Antwort, »das ist nicht weit von hier. Hören Sie, kommen Sie nun mit oder nicht?«

»Was wird sein, wenn man dem Wunsch des Oberst Bingham nicht nachkommen würde?«

»Mann, dann haben wir mächtig viel Ärger«, entgegnete der Mann schon fast treuherzig.

»Wie ist das mit diesem Bingham-Kommando, junger Mann?« schaltete Lady Agatha sich ein, »wieviel Männer dienen unter ihm?«

»Ein gutes Dutze... Äh, ich verweigere jede Aussage, Lady. Ich bin nicht befugt, Aussagen zu machen. Aber Sie können meine Dienstnummer haben.«

»Papperlapapp, junger Mann«, meinte die ältere Dame wegwerfend, »verschonen Sie mich mit diesen Dummheiten. Was werde ich tun, Mr. Parker?«

»Wenn Mylady einen Moment entschuldigen wollen...

Josuah Parker wandte sich um und befaßte sich mit den beiden jungen Männern, die gerade um das Heck des hochbeinigen Monstrums herumjagten und angreifen wollten.

Der Butler machte kurzen Prozeß, hob seinen altväterlich gebundenen Regenschirm, ließ ihn mit einigem Nachdruck zu Boden fallen und wartete, bis der Schirm senkrecht in die Luft stieg. Als das untere Ende des Schirmstocks seine Brusthöhe erreichte, griff er mit der rechten Hand zu und verwandelte das Regendach in eine Nahkampfwaffe. Mit der blitzschnellen Reaktion eines Kendo-Kämpfers setzte er die beiden Männer dann außer Gefecht.

Die beiden Männer, die Ranger-Messer gezückt hatten, machten es sich nach dieser kurzen, aber ungemein intensiven Behandlung auf dem Straßenbelag bequem und nahmen am weiteren Geschehen nicht mehr teil.

Der ehemalige Träger der Maschinenpistole hatte inzwischen einen Kardinalfehler begangen. Als Parker sich abgewandt hatte, war es ihm in den Sinn gekommen, Mylady zu attackieren. Dabei hatte er den perlenbestickten Pompadour der älteren Dame übersehen. Dieser kokette Handbeutel war inzwischen auf seiner Nase gelandet und hatte sie in abenteuerliche Schräglage gebracht.

Myladys sogenannter Glücksbringer hatte wieder mal voll seine Wirkung gezeigt. Das echte Pferdehufeisen nämlich, das sich im Pompadour befand, hatte Myladys Energie sofort an das Riechorgan des Leichtsinnigen weitergereicht.

»Wir fahren sofort zurück, Mr. Parker«, entschied Lady Agatha animiert, »Ich hoffe, Sie widersprechen nicht.«

»Meine Wenigkeit würde sich dies nie gestatten, Mylady«, gab Josuah Parker würdevoll zurück, »Oberst Randolph Bingham scheint in der Tat ein bemerkenswerter Mann zu sein, wie die bisherigen Tatsachen lehren.«

*

»Man dürfte die Zeit hier eingefroren haben«, sagte Parker eine halbe Stunde später und bremste sein hochbeiniges Monstrum. Im Licht der Scheinwerfer waren links und rechts von einem großen Parktor Sandsack-Barrikaden auszumachen, die mit Wellblech überdacht waren. Stacheldrahtrollen sicherten die Sandsack-Wälle gegen ein zu einfaches Übersteigen.

»Das paßt zu diesem verrückten Oberst«, kommentierte die Detektivin dieses militärische Bild, »können Sie Wachen entdecken, Mr. Parker?«

»Erstaunlicherweise nicht, Mylady«, lautete Parkers Antwort, »falls Mylady einverstanden sind, könnte man noch näher heranfahren und die sprichwörtliche Probe aufs Exempel machen.«

»Ob der Oberst schon zu Hause ist?«

»Möglicherweise wartet Oberst Bingham noch im Pub auf die Anlieferung Myladys und meiner bescheidenen Person.« Während Parker sprach, hatte er seinen Privatwagen wieder in Bewegung gesetzt und fuhr langsam näher an das Parktor heran. Wachposten waren noch immer nicht auszumachen. Bingham-Castle machte einen geräumten Eindruck.

Von den drei Männern hatte der Butler sich die Lage von Bingham-Castle genau beschreiben lassen. Die Männer, die zum Bingham-Kommando gehörten, lagen zur Zeit neben ihrem Jeep auf freiem Feld und waren nicht in der Lage, in das Geschehen einzugreifen. Der Butler hatte sich kurz mit seinem Entspannungs-Spray behandelt und konnte sicher sein, daß sie noch eine weitere halbe Stunde schlafen würden.

»Warum halten Sie?« wollte die ältere Dame wissen, »fahren Sie durch bis zum Castle, Mr. Parker. Ich betrachte mich als eingeladen. Immerhin will dieser Oberst sich ja mit mir unterhalten.«

Parker deutete zustimmendes Kopfnicken an und ließ das hochbeinige Monstrum erneut anrollen. Er hatte das Licht abgeblendet und blieb in der Mitte der asphaltierten Zufahrt. Gegen den nächtlichen Himmel waren neben einem kleinen Waldstück die Umrisse von Bingham-Castle bereits auszumachen. Neben einem untersetzten, massiven Turm stand das eigentliche Wohnhaus, das sich durch eine Vielzahl von Essen und Türmchen auszeichnete. Licht war im Haus nicht auszumachen.

Dann tauchten zwei kleine Betonbunker links und rechts von der Zufahrt auf. Sie waren von Laufgräben umgeben und mit Stacheldrahtrollen abgesichert. Parker passierte auch diese Sperre und hatte bald darauf den Vorplatz des Wohnhauses erreicht.

Efeu rankte an den Mauern hoch bis zum Dach. Die unteren Fensterreihen waren gesichert, als hätte man jeden Augenblick mit Bombensplittern zu rechnen. Bis auf kleine Sichtquadrate waren Sandsäcke hochgestapelt. Sie füllten die Fensterhöhlen und schufen ein Bild wie aus den Tagen des Zweites Weltkrieges.

»Das ist ja wie ein Alptraum«, meinte Agatha Simpson kopfschüttelnd, »habe ich es mit einem Psychopathen zu tun, Mr. Parker?«

»Diese Möglichkeit sollte man keineswegs ausschließen, Mylady«, antwortete ihr Butler, »erstaunlich ist die Tatsache, daß dieser Alptraum nicht bewacht wird. Dies muß bestimmte Gründe haben.«

Parker passierte das Wohnhaus und kurvte dann auf eine Remise zu. Hier schaltete er die Scheinwerfer auf volle Lichtstärke und war beeindruckt. Unter dem Dach der Remise standen Armeefahrzeuge aller Art, Lastwagen, Jeeps und sogar einige kleine Kettenfahrzeuge.

»Sehr leichtsinnig«, meinte die Lady, »wo sind denn die Wachen, Mr. Parker? Wie paßt das alles zusammen?«

»Wahrscheinlich nutzt man die Abwesenheit des Oberst Bingham, um sich einige schöne Stunden zu machen, Mylady«, gab Josuah Parker zurück, »man sollte vielleicht aussteigen und die allgemeine Lage noch ein wenig näher sondieren.«

»Folgen Sie mir«, erwiderte Agatha Simpson unternehmungslustig, »ich werde diesen Stützpunkt im Handstreich nehmen, Mr. Parker. Sie werden wieder mal eine Menge lernen.«

*

Es waren sechs Männer, die sich in ihrem Mannschaftsraum systematisch betranken.

Sie saßen an einem langen Tisch und kippten Bier und noch härtere Getränke. An den Wänden des fensterlosen Raumes standen Doppelbetten und einfache Stahlspinde. In einem Ständer entdeckte Josuah Parker Gewehre und Maschinenpistolen.

Der Mannschaftsraum war wie ein Bunker hergerichtet. Dazu gehörte auch die schwere Luftschutztür, die spaltbreit geöffnet war. Durch diesen Spalt spähten Parker und Agatha Simpson.

Der Butler hatte diesen Raum ausgemacht.

Er befand sich hinter der Remise in einem früheren Kartoffelkeller, wie leicht zu bestimmen war. Anlagen dieser Art kannte Parker von anderen Landsitzen her.

»In verhörfähigem Zustand dürften die Männer sich kaum befinden, Mylady«, sagte Parker und beobachtete weiter die Kerle, die Kampfanzüge trugen und sich lautstark und munter benahmen.

»Das paßt mir gar nicht«, erwiderte sie leicht gereizt, »ich will endlich wissen, was hier gespielt wird.«

»Vielleicht können Mylady sich dazu entschließen, auf die Rückkehr des Oberst Bingham zu warten«, schlug der Butler vor.

»Genau das wollte ich gerade sagen«, behauptete sie, »sperren Sie die Lümmel ein, Mister Parker! Sie sollen mir später nicht in den Rücken fallen...«

»Man könnte vielleicht für einen intensiven Kollektivschlaf sorgen, Mylady. Er würde keine sichtbaren Spuren hinterlassen.«

»Um Details kümmere ich mich nicht, Mr. Parker, ich lasse Ihnen da völlig freie Hand.«

Parker griff nach seiner Weste und zog einen völlig regulär aussehenden Kugelschreiber hervor, dessen beide Hälften er gegeneinander verdrehte. Anschließend warf er dieses Schreibgerät durch den schmalen Türspalt in den Bunker und nahm zufrieden zur Kenntnis, daß er vorn unter dem langen Tisch landete.

Mehr brauchte der Butler nicht zu wissen. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, was jetzt passierte. Nicht umsonst handelte es sich bei diesem Kugelschreiber um eine persönliche Entwicklung, die auf seinen umfangreichen Kenntnissen auf dem Gebiet der Chemie und Technik basierte. Aus dem Kugelschreiber entwichen farblose Dämpfe, die sich schnell ausbreiteten und das Schlafbedürfnis jener Personen anregte, die mit diesen Dämpfen in Kontakt kamen. Da der Bunker fensterlos war, reichte ein Kugelschreiber bereits völlig.

Parker schloß die Tür und lüftete in Richtung seiner Herrin die schwarze Melone.

»Innerhalb weniger Minuten dürfte dieses kleine Problem gelöst sein«, kündigte er dann an, »Mylady können sich dann im Herrenhaus umsehen.«

»Und wo finde ich endlich ein Subjekt, das ich verhören kann?« wollte sie ungeduldig wissen.

»Möglicherweise im Haupthaus, Mylady. Wenn meine Wenigkeit vorgehen darf?«

Parker wollte sich gerade in Bewegung setzen, als die schwere Stahltür aufgedrückt wurde. Der Butler und Mylady zwängten sich in eine schmale Nische, die die majestätische Fülle der älteren Dame kaum zu fassen vermochte. Doch der Mann, der jetzt in den schmalen Verbindungsgang trat, hatte nur Augen für die nahe Treppe. Er schwankte, war mehr als unsicher auf den Beinen und mußte sich abstützen.

Dabei streckte er zu seinem Pech die linke Hand aus und ... berührte Lady Agathas Busen.

Sie explodierte förmlich.

Der perlenbestickte Pompadour zuckte hoch und klatschte gegen die Brust des Haltsuchenden. Der Unglückliche verlor sofort jede Stütze und flog gegen die Stahltür zurück. Anschließend rutschte er an ihr zu Boden und rührte sich nicht mehr.

»Haben Sie das gerade mitbekommen?« entrüstete sich Lady Agatha, »dieser Lümmel hat doch tatsächlich versucht, mich unsittlich zu berühren.«

»Mylady verwiesen die Person zu Recht in seine Schranken.«

»Das fehlte noch, eine wehrlose Frau angreifen zu wollen«, meinte sie empört, »ob ich dieses Subjekt verhören soll?«

»Es dürfte vorerst kaum ansprechbar sein«, beantwortete der Butler die Frage, »Myladys Gegenwehr war ungemein nachdrücklich.«

Parker deutete höflich zur Treppe, und seine Herrin ließ sich ablenken. Parker übernahm die Führung, geleitete die ältere Dame ins Freie und steuerte dann die Rückseite des Herrenhauses an. Man hatte es noch nicht ganz erreicht, als plötzlich die Lichtfinger von Auto-Scheinwerfern durch die Nacht stachen.

»Meiner bescheidenen Ansicht nach dürfte Oberst Bingham in sein Hauptquartier zurückkehren«, sagte Josuah Parker, »falls Mylady sich noch ein wenig gedulden, könnten Mylady sich direkt mit dem Kommandeur dieser obskuren Truppe beschäftigen.«

»Wie gut Sie mich doch inzwischen kennen, Mr. Parker.« Sie nickte leutselig. »Genau das ist nämlich meine Absicht.«

Parker, der Behauptungen dieser Art nur zu gut kannte, lächelte noch nicht mal andeutungsweise. Sein Gesicht blieb ausdruckslos und glatt wie das eines ausgekochten Pokerspielers.

*

Vier Männer sprangen aus dem kleinen Mannschaftswagen und bildeten eine Art Spalier. Oberst Randolph Bingham schob sich ein wenig steifbeinig aus dem Fahrerhaus und klemmte sich ein Offiziersstöckchen unter den linken Arm. Dann nickte er zerstreut, als die vier Männer militärisch grüßten.

Wenige Augenblicke später war Oberst Bingham im Herrenhaus verschwunden. Seine Begleiter folgten und dachten nicht im Traum daran, die Haustür zu sichern.

»Der Ausbildungsstand des sogenannten Bingham-Kommandos scheint nicht besonders hoch zu sein, Mylady«, sagte Josuah Parker, »man mißachtet die einfachsten Regeln der Vorsicht.«

»Was ich sofort ausnutzen werde.« Sie setzte ihre Fülle in Bewegung und marschierte ungeniert zum Eingang. Schwungvoll drückte sie die schwere Eichentür auf und schaute sich dann in der großen Halle um.

Parker tat es ihr nach und wunderte sich ebenfalls.

Beherrschend an der rechten Längswand war eine riesige Karte, in die man eine Vielzahl von unverständlichen Einzelheiten eingezeichnet hatte. Davor gab es einen Kartentisch, auf dem sich Kartenmaterial türmte. An den übrigen Wänden standen mit Kriegsmaterial aller Art vollgestopfte Regale. Da gab es Stahlhelme verschiedener Armeen, Gasmasken, Feldflaschen, Uniformteile, Koppel und Orden. Parker machte ferner Handfeuerwaffen aus, Gewehre, kleinkalibrige Minenwerfer, Eier- und Stielhandgranaten und schließlich Panzerfäuste.

Diese Eingangshalle glich einer Mischung aus einem Armee-Museum und einem Waffenlager. Es roch nach Waffenöl, nach Tabak und schalem Bier.

Und dann waren Stimmen zu hören ...

Sie kamen aus einem Seitenzimmer und waren recht laut. Die schnarrende Stimme des Oberst Bingham war deutlich zu vernehmen. Parker setzte sich in Bewegung und steuerte die halb geöffnete Tür an. Lady Agatha folgte ihrem Butler und stolperte dabei über einen Munitionskasten.

»Vorsicht, Mr. Parker«, warnte sie ihren Begleiter und sah ihn mißbilligend an, »Sie machen diese Lümmel doch aufmerksam.«

»Hoffentlich können Mylady meiner Wenigkeit noch mal verzeihen«, sagte Parker, ohne die Gelassenheit zu verlieren.

»Schon gut«, gab sie großmütig zurück, »lassen Sie mich vorgehen, dann wird so etwas nicht noch mal passieren.«

Nein, Fehler konnte sie sich einfach nicht eingestehen. Und sie wußte immer alles besser. Sie verdrehte Tatsachen so lange, bis sie ihr paßten. Außerdem war sie noch rechthaberisch. Doch der Butler schätzte diese dynamische Frau, die sich wie ein großes, verzogenes Kind benahm und ihm jede Möglichkeit einräumte, sich als Amateur-Detektiv zu betätigen.

Oberst Bingham hielt ein Whiskyglas in der Hand und schnarrte.

»Schweinerei, daß noch keine Meldung vorliegt«, sagte er gereizt, »diese beiden Zivilisten müßten doch längst gestellt sein.«

»Vielleicht hat es Schwierigkeiten gegeben«, vermutete einer der vier Männer, die im Halbkreis vor Bingham standen.

»Dulde keine Schwierigkeiten«, schnarrte der Oberst, »Moral der Truppe scheint unter aller Sau zu sein, meine Herren, werde für morgen Übung ansetzen, ist das klar?«

»Glauben Sie wirklich, Oberst, daß dieser Butler das Bier absichtlich verschüttet hat?« fragte ein anderer Begleiter.

»War Provokation«, gab Bingham knapp zurück, »merkte das sofort, meine Herren. Der Feind lauert überall. Setze für morgen noch eine Instruktionsstunde an. Werde mich jetzt zurückziehen. Erwarte sofortige Meldung, sobald beide Zivilisten gebracht werden.«

Bingham salutierte knapp und stakste dann aus dem Raum. Er passierte Lady Simpson und Butler Parker, die neben der Tür hinter einer Schautafel in Deckung gegangen waren. Bingham stieg über die Freitreppe am Ende der Halle hinauf ins Obergeschoß.

Die vier Männer blieben im Raum.

Parker warf einen Blick auf die Männer, die sich mit Getränken versorgt hatten. Sie redeten leise miteinander, lachten verstohlen und halblaut, prosteten sich zu und ließen sich dann in Ledersesseln nieder.

Was sie da sagten, war recht gut zu verstehen. Sie mokierten sich eindeutig über Oberst Bingham, nannten ihn einen alten Trottel, den man nach allen Regeln der Kunst bis aufs Hemd ausziehen mußte. Es war deutlich herauszuhören, daß sie die militärischen Ambitionen ihres Kommandeurs nicht teilten. Ja, sie amüsierten sich über diesen Mann.

»Okay«, sagte schließlich einer der vier, »stürmen wir also morgen wieder mal die Siegfried-Linie. Hoffentlich können wir Bingham ein paar anständige Gegner liefern, sonst macht die Sache überhaupt keinen Spaß.«

*

»Sie haben das Feld natürlich zu früh geräumt, Mr. Parker«, räsonierte Agatha Simpson. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums und war unzufrieden. Parker steuerte seinen Wagen über die schmale Landstraße in Richtung Harlow zurück.

»Meine Wenigkeit muß Mylady eindeutig mißverstanden haben«, gab Josuah Parker zurück, »wollen Mylady nicht Erkundigungen über Oberst Bingham einziehen?«

»Das natürlich auch«, bestätigte sie, obwohl sie daran überhaupt nicht gedacht hatte, »aber ich hätte dieses komische Hauptquartier noch in dieser Nacht ausheben können.«

»Sehr wohl, doch Mylady fürchteten, damit vollendete Tatsachen zu schaffen, die juristisch nicht zu fassen sind.«

»Das war meine Befürchtung«, schwindelte sie, »ich weiß doch längst, daß ich es wieder mal mit einem neuen Fall zu tun habe. Oder sind Sie etwa anderer Meinung?«

»Keineswegs und mitnichten, Mylady«, gab der Butler höflich zurück, »es geht da um einen Hinweis, der ein gewisses Nachdenken auslöst.«

»Völlig richtig, Mr. Parker.« Sie lehnte sich zurück und wartete darauf, daß Parker sich näher erklärte. Er sagte jedoch nichts, was sie irritierte.

»Nun gut, Mr. Parker, und worüber denke ich nach?« fragte sie endlich ein wenig gereizt.

»Über eine gewisse Siegfried-Linie, wenn meine Wenigkeit Mylady richtig interpretiert haben sollte.«

»Über die Siegfried-Linie«, bestätigte sie umgehend, »und was stelle ich mir darunter vor? Jetzt bin ich doch wirklich gespannt, ob Sie tatsächlich Bescheid wissen.«

»Nur in groben Umrissen, Mylady. Meine Wenigkeit geniert sich geradezu, dieses Unwissen Mylady präsentieren zu wollen.«

»Unsinn, Mr. Parker, ich bestehe darauf. Ich werde Ihnen schon rechtzeitig sagen, wenn Sie wieder mal falsch liegen.«

»Mit der Siegfried-Linie oder auch Siegfried-Stellung, Mylady, bezeichnete man eine im Ersten Weltkrieg von den deutschen Truppen begradigte Verteidigungsstellung bei Arras. Im Zweiten Weltkrieg hingegen wurde damit der sogenannte Westwall bezeichnet.«

»Ach ja?« Lady Agatha war tief beeindruckt. Das hatte sie nun doch nicht gewußt. Sie räusperte sich also erst mal, um wieder Fassung zu gewinnen.

»Benötigen Mylady weitere Details?« erkundigte sich Parker.

»Keine Details«, lehnte sie sofort ab, »sie belasten nur unnötig und trüben den Blick für das Ganze. Und warum wundere ich mich nun, daß diese Subjekte von der Siegfriedstellung redeten?«

»Sie redeten von Gegnern, damit man Spaß habe«, führte Josuah Parker weiter aus, »es steht zu befürchten, Mylady, daß man diesen Hinweis ernst nehmen muß.«

»Ich nehme immer alles ernst«, behauptete sie, »und wo finde ich nun diese Siegfried-Linie, Mr. Parker?«

»Möglicherweise auf dem Grund des Bingham-Besitzes, Mylady.«

»Klären Sie das bei Gelegenheit«, sagte die ältere Dame, »ich wüßte es längst, wenn ich dieses komische Hauptquartier ausgeräuchert hätte. Aber Sie waren ja wieder mal anderer Meinung. Ich sollte wirklich nicht so oft auf Sie hören.«

»Harlow, Mylady«, meldete Parker, um keine Antwort geben zu müssen, »haben Mylady besondere Vorstellungen und Wünsche, was Myladys Unterkunft betrifft?«

»Unterkunft? Ich werde hier übernachten?« Sie wunderte sich. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht.

»So interpretierte meine Wenigkeit Mylady«, lautete Parkers höfliche Antwort.

»Nun denn, suchen Sie etwas Hübsches aus«, meinte sie, »aber sorgen Sie dafür, daß ich Informationen über diesen Oberst bekomme, Mr. Parker.«

»Neben jenem Pub, in dem Mylady den Kreislauf zu stärken geruhte, befindet sich ein kleines Hotel, das einen recht gepflegten Eindruck macht.«

»Einverstanden, Mr. Parker, einverstanden! Hauptsache, die Küche ist zufriedenstellend.«

Der Butler verzichtete auf eine Antwort und dachte an die wenigen Worte, die er in Bingham Castle aufgeschnappt hatte. Je mehr er darüber nachdachte, desto sicherer war er sich, daß man es mit einem Mann zu tun hatte, der gefährlich war. Parker fragte sich, wieso solch ein Mann von seiner Umgebung geduldet wurde.

Oberst Randolph Bingham schien über viel Macht zu verfügen, wirtschaftliche Macht, die es ihm gestattete, sich so etwas wie eine Siegfried-Linie zu leisten.

Für den Butler stand es bereits schon jetzt fest, daß solch ein Mann möglichst schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeführt werden mußte.

*

Parker nutzte die wenigen Minuten, bis das Lokal geschlossen wurde. Er erschien noch mal im Pub, nahm am Tresen ein Bier und dann am kleinen Tisch Platz. Der Mann hinter dem Tresen hatte bereits die Sperrstunde ausgerufen und musterte Parker, der so tat, als bemerkte er das nicht.

Schließlich konnte der Betreiber des Pub es nicht länger aushalten und trat an Parkers Tisch.

»Sie sind noch mal zurückgekommen?« fragte er verlegen, um ein Gespräch in Gang zu bringen.

»Lady Simpson sind im benachbarten ›Swan‹ abgestiegen«, erwiderte der Butler, »der Wagen zeigte wenig Neigung, Mylady bis nach London zu bringen.«

»Ein altes Stück«, erwiderte der Barkeeper und meinte wohl Parkers Wagen, »hatten Sie eben nicht einigen Ärger mit dem Oberst?«

»Ein Mißverständnis«, gab Josuah Parker zurück, »es konnte inzwischen aus dem Weg geräumt werden, wie ich hoffe.«

»Sie haben sich wirklich mit Oberst Bingham unterhalten und geeinigt?« staunte der Mann sichtlich.

»Eine Frage der Argumente, wenn Sie so wollen«, lautete Parkers doppeldeutige Antwort, »Oberst Bingham, wie er wohl heißt, scheint ein sehr temperamentvoller Herr zu sein?«

»Das kann man wohl sagen«, pflichtete der Mann ihm sofort bei, »aber er ist ein erstklassiger Gast.«

»Oberst Bingham scheint über erhebliche Barmittel zu verfügen.«

»Arm ist der bestimmt nicht«, lautete die Antwort, »dem gehört fast die gesamte Region.«

»Oberst Bingham beschäftigt sich mit der hier üblichen Landwirtschaft?«

»So ungefähr.« Der Barkeeper schien plötzlich keine Lust mehr zu verspüren, sich weiter mit Parker zu unterhalten. Er nickte dem Butler zu und ging zum Tresen zurück. Parker stand auf, lüftete höflich die schwarze Melone und verließ den Pub. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, drückte er sie wieder vorsichtig auf und beobachtete den Bartender.

Der Mann stand in einem schmalen Durchgang hinter dem Tresen und telefonierte bereits. Genau damit hatte Josuah Parker gerechnet. Wahrscheinlich wurde jetzt Bingham-Castle angerufen und dort mitgeteilt, daß die beiden Durchreisenden im »Swan« abgestiegen waren.

Mehr hatte Parker nicht bezweckt.

Zufrieden mit seiner kleinen Kriegslist, schritt der Butler hinüber zum nahen Hotel und traf dort auf seine Herrin, die sich gerade in ihrem Zimmer frisch gemacht hatte. Sie strotzte förmlich vor Energie und freute sich auf das Dinner.

Da sie strenge Diät hielt, hatte sie sich nur einige Kleinigkeiten bestellt. Nacheinander wurden Roastbeef, Rostbratwürste, eine kleine Fleischpastete, Brot, Käse und schließlich ein warmer Apfelkuchen gereicht. Dazu trank Lady Agatha einen herben Wein und ließ sich zum Abschluß Mokka servieren.

»So, und was unternehme ich jetzt, Mr. Parker?« wollte sie wissen und lehnte sich zufrieden zurück. Parker hatte an ihrem Tisch Platz genommen, worauf sie stets bestand. Der Butler hatte sich mit etwas kaltem Braten begnügt.

»Mylady dürfen mit Überraschungen fest rechnen«, antwortete der Butler höflich. Dann lieferte er seiner Herrin einige Stichworte, die sich auf seinen kurzen Besuch im Pub bezogen.

»Sie glauben wirklich, daß diese Lümmel noch mal auftauchen werden?« fragte sie erfreut.

»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady. Inzwischen dürfte man die sechs Männer im Bunker längst entdeckt haben.«

»Ich glaube, Mr. Parker, ich bin mit Ihnen sehr zufrieden«, deutete die ältere Dame wohlwollend an, »ich werde diesen Subjekten einen heißen Empfang bereiten.«

»Man wird versuchen, Mylady und meine Wenigkeit um jeden Preis zurück nach Bingham-Castle zu bringen.«

»Eine Entführung also, Mr. Parker. So etwas hatte ich schon lange nicht mehr.‹«

»Man könnte den Intentionen des Oberst Bingham zuvorkommen, Mylady.«

»Aha, ich habe also bereits einen speziellen Plan?« fragte sie interessiert.

»Mylady beabsichtigen sicher, Mitglieder des Kommandos bereits vor der Stadt abzufangen.«

»Mit diesem Gedanken spiele ich tatsächlich.« Sie nickte zögernd und tat so, als hätte sie sich mit solch einem Plan bereits beschäftigt.

»Dazu müßten Mylady allerdings umgehend aufbrechen«, redete Josuah Parker weiter.

»Was steht dem entgegen, Mr. Parker?« Sie erhob sich sofort. »Als ehemalige Pfadfinderin bin ich allzeit bereit.«

Parker geleitete Lady Simpson aus dem Hotel zum hochbeinigen Monstrum und öffnete dann den Kofferraum. Er holte eine sehr alt aussehende Reisetasche aus schwarzem Leder hervor und stellte sie auf den Beifahrersitz. Diese Tasche enthielt einige nützliche Utensilien, die Parker auf allen Fahrten grundsätzlich mit sich führte:

Vom Pub aus konnte er nicht beobachtet werden. Parker steuerte seinen Privatwagen erst ein Stück die Straße hinunter, beschrieb dann einen weiten Bogen um das Stadtviertel und näherte sich erst auf Umwegen wieder der Landstraße, die nach Bingham-Castle führte.

Nach seiner Einschätzung kam man noch zurecht.

*

Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum in einen Feldweg bugsiert und so abgestellt, daß schützendes Strauchwerk ihn gegen Sicht verbarg. Er stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite und hielt ein dünnes Seil in der Hand, das mit einem etwa zehn Zentimeter breiten Band verbunden war, das aus einem zähen Stahlgeflecht bestand. Dieses Metallband konnte er mittels des Seils ganz nach Belieben quer über die ganze Breite der Straße ziehen. Es war an einem speziellen Haken befestigt, der unter dem Boden seines Wagens angebracht war.

Das schmale Geflecht hatte es selbstverständlich in sich. Es war gespickt mit Stahldornen, die unweigerlich jeden Autoreifen dazu brachten, die eingegebene Luft entweichen zu lassen.

Parker hatte dem Handschuhfach seines Wagens ein lichtstarkes Nachtglas entnommen und beobachtete die Landstraße. Einige unbeteiligte Wagen hatte er bereits identifizieren können und passieren lassen. Doch dann endlich machte er eine Silhouette auf der Straße aus, die ihm nicht mehr unbekannt war. Es erschien ein Jeep, und in der Optik seines; Fernglases machte er vier Gestalten in diesem kurzen Wagen aus.

Es war soweit...

Die Landstraße war in beiden Richtungen sonst leer. Besser hätte es für Parkers Absichten gar nicht sein können. Er machte sich bereit, die Fahrt des Kommando-Unternehmens jäh zu stoppen. Darüber hinaus war er gespannt, wie sein neu konstruiertes Stahlgeflechtband funktionieren würde. Er hatte es bisher noch nicht ausprobieren können.

Der Jeep jagte heran.

Parker wartete genau den richtigen Zeitpunkt ab, um das Band dann mit dem Seil quer über die Straße zu ziehen. Er legte diese Sperre genau in dem Moment, als der Fahrer es schon von seinem Sitz aus nicht mehr wahrnehmen konnte.

Es funktionierte zu seiner vollen Zufriedenheit.

Die Vorderreifen explodierten förmlich und brachten den Jeep sofort aus dem Kurs. Sekundenbruchteile später entwich auch noch die Luft aus den beiden Hinterreifen. Der Fahrer kurbelte geradezu verzweifelt am Steuer herum und versuchte, den Jeep noch abzufangen, konnte es aber nicht verhindern, daß der Wagen im Straßengraben landete.

Die vier Insassen stiegen gegen ihren erklärten Willen aus und lagerten sich auf einer abschüssigen Wiese. Der Jeep überschlug sich im Zeitlupentempo, rollte auf einen freistehenden Baum zu und legte sich in fast brüderlich zu nennender Geste um ihn. Danach fing der Motor Feuer.

Die vier Männer waren verständlicherweise benommen, doch sonst war ihnen nichts passiert. Sie rafften sich auf, fluchten ausgiebig und äußerten dann wenig freundliche Worte über einen gewissen Oberst Bingham, der ihnen diese verdammte Suppe eingebrockt hätte ...

Parker ließ sich nicht sehen.

Er hatte die Straße bereits überquert, das Panzerband aufgerollt und ausgehakt. Er legte es in den Kofferraum seines hochbeinigen Monstrums, setzte sich ans Steuer und verließ dann den schmalen Feldweg. Er ließ das Wagenlicht erst mal ausgeschaltet, um den vier Männern ein kleines Rätsel aufzugeben. Sie brauchten noch nicht genau zu wissen, was da gerade mit ihnen geschehen war.

»Das war recht ansprechend, Mr. Parker«, kommentierte die ältere Dame das Intermezzo, »und wohin fahre ich jetzt? Ich hatte da einige Absichten.«

»Mylady wollten es bei diesem Zwischenspiel belassen«, antwortete der Butler, »erst bei Tageslicht wollen Mylady sich der bereits mehrfach erwähnten Siegfried-Linie widmen.«

»Der Abend hat doch gerade erst angefangen«, entrüstete sie sich.

»Mit weiteren Zwischenfällen ist durchaus zu rechnen, Mylady«, vertröstete Parker seine Herrin, »Mylady kommen es im Augenblick sicher darauf an, den Oberst Bingham zu verunsichern.«

»Das stimmt allerdings«, entgegnete sie umgehend, »im Hotel werde ich weitere Erkundigungen über ihn einziehen. Dieser Kriegsnarr muß doch bekannt sein wie ein bunter Hund.«

»Eine Feststellung, Mylady, die meine Wenigkeit unterstreichen möchte, wenn es erlaubt ist«, gab Josuah Parker zurück, »die bisherigen Aktivitäten des Mannes konnten sich unmöglich im Verborgenen abspielen.«

»Ein hübsches Feuer«, meinte Agatha Simpson, die durch das Rückfenster schaute. Ihre Stimme klang durchaus zufrieden, »nur schade, daß diesen Subjekten nicht mehr passiert ist. Sie sind eigentlich sehr glimpflich davongekommen.«

*

»Oberst Bingham ist ein Waffennarr«, sagte der Hotelier Lester Dermott. Der etwa fünfzigjährige Mann war groß, schlank und wirkte nervös. Er stand neben Myladys Tisch in der Hotelbar, hatte gerade einige Drinks serviert und war von der älteren Dame ungeniert auf Bingham angesprochen worden.

»Sie drücken sich erfreulich direkt aus, Sir«, stellte Josuah Parker fest. Auf Myladys Drängen hin hatte er sich zu ihr an den Tisch gesetzt, doch seine steife Haltung besagte eindeutig, daß er ihren Wunsch mißbilligte.

»Die meisten Leute hier halten den Mund und sehen weg«, redete Lester Dermott weiter, »offen gesagt, ich würde auch schweigen, wenn ich mein Hotel nicht verkauft hätte. Ich werde in einigen Tagen wegziehen und ein paar Kreuze schlagen.«

»Oberst Bingham scheint demnach nicht sonderlich beliebt zu sein, Sir.«

»Manche halten ihn für einen alten Haudegen, der zu einem Sonderling geworden ist und vergangenen Zeiten nachtrauert«, meinte Dermott, »andere wieder behaupten glatt, er sei verrückt. Ob er beliebt ist? Sein Geld ist beliebt, das dürfte es wohl sein. Bingham glaubt doch, sich alles leisten zu können.«

Butler Parker 176 – Kriminalroman

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