Читать книгу Der exzellente Butler Parker 27 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 4
ОглавлениеJosuah Parker griff gelassen in ein Schraubglas, fischte einen zappelnden Regenwurm heraus und spießte ihn auf die Spitze des Angelhakens.
»Das ist mein letzter Versuch, Mister Parker«, gab Lady Simpson mürrisch bekannt. »Wenn die undankbaren Viecher wieder nur den Köder abknabbern statt anzubeißen, werde ich ein Fischgeschäft auf suchen.«
»Wie Mylady wünschen«, erwiderte Parker und trat einen Schritt zur Seite. Die Glasfiberrute peitschte die Luft. Leise platschend landete der Köder weit draußen auf der spiegelglatten Wasserfläche.
Agatha Simpson seufzte und lehnte sich in ihrem Regiestuhl zurück. Erwartungsvoll starrte sie auf den bunt lackierten Schwimmer.
Die Aufmerksamkeit des Butlers konzentrierte sich auf das gegenüberliegende Ufer. Als ein Trecker mit hochbeladenem Anhänger zwischen den Bäumen auftauchte, ahnte Parker, daß der beschauliche Morgen dramatisch enden würde...
Aufrecht, als hätte er einen Ladestock verschluckt, stand Josuah Parker unter den herabhängenden Zweigen einer knorrigen Trauerweide. Der weiße Eckkragen, der schwarze Zweireiher unter dem Covercoat und die dezent gestreiften Beinkleider wiesen ihn als hochherrschaftlichen Butler aus. Der Bowler und ein altväterlich gebundener Regenschirm am angewinkelten Unterarm rundeten das Bild ab.
Parkers glattes Gesicht, das keine Gefühlsregungen zu kennen schien, wirkte auch jetzt undurchdringlich und teilnahmslos. Nur die Augen, die unverwandt dem Geschehen am anderen Ufer folgten, verrieten gespannte Aufmerksamkeit.
Lady Agatha, die in Gedanken schon mit einem kapitalen Hecht kämpfte, hatte das Gefährt noch nicht bemerkt.
Parkers Herrin war, obwohl über die Sechzig hinaus, eine beeindruckende Erscheinung. Das betraf nicht nur ihre Körperfülle, die schon mancher Waage den Garaus gemacht hatte. Die ältere Dame, die über ein baritonal gefärbtes Organ von beträchtlicher Tragweite verfügte, wußte sich mit dem erdrückenden Pathos einer Heroine in Szene zu setzen.
Ihr Reichtum war unermeßlich, daß sie sich jeden Luxus leisten konnte. Allerdings stand sie auch im Ruf außerordentlicher Sparsamkeit. Neben ihr schien der geizigste Schotte noch ein Verschwender zu sein.
Auf ihre Fähigkeiten als Detektivin hielt Lady Simpson sich einiges zugute, auch wenn der Butler ihr bei den Ermittlungen diskret assistierte.
»Angeln ist doch kein Sport für eine dynamische Persönlichkeit wie mich, Mister Parker«, äußerte Mylady kopfschüttelnd. »Das untätige Herumsitzen ist Gift für Nerven und Kreislauf. Ich werde lieber noch eine Partie Golf spielen.«
»Ein Entschluß, der Myladys Tatkraft und Energie in eindrucksvoller Weise unterstreicht«, ließ der Butler sich vernehmen. »Im übrigen dürfte die Gelegenheit zu ungestörtem Angeln ohnehin vorüber sein, falls der Hinweis erlaubt ist.«
»Wie soll ich das verstehen, Mister Parker?«
»Möglicherweise darf man Mylady auf die beiden Herren aufmerksam machen, die nicht gerade wie Sportfischer wirken«, erwiderte Parker. Mit der Spitze seines schwarzen Regendachs deutete er auf das Geschehen, das sich jenseits der stillen Wasserfläche abspielte, kaum mehr als einen Steinwurf entfernt.
»Das ist ja wirklich die Höhe«, entrüstete sich Lady Agatha. »Die Lümmel verscheuchen mir noch alle Fische.«
»Eine Befürchtung, die man bedauerlicherweise nur teilen kann, Mylady«, pflichtete der Butler seiner Herrin bei.
Inzwischen hatten die Männer ihr Gefährt nahe ans Ufer bugsiert und waren auf die Ladefläche des Hängers geklettert. Sie fühlten sich unbeobachtet, als sie mit hastigen Griffen die graue Abdeckplane von der Ladung zerrten.
Zum Vorschein kamen rostige Blechfässer. Dabei schien es sich keineswegs um Leergut zu handeln. Gemeinsam packten die Männer ein Faß nach dem anderen, wuchteten es über die Außenwand des Anhängers und ließen es ins Wasser klatschen.
Meterhoch spritzte der Gischt. Konzentrische Wellen liefen über den kleinen See.
»Ich werde mir die dreisten Burschen vorknöpfen und ein ernstes Wort mit ihnen reden, Mister Parker«, ließ Agatha Simpson ihren Butler wissen. »Bei diesem störenden Geplatsche kann ja kein Mensch einen Fisch fangen.«
»Falls meine bescheidene Wenigkeit nicht sehr irrt, dürfte der See in Zukunft als Fischgewässer ohnehin nicht mehr in Betracht kommen, Mylady«, merkte Parker an, während er die Gerätschaften seiner Herrin zusammenräumte und zum Wagen trug, der auf dem Uferweg parkte.
»Die Fische werden schon wieder kommen, wenn sie sich von ihrem Schrecken erholt haben«, mutmaßte die frustrierte Petrijüngerin. »Aber dann bin ich längst nicht mehr hier.«
»Meiner Wenigkeit liegt es fern, Mylady zu widersprechen«, wandte der Butler in seiner höflichen Art ein. »Dennoch sieht man sich zu der Annahme gedrängt, daß die Herren diesem unberührten Flecken Natur Schlimmeres angetan haben als eine vorübergehende Störung.«
»Das steht für mich außer Zweifel, Mister Parker«, nickte die passionierte Detektivin. »Ich rechne sogar mit strafbaren Handlungen, nicht wahr?«
»Die Möglichkeit dürften Mylady vorsichtshalber in Betracht ziehen.«
»Natürlich, Mister Parker. Jedes Kind weiß, daß Müllabladen im Wald verboten und strafbar ist. Rostige Fässer in der Natur sind ja wirklich kein schöner Anblick.«
»Zweifellos haben Mylady recht. Dennoch dürfte es im vorliegenden Fall entscheidend auf den Inhalt der erwähnten Fässer ankommen.«
»In welche Richtung geht mein Verdacht, Mister Parker?«
»Näheren Aufschluß dürfte eine eingehende Befragung der unbekannten Herren ergeben, falls man sich nicht gründlich täuscht. Dabei sollte man keinesfalls ausschließen, daß die Fässer Altöl oder giftige Chemikalien enthalten, die der Natur irreparable Schäden zufügen können.«
»Auf diese Gefahr wollte ich Sie gerade aufmerksam machen, Mister Parker«, behauptete die ältere Dame postwendend. »Daß es sich um Giftfässer handelt, sieht man doch schon von weitem.«
Fest entschlossen, die Nation vor einer Umweltkatastrophe gigantischen Ausmaßes zu bewahren, ließ Agatha Simpson sich von Josuah Parker in den luxuriös gepolsterten Fond des Wagens helfen. Knurrend wickelte sie die Halteriemen ihres perlenbestickten Pompadours ums Handgelenk.
Der lederne Beutel, der entfernte Ähnlichkeit mit einem Damenhandtäschchen hatte, enthielt Myladys »Glücksbringer«, ein stabiles Hufeisen, das von einem stämmigen Brauereigaul stammte. Aus humanitären Gründen war das gewichtige Souvenir, das die resolute Dame ebenso überraschend wie treffsicher als Nahkampfwaffe eingesetzte, jedoch in eine dünne Lage Schaumstoff gewickelt.
Kritisch prüfte Lady Agatha den Sitz des eigenwillig wuchernden Filzgebildes, das sie auf dem Kopf trug, obwohl es eher einem mißglückten Napfkuchen glich. In dieser beispiellosen Kopfbedeckung steckten zwei Hutnadeln, die an Grillspieße erinnerten und so gefährlich waren, wie sie wirkten...
Parker hatte hinter dem Lenkrad Platz genommen und ließ sein schwarzes Vehikel anrollen. Der unförmige Kasten hatte in vergangenen Zeiten als Taxi gedient. Inzwischen war daraus aber eine »Trickkiste auf Rädern« geworden, um die selbst James Bond den Butler beneidet hätte.
Mit einem Blick über die Schulter registrierte Parker, daß die Männer am anderen Ufer ihre Arbeit beendet hatten. Gerade bestiegen sie den Trecker, um den Rückzug anzutreten.
»Schneiden Sie den Schurken den Weg ab, Mister Parker«, verlangte Mylady über die Sprechanlage, die den Fond mit der schußsicher verglasten Fahrerkabine verband.
»Meine Wenigkeit eilt, Myladys Anweisung in die Tat umzusetzen«, versicherte der Butler und ließ das Renntriebwerk unter der eckigen Haube seines hochbeinigen Monstrums aufröhren.
*
Es dauerte nur Minuten, bis Parker den tuckernden Trecker auf einem schmalen Wirtschaftsweg gestellt hatte.
Erwartungsgemäß zeigten sich Fahrer und Beifahrer des landwirtschaftlichen Gefährts über den unverhofften Aufenthalt alles andere als erfreut. Fluchend und gestikulierend forderten sie den Butler auf, zurückzusetzen und den Weg freizumachen.
Josuah Parker dachte jedoch nicht daran, dem Ansinnen zu entsprechen. Seelenruhig stellte er den Motor ab, verließ ohne Hast das Fahrzeug und begab sich gemessenen Schrittes zu dem Traktor hinüber.
Gleichzeitig waren die Unbekannten von ihrem erhöhten Sitz zu Boden gesprungen und kamen dem Butler entgegen. Ihre wutverzerrten Gesichter und die geballten Fäuste ließen nichts Gutes ahnen. Mitten zwischen beiden Fahrzeugen trafen die Kontrahenten aufeinander.
»Was soll der verdammte Quatsch? Machen Sie gefälligst den Weg frei!« knurrte der Treckerfahrer, ein bullig untersetzter Mittvierziger, der unablässig auf den Spitzen seines buschigen Schnauzbartes kaute.
»Wenn du nicht freiwillig verschwindest, machen wir dir Beine, Opa!« setzte sein Begleiter hinzu.
Parker schätzte den zweiten Mann auf Anfang Dreißig. Ein ausgeprägter Silberblick erweckte den Eindruck, als wäre er ständig in liebevolle Betrachtung seiner Nasenspitze vertieft. Bekleidet war er – wie sein Kollege – mit Blauzeug und Gummistiefeln.
»Einer Weiterfahrt dürfte nichts im Weg stehen, sofern die Herren sich bereit erklären, einige Fragen zu beantworten«, sagte der Butler unbeeindruckt.
»Ihre dämlichen Fragen können Sie anderswo loswerden«, reagierte der Schnauzbärtige wütend. »Wir haben keine Zeit.«
»Mylady begehrt zu wissen, was die Fässer enthalten, die Sie vor wenigen Minuten im See versenkt haben«, redete Parker weiter, als hätte er den Einwand überhört.
»Mann, wir haben keine Zeit!« wiederholte der Schieler. »Bist du schwerhörig, Opa?«
»Bisher hatte meine Wenigkeit keinerlei Grund, über mangelnde Leistung der Hörorgane zu klagen«, erwiderte der Butler gelassen. »Im übrigen darf man Ihnen möglicherweise den Rat erteilen, auf Myladys Fragen unverzüglich und wahrheitsgemäß zu antworten. Andernfalls könnte Mylady ausgesprochen ungehalten werden, falls der Hinweis erlaubt ist.«
»Da kann ich ja nur lachen«, stieß der Bullige kollernd hervor.
»Das möchte ich erleben, wenn die abgetakelte Fregatte ungehalten wird«, schloß sein spindeldürrer Kumpan sich an und deutete kichernd auf die Detektivin, die in diesem Augenblick mit energisch vorgeschobenem Kinn und blitzenden Augen angestampft kam. Der Mann ahnte nicht, wie schnell sein leichtfertig geäußerter Wunsch in Erfüllung gehen sollte.
»Habe ich recht gehört, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Simpson grimmig. »Könnte es zutreffen, daß dieser Rüpel mich soeben beleidigt hat?«
»Mylady haben den juristischen Tatbestand in geradezu bestechender Klarheit und Präzision in Worte gefaßt«, pflichtete Parker seiner Herrin bei.
Der Dürre schien das kurze Zwiegespräch zwischen Mylady und Butler für eine humoristische Einlage zu halten. Jedenfalls verfiel er in schallendes Gelächter.
Im nächsten Moment schlug die Fröhlichkeit in eisiges Entsetzen um.
Das Lachen erstarb augenblicklich, als Agatha Simpson den Mann eine ihrer berüchtigten Ohrfeigen kosten ließ. Jaulend quittierte er den Empfang der ungestümen Liebkosung. Haltlos pendelte sein Kopf von einer Schulter zur anderen.
»Noch niemand hat es geschafft, eine Lady Simpson ungestraft zu beleidigen«, verkündete die resolute Dame und bedachte ihr Gegenüber mit einem vernichtenden Blick. »Falls diese Lektion noch nicht reichen sollte, um Ihnen Manieren beizubringen, kann ich auch eine deutlichere Sprache sprechen.«
Der Schieläugige hatte für die ermahnenden Worte jedoch keine Ohren. Wimmernd massierte er die roten Striemen, die Lady Agathas gespreizte Finger auf seiner Wange hinterlassen hatten. Dabei taumelte er auf weichen Knien rückwärts.
Sichtlich entnervt wollte der Mann sich auf die Motorhaube des Treckers stützen. Sein Pech war, daß er dabei mit dem heißen Auspuffrohr in Kontakt kam.
Die zweite schmerzliche Erfahrung innerhalb weniger Sekunden mobilisierte ungeahnte Energien in der schlaksigen Gestalt. Brüllend vor Wut und Pein versuchte der Schieler sich auf die Detektivin zu stürzen. Aber Parker kam den ungalanten Absichten zuvor und durchkreuzte sie nachhaltig.
Mit kaum merklicher Bewegung ließ er seinen schwarzen Universal-Regenschirm in die Waagerechte wippen und hielt dem Angreifer die bleigefütterte Spitze entgegen.
Zischend gab der Unbelehrbare schlagartig alle Atemluft von sich, als er den ausgesprochen unangenehmen Druck in der Magengrube verspürte. Schweißperlen traten auf seine Stirn, während die Schirmspitze neugierig das sensible Verdauungsorgan abtastete.
Totenblaß und am ganzen Leib zitternd ging der Mann vor Mylady in die Knie und streckte sich zu einem entspannenden Nickerchen auf dem Weg aus.
Sein älterer Kollege, der die Darbietung fassungslos verfolgt hatte, legte etwas mehr Besonnenheit an den Tag. Er hielt es nicht für ratsam, die fauchende Lady weiter in Rage zu bringen.
Statt dessen machte er auf dem Absatz kehrt und suchte sein Heil in der Flucht. Ein leichtfüßiger Sprinter war der untersetzte Schnauzbärtige mit den klobigem Gummistiefeln allerdings nicht.
Schon nach wenigen Schritten glitt der Flüchtling auf dem matschigen Untergrund aus und landete bäuchlings in einer Pfütze. Unverdrossen raffte er sich jedoch wieder auf, wischte prustend den Schlamm aus dem Gesicht und setzte den überstürzten Rückzug fort.
Immerhin hatte die unverhoffte Zwischenlandung ihn wertvolle Sekunden gekostet, die Lady Agatha souverän nutzte, um sich mit einer Waffe von ausreichender Distanz zu versorgen.
Parker, der bereits nach seiner stahlblechverstärkten Melone gegriffen hatte, um sie dem Flüchtenden nachzuschicken, trat höflich zur Seite und überließ Agatha Simpson das Feld.
»Man erlaubt sich, den traditionellen Fischergruß ›Petri Heil‹ anzubringen«, sagte der Butler mit einer höflichen Verbeugung.
»Petri Dank, Mister Parker«, antwortete die ältere Dame formgerecht und holte mit der starken Hechtrute aus.
Sirrend spulte die Rolle Meter um Meter der zähen Nylonschnur ab. Wie die scharfe Klaue eines unsichtbaren Raubvogels jagte der kräftige Drillingshaken hinter dem galoppierenden Mann her.
Der Schnauzbärtige glaubte sich schon in Sicherheit, als Lady Simpsons verlängerter Arm ihn doch noch erreichte und am Hosenbosen packte. Der spitze Schrei, den er ausstieß, deutete darauf hin, daß der Haken sich nicht nur im Tuch des blauen Overalls verfangen hatte, sondern in schmerzempfindliche Regionen vorgedrungen war.
Die Rute krümmte sich beängstigend, aber das elastische Material zeigte sich der Belastung gewachsen. Auch Mylady, die nun doch noch einen kapitalen Fang an der Angel hatte, hielt den Ausbruchsversuchen ihrer jammernden Jagdbeute stand.
Schnaufend vor Anstrengung, aber mit dem heiteren Ausdruck kindlicher Freude im Gesicht, zerrte die ältere Dame an der Rute.
»Das soll mir erst mal einer nachmachen, Mister Parker«, rief sie fröhlich.
»Mylady waren wieder mal absolut unvergleichlich«, spendete der Butler das erwartete Lob.
Agatha Simpson drehte munter an der Kurbel, um die abgespulte Schnur wieder aufzuwickeln. Dem Untersetzten blieb keine Wahl: Wollte er seine Qualen nicht noch verschlimmern, mußte er wohl oder übel dem Zug des Hakens folgen.
»Sie haben mich unterschätzt, junger Mann«, frohlockte die Detektivin, als sie ihren Gefangenen bis auf wenige Schritte herangeholt hatte. »Ab sofort wissen Sie, daß man einer Lady Simpson nicht entgeht.«
*
»Möglicherweise darf man jetzt noch mal zum Ausgangspunkt des kurzfristig unterbrochenen Gesprächs zurückkehren«, sagte Josuah Parker zu dem Mann, der wie ein begossener Pudel dastand. »Ihre Bereitschaft, auf Myladys Fragen zu antworten, dürfte mittlerweise gewachsen sein, falls man sich nicht gründlich täuscht, Mister ...«
»Fillmore. Peter Fillmore«, nannte der Schnauzbärtige seinen Namen. »Was war das noch für eine Frage? Sie haben mich regelrecht durcheinander gebracht.«
»Mylady begehrt Auskunft über den Inhalt der Fässer, die Sie gemeinsam mit Ihrem Kollegen im See versenkt haben, Mister Fillmore.«
»Keine Ahnung«, brummte der Gefragte und tastete diskret sein gepeinigtes Sitzfleisch ab, in dem noch immer der Drillingshaken steckte.
»Der Lümmel wagt es, mir ins Gesicht zu lügen, Mister Parker«, schob Mylady sich fauchend dazwischen. »Ich denke, ich werde ihm eine gründliche Lektion erteilen, ehe ich die Vernehmung fortsetze.«
»Um Himmels willen!« Der Mann schrie und wich entsetzt einen Schritt zurück. »Mir reicht’s.«
»Waschlappen!« titulierte die Detektivin ihr Gegenüber. »Aber gut, Mister Drillmore. Sie können sich weitere Unannehmlichkeiten ersparen, indem Sie auf der Stelle ein umfassendes Geständnis ablegen.«
»Ich habe wirklich keine Ahnung, was in den Fässern drin ist«, beteuerte Fillmore. »Ehrenwort!«
»Meine Wenigkeit möchte es vermeiden, Ihr Ehrenwort in Zweifel zu ziehen, Mister Fillmore«, entgegnete der Butler. »Dennoch sollte der Hinweis erlaubt sein, daß Ihre Behauptung nicht allzu glaubwürdig klingt.«
»Harry weiß darüber genauso wenig wie ich«, fuhr Fillmore mit ängstlichem Seitenblick auf seinen schlummernden Kumpan fort. »Der Chef hat uns lediglich aufgetragen, das Zeug in den See zu werfen und aufzupassen, daß uns niemand sieht.«
»Der Wahrheitsgehalt dieser Darstellung dürfte sich kurzfristig überprüfen lassen, sofern Sie sich bereit finden, Namen und Anschrift Ihres Auftraggebers zu nennen, Mister Fillmore«, ließ Parker sich vernehmen.
»Er heißt Frank Garney und bewirtschaftet den Hof, der fünf Minuten von hier an der Landstraße liegt«, gab der Mann bereitwillig Auskunft. »Harry und ich arbeiten schon seit Jahren bei ihm. Am besten fragen Sie ihn selbst.«
»Eine Anregung, die man unverzüglich aufgreifen sollte, sofern Mylady keine Einwände erheben«, bemerkte der Butler, an seine Herrin gewandt.
»Sie wissen, daß ich mich nur ungern mit Randfiguren abgebe, Mister Parker«, erwiderte die passionierte Detektivin. »Deshalb habe ich bereits beschlossen, den Auftraggeber dieser Rüpel unter die Lupe zu nehmen.«
»Unter den gegebenen Umständen dürfte es sich als sinnvoll erweisen, wenn Sie und Ihr Kollege mit dem Traktor vorausfahren, Mister Fillmore«, wandte Parker sich wieder dem Schnauzbärtigen zu. »Mylady und meine Wenigkeit werden Ihnen dann folgen.«
»Schön und gut«, brummte Fillmore. »Aber mit dem Haken im ... äh ...« Er unterbrach sich und blickte verschämt zu Lady Agatha hinüber, bevor er dicht an den Butler herantrat. »Können Sie mir das verdammte Ding nicht rausziehen?«
»Bedauerlicherweise bedarf es chirurgischer Kunst, um Sie von dem Haken zu befreien, Mister Fillmore«, teilte Parker nach kurzer Inspektion mit, »Wegen der Widerhaken dürfte eine gewaltsame Entfernung beträchtliche Schmerzen verursachen und eine unschöne Wunde hinterlassen.«
»Dann muß Harry den Traktor fahren«, entgegnete Fillmore achselzuckend. »Stehen geht ja noch. Aber sitzen...«
»Stellen Sie sich gefälligst nicht so wehleidig an, junger Mann«, herrschte Mylady ihn an. Sie protestierte jedoch nicht, als der Butler die Angelschnur durchschnitt und Fillmore erlaubte, seinen Kollegen zu wecken.
»Wach auf, Harry!« schrie Fillmore dem Schlummernden ins Ohr und schüttelte ihn. »Du mußt den Trecker fahren.«
Harry brauchte eine Weile, bis er zu sich kam und zögernd die Augen aufschlug. Er hatte sichtliche Mühe, die Situation zu begreifen.
»Los!« Fillmore trieb ihn an. »Wir fahren zurück zum Hof, und die Herrschaften folgen uns.«
»Aber warum fährst du denn nicht, Peter?« wollte der Schieläugige wissen. »Mein Schädel brummt ganz fürchterlich. Und erst mein Arm ...«
Vorsichtig krempelte er den linken Ärmel hoch und präsentierte eine Brandblase, die fast den halben Unterarm bedeckte, »Reiß dich zusammen und fahr, Harry«, schob Fillmore den Einwand beiseite. »Ich kann nicht, weil ich nicht sitzen kann.«
»Du kannst nicht sitzen?« Harrys Gesicht war ein einziges Fragezeichen.
»Ja, ich hab’ mich in einen Angelhaken gesetzt«, erklärte sein Kollege ungeduldig. »Wie das passiert ist, erzähle ich dir später.«
Gleich darauf saß Harry endlich hinter dem Steuer und tuckerte los. Peter stand außen auf dem Trittbrett des Traktors. Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum ein Stück zurückgesetzt und war in einen Seitenweg ausgewichen, um das Gefährt vorbeizulassen.
»Aber daß Sie mir die Lümmel nicht entwischen lassen, Mister Parker«, mahnte die passionierte Detektivin.
»Meine Wenigkeit wird alles daransetzen, um zu verhindern, was Mylady befürchten«, versprach der Butler, legte den ersten Gang ein und nahm die Fährte des Treckers auf.
Schon nach wenigen Minuten löste sanft gewelltes Grasland den Wald ab. Bei den halbverfallenen Gebäuden, die Parker in einiger Entfernung gewahrte, mußte es sich um Frank Garneys Bauernhof handeln.
*
Der Farmer, ein breitschultriger Mann von knapp fünfzig Jahren, bekam Stielaugen, als er den merkwürdigen Konvoi auf seinen Hof rollen sah.
»Wir müssen erst mal zum Arzt, Chef«, setzte Fillmore seinen Arbeitgeber ins Bild und deutete auf seinen verlängerten Rücken.
»Mich hat es auch erwischt«, fügte Harry hinzu und präsentierte den lädierten Unterarm. »Tut verteufelt weh, Chef.«
»Wie ist das denn passiert?« fragte Garney mißtrauisch.
»Man könnte sagen, daß es sich um eine Art Jagdunfall handelt, Mister Garney«, erläuterte der Butler, der inzwischen seinen Privatwagen verlassen hatte und zu der Gruppe getreten war.
»Verdammt!« knurrte der Farmer. »Dafür werden Sie Schadenersatz leisten. Die Arztkosten und der Verdienstausfall ...«
»Selbstverständlich wird man Ihre Forderungen begleichen, soweit sie sich als berechtigt erweisen, Mister Garney«, versicherte Parker mit angedeuteter Verbeugung.
»Seien Sie mit leichtfertigen Zusagen vorsichtig, Mister Parker«, gab Lady Simpson kund, die sich mittlerweile hinzugesellt hatte. »Schließlich sind die Lümmel selbst schuld. Eine alleinstehende Dame wie ich muß mit jedem Penny rechnen.«
»Wenn Sie sich querlegen, rufe ich sofort die Polizei«, drohte Garney. »Schließlich muß ich auch mit dem Penny rechnen.«
»Was man keineswegs bezweifeln möchte, Mister Garney«, erwiderte der Butler ruhig. »Im übrigen sollte man eine Einschaltung der Polizei durchaus erwägen. Allerdings nach einem klärenden Gespräch, falls der Vorschlag genehm ist.«
»Was ist denn? Können wir jetzt zum Arzt fahren, Chef?« drängelten Peter und Harry.
»Okay. Nehmt meinen Wagen«, willigte der Farmer ein. »Aber beeilt euch. Das Heu muß heute nachmittag noch rein.«
»Was meinten Sie mit einem »klärenden Gespräch‹?« erkundigte sich Garney, während seine Knechte in einem betagten Landrover davonfuhren.
»Mylady wurde zufällig Zeuge, wie Ihre Mitarbeiter eine größere Anzahl von Fässern in einem nahe gelegenen See versenkten, Mister Garney«, berichtete Parker.
»So?« Die dunklen Augen des Farmers verengten sich zu Schlitzen.
»Da Ihre Mitarbeiter sich außerstande sahen, über den Inhalt der erwähnten Fässer Auskunft zu geben, wäre Mylady Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sich bereit finden könnten, auf diesbezügliche Fragen zu antworten, Mister Garney.«
»Den Teufel werde ich tun«, reagierte Garney wütend. »Der See gehört mir, und was ich dort mache, geht keinen was an, verstanden? Also verschwinden Sie, ehe ich Ihnen Beine mache!«
»Leider sieht man sich genötigt, Sie auf einen kleinen, aber entscheidenden Irrtum aufmerksam zu machen, Mister Garney«, fuhr der Butler unbeeindruckt fort »Auch als Grundbesitzer sind Sie nicht berechtigt, offene Gewässer mit umweltschädlichen Chemikalien zu vergiften.«
»Jetzt reicht’s mir aber endgültig!« brüllte der Farmer unvermittelt los. »Schnüffler wie Sie haben mir gerade noch gefehlt!«
Gleichzeitig wich er rasch drei Schritte zurück und stand plötzlich an der Tür eines vergitterten Hundezwingers. Die beiden riesigen, schwarzweiß gefleckten Doggen hinter den eisernen Stäben waren Parker schon längst aufgefallen. Er hatte die Tiere aber nicht weiter beachtet, weil sie sich bisher darauf beschränkt hatten, die Besucher interessiert zu mustern.
Jetzt spitzten die Hunde allerdings die Ohren, fletschten die Zähne und ließen ein tiefes Knurren hören, das man nur als bedrohlich bezeichnen konnte.
»Los, verschwindet endlich!« fauchte Frank Garney, außer sich vor Wut. »Sonst...«
Er kam weder dazu, den Satz zu vollenden, noch seine Drohung wahrzumachen.
Gelassen griff der Butler, der mit einer Verschärfung des Gesprächsklimas gerechnet hatte, nach seiner schwarzen Melone und ließ sie wie eine Frisbeescheibe in Garneys Richtung schwirren.
Der Farmer heulte wie eine Sirene, als die messerscharfe, mit Stahlblech verstärkte Krempe über seine Fingerknöchel strich. Seine Hand, die schon auf dem Riegel gelegen hatte, zuckte zurück, als stände der Zwinger unter Hochspannung.
Die Flüche, die der Mann zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorstieß, hätten jedem Zuhörer die Schamröte ins Gesicht getrieben. Lady Agatha, die den Umgang mit harten Burschen gewohnt war, entlockten sie jedoch nur ein geringschätziges Lächeln.
»Wie scheußlich«, bemerkte die ältere Dame und rümpfte die Nase.
Trotz der Schmerzen, die von den Fingern bis in den Arm ausstrahlten, zeigte Garney aber noch keine Neigung zum Einlenken. Unversehens hatte er eine dreizinkige Mistgabel in der Hand und stürzte damit auf Parker los.
Mit der Eleganz eines versierten Toreros wich der Butler zur Seite und ließ den Angreifer ins Leere laufen. Zugleich ruckte der schwarze Universalschirm vom angewinkelten Unterarm senkrecht in die Höhe. Im nächsten Moment lag die bleigefütterte Spitze in der schwarz behandschuhten Rechten.
Garney stieß einen spitzen Schrei aus, als der Bambusgriff des altväterlieh gebundenen Regendachs in flachem Halbkreis über den Boden huschte und ihm mitten im Lauf die Beine unter dem Leib wegfegte.
Wohl oder übel entschloß sich der Farmer zu einem spontanen Gleitflug. Aber die Gesetze der Schwerkraft sorgten dafür, daß der Versuch schon nach wenigen Metern mit einer ziemlich unsanften Bauchlandung auf dem holprigen Pflaster des Hofes endete.
Darauf hielt Garney es für angebracht, sich zunächst aus der Arena zurückzuziehen.
Verblüffend schnell war er wieder auf den Beinen, warf Parker einen finsteren Blick zu und ... rannte los, Sein Ziel war eine Leiter, die an der hohen Mauer lehnte, die den Hof nach hinten begrenzte.
»Tun Sie doch endlich etwas, Mister Parker!« verlangte die Detektivin. »Wollen Sie denn tatenlos zusehen, wie sich der Schurke durch Flucht dem Verhör entzieht?«
»Keineswegs und mitnichten, Mylady«, entgegnete der Butler und setzte sich würdevoll in Bewegung. Den Schirm hielt er noch immer an der Spitze gefaßt.
Garney hatte schon den größten Teil der Leiter erklommen und machte Anstalten, sich auf die Mauerkrone zu schwingen, als Parker den Schirmgriff an einer der oberen Sprossen einhakte und zu ziehen begann.
Der flüchtige Farmer konnte schreien und strampeln, wie er wollte – die Leiter, an der er sich verzweifelt festklammerte, gehorchte nicht seinem, sondern Parkers Willen.
Langsam richtete sie sich auf, blieb ein, zwei Sekunden in der Senkrechten stehen und neigte sich anschließend hintenüber – langsam, aber unaufhaltsam wie ein gefällter Baum.
»Maikäfer, flieg«, rief Mylady und klatschte in die Hände.
Und der Käfer flog! Kurz entschlossen trennte sich Garney von dem Halt, der keiner mehr war, und ließ sich fallen...
Gackernd stob das Hühnervolk, das auf dem Misthaufen nach Würmern gescharrt hatte, auseinander, als der hysterisch kreischende Farmer im freien Fall nahte.
Fred Garney landete weich und warm – mitten in dem dampfenden Misthaufen. Eine Henne, die in kopfloser Panik umherrannte, ohne sich für eine Fluchtrichtung entscheiden zu können, begrub er unter sich.
»Sie wollen mir doch nicht etwa zumuten, ein derart übelriechendes Subjekt zu verhören, Mister Parker«, wandte sich Agatha Simpson angewidert ab, als Frank Garney zögernd sein besudeltes Gesicht erhob und fassungslos in die Runde starrte.
»Eine Vernehmung hier und jetzt würde in der Tat Myladys Geruchssinn zutiefst beleidigen«, pflichtete der Butler seiner Herrin bei. »Darüber hinaus dürfte es sich aus den bereits angedeuteten Gründen auch verbieten, Mister Garney nach London mitzunehmen.«
»Sie haben mir durch Ihre Unbesonnenheit mein schönes Konzept durcheinandergebracht, Mister Parker«, jammerte Lady Agatha. »Wie gehe ich denn jetzt weiter vor?«
»Mylady dürften einen taktischen Rückzug erwägen, falls man sich nicht gründlich täuscht.«
»So etwas wollte ich in der Tat gerade anordnen, Mister Parker«, nickte die ältere Dame umgehend. »Was verstehe ich im konkreten Fall darunter?«
»Mylady dürften sich mit der Absicht tragen, Mister Garney vorläufig seinem Schicksal zu überlassen, aber die Ermittlungen auf anderen Wegen voranzutreiben.«
»Ich werde also zunächst nach London zurückkehren?«
»In der Tat. Einen solchen Vorschlag würde meine bescheidene Wenigkeit unterbreiten.«
Während Parker und die ältere Dame zum Fahrzeug schritten, führte Frank Garney einen verbissenen Kampf mit dem buntgefiederten Gockel. Das stolze Tier schien in ihm einen vom Himmel gefallenen Nebenbuhler zu sehen, der ihm die Herrschaft über sein gackerndes Volk streitig machen wollte.
Trotzdem wagte der Bauer es nicht, den Misthaufen zu verlassen, denn dort brauchte er wenigstens nicht mit Angriffen seiner wehrhaften Besucher zu rechnen. Der eben noch so ruppige Garney machte jetzt einen ausgesprochen beklagenswerten Eindruck. Aber die Blicke, die er Parkers davonrollendem Gefährt nachschickte, brannten vor Haß.
*
Inmitten der hektischen Millionenstadt bildete Agatha Simpsons Anwesen im Londoner Viertel Shepherd’s Market eine Oase der Ruhe. Das zweistöckige Fachwerkhaus von repräsentativem Zuschnitt, das die passionierte Detektivin bewohnte, lag am Ende einer stillen Wohnstraße, in der momentan nur ein einziger Wagen parkte.
Das war allerdings nichts Ungewöhnliches, denn die an Myladys Anwesen grenzenden Häuser waren unbewohnt. Den einstigen Bewohnern war das Steckenpferd ihrer prominenten Nachbarin mit der Zeit zu aufregend geworden. Sie hatten allesamt ihren Besitz an die ältere Dame veräußert und waren weggezogen.
Von außen machte das Gebäude im Moment einen fast verträumten Eindruck. Drinnen ging es dafür um so turbulenter zu.
Bei dem an der Straße geparkten Wagen handelte es sich um Kathy Porters Mini-Cooper. Die junge Dame war Mike Randers ständige Begleiterin und weilte mit ihm im Haus Simpson zum Dinner.
Der vierzigjährige Anwalt, dessen sportliche Erscheinung an einen beliebten James-Bond-Darsteller erinnerte, betrieb eine Kanzlei in der nahe gelegenen Curzon Street. Seine wichtigste Aufgabe bestand jedoch darin, Myladys Vermögen zu verwalten.
Kathy Porter, Lady Agathas Gesellschafterin, war eine attraktive Erscheinung von eurasischem Flair. Leicht mandelförmig geschnittene Augen und dunkles Haar mit einem Kastanienschimmer verliehen der zierlichen jungen Dame exotischen Reiz.
Ebenso wie Mike Rander hatte Kathy Porter schon in manchem Fall mitgewirkt. Dabei kam ihr zugute, daß sie jahrelang mit Hingabe die Künste fernöstlicher Selbstverteidigung studiert hatte.
»Wollen Sie wirklich, Mylady?« fragte die junge Dame. Sie schien sich Sorgen um die kostbare Einrichtung in Lady Simpsons weitläufiger Wohnhalle zu machen.
»Warum denn nicht, Kindchen?« erwiderte die Hausherrin munter. »Ich muß euch doch vorführen, wie ich es gemacht habe. Sonst glaubt ihr mir womöglich nicht.«
»Nie würden wir an Ihren Worten zweifeln, Mylady«, beteuerten Kathy Porter und. Mike Rander wie aus einem Mund. Dabei warfen sie sich allerdings verstohlene Blicke zu und konnten nur mühsam einen Heiterkeitsausbruch unterdrücken.
Es half nichts. Agatha Simpson bestand darauf, ihren Gästen praktisch zu demonstrieren, wie sie den flüchtenden Peter Fillmore gefangen hatte. Vorher hatte sie ihre Erlebnisse während der Landpartie in blumigen Worten geschildert, ohne sich allzu kleinlich an die Wahrheit zu klammern. Myladys Bericht hatte sich angehört wie ein klassisches Epos, in dem ihr natürlich die Hauptrolle übertragen war.
»Vorsicht, Kinder!« rief die resolute Dame und holte mit der Hechtrute aus, wobei sie den Kronleuchter nur um Millimeter verfehlte.
Mike Rander und Kathy Porter zogen unwillkürlich die Köpfe ein, als die Gerte pfeifend die Luft durchschnitt und der mit einem Bleigewicht beschwerte Drillingshaken sirrend davonschoß.
Bei dem Ziel, das Lady Agatha sich auserkoren hatte, handelte es sich um einen ansehnlichen Hecht, den Parker in einem Londoner Fachgeschäft erstanden und für das Dinner auf einer silbernen Platte angerichtet hatte.
Als ein heftiges Klirren gleich darauf anzeigte, daß die Detektivin ihr Ziel verfehlt hatte, machte sie erwartungsgemäß die mangelhafte Beleuchtung dafür verantwortlich.
Wortlos kehrte der Butler die Scherben zusammen. Der Angelhaken hatte die gravierte Scheibe einer Rokokovitrine durchschlagen und einige Verwüstung unter den antiken Kristallkelchen angerichtet.
»Wir glauben es Ihnen auch so, Mylady«, versicherte der Anwalt schnell, um einem zweiten Versuch der ehrgeizigen Hausherrin vorzubeugen.
»Die Beleuchtung ist wirklich ungünstig.«
»Dann wollen wir jetzt mit dem Dinner beginnen, Kinder«, entschied Agatha Simpson und übergab Parker die Angelrute. Der kleine Zwischenfall hatte ihre blendende Laune nicht im mindesten getrübt.
Der Ausflug aufs Land hatte der älteren Dame ebenso gutgetan wie die Kreislaufpflege, der sie sich bis zum Eintreffen der Gäste gewidmet hatte, während der Butler in der Küche beschäftigt war. Der »Kreislaufbeschleuniger« in Gestalt eines feinen, alten Kognaks hatte seine Wirkung nicht verfehlt, und der Champagner, den Parker gerade einschenkte, tat ein übriges.
Zum Auftakt servierte der Butler ein delikates Kressesüppchen, anschließend den Hecht und später noch Rehmedaillons in Rahmsauce mit Pfifferlingen. Die munter tafelnde Runde war gerade beim Himbeerparfait angelangt, als das Telefon schrillte.
»Sagen Sie, daß ich nicht gestört werden möchte, Mister Parker«, informierte die Hausherrin den Butler, der seine Schritte in Richtung Diele lenkte.
»Wie Mylady wünschen«, erwiderte Parker, ehe er den Hörer abnahm.
Horace Pickett war am Apparat. Schon während der Heimfahrt nach London hatte der Butler ihn von einer Telefonzelle aus angerufen und um eine Gefälligkeit gebeten.
Mit Trenchcoat, Travellerhütchen und akkurat gestutztem Schnauzer wirkte der etwa sechzigjährige Pickett wie ein pensionierter Offizier. Nur Eingeweihte wußten, daß er mal als »König der Londoner Taschendiebe« gegolten hatte. Damals hatte er seine flinken Finger allerdings nur nach allzu prall gefüllten Brieftaschen ausgestreckt, weshalb er seine frühere Tätigkeit manchmal mit »Eigentumsumverteiler« angab.
In einer heiklen Situation hatte Parker ihm das Leben gerettet. Seitdem wandelte der ehrenwerte Mister Pickett auf den Pfaden der Tugend und rechnete es sich zur Ehre an, für das Paar aus Shepherd’s Market tätig zu sein. Dabei hatten sich seine intimen Kenntnisse der Londoner Szene oft als ausgesprochen hilfreich erwiesen.
»Darf man der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß Sie jemand finden konnten, der über eine Taucherausrüstung verfügt, Mister Pickett?« erkundigte sich der Butler.
»Das war überhaupt kein Problem, Mister Parker«, teilte der ehemalige Eigentumsumverteiler mit. »Ich bin mit einem Freund, der früher Marinetaucher war, zu dem See gefahren, den Sie mir beschrieben hatten.«
»Man darf wohl die Vermutung äußern, daß Ihr Freund die fraglichen Fässer auf dem Grund des Gewässers in Augenschein nehmen konnte, Mister Pickett?«
»An der angegebenen Stelle, wo auch noch die frischen Treckerspuren am Ufer waren, hat er insgesamt dreiundzwanzig Fässer gezählt«, teilte der Anrufer mit. »Der Beschriftung nach stammt die ganze Ladung von einer Londoner Chemiefirma namens Benson & Murray Ltd.«
»Eine Mitteilung, die man mit Interesse zur Kenntnis nimmt, Mister Pickett.«