Читать книгу Butler Parker 175 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 2
Leseprobe:
Ball der glücklichen Herzen
Оглавление»Ich glaube, Mr. Parker, daß ich zutiefst empört bin«, stellte Lady Agatha Simpson mit grollender Stimme fest und bremste jäh ihre majestätische Fülle, »in welcher Zeit leben wir eigentlich?«
»Bestehen Mylady auf einer präzisen Antwort, was das genaue Datum betrifft?« erkundigte sich Josuah Parker in gewohnt höflicher Weise.
Er war ein etwas über mittelgroßer Mann undefinierbaren Alters, der in Sprache und Aussehen den Prototyp eines englischen hochherrschaftlichen Butlers darstellte.
Er und die Lady hatten gerade ein Geschäft für feine Porzellanwaren verlassen und strebten einem nahen Parkplatz zu. Agatha Simpson ging auf die Frage ihres Butlers nicht ein und musterte einige Mädchen und Jungen, die freigebig ihr mit Sicherheit nicht geringes Taschengeld unter das Volk streuten.
Es handelte sich um Pfundnoten, deren Wert sie nicht recht einzuschätzen wußten. Die minderjährigen Kinder benutzten die Pfundnoten als Baumaterial für ihre Papierschiffchen, die sie im Rinnstein fahren ließen.
»Zu meiner Zeit haben wir von solchem Taschengeld nur geträumt«, stellte Lady Agatha fest. Sie war eine hochgewachsene, füllige und majestätisch aussehende Dame, die das sechzigste Lebensjahr mit Sicherheit überschritten hatte. Dennoch machte sie einen sehr dynamischen Eindruck, dem man sich nicht entziehen konnte.
Sie blickte konsterniert auf die wertvollen Papierschiffchen, die im angeschwollenen Wasser des Rinnsteins lustig davontrieben. Die Mädchen und Jungen, die im Schnitt vielleicht sechs Jahre alt waren, amüsierten sich und machten eifrig Gebrauch von dem bedruckten Papier, das sie bündelweise in ihren Händen hielten.
»Was für eine Verschwendung«, seufzte die ältere Dame, die für ihre ausgeprägte Sparsamkeit berüchtigt war. Sie hatte längst mitbekommen, daß einige Passanten sich für die kleinen Papierschiffchen lebhaft interessierten, sich bückten und sie aus dem schmutzigen Wasser nahmen. Lady Agatha kämpfte einen wilden, entschlossenen Kampf mit sich und siegte souverän. Sie hatte plötzlich Ärger mit ihrem rechten Schuhband und bückte sich unvermittelt. Sie nestelte daran herum und wartete darauf, daß die nächsten Papierschiffchen ihr entgegentrieben. Als das der Fall war, langte die sparsame Dame blitzschnell zu und barg drei Banknotenschiffchen im Wert zwischen fünf und zwanzig Pfund.
Worauf Butler Parker sich diskret räusperte.
»Legen Mylady Wert darauf, daß meine Wenigkeit sich den Rettungsmaßnahmen anschließt?« erkundigte er sich, als seine Herrin sich aufrichtete und die Banknoten glättete.
»Selbstverständlich habe ich vor, sie den lieben Kleinen zurückzugeben«, raunzte sie dann, »hatten Sie etwas anderes erwartet?«
»Mylady dürften die Aufmerksamkeit der kleinen Schiffbauer erregt haben«, erwiderte Josuah Parker gemessen und deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf einen Jungen und ein Mädchen, die auf Lady Simpson zuliefen.
»Man sollte diese Strauchdiebe ohrfeigen«, erklärte die resolute Dame und meinte keineswegs die Kinder, sondern einige Passanten, die den Rinnstein geplündert hatten und mit ihren gekaperten Schiffen schleunigst davonschritten. Dann aber wurde die Lady nachdrücklich abgelenkt. Der Junge und das Mädchen hatten Agatha Simpson inzwischen erreicht und wollten sie beschenken.
Sie drückten ihr ganze Bündel von Banknoten in die ausgestreckte Hand und freuten sich. Sie forderten Lady Agatha auf, sich Fisch und Kartoffelchips zu kaufen. Sie hatten auch, wie sie deutlich sagten, nichts dagegen, daß Mylady Cola trank.
»Ihr lieben Kleinen«, meinte Agatha Simpson entzückt und schnürte ihren Pompadour auf, um die Banknoten darin verschwinden zu lassen, »ihr seid ja richtig lieb zu einer armen Tante.«
Parker räusperte sich erneut diskret.
»Sie sollten etwas gegen Ihren Husten unternehmen«, grollte die Lady ihren Butler an, »selbstverständlich werde ich das Geld nur in Verwahrung nehmen.«
»Meine bescheidene Wenigkeit dachte noch nicht mal andeutungsweise an ein anderes Motiv«, gab Josuah Parker steif und würdevoll zurück, um sich dann an die beiden Kinder zu wenden. Er fragte nach der Herkunft des Geldes und erhielt prompt eine genaue Antwort. Die beiden kleinen Verschwender deuteten auf einen nahen Bauzaun und sprachen von einem riesigen Sack, der mit diesem komischen Papier vollgestopft wäre.
»Mr. Parker, folgen Sie mir!« Lady Agatha setzte sich sofort in Bewegung und wäre nicht mehr aufzuhalten gewesen. Zielstrebig und äußerst energisch marschierte sie zu dem nahen Bretterzaun und riß beherzt einige Holzlatten aus einer schmalen Lücke. Dann zwängte sie sich durch die passende Öffnung und betrat den Bauplatz, der einer Müllkippe glich. Die Bewohner der benachbarten Reihenhäuser schienen hier ihren Wohlstandsmüll großzügig gelagert zu haben. Lady Agatha wartete, bis Josuah Parker neben ihr erschien.
»Sie wissen hoffentlich, was ich denke, Mr. Parker«, sagte sie.
»Mylady dürften sich bereits mit dem Gedanken vertraut gemacht haben, einem Raubüberfall auf der Spur zu sein«, lautete Parkers höfliche, aber zurückhaltende Antwort.
»Sehr richtig«, entgegnete sie wohlwollend. »Oder sind Sie etwa anderer Meinung?«
»Nur andeutungsweise und in einem Punkt, Mylady«, erwiderte Josuah Parker und präsentierte eine Banknote im Wert von zwanzig Pfund, »es dürfte sich eindeutig um Falschgeld handeln, falls meine Augen meine bescheidene Wenigkeit nicht Lügen strafen.«
*
»Tatsächlich Falschgeld«, stellte Mike Rander fest und hielt eine der Banknoten noch mal gegen das Licht, »sieht nach einer erstklassigen Arbeit aus.«
»Die Herren Fälscher haben sich in der Tat alle erdenkliche Mühe gegeben«, antwortete Josuah Parker.
»Ich wußte sofort, daß es sich um Blüten handelt«, erklärte Lady Agatha mit Nachdruck. Sie glaubte wieder mal das, was sie sagte.
»Haben Sie bereits die Polizei verständigt, Mylady?« fragte Kathy Porter, ihre Sekretärin und Gesellschafterin. Kathy Porter war etwa dreißig Jahre alt und eine bemerkenswert junge Frau, groß, schlank und attraktiv. Mail sah es ihr nicht an, daß sie in den Künsten fernöstlicher Selbstverteidigung beschlagen war. Mochte sie auf den ersten Blick auch zurückhaltend wirken, konnte sie sich doch in Sekundenschnelle in eine zuschlagende Pantherkatze verwandeln, wenn sie angegriffen wurde. Das braune Haar mit dem leichten Rotstich umrahmte ein pikant geschnittenes Gesicht mit hohen Wangenknochen. Beherrschend in ihm waren die dunklen, eindrucksvollen Augen.
Kathy Porter war mehr als nur eine vertraute Angestellte der älteren Dame. Lady Agatha sah in ihr so etwas wie eine Tochter und war hartnäckig bestrebt, sie möglichst bald zu verheiraten. Ihr Auserwählter für Kathy war Mike Rander, den sie nicht nur als Anwalt schätzte.
Mike Rander erinnerte, was sein Aussehen betraf, an einen bekannten James-Bond-Darsteller und war vielleicht noch lässiger als dieser Schauspieler. Vor Jahren hatte er zusammen mit dem Butler in den USA viele Abenteuer überstanden, sich dann aber zurückgezogen, um nur noch als Anwalt zu arbeiten. Nach seiner Rückkehr aus den Staaten war er von Lady Agatha Simpson wie selbstverständlich vereinnahmt worden und verwaltete nun das immense Vermögen der älteren Dame. Darüber hinaus hatte er eine Anwaltskanzlei in der nahen Curzon Street, nicht weit entfernt von Shepherd’s Market, wo sich Lady Simpsons Haus befand.
In diesem altehrwürdigen Fachwerkhaus hatte man sich zusammengefunden und hielt sich in der großen Wohnhalle auf. Butler Parker hatte Sherry serviert und einen kleinen Imbiß zur fälligen Mittagstunde angekündigt, doch Lady Agatha schien das für sie doch wichtige Stichwort gar nicht gehört zu haben. Sie blickte auf den Ledersack, der das Falschgeld enthielt.
Es handelte sich dabei um eine Art Seemannsutensil, aber eben aus Leder. Parker hatte die noch vorhandenen Banknoten gezählt und war auf eine Summe von fast hunderttausend Pfund gekommen.
»Mylady hat bisher davon Abstand genommen, die zuständigen Behörden zu informieren«, behauptete Josuah Parker Kathy Porters Frage, »Mylady will sich erst noch eine Meinung bilden.«
»Wir werden die Polizei verständigen müssen«, warf Mike Rander ein, »daran führt kein Weg vorbei.«
»Zumal Gefahr im Verzug ist, Sir«, pflichtete Parker dem Anwalt bei, »die Arbeit der Fälscher kann man nur als bemerkenswert bezeichnen. Sie ist durchaus geeignet, die Währung zu gefährden.«
»Ist es wirklich Falschgeld?« Agatha Simpson suchte nach einem Ausweg, nahm einige Banknoten in die Hand und seufzte erneut.
»Wie Mylady es sofort bemerkte«, meinte Parker und deutete ein Kopfnicken an.
»All’ das schöne Geld«, meinte sie, »vielleicht haben wir uns alle nur getäuscht.«
»Mylady sind niemals zu täuschen«, gab Parker zurück, »Mylady deuteten dies bereits nachdrücklich an.«
»Und wie fanden die Kinder den Geldsack?« fragte Kathy Porter, um Lady Agatha abzulenken.
»Es dürfte sich um einen Zufall gehandelt haben, Miß Porter«, beantwortete Butler Parker die Frage, »die Kinder suchten nach einem Ball, den sie über den Bauzaun getreten hatten.«
»Eine filmreife Szene«, meinte der Anwalt Rander lächelnd, »mit diesem Ball dürften die Fälscher nicht gerechnet haben.«
»Ich denke, ich werde den Fall lösen müssen«, warf Agatha Simpson ein. Sie hatte sich innerlich endlich von den falschen Banknoten gelöst, »ich werde diesen Subjekten das Handwerk legen. Mr. Parker, ich überlasse Ihnen die Details, die ja im Grunde völlig unwichtig sind.«
»Sehr wohl, Mylady.« In Parkers glattem Gesicht rührte sich kein Muskel.
»So oder so, ich hätte die Pfundnoten natürlich niemals zurückbehalten«, erklärte sie mit Nachdruck.
»Wer käme schon auf solch einen Gedanken, Mylady?« Mike Rander unterdrückte ein Schmunzeln, Kathy Porter schaute hinauf zur Zimmerdecke, Butler Parker sicherheitshalber hinunter zum Parkett des Fußbodens. Sie alle wußten nur zu gut, wie gern die ältere Dame ihre Hand auf die Beute gelegt hätte. Wenn es ums Geld ging, war Agatha Simpson bekanntermaßen sehr besitzergreifend.
*
Josuah Parker war allein unterwegs.
Nach dem Imbiß hatte die Lady sich in das sogenannte Studio ihres Hauses begeben, um dort ein wenig zu meditieren, mit anderen Worten, sie hatte sich niedergelegt und schlief. Mike Rander und Kathy Porter waren in die nahe Curzon Street zur Anwaltskanzlei gegangen, und der Butler hatte jetzt endlich die Möglichkeit, einige Einkäufe zu tätigen.
Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums, wie sein Privatwagen von Eingeweihten genannt wurde. Bei diesem Monstrum handelte es sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das sich durch besonders hohe und kantige Aufbauten auszeichnete. Einem solchen Wagen traute man nichts zu, doch der Eindruck täuschte. Das Taxi war nach Parkers eigenwilligen Vorstellungen technisch völlig neu gestaltet worden und stellte im gegenwärtigen Zustand eine Art Trickkiste auf Rädern dar.
Parker dachte über die falschen Banknoten nach.
Noch hatte er die Polizei nicht verständigt, doch dies änderte nichts an der Tatsache, daß sich hier ein brisanter Kriminalfall ankündigte. Die Fälscher mußten früher oder später merken, daß die Falsifikate entdeckt und mitgenommen worden waren. Sie würden sich also vehement um die Personen kümmern, die diese falschen Banknoten an sich gebracht hatten. Spuren gab es ausreichend. Schließlich waren Lady Simpson und Parker zwei. Erscheinungen, die man optisch nicht so schnell vergaß.
Möglicherweise wohnten die Fälscher in der Nähe der Surrey Docks, wo sich das verwahrloste Baugelände befand. Parker konnte sich nicht vorstellen, daß die Drucker der Banknoten das Ergebnis ihrer Arbeit weit von jener Stelle deponiert hatten, wo sie die Falsifikate hergestellt hatten. Es fragte sich, ob sie nicht bereits den Abtransport des Ledersacks beobachtet hatten.
Routinemäßig blickte der Butler in den Rückspiegel seines hochbeinigen Monstrums und registrierte die nachkommenden Fahrzeuge. Parker war ein stets vorsichtiger Mensch, der dem Zufall nicht gern etwas überließ. Mit einer Verfolgung war bereits zu rechnen. Seit dem kurzen Zwischenspiel in der Nähe der Surrey Docks waren inzwischen runde zwei Stunden verstrichen. Innerhalb dieser Spanne konnten die Fälscher bereits die Spur aufgenommen haben.
Nach einigen Minuten wußte Josuah Parker Bescheid. Ja, er wurde beschattet. Es handelte sich um einen unscheinbaren Austin, der ihm hartnäckig folgte. Und da in diesem Wagen nur der Fahrer saß, ging Parker davon aus, daß es da noch ein zweites Fahrzeug gab, das ihm folgte. Es schien ein Toyota zu sein, der hin und wieder hinter dem Austin auftauchte. In ihm saßen zwei Männer mit grauen Overalls und tief ins Gesicht gezogenen Kappen.
Deshalb geriet Josuah Parker aber keineswegs in Panik. Er war nicht der Mann, der leicht aus der Fassung zu bringen war. Eher das Gegenteil war der Fall. Der Butler war angenehm überrascht, daß die Notenfälscher bereits reagierten. Jetzt bot sich die Möglichkeit, diese Leute zu stellen.
Parker hatte längst die Absicht aufgegeben, in der Innenstadt seine Einkäufe zu tätigen. Er war bereits dabei, die beiden Fahrzeuge in eine Gegend zu locken, die er bestens kannte. Die Übermacht seiner Verfolger kümmerte ihn nicht. Er hatte da seine besondere Methode, noch mehr als nur drei Gegner auszuschalten.
Nach fast geruhsamer Fahrt erreichte er die West India Docks, suchte hier eine bestimmte Straße auf und parkte sein hochbeiniges Monstrum vor einem Antiquitätengeschäft. Er betrat das Ladenlokal und wurde von einem großen, massigen Mann begrüßt, der etwa sechzig Jahre zählte und Richard Elsley hieß. Der Inhaber des Ladens rückte seinen kleinen Kneifer zurecht und blinzelte den Butler an.
»Man erlaubt sich, einen wunderschönen Tag zu wünschen«, grüßte Josuah Parker und lüftete die schwarze Melone, »darf man sich bei dieser passenden Gelegenheit nach dem allgemeinen Lauf der Geschäfte erkundigen, Mr. Elsley?«
»Mr. Parker!« Richard Elsley lächelte und rückte erneut den kleinen Kneifer zurecht. Dazu lächelte er breit und entspannt. »Daß Sie sich auch mal wieder sehen lassen.«
»Meine Wenigkeit kommt als Privatmann, Mr. Elsley.«
»Ich habe eine saubere Weste«, erklärte Elsley und kam um die Verkaufstheke herum, »ich habe sie immer, aber ich werde leider so oft mißverstanden.«
»Das Mißtrauen der Zeit und das der Polizei im besonderen«, meinte der Butler, »möglicherweise mißtraue ich auch drei Personen männlichen Geschlechts, die meiner Wenigkeit hartnäckig folgen.«
Elsley trat vor die Auslage seiner Schaufenster-Ausstellung und warf einen schnellen Blick auf die Straße. Seine kleinen, wieselflinken Augen musterten die Fahrzeuge auf der Straße.
»Ein Toyota, nicht wahr?« fragte er dann und wandte sich wieder dem Butler zu.
»Und ein Austin«, ergänzte Parker, »man dürfte die Absicht haben, meiner Wenigkeit einige Fragen zu stellen. Sie haben sich die Kennzeichen der beiden Wagen bereits gemerkt, Mr. Elsley?«
»Aber natürlich.« Richard Elsley lächelte erneut, »so etwas ist einem in Fleisch und Blut übergegangen. Kann ich Ihnen helfen, Mr. Parker?«
Der Antiquitätenhändler, der im Grund nur mit billigem Trödel handelte, war tatsächlich ein illegaler Buchmacher, der sich hin und wieder auch mal als Hehler betätigte. Er schätzte den Butler überaus, denn Parker hatte ihn in der Vergangenheit mal aus einer mehr als peinlichen Lage befreit und ihm quasi das Leben gerettet.
»Sie könnten die verfolgenden Herren vielleicht in eine Richtung schicken, die meinen Absichten entgegenkommt«, schlug Josuah Parker vor, »mit dem massierten Erscheinen der drei Verfolger dürfte fest zu rechnen sein.«
Worin Josuah Parker sich nicht täuschte...
*
Sie glaubten ihn bereits in der Falle und näherten sich dem Ladenlokal. Zwei Verfolger, junge, stämmige Männer, die einen entschlossenen Eindruck machten, stießen die Tür zum Antiquitätengeschäft auf, und Richard Elsley erwies sich als perfekter Schauspieler. Er rückte erneut an seinem Zwicker und beugte sich höflich-abwartend über die Verkaufstheke. Dann erkundigte er sich nach den Wünschen der Kunden.
»Wo is’ der Typ mit der Melone und dem Schirm?« fragte einer der beiden Männer barsch, »los, Mann, machen Sie schon die Zähne auseinander!«
»Ein Typ mit Melone und Schirm?« Richard Elsley runzelte die Stirn, erinnerte sich dann und strahlte die beiden Männer vertrauenerweckend an. »Ach, den? Der Kunde befindet sich im Magazin, meine Herren. Er sucht nach einer alten Standuhr. Ich könnte ihn sofort verständigen.«
»Du hältst die Schnauze«, fauchte ihn der junge Mann an, »und du siehst und hörst nichts. Is’ das klar?«
»Ich verstehe nicht recht, was das ...«
»Schnauze«, wiederholte der junge Mann und hatte plötzlich eine Automatik in der Hand, auf deren Lauf ein überlanger Schalldämpfer geschraubt war.
»Guter Gott«, keuchte Richard Elsley und schaffte es spielend, sich eindeutig zu verfärben, »ich bin schon überredet.«
»Wo is’ das Magazin?« fragte der zweite Mann knapp.
»Im Souterrain«, gab Elsley Auskunft und faßte in tragischer Geste nach seinem kerngesunden Herzen, »die Treppe hinunter, dort im Korridor. Sie sind von der ...Polizei?«
»Haargenau«, meinte der zweite Mann, der nun ebenfalls seine Schußwaffe zeigte, »Geheimauftrag, klar?«
»Ich werde schweigen bis in alle Ewigkeit«, versicherte Elsley und streckte drei zum Schwur erhobene Finger seiner rechten Hand hoch in die Luft.
Die beiden Männer nahmen ihm die gespielte Naivität völlig ab und liefen hinüber in den schmalen, dunklen Korridor hinter dem Ladenlokal. Sie fanden die Treppe und schickten sich an, sie zu benutzen. Dabei konzentrierten sie sich völlig auf die Stufen und das Magazin dahinter. Deshalb übersahen sie den Butler, der sich hinter einem Schrank neben der steilen Treppe aufgebaut hatte.
Parker kam umgehend zur Sache.
Er benutzte den Bambusgriff seines altväterlich gebundenen Regenschirms, um damit bei dem Mann anzuklopfen, der seinem Partner nachging, der bereits auf den ersten Stufen war. Da dieser Bambusgriff mit Blei ausgegossen war, fiel dieses Anklopfen sehr nachdrücklich aus. Der Mann warf zuerst die Waffe hoch in die Luft, stieß einen ächzenden Laut aus und legte sich dann auf den nicht gerade klinisch sauberen Boden.
Der andere Verfolger wirbelte herum wie eine zustoßende Viper und riß dabei seine Waffe hoch, doch Parker war wesentlich schneller. Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms stach er seitlich in den Oberarmmuskel des Mannes, der daraufhin nicht mehr in der Lage war, den Schuß abzufeuern. Seine Automatik löste sich aus der geöffneten Hand und fiel auf die Treppe.
»Sie sollten sich glücklich schätzen, daß meine Wenigkeit Ihrem geplanten Schuß zuvorkam«, erläuterte der Butler in seiner höflichen Art, »wie leicht hätten Sie einen Tatbestand ausgelöst, der nicht mehr korrekturfähig gewesen wäre.«
Der Mann blickte Parker aus weit geöffneten Augen an und war noch nicht in der Lage, sich zu dieser Feststellung zu äußern. Er war völlig fassungslos.
*
»Alles gelaufen?« fragte der Austinfahrer, der das Ladenlokal betrat. Er war völlig ahnungslos und ging von der Vorstellung aus, daß seine beiden Partner ihr Opfer bereits überwältigt hatten.
»Die Dinge nahmen einen durchaus positiven Verlauf«, erwiderte Josuah Parker und trat hinter einem rollbaren Kleiderständer vor. Er lüftete höflich die schwarze Melone und benutzte sie anschließend, um die Nase des Mannes ein wenig zu verbiegen. Dies war nötig, da der Austinfahrer eindeutig nach einer Schußwaffe greifen wollte.
Der Getroffene sah vor lauter Tränen nichts mehr. Er spürte nur, daß man nach seiner Schulterhalfter griff und die Schußwaffe hervorholte.
»Sie haben eine gewisse Neugier in meiner Wenigkeit erregt«, schickte Josuah Parker voraus, »dürfte man erfahren, in wessen Auftrag Sie und Ihre Freunde unterwegs sind?«
»Meine Nase ... meine Nase«, nuschelte der Austinfahrer.
»Nach einer Phase des leichten Anschwellens wird sie mit Sicherheit wieder zur normalen Größe zurückfinden«, versicherte Parker dem Mann, »Sie können meine Frage also unbeschwert beantworten.«
»Mann, dafür wird man Sie rösten«, prophezeite der Austinfahrer, »dafür gibt’s ’ne Retourkutsche.«
»Ankündigungen dieser und ähnlicher Art sind meiner Wenigkeit nur zu bekannt«, erwiderte der Butler, »Sie sollten antworten, bevor sich in mir eine gewisse Ungeduld aufbaut.«
Der Mann schielte auf die schwarze Melone, dachte an seine Nase und nickte dann.
»Stop, machen Sie keinen Unsinn«, sagte er schniefend, »Tony Steffen hat uns losgeschickt.«
»Und wer ist dieser besagte Mr. Tony Steffen?« lautete Parkers nächste Frage.
»Der macht in Gerüsten«, gab der Austinfahrer Auskunft, »sein Geschäft liegt bei den Surrey Docks.«
»Demnach sind Sie und Ihre Freunde Gerüstebauer?«
»Klar doch«, behauptete der Austinfahrer, »wir haben Tony nur ’nen Gefallen getan.«
»Und diverse Schußwaffen rein zufällig mitgenommen, wie Ihre nächste Erklärung lauten dürfte.«
»Mann, Sie wissen doch Bescheid«, beschwerte sich der Angegriffene und fingerte vorsichtig an seiner Nase herum, um sie wieder in die ursprüngliche Lage zu bringen.
»Demnach sollten Sie also meine Wenigkeit zu Mr. Tony Steffen bringen, wie zu vermuten ist?«
»Nur das, mehr nicht.« Der Mann gab die Bemühungen um seine Nase auf. Er hatte wohl eingesehen, daß sie im Augenblick kaum zu korrigieren war, was ihre Schieflage betraf.
»Sie sollten sich hinunter in das Magazin begeben«, schlug Parker vor, »möglicherweise findet sich ein verschließbarer Raum.«
Parker überließ dem Austinfahrer den Transport seiner Freunde. Es fand sich ein kleiner, sicherer Raum, der gut zu verschließen war. Nach knapp fünf Minuten befanden sich die drei Gerüstbauer in diesem Gelaß und konnten vorerst nicht mehr in das Geschehen eingreifen.
Erst jetzt ließ Richard Elsley sich wieder sehen. Aus taktischen Gründen hatte er sich zurückgezogen. Er zwinkerte dem Butler zu.
»Ich bin froh, Sie nicht zum Gegner zu haben«, meinte der große Mann, »ich kenne übrigens diesen Tony Steffen.«
»Was meine Wenigkeit als sicher unterstellte, Mr. Elsley. Hoffentlich wird man Ihnen nach diesem Intermezzo in Ihrem Geschäft keine Schwierigkeiten bereiten.«
»Keine Sorge, Mr. Parker, ich werde mich schon herausreden. Sie wollten zu diesem Tony Steffen fahren?«
»Das ist selbstverständlich meine Absicht, Mr. Elsley.«
»Tony Steffen ist ein heimtückischer und harter Gangster. Sie sollten vorsichtig sein.«
»Welche Rolle spielt Mr. Steffen in der kriminellen Szene, Mr. Elsley?«
»Er verleiht Gerüste und Schläger, Mr. Parker, dafür ist er bekannt.«
»Man sollte und wird ihm die Grenzen seiner Möglichkeiten aufzeigen, Mr. Elsley. Übrigens eine Frage, die ein anderes Thema anreißt: Seit wann spricht man in einschlägigen Kreisen von Falschgeld?«
»Falschgeld?« Elsley rückte umständlich seinen Zwicker zurecht und schien Zeit gewinnen zu wollen. Schließlich hob er bedauernd die Schultern. »Ich habe bisher nichts von Falschgeld gehört.«
»Sie kennen also einschlägige Gerüchte.«
»Nun ja, ich hab so was aus zweiter und dritter Hand mal beiläufig mitbekommen«, redete Elsley sich heraus, »aber Sie können mir glauben, Mr. Parker, daß ich so gut wie nichts weiß.«
»Wer könnte Ihrer intimen Kenntnis nach als Fälscher in Betracht kommen?« erkundigte sich Parker in seiner höflichen Art.
»Das muß ein Neuer sein, Mr. Parker«, versicherte Elsley, »bisher wurde kein Name genannt. Das ist die reine Wahrheit.«
»Die meine Wenigkeit Ihnen zur Zeit noch abzunehmen bereit ist«, entgegnete der Butler würdevoll, »lassen Sie sich eine glaubwürdige Geschichte einfallen, was mein Wirken in Ihrem Ladenlokal betrifft. Ich möchte keineswegs, daß Sie Schaden nehmen.«
»Ich werde schon zurechtkommen, Mr. Parker«, versicherte Elsley erneut, »ich glaube nicht, daß Steffen sich mit mir anlegen wird. Schließlich habe ich hier so meine Freunde. Und sein Gebiet sind die West India Docks bestimmt nicht. Steffen regiert drüben bei den Surrey Docks.«
Josuah Parker lüftete höflich die schwarze Melone und verließ das Ladenlokal. Er war mit dem Verlauf der Dinge mehr als zufrieden. Die Banknotenfälscher hatten schließlich bereits Flagge gezeigt.
*
Tony Steffen war etwa vierzig, kahlköpfig, mittelgroß und hatte harte, graue Augen. Diese starrten im Moment völlig fassungslos auf Parker, der im Büro des Mannes erschienen war und seine schwarze Melone lüftete.
»Wie kommen denn Sie hier rein?« fragte er schließlich und schielte hinüber zur halb geöffneten Tür.
»Ihre Mitarbeiter vorn in der Bürobaracke waren so überaus freundlich, meine Wenigkeit einzulassen«, beantwortete der Butler die Frage, »ich möchte übrigens nicht versäumen, Ihnen gewisse Grüße auszurichten.«
»Grüße? Von wem denn?« Tony Steffen schob sich mit seinem Sessel zurück und schielte jetzt in Richtung Schublade. Danach korrigierte er wie zufällig die Stellung seines Bürosessels, um später blitzschnell die anvisierte Schublade aufziehen zu können. Josuah Parker nahm dies natürlich alles wahr, doch er ließ sich nichts anmerken.
»Es handelt sich bei den erwähnten Grüßen um die einiger Ihrer Mitarbeiter«, redete der Butler in seiner höflichen Art weiter, »sie waren so freundlich, meinen Weg durch die Stadt zu verfolgen und zu begleiten.«
»Ich hab’ keine Ahnung, wovon Sie da eigentlich reden«, behauptete Tony Steffen, »Sie sind hier an der falschen Adresse.«
»Die drei Gerüstbauer sehen sich momentan außerstande, ihre Aufmerksamkeit meiner Wenigkeit zu widmen«, erwiderte Parker gemessen, »man war so frei, ihnen eine kleine Verschnaufpause zu gönnen.«
»Jetzt reicht es mir aber langsam«, regte Tony Steffen sich auf, »was faseln Sie da zusammen? Wer sind Sie eigentlich?«
»Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor, »aber das dürften Sie ja inzwischen sehr genau wissen.«
Tony Steffen schielte erneut, blickte seitlich an Parker vorbei erneut zur Tür hinüber und wartete mit Sicherheit auf seine beiden Bürokräfte aus der Steinbaracke. Doch sie erschienen nicht. Parker hatte sich auf eine sehr spezielle Art kurz mit ihnen unterhalten und sie dazu überredet, eine Art Teepause einzulegen. Sie waren seinem Vorschlag gefolgt, nachdem der Butler seinen Universal-Regenschirm argumentativ eingesetzt hatte.
»Im Mittelpunkt des gemeinsamen Interesses dürfte ein mit Banknoten gefüllter Ledersack stehen«, fuhr Josuah Parker würdevoll fort, »nach oberflächlicher Durchzählung könnte es sich um etwa hunderttausend Pfund handeln.«
»Mann, Sie reden da vielleicht was zusammen«, entgegnete Tony Steffen, »was habe denn ich damit zu tun?«
Er hatte seine Frage noch nicht ganz ausgesprochen, als er sich nach vorn warf und tatsächlich blitzschnell die Schublade aufriß. Seine rechte Hand schoß in die Lade und zerrte einen Gegenstand hervor, der aus brüniertem Stahl bestand.
Der Butler langte nicht weniger schnell mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms über den Schreibtisch und zog die Lade wieder zu. Er erledigte das mit einiger Energie und sorgte so dafür, daß Tony Steffens stöhnte und sich verfärbte. Seine Hand war eingeklemmt worden und schmerzte wohl ein wenig.
»Falls meine Wenigkeit Ihre Handbewegung mißverstanden haben sollte, möchte ich mich in aller Form entschuldigen«, sagte Josuah Parker, »Sie können die erwähnte Hand jetzt wieder vorziehen, doch möglichst ohne Waffe.«
Tony Steffen jaulte, befreite die Hand und hielt sie anklagend in die Höhe. Er legte sie danach in die linke Hand und litt.
»Kühle Umschläge werden aufkommende Schmerzen und Schwellungen mit Sicherheit lindern«, riet Parker dem Mann, »bevor meine Wenigkeit sich jetzt empfiehlt, sollten Sie vielleicht den Namen jener Person nennen, für die Sie Ihre Gerüstebauer auf mich ansetzten.«
»Sie liegen völlig falsch, Mann«, stöhnte Tony Steffen, »wenn Ihnen da wirklich einer gefolgt ist, dann aber ohne mein Wissen.«
»Meine Wenigkeit spielt mit dem Gedanken, Ihre Hand noch ein wenig nachzubehandeln«, entgegnete der Butler höflich, »und dazu würde ich durchaus den Griff meines Schirmes verwenden. Ich kann nur hoffen, mich deutlich genug ausgedrückt zu haben, Mr. Steffen.«
»Nein, nein, nur das nicht, Mann.« Tony Steffen stieß sich mit dem linken Fuß ab und rollte auf seinem Bürosessel zurück an die Wand. »Machen Sie keinen Blödsinn, tun Sie das nicht!«
»Für wen also ließen Sie meine Wenigkeit verfolgen?« Parker schien nichts gehört zu haben. Er stieß die Spitze seines Schirmes gegen den Boden, ließ den Schirmstock zurückfedern und in die Luft steigen. Dann griff er mit der rechten Hand zu und hielt den Schirm am unteren Drittel fest. Der Bambusgriff stand deshalb hoch in der Luft und neigte sich bereits in Richtung Tony Steffen.
»Bryan Buttons«, flüsterte Steffen jetzt umgehend und brachte seine angequetschte Hand schleunigst in Sicherheit, »aber ich habe nichts gesagt, Mann, überhaupt nichts. Ich kenne den Namen gar nicht.«
*
»Sie hätten mich natürlich mitnehmen müssen, Mr. Parker«, mäkelte die ältere Dame, als ihr Butler diesen Punkt der Erzählung erreichte, »es hat sich doch wieder mal gezeigt, daß Sie allein den Dingen nicht gewachsen sind.«
Sie saß am Tisch im kleinen Salon ihres Hauses und nahm den Tee. Parker reichte dazu etwas Gebäck, wie seine Herrin gewünscht hatte. Dabei handelte es sich nun wirklich nicht um einige Kekse, sondern um kalorienreichen Früchtekuchen, der mit Rum getränkt war. Selbstverständlich nahm Mylady nur eine Kleinigkeit. Sie war bereits beim zweiten, nicht gerade kleinen Kuchenstück.
»Die Grenzen meiner privaten und bescheidenen Möglichkeiten deuteten sich in der Tat an, Mylady«, meinte Parker höflich, ohne die Miene zu verziehen.
»Wer ist nun dieses Subjekt, von dem Sie gerade gesprochen haben?« fragte sie, nachdem sie im Anschluß an Parkers Bemerkung zustimmend und wohlwollend genickt hatte.
»Mr. Bryan Buttons, Mylady, ist vorerst noch eine Unbekannte in dem sich andeutenden Kriminalfall«, gab Josuah Parker zurück, »man wird noch genaue Ermittlungen anstellen müssen.«
»Könnte dieser Gerüstebauer Sie nicht angelogen haben?« wollte sie wissen und beförderte das dritte Kuchenstück auf ihren Teller.
»Solch eine Möglichkeit ist niemals auszuschließen, Mylady«, räumte Josuah Parker ein, »die Unterhaltung mit Mr. Tony Steffen ließ sich leider nicht vertiefen, da einige Mitarbeiter des Firmeninhabers auftauchten. Meine Wenigkeit hielt es daher für ratsam, das sogenannte Weite zu suchen.«
»Eine Lady Simpson hätte niemals das Feld geräumt«, erklärte die ältere Dame, »aber gut, ich werde Ihnen keine Vorwürfe machen, Mr. Parker. Ich kenne schließlich Ihre Schwächen.«
»Mylady sind zu gütig, diese Schwächen zu tolerieren«, meinte Parker, den nichts aus der Fassung zu bringen vermochte, was seine Herrin betraf.
»Ich denke, ich werde einiges unternehmen«, kündigte Agatha Simpson an, »aber ich möchte mich noch nicht festlegen.«
Nach dieser Feststellung wartete die Lady auf Vorschläge Parkers, doch der Butler beschränkte sich darauf, Tee auszugießen. Seine Herrin schnaufte ein wenig unwillig, denn sie hatte keine Ahnung, was sie unternehmen sollte.
»Ich überlasse Ihnen die Details«, meinte sie schließlich auffordernd.
»Meine Wenigkeit bedankt sich für dieses Vertrauen, Mylady.«
»Ich warte«, sagte sie leicht gereizt.
»Ein Stichwort, Mylady, das man aufgreifen sollte«, gab Parker zurück, »inzwischen dürfte der erwähnte Mr. Bryan Buttons bereits von Mr. Tony Steffen informiert worden sein.«
»Hatte der Gerüstebauer nicht Angst, diesen Namen zu nennen?« Lady Agatha runzelte die Stirn. Sie war ein wenig verwirrt.
»Mr. Steffen dürfte mit dieser Bemerkung ein wenig übertrieben haben«, erklärte der Butler, »Wie Mylady bereits festzustellen geruhten, könnte Mr. Steffen durchaus gelogen haben, was den Hinweis auf Mr. Buttons betrifft. Dabei könnte es sich durchaus um eine falsche Spur handeln.«
»Wie auch immer, Mr. Parker.« Sie widerstand der Versuchung, noch ein viertes Stück Früchtekuchen zu essen. »Finden Sie heraus, wer dieses geheimnisvolle Subjekt ist, damit ich mich endlich einschalten kann. Danach dürfte der Fall bereits so gut wie geklärt sein.«
»Meine bescheidenen Ermittlungen laufen bereits, Mylady.«
»Das höre ich gern«, sagte sie wohlwollend, »sollte es Schwierigkeiten geben, wenden Sie sich an mich. Aber ich werde die Hände nicht in den Schoß legen.«
»Das stand zu erwarten, Mylady.«
»Ich werde noch mal zu den Surrey Docks hinüberfahren und mir den Tatort ansehen«, redete sie weiter, »ich werde mich der Unterwelt zeigen und sie herausfordern.«
Parker hütete sich, seiner Herrin beizupflichten, sonst hätte sie sich mit Sicherheit sofort wieder anders entschieden. Er deutete nur ein knappes, zustimmendes Nicken an. Sie schritt energisch zur Treppe, die ins Obergeschoß des Hauses führte. Sie wollte sich umkleiden und in zehn Minuten wieder zurück sein. Für den Butler war das Zeit genug, gewisse Vorkehrungen für die geplante Ausfahrt zu treffen. Nach den bisherigen Erfahrungen im Umgang mit Lady Simpson deuteten sich wieder mal chaotische Zwischenfälle an.
*
Josuah Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und fuhr die Straße hinunter, in dessen Rinnstein die kleinen Papierschiffchen aus Banknoten geschwommen hatten. Er bewegte seinen Wagen nur langsam und beobachtete, aufmerksam den Straßenverkehr. Verdächtiges konnte Parker allerdings nicht feststellen. Er hielt vor einem Pub in der Nähe des bewußten Bretterzauns und erntete dafür ein zustimmendes Nicken seiner Herrin.
»Sehr aufmerksam, Mr. Parker«, sagte sie, »ich fürchte, ich werde etwas für meinen Kreislauf tun müssen.«
»Darüber hinaus können Mylady sich einer interessierten Öffentlichkeit zeigen«, erwiderte Parker. Er stieg aus, öffnete den hinteren Wagenschlag und überwachte das Aussteigen der großen, fülligen und majestätischen Erscheinung Lady Simpsons.
Es war natürlich wieder mal Josuah Parker, der in dieser Umgebung Aufsehen erregte. Er schien aus einer anderen Welt gekommen zu sein, um der Gegenwart einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Sein schwarzer Covercoat, die schwarze Melone, der altmodische Eckkragen und der schwarze Binder wiesen ihn eindeutig als einen hochherrschaftlichen Butler aus, der in die viktorianische Zeit paßte. Der altväterlich gebundene Regenschirm vervollständigte diesen Eindruck.
Lady Agatha hingegen wirkte wesentlich moderner und zupackender. Sie trug eines ihrer beliebten Tweedkostüme, die alle viel zu weit waren. Die Schuhe waren derb, geschnürt und sehr groß. An ihrem rechten Handgelenk baumelte der perlenbestickte Pompadour, und auf dem Kopf saß eine ihrer beliebten Hutschöpfungen. Sie erinnerte an eine mißglückte Mischung aus einem Napfkuchen und einem Südwester der Seefahrt. Dennoch, die ältere Dame in ihrer Fülle strömte Autorität und Selbstbewußtsein aus.
»Man scheint mich sofort wiedererkannt zu haben, Mr. Parker«, sagte sie wohlwollend. Natürlich irrte sie. Die Aufmerksamkeit einiger junger Männer vor dem Eingang zum Pub galt eindeutig dem Butler.
»Wie wär’s denn mit ein paar Scheinchen für ’ne kleine Erfrischung?« sagte einer der jungen Männer. Er trug Jeans, hatte sich den Kopf kahl rasiert und gab sich herausfordernd. Er versprach sich einen Spaß mit Parker und wollte seinen Freunden beweisen, wie überzeugend er war.
»Darf man fragen, wie Ihr Hinweis gemeint ist?« erkundigte sich der Butler. Agatha Simpson baute sich seitlich hinter ihrem Butler auf und brachte ihren Pompadour in leichte Schwingung.
»Rück mal ein paar Kohlen raus, Alterchen«, erwiderte der junge Mann und grinste, »is’ nur ’ne kleine Anleihe, klar? Wir zahlen alles zurück. Ehrenwort!«
»Sie werden verstehen, daß man Zweifel an Ihrem Versprechen hegt«, meinte Parker höflich wie stets.
»Willst du damit sagen, ich würde lügen?« Der junge Mann wurde ernst.
»So kann man es selbstverständlich auch ausdrücken«, entgegnete der Butler gemessen.
»Das lasse ich nicht auf mir sitzen, Mann.«
»Das ist ein Problem, mit dem Sie sich ganz allein auseinandersetzen müssen. Sie erlauben, daß man Mylady in das Lokal führt?«
»Zuerst werd’ ich dir mal was auf die Nase geben«, schickte der junge Mann voraus, »un’ dann unterhalten wir uns noch mal über die kleine Anleihe, klar?«
Parker hatte den altväterlich gebundenen Regenschirm vom angewinkelten linken Unterarm gelöst und in die rechte Hand genommen, über die sich ein schwarzer Lederhandschuh spannte. Der Butler stach mit der Spitze dieses Schirms auf den ausgefransten Tennisschuh des jungen Mannes und traf zielsicher die Zehenpartie.
Der junge Kreditnehmer verfärbte sich, holte ungemein tief Luft, hielt sie ungewöhnlich lange in den Lungen und stieß dann endlich einen spitzen Jaulton aus.
»Sie sollten sich wegen einer offensichtlichen Bagatelle nicht entschuldigen«, meinte Josuah Parker und lüftete überaus höflich die Melone, »warum sollte es Ihnen nicht erlaubt sein, sich mal zu irren?«.
Der junge Mann nahm diesen Hinweis nicht entgegen, hüpfte inzwischen auf dem noch intakten Fuß herum und produzierte weitere Heultöne. Seine Begleiter, etwa vier oder fünf junge Gleichaltrige, wußten nicht so recht, wie sie sich verhalten sollten.
Lady Agathas Temperament war natürlich geweckt worden. Sie schritt energisch auf diese jungen Männer zu und ließ ihren Pompadour kreisen. Ihre dunklen Augen funkelten.
Instinktiv spürten die jungen Männer, daß Gefahr im Verzug war. Sie wichen respektvoll zurück und rotteten sich neben dem Hydranten zusammen. Butler Parker hatte inzwischen die Tür zum Pub geöffnet und ließ Mylady eintreten.
»Ich will doch sehr hoffen, Mr. Parker, daß ich diese Lümmel gleich noch antreffen werde«, sagte sie.
»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady«, versicherte Parker der älteren Dame, »man wird diese erlittene Schmach kaum auf sich sitzenlassen.«
*
Mylady trank einen doppelten Brandy und belebte ihren Kreislauf. Sie saß in einer Nische und musterte die Gäste im Pup. Hier hatte man wohl bereits mitbekommen, was sich draußen abgespielt hatte. Viele Gäste musterten Mylady und Parker unverhohlen, tuschelten miteinander und prosteten den beiden Neuankömmlingen zu.
»Nichts als nette Leute«, räsonierte die passionierte Detektivin, »wo bleiben diese Subjekte aus der Unterwelt?« .
»Man wird früher oder später erscheinen, Mylady«, erwiderte Josuah Parker, »der Vorfall vor dem Pub muß sich erst noch ein wenig herumsprechen.«
»Man soll sich gefälligst beeilen«, sagte die ältere Dame ungeduldig, »ich habe meine Zeit nicht gestohlen.«
»Darf man sich nach Myladys Kreislauf erkundigen?«
»Er normalisiert sich«, lautete Agatha Simpsons Antwort, »aber ich werde noch einen zweiten Brandy brauchen, Mr. Parker.«
Der Butler erhob sich vom Stuhl und ging gemessenen Schrittes hinüber zum Tresen, um einen zweiten Brandy zu kaufen. Er selbst trank nichts. Parker machte sich nichts aus Alkohol. Der Barkeeper reichte das gefüllte Glas, beugte sich dabei ein wenig vor und flüsterte dem Butler etwas zu, was Parker nur bruchstückhaft verstand. Er entnahm den Worten des Barkeepers, der kaum die Lippen bewegte, daß er in den Waschraum kommen sollte.
Parker tat so, als hätte er nichts verstanden. Er trug den Brandy an Myladys Tisch zurück und entschuldigte sich dann für einen Moment. Der Butler betrat den Korridor, der zu den Waschräumen führte und war auf der Hut.
Immerhin konnte es sich um eine Falle handeln, in die man ihn zu locken beabsichtigte. Da der Barkeeper noch hinter dem Tresen stand, baute Parker sich in einer dunklen Nische auf, die von einer Wand und einem Spielautomat gebildet wurde. Nach wenigen Augenblicken waren schnelle Schritte zu vernehmen.
Der Barkeeper fuhr zusammen, als Parker plötzlich vor ihm stand.
»Mann, haben Sie mich erschreckt«, beschwerte er sich fast, »kommen Sie weiter nach hinten.«
»Sie sollten vielleicht vorausgehen«, schlug Parker vor, um dann dem Mann zu folgen. Der Barkeeper passierte die beiden Waschräume und öffnete eine Tür. Parker blickte in einen Raum, der offensichtlich als Lager diente. Auf Regalen standen Kartons, Konserven und Flaschen aller Art.
»Selbstverständlich nach Ihnen«, meinte Parker, als der Barkeeper in einer höflichen Geste zur Seite trat. Der Mann nickte und schlüpfte in den Raum. Parker folgte erst danach.
»Es geht da um diese verdammten Banknoten«, sagte der Barkeeper ohne jede Einleitung, »hier in den Straßen ist die Hölle los.«
»Könnten Sie sich unter Umständen etwas deutlicher ausdrücken?« fragte der Butler.
»Nicht nur ich hab’ mitbekommen, daß Sie da ’nen Ledersack vom Bauplatz mitgenommen haben«, schickte der Barkeeper voraus, »und jetzt sind die Fowlers dran.«
»Ein Name, der meiner Wenigkeit nichts sagt, wie ich bekennen muß.«
»John und Elsie Fowler«, meinte der Barkeeper eindringlich, »die wohnen da drüben im Block und haben jetzt Ärger mit Sally.«
»Der Sinn Ihrer Rede wird immer dunkler«, stellte Parker fest.
»Da sind ein paar Kerle hinter Sally her, verstehen Sie?« Der Barkeeper sah den Butler eindringlich beschwörend an.
»Könnte es sich bei der erwähnten Sally um eine junge Dame handeln?« fragte der Butler.
»Sally ist gerade zehn Jahre alt«, meinte der Barkeeper und lächelte flüchtig, »sie ist eine richtige Rotznase, die einem verdammt auf die Nerven gehen kann. Man will sie umbringen, verstehen Sie? Das wenigstens sagt John Fowler.«
»Es wäre vielleicht recht nützlich, die Adresse der Familie Fowler genannt zu bekommen«, schlug Josuah Parker vor, »Sie sind mit ihr näher befreundet?«
»Elsie ist meine Schwester«, hörte Josuah Parker, »und auch Elsie behauptet, man hätte auf Sally geschossen.«
Parker brauchte einige Geduld, bis er endlich die Adresse der Familie Fowler erfuhr. Danach verabschiedete sich der Barkeeper hastig und eilte in den Schankraum zurück. Da Parker nun schon mal in den hinteren Räumen des Pub war, nutzte er die Gelegenheit, sich ausreichend zu informieren, was die übrigen Räumlichkeiten anging. Für den Fall eines Falles wollte er in der Lage sein, Mylady eine Art Notausgang anbieten zu können.
*
Agatha Simpson schien sich in der Zwischenzeit ein Glas Bier gekauft zu haben.
Sie stand am Tresen und stellte das noch halb gefüllte Glas gerade ab. Dazu benutzte sie allerdings den Kopf eines Mannes, der knapp vor ihr stand und dabei war, in die Knie zu gehen. Die Lady machte einen ungemein animierten Eindruck.
»Wagen Sie es nicht noch mal, eine hilflose Frau zu beleidigen«, sagte sie nachdrücklich und trat mit dem rechten Fuß gegen das linke Schienbein des Mannes, der daraufhin brüllte und nach hinten wegrutschte.
»Mylady wurden belästigt?« erkundigte sich der Butler höflich bei seiner Herrin.
»Ich denke schon«, erwiderte Agatha Simpson, »dieser Lümmel forderte mich auf, mit ihm ins Hinterzimmer zu gehen.«
»Eine Einladung, die man keineswegs als standesgemäß bezeichnen kann, Mylady.«
»Er forderte mich mit einem Messer dazu auf, Mr. Parker. Eine Unverschämtheit!«
»Falls Mylady erlauben, möchte meine Wenigkeit sich dieser Einschätzung vollinhaltlich anschließen«, sagte Josuah Parker und ging dann auf den Mann zu, der auf dem schmutzigen Boden vor dem Tresen saß und nicht recht wußte, was er massieren sollte, seinen Kopf oder sein Schienbein.
»Mylady erwartet eine Entschuldigung«, schickte Parker voraus, »Mylady ist durchaus damit einverstanden, daß dies unter sechs Augen geschieht.«
»Was ist denn? Was ist eigentlich los?« fragte der Mann und griff nach dem dolchartigen Messer, das in seiner Nähe auf dem Boden lag. Er beließ es allerdings bei diesem Versuch, als Parker die Spitze seines Universal-Regenschirms auf den Handrücken des Mannes stellte.
»Sie sollten sich tunlichst schnell erheben und sich eine passende Entschuldigung einfallen lassen«, schlug Parker vor und deutete dann mit der Schirmspitze auf die halb geöffnete Tür, hinter der sich das erwähnte Hinterzimmer befand. Agatha Simpson schritt bereits voran, griff nach einem gefüllten Bierglas auf dem Tresen und goß den Inhalt über den Kopf des sich duckenden Mannes.
»Das wird die Schwellung lindern«, meinte die ältere Dame, »nun erheben Sie sich endlich, sonst werde ich Ihnen Beine machen.«
Der Mann tat wie geheißen und wollte sich schleunigst absetzen. Sein Ziel war die Tür des Pub, doch Josuah Parker lenkte seine Energien in eine andere Richtung. Mit dem Bambusgriff seines Schirmes hakte er hinter das rechte Bein des davoneilenden Mannes, der prompt das Gleichgewicht verlor und der Länge nach hinschlug.
»Sie scheinen es sich in den Kopf gesetzt zu haben, sich zu schaden«, kommentierte Parker das kleine Intermezzo, »darf ich in Erinnerung rufen, daß Sie sich bei Mylady entschuldigen wollen?« Endlich hatte der Mann begriffen.
Während die übrigen Gäste interessiert, neugierig und beeindruckt zuschauten, stand der Mann wieder auf und torkelte ins Hinterzimmer. Er war etwa dreißig Jahre alt, untersetzt und augenscheinlich muskulös. Viel Freunde schien er im Pub nicht zu haben. Es gab kaum einen mitfühlenden Blick für ihn.
Parker schloß die Tür des Hinterzimmers und wandte sich an den Mann.
»Mylady geruht zu warten«, sagte er dann, »und Mylady will vor allen Dingen erfahren, in wessen Auftrag Sie Mylady zu sprechen wünschten.«
»Verdammt, so hat mich noch keine Frau ...« Der Mann brachte seinen Satz nicht zu Ende, wischte sich das klebrige Bier aus dem Gesicht und starrte Agatha Simpson wütend an.
»Sie dürften inzwischen um eine Erfahrung reicher geworden sein«, stellte Josuah Parker fest, »doch jetzt sollten Sie den Namen jener Person nennen, die Sie beauftragte, Kontakt mit Lady Simpson aufzunehmen.«
»Und zwar etwas plötzlich, junger Mann«, grollte die Detektivin, »ich fühle mich sonst wieder sehr beleidigt.«
»Mills«, lautete die nun hastige Antwort, »Dave Mills.«
»Eine ausgemachte Lüge«, entgegnete Lady Agatha und ließ ihren Pompadour dicht am Kopf des Mannes vorbeikreisen.
»Ehrenwort, Lady«, stöhnte der Mann beeindruckt, »Dave Mills.«
»Was könnte man sich unter Umständen unter diesem Namen vorstellen?« wollte der Butler wissen.
»Mills macht in Briefmarken«, lautete die Antwort, »er hat hier in der Nähe einen Laden. Mehr weiß ich auch nicht.«
»Und wie lautete Ihr Auftrag im Detail?« fragte Josuah Parker weiter.
»Ich sollte die Lady zu ihm bringen. Und Sie dann auch, Sir.« Der Dreißigjährige war sehr kleinlaut geworden.
»Warum sagten Sie das nicht gleich?« Parker deutete ein verständnisloses Kopfschütteln an, »selbstverständlich wird Mylady dieser so freundlichen Einladung folgen.«
»Und zwar sofort«, fügte die ältere Dame hinzu, »für Briefmarken habe ich mich schon immer interessiert.«
*
Sie warteten vor dem Eingang zum Pub auf Mylady und den Butler. Die jungen Männer wollten endlich ihre Rache genießen. Sie wurden von jenem jungen Mann angeführt, dessen Zehen noch intensiv schmerzten.
»Sie dürften ein Kenner dieses Viertels sein«, meinte Parker zu seinem Begleiter, »wer sind diese jungen Männer?«
»Sie gehören zu einer Straßen-Gang«, erklärte der Mann. »Große Klappen und nichts dahinter.«
Parker hatte den Hinterausgang gewählt und ließ den Handlanger des noch unbekannten Dave Mills nicht aus den Augen. Lady Agatha musterte aus der Entfernung die jungen Männer und zeigte große Lust, sich mit ihnen anzulegen.
»Vielleicht sollten und könnten Mylady zu einem späteren Zeitpunkt pädagogische Maßnahmen hinsichtlich der jungen Männer ergreifen«, schlug Josuah Parker vor.
»Ich fühle mich belästigt«, antwortete sie aggressiv, »man lauert mir doch auf, oder etwa nicht?«
»Mylady werden sicher vorerst großzügig darüber hinwegsehen«, vermutete der Butler, »Mylady dürften im Augenblick nur an Briefmarken interessiert sein.«
Das hochbeinige Monstrum des Butlers stand in der Nähe der jungen Schläger. Näherte man sich dem Wagen, mußten die erwartungsfrohen Mitglieder einer Straßen-Gang auf ihre Opfer aufmerksam gemacht werden. Dem galt es vorzubeugen.
Josuah Parker erledigte dieses kleine Problem auf seine Art. Er langte in eine seiner vielen Westentaschen, zog eine perforierte Plastikkapsel hervor und drückte sie mit Daumen und Zeigefinger ein, Ein feines Knacken und Brechen von Glas war zu vernehmen. Die Glasampulle in der Kapsel war auseinandergeborsten und gab eine wasserklare Flüssigkeit frei, die sich spontan und aggressiv mit dem Sauerstoff der Luft verband.
Der Butler beeilte sich nun, die Kapsel wegzuwerfen, Er holte kurz aus und beförderte die kleine chemische Bombe hinüber zu den Mitgliedern der Straßen-Gang. Sie landete ungesehen zwischen den Beinen der jungen Männer, die sich auf die Tür zum Pub konzentrierten.
Daher übersahen sie auch den feinen, weißlichen Schwaden, der vom Boden hochstieg und sich schnell ausbreitete. Erst als ihre Augen sich mit Tränen füllten und sie von einem kollektiven Husten erfaßt wurden, merkten die jungen Männer, daß da einiges nicht stimmte. Sie spritzten auseinander, waren verwirrt, husteten sich die Seele aus dem Leib und wischten sich die hinderlichen Tränen aus den Augenwinkeln.
Es dauerte nicht lange, bis sie sich auf den Gehweg-Platten niederließen und jegliches Interesse an ihrer Umwelt verloren. Sie husteten im Chor, weinten und legten eine ungewöhnliche Apathie an den Tag.
Parker wartete, bis die Schwaden sich verflüchtigt hatten. Dann schritt er gemessen hinüber zum hochbeinigen Monstrum, nahm am Steuer Platz und setzte seinen Wagen bis in Myladys Höhe zurück. Der Mann, der die Detektivin im Pub mit einem Messer hatte bedrohen wollen, ließ sich von der älteren Dame widerstandslos in den Fond des Monstrums drücken. Parker gewann den Eindruck, daß Mylady ihm eine Kostprobe ihres Pompadours verabreicht hatte.
In diesem perlenbestickten Handbeutel befand sich ihr sogenannter Glücksbringer, nämlich ein echtes Pferdehufeisen, das nur oberflächlich von dünnem Schaumstoff umgeben war. Wer von diesem Glücksbringer gekostet hatte, stand für einige Zeit nicht mehr sehr sicher auf den Beinen.
»Dieses Subjekt versuchte doch tatsächlich, mich zur Seite zu stoßen«, sagte die Lady entrüstet, als sie sich im Wagen befand, »leider gab es schon nach der ersten Ermahnung auf.«
»Ein gewisser Lernprozeß dürfte demnach bereits eingesetzt haben, Mylady«, erwiderte Josuah Parker höflich, »die Fahrt hierher zu den Surrey .Docks kann man nur als ausgesprochen glücklich bezeichnen.«
»Sie sollten immer auf mich hören, Mr. Parker«, erwiderte die ältere Dame prompt und nickte nachdrücklich, »ich weiß genau, wie man einen Kriminalfall anpacken muß. Nun, im Lauf der Zeit werden auch Sie das noch lernen.«
*
Das Ladenlokal des Briefmarkenhändlers befand sich im Souterrain eines schäbigen Wohnhauses und ermunterte nicht gerade zum Eintreten. Neben der Eingangstür gab es ein kleines Schaufenster, in dem mit Briefmarken vollgestopfte Plastikbeutel hingen. Die Marken waren vergilbt, reine Massen wäre und wohl seit vielen Monaten nicht bewegt worden.
Parker öffnete die Tür und schaute sich im Raum um. Es gab eine winzige Verkaufstheke, einige Regale und zwei kleine Vitrinen. Es roch nach stockigem Papier, nach abgestandenem Rauch und schalem Bier. Rechts von der Theke befand sich eine schmale, halb geöffnete Tür.
»Sie sollten sich bemerkbar machen«, schlug Parker dem Mann vor, der sich inzwischen ein wenig erholt hatte.
»Ich ...?« fragte der Mann gedehnt.
»Nun, worauf soll ich warten?« schaltete die Detektivin sich ein. Darauf hüstelte der Begleiter nervös und rief dann halblaut nach Dave Mills.
»Komm schon«, hörte man aus der Tiefe der hinteren Räume eine scharfe Stimme. Schritte näherten sich, dann erschien ein mittelgroßer, korpulenter Mann mit schwarzen, schnellen Wieselaugen. Der Mann trug einen weißen Verkaufskittel, der sich aber eindeutig nach der Waschtrommel sehnte.
»Mr. Dave Mills, wie zu vermuten ist?« erkundigte sich Parker und lüftete höflich die schwarze Melone.
»Dave Mills«, bestätigte der Briefmarkenhändler und blickte auf den Dreißigjährigen. Dann musterte er Agatha Simpson und den Butler.
»Sie baten darum, Mylady sprechen zu dürfen«, schickte Josuah Parker voraus, »der Überbringer dieser Ihrer Bitte vergriff sich allerdings im Ton, um es mal so auszudrücken.«
»Dieses Subjekt bedrohte mich mit einem Messer«, schaltete Lady Agatha sich grollend ein, »und so etwas lasse ich mir grundsätzlich nicht bieten. Aber ich bin kaum nachtragend. Sie dürfen mir sagen, was Sie bedrückt, junger Mahn.«
Der so Angesprochene war gut und gern fünfundvierzig Jahre alt und völlig irritiert. Daß aus seiner eigenartigen Einladung genau das Gegenteil geworden war, mußte er erst noch verdauen.
»Nun kommen Sie gefälligst zur Sache«, raunzte Agatha Simpson und schlug mit ihrem Pompadour auf die Platte der kleinen Verkaufstheke, die sich durchbog.
»Das mit dem Messer stimmt überhaupt nicht«, verteidigte sich der Mann aus dem Pub, »so hatte ich das mit dem Messer überhaupt nicht gemeint, Dave, bestimmt nicht.«
»Sie sollten in der Tat zur Sache kommen, Mr. Mills«, mahnte Josuah Parker höflich.
»Dieses Rindvieh sollte überhaupt nichts«, brüllte der Briefmarkenhändler gereizt, »hauen Sie ab, bevor ich an die Decke gehe! Ist das klar!« .
»Sie drohen einer Lady Simpson?« fragte die ältere Dame erfreut.
»Ich will nur, daß Sie verschwinden. Ich kenne Sie überhaupt nicht, und dieser Idiot da lügt sich was in seine Tasche.«
Danach sagte Dave Mills nichts mehr.
Lady Agatha hatte ihm eine ihrer berüchtigten Ohrfeigen verabreicht, worauf der Briefmarkenhändler in einer der beiden kleinen Vitrinen Platz nahm. Glas klirrte und ging zu Bruch. Die vier Holzbeine der Vitrine zeigten sich der Belastung nicht gewachsen und knickten seitlich weg.
»Sie sollten Myladys Zorn nicht unnötig wecken«, meinte der Butler zu Dave Mills, der seitlich aus den Trümmern der Vitrine rutschte und mühsam aufstand.
»Okay, Lady«, rief der Briefmarkenhändler und streckte beide Hände abwehrend vor, »ruinieren Sie nicht gleich meinen Laden. Ich sollte Sie, äh, ich sollte Sie mit Bruce Walker zusammenbringen.«
»Es geht doch, junger Mann«, antwortete Lady Agatha leutseilig, »und wer ist dieser Mann?«
»Das weiß ich auch nicht so genau, aber... Moment, Lady, ich red’ ja schon. Jetzt fällt es mir wieder ein. Walker ist so ’ne Art Kassierer. Wissen Sie, ich gehör’ nämlich ’ner Händlerkette an.«
»Und wo, wenn man fragen darf, hält erwähnter Mr. Walker sich augenblicklich auf?« fragte Josuah Parker geduldig und höflich wie stets.
»Hier«, sagte in diesem Augenblick eine verbindlich klingende Stimme. In der Tür, hinter der der Korridor lag, erschien ein schlanker, großer Mann mit breiten Schultern und katzenhaft lässigen Bewegungen. Er besaß ein gebräuntes Gesicht mit grauen Augen und zeigte zudem noch eine Automatik mit langem Schalldämpfer.
»Mr. Bruce Walker?« forschte Josuah Parker und langte höflich nach seiner schwarzen Melone.
»Lassen Sie Ihren Arm unten, Parker«, warnte der Lässige und lächelte dünn, »ich warte eigentlich nur darauf, Ihnen ein Ding verpassen zu können.«
»Ihr Wunsch ist meiner Wenigkeit selbstverständlich Befehl, zumal die momentanen Umstände keine andere Wahl zulassen«, antwortete Josuah Parker.
*
»Ihr macht überhaupt nichts«, fuhr Bruce Walker den Briefmarkenhändler und dessen Boten an, »geht raus auf die Straße und bringt meinen Wagen. Er steht in der Seitenstraße.«
Die beiden Männer, die sichtbar Lust verspürt hatten, sich auf Lady Simpson und Butler Parker zu stürzen, gehorchten aufs Wort. Sie blickten die ältere Dame und ihren Butler zwar wütend-gehässig an, wandten sich dann aber um und verließen das Ladenlokal.
»Keine Dummheiten«, warnte Bruce Walker noch mal, »mir macht’s überhaupt nichts aus, euch anzunieten.«
»Mylady weiß längst, daß Sie keineswegs bluffen«, antwortete der Butler, »die Organisation, der Sie angehören, verfügt augenscheinlich über einen gut funktionierenden Informationsapparat.«
»Wie kommen Sie denn darauf?« fragte Bruce Walker und tat damit genau das, was Parker beabsichtigte. Walker ließ sich auf ein Gespräch ein.
»Myladys Rückkehr hierher zu den Surrey Docks wurde erstaunlich schnell registriert.«
»Wir sind eben überall«, lobte sich Walker und seine Organisation.
»Nach Lage der Dinge dürfte es sich um einen Ledersack handeln, der mit Banknoten gefüllt ist, nicht wahr?«
»Sie kapieren schnell«, gab Walker zurück und blickte dann kurz auf die ältere Dame, die sichtlich kurz atmete.
»Sie gehören jener Organisation an, die diese Banknoten vermißt?« lautete Parkers nächste Frage.
»Diese Banknoten werden wir jetzt gemeinsam holen«, gab Bruce Walker zurück, »und damit dürfte der Fall für Sie dann gelaufen sein.«
»Mein bescheidener Wagen steht zur Verfügung«, erbot sich Parker, »Mylady werden gegen eine Rückgabe des erwähnten Ledersacks nichts einzuwenden haben.«
»Natürlich nicht«, schnaufte die ältere Dame und faßte ungeniert nach der Herzgegend, »aber ich brauche etwas Wasser, ich muß meine Tablette nehmen.«
»Die können Sie sich zu Hause verpassen, Lady«, meinte der Gangster, der nach Parkers Einschätzung ein eiskalter Killer sein mußte.
»Dann schnell«, bat Lady Agatha und verdrehte die Augen.
»Mylady leidet an Herzschwäche«, warnte der Butler eindringlich.
»Und ich an Zeitmangel«, erwiderte Bruce Walker wegwerfend, »los, Lady, nun machen Sie schon! Bis nach Shepherd’s Market werden Sie hoffentlich noch durchhalten ...«
»Schnell, schnell«, keuchte die ältere Dame und rutschte förmlich in sich zusammen. Sie verlor etwas von ihrem Gleichgewicht und lehnte ihre Fülle gegen die Wand. Bruce Walker aber ließ sich keineswegs beeindrucken. Er blieb auf Distanz und nagelte Lady Agatha und Butler Parker mit den Augen fest.
Der Briefmarkenhändler und sein Bote kamen zurück in das kleine Ladenlokal und machten einen etwas unglücklichen Eindruck.
»Ist mein Wagen da?« fragte der Killer.
»Das Ding ist verschwunden, Bruce«, entgegnete Dave Mills nervös, »hast du die Wagentür offen gelassen?«
»Eine recht unsichere Gegend«, stellte Parker fest.
»Verdammt.« Bruce Walker überlegte und nickte dann. »Kümmert euch um meinen Schlitten. Wir nehmen den von Parker. Los, raus auf die Straße! Und macht keinen Arger, sonst lege ich euch um!«
»Mylady wird kaum in der Verfassung sein, den Ereignissen in den sprichwörtlichen Arm fallen zu können«, gab Josuah Parker zurück und setzte sich in Bewegung, »ist es gestattet, Mylady den hilfreichen Arm zu leihen?«
»Ihr bleibt auseinander«, befahl der Killer mißtrauisch, »ihr sollt ’ne Menge fauler Tricks auf Lager haben.«
»Werden Mylady den Weg bis zum Wagen schaffen?« erkundigte sich der Butler besorgt.
»Ich ... Ich werde mich zusammenreißen«, gab sie kurzatmig zurück, »ich muß es einfach schaffen.«
»Das möchte ich Ihnen auch geraten haben«, sagte der Killer spöttisch, »oder wollen Sie mit ’ner Bleiplombe Zurückbleiben?«
Bis zum hochbeinigen Monstrum war es nicht weit.
Agatha Simpson schleppte ihre Fülle zum Wagen, öffnete die hintere Tür und ließ sich auf den Rückpolstern nieder.
»Sie setzen sich ans Steuer, Parker«, kommandierte Bruce Walker und beging damit bereits einen Kardinalfehler.
»Wie Sie zu meinen belieben.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an und nahm am Steuer Platz. Bruce Walker überwachte das Einsteigen mit Argusaugen. Ihm war deutlich anzusehen, daß er eigentlich nur darauf wartete, um einen Schuß anzubringen.
Als Parker Platz genommen hatte, folgte Bruce Walker in den Wagen und setzte sich auf den Beifahrersitz. Er rümpfte die Nase und schaute sich kurz im hochbeinigen Gefährt um.
»Woher stammt denn diese Schrottkiste?« fragte er spöttisch.
»Ein betagter Wagen, der zudem ein wenig laut ist«, erwiderte Josuah Parker und ließ den mächtigen Rennmotor anspringen, »aber er tut noch durchaus seine Dienste, Mr. Walker, wie man hoffentlich demonstrieren kann.«
Parker ließ den Motor aufheulen, und Walker überhörte völlig die noch gebändigte Kraft des Brausens unter der eckigen Motorhaube. Parker blickte kurz auf die Automatik in der Hand des Killers, gab noch mehr Gas und ließ dann plötzlich die Kupplung kommen.
*
Bruce Walker verlor jeden Halt.
Eine unsichtbare, aber gewaltige Faust schien ihn in die Rücklehne geschlagen zu haben. Der Killer war überhaupt nicht in der Lage, seine Waffe auf den Butler zu richten. Hilflos hing der Mann im Sitz und schnappte nach Luft Eine Sekunde später brüllte er nachhaltig auf. Aus dem Polstersitz war eine spitze Nadel gefahren und hatte sich in seine linke Gesäßhälfte gebohrt. Der Vorgang war durch Parker ausgelöst worden, der dazu einen kaum auszumachenden Knopf neben dem Kupplungspedal niedergetreten hatte.
»Das Anzugsvermögen ist noch durchaus bemerkenswert, Mr. Walker, wie Sie vielleicht inzwischen festgestellt haben«, meinte Parker, der die Waffe längst an sich gebracht hatte, »Sie haben sich hoffentlich nicht verletzt.«
Bruce Walker hing noch immer schräg auf seinem Sitz und verspürte einen brennenden Schmerz in der linken Gesäßhälfte. Gleichzeitig aber breitete sich in seinem Unterleib eine Art Lähmung aus. Er war nicht mehr in der Lage, die Beine zu bewegen.
»Was ... Was war das?« fragte er und spielte eindeutig auf den Stich an, der ihn getroffen hatte.
»Sie sitzen nicht bequem?« wollte Parker wissen.
»Meine Beine«, keuchte Walker, »meine Beine ... Und jetzt auch meine Arme .,. Was ist das?«
»Möglicherweise könnte sich Ihr Ischiasnerv eingeklemmt haben«, bot Josuah Parker als Erklärung an. Ihm war natürlich klar, um was es sich handelte. Die Nadelspitze, die aus dem Polster gefahren war, wirkte wie eine Injektionsspritze. Sie war chemisch präpariert und löste eine Art Lähmung aus, die aber nicht weiter gefährlich war.
»Sie... haben mich... reingelegt«, stöhnte Walker. Er war bereits nicht mehr in der Lage, flüssig zu sprechen.
»Sie sollten sich keine unnötigen Sorgen machen, Mr. Walker«, empfahl Parker dem Killer, »Mylady allerdings wird Ihnen sicher Manieren beibringen.«
Auch sie hing noch in der Ecke des Fonds und rückte ihren eigenwilligen Hut zurecht, der tief in die Stirn gerutscht war. Sie stemmte sich dann energisch in die Höhe und griff nach dem Mikrofon der Bordsprechanlage, da die Trennscheibe hochgefahren war.
»Lassen Sie die Scheibe hinunter«, verlangte sie, »ich werde diesem Subjekt erst mal einige Ohrfeigen verabreichen.«
»Mr. Walker dürfte sie kaum verspüren, Mylady«, sprach Parker, ins Mikrofon, das im Armaturenbrett eingelassen war. »Myladys Fahrgast dürfte sich bereits jenseits von Gut und Böse befinden, um es mal so auszudrücken.«
»Hat dieser Kriminelle wirklich geglaubt, mich überlisten zu können?« fragte sie aufgebracht.
»Er beging diesen Fehler, Mylady.« Parker blickte auf Bruce Walker, der entspannt auf dem Beifahrersitz hing und versonnen lächelte. Er hatte die Augen geschlossen und nahm nichts mehr wahr. Das chemische Präparat hatte inzwischen seine volle Wirkung erreicht.
»Lassen Sie die Trennscheibe hinunter«, meinte die ältere Dame, »ich glaube, ich werde dieses Subjekt ohrfeigen müssen.«
»Mr. Bruce Walker dürfte den Sinn solch einer pädagogischen Maßnahme im Augenblick kaum nachvollziehen können, Mylady«, erklärte Josuah Parker, »er befindet sich momentan im sprichwörtlichen Land der Träume.«
»Nun denn, ich werde warten«, sagte sie und lehnte sich wieder in die Polster zurück, »aber ich werde dem Lümmel nicht verzeihen, daß er meinen Herzanfall überhaupt nicht zur Kenntnis nahm.«
»Eine unterlassene Hilfeleistung, zu der er moralisch verpflichtet gewesen wäre«, sagte Parker.
»Und dabei war ich doch wirklich überzeugend«, redete die ältere Dame ohne jede falsche Bescheidenheit weiter, »oder sehen Sie das etwa anders, Mr. Parker?«
»Keineswegs und mitnichten, Mylady«, entgegnete Josuah Parker, ohne auch nur die Miene zu verziehen, »für einige Sekunden glaubte auch meine Wenigkeit, daß Mylady unter einer plötzlichen Herzattacke litten.«
»Als Schauspielerin bin ich eben perfekt«, lobte sie sich wieder sehr nachdrücklich, »an mir kann sich noch mancher Darsteller ein Beispiel nehmen.«
»Falls es erlaubt ist, Mylady, möchte meine Wenigkeit dem nichts hinzufügen.«
»Und was unternehme ich jetzt?« wollte sie wissen, »machen Sie mir ein paar hübsche Vorschläge, Mr. Parker. Sie sollen auch mal das Gefühl haben, frei entscheiden zu können.«
*
Es war inzwischen dunkel geworden.
Lady Agatha, Kathy Porter und Mike Rander saßen in der großen Wohnhalle des altehrwürdigen Fachwerkhauses und gingen die Ereignisse des Tages noch mal durch. Josuah Parker hatte trockenen Portwein gereicht und stand seitlich hinter Myladys Ledersessel.
»Dieser Gerüstbauer Steffen also nannte den Namen Bryan Buttons«, faßte der junge Anwalt zusammen, »haben Sie schon herausgefunden, Parker, wer dieser Buttons ist?«
»Man bemüht sich noch darum, Sir«, erwiderte der Butler, »Mr. Horace Pickett hat sich dieses Problems angenommen.«
»Der gute Pickett«, meinte Agatha Simpson und lächelte versonnen, »er ist wirklich zu einer ganz brauchbaren Hilfe geworden.«
»Mr. Picketts Verbindungen zur kriminellen Szene Groß-Londons sind durch nichts zu ersetzen, Mylady«, entgegnete der Butler.
»Ich sollte ihn irgendwann mal zum Tee einladen«, redete die ältere Dame weiter, »erinnern Sie mich daran, Mr. Parker.«‹
Horace Pickett, von dem man sprach, war ehemaliger Taschendieb, der inzwischen auf der Seite des Gesetzes stand. Josuah Parker hatte diesem Meister seines Faches mal in einer lebensgefährlichen Situation geholfen, und so war aus einem Saulus ein Paulus geworden.
Pickett wurde von Parker immer wieder für besondere Ermittlungen eingesetzt. Der ehemalige Eigentumsverteiler, wie er sich früher genannt hatte, war im Lauf der Zeit zu einer unentbehrlichen Hilfe geworden. Auf seine Loyalität konnte man sich unbedingt verlassen. Hinzu kam noch, daß er Mylady verehrte.
»Dieser Bryan Buttons ist also vorerst noch eine Unbekannte«, schickte Mike Rander voraus, »anders ist das wohl im Hinblick auf Dave Mills und Bruce Walker, wie?«
»Keine Namen, wenn ich bitten darf«, ließ die ältere Dame sich streng vernehmen, »sie sind nur Schall und Rauch.«
Sie konnte keine Namen behalten und reagierte leicht gereizt, wenn sie sich handelnde Personen merken sollte oder mußte.
»Mr. Dave Mills ist Briefmarkenhändler«, erläuterte Josuah Parker höflich, »man kann wohl davon ausgehen, daß er im Hauptberuf aber illegaler Buchmacher ist.«
»Ich weiß«, sagte die Detektivin, »ich kenne schließlich jedes Detail, Mr. Parker. Und wer ist der andere Mann?«
»Mr. Bruce Walker, der Myladys Herzattacke ignorierte«, erinnerte der Butler.
»Ist dieses Subjekt inzwischen wieder ansprechbar?« wollte Lady Agatha wissen.
»Er dürfte langsam in die harte Realität zurückkehren, Mylady.«
»Sie haben ihn in einem der Gästezimmer untergebracht?« erkundigte sich Kathy Porter lächelnd. Sie kannte diese sogenannten Gästezimmer im Souterrain des Fachwerkhauses, die durchaus komfortabel eingerichtet waren, jedoch keine Fenster besaßen und Türen hatten, die nicht ohne Parkers Einwilligung zu öffnen waren.
»Mr. Bruce Walker, Miß Porter, dürfte nach Lage der Dinge zu der Organisation der illegalen Buchmacher gehören«, erläuterte Josuah Parker, »meiner bescheidenen Ansicht nach ist er ein sogenannter Kassierer, der die einzelnen Filialen dieser Organisation bereist.«
»Das sah ich ihm auf den ersten Blick an«, behauptete Parkers Herrin, »meinen Augen entgeht nichts.«
Kathy Porter und Mike Rander schauten hinauf zur Kassettendecke der großen Wohnhalle und hüteten sich vor einem wechselseitigen Blick. Josuah Parker hatte sein Mienenspiel wie üblich unter Kontrolle.
»Diese Banknotenfälscher haben ihre Druckerei in der Nähe der Surrey Docks«, erklärte die ältere Dame forsch, »warum sonst hätten Sie diesen Ledersack dort versteckt?«
»Eine wichtige Frage«, schaltete Mike Rander sich ein. Er hatte seinen Lachreiz endlich überwunden.
»Warum hat man die falschen Banknoten ausgerechnet auf dem Baugrundstück gelagert?« fragte nun auch Kathy Porter.
»Und warum will man angeblich die kleine Sally Fowler umbringen?« fügte der Butler hinzu.
»Wer ist Sally Fowler?« fragte Lady Agatha und runzelte die Stirn.
»Der Barkeeper in jenem Pub, in dem Mylady beleidigt wurde, erwähnte das kleine Mädchen«, erinnerte Josuah Parker, »es soll bereits auf das Kind geschossen worden sein.«
»Das ist selbstverständlich nichts als eine Falle, in die man mich locken will«, behauptete Lady Agatha nachdrücklich, »aber auf solch dumme Tricks falle ich nicht herein, Mr. Parker.«
»Haben Sie Ihre Fühler bereits nach diesen Fowlers ausgestreckt?« erkundigte sich Kathy Porter. Sie machte einen besorgten Eindruck.
»Mr. Pickett und einige seiner Freunde haben dies übernommen«, lautete Parkers Antwort, »Mylady ließ diesen Wunsch erkennen, falls meine Wenigkeit sich nicht grundlegend täuschte.«
»Habe ich so etwas tatsächlich gesagt?« wunderte sich Agatha Simpson.
Sie blickte irritiert ihren Butler an.
»Nur so war Myladys Hinweis zu verstehen.« Parker deutete eine Verbeugung an.
»Ich bin eben ein vorsichtiger Mensch«, lobte sie sich prompt, »und rechne mit jeder Möglichkeit.«
Kathy Porter und Mike Rander interessierten sich erneut für die Kassettendecke.
*
»Mylady läßt ausrichten, Mr. Walker, daß Sie sich keine unnötigen Sorgen zu machen brauchen«, schickte der Butler eine halbe Stunde später voraus und setzte ein Tablett auf den Couchtisch. »Ihnen wird nach wie vor volle Gastfreundschaft gewährt werden.«
Bruce Walker starrte den Butler an und wäre liebend gern aufgestanden, doch seine Muskeln waren noch nicht bereit, sich für ihn einzusetzen. Der Mann, der offensichtlich ein Killer war, brauchte viel Konzentration, um sich wenigstens etwas aufzurichten. Er lag auf der bequemen Bettcouch in einem der Gästezimmer des Hauses und hatte sich, was den Komfort betraf, über nichts zu beklagen. Im Anschluß an den Raum, der wie ein modernes Apartment eingerichtet war, gab es ein Badezimmer mit Dusche und Toilette.
»Gastfreundschaft?« fragte er wütend, aber sehr langsam, weil auch seine Zunge noch recht schwer war, »ich bin gekidnappt worden.«
»Mylady würde das mit Sicherheit anders sehen und auch entsprechend aussagen, Mr. Walker«, erwiderte Josuah Parker, »Sie litten eindeutig an einer akuten Konditionsschwäche, wenn ich es so ausdrücken darf. Die Fahrt im Wagen dürfte Ihrem Kreislauf nicht sonderlich bekommen sein. Es war ein Akt selbstverständlicher Hilfsbereitschaft, Sie zu umsorgen.«
»Verdammt«, entgegnete Bruce Walker. Er wollte noch mehr sagen, doch die Zunge weigerte sich, bestimmte Worte zu formen.
»Fest steht, daß Sie hingegen die feste Absicht hatten, Mylady und meine bescheidene Person früher oder später umzubringen«, faßte Josuah Parker weiter zusammen, »die entsprechende Waffe mit Ihren Fingerabdrücken befindet sich in Myladys Besitz.«
»Ich ... Ich bring’... Sie um«, drohte Bruce Walker sehr langsam, »ich mach’ das!«
»Damit entsprechen Sie durchaus jenem Bild, das man sich von Ihrer Person inzwischen gemacht hat«, erwiderte der Butler, »es erhebt sich allerdings die Frage, ob Mr. Bryan Buttons in Zukunft noch Ihrer Dienste bedarf.«
Der Name Bryan Buttons brachte einige Bewegung in Walkers Gesicht. Er zog die Augen zusammen, um sie dann starr werden zu lassen.
»Buttons?« fragte er schließlich gedehnt.
»Bryan Buttons«, wiederholte Josuah Parker, »meine Wenigkeit geht davon aus, daß er der Kopf einer illegalen Buchmacher-Organisation ist, für die Sie als Kassierer arbeiten.«
Bruce Walker sagte nichts, schloß die Augen und ließ sich wieder auf die Bettcouch zurückfallen. Parker spürte, daß er die richtigen Zusammenhänge gefunden hatte.
»Sie sollten vielleicht eine Tasse Tee nehmen«, schlug er deshalb in seiner höflichen Art vor, »Sie werden sich danach wohler fühlen.«
»Ich ... hätt’ Sie umlegen ... sollen«, weinte Bruce Walker verpaßter Gelegenheit nach.
»Damit hätten Sie mit Sicherheit gegen den Auftrag des erwähnten Mr. Bryan Buttons verstoßen«, entgegnete der Butler, »Mr. Buttons möchte schließlich wieder in den Besitz eines gewissen Ledersacks gelangen, der mit Banknoten gefüllt ist.«
»Der erwischt Sie«, Walker richtete sich wieder mühsam auf, »der jagt Sie!«
»Vielleicht ist meine Wenigkeit an einem Gespräch mit Mr. Buttons interessiert«, meinte der Butler, »aber dazu müßte man in Erfahrung bringen, wo er zu erreichen ist.«
»Ich sage kein Wort.« Bruce Walker mühte sich ab, die Beine auf den Boden zu bringen. Als er es geschafft hatte, blickte er den Butler haßerfüllt an.
»Sie sollten den Boten spielen«, schlug Parker vor, »sobald Sie dazu in der Lage sind, Mr. Walker, können Sie selbstverständlich Myladys Haus verlassen. Auf Wunsch wird man Ihnen sogar ein Taxi besorgen.«
»Wo ... ist da ... der Trick?« wollte der Killer wissen.
»Sie haben nichts zu befürchten«, versicherte Parker dem Killer, »Sie werden Herr Ihrer Entschlüsse sein.«
»Mit ’ner Kugel im Rücken, wie?« Walker winkte müde ab.
»Falls sie auf Sie abgefeuert werden sollte, dann nur auf Veranlassung Mr. Bryan Buttons, der Ihnen möglicherweise unterstellt, Mylady informiert zu haben.«
Parker verbeugte sich und verließ das Gästezimmer. Er konnte sicher sein, daß der Killer sich seine Gedanken machen würde.
*
Horace Pickett war etwa sechzig, und man sah ihm seine etwas angedunkelte Vergangenheit überhaupt nicht an. Er war groß, schlank und erinnerte an einen pensionierten Offizier. Er strahlte Autorität aus, hatte angenehme Manieren und war gut gekleidet.
Er traf sich in der Nacht mit Josuah Parker. Nach einem telefonischen Hinweis war der Butler zu den Surrey Docks gefahren und überbrachte erst mal die guten Wünsche seiner Herrin.
»Sie konnte nicht mitkommen?« fragte Horace Pickett.
»Mylady arbeitet an ihrem Bestseller«, erklärte der Butler, »zu diesem Zweck studiert sie im Augenblick einen Kriminalfilm im Fernsehen.«
Damit wußte auch Pickett Bescheid.
Die ältere Dame plante seit geraumer Zeit, den internationalen Buchmarkt mit einem Bestseller zu beglücken. Sie hatte die feste Absicht, wie sie immer wieder betonte, eine gewisse Agatha Christie in den Schatten zu stellen. Darüber hinaus beschäftigte sie sich mit einem noch zu schreibenden Bühnenstück und mit Filmdrehbüchern. Agatha Simpson befand sich allerdings noch in der Zeit der Planung. Für ein bestimmtes Thema hatte sie sich bisher noch nicht entscheiden können.
Parker und Pickett saßen im hochbeinigen Monstrum des Butlers und fuhren langsam durch die Straßen. Parker hatte den ehemaligen Eigentumsumverteiler am Straßenrand aufgepickt und achtete deshalb auf etwaige Verfolger. Hier in der Nähe der Surrey Docks schienen die Banknotenfälscher ihr Revier zu haben.
»Ich habe Kontakt mit den Fowlers aufgenommen«, schickte Horace Pickett voraus, »ich bin dort zuerst mal als Zeitschriftenwerber aufgetreten. Meiner Ansicht nach sind John und Elsie Fowler völlig verängstigt, Mr. Parker.«
»Konnten Sie das Vertrauen des Ehepaares Fowler gewinnen?« erkundigte sich der Butler.
»Nach und nach«, erwiderte Pickett, »es war sehr schwierig, aber ich habe herausgefunden, daß sie sich verfolgt fühlen. Man scheint tatsächlich auf die kleine Sally geschossen zu haben. Ich konnte mir ein Einschußloch im Wohnzimmer ansehen.«
»Und auch das Geschoß bergen, wie zu vermuten ist.«
»Richtig«, bestätigte Pickett und schmunzelte, »das war nicht besonders schwer. Mein Begleiter lenkte John und Elsie Fowler ab.
Während Pickett dies sagte, überreichte er dem Butler eine Zigarettenpackung, in der sich das Geschoß befand. Parker ließ das Beweisstück in der Tasche seines schwarzen Covercoats verschwinden.
»Konnten Sie das kleine Mädchen sehen und sprechen, Mr. Pickett?« fragte der Butler.
»Sally ist ein aufgewecktes Ding, zehn Jahre alt, frühreif und altklug«, berichtete der ehemalige Taschendieb weiter, »sie nimmt alles auf die leichte Schulter und kommt sich ein wenig wichtig vor.« .
»Sie weiß nicht, warum man auf sie geschossen hat?«
»Sie tut wenigstens so, Mr. Parker. Sie findet das alles sehr aufregend und weiß natürlich von den Banknoten, die in der Gosse schwammen. Sie will aber nicht dabei gewesen sein, als die anderen Kinder den Ledersack fanden.«
»Sie hegen gewisse Zweifel an dieser Aussage, Mr. Pickett?«
»Natürlich, Mr. Parker. Wie gesagt, Sally ist altklug. Und Angst scheint sie nicht zu kennen.«
»Ließ es sich einrichten, diese kleine Miß Sally zu sprechen, Mr. Pickett? Meine Wenigkeit geht davon aus, daß Sie bereits entsprechende Maßnahmen ergriffen haben.«
»Die kleine Sally Fowler wird zusammen mit ihren Eltern noch in dieser Nacht London verlassen.«
»Ihre Ermittlungen kann man wirklich nur als hervorragend bezeichnen«, meinte der Butler, »und wohin werden die Fowlers sich begeben?«
»Nach Chigwell, im Nordosten von London. Dort leben Mr. John Fowlers Eltern.«
»Demnach befürchtet man weitere Anschläge und möchte ihnen zuvorkommen.«
»So sehe ich das auch, Mr. Parker. Zwei meiner Freunde werden die Fahrt nach Chigwell überwachen.«
»Die Familie Fowler versäumte es bisher, die Polizei zu verständigen, was die Schüsse betrifft?«
»Man will das nicht an die große Glocke hängen«, entgegnete Horace Pickett, »aber ich glaube, Mr. Parker, daß vor allen Dingen Mrs. Fowler mit einem großen Geschäft rechnet.«
»Wie konnten Sie das herausfinden, Mr. Pickett?«
»Als ich zu den Fowlers kam, studierte Mrs. Elsie Fowler zusammen mit ihrer Tochter Sally den Katalog eines bekannten Versandhändlers. Wie ich weiter feststellte, hatte man bereits eine umfangreiche Bestellung angefertigt, und zwar über den Betrag von weit über zweihundert Pfund.«
»Ein Betrag, den die Familie Fowler sicher normalerweise nie für solch eine Bestellung aufwenden könnte.«
»Davon können Sie ausgehen, Mr. Parker«, bestätigte Horace Pickett, »John Fowler ist seit über einem halben Jahr arbeitslos.«
»Es ist immer wieder ein reines Vergnügen, mit ihnen zusammenzuarbeiten«, meinte Josuah Parker, »wird die Familie Fowler ungestört reisen können?«
»Das wage ich zu bezweifeln, falls man wirklich hinter ihr her ist, Mr. Parker. Deshalb habe ich ja auch angerufen und Sie hierher gebeten. Wenn Sie es wünschen, können wir die Familie Fowler nach Chigwell begleiten.«
»Was der Fall sein wird.« Parker nickte andeutungsweise, »diese Nacht gehört der Familie Fowler. Sie wird einen Wagen benutzen?«
»Einen uralten Ford, der fast auseinander fällt, Mr. Parker. Schnell ist der Wagen auf keinen Fall.«
»Dann sollte man sofort und umgehend die Startposition einnehmen«, schlug Josuah Parker vor, »Sie stehen mit Ihren Freunden in direkter Verbindung?«
»Wir benutzen die kleinen Funksprechgeräte, die Sie mir zur Verfügung gestellt haben, Mr. Parker.«
»Die Technik kann unter Umständen durchaus segensreich sein«, stellte Josuah Parker fest, »meiner bescheidenen Einschätzung nach befindet man sich jetzt in der Nähe der Fowler-Wohnung?«
»Die Fowlers wohnen in der übernächsten Straße«, lautete Picketts Antwort, »weg können sie noch nicht sein, sonst hätten meine Freunde sich bereits über Funk gemel...«
Er kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden, denn das kleine Funksprechgerät in seiner Ziertuchtasche gab einen feinen Piepton von sich. Pickett zog das Gerät hervor und nahm Kontakt mit seinen Freunden auf. Parker wie Pickett erfuhren, daß die Fowlers gerade dabei waren, den Ford mit Koffern zu beladen.
»Man sollte sich das aus einer gewissen Entfernung ansehen«, meinte Josuah Parker, »möglicherweise benötigen die Reisenden Hilfe, die man dann fast rein zufällig anbieten könnte.«
*
Josuah Parker stand in einem Torweg und beobachtete die Familie Fowler. John, untersetzt und stämmig, belud den Dachgepäckträger eines wirklich uralten Ford und zeigte dabei erstaunliche Körperkräfte. Er wuchtete gerade einen fast übergroßen Koffer auf den Wagen und ließ dabei die Muskeln spielen.
Frau Elsie packte Oberbetten in den Kofferraum und stopfte Handtaschen und Kartons dazu. Elsie Fowler war rundlich und einen Kopf größer als ihr Mann.
Beide Elternteile arbeiteten schnell und schweigsam. Ihnen schien sehr daran gelegen zu sein, während der Verladearbeiten nicht gehört und damit gesehen zu werden.
Sally Fowler war dünn, aufgeschossen und schlaksig. Sie sah älter aus, als sie war, hockte auf einer niedrigen Mauer vor dem schmalen Reihenhaus und aß etwas Undefinierbares aus einer Papiertüte. Wahrscheinlich handelte es sich um Fisch und Chips.
»Weit und breit nichts von Gangstern zu sehen«, ließ Horace Pickett sich vernehmen. Er stand seitlich hinter Parker und beobachtete die Straße.
»Ein Umstand, der sich bald ändern wird«, meinte Josuah Parker, »möglicherweise will man die Familie auch erst ein Stück des Weges hinter sich bringen lassen.«
»Um sie dann auf einsamer Landstraße abzufangen?«
»Dies wollte meine Wenigkeit damit ausgedrückt haben«, bestätigte der Butler höflich. Er hatte seine Gabelschleuder aus einer der Innentaschen seines schwarzen Covercoats hervorgeholt und prüfte die Spannung der beiden Gummistränge. Er bevorzugte diese seltsame Waffe, wie sie in der Urform noch immer von Jungen gebaut und verwendet wird. Mit dem Katapult war er in der Lage, eigens dafür hergestellte Geschosse über erstaunlich weite Distanzen zu befördern, und zwar fast völlig geräuschlos.
»Ein Wagen«, meldete Horace Pickett überflüssigerweise, denn Josuah Parker hatte das Gefährt längst ausgemacht. Es handelte sich um einen VW-Golf, der langsam die Straße herunterkam und sich dem Ford der Familie Fowler näherte. Auch die Fowlers waren aufmerksam geworden und drückten sich schutzsuchend gegen ihren Wagen. Sally Fowler hingegen war aufgestanden und überhörte die leisen, warnenden Zurufe ihrer Eltern. Sie kam neugierig an den Straßenrand und beobachtete den näher kommenden Wagen. Dann aber riß John Fowler offenbar die Geduld. Er sprang aus der Deckung vor, ergriff den rechten Arm seiner Tochter und zerrte sie an den Ford heran.
Der VW-Golf passierte den Wagen der Fowlers, doch nichts geschah. Der Wagen rollte langsam weiter die Fahrbahn hinunter und verschwand in einer Seitenstraße.
»Ein Beobachter, Mr. Parker?« fragte Pickett leise und mißtrauisch.
»Solch eine Möglichkeit sollte man durchaus in Betracht ziehen«, gab der Butler ruhig zurück, »bei dieser Gelegenheit möchte ich übrigens bemerken, daß man meiner bescheidenen Ansicht nach nicht beabsichtigt, Sally Fowler zu erschießen.«
»Es wurde doch bereits auf sie geschossen, Mr. Parker.«
»Es muß sich um Einschüchterungsversuche handeln«, redete der Butler gemessen weiter, »Sally Fowler dürfte im Besitz eines gewissen Geheimnisses sein, das nach ihrem Tod automatisch bekannt werden könnte.«
»Und wenn man sie nur als Augenzeugin umbringen will, Mr. Parker? Dann geht Ihre Rechnung aber nicht auf.«
»Falls ihr Tod geplant war, Mr. Pickett, wäre sie bereits tot«, sagte Josuah Parker, »die Fälscher verfügen über Killer, wie meine Wenigkeit bereits zur Kenntnis nehmen konnte. Solch ein berufsmäßiger Mörder verfehlt sein Opfer nur in den seltensten Fällen.«
»So habe ich das noch gar nicht gesehen.« Pickett nickte.
»Solch eine Deutung bietet sich an, Mr. Pickett«, redete Parker weiter, »es handelt sich allerdings um eine Hypothese, wie ich bemerken möchte.«
»Der VW-Golf kommt noch mal zurück«, meldete Horace Pickett. »Sehen Sie doch, Mr. Parker, das kann kein Zufall sein.«
»Mit weiteren ungezielten Schüssen dürfte innerhalb der nächsten Sekunden fest zu rechnen sein«, antwortete der Butler, »man könnte natürlich auch eine Entführung der kleinen Sally Fowler planen.«
Josuah Parker legte eine hart gebrannte Tonmurmel in die Lederschlaufe seiner Gabelschleuder und machte sich somit schußbereit. Er brauchte nicht lange zu warten, bis er das erste Spezialgeschoß durch die Luft schwirren ließ.
*
Der Beifahrer sprang aus dem VW-Golf und lief zu dem uralten Ford. Parker sah deutlich, daß dieser Mann eine Schußwaffe in der Hand hielt. Die beiden Fowler hatten sich dicht an ihren Wagen gedrängt, während Sally ins Haus zurücklief.
Der Fahrer des VW-Golf drückte sich aus seinem Wagen und rannte hinter Sally Fowler her. Auch er trug eine Schußwaffe und rief Sally etwas nach, was der Butler jedoch nicht verstand.
Parker hatte die beiden Gummistränge weit zurückgezogen und visierte den Verfolger der kleinen Sally kurz an. Dann ließ er die Lederschlaufe los und beobachtete die Landung der hartgebrannten Tonmurmel.
Sie traf genau ihr Ziel und setzte sich auf den Hinterkopf des Verfolgers, der daraufhin einen mißglückten Salto vorwärts machte. Es blieb bei dem Versuch, der Mann klatschte satt auf die Gehwegplatten vor dem Haus und verlor dabei seine Schußwaffe.
Der Beifahrer rannte um den uralten Ford herum und wollte sich mit John und Elsie Fowler befassen. Er hatte noch nicht mitbekommen, daß sein Partner indisponiert war.
Josuah Parker schickte das nächste Geschoß auf die Reise. Nach dem Einschlag der zweiten Tonmurmel legte der Getroffene sich entspannt auf die Kühlerhaube des Ford und verzichtete notgedrungen auf weitere Aktionen.
Die Fowlers waren völlig irritiert.
Verständlicherweise konnten sie sich nicht erklären, warum die beiden Männer plötzlich nicht mehr aktiv waren. Vorsichtig pirschte John Fowler an den Mann heran, der auf dem Gehweg lag. Dann bückte er sich nach der Schußwaffe, die vor seinen Füßen lag.
»Der Besitz einer Schußwaffe ist verführerisch«, warnte Josuah Parker und ging gemessen auf die beiden Fowlers zu, »man ist zu schnell versucht, solch eine Waffe auch zu benutzen.«
Sally Fowler kam langsam zurück und schaute den Butler an. Das Licht einer nahen Straßenlaterne reichte völlig, um Parker gut auszuleuchten. Elsie Fowler, die den zweiten Gangster gerade hatte untersuchen wollen, richtete sich auf.
»Man erlaubt sich, einen wunderschönen Abend zu wünschen«, meinte Josuah Parker und lüftete die schwarze Melone, »Sie sollten davon ausgehen, daß man Ihre Tochter Sally zu entführen gedachte.«
»Wer ... Wer sind Sie?« fragte John Fowler.
»Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor, »Einzelheiten zu meiner Wenigkeit vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt, wenn es genehm ist. Ich möchte vorschlagen, das sogenannte Feld zu räumen, bevor weitere Entführer auftauchen.«
»Waren Sie nicht drüben in der Straße am Bretterzaun?« fragte Sally Fowler.
»In der Tat, Miß Sally«, gab der Butler würdevoll zurück, »um genau zu sein, Lady Simpson und meine Wenigkeit bargen einen Ledersack, der mit Banknoten gefüllt war.«
»Ich hab’ Sie sofort wiedererkannt«, meinte Sally Fowler.
»Was machen Sie hier?« wollte Elsie Fowler wissen.
»Meine Wenigkeit lieh Ihnen meine schützende Hand«, erwiderte der Butler höflich, »das Schicksal fügte es, daß man genau im rechten Moment zur Stelle sein konnte. Darf man sich erlauben, Ihnen einen Vorschlag zu machen?«
»Wir kennen Sie doch überhaupt nicht«, reagierte John Fowler überraschend aggressiv, »von der Polizei sind Sie bestimmt nicht, oder doch?«
»Keineswegs und mitnichten«, erwiderte Parker, »meine Wenigkeit vertritt die Interessen der Lady Simpson, die sich der Verfolgten und Unterdrückten anzunehmen pflegt.«
»Wir kommen allein zurecht«, schaltete sich da Elsie Fowler ein. Ihre Stimme war überraschend schrill.
»Obwohl man bereits auf Ihre Tochter geschossen haben soll?«
»Wer sagt denn das?« fragte John Fowler und näherte sich Josuah Parker.
»Der Bruder Ihrer Frau, Mr. Fowler.«
»Bill Adams hat mit ihnen gesprochen?« John Fowler hatte den Butler inzwischen erreicht und baute sich breitbeinig vor ihm auf. »Der redet doch nur Unsinn und hört die Flöhe husten.«
»Demnach befinden Sie sich gar nicht in akuter Gefahr?« fragte der Butler gemessen und deutete mit der Schirmspitze auf die beiden noch immer ruhenden Golf-Fahrer.
»Ach was«, meinte Fowler wegwerfend und warf sich in die an sich schon breite Brust, um Überlegenheit vorzutäuschen, »wir fahren ja sowieso weg.«
»Dann erlaubt sich meine Wenigkeit, Ihnen eine erholsame Fahrt zu wünschen«, erwiderte Josuah Parker, »um die beiden Besucher hier wird man sich kümmern.«
Sally war zum Ford zurückgekommen und musterte den Butler weiter intensiv und abschätzend. Erstaunlicherweise sagte sie nichts, und dabei sollte sie doch laut Aussage des Barkeepers ein vorlautes und auch hemmungsloses Kind sein.
»Angst scheint Ihnen unbekannt zu sein«, tippte Parker an. Er behandelte die Zehnjährige instinktiv wie eine junge Dame, ohne dabei aber herablassend zu wirken.
»Ich habe keine Angst«, erwiderte Sally Fowler, »mir kann keiner was.«
»Wie beruhigend zu wissen«, entgegnete Parker, »es geht eben nichts über ein kleines Geheimnis, nicht wahr?
Sally Fowler senkte den Blick und stieg in den Ford. Elsie Fowler folgte und rief dann mit schriller Stimme nach ihrem Mann, der sich daraufhin hastig und gehorsam ans Steuer setzte. Nach wenigen Augenblicken setzte sich der uralte Ford in Bewegung und war bald darauf in einer Seitenstraße verschwunden.
Josuah Parker kümmerte sich auf seine Art um die beiden Männer, die nach wie vor entspannten. Er durchsuchte mit äußerst flinken Fingern die Kleidung der beiden Gangster und barg einige Dinge, die vielleicht von Wert sein konnten. Dann schritt Parker zu Horace Pickett zurück, der sich nicht gezeigt hatte.
»Meine Freunde bleiben am Ball«, sagte Pickett, »nehmen wir die beiden Gangster mit, Mr. Parker?«
»Sie dürften unwichtig sein«, erwiderte Parker, »man sollte sie als Boten betrachten, die schlechte Nachrichten überbringen.«
»Sie denken jetzt an diesen Bryan Buttons, nicht wahr?« Die beiden Männer gingen auf Parkers Wagen zu, der an der Straßenecke stand.
»An den Kopf einer illegalen Buchmacher-Organisation«, bestätigte der Butler und deutete zustimmendes Nicken an.