Читать книгу Butler Parker 178 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 4

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Josuah Parker räusperte sich diskret, um die Aufmerksamkeit der Lady Agatha Simpson zu erregen. Sie hatte gerade ihre Gäste verabschiedet und musterte durch ihre Stielbrille die Reste des kleinen Festmahls, das sie an diesem Abend notgedrungen hatte geben müssen. Geschäftsfreunde waren bei ihr zu Gast gewesen, und Lady Agatha, berüchtigt geradezu für ihre Sparsamkeit, war über ihren Schatten gesprungen. Sie hatte sich ein kaltes Büfett ins Haus bringen lassen, das nach ihrer Einschätzung selbstverständlich viel zu teuer war.

Parker räusperte sich erneut, während im Hintergrund erregte Stimmen zu vernehmen waren. In der großen Wohnhalle schienen sich noch oder wieder die Gäste zu befinden, die sich eben erst von der älteren Dame verabschiedet hatten.

»Sehen sie sich das an, Mr. Parker«, sagte Lady Agatha anklagend und deutete mit ihrer Lorgnette auf eine Platte, auf der nur noch traurige Reste eines Bratens auszumachen waren, »die Leute haben sich ja direkt schamlos die Bäuche vollgeschlagen.«

»Myladys Gäste kehrten ins Haus zurück«, meldete Parker höflich und diskret, »es haben sich Dinge ereignet, die man nur als ausgesprochen peinlich bezeichnen kann und sogar muß.«

»Wollen sie sich etwa noch mal über das Büfett hermachen?« grollte die passionierte Detektivin.

»Zwei von Myladys Gästen wurden ihrer Wagen beraubt«, erklärte der Butler gemessen, »es handelt sich um einen Bentley und um einen Rolls Royce.«

»Wie war das?« Sie konzentrierte sich endlich auf ihren Butler.

»Man vermißt zwei Wagen, Mylady, die man nicht gerade als billig bezeichnen kann.«

»Sie sind gestohlen worden?«

»So kann man es selbstverständlich auch ausdrücken, Mylady.« Parker deutete eine knappe, zustimmende Verbeugung an.

»Das darf doch wohl nicht wahr sein.« Sie runzelte die Stirn. »Will man mich etwa für den Schaden haftbar machen, Mr. Parker?«

»Ansprüche dieser oder ähnlicher Art wurden bisher noch nicht angemeldet, Mylady.« Parker trat zur Seite, als seine Herrin ihre majestätische Fülle in die große Wohnhalle bewegte. Sie war eine Dame, die das sechzigste Lebensjahr überschritten hatte, doch sie strahlte noch eine unbändige Energie aus. Lady Agatha war eine vermögende Frau, die sich jedes noch so verrückte Steckenpferd leisten konnte. Sie hielt sich unter anderem für eine geborene Kriminalistin und war gefürchtet wegen ihrer Direktheit.

Agatha Simpson war groß, von stattlicher Fülle und hatte dunkle, schnelle Augen, denen nichts entging. Ihre Gesten erinnerten an die einer exaltierten Schauspielerin, ihre Stimme war mehr als nur baritonal gefärbt.

Als sie die Wohnhalle betrat, stand sie ihren Gästen gegenüber, die plötzlich ihre Luxuswagen vermißten. Es waren Frauen und Männer, die solch einen Verlust durchaus verschmerzen konnten. Deshalb dachten sie auch im Traum nicht daran, Mylady Vorwürfe zu machen.

»Ich fasse diesen Diebstahl selbstverständlich als eine persönliche Beleidigung auf«, stellte Lady Agatha kurz und bündig fest, »ich werde diese Subjekte finden und zur Rechenschaft ziehen. Ist es nicht so, Mr. Parker?«

»Mylady pflegen jeden Kriminalfall zu lösen«, kommentierte der Butler diese Frage. Er war etwas über mittelgroß, fast schlank und das Urbild eines hochherrschaftlichen Butlers bester englischer Schule. Parker hatte das glatte, fast ausdruckslose Gesicht eines professionellen Spielers und war die würdevolle Höflichkeit in Person. Sein Alter war nicht zu bestimmen.

»Es ging natürlich nicht um diese beiden Wagen«, redete die ältere Dame weiter und wandte sich wieder ihren Gästen zu, »man wollte selbstverständlich mich treffen.«

»Eine Herausforderung, die Mylady annehmen werden«, meinte Josuah Parker.

»Bringen Sie sich nicht in Schwierigkeiten«, sagte einer der beiden männlichen Gäste warnend, »wir haben ja schließlich noch gleichwertige Ersatzwagen in unseren Garagen.«

Agatha Simpson musterte die beiden Ehepaare und schüttelte dann energisch den Kopf.

»Sie werden Ihre Wagen zurückbekommen«, prophezeite sie nachdrücklich, »Mr. Parker wird sich dabei um die unwichtigen Details kümmern.«

»Wie Mylady zu wünschen belieben.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an.

»Möglicherweise habe ich bereits schon eine Spur«, hoffte sie, »aber zur Zeit möchte ich darüber noch nicht reden. Das Überraschungsmoment muß auf meiner Seite bleiben.«

»Sollte man nicht vielleicht die Polizei verständigen?« fragte der zweite männliche Gast leichtsinnigerweise. Dafür handelte er sich einen fast vernichtenden Blick der älteren Dame ein.

»Was versprechen Sie sich davon, mein Bester?« fragte sie grollend, »man wird die Anzeige aufnehmen und anschließend die Hände in den Schoß legen.«

Während Parker Kognak servierte, um die Nerven der noch betroffenen Gäste ein wenig zu dämpfen, entwickelte die Detektivin ihren Plan, wie sie sich ihre kommende Auseinandersetzung mit den Autodieben vorstellte. Sie kündigte an, umgehend in die kriminelle Szene zu steigen und erste Ermittlungen aufzunehmen.

»Noch einmal, meine Lieben«, machte sie klar, »es geht nur um mich. Man wollte mich treffen oder sogar verhöhnen. Und so etwas läßt sine Lady Simpson nicht auf sich sitzen. Rechnen Sie bereits in den kommenden Stunden mit ersten Resultaten. Aus Erfahrung weiß ich nur zu gut, wie man solch einen Fall anpackt. Ist es nicht so Mr. Parker?«

»Mylady pflegen sich niemals zu irren«, lautete Parkers höflich-gemessene Antwort. Er war durch keine noch so kühne Behauptung seiner Herrin auch nur andeutungsweise zu erschüttern.

*

Agatha Simpson saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum. Dabei handelte es sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das einen Ehrenplatz in einem Automuseum verdient hätte, was das eckige Aussehen betraf. Doch der erste Eindruck täuschte ungemein. Unter dem schwarzen Blechkleid verbarg sich modernste Technik. Dieser Wagen war nach den Vorstellungen des Butlers aufwendig umgebaut worden md stellte fast so etwas wie eine Trickkiste auf Rädern dar.

Myladys Gäste hatten sich längst von Taxis in ihre luxuriösen Stadtetagen bringen lassen. Agatha Simpson befand sich auf dem Weg in die kriminelle Szene der Millionenstadt London, obwohl es bereits auf Mitternacht zuging. Sie war eine ungeduldige Frau, die immer viele Dinge auf einmal erledigen wollte. Zudem reizte es sie, in dieser Nacht noch tätig zu werden, da die Nachtprogramme der Fernsehstationen ohnehin nichts boten, was sie interessiert hätte.

»Und zu wem fahre ich jetzt?« erkundigte sie sich in Richtung Parker, der steif und würdevoll am Steuer saß.

»Falls meine Wenigkeit Mylady richtig verstand, wollen Mylady einen privaten Nachtclub besuchen«, antwortete der Butler, »in diesem Nachtclub pflegen sich besonders interessante Mitglieder der Unterwelt einzufinden.«

»Das hört sich aber sehr gut an«, fand die ältere Dame und nickte wohlwollend, »und wo befindet sich dieser Nachtclub?«

»Im Stadtteil Chelsea, Mylady. Der Betreiber des Clubs ist ein gewisser Bernie Craine, der dafür bekannt ist, daß er besonders interessante kriminelle Aktionen finanziert.«

»Er wird es bald nicht mehr tun«, prophezeite sie unternehmungslustig, »ich werde dieses Subjekt zur Ordnung rufen.«

»Mr. Bernie Craine läßt sich von äußerst handfesten Männern betreuen, Mylady«, warnte Josuah Parker, »in Kreisen der Unterwelt hat er engagierte Gegner.«

»Warum will man ihm an den Kragen, Mr. Parker?«

»Mr. Bernie Craine pflegt seine Klienten gern zu betrügen und zu übervorteilen.«

»Natürlich hat er diese Autodiebe zu mir nach Shepherd’s Market geschickt«, wußte die ältere Dame wieder mal genau.

»Mr. Bernie Craine könnte zumindest wissen, wer diese Diebe geschickt hat.«

»Sie haben mich neugierig gemacht, Parker.« Sie ließ sich wieder in die Rückpolster sinken und hing ihren Gedanken nach. Dann kam ihr plötzlich eine Idee.

»Wird in diesem Nachtclub gespielt?« erkundigte sie sich.

»Mylady denken sicher an Glücksspiele diverser Art?«

»Natürlich«, meinte sie, »ich könnte ja vielleicht die Unkosten wieder hereinholen, die ich mit dem Abendessen hatte.«

»Solch eine Möglichkeit wird sich wahrscheinlich ergeben, Mylady.« Parker wußte nur zu genau, daß seine Herrin diese Ausgaben noch längst nicht verschmerzt hatte.

»Erinnern Sie mich an ein nettes Spielchen«, sagte sie nachdrücklich, »eine Frau wie ich muß jede Möglichkeit nutzen, um ein paar Pennies zu verdienen.«

Parker verzichtete auf eine Antwort und konzentrierte sich auf die Fahrbahn. Auch er dachte an den Diebstahl der beiden Luxuswagen und konnte sich kaum vorstellen, daß es sich dabei um eine Gelegenheitsarbeit gehandelt hatte. Seiner Ansicht nach waren die beiden Wagen gezielt gestohlen worden. Und das konnten nur Kriminelle getan haben, die solche Wagen auch wieder abzusetzen vermochten.

»Der Privatclub«, meldete Parker nach einer kleinen Weile. Er fuhr mit dem hochbeinigen Monstrum an einem Baldachin vorüber, der von einer normalen Haustür bis an den Bordstein führte. Rechts von der völlig glatten und schmucklosen Tür war ein kleines Bronzeschild angebracht, das den Namen des Clubinhabers zeigte. Sonst deutete nichts auf einen privaten Nachtclub hin.

»Kein Parkplatz, keine Autos?« fragte Lady Agatha enttäuscht.

»Die Wagen dürften in einer Sackgasse links der Häuserzeile stehen«, erwiderte der Butler, »sie werden wahrscheinlich diskret und gut bewacht.«

»Diesen Parkplatz werde ich mir später ansehen«, erwiderte Agatha Simpson.

»Möglicherweise umgehend, Mylady?« fragte Josuah Parker, »man könnte und sollte den Privatclub vielleicht durch einen Seiteneingang betreten. Mylady hätten dann den Vorzug, überraschend in Erscheinung treten zu können.«

»Genau das wollte ich natürlich gerade vorschlagen«, lautete ihre Antwort, obwohl sie von der Sackgasse und einem Seiteneingang nichts gewußt hatte. Aber um nichts in der Welt hätte sie so etwas zugegeben.

Parker bremste leicht seinen Wagen und fuhr in die Sackgasse. Nach wenigen Metern hielt er vor einem Schlagbaum, hinter dem ein großer, breitschultriger Mann stand, der einen fußlangen Mantel und eine Art Militärmütze trug.

Als das hochbeinige Monstrum stand, kam der Mann um den Schlagbaum herum, salutierte und beugte sich zu dem Wagenfenster hinab.

»Man erlaubt sich, einen wunderschönen Abend zu wünschen«, grüßte Josuah Parker gemessen und höflich, nachdem er das Seitenfenster herabgelassen hatte, »würden Sie freundlicherweise einen prüfenden Blick auf diesen Gegenstand in meiner Hand werfen?«

Der Mann nickte und beugte sich noch weiter vor. Er hätte es besser nicht getan!

*

Parker drückte auf den Knopf der kleinen Sprayflasche in seiner Hand. Worauf der Mann zurückfuhr und hustete. Dann langte er in die rechte Tasche seines fußlangen Mantels und schniefte. Mit der linken Hand wischte er sich durch das feucht gewordene Gesicht, vergaß darüber, was er aus seiner Manteltasche hervorziehen wollte, lachte unvermittelt entspannt und heiter, wischte erneut durchs Gesicht und rieb sich so, ohne es zu wollen, den Spray noch intensiver in die Augen, die bereits nachdrücklich tränten.

»Hatten Sie eventuell die Absicht, eine Schußwaffe zu ziehen?« fragte der Butler, während er ausstieg. Er stand dicht vor dem Schrankenwärter und langte mit der rechten Hand in die bewuße Manteltasche.

Diese Hand, die von einem schwarzen Lederhandschuh umgeben war, bewegte sich dabei recht geschmeidig. Die Finger fanden tatsächlich eine Schußwaffe, die Sekunden später in Parkers Manteltasche verschwand.

»Mr. Craine hat Besuch?« erkundigte sich Parker.

»Eben gekommen«, antwortete der Mann lächelnd und machte dabei einen etwas versonnenen Eindruck, »zwei tolle Typen sind da bei ihm, aber die kenn’ ich nicht.«

»Sie sollten sich jetzt ein wenig der Ruhe hingeben«, schlug Parker dem Mann vor, »die Nacht ist noch sehr lang, wie ich bemerken möchte.«

»Ich hau’ mich in meinen Glaskasten«, meinte der Schrankenwärter und deutete auf einen Verschlag, der hinter einem Mauervorsprung in Teilen auszumachen war. Dann setzte er sich in Bewegung und war bald darauf verschwunden.

»Sie haben wieder mal Zeit verschwendet, Mr. Parker«, ließ Agatha Simpson sich vernehmen, nachdem der Butler ihr die hintere Wagentür geöffnet hatte, »ich hätte so etwas anders und schneller erledigt.«

Sie ließ ihren perlenbestickten Pompadour pendeln, einen Handbeutel an langen Schnüren, wie ihn die Damen um die Jahrhundertwende trugen. Sie meinte allerdings eindeutig ihren sogenannten Glücksbringer im Pompadour, nämlich ein echtes, großes Pferdehufeisen, das nur oberflächlich in dünnen Schaumstoff gewickelt war.

»Mylady werden mit einiger Sicherheit noch sehr nachdrücklich werden müssen«, entgegnete der Butler, »wenn es gestattet ist, wird meine Wenigkeit vorausgehen.«

Er wartete die Erlaubnis allerdings nicht ab, sondern setzte sich in Bewegung. Parker kannte sich hier in etwa aus. Vor Jahresfrist war er schon mal in diesem Club gewesen und hatte dabei Ortskenntnisse gesammelt. Lady Agatha folgte energisch. Man sah es ihr deutlich an, daß sie darauf brannte, sich endlich mal wieder betätigen zu können.

Parker hatte einen Seiteneingang erreicht, der selbstverständlich geschlossen war. Für ihn war das jedoch kein Hinderungsgrund. Mit seinem Spezialbesteck, das oberflächlich an das eines passionierten Pfeifenrauchers erinnerte, brachte Parker das Yale-Schloß dazu, sich umgehend zu öffnen. Parker drückte die Tür auf und betrat einen schmalen Korridor, der mit einem Teppichläufer ausgelegt war. Man hörte leise Musik aus der Tiefe des Hauses, wenig später das Klirren von Gläsern und Geschirr. Parker und Lady Agatha passierten eine nur angelehnte Tür, die den Blick in die Küche des Privatclubs gestattete. Nachdem sie eine vierstufige Treppe hinter sich gebracht hatten, erreichten sie eine Art Lichthof, auf den einige Türen mündeten. Die Musik war jetzt besser zu hören.

Josuah Parker hielt auf eine der Türen zu und zuckte mit keiner Wimper, als sie plötzlich geöffnet wurde. Ein drahtiger Mann, vielleicht dreißig Jahre alt in tadellos geschnittenem Smoking blieb überrascht stehen und musterte Parker und Lady Agatha.

»Wo kommen Sie denn her?« fragte er.

»Kann man davon ausgehen, daß Sie schweigen können?« stellte Parker die Gegenfrage, während er höflich die schwarze Melone lüftete.

»Natürlich kann ich schweigen«, reagierte der junge Mann verblüfft.

»Meine Wenigkeit ebenfalls«, betonte Josuah Parker und ... setzte dann die Wölbung seiner Kopfbedeckung auf die Stirn des Mannes. Da die Melone mit Stahlblech gefüttert war, rutschte der Getroffene wieder gegen die Tür, öffnete sie ungewollt und war dann nicht mehr in der Lage, weitere Fragen zu stellen.

*

Die drei beleibten Männer in einem komfortabel eingerichteten Büro nahmen erst mit einiger Verspätung wahr, daß sich Besuch eingestellt hatte. Bernie Craine, dick, groß und mit einer Halbglatze versehen, stemmte sich aus seinem Ledersessel und blickte Parker völlig irritiert an. Die beiden anderen Männer, gut und gern einen Kopf kleiner, waren nur neugierig. Sie hatten eindeutig keine Ahnung, wer Josuah Parker war. Auch der Butler hatte die glatten, geröteten Gesichter vorher noch nie gesehen.

»Parker?« fragte Bernie Craine.

»Meine bescheidene Wenigkeit erlaubt sich, Sie, Mr. Craine, Lady Simpson vorzustellen.«

»Lady Simpson?« Bernie Craine hüstelte nervös. Dieser Name schien ihm einiges zu sagen. Die beiden anderen Männer hingegen glaubten wohl an einen Scherz.

»Woher hast du denn diese Ulknummern, Bernie?« fragte der kleinere der beiden Männer.

»Die sind ja direkt variétereif«, urteilte der zweite Gast und lachte schallend.

»Meinen Sie mich?« erkundigte sich die ältere Dame. Ihr perlenbestickter Pompadour geriet in leichte Schwingung.

»Klar doch, altes Mädchen«, erwiderte der Kleinere und lachte ebenfalls hemmungslos. Lady Agatha nickte erfreut ob dieser Antwort, schob ihre majestätische Fülle vor und ... verabreichte dem Lachenden eine ihrer gefürchteten Ohrfeigen.

Der so Behandelte flog fast aus dem Ledersessel und lachte nicht mehr.

»Sagten Sie altes Mädchen zu mir?« fragte Agatha Simpson den zweiten Gast.

»Ich ... ich hab’ kein Wort gesagt«, behauptete der Mann und hob abwehrend die Hände, dabei zog er unwillkürlich den Kopf ein. Doch dann jaulte er gequält auf. Lady Agatha hatte die Spitze ihres linken Schuhs gegen das rechte Schienbein des Mannes gesetzt.

»Wagen Sie es nicht noch mal, eine wehrlose Frau zu beleidigen«, warnte Agatha Simpson die beiden Männer, »ich könnte sonst nämlich ärgerlich werden.«

»Guter Gott, was haben Sie da getan?« Bernie Craine war kreidebleich und rang die Hände, »das sind... Äh... Also wissen Sie, Lady, es sind meine Gäste.«

»Wer sind die beiden Subjekte?« wollte die Detektivin umgehend wissen.

»Eine baldige Antwort wäre angebracht«, schaltete Josuah Parker sich höflich ein.

»Zwei Besucher aus den Staaten«, erwiderte Bernie Craine hastig, »ich kenne ihre Namen noch nicht und ...«

»Sie haben die Stirn, mich belügen zu wollen?« Agatha Simpson klatschte ihren Pompadour auf die Brust des Nachtclubbetreibers. Bernie Craine atmete daraufhin zischend aus und wurde in den Sessel zurückgeworfen. Dann schnappte er nach Luft und fingerte nach seiner Brustpartie. Er hatte das Gefühl, von einem auskeilenden Pferd getroffen worden zu sein.

»Hale Brady und Lefty Sonteff«, stöhnte Craine, »sie wollen hier in London einen Club aufmachen.«

»Sie wollen nicht zufällig gestohlene Autos aufkaufen?« fragte die ältere Dame ungewöhnlich freundlich. Sie verzichtete wieder mal auf jede Einleitung und kam sofort zur Sache.

»Gestohlene Autos?« Craine zwinkerte nervös. »Wie kommen Sie denn darauf?«

»Mr. Parker wird Ihnen die Einzelheiten mitteilen, mein Bester.« Die ältere Dame hatte Flaschen und Gläser auf einem Beistelltisch entdeckt und bediente sich umgehend. Sie entschied sich für einen doppelten Brandy. Die Besucher aus den Staaten blickten völlig konsterniert auf die Gäste. Sonteff, der kleinere der beiden Männer, strich vorsichtig über seine brennende Wange, Brady massierte sein schmerzendes Schienbein. Bernie Craine tastete sich mit der linken Hand vorsichtig an eine auf dem Schreibtisch angebrachte Klingel heran.

»Mylady würde es mit Sicherheit als einen unfreundlichen Akt betrachten, Mr. Craine, falls Sie die Klingel betätigen sollten«, erklärte Josuah Parker höflich, worauf Craine hastig seine Hand zurückzog und sich zum Ausgleich mit seiner leicht geprellten Brustpartie befaßte.

»Sie also lassen Luxuswagen stehlen«, schaltete die Detektivin sich ein, die nachhaltig ihren Kreislauf gestützt hatte. Ihre Wangen färbten sich rosig. Sie blickte streng auf Craine.

»Ich habe keinen blassen Schimmer, wovon Sie eigentlich reden«, antwortete der Betreiber des Nachtclubs schnell.

»Mylady geht davon aus, Mr. Craine, daß Sie Personen kennen, die in diesem Gewerbe tätig sind«, fügte der Butler hinzu, »und dazu sollten Sie sich vielleicht ein wenig ausführlicher äußern.«

»Wagen werden doch immer gestohlen«, meinte Craine, »das ist ein alter Hut.«

»In diesem speziellen Fall scheint man es jedoch auf Luxuswagen abgesehen zu haben, von denen als sicher anzunehmen ist, daß sie ihre Käufer finden werden.«

»Ich ... Ich könnte mich ja vielleicht mal umhören«, schlug Bernie Craine vor.

»Mit einem Namen und der entsprechenden Adresse wäre Mylady bereits gedient«, antwortete der Butler.

»Oder soll ich noch mal beleidigt werden?« erkundigte sich Lady Agatha hoffnungsfroh und versetzte ihren Pompadour erneut in leichte Schwingung.

»Jimmy Stoker«, gab Craine schleunigst zurück, »aber von mir haben Sie den Namen nicht. Ich habe kein Wort gesagt. Ich weiß von nichts.«

»Und wo kann Mylady besagten Mr. Jimmy Stoker finden?« lautete Parkers nächste Frage.

»Auf der anderen Seite der Themse, in Lambeth«, erwiderte Craine, »in der Nähe vom Hospital. Stoker hat da einen Lkw-Verleih.«

»Verdammt, was ist hier eigentlich los?« fragte der Mann aus den Staaten, der Sonteff hieß.

»Das hier alles kann doch nicht wahr sein«, wunderte sich sein Begleiter der laut Craine Hale Brady hieß.

»Sie hatten soeben die Ehre, Lady Simpson kennenlernen zu dürfen«, sagte Josuah Parker gemessen, »Sie sollten sich dieses Vorzugs bewußt sein.«

»Wollen Sie mich vielleicht noch mal angreifen?« fragte die ältere Dame.

»Kein Gedanke daran, Lady Simpson«, warf Bernie Craine hastig ein, »ich sag’ das auch für meine Besucher.«

»Schade, sehr schade«, erwiderte die ältere Dame, »Mr. Parker, wäre da sonst noch etwas?«

»Mylady verfügen über alle Informationen, die zur Zeit benötigt werden«, erklärte Josuah Parker, »zu einem späteren Zeitpunkt können Mylady ja durchaus noch mal zurückkommen.«

»Mit Vergnügen«, lautete ihre Antwort, »ich weiß bereits jetzt, daß ich mich hier nie langweilen werde.«

*

»Natürlich sind die beiden Lümmel aus den Staaten die Aufkäufer der gestohlenen Luxuswagen, Mr. Parker«, behauptete Agatha Simpson fünf Minuten später. Sie saß wieder im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und hatte den Fall aus ihrer Sicht bereits gelöst.

»Ein reizvoller Gedanke, Mylady«, kommentierte der Butler höflich die Feststellung seiner Herrin.

»Ich hätte die beiden Subjekte zu mir ins Haus einladen sollen«, redete Lady Agatha munter weiter. »Dort hätte ich mich dann in aller Ruhe mit ihnen unterhalten können.«

»Mylady verzichteten jedoch darauf, um diesem erwähnten Mr. Jimmy Stoker einen Besuch abzustatten.«

»Richtig, da gibt es ja noch diesen Straker«, sagte sie und bewies damit, daß sie sich wieder mal einen Namen nicht merken konnte.

»Stoker, Mylady, Jimmy Stoker«, korrigierte Parker geduldig. Er kannte ihre Schwäche.

»Wie auch immer, Mr. Parker«, Ihre Stimme nahm einen ungeduldigen Klang an. »Also gut, vielleicht finde ich dort bereits die beiden gestohlenen Wagen.«

»Mit Überraschungen ist stets zu rechnen, Mylady. Mr. Craine könnte die bewußte Adresse absichtlich genannt haben, um Mylady in eine Falle zu locken.«

»Dann wird dieser Lümmel aus dem Nachtclub aber noch einiges erleben«, gab Agatha Simpson munter zurück, »so etwas würde ich mir nie bieten lassen.«

Ein Gefühl für Gefahr war Lady Agatha unbekannt. Sie konnte es sich einfach nicht vorstellen, daß ihr ernstlich etwas passierte. Sie hielt es einfach für selbstverständlich, daß man sie respektierte.

Für Butler Parker lagen die Dinge selbstverständlich nicht so klar wie für Lady Simpson. Gewiß, seiner Ansicht nach waren die beiden Besucher aus den Staaten eindeutig Gangster, doch sie hatten wohl kaum etwas mit den gestohlenen Luxuswagen zu tun. Und auch ein Bernie Craine würde sich niemals die Blöße geben, unmittelbar mit den Autodieben zusammenzuarbeiten. Dazu war dieser Mann einfach zu gerissen. Er agierte aus dem Hintergrund und hielt sich stets bedeckt. Bernie Craine war bisher nie ein unnötiges Risiko eingegangen.

»Werde ich bereits verfolgt?« lautete Myladys nächste Frage. Parker hatte bereits mit ihr gerechnet.

»Bisher vermochte meine Wenigkeit keinen auffälligen Wagen auszumachen, Mylady.«

»Das ist eigentlich eine Frechheit«, grollte die ältere Dame.

»Man könnte Mylady in der Firma des Mr. Jimmy Stoker erwarten.«

»Wer ist Jimmy Stoker?« Sie hatte wieder mal den Namen vergessen.

»Der Verleiher von Lastwagen, dessen Adresse Mr. Craine nannte.« Parkers höfliche Geduld war einfach nicht zu erschüttern.

»Die Dinge passen haargenau ineinander«, redete Agatha Simpson munter weiter. »Ich habe natürlich bereits über Einzelheiten nachgedacht, Mr. Parker, und weiß jetzt, nach welcher Methode die Auto-Gangster arbeiten.«

»Mylady sehen in meiner Wenigkeit einen äußerst interessierten Zuhörer.«

»Die gestohlenen Wagen werden zu diesem Lkw-Verleih gebracht, dort umgespritzt und dann mit falschen Papieren in irgendeinen kleinen Hafen gebracht, von wo aus man sie hinüber auf den Kontinent schafft.«

»Mylady dürften mit dieser Theorie bereits den oft zitierten Nagel auf den Kopf getroffen haben.«

»Ich weiß, ich weiß.« Sie lächelte wohlwollend. »Mir kann man eben nichts vormachen. Übrigens habe ich vor einigen Wochen einen Kriminalfilm im Fernsehen gesehen, in dem man ähnlich vorging.«

»Das Problem besteht in der Tat darin, die gestohlenen Luxuswagen außer Landes zu schaffen«, erklärte Josuah Parker, »nur auf dem Kontinent oder im noch weiter entfernten Ausland dürften diese Wagen abzusetzen sein.«

»Ich sehe alles ganz deutlich vor mir«, behauptete Lady Agatha, »um die Details, Mr. Parker, dürfen Sie sich kümmern. Ich lasse Ihnen da wieder völlig freie Hand. Für Sie muß es doch eine Kleinigkeit sein, den Verladehafen ausfindig zu machen.«

»Meine Wenigkeit wird sich immer strebend bemühen, Mylady. Vielleicht sollte man aber vorher noch herausfinden, ob es sich bei dem Diebstahl der beiden Wagen tatsächlich nicht nur um einen Einzelfall handelt.«

»Gut, Mr. Parker, auch das dürfen Sie noch übernehmen«, entschied sie, »auch Sie sollen mal ein Aha-Erlebnis haben. Ich gönne es ihnen von Herzen.«

»Mylady sind wieder mal zu gütig.«

»So ist meine Natur, Mr. Parker. Übrigens, werde ich noch immer nicht verfolgt?«

»Man scheint Mylady in Sicherheit wiegen zu wollen«, erwiderte der Butler höflich.

»Das wird es sein.« Sie war beruhigt. »Aber man wird sich wundern, Mr. Parker. Als ehemalige Pfadfinderin bin ich allzeit bereit.«

Parker hielt es für angebracht, darauf nicht näher einzugehen. Ihm war allerdings klar, daß wieder ein mittelgroßes Chaos auf ihn wartete.

*

Das zweiflügelige Tor im Bretterzaun war weit geöffnet und lud förmlich zum Nähertreten ein. Am hinteren Ende des großen Platzes war eine Lagerhalle auszumachen. Im ersten Stock waren einige Fenster beleuchtet. Selbst nach Mitternacht schien man in Jimmy Stokers Betrieb noch zu arbeiten.

Vor der Lagerhalle und rechts davon in Parktaschen standen Lastwagen aller Art, schwere Krangeräte, Spezial-Schwertransporter und kleinere Kastenlieferwagen. Jimmy Stokers Betrieb machte einen durchaus seriösen Eindruck. Hier schien man nichts verbergen zu wollen. Peitschenlampen erhellten den Parkplatz.

»Nun, Mr. Parker, was halte ich davon?« erkundigte sich Lady Agatha. Der Butler hatte sein hochbeiniges Monstrum vor dem Tor gestoppt, damit man sich einen ersten Überblick verschaffen konnte.

»Die Firma Stoker macht einen durchaus seriösen Eindruck, Mylady.«

»Dieser Eindruck täuscht natürlich«, gab sie zurück, »in der Lagerhalle ist man schon dabei, die beiden gestohlenen Wagen umzufrisieren.«

»Mylady beabsichtigen, einen prüfenden Blick in die Lagerhalle zu werfen?« erkundigte sich Josuah Parker.

»Worauf warten Sie noch, Mr. Parker?« Sie nickte nachdrücklich und machte sich einsatzbereit. Dann prüfte sie den sogenannten Glücksbringer im Pompadour und griff nach den beiden Hutnadeln, die das skurrile Modegebilde in ihrem Haar festhielten. Sie erinnerten an kleine Bratspieße.

Josuah Parker hatte den Gang eingelegt und fuhr auf das Grundstück. Im Rückspiegel beobachtete er das Tor und wartete eigentlich darauf, daß es sich schloß. Erstaunlicherweise war dies aber nicht der Fall.

Vor dem Lagerhaus angekommen, hielt Parker und blieb am Steuer sitzen.

»Worauf warte ich denn jetzt?« erkundigte sich Agatha Simpson grollend.

»Man müßte das Nahen des Wagens unbedingt wahrgenommen haben, Mylady«, gab Josuah Parker zurück, »nach Lage der Dinge müßte recht bald ein Mitarbeiter der Firma erscheinen.«

»Ich lasse mich überraschen.« Sie lehnte sich wieder zurück. »Ich habe gute Nerven und kann warten.«

Parker setzte natürlich auf die Schußsicherheit seines Wagens. Mit normalen Feuerwaffen konnte man gegen Insassen nichts ausrichten. Dieser Schutz hatte sich in der Vergangenheit schon häufig bewährt und Leben erhalten.

Die Sekunden verstrichen, und Lady Agatha bewies recht bald, wie einmalig gut ihre Nerven waren. Sie räsonierte, als sich nichts tat, wollte aussteigen und die Lagerhalle stürmen, doch Parker brachte sie dazu, weiter sitzen zu bleiben. Als eine Minute vergangen war, wurde Agatha Simpson ärgerlich.

»Diese Subjekte haben Zeit, wichtige Spuren zu verwischen«, mäkelte sie aufgebracht, »Mr. Parker, Sie begehen wieder mal einen Kardinalfehler.«

»Für den meine Wenigkeit sich bereits jetzt entschuldigen möchte«, erwiderte der Butler. Bevor er noch etwas hinzufügen konnte, fiel plötzlich ein Lichtschein in das Halbdunkel vor dem Lagerhaus. Eine Tür war weit geöffnet worden. Ein untersetzter Mann, der von einem Wachhund begleitet wurde, trat ins Freie und näherte sich dem hochbeinigen Wagen.

»Es geht eben nichts über starke Nerven«, meinte die Detektivin selbstzufrieden, »meiner Geduld ist man nicht gewachsen.«

»Mylady sind in allen Lebenslagen ein Vorbild«, behauptete Josuah Parker und blickte in den Außenspiegel. Er hatte den Eindruck, daß hier eine Art Ablenkungsmanöver inszeniert wurde. Der Mann mit dem Wachhund sollte die Aufmerksamkeit auf sich lenken, damit andere Personen sich an den Wagen pirschen konnten.

Und Parker hatte sich nicht getäuscht ...

Zwei Gestalten waren bereits hinter dem hochbeinigen Monstrum auszumachen, die höchstens noch vier bis fünf Meter vom Wagenheck entfernt waren. Sie hatten sich geduckt und fühlten sich eindeutig unbeobachtet. Für den Butler war es klar, daß er etwas unternehmen mußte. So legte er einen der vielen Kipphebel auf dem reichhaltig bestückten Armaturenbrett um, nachdem er eine Zentralsicherung unter dem Wagenboden gelöst hatte. Unmittelbar nach der Betätigung dieses Hebels war eine Art dumpfer Abschuß zu vernehmen. Aus zwei Düsen unter dem Heck des Wagens schossen pechschwarze Wolken hervor, die die beiden Gestalten völlig einhüllten. Zwei bis drei Sekunden später war bereits ein erstes Husten zu vernehmen, das durchaus gequält und verzweifelt klang.

*

Der Schäferhund bellte hysterisch und riß an der Leine, die der Mann in beiden Händen hielt. Das Tier war wie von Sinnen und zeigte sein ausgeprägtes Gebiß. Dann riß es sich los und jagte auf den Wagen zu.

Parker hatte das Fenster an seiner Seite ein wenig abgesenkt und wartete darauf, daß der Hund die Schnauze in den Fensterspalt zwängte. Der Butler hatte bereits eine kleine Spraydose aus einer seiner vielen Westentaschen geholt und war bereit, einen eventuell aufkommenden Schnupfen des Vierbeiners prophylaktisch zu behandeln.

Bei der Spraydose handelte es sich um ein medizinisches Gerät, das es in jeder Apotheke zu kaufen gab. Es war kaum größer und stärker als ein Einweg-Feuerzeug und stammte aus Parkers privatem Labor. Der Inhalt der Dose bestand aus einer Flüssigkeit, die die Schleimhäute von Nase, Mund und Augen reizte. Gesundheitlich war dieser Stoff aber mit Sicherheit unbedenklich.

Der Schäferhund hatte sein Ziel bereits erreicht, sprang am Wagen hoch und nahm Witterung auf. Er entdeckte den Fensterspalt und tat genau das, worauf Josuah Parker gewartet hatte. Das Tier fletschte noch mal bedrohlich die Zähne, schob dann gierig die Schnauze durch den Spalt und schnappte mit verdrehtem Kopf zu. Parker hörte das Klicken und Knirschen der Zähne.

Einen Augenblick später machte der Hund einen etwas irritierten Eindruck. Parker hatte ihm eine Dosis seines Spezial-Sprays verabreicht, und sich dabei fast liebevoll um das Riechorgan des kläffenden Wachhundes konzentriert. Der Vierbeiner war zurückgewichen, setzte sich auf die Hinterläufe und wischte sich zuerst mit der linken, dann mit der rechten Pfote über die Nase, um sich eines starken Kitzels zu erwehren.

Der Hundeführer rief Kommandos, versuchte angestrengt, den Schäferhund erneut zu motivieren, doch das Tier schien den Mann nicht zu hören. Es wischte sich inzwischen ein wenig ugelenk die Augen und stieß dabei hechelnde Töne aus.

»Wann kann ich denn endlich austeigen?« fragte Lady Agatha grölend, »ich will mir das Lagerhaus ansehen, Mr. Parker.«

»Mylady wollen sicher noch warten, bis der Hundeführer seine Schußwaffe gezogen hat«, erwiderte der Butler höflich, »mit dieser Reaktion ist nämlich noch zu rechnen.«

Parkers Vermutung bestätigte sich umgehend.

Der Mann, der bei seinem Vierbeiner nichts mehr ausrichten konnte, bastelte an einer Halfter herum und mühte sich, die darin steckende Pistole zu ziehen. Parker, der um den Lack seines Wagens fürchtete, löste das kleine Problem auf seine spezielle Art.

Er hatte längst in die Ziertuchtasche seines schwarzen Zweireihers gegriffen und den sogenannten Seestern hervorgezogen. Dabei handelte es sich um die erstaunlich naturgetreue Nachbildung eines echten. Fünf lange, schlangengleiche Arme umstanden einen handtellergroßen Körper, der aus Weichgummi bestand. Diese Arme, ebenfalls aus diesem Stoff, hingen noch schlaff und ungeordnet herunter, gerieten jedoch in eine erstaunlich schnelle Rotation, als Parker den Seestern aus dem Handgelenk in Richtung des Wachmannes schleuderte. Einen Moment später klatschte der Weichgummikörper gegen den Hals des völlig verdutzten Mannes. Die langen Arme des Seesternes schlangen sich um das Genick des Getroffenen und bildeten eine Art Manchette, die den gesamten Hals umspannte.

Vor lauter Schreck gab der Wachmann den Versuch auf, weiter nach seiner Schußwaffe zu langen. Automatisch griff er nach dem Hals. Er fühlte sich gewürgt, hatte ein scheußliches Gefühl auf der Haut und glaubte ersticken zu müssen.

Dabei griffen seine Finger in winzig kleine Dornen, die ihrerseits mit noch kleineren Widerhaken versehen waren. Diese Dornen hatten sich auch bereits in den Hals gekrallt, was der Mann jedoch nicht spürte. Da die Dornen chemisch präpariert waren, löste sich bald die Spannung im Getroffenen. Er ließ die Hände sinken, lächelte wie abwesend und setzte sich neben seinen Hund, der sich bereits ausgestreckt hatte und ein wenig schielte.

Parker blickte in den Außenspiegel.

Die beiden Männer, die sich an die Rückseite seines Wagens gepirscht hatten, liefen inzwischen zurück zum Lagerhaus und kümmerten sich nicht weiter um die Besucher. Dabei hüstelten sie wie erkältete Seehunde.

»Einer Visitation der Lagerhalle dürfte nichts mehr im Weg stehen«, sagte Parker, während er ausstieg. Er öffnete den hinteren Wagenschlag und lieh Mylady seine hilfreiche Hand. Sie schob ihre majestätische Fülle nach draußen und schritt dann energisch zur Lagerhalle.

Die Detektivin konnte noch nicht wissen, daß eine herbe Enttäuschung auf sie wartete.

*

»Weit und breit war kein Wagen zu sehen«, meinte die ältere Dame eine Stunde später grollend, »natürlich hatte man die Luxusautos rechtzeitig weggeschafft.«

Ihre Zuhörer waren Kathy Porter und Mike Rander, die sich im altehrwürdigen Fachwerkhaus der Lady in Shepherd’s Market eingefunden hatten. Sie waren aus Mike Randers Anwaltskanzlei in der nahen Curzon Street herübergekommen, um sich in den neuen Fall einweihen zu lassen.

Kathy Porter, schlank, groß, attraktiv und stets ein wenig zurückhaltend wirkend, war etwa dreißig Jahre alt und die Sekretärin und Gesellschafterin der Lady Simpson. Sie wurde von der älteren Dame wie eine leibliche Tochter behandelt und genoß jede erdenkliche Freiheit.

Mike Rander, seines Zeichens Anwalt, erinnerte durchaus an einen weltbekannten James-Bond-Darsteller. Er war runde vierzig, wirkte fast ein wenig phlegmatisch und war bekannt für seinen Sarkasmus.

Nach der Rückkehr aus den USA, wo er zusammen mit Parker eine Reihe abenteuerlicher Kriminalfälle gelöst hatte, war er von Lady Agatha sofort im wahrsten Sinn des Wortes vereinnahmt worden und verwaltete jetzt neben seiner Praxis als Anwalt ihr immenses Vermögen.

»Wie ist dieses kleine Intermezzo denn ausgegangen, Mylady?« fragte Kathy Porter.

»Mr. Parker hatte wieder mal dafür gesorgt, daß keines dieser Subjekte ansprechbar war«, erzählte Agatha Simpson weiter, »und von einer Falle konnte selbstverständlich keine Rede sein, aber das sagte ich ja bereits voraus. War es nicht so, Mr. Parker?«

»Myladys Voraussicht grenzt immer wieder an Prophetie«, kommentierte der Butler diese Behauptung.

»Ja, ich wundere mich auch immer wieder«, redete sie munter weiter, »ich habe mir natürlich die Büroräume angesehen.«

»Unterlagen, die ein erstes Licht in diesen neuen Fall hätten werden können, wurden leider nicht gefunden«, warf der Butler ein.

»Dafür dürften wir bald Jimmy Stoker am Hals haben«, sagte Mike Rander, »wahrscheinlich ist er inzwischen bereits informiert worden. Kennen Sie diesen Stoker, Parker?«

»Nur dem Namen nach, Sir«, gab der Butler zurück, »man sagte ihm Verbindungen zur Unterwelt nach. Er scheint nach Lage der Dinge für sie gewisse Transporte durchzuführen.«

»Sie glauben an eine Gang, die Luxuswagen stiehlt?«

»Aber mein Junge, das liegt doch eindeutig auf der Hand«, warf Lady Agatha sofort ein, »mich vermag man nicht zu täuschen. Ich bin da einer internationalen Bande auf der Spur.«

»Oder nur ein paar kleinen Gaunern, die jetzt auf zwei Luxuskarossen herumsitzen und nicht wissen, wem sie sie andrehen können.« Mike Rander lächelte ironisch.

»Diese internationale Bande hat ja nicht rein zufällig vor meinem Haus hier operiert«, redete die ältere Dame weiter, als habe sie nichts gehört, »man wollte mich demütigen. Das ist mir inzwischen klar geworden.«

»Man will sich also mit Ihnen wieder mal anlegen, Mylady?« Mike Rander blieb ernst.

»Selbstverständlich, mein Junge«, pflichtete sie ihm bei, »aber ich werde die Herausforderung selbstverständlich annehmen.«

»Dann dürften ja wieder mal unruhige Zeiten auf uns zukommen«, vermutete der Anwalt.

»Das möchte ich mir aber auch ausgebeten haben«, hoffte sie, »wie stehe ich denn vor meinen Gästen da, deren Wagen gestohlen wurden? Ich werde die beiden Fahrzeuge zurückschaffen.«

»Könnte der Hinweis dieses Bernie Craine ein Trick gewesen sein, Mr. Parker?« fragte Kathy Porter, »wollte er sie auf Stoker hetzen?«

»Dies sollte man erst mal unterstellen, Miß Porter«, erwiderte Josuah Parker, »nach Lage der Dinge könnte man auf dem Betriebshof des Lkw-Verleihs durchaus auf Mylady gewartet haben.«

»Darüber werde ich mit dem Nachtclubbesitzer noch reden«, kündigte die ältere Dame an, »erinnern Sie mich daran, Mr. Parker. Ich werde ihn zur Rechenschaft ziehen.«

»Mylady können sich auf meine Wenigkeit voll und ganz verlassen«, entgegnete der Butler, »denken Mylady daran, die Behörden zu verständigen?«

»Ausgeschlossen«, sagte sie abwehrend, »ich war die Gastgeberin. Und vor meinem Haus wurden der Bentley und der Rolls Royce gestohlen. Das ist eine reine Privatsache zwischen mir und dieser internationalen Bande.«

Bevor Mike Rander antworten konnte, läutete das Telefon.

»Die Gegenseite scheint sich bereits zu rühren«, tippte der Anwalt an, während der Butler zum Wandtisch schritt, auf dem das Telefon stand. Er hob ab und nannte seinen Namen.

»Hier Craine«, meldete sich der Nachtclubbetreiber, »ich habe schon ein paar Mal versucht, Sie zu erreichen, Mr. Parker.«

»Sie können mit weiteren Hinweisen dienen?« erkundigte sich der Butler.

»Ich denke schon«, redete Bernie Craine weiter, »vergessen wir das Theater in meinem Büro, einverstanden? Ich werde dafür sorgen, daß die beiden Wagen bald wieder vor Ihrer Tür stehen. Ist das ein Angebot?«

»Meine Wenigkeit wird Ihr Angebot an Mylady weiterreichen.«

»Ziehen wir doch erst gar keine Show ab«, sagte Craine eindringlich, »das führt doch zu nichts. Ich denke, in ein paar Stunden sind die vermißten Wagen wieder da.«

»Mylady wird geruhen, sich überraschen zu lassen«, lautete Parkers Antwort.

*

Butler Parker befand sich im Souterrain des noblen Fachwerkhauses, das auf den Gewölben einer ehemaligen alten Abtei errichtet worden war. Shepherd’s Market, in der Nähe von Hyde Park und Green Park, war eine stille Oase inmitten von London. Das zweistöckige Haus stand an der Stirnseite eines rechteckigen Platzes, der von kleineren Fachwerkhäusern gesäumt wurde. Auch diese Häuser gehörten zu Myladys Besitz und waren untereinander verbunden. Zur nahen Durchgangsstraße hin war das Areal durch eine Backsteinmauer und ein Gittertor abgegrenzt. Dieses Tor war normalerweise stets weit geöffnet und gestattete die Durchfahrt bis zum Haus der Lady.

Am frühen Morgen saß Josuah Parker in einem Ledersessel in seinem privaten Wohnraum und entspannte. Aus naheliegenden Gründen verzichtete er darauf sich zu Bett zu begeben. Er wartete, daß die hausinterne Alarmanlage sich meldete. Für den Butler stand es fest, daß der gestohlene Bentley und der Rolls Royce zurückgebracht wurden.

Lady Agatha hatte sich längst zur Ruhe begeben. Mike Rander und Kathy Porter waren in die Curzon Street zurückgefahren. Parker hatte also Zeit, sich mit dem anstehenden Fall zu befassen.

Der Anruf des Nachtclubbesitzers Craine bewies, daß gewisse Personen in der Unterwelt jedem Ärger aus dem Weg gehen wollten. Dafür waren sie bereit, die gestohlenen Wagen wieder herbeizuschaffen. Mittel und Wege dazu hatten sie ganz sicher. Wahrscheinlich wollte man im letzten Moment gerade noch eine Entwicklung stoppen, an deren Ausweitung man nicht interessiert war. Ob diese Bereitschaft mit Craines beiden Besuchern zusammenhing, mußte die nahe Zukunft erweisen. Parker war geneigt, dies zu unterstellen. Lefty Sonteff und Hale Brady schienen Craine unter Druck gesetzt zu haben.

Wegen dieser beiden Männer, die er in Craines Büro angetroffen hatte, ließ Josuah Parker bereits seine Verbindungen spielen. Er hatte gute Freunde in den USA, die ihrerseits in engem Kontakt zu dortigen Behörden standen. Sonteff und Brady waren mit Sicherheit keine normalen Touristen oder Geschäftsfreunde, die in London einen Club einrichten wollten.

Craines Angebot, nach Anlieferung der beiden gestohlenen Wagen alles zu vergessen, konnte nur ein Ablenkungsmanöver sein. Man wollte Lady Simpson und ihn nur in Sicherheit wiegen. Allein die Tatsache, daß er Sonteff und Brady nur gesehen hatte, konnte bereits einen Mordbefehl ausgelöst haben.

Ohne Erregung nahm Parker zur Kenntnis, daß eine rote Warnlampe über der Schalttafel aufflammte.

Die Alarmanlage meldete Besuch auf dem Vorplatz. Parker erhob sich aus dem bequemen Ledersessel und schaltete die Fernsehkamera ein, die unter dem Vordach des Eingangs angebracht war. Nach wenigen Augenblicken war auf dem Monitor ein Bild zu sehen.

Zwei Wagen rollten langsam an das Haus heran. Es handelte sich um einen Bentley und einen Rolls Royce. Die Beleuchtung des Platzes reichte völlig aus, um ein scharfes Bild zu liefern. Die beiden Wagen tasteten sich förmlich an das zweistöckige Fachwerkhaus heran, wurden angehalten und dann von den Fahrern verlassen. Diese Fahrer waren um die fünfundzwanzig Jahre alt, mittelgroß und schlank. Sie trugen Jeans und schwarze Lederjacken. Sie hatten es sehr eilig, von dem Vorplatz wieder wegzukommen. Ohne sich auch nur einen Moment aufzuhalten, liefen sie zurück zum weit geöffneten Tor und waren kurz darauf in Richtung Durchgangsstraße verschwunden.

Parker hätte die beiden Fahrer der Luxuswagen leicht abfangen können, doch er hatte eine andere Taktik eingeschlagen. Es gab da einen gewissen Horace Pickett, der früher mal ein Meister in Sachen Taschendiebstahl war. Dieser Mann stand inzwischen längst auf der Seite des Gesetzes. Parker hatte ihm mal das Leben gerettet. Seit dieser Zeit war es für Horace Pickett eine Ehre, dem Butler behilflich zu sein.

Pickett also war von Parker informiert worden und sorgte dafür, daß die jungen Männer beschattet wurden. Parker wollte so herausfinden lassen, wer die Fahrer waren und wo sie wohnten. Daraus wieder ließen sich weitere Schlüsse ziehen. Vielleicht hatte er es genau mit jenen Männern zu tun, die die beiden Wagen vor Stunden gestohlen hatten ...

Nachdem Parker seine private Fernsehübertragung abgeschlossen hatte, begab er sich zu Bett. Im Anschluß an seinen großen Wohnraum verfügte er im Souterrain des Hauses noch über ein Schlafzimmer, ein Bad, eine kleine Privatküche und über einen weiteren großen Raum, den er sein Labor nannte. Das hier war sein ganz privates Reich, das er sich nach eigenem Geschmack eingerichtet hatte. Mahagoni-Möbel, Sitzgruppen aus gestepptem Leder und Bücherregale zeugten von gediegenem Geschmack.

Vor dem Einschlafen blätterte der Butler noch in technischen Magazinen, um auf dem Laufenden zu bleiben. Er brauchte Anregungen, um neue Hilfsmittel entwickeln zu können.

*

Chief-Superintendent McWarden war ein untersetzter, beleibter Mann von schätzungsweise fünfundfünfzig Jahren. Er hatte das Temperament einer stets leicht gereizten Bulldogge, leitete im Yard ein Sonderdezernat, befaßte sich mit organisiertem Verbrechertum und war häufiger Gast im Haus der Lady Simpson.

Butler Parker 178 – Kriminalroman

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