Читать книгу Der exzellente Butler Parker 1 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3

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Josuah Parker öffnete die Tür und sah auf den ersten Blick nur Blumen. Das leicht gerötete Gesicht hinter dem Bouquet war ihm durchaus vertraut. »Ob Mylady wohl etwas Zeit für mich hat?« erkundigte sich Chief-Superintendent McWarden.

»Mylady hat soeben ihre schriftstellerische Arbeit unterbrochen, um eine Tasse Tee zu nehmen, Sir«, teilte der Butler mit und ließ den angesehenen Yardbeamten ins Haus.

»Sie wollen mir wohl zum Geburtstag gratulieren, mein lieber McWarden?« flötete Agatha Simpson. »Leider haben Sie sich im Datum geirrt.« »Keineswegs, Mylady«, entgegnete McWarden und nahm Platz. »Mit diesem Angebinde wollte ich mich nur für die gute Zusammenarbeit der letzten Monate bedanken.«

»Solche Großzügigkeit kennt man ja gar nicht an Ihnen, McWarden«, gab die passionierte Detektivin zurück. »Ich möchte wetten, daß Sie wieder mal in der Patsche stecken und meine Hilfe brauchen.«

»Offen gesagt: ein gewisser Fall raubt mir die letzten Nerven«, bekannte McWarden irritiert.

»Das will nicht viel besagen«, überspielte die Hausherrin ihre sofort entflammte Neugier. »Sie regen sich doch über jede Kleinigkeit auf.«

»Mag sein, Mylady«, schluckte McWarden die Stichelei. »Jedenfalls hat die Kleinigkeit, um die es in diesem Fall geht, den Innenminister persönlich auf den Plan gerufen. Auch im Verteidigungsministerium rotieren sie schon.«

»Darf man vermuten, daß es sich um Waffendiebstahl handelt, Sir?« schaltete Parker sich ein und legte seiner Herrin ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte vor.

»Es geht um ein neu entwickeltes Lasergerät...«, setzte der Chief-Superintendent an.

»Laser?« unterbrach Agatha Simpson. »Was verstehe ich unter Laser, Mister Parker?«

»Wie Mylady sich fraglos erinnern dürften, stellt das Wort ›Laser‹ eine Abkürzung dar«, gab der Butler höflich Auskunft. »Gemeint ist das Prinzip der ›Lichtverstärkung durch stimulierte Emission von Strahlung.«

»Ich weiß, Mister Parker«, nickte Agatha Simpson sachverständig. »Und wer soll mit dieser simulierten Strahlung missioniert werden?«

»Der scharf gebündelte Lichtstrahl eines Lasergerätes läßt sich im medizinischen, technischen und militärischen Bereich außerordentlich vielseitig einsetzen, falls meine Wenigkeit nicht irrt«, versuchte Parker, seiner technisch unbedarften Herrin das Thema näherzubringen.

»Genau!« bestätigte McWarden. »Bisher waren der Verwendung von Lasergeräten aber Grenzen gezogen, weil sie auf eine starke Energiequelle angewiesen sind. Die handliche und kaum fünf Kilo schwere Neuentwicklung der Londoner Firma ›Hitec‹ kommt dagegen mit normalem Tageslicht aus, das durch spezielle Solarzellen gesammelt und in elektrische Energie umgewandelt wird.«

»Die Erfindung eines tragbaren Gerätes dürfte die Einsatzmöglichkeiten dieser Technik sozusagen schlagartig erweitern«, merkte der Butler an.

»Eben!« nickte der Chief-Superintendent bekümmert. »Was die Ingenieure von ›Hitec‹ entwickeln wollten, war ein Schweißgerät, das im Urwald ebenso problemlos arbeitet wie auf dem Mond. Was herauskam, läßt sich aber auch als lautlose Mordwaffe von geradezu unheimlicher Präzision mißbrauchen.«

»Die militärische Brisanz dieser Erfindung dürfte kaum zu unterschätzen sein, Sir«, ließ Parker sich vernehmen.

»Das ist der Grund, weshalb sich auch der Verteidigungsminister eingeschaltet hat, Mister Parker«, erläuterte McWarden. »Man will auf jeden Fall verhindern, daß die Erfindung einer fremden Macht in die Hände fällt.«

»Muß man davon ausgehen, daß das genannte Gerät entwendet wurde, Sir?« erkundigte sich Parker.

»Kein Gerät«, korrigierte der Chief-Superintendent. »Es gibt bisher nur einen Prototyp, der sich noch im Besitz des Unternehmens befindet. Aber die Einbrecher, die nachts den Computer der ›Hitec‹ anzapften, haben sich sämtliche Konstruktionsunterlagen ausdrucken lassen.«

»Eine Methode, die auf professionelles Arbeiten schließen läßt«, warf Parker ein. »Darf man fragen, Sir, ob Sie bereits einen Verdacht haben?«

»Ich weiß im Moment nur eins«, gestand McWarden. »Ich muß um jeden Preis verhindern, daß die Papiere ins Ausland geschafft werden. Sonst kann ich meinen Schreibtisch im Yard räumen.

»Keine Sorge, McWarden«, tröstete Lady Agatha den Yardbeamten. »Ich werde die Ermittlungen übernehmen und für Sie die Kastanien aus dem Feuer holen.«

»Um Himmels willen«, rief McWarden entsetzt. »Der Innenminister hat mich zu strengster Vertraulichkeit verpflichtet. Eigentlich habe ich Ihnen schon jetzt zu viel erzählt.«

»Sie wollen also gar nicht, daß ich Ihnen helfe?« reagierte Mylady eingeschnappt. »Warum kommen Sie dann?«

»Ich wollte Sie nur bitten...«, begann der Chief-Superintendent, aber Agatha Simpson fiel ihm ins Wort.

»Also doch!« grollte sie. »Drücken Sie sich präzise aus und kommen Sie endlich zur Sache, McWarden. Meine Zeit ist kostbar.«

»Ich wollte Sie nur bitten, mir ein Gespräch mit Mister Pickett zu vermitteln«, nahm McWarden den zweiten Anlauf. »Bei seinen weitreichenden Verbindungen zur Londoner Szene hat er vielleicht etwas gehört.«

»Und deshalb halten Sie mich von der Arbeit ab?« entrüstete sich die ältere Dame. »Entweder übertragen Sie mir die Ermittlungen ...«

»Ausgeschlossen!« erwiderte McWarden gereizt. Die Gesichtsfarbe des korpulenten Mittfünfzigers ließ allmählich an eine reife Tomate denken. »In einer Sache von derartiger Brisanz kann ich keine Amateure ...«

»Amateure?« wiederholte die Hausherrin erregt. »Sie dürfen sich glücklich schätzen, daß ich mir immer noch einen gewissen Respekt vor den Beamten Ihrer königlichen Majestät bewahrt habe, McWarden. Sonst müßte ich mich beleidigt fühlen.«

»Aber Mylady«, versuchte McWarden die resolute Dame zu beschwichtigen. »Das Wort ›Amateur‹ ist doch keine Beleidigung.«

»Ich fasse es aber so auf«, belehrte Agatha Simpson ihren Gegenüber. »Wer ist Ihnen denn ständig um mindestens eine Nasenlänge voraus?«

»Das ist die Höhe!« ereiferte sich der Chief-Superintendent. »Mit Ihnen ist heute nicht vernünftig zu reden, Mylady. Ich gehe!«

McWarden trat den Rückzug in Richtung Diele an, wo Parker bereits mit Hut und Mantel wartete.

»Man wünscht weiterhin einen angenehmen Nachmittag, Sir«, sagte Parker mit unbewegter Miene, als er den Besucher hinausließ.

McWarden murmelte Unverständliches. Im Gehen klopfte er sich Blütenstaub und Blätter vom Anzug, die Myladys Wurfgeschoß hinterlassen hatte. Ohne sich noch mal umzuwenden, stieg er in seine schwarze Limousine und brauste davon.

*

»Mister McWarden werde ich zeigen, was es heißt, eine Lady Simpson herauszufordern, Mister Parker«, grollte die Detektivin. »Noch heute wird er die gestohlenen Papiere auf einem Silbertablett serviert bekommen. Und die ganze Einbrecherbande dazu.«

Die resolute Dame saß im bequemen Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum.

»Eine Amateurin hat er mich genannt, Mister Parker«, konnte sie sich nicht beruhigen. »Vielleicht hätte ich doch meine vornehme Zurückhaltung aufgeben sollen. Jeder andere hätte nach einer solchen Äußerung unweigerlich Bekanntschaft mit meinem Glücksbringer gemacht.«

Was Mylady zärtlich als »Glücksbringer« bezeichnete, war ein solides Hufeisen, das von einem stämmigen Brauereipferd stammte. Dieser gewichtige Talisman steckte in ihrem Pompadour, einem Lederbeutel von fast zierlichem Format, den die Detektivin treffsicher einzusetzen wußte.

»Ein solcher Schritt hätte zweifellos weitreichende Folgen gezeitigt, falls der Hinweis gestattet ist«, merkte Parker an. Er saß in würdevoller Haltung am Lenkrad und steuerte sein schwarzes, eckiges Gefährt durch den nachmittäglichen Stadtverkehr in Richtung Osten.

»Wenn ich McWarden blamiere, ist das auch viel wirkungsvoller«, entschied die ältere Dame. »Ich werde ihm mal wieder demonstrieren, daß er gegen mich keine Chance hat.«

»Unter keinen Umständen würde meine Wenigkeit Mylady widersprechen«, versicherte der Butler wahrheitsgemäß und bog in die Whitechapel Road nach Stepney ein. Jetzt konnte es nicht mehr weit sein.

Gleich nach McWardens überstürztem Abgang hatte Agatha Simpson ihn gebeten, die Adresse der Firma »Hitec« aus dem Telefonbuch herauszusuchen. Fünf Minuten später war das Duo aus Shepherd’s Market aufgebrochen.

»Hier dürfte es sein, Mylady«, meldete Parker über die Sprechanlage in den mit einer Panzerglasscheibe abgetrennten Fond. Gemächlich ließ er seinen Wagen auf dem Besucherparkplatz ausrollen.

Die schmucklosen Hallen und betonierten Hofflächen der Firma Hitec waren von einer übermannshohen Backsteinmauer mit Stacheldrahtkrone umgeben. Der Pförtner in der verglasten Kabine neben dem stählernen Rolltor hatte sich derart in das Studium seiner Sportzeitung vertieft, daß er Mylady und ihren Butler überhaupt nicht Vorbeigehen sah.

Wenig später hatten die Besucher eine Tür mit der Aufschrift »Vorzimmer des Geschäftsführers« erreicht.

››Sie wünschen?« erkundigte sich die schon etwas angejahrte Vorzimmerdame mißtrauisch und musterte das skurrile Paar von Kopf bis Fuß. Der Anblick, den die Besucher boten, war aber auch alles andere als alltäglich.

In seinem steifen, schwarzen Zweireiher, die schwarze Melone auf dem Kopf und den altväterlich gebundenen Regenschirm am angewinkelten Unterarm, wirkte Josuah Parker wie ein hochherrschaftlicher Butler aus vergangenen Zeiten.

Während Parker alterslos schien, von eher durchschnittlicher Statur war und nur leichte Neigung zum Bauchansatz zeigte, verfügte seine Herrin über eine eindrucksvolle Fülle, die durch ein derbes Tweedkostüm mühsam gebändigt wurde. Agatha Simpson, die ihr Alter seit Jahren mit sechzig angab, steckte in rustikalen Schnürschuhen und trug ein wucherndes Filzgebilde auf dem Kopf, das sie hartnäckig als Hut bezeichnete, obwohl es eher einem mißratenem Napfkuchen glich.

»Mylady wünscht, den Herrn Geschäftsführer zu sprechen«, teilte der Butler mit einer knappen Verbeugung mit.

»Mister Clenwick ist in einer Besprechung«, gab die Dame hinter dem Schreibtisch kühl zurück. »Worum handelt es sich denn?«

»Das ist streng vertraulich und geht nur Mister Penstick und mich an«, beschied Mylady sie mit herablassender Geste.

»Sie meinen vermutlich Mister Clenwick?« vergewisserte sich die Sekretärin.

»Natürlich, wen denn sonst?« reagierte die Detektivin ungeduldig. »Im übrigen ist eine Lady Simpson nicht gewohnt, daß man sie warten läßt. Also sagen Sie Ihrem Mister Penstick, daß er sich gefälligst beeilen soll.«

»Aber...« Die Frau wollte protestieren, doch in diesem Augenblick wurde die Tür zu Clenwicks Büro geöffnet. Zwei unauffällig gekleidete Herren mit undurchdringlichen Gesichtern querten grußlos das Vorzimmer und verschwanden in Richtung Aufzug.

Der etwa 45jährige Mann im dunkelblauen Nadelstreifenanzug mit akkurat sitzender Krawatte und kurzgeschnittenem Blondhaar, der die beiden mit einem Kopfnicken verabschiedet hatte, machte einen nervösen und übernächtigten Eindruck. Die hellblauen Augen im gebräunten Gesicht streiften Agatha Simpson und Josuah Parker mit einem überraschten Blick.

»Sie wollen zu mir?« fragte er, schon wieder auf dem Rückweg in sein Büro.

»Chief-Superintendent McWarden hat mir die weiteren Ermittlungen in Ihrer Sache übertragen, Mister Penstick«, schwindelte die Detektivin ungeniert.

»Mylady genießt einen außerordentlichen Ruf als Detektivin«, setzte Parker hinzu, als er Clenwicks ungläubigen Blick bemerkte.

»Ist Mister McWarden denn krank geworden?« wunderte sich der Firmenchef, während er seinen Besuchern Platz anbot und die Tür zum Vorzimmer schloß. »Ich war sehr froh, als er die Ermittlungen persönlich in die Hand nahm, weil er mir als außerordentlich fähiger Kriminalist geschildert wurde.«

»Der gute McWarden ist wohlauf«, beruhigte Agatha Simpson ihr Gegenüber und ließ sich wohlig seufzend in einen üppig gepolsterten Ledersessel fallen. »Er hat nur eingesehen, daß er ohne meine Hilfe in dieser brisanten Sache nicht weiterkommt.«

»Mister McWarden wird schon wissen, was er tut«, schluckte Clenwick arglos die faustdicke Lüge. »Was kann ich für Sie tun, Mylady?«

»Mylady wünscht, zunächst die Bekanntschaft jener Herren zu machen, die an der Entwicklung des tragbaren Lasergerätes führend beteiligt waren«, sprang der Butler in die Bresche, als er das Zögern seiner Herrin bemerkte.

»Das sind nur zwei«, gab Clenwick zur Antwort. »Unsere Oberingenieure Rowes und Longdale. Alle übrigen Mitarbeiter der Abteilung haben lediglich Details bearbeitet und hatten keinen Überblick über das Gesamtprojekt«

Clenwick sah auf seine Armbanduhr und erhob sich. »Die beiden müßten eigentlich noch im Computerraum sein«, sagte er. »Wenn Sie nichts dagegen haben, bringe ich Sie hin.«

»Diesen Vorschlag kann man in der Tat nur begrüßen, Sir«, pflichtete Parker ihm bei und assistierte diskret seiner Herrin, die einige Mühe hatte, ihre Pfunde aus dem Sessel zu wuchten.

»Sie müssen die Einbrecher schnappen, ehe die Konstruktionsunterlagen ins Ausland geschmuggelt werden, Mylady«, beschwor Clenwick die Detektivin, während er durch lange, kahle Flure voranging. »Das Ministerium macht mir die Hölle heiß. Die beiden Herren, die ich vor Ihnen zu Besuch hatte, kamen von der Spionageabwehr.«

»Für eine Detektivin meines Ranges ist das überhaupt kein Problem, junger Mann«, prahlte Agatha Simpson. »Mein taktisches Konzept steht bereits. Bis zur Entlarvung der Täter können höchstens noch ein paar Stunden vergehen.«

*

»Verzeihung«, murmelte der Mann, mit dem Clenwick um ein Haar an der Tür zum Computerraum zusammengeprallt wäre. Parker schätzte ihn auf Ende Dreißig. Er war mit grellbuntem T-Shirt und einem abgeschabten Jeansanzug bekleidet. Seine aufmerksamen Augen blickten durch die Gläser einer modischen Hornbrille.

»Ich wollte gerade weg, weil ich noch eine Verabredung zum Tennis habe«, erklärte der Eilige. »Oder steht noch was Wichtiges an, Mister Clenwick?«

»Lady Simpson ist Detektivin«, stellte der Firmenchef seine Besucherin vor. »Sie möchte Ihnen und Mister Longdale noch ein paar Fragen stellen.«

»Schon wieder Fragen«, maulte der junge Mann, den Clenwick als Oberingenieur Peter Rowes vorstellte. »Aber wenn’s sein muß...«

Rowes Kollege Sinclair Longdale saß am Bildschirm und fragte Daten aus dem Großrechner ab, der eine Längswand des Raumes voll in Anspruch nahm. Der Mann trug einen blütenweißen Laborkittel über dem grauen Maßanzug. Das dunkle, an den Schläfen ergraute Haar war streng gescheitelt, Schwarze Augen in tiefliegenden Höhlen verliehen dem kantigen Gesicht einen leicht verschlagenen Ausdruck.

»Mister Rowes ist mit der Entwicklung der neuartigen Solarzellen der entscheidende Durchbruch gelungen«, fuhr Clenwick fort. »Seine Lösung erwies sich als kostengünstiger.«

»Darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, Mister Clenwick«, muckte Longdale auf. »Außerdem ist mein Verfahren zuverlässiger.«

»Sie wissen, daß die Entscheidung im Kreis der Anteilseigner einstimmig gefallen ist, Mister Longdale«, erklärte Clenwick seinem Mitarbeiter kühl. »Die Zeit der Diskussionen ist vorbei.«

»Ich weiß«, murrte Longdale. »Dafür jagen sich die Verhöre. Worum geht es denn jetzt schon wieder?«

»Mylady würde gern erfahren, auf welche Weise es möglich war, die im Computer gespeicherten Konstruktionsunterlagen zu entwenden«, ließ Parker sich vernehmen.

»Das ist eine Kleinigkeit, wenn man weiß, wie’s geht«, antwortete Longdale.

»Darf man möglicherweise auf eine etwas ausführlichere Erläuterung hoffen, Sir?« hakte der Butler nach.

»Man gibt den neunstelligen Zifferncode ein, holt sich die Sache auf den Bildschirm und schaltet den Drucker ein«, erläuterte der Oberingenieur. »Etwa zehn Minuten später packt man die Unterlagen in eine Aktentasche und geht.«

»Muß man von der Annahme ausgehen, daß dieser Raum allen Betriebsangehörigen zugänglich ist, Mister Longdale?« wollte der Butler wissen.

»Normalerweise sind nur Peter und ich hier drin«, gab sein Gegenüber Auskunft. »Wenn wir beide Weggehen, schließen wir grundsätzlich ab.«

»Außer Mister Longdale und Mister Rowes habe nur ich persönlich noch einen Schlüssel zum Computerraum«, schaltete Clenwick sich wieder ein. »Ach ja – und der Hausmeister. Und die Putzfrau natürlich.«

»Und der Servicetechniker der Computerfirma«, ergänzte Rowes.

»Spielt doch keine Rolle«, warf Longdale ein. »Die Einbrecher haben sowieso alle Schlösser geknackt. Aber damit steht jedenfalls fest, daß die Schlüsselinhaber mit der Sache nichts zu tun haben.«

»Darf man erfahren, worauf Sie diese Schlußfolgerung gründen, Mister Longdale?« fragte Parker.

»Wenn die Diebe Schlüssel gehabt hätten – warum sollten sie sich unnötige Arbeit machen und die Schlösser aufbrechen?« antwortete Longdale mit einer Gegenfrage.

»Das gewaltsame Eindringen könnte möglicherweise auch dazu dienen, den Verdacht von Mitarbeitern der Firma abzulenken«, gab der Butler zu bedenken und musterte sein Gegenüber ebenso unauffällig wie konzentriert.

»Aus dieser Perspektive habe ich die Sache noch nicht gesehen«, räumte Longdale ein. »Vielleicht haben Sie recht.« Seine Stimme klang fest und ruhig. Nur die dunklen Augen signalisierten erhöhte Wachsamkeit und eine Spur von Nervosität.

»Ich frage mich aber, wie die Einbrecher an die Codenummer des Laserprogramms herangekommen sind«, lenkte Clenwick das Gespräch auf einen anderen Punkt. »Die Kombination war außer Mister Rowes und Mister Longdale nur mir bekannt.«

»Für mich ist das überhaupt keine Frage, junger Mann«, schaltete Mylady sich unvermittelt ein. »Die Indizien sind absolut eindeutig.«

Parker war während der Worte seiner Herrin zur Tür geschritten und hatte sie mit einem Ruck aufgerissen.

»Miß Burley!« rief Clenwick zornig, als die mit einem grünen Arbeitskittel bekleidete Putzfrau in den Raum purzelte. Parker schätzte die Neugierige auf etwa dreißig Jahre. Der schlichte Kittel und das zu einem Turban geschlungene Kopftuch konnten nicht verbergen, daß Miß Burley eine ausgesprochen attraktive Raumpflegerin war.

»Ich wollte nur hören, ob hier noch jemand drin ist, Mister Clenwick«, entschuldigte sie sich. »Ich hätte sonst mit meiner Arbeit angefangen.«

»Ich denke, wir sind gleich soweit«, entgegnete der Chef. »Solange müssen Sie sich schon gedulden.« Er schickte der jungen Frau einen mißbilligenden Blick nach, als sie ihren vor der Tür abgestellten Schrubber ergriff und sich trollte.

»Falls meine Wenigkeit korrekt informiert wurde, gibt es einen Prototyp des neu entwickelten Lasergerätes, Mister Clenwick?« vergewisserte sich der Butler, nachdem er die Tür wieder geschlossen hatte.

»Der liegt zum Glück in dem großen Panzerschrank im Keller«, bestätigte Clenwick. »Da ist das Gerät vor Einbrechern absolut sicher.«

»Zweifellos darf man der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß Ihr Optimismus sich als begründet erweist, Sir«, merkte der Butler an. »Dennoch darf man möglicherweise darauf aufmerksam machen, daß es absolute Sicherheit nicht geben kann.«

»Wenn Sie an mich keine Fragen mehr haben, würde ich gern gehen«, unterbrach Rowes, der schon mehrfach auf die Uhr geschaut hatte. »Dann komme ich doch noch zu meinem Match.«

»Sie dürfen gehen, junger Mann«, erlaubte die Detektivin. »Meine Vernehmung ist für heute beendet. Die Zielrichtung der weiteren Ermittlungen steht ohnehin fest.«

Gleich nach Rowes verließen auch Clenwick und seine Besucher den Raum.

»Ich muß nur noch ein paar Daten vergleichen. Dann gehe ich auch nach Hause«, erklärte Longdale, der allein zurückblieb.

*

Das kurze Gespräch, zu dem Clenwick nach einem Rundgang in sein Büro einlud, zog sich fast zwei Stunden hin, da der Firmenchef eine Kognakflasche aus dem Wandschrank holte, die sogar unter den kritischen Augen der Lady Gnade fand.

Clenwick beklagte sich bitter darüber, daß das Verteidigungsministerium seinem Unternehmen die kalte Schulter gezeigt habe, solange es darum ging, Zuschüsse zu den beträchtlichen Entwicklungskosten des Lasers zu erhalten. »Und jetzt spielen sie verrückt«, beschwerte er sich.

Seine wiederholten Versuche, Agatha Simpson Einzelheiten über ihre Ermittlungen zu entlocken, scheiterten an der Hartnäckigkeit der älteren Dame.

»Meine Ermittlungen sind so gut wie abgeschlossen«, versicherte Agatha Simpson stereotyp. »Mein Konzept sieht als nächsten Schritt die Festnahme des Täters vor. Doch davon später, junger Mann.«

Als Clenwick schließlich resignierte und seine Gäste entließ, war es draußen schon dunkel.

»Darf meine Wenigkeit noch um Auskunft darüber bitten, seit wann Miß Burley bei Ihnen beschäftigt ist, Mister Clenwick?« stellte Parker seine letzte Frage.

»Seit einem Monat«, gab der Firmenchef Auskunft. »Ist das wichtig?«

»Es könnte sich möglicherweise als wichtig erweisen, Sir«, entgegnete der Butler und lüftete ein wenig seine schwarze Melone. »Man wünscht noch einen angenehmen Abend, Mister Clenwick.«

*

»Natürlich habe ich diesen Monday sofort durchschaut, Mister Parker«, verkündete Lady Agatha mit stolzgeschwellter Brust, während der Butler sie über den Hof geleitete.

»Darf man die Vermutung äußern, daß Mylady Mister Sinclair Longdale zu meinen geruhen?« vergewisserte sich Parker.

»Nichts anderes habe ich doch gesagt, Mister Parker«, behauptete die resolute Dame in einem Ton, der keinen Widerspruch gewohnt war. »Mein Namensgedächtnis ist über jeden Zweifel erhaben.«

»Nicht mal in Morpheus’ Armen würde meine Wenigkeit es wagen, dies in Abrede zu stellen«, versicherte der Butler in seiner unerschütterlichen Höflichkeit. »Darf man möglicherweise um Aufklärung darüber bitten, wie Mylady Ihren Verdacht gegenüber Mister Longdale zu begründen geruhen?«

Die Detektivin zögerte mit der Antwort, bis man an der hell erleuchteten Pförtnerloge vorbei war. Der Wächter blickte zwar verdutzt, als er Agatha Simpson hocherhobenen Hauptes vorüberschweben sah, begleitet von ihrem Butler. Er verzichtete aber auf Fragen und ließ das seltsame Paar mit einem Kopfnicken passieren, Mylady bedachte den kahlköpfigen, ungeschlacht wirkenden Mann mißtrauisch über die Schulter, ehe sie fortfuhr: »Dieser Monday hat einen ausgesprochen hinterhältigen Blick, Mister Parker, Außerdem ist er unzufrieden und verträgt sich nicht mit seinem Chef.«

»In der Tat dürfte bei Mister Longdale ein gewisses Motiv zu vermuten sein«, stimmte der Butler vorsichtig zu. »Die Entscheidung für Mister Bowes’ Erfindung dürfte ihn tief enttäuscht haben, falls man diesen Eindruck wiedergeben darf.«

»Sie haben mich richtig verstanden, Mister Parker«, lobte die Detektivin. »Aber obwohl Monday ein Motiv hat, werde ich seine Festnahme noch etwas hinausschieben.«

»Gewichtige Gründe dürften Mylady zu dieser Entscheidung bewogen haben.«

»In der Tat, Mister Parker.«

»Möglicherweise gehen Mylady von der Annahme aus, Mister Longdale könne die gestohlenen Papiere inzwischen an einen Komplizen weitergegeben haben?«

»Genauso ist es, Mister Parker«, nickte die Detektivin eifrig, obwohl sie an diese Möglichkeit nicht im entferntesten gedacht hatte. »Ich werde deshalb sein kriminelles Umfeld sondieren, ehe ich zuschlage.«

»Die Gelegenheit dazu dürfte sich kurzfristig ergeben, Mylady«, meldete Parker, während er seiner Herrin beim Einsteigen behilflich war. Er hatte die junge Dame, die am anderen Ende des Parkplatzes in einen japanischen Mittelklassewagen stieg, trotz der schwachen Beleuchtung sofort erkannt.

Sie trug jetzt ein enges, schwarzes Kleid unter dem modischen Wettermantel und ließ ihre langen, blonden Haare über die Schultern wehen. Es handelte sich zweifelsfrei um die neugierige Raumpflegerin Miß Burley.

»Unsinn, Mister Parker«, wehrte Mylady ab, als ihr Butler vorschlug, der jungen Dame unauffällig zu folgen.

»Immerhin gehört Miß Burley zu den wenigen Personen, die ungehindert Zutritt zum Computerraum haben, falls dieser Hinweis erlaubt ist«, wandte Parker ein.

»Dennoch kommt sie mir nicht verdächtig vor, Mister Parker«, entschied Lady Simpson. »Eine Putzfrau! Woher sollte ein dienstbarer Geist wissen, wie man mit einem Computer umgeht? Wenn die Frau solche Fähigkeiten hätte, würde sie eine angenehme und gut bezahlte Arbeit ausüben, anstatt zu putzen.«

»Zweifellos haben Mylady erwogen, daß Miß Burley möglicherweise als Spionin in das Unternehmen eingeschleust worden ist«, spielte Parker seiner Herrin einen Ball zu, den sie prompt auffing.

»Darauf wollte ich sie gerade aufmerksam machen, Mister Parker«, schwindelte die ältere Dame unbekümmert. »Diese Miß Curley ist eine gefährliche Agentin. Das war mir natürlich sofort klar, als ich sie beim Lauschen an der Tür ertappte.«

Die Entscheidung war gefallen. Die roten Lichter des japanischen Wagens verschwanden gerade hinter einer Häuserecke, als Josuah Parker sein hochbeiniges Monstrum anrollen ließ und die Verfolgung aufnahm.

*

Für den Butler stand noch nicht fest, daß Miß Burley eine Spionin war, wenn auch ihre Ausrede nicht sehr überzeugend geklungen hatte. Darüber hinaus machte sie nicht den Eindruck, als wäre sie es gewohnt, ihren Lebensunterhalt durch Putzen zu verdienen. Und sie war erst einen Monat bei der »Hitec«.

Die Fahrt endete nach einer Viertelstunde in einer Wohnstraße in der Nähe des Victoria-Parks. Die junge Frau verließ ihren Wagen, überquerte eilig die Fahrbahn und klingelte an der Tür eines kleinen, gepflegten Reihenhauses.

Parker hatte sein Fahrzeug in sicherer Entfernung zum Stehen gebracht. Er sah, wie die Tür geöffnet wurde und die junge Frau eintrat. Wer sie eingelassen hatte, konnte er nicht erkennen.

»Falls Mylady keine Einwände erheben, würde man das Haus, das Miß Burley soeben betreten hat, etwas näher in Augenschein nehmen«, bot er an.

»Aber lassen Sie größte Vorsicht walten, Mister Parker«, warnte die Detektivin. »Diese Frau ist gefährlich.«

»Man wird sich bemühen, Myladys wohlgemeinte Ratschläge uneingeschränkt zu beherzigen«, versprach Parker und verließ den Wagen.

Das glatte Pokergesicht des Butlers zeigte nicht die Spur einer Regung, als er das Messingschild an der weiß lackierten Haustür las: Sinclair Longdale.

Sekunden später verschwand Parker in dem Durchgang, der zu dem kleinen Gärtchen an der Rückseite des Hauses führte. Da die Fenster zur Straße dunkel waren, hielten Longdale und seine Besucherin sich vermutlich in einem der rückwärtigen Zimmer auf.

Licht fiel nur aus einem großen Fenster im Obergeschoß, das auf einen Balkon hinausging. Kurz entschlossen hakte der Butler den Bambusgriff seines Universal-Regenschirmes ins schmiedeeiserne Geländer und hangelte sich nach oben.

Jetzt konnte er auch Stimmen hören. Die Glastür, die auf den Balkon führte, stand einen Spalt offen.

»Laß mich doch in Ruhe mit dem Kram, Jennifer«, murrte Longdale gerade. »Wenn ich Feierabend habe, will ich von dem verdammten Betrieb nichts mehr hören. Ich habe Champagner für uns eingekauft, Darling ...«

»Du kannst mir doch ruhig sagen, wo ihr diesen komischen Prototyp, oder wie das Ding heißt, aufbewahrt«, unterbrach Jennifer Burley. »Was ist denn schon dabei?«

»Natürlich ist nichts dabei«, entgegnete Longdale mürrisch. »Aber es nervt mich, wenn du mir ständig Löcher in den Bauch fragst. Was interessiert dich denn so daran?«

»Ich möchte nur möglichst genau wissen, was du den ganzen Tag machst«, war Jennifer Burley wieder zu hören. Die Gereiztheit, die eben noch in ihrer Stimme gelegen hatte, war verschwunden. »Das ist doch das gute Recht einer liebenden Frau, oder nicht?«

»Also gut. Damit du endlich Ruhe gibst: Das Ding liegt in dem großen Panzerschrank im Keller. Zufrieden?«

»Zufrieden«, bestätigte Jennifer Burley. Ein schmatzendes Geräusch und das Klingen von Gläsern folgte.

Parker wollte sich schon diskret zurückziehen, doch ein derart taktvolles Verhalten erwies sich als überflüssig.

»Um Himmels willen!« rief die junge Frau plötzlich. »Schon kurz nach neun.«

»Na und?« brummte Longdale unwillig.

»Fast hätte ich vergessen, daß ich meiner Freundin Betty versprochen habe, sie vom Flugplatz abzuholen«, behauptete Jennifer. »Ihre Maschine landet in zwanzig Minuten.«

»Aber wir wollten doch ...«, meldete der enttäuschte Longdale Protest an.

»Morgen, Schatz. Morgen«, vertröstete die Besucherin ihn.

Der Ingenieur verlegte sich aufs Bitten, aber die junge Frau beharrte auf ihrer Verabredung.

Gemessen ließ sich der Butler wieder auf den Boden gleiten und verließ Longdales Garten. Er hatte sein hochbeiniges Monstrum schon fast erreicht, als Jennifer Burley aus der Haustür trat und ihren gegenüber geparkten Wagen ansteuerte.

*

Natürlich dachte Jennifer Burley nicht daran, eine Freundin von einem der Londoner Flughäfen abzuholen.

Während Parker ihrem Wagen über die Grove Road folgte, informierte er Mylady über das Gespräch, das er unmittelbar zuvor belauscht hatte.

»Ich habe Ihnen ja von Anfang an gesagt, daß dieses Frauenzimmer eine raffinierte Agentin ist, Mister Parker«, triumphierte die Detektivin. »Aber für mich ist sie natürlich nicht raffiniert genug.«

Inzwischen war Jennifer Burley in die Roman Road eingebogen, und der Butler war nicht im mindesten überrascht, als sie ihren Wagen vor dem Postamt abstellte. Während er sein hochbeiniges Monstrum am Straßenrand ausrollen ließ, schritt die junge Frau zu einer Telefonzelle.

»Was ist denn los, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha überrascht. »Warum fahren Sie nicht weiter?«

»Miß Burley hat soeben ihren Wagen verlassen, um ein Telefongespräch zu führen, falls man sich nicht gründlich täuscht«, meldete der Butler nach hinten.

»Bestimmt will sie die Information weitergeben, die sie diesem Trottel Monday entlockt hat«, vermutete seine Herrin.

»Falls Mylady gestatten, würde auch meine Wenigkeit sich dieser Annahme anschließen«, pflichtete Parker ihr bei.

»Natürlich muß ich wissen, wen sie anruft«, fuhr die Detektivin fort.

»Darf man fragen, wie Mylady sich die gewünschte Information zu beschaffen gedenken?« ließ der Butler sich vernehmen. Da alle Sprechkabinen besetzt waren, hatte Jennifer Burley bisher warten müssen. Doch jetzt schien eine Zelle frei zu werden.

»Sie wissen doch, daß ich mich mit derartigen Details nicht belasten kann, Mister Parker«, gab die ältere Dame mürrisch zurück.

»Myladys Wünsche sind meiner bescheidenen Wenigkeit selbstverständlich Befehl«, versicherte Parker und verließ rasch den Wagen. Die Zelle, vor der Jennifer Burley gewartet hatte, war frei geworden.

Kaum hatte die junge Frau ihm den Rücken zugewandt und den Hörer abgenommen, stand der Butler auch schon vor der gläsernen Tür. Konzentriert folgte er Jennifers Zeigefinger beim Weg über die Wählscheibe.

Parker prägte sich die Ziffernfolge ein, während er eine Art Stethoskop aus der Tasche zog, wie Ärzte es zum Abhorchen ihrer Patienten verwenden. Sanft drückte er die Gümmimuschel mit dem hochempfindlichen Mikrofon gegen die Scheibe.

»Hallo Ed? Hier Jenny«, tönte es deutlich aus den Ohrhörern. »Ich konnte dich nicht früher anrufen, weil es den ganzen Tag im Betrieb von Polizisten und Detektiven nur so wimmelte. Ich mußte extra noch zu Longdale fahren, um ihm die Information aus der Nase zu ziehen.«

»Wo denkst du hin, Ed?« protestierte die junge Frau nach einer kurzen Pause in scherzhafter Entrüstung. »Bist du etwa eifersüchtig?«

Wieder entstand eine Pause, in der offenbar ihr „Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung redete.

»Er will mir zwar ständig an die Wäsche«, fuhr Jenny fort. »Aber da ist der Bursche bei mir an der falschen Adresse. Ich lasse ihn einfach zappeln. Da wird er noch am ehesten gesprächig.«

Unvermittelt brach die junge Frau in Kichern aus. »Sei nicht albern, Ed«, mahnte sie und wurde sofort wieder ernst. »Also zur Sache: Der Prototyp liegt in einem Panzerschrank im Keller unter der Halle, in der die Hochspannungs-Versuchsanlage steht.«

»Ja, du hast richtig gehört«, antwortete sie auf eine Rückfrage ihres Gesprächspartners. »In einem Panzerschrank. Ist das ein Problem?«

»Um so besser«, nickte sie nach kurzer Unterbrechung. »Dann sehen wir uns also morgen, Ed.«

Als Jennifer Burley den Hörer einhängte und aus der Telefonzelle trat, hatte Parker sein Stethoskop längst in die Tasche gleiten lassen. Er stand vor dem Schaufenster eines benachbarten Buchladens und drehte der jungen Frau den Rücken zu.

In der spiegelnden Scheibe konnte er verfolgen, wie die Agentin eines Unbekannten namens Ed, in ihren Wagen stieg und davonfuhr.

*

»Zusätzliche Erkenntnisse dürften auch durch eine weitere Beschattung der jungen Dame nicht zu gewinnen sein, Mylady«, meinte der Butler, nachdem er Agatha Simpson über Jennifer Burleys Telefonat ins Bild gesetzt hatte.

»Damit geben Sie exakt meine Einschätzung der Situation wieder, Mister Parker«, bestätigte die Lady. »Ich werde deshalb nach Hause zurückkehren, um dort noch einige wichtige Dinge zu erledigen.«

»Darf man um Aufklärung bitten, welche wichtigen Dinge Mylady zu meinen belieben?«

»Vor allem sind dringend noch ein paar Studien für meinen Roman fällig, Mister Parker«, gab die ältere Dame Auskunft. »Lange kann ich die Verleger, die sich um das Manuskript reißen, nicht mehr hinhalten.«

Daß Agatha Simpson seit Jahren an einem Roman arbeitete, der natürlich ein Krimi werden sollte, war dem Butler durchaus geläufig. Aber daß es schon Verleger gab, die dem Manuskript nachjagten, war ihm neu. Mylady sah ihren literarischen Erstling zwar schon an den Spitzen der internationalen Bestsellerlisten; über die ersten Seiten war sie aber trotz unzähliger Anläufe noch nicht hinausgekommen.

»Demnach planen Mylady, die Ermittlungen im Fall ›Hitec‹ bis morgen auszusetzen?« vergewisserte sich Parker.

»Warum nicht?« wunderte sich die Detektivin. »Mein taktisches Konzept sieht für den heutigen Abend keine Einsätze mehr vor, Mister Parker.«

»Mylady könnten den ehrenwerten Mister Pickett telefonisch um eine Gefälligkeit bitten, falls der Vorschlag genehm ist«, entgegnete der Butler. »Mit seiner Hilfe dürfte es am schnellsten möglich sein, die Identität des Unbekannten mit dem Vornamen Ed und der Telefonnummer 7 32 17 65 zu lüften.«

»Diesen Auftrag wollte ich Ihnen gerade erteilen, Mister Parker«, schwindelte Agatha Simpson. »Bei der Last meiner Verantwortung verlasse ich mich darauf, daß Sie mir Detailarbeiten abnehmen.«

»Selbstverständlich wird meine Wenigkeit unverzüglich das Notwendige veranlassen, Mylady«, versicherte Parker. »Darüber hinaus wäre aber auch an einen nächtlichen Ausflug zu denken, falls der Hinweis erlaubt ist.«

»Was für ein nächtlicher Ausflug, Mister Parker?«

»Zur Firma ›Hitec‹, Mylady.«

»Aber da war ich doch gerade, Mister Parker.«

»Sofern man Miß Burleys Äußerungen am Telefon richtig deutet, dürfte heute nacht mit dem Versuch zu rechnen sein, den Prototyp des Lasergerätes aus dem Panzerschrank der Firma ›Hitec‹ zu entwenden, Mylady«, gab der Butler zu bedenken.

»Unsinn, Mister Parker«, wischte die Detektivin den Einwand beiseite. »Mister Penstick hat mir ausdrücklich versichert, daß der Panzerschrank einbruchsicher ist. Außerdem sagt mir mein untrüglicher Instinkt, daß die Ganoven abwarten, bis sich die Lage wieder beruhigt hat. Heute nacht wird nichts passieren.«

Inzwischen hatte man die stille Wohnstraße erreicht, an der Myladys Domizil lag: ein zweistöckiges Fachwerkgebäude von repräsentativem Zuschnitt, das auf den Grundmauern einer alten Abtei errichtet war. Das Areal, das sich die reiche Dame im Stadtviertel Shepherd’s Market zusammengekauft hatte, bildete eine Oase der Ruhe mitten im hektischen Getriebe der Millionenstadt.

Agatha Simpson begab sich unverzüglich in ihre privaten Gemächer im Obergeschoß und ließ sich von ihrem Butler mit den nötigen Stärkungsmitteln in flüssiger Form versorgen. Als Parker wenig später von unten den Fernseher hörte, wurde ihm klar, was seine Herrin mit »Studien« gemeint hatte. Laut Programmzeitschrift mußte es ein Krimi sein, der gerade über die Mattscheibe flimmerte.

Horace Pickett, den der Butler telefonisch in den Stand der Ermittlungen einweihte, war ein Mann von etwa sechzig Jahren. Seine gepflegte Erscheinung erinnerte an einen pensionierten Offizier. In Wahrheit hatte Pickett einst als »König der Londoner Taschendiebe« seine flinken Finger nach den prallen Brieftaschen wohlbetuchter Mitbürger ausgestreckt.

Seit Parker ihm in unverschuldeter Notlage das Leben gerettet hatte, stand Pickett auf der richtigen Seite des Gesetzes. Er verfügte aber nach wie vor über intime Kenntnisse der Londoner Unterwelt, die sich schon oft als hilfreich erwiesen hatten.

»Gleich morgen früh werde ich einen guten Freund anrufen, der bei der Post arbeitet, Mister Parker«, versprach Pickett. »Er kann mit Sicherheit herausfinden, wem die Nummer 7 32 17 65 gehört. Das ist besser, als wenn Sie bei diesem Mister Ed anrufen. Er würde sich ohnehin nicht mit Namen und Anschrift melden.«

Der exzellente Butler Parker 1 – Kriminalroman

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