Читать книгу Der exzellente Butler Parker 22 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3
ОглавлениеLady Agatha war besorgt.
Chief-Superintendent McWarden hatte bereits zweimal den angebotenen Sherry abgelehnt und machte einen geistesabwesenden Eindruck. Er saß in einem der tiefen Ledersessel in der großen Halle des ehrwürdigen Hauses und gab sich mundfaul.
»Ich werde Ihnen jetzt zum letzten Mal einen Sherry anbieten, mein Bester«, schickte sie voraus. »Falls Ihnen eine Laus über die Leber gelaufen sein sollte, lassen Sie es mich gefälligst wissen.«
»Ich weiß, ich bin kein guter Unterhalter«, erwiderte McWarden, der in Scotland Yard ein Sonderdezernat leitete, »aber ich muß ja ohnehin gehen.«
»Was haben Sie denn schon wieder zu tun, mein Lieber«, fragte Agatha Simpson ein wenig spitz.
»Mister McWardens Zeit wird sicher von dem Fall McGivern voll und ganz in Anspruch genommen«, deutete Parker den geplanten Aufbruch, bevor Mylady eine weitere Spitze abschießen konnte.
»Das auch.« McWarden stand auf und verbeugte sich in Richtung Agatha Simpson. »Ich werde bei Gelegenheit mal wieder vorbeisehen, Mylady.«
»Sie konnten die Ermittlungen in der Sache McGivern glücklich abschließen?« fragte Parker höflich-beiläufig.
»Wer ist McGivern?« Lady Agatha runzelte die Stirn.
»Es handelt sich, wie Mylady wissen, um einen Mafioso, der in einen Mordprozeß verwickelt ist.«
»Und der als Zeuge verhört wird«, warf McWarden ein, »von mir mal ganz zu schweigen. Ich ermittle nämlich noch gegen ihn. Es sind da noch ein paar wichtige Dinge zu klären.«
»Wann soll dieser Prozeß denn stattfinden?« wollte die ältere Dame zusätzlich wissen.
»In knapp drei Wochen«, gab der Chief-Superintendent zurück. »Bis dahin werde ich es schon schaffen.«
»Falls nicht, dann wenden Sie sich vertrauensvoll an mich, mein lieber McWarden«, bot die passionierte Detektivin ihre Hilfe an. »Sie wissen ja, ich löse so gut wie jeden Fall.«
»Ich komme schon zurecht.« McWarden nickte und ließ sich von Josuah Parker zum verglasten Vorflur der Wohnhalle und dann bis an die Tür bringen. Sein Gang war schwer. Der Mann, der normalerweise immer wie ein leicht gereizter Bullterrier aussah, hatte scheinbar Beine aus Beton. Die Schultern hingen herunter, die Bewegungen waren eckig geworden. Der Yard-Beamte schien an einer schweren Last zu tragen.
»Darf man höflich fragen, Sir, ob Mister McGivern sich noch in Freiheit befindet?« erkundigte sich Parker, als er die Tür öffnete.
»Für eine Festnahme hat es noch nicht gereicht«, antwortete McWarden. »McGivern hat da zwei Zeugen, die ihm bisher ein wasserdichtes Alibi verschafft haben.«
»Und auch gegen diese Zeugen wird ermittelt, Sir?«
»Nur eine Frage der Zeit, bis sie umkippen«, meinte der Yard-Beamte und gab sich unvermittelt optimistisch. »Gute Nacht, Mister Parker!«
»Sie kamen, wie Sie sagten, rein zufällig vorbei, Sir?«
»Warum sollte ich nicht zufällig vorbeigekommen sein?« reagierte McWarden leicht gereizt. »Mache ich doch öfter, oder?«
»Es handelte sich nur um eine Frage, Sir, der Sie keine Beachtung schenken sollten.«
Parker hatte die Tür aufgezogen und führte den Yard-Beamten unter das Vordach, das von kleinen Säulen getragen wurde. Genau in diesem Augenblick hüpfte ein runder Gegenstand über das Pflaster auf den Vorbau zu. McWarden warf sich instinktiv zurück und zog dabei den Butler mit sich. McWarden warf die Tür zu und drückte Parker und sich gegen den linken Türpfosten.
Es geschah nichts!
»Sie vermuteten ein Attentat, Sir?« fragte Josuah Parker, als McWarden sich nach einigen Augenblicken entspannte.
»Reine Routine, Mister Parker.« McWarden lächelte ein wenig schief.
»Meiner bescheidenen Ansicht nach schien es sich um einen völlig normalen Tennisball gehandelt zu haben.«
»Man ... man kann nie wissen«, entgegnete der Yard-Beamte, der sich einen inneren Ruck gab und Parker zunickte, als er die Tür erneut öffnete.
*
»Es war natürlich eine Handgranate, nicht wahr?« fragte Agatha Simpson wenige Minuten später. Ein deutlicher Hoffnungsschimmer lag in ihren Augen.
Lady Agatha war groß, sehr stattlich und zeigte eine beeindruckende Körperfülle. Sie hatte das sechzigste Lebensjahr mit Sicherheit überschritten, war aber körperlich noch sehr leistungsfähig. Ihre Energie war ungebremst und sie setzte sie ein, um sich als Amateur-Detektivin zu betätigen.
Butler Parker unterstützte sie diskret. Er hielt seine schützende Hand über sie, was sie jedoch nicht mal andeutungsweise ahnte.
Lady Agatha war immens vermögend, mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert, seit Jahren Witwe und berüchtigt wegen ihrer unkonventionellen Art. Es gab grundsätzlich kein Fettnäpfchen, in das sie nicht getreten wäre.
»Der Wahrheit die Ehre, Mylady«, beantwortete Parker ihre Frage und präsentierte einen gelb gefärbten Tennisball. »Es handelt sich, wie der Augenschein lehrt, um einen gewöhnlichen Tennisball«
»Sind Sie sicher, Mister Parker?« Enttäuschung war in ihrer Stimme.
»Man dürfte ihn über das Tor in Richtung Haus geworfen haben, Mylady.«
»Und wozu das, Mister Parker? Will man mich herausfordern?«
»Mylady denken sicher mehr an Mister McWarden.«
»Und ob.« Sie nickte nachdrücklich. »Und warum denke ich an ihn?«
»Der Tennisball könnte durchaus dem Chief-Superintendenten gegolten haben, Mylady.«
»Unsinn, Mister Parker«, entschied sie grollend. »Wie kommen Sie denn darauf? Jetzt geht aber die Phantasie wieder mit Ihnen durch.«
»Es war nicht zu übersehen, Mylady, daß Mister McWarden geradezu übernervös reagierte.«
»Und was schließe ich daraus, Mister Parker?«
»Der Chief-Superintendent, Mylady, könnte bereits in jüngster Vergangenheit mit ähnlichen Situationen konfrontiert worden sein.«
»Daran dachte ich gerade ebenfalls«, behauptete sie umgehend. »Es war ja mehr als überraschend, daß er den Sherry ablehnte, finden Sie nicht auch, Mister Parker?«
»Ein Vorgang, den man nur als ungewöhnlich bezeichnen kann und wohl auch muß, Mylady. Es steht zu fürchten, daß Mister McWardens Reaktion mit seinen Ermittlungen im Zusammenhang steht.«
»Diese Mordgeschichte, Mister Parker?«
»Interessierte Kreise scheinen die Ermittlungen massiv behindern zu wollen.«
»Dann werde ich mich einschalten«, machte die ältere Dame deutlich. »So etwas fordert mich heraus. Ich kann es einfach nicht zulassen, daß der gute McWarden ein Nervenwrack wird.«
»Es ist damit zu rechnen, daß Mister McWarden sich früher oder später Mylady anvertrauen wird.«
»Darauf werde ich nicht warten, Mister Parker. Eine Lady Agatha ergreift stets die Initiative! Machen Sie mir ein paar hübsche Vorschläge, Mister Parker.«
»Mylady könnten gewisse Kontakte aufnehmen.«
»Noch in dieser Nacht«, entschied sie. »Die Einzelheiten überlasse ich Ihnen, Mister Parker. Es geht also um die Mafia, die sich hier in London mal wieder etablieren will?«
»Davon können Mylady ausgehen.«
»Dann bringen Sie mich mit diesen Subjekten zusammen, Mister Parker. Irgendwo werden die Individuen ja verkehren, oder?«
»Es gibt in der Tat einige Nachtclubs, die von diesen Personen oft und gern frequentiert werden.«
»In zehn Minuten wünsche ich zu fahren.« Sie sprühte bereits vor Tatendrang und brachte ihre majestätische Fülle zur Treppe, die ins Obergeschoß des zweistöckigen Fachwerkhauses führte. Parker wartete, bis sie im oberen Korridor verschwunden war, dann begab er sich ins Souterrain, wo sich seine Privaträume befanden.
Da er mit Überraschungen aller Art rechnete, betrat er sein Labor und traf eine sorgfältige Auswahl an Verteidigungsmitteln. Auf Schußwaffen legte er überhaupt keinen Wert. Parker hielt es mehr mit unscheinbar aussehenden Gegenständen, die dem täglichen Bedarf zugerechnet werden konnten, die aber in ihrer Wirkung verblüffend waren.
Nachdem er den schwarzen Covercoat angezogen und die ebenfalls schwarze Melone aufgesetzt hatte, griff er nach seinem Universal-Regenschirm und war bereit, mit einem speziellen Teil der Unterwelt Kontakt aufzunehmen.
*
Der breitschultrige Mann am Tresen legte es eindeutig darauf an, Lady Agatha zu provozieren. Er hielt ein Bierglas in der rechten Hand, maß die ältere Dame mit einem abschätzenden-belustigten Blick und wandte sich dann an zwei Mittrinker, denen er etwas zurief, was die Lady allerdings nicht verstehen konnte.
Der Lärm im Pub war unerträglich.
Parker und seine Herrin waren in den Osten der Stadt gefahren und hielten sich in einem Lokal auf, das sich in der Nähe einer abbruchreifen Werft befand. Die Besucher sahen durchweg handfest aus und vorbelastet im strafrechtlichen Sinn.
»Ich hoffe, man ist dabei, sich über mich lustig zu machen«, sagte Lady Agatha erfreut. Sie beobachtete den Breitschultrigen, der gerade einen weiteren Witz reißen wollte.
»Man sollte gewisse Dinge vielleicht nicht auf die sprichwörtliche Goldwaage legen, Mylady«, wiegelte Parker ab. Er hatte das Lokal absichtlich aufgesucht. Hier verkehrte ein gewisser Mike Duffins, der zur Mafia sicher einiges zu sagen hatte. Noch war dieser Mann allerdings nicht aufgetaucht.
»Wie sieht’s aus, Lady, sind wir nicht gerade eingeladen worden?« fragte der Breitschultrige, der den Tresen verlassen hatte und zu dem Tisch steuerte, an dem Mylady und Parker saßen. Der Mann grinste und hatte keine Ahnung, daß er bereits mit dem Feuer spielte. Agatha Simpson hatte nämlich nach ihrem perlenbestickten Pompadour gegriffen, in dem sich ihr sogenannter Glücksbringer befand. Dabei handelte es sich um das mächtige Hufeisen eines stämmigen Brauereipferdes.
Nach seiner Frage baute sich der Mann breitbeinig vor dem Tisch auf und hielt plötzlich ein Klappmesser in der rechten Hand. Mit der Spitze der Klinge bearbeitete er die Fingernägel seiner linken Hand. Natürlich ging es ihm überhaupt nicht um eine kleine Maniküre, nein, er wollte die ältere Dame und ihren Butler ganz klar einschüchtern. Das Messer sollte seine Worte nur noch zusätzlich unterstreichen.
Parker rechnete mit einem Zwischenfall und bereitete sich innerlich darauf vor.
»Was ist denn, Mädchen?« redete der Breitschultrige weiter. »Hab’ ich mich nun verhört oder nicht? Wie sieht’s mit ’ner Runde aus?«
Während er sprach, warf er das spitze Messer mehrfach hoch, ließ es in der Luft rotieren und fing es geschickt wieder auf. Die Schneidware schien er recht gut zu beherrschen.
Natürlich war das kleine Intermezzo im Pub nicht unbemerkt geblieben. Die Handfesten unterbrachen ihre Gespräche und beobachteten den Tisch. Es ging diesen Leuten nicht um Freibier, sie sollten ihren billigen Spaß haben und sich wohl auch überlegen und stark fühlen.
»Junger Mann, wissen Sie, was das ist?« fragte Lady Agatha plötzlich und nahm ihren kleinen Handbeutel an sich.
»Was soll das sein?« erkundigte sich der Mann ahnungslos und war zudem leicht verblüfft. Mit der tragenden und sonoren Stimme der älteren Dame hatte er sicher nicht gerechnet.
»Ein Pompadour«, erklärte Agatha Simpson gefährlich freundlich. »Er hängt an Schnüren an meinem Handgelenk.«
»Aha. Hoffentlich ist da auch Geld drin. Ich mein’, wegen der Runde.«
»Es reicht für Sie, junger Mann.« Während Lady Agatha noch sprach, warf sie den Pompadour in Richtung Nase des Mannes. Bevor der Breitschultrige zurückzucken konnte, landete der kleine Handbeutel im Ziel und veranlaßte das Riechorgan, sich nach rechts zu bewegen.
Der Mann wurde zurückgeworfen, denn ein auskeilendes Pferd hätte kaum nachdrücklicher zutreten können. Der Getroffene sah Sterne, Wasser schoß ihm in die Augen. Er stolperte über einen unbesetzten Stuhl und landete krachend auf dem Boden.
»Wagen Sie es nicht noch mal, eine hilflose Dame anzugreifen«, grollte Lady Agatha. »Ich könnte sonst nämlich ärgerlich werden.«
Die Umstehenden lachten lauthals. Sie hatten durchaus Sinn für eine gewisse Komik und Selbstbehauptung.
Der Breitschultrige hatte sich inzwischen wieder erhoben und fingerte äußerst vorsichtig an der Nase herum. Dann baute er sich wieder auf und marschierte zurück zum Tisch.
»Stellen Sie sich gefälligst erst mal vor, bevor Sie mit mir reden wollen, junger Mann«, herrschte die ältere Dame ihn an.
»Bin ich verrückt oder ihr?« näselte der Mann verblüfft und wandte sich entgeistert an seine Freunde.
»Sie sollten meiner bescheidenen Ansicht nach zumindest die primitivsten Regeln des Miteinander beachten und einhalten«, ließ Butler Parker sich vernehmen. »Falls dem so ist, sieht sich Mylady durchaus imstande, eine Einladung Ihrerseits anzunehmen.«
»Ich bevorzuge einen doppelten Brandy«, machte Agatha Simpson ihren Wunsch deutlich. »Und setzen Sie sich endlich, bevor ich Ihnen nachhelfen muß!«
Der Mann nahm vorsichtig auf einem Stuhl Platz und blickte Mylady und Parker fasziniert an. Er schüttelte wegen seiner Nase vorsichtig den Kopf und erklärte mehrfach, er glaube nicht, was er da gerade gesehen und erlebt habe.
*
»Mit der Mafia haben wir nichts am Hut«, sagte der Breitschultrige, der sich inzwischen vorgestellt hatte. Er hieß Dan Lemmick und hatte sich als selbständiger Handelsagent ausgegeben, was immer man sich darunter auch vorstellen mochte.
»Sie werden sich den Bestrebungen dieser internationalen Organisation kaum widersetzen können, Mister Lemmick«, erwiderte Josuah Parker. »Denken Sie an die Zustände in den Staaten.«
»Wir sind aber hier in London und lassen uns nicht die Tour vermasseln«, erklärte der selbständige Handelsvertreter. »Mit Mord und so wollen wir nichts zu tun haben. Das fehlte noch, daß wir mit der Polizei in ’nen Dauerclinch kommen. Dabei springt doch nichts ’raus.«
»Die Mafiosi werden ihre Vorstellungen brutal durchsetzen, Mister Lemmick.«
»Wir kommen auch nicht gerade aus ’nem Mädchen-Pensionat«, entgegnete der Tischgast. »Ich meine, hier kann man ja wohl mal offen reden, oder?«
»Man wird mit letzter Sicherheit nichts gegen Sie verwenden, Mister Lemmick«, versicherte Parker dem Breitschultrigen. »Sie haben von einem gewissen John McGivern gehört?«
»Klar doch, der soll als Zeuge in ’nem Mordprozeß aussagen, oder?«
»Ein Prozeß, in dem es im Grund um die Mafia geht. Der Beschuldigte soll den Betreiber eines illegalen Wettbüros erschossen haben.«
»Herrn Birnay«, bestätigte der selbständige Handelsagent und nickte. »Natürlich ist er umgelegt worden, weil er sich nicht vereinnahmen lassen wollte.«
»Der Beschuldigte heißt...«
»... Marty Stillson«, wußte der Breitschultrige prompt zu sagen, »und der ist ganz klar ein Mafia-Mann. Der hat einige Jahre in den Staaten gelebt und ist vor ’nem halben Jahr nach London zurückgekommen.«
»Mylady nimmt zur Kenntnis, daß Sie ungemein gut informiert sind, Mister Lemmick.«
»Das weiß nicht nur ich, das wissen wir alle hier«, antwortete der Handelsagent und lächelte flüchtig. »Stillson ist ein besonders harter Typ, der alles auf Vordermann bringen soll.«
»Er dürfte nicht allein stehen, Mister Lemmick«, vermutete der Butler.
»Der is’ dabei, sich ’ne schlagkräftige Truppe aufzubauen«, berichtete der Breitschultrige weiter, »und er kann verdammt gut zahlen. Ich wette, daß bereits ’ne Menge Leute für ihn arbeiten, die aber vorerst mal den Rand halten und das verschweigen.«
»Die Mafia will demnach also das unterwandern, was man gemeinhin die Szene nennt?«
»Was will die? Ach so, jetzt kapier’ ich.« Dan Lemmick lächelte wieder flüchtig. »Klar, die wollen uns aushöhlen. Aber wir werden verdammt gut aufpassen.«
»Mylady beschäftigt eine Frage«, schickte der Butler in gewohnt höflicher Form voraus, doch er kam nicht mehr dazu, die Frage fortzusetzen.
»Und ob mich eine Frage beschäftigt«, erklärte die ältere Dame geistesgegenwärtig. »Ich erwarte darauf eine Antwort, junger Mann.«
»Mylady fragt sich, warum die Mafia nicht für klare Verhältnisse sorgt, was den Zeugen John McGivern betrifft«, fuhr Parker fort. »Falls Mister McGivern das sprichwörtliche Zeitliche segnen würde, könnte er unmöglich Mister Marty Stillson belasten.«
»Dann wissen Sie nicht, wer McGivern ist«, entgegnete Lemmick.
»Mylady und meine Wenigkeit warten auf einen entsprechenden Hinweis, Mister Lemmick.«
»John McGivern ist der jüngere Bruder von Hale McGivern, der drüben in den Staaten ein Spitzenmann der Mafia sein soll. Die hier werden sich hüten, so ’ne Nummer aus dem Verkehr zu ziehen. Sie können sich ja denken, was das in den USA für ’nen Wirbel geben würde.«
»Falls Sie erlauben, Mister Lemmick, möchte meine Wenigkeit Sie auf einen Wirbel hinweisen, der in wenigen Minuten hier seine Spuren hinterlassen wird.«
»Wirbel? Hier? Wieso?« Lemmick blickte den Butler verständnislos an.
»Es erschienen gerade zwei neue Gäste, die sich für diesen Tisch hier zu interessieren scheinen, Mister Lemmick.«
»Lady, drücken Sie mir den Handbeutel noch mal auf die Nase«, verlangte Lemmick umgehend. »Ich kann mir keinen Ärger leisten.«
»Sie möchten noch mal meinen Pompadour kennenlernen?« erkundigte sich die ältere Dame erfreut.
»Und zwar ganz schnell, Lady«, wiederholte Lemmick.
»Nichts lieber als das.« Agatha Simpson kam dem Wunsch umgehend und sehr realistisch nach.
*
Die Nase des Dan Lemmick hatte sich neu orientiert und nach links bewegt. Lemmick saß völlig konsterniert erneut auf dem nicht gerade sauberen Fußboden und fingerte erneut an seinem Riechorgan. Er hatte eindeutig nicht mit der Konsequenz der älteren Dame gerechnet. Was sie tat, besorgte sie stets sehr gründlich.
»Das ist für Ihre Beleidigungen, junger Mann«, herrschte Agatha Simpson den Breitschultrigen an. »Eine Lady Simpson läßt sich so etwas nicht bieten.«
Parker interessierte sich nicht weiter für Dan Lemmick, der sich gerade ein Alibi verschafft hatte. Parker hatte seinen Universal-Regenschirm ein wenig gehoben. Die Spitze des Regendaches hatte er durch kurzes Wegdrücken seitlich kippen lassen. Nur ein aufmerksamer Beobachter hätte feststellen können, daß dadurch so etwas wie eine Mündung sichtbar geworden war.
Die beiden neuen Gäste im Pub hatten sich kurz orientiert, dabei tauschte einer der beiden schlanken und mittelgroßen Männer einen schnellen Blick mit einem der Gäste am Tresen. Dieser Mann war untersetzt, dicklich und hatte ein gerötetes, rundes Gesicht. Butler Parker nahm diesen Blickkontakt zur Kenntnis und prägte sich das Aussehen des Dicklichen genau ein.
Die Neuankömmlinge schoben sich durch den Pulk der Gäste vor dem Tresen und nahmen Kurs auf den Tisch, an dem Lady Agatha und Parker saßen. Dan Lemmick hatte sich in den Hintergrund zurückgezogen und ließ sich von einigen Freunden betreuen.
Parker handelte. Ihm kam es darauf an, die Dinge nicht eskalieren zu lassen. Man befand sich immerhin in einem Lokal, in dem Mylady und er Fremdkörper waren. Ein Umschlagen der Stimmung konnte jeden Augenblick erfolgen.
Der Butler drückte auf einen unterhalb des Schirmgriffs versteckt angebrachten Knopf und gab damit einen Blasrohrpfeil frei, der kaum länger und dicker war als eine normale Stricknadel. Oben am Schaft gab es bunte Federn, die zur Stabilisation des kleinen Flugkörpers dienten.
Angetrieben wurde der Blasrohrpfeil von komprimierter Kohlensäure, die aus einer entsprechenden Druckpatrone stammte. Sie war im unteren Teil des bleigefüllten Bambusgriffs untergebracht. Parker hatte sich diese seltsame, aber ungemein effektive Konstruktion ausgedacht und sie in seinem privaten Labor gebaut.
Unhörbar jagte der Pfeil durch die Luft und landete im rechten Oberarm des ersten Neuankömmlings, der zusammenzuckte, als wäre er von einem elektrischen Schlag getroffen worden. Der Mann blickte auf die schmerzende Stelle und sog dann scharf die Luft ein. Solch ein Geschoß kannte er wahrscheinlich nur vom Hörensagen und dachte sicher gleich an einen Giftpfeil.
Der zweite Neuankömmling war natürlich aufmerksam geworden, blickte auf das bunt gefiederte Ding im Oberarm seines Begleiters und erschien etwas ratlos. Dann drehte er sich wieder um und maß Lady Simpson und Butler Parker, die ausgesprochen unbeteiligt und friedlich am Tisch saßen. Parker hatte seinen unverdächtigen Regenschirm längst wieder abgesenkt.
Der Getroffene hatte sich endlich überwunden und den Pfeil aus dem Oberarm gezogen. Er hielt ihn in einer Mischung aus Ekel und Anklage hoch.
»Hoffentlich ist das kein Giftpfeil?« machte Josuah Parker sich bemerkbar. »Falls dem so sein sollte, müßten Sie unbedingt einen entsprechenden Arzt aufsuchen und sich ein Gegengift verabreichen lassen.«
»Gi... Gi... Giftpfeil?« stotterte der Betroffene und hechelte.
»Wenn meine Wenigkeit sich nicht täuscht, zeigt Ihr Gesicht bereits erste Farbveränderung‘.«
»Mann, machen Sie keinen Unsinn«, brüllte der Getroffene.
»Sollen sich erst Lähmungserscheinungen ankündigen, ist äußerste Vorsicht angebracht«, warnte der Butler in seiner höflichen Art.
Der zweite Mann schob sich näher an den Tisch heran. Seine Hand hatte unter’s Jackett gegriffen. Wahrscheinlich umspannten die Finger das Griffstück einer entsprechenden Waffe.
Im Pub war es laut und chaotisch geworden. Man schrie und rief sich Fragen zu, erhielt aber kaum verständliche Antworten. Der Geräuschpegel stieg steil an, die Gäste wirbelten durcheinander. Weitere Giftpfeile wurden vermutet.
»Mitkommen, sonst knallt’s!« verlangte der Mann vor dem Tisch. »Ich hab’ ’ne Kanone in der Hand.«
»Was sagten Sie?« erkundigte sich Lady Agatha und hielt die Hand hinter’s rechte Ohr.
»Mitkommen, oder ich ziehe durch«, drohte der Mann, nun bereits wesentlich lauter.
»Ich verstehe kein Wort«, behauptete die Detektivin und erhob sich in ihrer ganzen majestätischen Größe. »Drücken Sie sich gefälligst etwas deutlicher aus.«
Sie winkte den Mann mit der linken Hand näher heran, und der Ahnungslose folgte dieser Aufforderung spontan. Er beugte sich vor, um sich besser verständlich machen zu können. Doch damit geriet er in den gefährlichen Bereich von Myladys rechter Hand, die darauf wartete, Ohrfeigen zu verabreichen.
Der Mann wurde voll erwischt und sah nur noch Sterne. Er schnappte nach Luft, verdrehte die Augen und legte sich seitlich über einen angrenzenden Tisch. Dabei störte er einige handfeste Gäste, die sich belästigt fühlten.
Sie reagierten auf ihre unverwechselbare Art und bedachten den wütend um sich schlagenden Mann mit gezielten Boxhieben. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis das Tohuwabohu ausbrach.
»Darf man sich erlauben, Mylady ins Freie zu geleiten?« erkundigte sich Parker bei Agatha Simpson. Dabei langte er mit dem bleigefüllten Bambusgriff seines Schirmes kurz und gezielt zu, um eine schmale Gasse zu bahnen.
»Muß ich wirklich schon gehen?« bedauerte die ältere Dame, die sich sehr angesprochen fühlte.
»Mylady denken an den Gesamtfall«, meinte Parker. »Den Episoden am Rand konnten Mylady noch nie einen besonderen Reiz abgewinnen.«
»Das stimmte allerdings«, räumte sie zögernd ein. Dann trat sie gegen ein Schienbein, das ihr im Weg war und ließ sich von Butler Parker auf die Straße begleiten.
*
»Eine hübsche Abwechslung, Mister Parker«, stellte Lady Agatha wohlwollend fest. Sie saß im Fond von Parkers Privatwagen, einem ehemaligen Londoner Taxi, das nach den eigenwilligen Wünschen des Butlers technisch umgebaut worden war. Eingeweihte bezeichneten dieses eckige Fahrzeug nicht grundlos als ein hochbeiniges Monstrum, das für eine Fülle technischer Tricks gut war.
»Mylady werden längst zu dem Schluß gekommen sein, daß die Mafia bereits einen ersten Kontakt mit Mylady aufgenommen hat«, antwortete der Butler.
»Natürlich weiß ich das, Mister Parker. Und weshalb bin ich darauf gekommen?«
»Man dürfte Mister McWarden beschattet haben, als er Mylady aufsuchte. Der oder die Verfolger werden danach Mylady und meine bescheidene Wenigkeit observiert haben.«
»Richtig«, erklärte sie mit Nachdruck, »und damit steht was fest?«
»Der beobachtete Gemütszustand Mister McWardens dürfte mit seinen Ermittlungen in Sachen McGivern Zusammenhängen.«
»Das haben Sie recht ordentlich erkannt, Mister Parker«, lobte sie ihn verhalten, »und der Tennisball galt ihm, wie ich es ja gleich gesagt hatte.«
Parker hatte sein hochbeiniges Gefährt, das rein äußerlich sehr betagt aussah, längst in Bewegung gesetzt und verließ den Ostteil der Stadt. Er fuhr zurück in Richtung City und blickte immer wieder in den Rückspiegel. Er konnte sich gut vorstellen, daß sie erneut beobachtet wurden.
Parker dachte über den Mann nach, der sich Dan Lemmick genannt hatte. War dieser Kontakt von Beginn an geplant gewesen? Hatte Lemmick aus noch nicht bekannten Gründen eine kleine Show abgezogen? Warum hatte der Mann sich so kenntnisreich und gezielt über die Mafia ausgelassen? Warum hatte er zwei Nasenstüber über sich ergehen lassen?
»Wie sieht es aus, Mister Parker? Werde ich verfolgt?« kam die obligate Frage der älteren Dame.
»Bisher ist kein Verfolger auszumachen, Mylady«, bedauerte der Butler.
»Was soll ich denn davon halten, Mister Parker?« räsonierte sie. »Vielleicht sind Sie zu schnell gefahren?«
»Meine Wenigkeit hält sich genau an das Tempo-Limit, Mylady«, entgegnete der Butler. »Aber selbst wenn keine Verfolger auftauchen sollten, wird die Mafia erneut einen Kontakt herstellen. Mylady haben klar erkennen lassen, daß Mylady wieder tätig sind.«
»Ich bin gespannt, wann der gute McWarden sich offenbaren wird«, sinnierte die ältere Dame halblaut. »Selbstverständlich braucht er meine Hilfe.«
»Der Chief-Superintendent dürfte sich bestimmt genieren, offen um Hilfe zu bitten.«
»Das wäre aber albern«, grollte Lady Agatha. »Ohne mich ist er doch verloren. Allein kommt er gegen die Mafia nie an. Glauben Sie, daß man es auf einen Mord ankommen lassen wird, Mister Parker?«
»Der bewußte Tennisball läßt darauf schließen, Mylady, daß man einen Nervenkrieg gegen Mister McWarden zu führen gedenkt. Der Mord an einem hohen Beamten würde große Schlagzeilen machen und die gesamte Polizei aktivieren.«
»Also Psycho-Terror, Mister Parker...«
»In der Tat, Mylady. Man versucht offenbar, Mister McWarden in einen nervlichen Zustand zu versetzen, der es ihm unmöglich macht, den Fall McGivern weiter zu verfolgen.«
»Er hat schließlich noch Mitarbeiter, die diesen Fall weiter bearbeiten könnten, Mister Parker«, wandte die ältere Dame ein.
»Möglicherweise würde man diese Mitarbeiter dann ebenfalls in einen Nervenkrieg verwickeln, Mylady.«
»Nun gut, es bleibt dabei: Ich werde wieder die Initiative ergreifen, Mister Parker. Was steht jetzt auf meinem Plan?«
»Mylady haben sicher die Absicht, den Angehörigen und Mitarbeitern des Mister Herrn Birnay einen Besuch abzustatten.«
»Aha. Und wer ist das?«
»Mister Herrn Birnay wurde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von Mister Marty Stillson erschossen«, erinnerte der Butler in seiner diskreten Art.
»Keine Namen, Mister Parker«, verlangte die ältere Dame sofort streng, »Sie verwirren nur. Ich darf den Gesamtüberblick nicht verlieren und nur die Kleinigkeiten registrieren.
Namen konnte sie sich einfach nicht merken.
*
Das illegale Wettbüro florierte. Josuah Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum vor einem schäbigen Schnell-Imbiß abgestellt und beobachtete die Gäste, die sich an pizzaähnlichen Gebilden, an Fisch und Chips, an Hamburgern und frittierten Hähnchen delektieren wollten.
Der Schnell-Imbiß war in einem Eckhaus untergebracht und sah nicht besonders verdächtig, sondern nur schäbig aus. Die Besucher dieses Restaurants waren fast ausschließlich Männer aller Altersklassen, die ihrer Kleidung nach nicht gerade zur gehobenen Mittelklasse gehörten.
»Warum warte ich hier, Mister Parker?« verlangte Agatha Simpson ungeduldig zu wissen.
»Mylady haben sicher bereits eine grobe Schätzung jener Personen vorgenommen, die ihren Hunger zu stillen gedenken.«
»Tatsächlich«, schwindelte sie umgehend, »beachtlich, was ich da gesehen habe.«
»Innerhalb nur weniger Minuten werden Mylady exakt neun Personen gezählt haben.«
»Zehn«, widersprach sie energisch.
»Meine Wenigkeit wird sich dann geirrt haben, Mylady.«
»Wenn schon, Mister Parker, dann müssen Sie eben genau hinsehen«, mokierte sie sich genußvoll. »Und was sagt mir das mit diesen zehn Personen? Ich muß dabei doch etwas gedacht haben, nicht wahr?«
»Im Schnell-Imbiß dürften noch andere Artikel als Eßwaren zu bekommen sein. Mylady denken an Wetten.«
»Und das werde ich sofort in Augenschein nehmen, Mister Parker.« Sie war Feuer und Flamme. »Pferderennen, nicht wahr?«
»Davon sollte man ausgehen, Mylady. Man macht den legalen Wettbüros dort sicher Konkurrenz.«
»Und dort ist dieser, wie heißt er noch, ermordet worden?«
»Mister Herrn Birnay, Mylady, der das illegale Wettbüro betrieb.«
Sie verzichtete auf weiter Fragen, drückte die Tür auf und setzte ihre Fülle energisch in Bewegung. Parker verschloß den Wagen und setzte die Türgriffe unter Strom. Dazu drückte er mit der Schirmspitze in eine bestimmte, kaum wahrnehmbare Vertiefung des soliden Trittbretts.
Als er und Mylady den Schnell-Imbiß betraten, runzelte die ältere Dame doch die Stirn. Obwohl sie von ihrem Butler vorbereitet worden war, entdeckte sie nur wenige Gäste, die auf festgeschraubten Sitzen saßen und mehr oder weniger lustvoll in Pappbehältern stocherten, in denen sich diverse Eßwaren befanden.
Die beiden männlichen Angestellten hinter der langen Theke wunderten sich ihrerseits über die beiden neuen Kunden. Lady Agatha hielt auf die Theke zu und musterte die ausgestellten Köstlichkeiten. Im Lokal roch es übrigens penetrant nach zu oft gebrauchtem Frittier-Fett.
»Mylady wünschen einen kleinen Imbiß?« erkundigte sich Parker, der den ständigen Hunger seiner Herrin kannte.
»Guter Gott, Mister Parker«, entsetzte sie sich und schüttelte den Kopf.« Sehen Sie sich nur die Fischschnitten an!«
»Sie dürften aus einem Fang stammen, Mylady, der um die Jahrhundertwende getätigt worden sein muß.«
»Was soll’s denn sein?« fragte einer der beiden Schnellköche desinteressiert. »Eigentlich sind wir ausverkauft.«
»Melden Sie der Geschäftsleitung Lady Simpson und Mister Parker«, antwortete der Butler. »Mylady erwartet innerhalb von drei Minuten eine Reaktion, sonst könnten sich gewisse Komplikationen ergeben.«
»Moment mal, Leute«, schaltete der zweite Schnellkoch sich ein. »Was soll hier eigentlich laufen?«
»Meiner bescheidenen Schätzung nach sind bereits fünfzehn bis sechzehn Sekunden der eingeräumten Frist vorüber«, machte der Butler deutlich. »Sie sollten das tun, was man gemeinhin ›sich sputen‹ zu nennen pflegt.«
*
»Grünes Licht für Sie«, sagte der Imbiß-Verkäufer, der nach genau zweieinviertel Minuten wieder hinter der Thekenauslage erschien. Er deutete auf eine schmale Tür, die zu den Toiletten führte.
»Es geht doch, junger Mann«, meinte Agatha Simpson zufrieden. »Man muß eben nur wollen.«
»Kann man davon ausgehen, daß man abgeholt wird?« erkundigte sich der Butler.
»Alles in Ordnung«, antwortete der Mann. »Keine Probleme.«
Doch Josuah Parker traute dem Frieden nicht so recht. Er rechnete durchaus mit Zwischenfällen. Möglicherweise kannte man Mylady und ihn, allerdings zu einem persönlichen Kontakt war es bisher nicht gekommen. Zudem wußte er ja nicht, ob das Wettbüro nicht schon von der Mafia übernommen worden war.
Als er Mylady zur bewußten Tür geleitete, griff er mit zwei spitzen Fingern der rechten, schwarz behandschuhten Hand in eine der vielen Westentaschen und holte eine miniaturisierte Lichtblitzbombe hervor. Sie sah aus wie die Sicherung eines Autoscheinwerfers und ließ nicht erkennen, welche Leuchtkraft sie besaß.
Parker hatte die Tür erreicht und öffnete sie spaltbreit. Er wandte sich zur Theke. Sie beiden Schnellköche taten unbeteiligt, doch sie blickten verstohlen zu jener Tür, die der Butler angedrückt hatte.
Parker knickte die kleine Sicherung seitlich ab und warf sie in den Raum hinter der Tür, die er schnell wieder schloß. Dennoch registrierte er einen deutlichen Lichtblitz.
Butler Parker drückte ohne jede Hemmung erneut die Tür auf und betrat einen schmalen Korridor, in dem zwei Männer standen, die hilflos wirkten. Sie waren völlig geblendet worden, rieben sich die Augen und fluchten ausgiebig. Sie bekamen überhaupt nicht mit, daß Lady Simpson und der Butler vor ihnen erschienen.
»Sie können davon ausgehen, meine Herren, daß ihre Netzhaut sich in relativ kurzer Zeit wieder erholen wird«, tröstete der Butler die Männer, während er gezielt und blitzschnell nach ihren Schulterhalftern langte und sie leerte. Er barg zwei kurzläufige Revolver, die er in den Taschen seines schwarzen Covercoats verschwinden ließ. Die beiden Männer bekamen nichts davon mit.
Parker schritt weiter aus, erreichte eine Tür und bewegte den Knauf. Die Tür schwang auf und gab den Blick frei in ein kleines Büro, dessen Rückfront von einer großen Scheibe eingenommen wurde. Mit dem Rücken zu Parker saß ein Mann vor dieser Scheibe und blickte aufmerksam hinunter in einen Raum, den der Butler noch nicht erkennen konnte.
»Man wünscht einen ausgeglichenen Abend«, grüßte der Butler und lüftete die schwarze Melone. Der Mann fuhr blitzschnell mit dem Drehsessel herum und starrte Mylady und Parker entgeistert an.
»Sie werden sich mit Sicherheit fragen, wie Mylady und meine Wenigkeit hier erscheinen konnten«, redete der Butler weiter. »Ihre Mitarbeiter waren so entgegenkommend, den Weg zu weisen.«
»Wo stecken die?« Der Mann schob sich mit dem Sessel näher an den Schreibtisch heran.
»Die beiden Mitarbeiter sind beschäftigt«, erklärte der Butler. »Was nun Sie betrifft, so sollten Sie nicht den Versuch unternehmen, nach einer Schußwaffe zu greifen, meine Wenigkeit würde dies zu verhindern wissen.«
»Von mir aus können Sie es aber auch versuchen«, warf Lady Agatha ein und brachte ihren perlenbestickten Pompadour in erste Schwingung. »Sie also lassen hier illegal wetten, junger Mann?«
»Wie zu sehen ist, Mylady.« Parker deutete mit der Schirmspitze auf die Glasscheibe, die eindeutig ein Einweg-Spiegel war, durch den man in einen Kellerraum blicken konnte. Dort gab es einige Wettschalter, Pulte, Bänke und eine ganze Batterie von Fernseh-Monitoren. Gut zwei Dutzend Wetter strudelten durcheinander, lieferten ihre Wettscheine ab, tranken und diskutierten.
»Ein Geschäft, das man nur als florierend bezeichnen kann«, stellte Josuah Parker fest.
»Wie heißen Sie, junger Mann?« verlangte Mylady von dem Mann hinter dem Schreibtisch zu wissen.
»Randy Blakers«, lautete umgehend die Antwort.
»Sie haben die Stelle des verblichenen Mister Herrn Birnay übernommen?« fragte der Butler.
»Was blieb mir anderes übrig, nachdem man ihn erschossen hatte. Und wer sind Sie?«
»Man dürfte Mylady und meine Wenigkeit mit Sicherheit angekündigt haben«, erwiderte der Butler. »Gibt es keine Familienangehörige des Mister Birnay?«
»Natürlich, da ist eine Mistreß Birnay. Und genau sie hat mir die Leitung des Büros übertragen. Das ist alles geregelt. Hören Sie, warum sind Sie hier?«
»Dreimal dürfen Sie raten, junger Mann«, fuhr die ältere Dame ihn an und deutete durch den Einweg-Spiegel nach unten. »Ich werde selbstverständlich die Gelegenheit nutzen und eine Wette abschließen.«
»Sie wollen keinen ... Ärger machen?« hoffte Randy Blakers.
»Mylady interessiert sich für den Mord an Mister Herrn Birnay«, schickte Josuah Parker voraus. »Sie waren in der Nähe, als es dazu kam?«
»Eben nicht, Mister Parker.« Randy Blakers schüttelte den Kopf. »Wäre ich hier gewesen, wäre bestimmt manches anders gelaufen. Ich war in unserer Filiale in Soho, als das mit Birnay passierte.«
»Hat die Mafia sich seitdem wieder gemeldet?«
»Bisher hat sich nichts getan, aber die Kerle geben bestimmt nicht auf, Mister Parker. Die wollen kassieren, was sie bekommen können.«
»Werden Sie sich gegen die Mafia durchsetzen können, Mister Blakers?«
»Schwer zu sagen, Mister Parker.« Blakers hob die Schultern und schielte schon längst nicht mehr nach seiner Schußwaffe, die in einem der Seitenfächer seines Schreibtisches liegen mußte. »Wir haben uns natürlich abgesichert. Mit der linken Hand werden uns die Typen aus den Staaten nicht mehr erwischen, darauf können Sie sich verlassen.«
»Mylady geht davon aus, daß Ihnen der momentane Wohnsitz des Mister Marty Stillson hier in London durchaus bekannt ist.«
»Der wechselt die Hotels und Unterkünfte wie seine Hemden«, lautete die Antwort. »Stillson ist ständig unterwegs, wie ich höre. Der Mann ist gerissen und vorsichtig. Noch hat er sich hier nicht durchgesetzt.«
»Mister Marty Stillson soll eine besonders geschickte Hand haben, was den Kauf von wichtigen Personen in der Szene betrifft.«
»Davon hab’ ich auch schon gehört«, pflichtete Blakers dem Butler bei. »Geld hat er jede Menge. Und er kennt sich bereits verdammt gut aus. Er weiß genau, wer wichtig ist oder nicht.«
»Gibt es keine Aktionen gegen ihn?« wunderte sich Parker andeutungsweise.
»Darüber wird am laufenden Band geredet, Mister Parker, aber getan wird nichts«, klagte Randy Blakers förmlich. »Gehen Sie etwa gegen Stillson an?«
»Es werden aufregende Tage auf ihn zukommen, junger Mann«, kündigte die Detektivin an. »Aber wir wollen nicht am Thema vorbeireden. Ich werde, sagen wir, fünf Pfund auf Sieg setzen und erwarte, daß ich gewinne. Alles Weitere überlasse ich Ihnen: Wehe Ihnen, falls ich verlieren sollte! Mister Parker, helfen Sie mir bitte mit fünf Pfund aus, Sie wissen, daß ich grundsätzlich kein Geld bei mir habe.«
*
»Und Sie gewannen natürlich, Mylady«, sagte Mike Rander am anderen Morgen. Er hatte sich zum Frühstück im Haus der älteren Dame zusammen mit Kathy Porter eingefunden.
»Knapp siebzig Pfund«, erwiderte Lady Agatha und nickte lächelnd. »Gut, Mike, es ist nicht gerade viel, aber der Mensch freut sich.«
Mike Rander und Kathy Porter tauschten einen schnellen Blick des geheimen Einverständnisses. Sie wußten, wie geschäftstüchtig Agatha Simpson war. Sie ließ sich keine Gelegenheit entgehen, ihre private Kasse aufzubessern.
Mike Rander, groß, schlank und sportlich, war Anwalt und hatte in früheren Jahren mit Parker in den Staaten viele Abenteuer mit der dortigen Unterwelt erlebt. Kathy Porter, attraktiv und nicht weniger sportlich, war Agatha Simpsons Gesellschafterin und Sekretärin, die aber, nach Randers Rückkehr aus den USA, auch für ihn arbeitete und in seiner Kanzlei in der nahen Curzon Street half.
»Konnten Sie ungefähr erfahren, wie es zu diesem Mord an Birnay kam, Parker?« erkundigte sich Rander.
»Die Tat spielte sich in der Privatwohnung des Verblichenen ab, die nicht weit vom illegalen Wettbüro entfernt liegt«, berichtete Parker weiter. »Es ist bekannt, daß Stillson und McGivern ihn besuchen wollten. Sie wurden gesehen, als sie die Wohnung betraten. Birnays Leibwächter wurde dann weggeschickt und ist seitdem verschwunden.«