Читать книгу Der exzellente Butler Parker 21 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3
Оглавление»Das war mal wieder ein typischer Verwandtenbesuch, Mister Parker«, klagte Lady Agatha aus dem Fond von Parkers Privatwagen. »Ich habe mich tödlich gelangweilt.«
»Sehr bedauerlich, Mylady«, stimmte der Butler höflich zu, »zumal man Mylady unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aufs flache Land gebeten hat.«
»Richtig, Mister Parker, Sie treffen den Nagel auf den Kopf. Aber das passiert mir kein zweites Mal, das garantiere ich!«
Parker verzichtete darauf, seiner Herrin zu antworten. Außerdem erforderte die schmale Straße seine volle Aufmerksamkeit. Man bewegte sich durch eine landschaftlich reizvolle Gegend für erholungsuchende Großstädter. Entsprechend war der am Sonntagnachmittag zurückflutende Verkehr. »Was soll das, Mister Parker, wollen Sie mich etwa umbringen?!« Lady Agatha schrak jäh aus ihren Gedanken auf, als der Butler plötzlich scharf bremste und sein hochbeiniges Monstrum zum Stehen brachte. Durch dieses Manöver wurde sie nach vorn geschleudert. Die eigenwillige Hutschöpfung machte sich selbständig und rutschte der Trägerin tief ins Gesicht, so daß die ältere Dame einen Augenblick nichts mehr sehen konnte ...
»Pardon, Mylady«, entschuldigte sich Parker, »aber aus bislang noch nicht ersichtlichen Gründen kommt es zu einem gewissen Stau, der diesen abrupten Halt notwendig machte.«
»Heute läuft aber auch alles schief!« Lady Agatha schüttelte resigniert den Kopf und begriff ihr Pech nicht. »Erst lockt mich die langweilige Sarah hierher und stiehlt meine kostbare Zeit, und jetzt gerate ich in eine Verkehrsmisere und muß womöglich stundenlang herumstehen.«
»Man wird sich umgehend über die Ursache informieren und Mylady Bericht erstatten«, versprach Parker und drückte die Tür auf. »Bis dahin könnten Mylady vielleicht den möglicherweise angegriffenen Kreislauf stärken.«
Der Butler öffnete den hinteren Wagenschlag und reichte seiner Herrin den silbernen Verschluß seiner Taschenflasche, den sie seufzend entgegennahm. »Ich fühle mich tatsächlich etwas schwach, Mister Parker«, gestand sie, während sie die Verschlußkappe leerte. »Ich fürchte, ich werde mich gleich einer Ohnmacht hingeben müssen.«
Parker verstand und wirkte dem drohenden Ohnmachtsanfall durch einen zweiten Becher Medizin entgegen. »Mylady überstehen jetzt möglicherweise die wenigen Minuten bis zur Rückkehr meiner bescheidenen Wenigkeit?« erkundigte er sich, während er höflich die Melone lüftete.
»Ich bin nicht sicher, Mister Parker, lassen Sie mir vorsichtshalber die Arznei da«, bat sie und strich sich theatralisch über die Stirn. »Ich werde versuchen, solange durchzuhalten.«
»Man wird sich beeilen«, versprach Parker, während er der älteren Dame die lederumhüllte Flasche mit der Medizin reichte. »Möglicherweise ist der Stau nur kurzfristiger Natur, so daß Mylady in wenigen Minuten die Fahrt fortsetzen können.«
Agatha Simpson lehnte mit leidender Miene in der Wagenecke und hob eine Hand zum schwachen Gruß. »Hoffentlich treffen Sie mich bei Ihrer Rückkehr noch lebend an, Mister Parker«, hauchte sie, während sie den Becher an die Lippen führte. »Ich glaube, meine Tage sind gezählt.«
*
Nachdenklich kehrte der Butler zu seinem Wagen zurück. Er hatte an der Einmündung zum Motorway eine Ampel entdeckt, die einen mehr als nur provisorischen Eindruck machte. Diese Signalanlage war auf der Ladefläche eines Kleintransporters installiert und wurde von dessen Fahrer offensichtlich mehr oder weniger willkürlich geschaltet.
Vor der Ampel hatte sich eine Autoschlange gebildet, an der zwei seltsam gekleidete Gestalten entlanggingen und sich hin und wieder zu einem der Wagen herunterbeugten, um durch entsprechende Handzeichen den Fahrer zum Öffnen der Seitenscheiben zu bewegen. Bemerkenswert war, daß es sich ausschließlich um Fahrzeuge sogenannter Nobelmarken handelte.
»Geht es endlich weiter, Mister Parker?« erkundigte sich die Lady seufzend. »Ich habe nicht die Absicht, hier den Rest meines Lebens zu verbringen.«
»Der erzwungene Halt hat möglicherweise eine irreguläre Ursache«, berichtete Parker, während er sich ans Steuer setzte. »Es hat den Anschein, Mylady, als hätte man eine Ampel installiert, um die Insassen sogenannter Luxuskarossen ansprechen zu können.«
»Und welchem Zweck könnte das dienen, Mister Parker?« Die passionierte Detektivin genas von einer Sekunde zur anderen und richtete sich ruckartig auf. »Ich spüre es deutlich, ein neuer Fall lockt!«
»Ein Eindruck, dem sich meine bescheidene Wenigkeit auf keinen Fall verschließen möchte«, stimmte der Butler höflich zu. »Myladys Gespür für das Verbrechen ist allgemein bekannt, wenn man sich diesen Hinweis erlauben darf.«
»Sie dürfen, Mister Parker, Sie dürfen!« Agatha Simpson nickte ihrem Butler via Rückspiegel huldvoll zu, um dann ungeduldig nach vorn zu schauen. »Wann bekomme ich denn endlich etwas zu sehen, Mister Parker?« klagte sie, während sie nach ihrem Pompadour tastete. »Ich hoffe doch sehr, daß mein Eingreifen erforderlich wird.«
In diesem Augenblick traten die beiden seltsam gekleideten Gestalten neben den Wagen vor Parkers hochbeinigem Monstrum. Es handelte sich um einen Rolls-Royce, dem Kennzeichen nach in London zugelassen. Die Gestalt neben der Fahrerseite gestikulierte wild mit den Händen und bedeutete dem Mann am Lenkrad, die Seitenscheibe zu senken.
»Meine Güte, wie sehen die denn aus?« Lady Agatha beugte sich etwas weiter vor, um bessere Sicht zu haben, und starrte verblüfft auf die beiden Männer neben der Luxuskarosse. Sie schienen aus einer längst vergangenen Zeit zu stammen.
Auf der Fahrerseite erkannte man einen mehr oder weniger jungen Mann, der ganz in Grün gekleidet war. Er trug ein kurzes Wams mit pelzverbrämten Ärmellöchern, kurze, sogenannte Pumphosen und dazu lange Strümpfe. Seine Stiefel lagen eng an und reichten ihm bis über die Knie. Auf dem Kopf saß eine Art Jägerkappe mit neckisch wippender Feder. In den Händen hielt der Mann eine bedrohlich wirkende Armbrust, die wie zufällig auf den Fahrer des Rolls-Royce zielte.
Der Begleiter war ein herkulisch gebauter Mann mit spiegelnder Glatze. Er hatte eine lange, bis auf den Boden reichende braune Kutte an, die sehr grob wirkte und in der Mitte von einem dicken Strick zusammengehalten wurde. Dieser Mönch, um den es sich offensichtlich handelte, hatte seine Hände in die weiten Ärmel der Kutte geschoben und blickte lächelnd in den Wagen neben sich.
»Was soll das bedeuten, Mister Parker? Sagen Sie, was mir zu diesen beiden seltsamen Leuten einfällt...«, verlangte die ältere Dame und starrte weiter fasziniert nach vorn durch die Windschutzscheibe.
Der Rolls-Fahrer war inzwischen der Aufforderung des »Grünen« nachgekommen und hatte seine Seitenscheibe herabgleiten lassen. Parker registrierte aufmerksam, daß sich sofort die Armbrust durch das offene Fenster schob und der eingelegte Pfeil fast den Fahrer berührte.
»Man scheint es mit einem gewissen Mister Robin Hood zu tun zu haben«, vermutete Parker, an seine Herrin gewandt. »Bei dem zweiten Herrn dürfte es sich um einen gleichfalls nicht ganz unbekannten ›Bruder‹ handeln, der sich Mister Hood angeschlossen hat, um gegen die ungerechte Obrigkeit zu kämpfen.«
»Mir ist, als hätte ich diesen Namen schon mal gehört«, überlegte Agatha Simpson. »Aber ist das alles nicht schon lange her?«
»In der Tat, Mylady. Aber wie man sieht, wiederholt sich offenbar vieles im Lauf der Zeit.«
Der Fahrer des Rolls-Royce reichte in diesem Augenblick etwas zum Seitenfenster hinaus, das der Mann in Grün entgegennahm. Einen Moment später wandten sich der »Grüne« und sein Begleiter von dem Wagen vor Parkers hochbeinigem Monstrum ab und gingen achtlos weiter. Im Rückspiegel sah Parker, wie sie ein ganzes Stück weiter hinten stehenblieben und sich zu einem silbergrauen Jaguar niederbeugten.
»Die beiden Lümmel haben mich keines Blickes gewürdigt, Mister Parker. Was sage ich dazu?«
»Der Privatwagen meiner bescheidenen Wenigkeit dürfte nicht den Anforderungen der beiden Herren entsprochen haben«, vermutete der Butler. »Wie die Sage zu berichten weiß, raubte Mister Hood ausschließlich die Begüterten aus, um deren Geld unter die Armen zu verteilen.«
»Und Sie meinen, so was passiert jetzt auch wieder?« erkundigte sich Agatha Simpson animiert. »Ich finde, das ist eine recht hübsche Idee, Mister Parker.«
»Wenngleich nicht ganz mit geltendem Recht in Einklang zu bringen, Mylady«, bemerkte Parker gemessen, »zudem könnten auch weniger edle Motive hinter einer solchen Handlungsweise stehen, wie Mylady bereits vermuten.«
»Nun ja, Mister Parker, das ist allerdings richtig.« Die Lady nickte nachdenklich und war felsenfest der Überzeugung, daß Parker genau das in Worte gekleidet hatte, was sie insgeheim vermutete. »Es geschieht immer wieder, Mister Parker, daß man scheinbar edle Motive vorgibt, um verbrecherische Ziele zu tarnen. Trauen Sie nie dem äußeren Schein, er trügt nur allzu oft, beherzigen Sie das für Ihre Zukunft, wenn Sie nicht früher oder später einen Reinfall erleben wollen.«
»Man wird Myladys Ratschlag zu schätzen wissen«, versprach Parker und stieß seine Wagentür auf. »Es hat den Anschein, als käme es hinter Mylady zu einer kleinen Meinungsverschiedenheit.«
»Ach, tatsächlich?« Agatha Simpson öffnete ihrerseits die Tür und stieg überraschend schnell aus. Der mit einem soliden Hufeisen gefüllte Handbeutel baumelte an ihrem Arm und wartete nur darauf, eingesetzt zu werden.
*
»Das ist Wegelagerei!« brüllte der Jaguarfahrer so laut, daß es die Lady und Parker, die gut und gern fünf oder sechs Wagenlängen entfernt waren, mühelos verstanden. »Ich denke nicht daran, auch nur einen Penny zu zahlen!«
Im nächsten Augenblick drückte der Mann die Tür seines Wagens heftig auf, offenbar in der Absicht, den Grüngekleideten zu treffen. Der aber erwies sich als wachsam, sprang reaktionsschnell zur Seite und entging dem Anschlag. Der Jaguarfahrer fiel dabei halb aus seinem Wagen und wurde von einem mächtigen Schlag ins Genick getroffen, den ihm Pseudo-Robin Hood mit dem Kolben seiner Armbrust versetzte.
Auch der Beifahrer versuchte sein Glück und handelte. Er hatte die Seitenscheibe gesenkt und beugte sich aus dem offenen Fenster, um nach dem daneben stehenden »Mönch« zu greifen. Trotz seines Bauches erwies sich dieser jedoch als nicht weniger reaktionsschnell.
Der »fromme Bruder« trat etwas zurück und gelangte aus der Reichweite der zupackenden Hände. Im nächsten Augenblick stand er wieder direkt neben dem offenen Fenster und griff seinerseits zu. Er zerrte den überraschten Beifahrer mit einer Hand aus dem Wagen, ballte die andere Hand zur Faust und ließ sie auf den Hinterkopf des überrumpelten Mannes sausen.
Der Fahrer des Jaguars wollte noch immer nicht aufgeben, sprang auf die Füße und drang ungestüm auf »Robin Hood« ein, der zurückwich und seine Armbrust in Anschlag brachte.
Bevor er jedoch abdrücken konnte, griff Lady Agatha ein. Sie blieb stehen, zielte kurz und schickte dann ihren perlenbestickten Pompadour auf die Reise. Der Handbeutel sauste schwungvoll durch die Luft, beschrieb eine leichte Parabel und senkte sich dann auf den Hut des Grüngekleideten.
Die an sich schon zerbeult wirkende Kopfbedeckung wurde noch mehr außer Form gebracht, die bis dahin lustig vor sich hinwippende Feder geknickt, und der Träger des Jägerhütchens fühlte jähen Kopfschmerz, der ihn zwang, seine kriegerischen Pläne aufzugeben. Er ließ die Armbrust sinken, griff sich an den Kopf und gab sich, zu Boden gesunken, seinem Leid hin.
Auch der »Mönch« machte eine schmerzliche Erfahrung. Zunächst hatte er die Absicht, weiter auf den Beifahrer einzudreschen, um dessen Widerspruchsgeist zu brechen. Bevor er aber zur Tat schreiten konnte, wurde er von einem harten Gegenstand getroffen, der gegen seinen Schädel prallte.
Dieser Gegenstand hatte sich ebenso lautlos wie plötzlich genähert und ihn völlig überraschend aus dem Konzept gebracht. Der Mann in der Kutte schüttelte benommen den Kopf und mußte sich erst mal an der Karosserie des Jaguars stützen, um nicht umzufallen.
»Nicht schlecht, Mister Parker, aber wohl doch etwas zu schwach«, kommentierte Lady Agatha, die Parkers Schuß mit der Gabelschleuder kritisch verfolgt hatte. »Sie sind wieder mal viel zu rücksichtsvoll, aber das bin ich ja gewohnt.«
»Man wird sich um Besserung bemühen«, versprach Parker und legte eine neue, hart gebrannte Tonmurmel in seine Schleuder, die im Grund nichts weiter als die Weiterentwicklung jener sogenannten Zwille war, wie sie Lausbuben seit altersher benutzten, um damit diverse Schäden anzurichten.
Während er die Schleuder erneut aktivierte, um sein Ziel aufzunehmen, stieß der Jaguar-Beifahrer seine Tür auf und stürzte sich auf den »Mönch«, um ihn in ein Handgemenge zu verwickeln. Parker sah sich gezwungen, seine Schleuder zu senken und vorläufig auf einen Schuß zu verzichten, um den Mann aus dem Jaguar nicht zu gefährden.
»Robin Hood«, hatte sich mittlerweile von Myladys Niederschlag via Handbeutel erholt und setzte sich ab. Er verschwand hinter einer Buschreihe, die die Straße säumte, und entschwand damit den Blicken. Einen Moment später schüttelte der »Mönch« seinen Widersacher ab und folgte ihm.
*
»Nicht zu fassen«, staunte Kathy Porter, die Sekretärin und Gesellschafterin der Lady, und schüttelte den Kopf, als Agatha Simpson ihre farbige Erzählung beendete.
»Und die beiden Banditen sind Ihnen entkommen?« erkundigte sich Mike Rander mit mildem Spott in der Stimme. Rander war Anwalt und Vermögensverwalter der resoluten Dame und sah einem bekannten James-Bond-Darsteller verblüffend ähnlich. Er lehnte lässig am Kamin in der großen Wohnhalle des altehrwürdigen Fachwerkhauses in Shepherd’s Market und blickte die Lady belustigt an.
»Nun ja, mein Junge, Sie kennen doch Mister Parker!« Lady Agatha maß ihren Butler mit strengem Blick und schüttelte entsagungsvoll den Kopf. »Ich allein hätte die beiden Strolche nie und nimmer entkommen lassen, aber dank Mister Parkers bekannter Großzügigkeit konnten sie sich absetzen. Also wirklich, Mister Parker, Sie lernen es nie, obwohl ich sicher eine perfekte Lehrmeisterin bin!«
»Meine bescheidene Wenigkeit bedauert außerordentlich, daß Myladys Bemühungen auf so unfruchtbaren Boden fallen«, entschuldigte sich Parker. »Man wird sich inständig um Besserung bemühen.«
Die Hausherrin zeigte sich nachsichtig und seufzte erneut.
»Das ist ja ’ne völlig neue Masche, sowas war noch nie da«, bemerkte Mike Rander. »Vielleicht meinen es die Leute wirklich ernst und geben wie ihr Vorbild ihre Beute an Bedürftige weiter.«
»Aber mein lieber Junge, wie kann man nur so naiv sein, was hier gespielt wird, sieht doch ein Blinder.« Agatha Simpson sah den Anwalt milde lächelnd an und wußte wieder mal ganz genau, woran sie war.
»Sie gehen also davon aus, daß das nur eine raffinierte Masche ist, um kriminelle Machenschaften zu tarnen, Mylady?« erkundigte sich Kathy Porter lächelnd und zwinkerte Mike Rander unauffällig zu.
»Aber sicher, Kindchen, das ist doch gar keine Frage.« Lady Agatha nickte energisch und wischte eventuelle Zweifel beiseite. »Für solche Dinge habe ich ein untrügliches Gespür, mein Kind, und deshalb bin ich auch so erfolgreich. Habe ich nicht recht, Mister Parker?«
»Myladys Spürsinn für verbrecherische Umtriebe ist anerkannt«, behauptete Parker ungeniert. »Aus diesem Grund werden Mylady auch von den führenden Polizeiorganisationen beneidet und verehrt und von Kriminellen jeglicher Couleur gefürchtet.«
»Wirklich, Mister Parker, das haben Sie schön gesagt. Ich hätte es nicht besser ausdrücken können.« Die ältere Dame nickte ihrem Butler wohlwollend zu und warf sich förmlich in die nicht gerade unterentwickelte Brust. »Manchmal können Sie sich erstaunlich treffsicher ausdrücken.«
»Vielen Dank, Mylady!« Parker war die Würde in Person. »Meine bescheidene Wenigkeit freut sich, Myladys Anerkennung zu finden, wenn Mylady diese Bemerkung gestatten.«
Parker verbeugte sich erneut, während sich Kathy Porter und Mike Rander vorsichtshalber abwandten, um nicht die Beherrschung zu verlieren und laut zu lachen.
*
»Eigentlich komme ich mehr oder weniger zufällig vorbei«, behauptete Chief-Superintendent McWarden, als er am nächsten Morgen von Parker in die Halle geführt wurde.
McWarden, ein untersetzter, etwa fünfundfünfzigjähriger Mann mit leichtem Bauchansatz und Basedowaugen, die ihm einen stets etwas gereizten Gesichtsausdruck verliehen, leitete im Yard ein Sonderdezernat gegen das organisierte Verbrechen und war direkt dem Innenministerium unterstellt. Er galt als guter Freund des Hauses und schätzte ganz besonders den Rat des Butlers. Dafür nahm er gern in Kauf, von der Hausherrin bei seinen häufigen Besuchen lustvoll gestichelt zu werden.
»Leider habe ich mein Frühstück vor wenigen Minuten beendet«, freute sich Lady Agatha, »weshalb ich Ihnen zu meinem Bedauern nichts mehr anbieten kann.«
»Deshalb komme ich auch nicht vorbei«, winkte McWarden ab und nahm mit sorgenvoller Miene Platz.
»Man könnte durchaus ein Sandwich servieren«, schlug Parker vor, der dem Gast bereits eine Tasse mit Tee vorsetzte. »Auch mit etwas Gebäck wäre noch zu dienen.«
»Sie haben doch gehört, daß Mister McWarden ausnahmsweise mal nicht deswegen gekommen ist, Mister Parker«, grollte die Hausherrin und musterte den Butler vorwurfsvoll. »Zwingen Sie ihm nichts gegen seinen Willen auf!«
»Nun ja, gegen ein Schinkensandwich wäre eigentlich nichts einzuwenden«, überlegte McWarden, der die ausgeprägte Sparsamkeit der Lady kannte. »Und ein kleiner Sherry könnte mich tatsächlich wieder aufmöbeln, denke ich.«
»Was habe ich nur getan, daß ich immer den halben Yard durchfüttern muß?« beklagte sich die Hausherrin und stöhnte. »Reicht Ihr Gehalt nicht mal mehr fürs Frühstück, oder werden Sie neuerdings leistungsabhängig bezahlt? In dem Fall müssen Sie allerdings schnorren, weil Sie dann gar kein Einkommen haben, mein Lieber.«
»Ihre Gastfreundschaft ist eben weithin berühmt«, erwiderte McWarden schamlos, »und so komme ich immer wieder gern darauf zurück.«
»Erinnern Sie mich daran, Mister Parker, daß ich den Innenminister das nächste Mal, wenn ich ihn treffe, um einen Essensgeldzuschuß für Mister McWarden bitte, der dann der Einfachheit halber gleich auf mein Konto überwiesen wird.«
»Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker war durch nichts zu erschüttern und servierte dem Gast ein Kristallglas mit herrlichem alten Sherry, den McWarden genüßlich schlürfte.
»Allein Ihr Sherry ist es wert, Ihnen täglich einen Besuch abzustatten, Mylady«, verkündete er und hielt Parker sein leeres Glas entgegen. »Alles, was recht ist, auf Essen und Trinken verstehen Sie sich.«
»Dieser Mensch schlägt sich auf meine Kosten durchs Leben, während ich mich kasteie und Diät halte«, seufzte die Dame des Hauses. »Womit habe ich das nur verdient?«
»Sie haben einen Grund für Ihren Besuch, Sir?« erkundigte sich Parker, der inzwischen wieder steif, als habe er einen Ladestock verschluckt, hinter dem Sessel seiner Herrin stand – das Urbild eines hochherrschaftlichen Butlers.
»Ich wollte Ihnen in der Tat eine kleine Geschichte erzählen und hören, ob Sie eventuell etwas Hilfestellung leisten könnten, Mister Parker«, gestand McWarden, um sich sofort zu verbessern. »Ich meine natürlich Sie, Mylady, was die Hilfe betrifft, das dürfte ja wohl klar sein.«
»Allerdings, mein Lieber. Wer sonst wenn nicht ich – könnte dem Yard schon unter die Arme greifen? Schildern Sie mir Ihre Sorgen, und es wird Ihnen geholfen werden«, verkündete sie großzügig und nickte gnädig.
»Ich wußte, ich kann auf Sie zählen, Mylady«, bedankte sich der Chief-Superintendent ein wenig säuerlich und räusperte sich. »Was wissen Sie über Robin Hood, wenn ich fragen darf?«
»Mister Parker, bieten Sie unserem lieben Gast doch noch einen Sherry an, sein Glas ist schon wieder leer«, flötete die Hausherrin und richtete sich animiert auf. »Sagten Sie gerade Robin Hood, mein lieber McWarden?«
»Sagte ich, Mylady.« McWarden nahm dankend ein neues Glas von Parker entgegen und blickte die Lady gespannt an.
»Nun ja, was sagt mir dieser Name?« Lady Agatha überlegte und sah ihren Butler nachdenklich an. »Irgendwo habe ich ihn schon mal gehört, aber in welchem Zusammenhang? Ist das nicht eine berühmt-berüchtigte Gestalt aus der englischen Sagenwelt?«
»In der Tat, Mylady«, stimmte Parker seiner Herrin zu und verneigte sich andeutungsweise. »Mister Hood focht vor gut fünfhundert Jahren einen zähen Kampf gegen die ungerechte Obrigkeit und residierte seinerzeit in den Wäldern des Nottingham Forest.«
»Das ist allerdings schon eine Weile her, dann kann ich den Mann wohl nicht kennen, Mister Parker«, schüttelte die passionierte Detektivin den Kopf. »Einen Moment hatte ich geglaubt, den Namen erst kürzlich gehört zu haben.«
»Mister Hood ist der Held zahlreicher Fernseh- und Kinofilme, Mylady«, gab Parker zu bedenken. »Möglicherweise ist Mylady der Name in diesem Zusammenhang untergekommen.«
»Was bei Myladys Videokonsum kein Wunder wäre«, ergänzte McWarden gereizt. »Nun aber mal im Ernst: Ist Ihnen dieser Robin Hood in letzter Zeit begegnet oder nicht?!«
»Ihre Frage hat einen bestimmten Grund, Sir?« erkundigte sich der Butler gemessen.
»Sollen Sie den Mann etwa jetzt nach so langer Zeit dingfest machen?« spottete die Lady und gestattete sich ein amüsiertes Lachen.
»Außerordentlich witzig, Mylady«, kommentierte der Chief-Superintendent säuerlich. »Aber mir ist beileibe nicht zum Spaßen zumute.«
»Sie haben also konkreten Ärger mit einem Herrn dieses Namens?« hakte Parker nach.
»Allerdings, und zwar gewaltigen.« Der Yard-Beamte stöhnte und beugte sich weiter vor, um Mylady und den Butler schärfer ins Auge zu fassen. »Dieser Robin Hood hat vor kurzem zwei Mitglieder des Adels überfallen und ausgeraubt.«
»Das ist ja wirklich allerhand!« entrüstete sich die Detektivin und rieb sich die Hände. »Hat es sich wenigstens gelohnt?«
»Darauf kommt’s doch wohl wirklich nicht an, oder?« knurrte McWarden gereizt. »Außerdem hat der Kerl einen Minister und zwei Staatssekretäre erleichtert und einen hohen Offizier auf seinem Landgut überfallen.«
»Der Mann wird mir immer sympathischer«, stellte die Lady fest und gab sich keine Mühe, ihre Schadenfreude zu verbergen. »Und Sie sollen diesen hoffnungsvollen Zeitgenossen finden und verhaften, wie?«
»Allerdings, und man hat mir dazu eine Frist gesetzt«, gab McWarden zu und war sichtlich empört. »Bis zum Monatsende soll ich diesem Spuk ein Ende machen, hat man mir mitteilen lassen, ansonsten könnte ich damit rechnen, vorzeitig in den Genuß meiner Pension zu kommen.«
»Nun, bis dahin sind es immerhin noch gute zwei Wochen, mein Lieber«, tröstete ihn die ältere Dame und tätschelte ihm mitfühlend die Schulter. »Um diesen Waldschrat zu fangen, reichen mir ein paar Tage. Sie haben mich um Hilfe gebeten, mein Guter, und Ihr Vertrauen soll nicht enttäuscht werden. Mister Parker wird sich sofort um die Details kümmern, Sie wissen, ich bin für die große Linie zuständig, nicht wahr, Mister Parker?« schloß sie und sah ihren Butler herausfordernd an.
»In der Tat, Mylady, Mister McWardens Sorgen dürften bereits so gut wie vorüber sein«, wußte Parker, ohne eine Miene zu verziehen. »Hat sich Mylady erst mal eines Falles angenommen, wird damit bereits dessen Lösung eingeleitet.«
»Sehr treffend formuliert, Mister Parker!« Agatha Simpson sah den Butler ausgesprochen wohlwollend an und nickte bekräftigend. »Sie sehen also, mein lieber McWarden, Sie können beruhigt nach Hause gehen und in aller Ruhe auf den Abschluß des Falles warten. Rufen Sie mich übermorgen mal an, ich denke, bis dahin werde ich die Lösung haben.«
»Hatten Sie bereits Kontakt mit diesem Kerl?« erkundigte sich der Chief-Superintendent und sah die Gastgeberin hoffnungsvoll an.
»Hatte ich, Mister Parker?« gab sie die Frage an Parker weiter und lehnte sich erwartungsvoll zurück.
»Nur sehr oberflächlich, Mylady«, lautete Parkers höfliche Antwort. »Mister Hood und ein gewisser Brother Tuck zogen es vor, den Kontakt nicht näher zu vertiefen und ihr Heil in der Flucht zu suchen.«
»Sein Bruder war auch dabei?« staunte die Lady. »Den muß ich glatt übersehen haben, Mister Parker.«
»Es handelte sich dabei um jenen Mönch, der Mister Hood immer begleitete«, erläuterte Parker geduldig, ohne daß sich ein Muskel in seinem glatten, ausdruckslosen Gesicht rührte.
»Da kann man wieder mal sehen, wie unterschiedlich die Charaktere innerhalb einer Familie ausfallen können«, mißverstand die Detektivin gründlich. »Der eine Bruder ein Buschräuber, der andere ein Mönch, wer hätte das gedacht!«
*
»Nun, was kann ich für dich tun, mein lieber James?« erkundigte sich Lady Agatha am Abend etwas zerstreut bei ihrem Tischnachbarn, während sie hingebungsvoll die schwere, in dunkles Leder gebundene Speisekarte studierte und sich dabei immer wieder in Vorfreude mit der Zunge über die Lippen fuhr.
Sir James Ballard, ein guter Bekannter und Geschäftsfreund ihres verstorbenen Gatten, hatte sie am Nachmittag angerufen und förmlich um ein Treffen angefleht. Da er als Treffpunkt eines der besten Londoner Restaurants vorgeschlagen und ausdrücklich betont hatte, daß er alle Kosten übernehme, war Agatha Simpson die Zusage nicht schwergefallen.
»Ich habe da ein kleines Problem, meine liebe Agatha, und da ich hörte, daß du dich recht erfolgreich mit der Aufklärung von Kriminalfällen befaßt ...«
»Ich kann mich einfach nicht entscheiden«, unterbrach die Detektivin Sir James. »Wie soll ein Mensch nur unter all diesen Köstlichkeiten wählen können?«
»Bitte, Agatha, würdest du mir vielleicht einen Augenblick zuhören?« beschwerte sich ihr Gastgeber und sah sie gereizt an. »Schließlich habe ich dich eingeladen, weil...«
»Das war sehr nett von dir, mein Lieber«, bedankte sich die ältere Dame und nickte ihm freundlich zu. »Ich werde mich erkenntlich zeigen und es mir ordentlich schmecken lassen, damit du siehst, daß ich deine Einladung zu würdigen weiß.«
»Das kannst du meinetwegen tun, Agatha, aber nun hör mit bitte endlich zu, ja?« Ballard war am Ende seiner Geduld und zeigte deutlich Nerven.
»Nun reiß dich mal zusammen, James, so schlimm kann es doch wirklich nicht sein!« räsonierte die Detektivin, während ihre Blicke wohlgefällig die Speisekarte auf und ab schweiften.
»Man bedrohte mich, Agatha, man will meinen Besitz niederbrennen, wenn ich nicht fünfzigtausend Pfund zahle!« klagte Ballard und starrte finster vor sich hin.
»Papperlapapp, du hast es ja, mein lieber James ... Was sind schon fünfzigtausend für dich?!« tröstete die Lady ihn und entschied sich für ein kleines Potpourri, da sie sich nicht für ein Menü allein entscheiden konnte.
»Ich muß doch sehr bitten, Agatha!« Sir James war ungehalten und blickte seine Tischnachbarin entrüstet an.
»Also gut, wer will dich zur Kasse bitten?« seufzte Lady Agatha und riß sich von der Speisekarte los. »Du läßt mir ja doch keine Ruhe, bis du mir alles erzählt hast, fürchte ich.«
»Dieser Robin Hood und seine Banditen!« stöhnte Sir James. »Vor einigen Tagen erschienen sie auf meinem Landsitz und stellten mich vor die Wahl, entweder bis zum Wochenende zu zahlen oder mein Anwesen in Flammen aufgehen zu sehen.«
»Robin Hood? Wie interessant!« fand die Lady, während sie Parker, der sehr zu seinem Kummer neben ihr saß, ihre Wünsche mitteilte. »Der Bursche scheint ja recht umtriebig zu sein.«
»Du kennst den Kerl?« erkundigte sich Sir James hoffnungsvoll. »Hat er dich etwa auch bedroht?«
»Das möchte ich ihm nun wirklich nicht raten«, grollte die Detektivin und lachte aus vollem Hals. »Bei mir käme er an die Falsche, das garantiere ich dir! Aber das weiß er sicher auch, und deshalb traut er sich gar nicht erst an mich heran.«
»Na, ich weiß nicht.« James Ballard zeigte sich skeptisch. »Allein aus meinem näheren Bekanntenkreis werden vier oder fünf Leute von diesem Strolch bedroht, soweit ich gehört habe.«
»Nannte Mister Hood eine Begründung für seine Forderung?« erkundigte sich Parker gemessen.
»Er erzählte etwas von der Ausbeuterklasse, der wir angehören und die jetzt selbst an der Reihe wäre, ausgenommen zu werden. Na, Sie kennen ja diese pseudoklassenkämpferische Ausdrucks weise.«
»Haben Sie die Absicht, zu zahlen, Sir?« fuhr Parker mit seiner Befragung fort, während er sich erhob und dem Kellner entgegensah, der gerade einen Servierwagen mit Myladys Bestellung heranrollte. Selbstverständlich ließ es der Butler nicht zu, daß jemand anderes als er selbst seiner Herrin vorlegte, das hätte sein Berufsethos nie und nimmer zugelassen. Er nickte seinem »Kollegen« freundlich, aber distanziert zu und servierte Lady Agatha stil- und formgerecht.
»Natürlich nicht, deshalb habe ich mich ja an Lady Simpson gewandt«, beantwortete Sir James die Frage und widmete sich nun gleichfalls seinem gerade von Parker vorgelegten Essen. »Ich hoffe wirklich, meine Liebe, daß dein diesbezüglicher Ruf halbwegs der Wahrheit entspricht.«
»Worauf du dich verlassen kannst, James.« Agatha Simpson winkte energisch mit ihrer Gabel und befaßte sich dann mit einem delikaten Kalbsmedaillon, das sie förmlich anflehte, endlich verspeist zu werden.
»Wir wünschen den Herrschaften guten Appetit!« dröhnte in diesem Augenblick eine Stimme vom Eingang her, der ein rauhes Lachen folgte. Die Köpfe der Restaurantbesucher fuhren von ihren Tellern hoch und wandten sich der schweren Tür zu, die gerade eben krachend ins Schloß fiel und deutlich hörbar verriegelt wurde.
»Was soll dieser Lärm, Mister Parker?« grollte die Detektivin, ohne sich beim Essen stören zu lassen. »Wer wagt es, mich ausgerechnet jetzt zu unterbrechen?«
»Ein gewisser Mister Robin Hood mit Gefolge, Mylady. Man scheint die Absicht zu haben, die Anwesenden um ihr Hab und Gut zu bringen.«
»Aber doch nicht während des Essens! Was sind denn das für Manieren?« wunderte sich die ältere Dame und aß ungerührt weiter. »Ich denke, dafür werde ich die Lümmel nachher etwas ohrfeigen. Erinnern Sie mich daran, Mister Parker!«
»Wie Mylady zu wünschen geruhen«, äußerte Parker, ohne eine Miene zu verziehen, während er die bunte Gesellschaft, die sich langsam von Tisch zu Tisch vorarbeitete und immer näher kam, aufmerksam beobachtete.
*
»Na, Alterchen, hauen wir uns wieder mal den Kaviar rein?« erkundigte sich ein Hüne in zerrissener Kleidung bei einem älteren Gast am Nebentisch und hieb mit einem Knüppel auf die Tischplatte. Schüssel und Teller sprangen hoch und verteilten ihren Inhalt auf das bis dahin strahlendweiße Damasttuch, das anschließend dringend einer Wäsche bedurfte. Der ältere Gast zuckte zusammen und griff stöhnend an die Herzgegend.
»Du hast doch nicht etwa Schwierigkeiten, Opa?« Der Hüne ergriff eine Champagnerflasche und goß ihren Inhalt über den Kopf des Gastes. »Das wird dich erfrischen, Mann, das bringt dich wieder auf die Beine!« grölte er und lachte dröhnend.
Dann erspähte er den Tisch der Lady und kam zielstrebig darauf zu. Stirnrunzelnd musterte er Agatha Simpson, die sich nicht stören ließ und unbeirrt weiteraß.
»Du merkst gar nicht, was um dich vorgeht, was?« erkundigte er sich mit drohendem Unterton in der Stimme und langte zu. Er hatte die Absicht, sich ein Stück Fleisch von Myladys Teller zu nehmen und die Dame zu verärgern.
Die Detektivin wiederum entschied sich zufälligerweise zur gleichen Zeit für das besagte Stück Fleisch und wollte es mit ihrer Gabel aufspießen. Dabei kam es zu einer kleinen Interessenkollision, die Mylady souverän zu ihren Gunsten entschied. Die spitzen Zinken der Gabel bohrten sich nachdrücklich in den Handrücken des Hünen und verursachten dort einigen Schmerz.
Der verhinderte Fleischdieb schrie laut und zog die malträtierte Hand hastig zurück. Dabei kam er dem Messer der Lady in die Quere, das sich gerade auf das erwähnte Fleisch senken wollte. Auch dieses Instrument trug nicht zum Wohlbefinden des Hünen bei. Die Schneide zog eine feine rote Linie und ließ den Mann ein zweites Mal aufschreien.
Lady Agatha sah unwillig hoch, musterte kopfschüttelnd den Schreihals und setzte ungerührt ihre Mahlzeit fort.
Inzwischen stand der Riese neben ihrem Tisch und schlenkerte aufgeregt mit der Hand durch die Luft. Er rollte mit den Augen und bedachte die Detektivin mit ausgesuchten Flüchen, die sie wohlgefällig zur Kenntnis nahm.
»Notieren Sie die Äußerungen des jungen Mannes, Mister Parker«, bat sie, während sie sich über einen delikaten Lobsterschwanz hermachte. »Er verfügt tatsächlich über einen interessanten Wortschatz, aus dem ich das eine oder andere möglicherweise für meinen Roman verwenden kann.«
Agatha Simpson besaß in ihrem Haus in Shepherd’s Market ein Studio, das mit neuzeitlicher Bürotechnik ausgestattet war und nur darauf wartete, von seiner Besitzerin in Betrieb genommen zu werden. Bis jetzt war die Lady jedoch noch nicht über das Stadium des Stoffsammelns hinausgekommen, das sie allerdings sehr eifrig betrieb; hatte sie doch die erklärte Absicht, einer gewissen Agatha Christie den Rang abzulaufen.
»Wie Mylady zu wünschen geruhen«, bemerkte Parker höflich und zückte sein Notizbuch, um dem Wunsch seiner Herrin unverzüglich nachzukommen.
Der handverletzte Riese starrte ungläubig auf den Butler, der ihn abwartend musterte.
»Dürfte man um weitere Meinungsäußerungen bitten, Sir?« sprach der Butler ihn an. »Sie würden Mylady damit einen großen Gefallen tun.«
»Bei dir is’ wohl ’ne Schraube locker?« Der Hüne schnappte sichtlich nach Luft ob soviel Unverfrorenheit und blickte Parker gereizt an.
»Diese Äußerung war meiner bescheidenen Wenigkeit bereits hinlänglich bekannt und dürfte als nicht allzu originell angesehen werden«, tadelte Parker. »Wäre es Ihnen möglich, mit weniger gebräuchlichen Wendungen zu dienen?«
»Du hast wohl ’n Ding an der Bommel, wie?« reagierte der verdutzte Riese umgehend auf Parkers Wunsch und schüttelte erneut ungläubig den Kopf.
Josuah Parker notierte diese Äußerung sorgfältig und nickte dem Mann neben sich aufmunternd zu. »Wenn Sie fortfahren würden, Sir?« bat er höflich.
»Jetzt reicht’s mir aber!« Der düpierte Hüne hatte endlich genug und beschloß, handgreiflich zu werden. Er hob seinen schweren Knüppel und traf Anstalten, damit den Tisch zu zerlegen.
»Einen Augenblick, bitte«, bat Parker und hob die schwarzbehandschuhte Hand, um dem Mann Einhalt zu gebieten.
»Was is’ denn nun schon wieder?« beschwerte sich der solcherart gebremste Schläger und glotzte den Butler wütend an.
»Würden Sie Ihr Augenmerk freundlicherweise auf diese Sprühflasche richten?« bat Parker und drückte herzhaft zu. Ein feiner weißer Strahl schoß aus der Düse des Fläschchens, das plötzlich wie durch Zauberei in Parkers Hand lag, und fand zielsicher in das Riechorgan des Hünen.
Er schnaufte beeindruckt, wischte mit den Händen durchs Gesicht und verteilte dadurch unfreiwillig den Spray, was er besser unterlassen hätte. Seine Augen litten, als diese damit in Berührung kamen, und der Mann vergaß vorläufig alle Aggressionen.
*
»Robin Hood« und sein übriges Gefolge hatten inzwischen mitbekommen, daß ein Kollege in Bedrängnis geraten war. Sie ließen umgehend von ihren Opfern ab und eilten herbei, um ihrer Sache zum Sieg zu verhelfen.
Dabei kam es zu einem kleinen Mißgeschick, an dem ein gewisser Butler Parker nicht ganz unschuldig war. Der hatte nämlich ungeschickterweise eine große Sauciere umgestoßen, deren Inhalt sich auf den blanken Parkettboden ergoß und dort eine große Lache bildete, in die die »Streiter für eine gerechtere Welt« schwungvoll hineinstürmten.
Es kam, wie es kommen mußte. Der ohnehin schon glatte Parkettboden wurde noch glatter und ließ die übereifrigen Abkassierer nachhaltig aus dem Gleichgewicht geraten. Urplötzlich verloren ihre Füße den so nötigen Bodenkontakt und wurden in die Luft geworfen, wo sie verständlicherweise wenig Halt fanden.
Sie versuchten noch, durch mächtige Ruderbewegungen ihrer Arme die Balance wiederzufinden, aber auch das nützte ihnen nichts mehr. Sie plumpsten mehr oder weniger schmerzhaft auf ihre Hinterteile und rutschten auf denselben ein gutes Stück weiter, um dann gemeinsam und in schöner Eintracht an einem Stützpfeiler zu stranden, der ihnen im Weg stand und für Kopfschmerzen sorgte, da sie zuerst mit ihren Köpfen Kontakt mit dem besagten Pfeiler aufnahmen.
Lady Agatha hatte sich vorgebeugt und blickte den an ihrem Tisch vorbeisausenden Banditen interessiert nach. Sie ergriff eine Putenkeule, die zu ihrem frugalen Mahl gehörte, und legte diese nachdrücklich auf den Hinterkopf eines glatzköpfigen Mönches, während dieser an ihr vorbeischoß.
Der Mann stöhnte auf und hatte umgehend das unangenehme Gefühl, ihm wäre ein mittlerer Felsbrocken auf den Kopf gefallen. Er verdrehte die Augen, seufzte noch mal tief und überließ sich einer kleinen Ohnmacht, so daß er nicht mal merkte, wie seine Stirn gegen den Stützpfeiler prallte und umgehend ein Hörnchen daraus wuchs.
Sir Ballard beobachtete das Geschehen aus weit aufgerissenen Augen und konnte nicht glauben, was er da zu sehen bekam. Nachdem Lady Agatha jedoch ihre Putenkeule ebenso routiniert wie zweckentfremdet eingesetzt hatte, legte sich ein nahezu beglückter Ausdruck auf seine hageren Züge, ein strahlendes Lächeln verzog seine Lippen, und seine Augen begannen animiert zu glänzen.
Er ergriff eine Pfanne, in der seiner Tischgenossin eine Spezialität des Hauses als Kostprobe serviert worden war, entleerte sie, indem er sie der Einfachheit halber umdrehte und deren Inhalt achtlos auf die ohnehin nicht mehr saubere Damasttischdecke fallen ließ, und erhob sich entschlossen.
Urplötzlich fühlte er sich, wieder jung und vital und äußerst unternehmungslustig. Er näherte sich mit der Pfanne in der Hand den noch immer vor dem Stützpfeiler hockenden Banditen und musterte sie lächelnd.
»Robin Hood«, der sich gerade hochstemmen wollte, bekam Sir Ballards zurückgewonnene Jugend umgehend und sehr nachdrücklich zu spüren. James Ballard lüpfte nämlich sein neckisches Jägerhütchen, visierte kurz an ... ließ den schweren gußeisernen Boden der Pfanne nahezu lustvoll auf seinen Schädel fallen. Zunächst ertönte ein dumpfer, etwas hohl klingender Laut, als Pfannenboden und Schädeldecke zusammentrafen, danach ein tiefer Seufzer, als sich »Robin Hood« zurücksinken ließ, weil ihm die Sinne schwanden.
Sir Ballard war äußerst angetan vom Ergebnis seiner Bemühungen und ließ seine Blicke schweifen, um nach einem weiteren Opfer Ausschau zu halten.
In diesem Augenblick wurde er unsanft zur Seite gedrängt. Ein gleichfalls nicht mehr ganz taufrischer Herr mit unübersehbarem Bauchansatz schob ihn ein wenig abseits. Dieser Herr wollte sich offensichtlich an ihm ein Beispiel nehmen und schwang einen langen Metallspieß, der offensichtlich als Träger gegrillter Fleischstücke gedient hatte.
Der korpulente, etwas ältliche Herr beugte sich schnaufend zu den am Boden hockenden Banditen nieder, traf seine Wahl und ... jagte seinen Spieß in das Gesäß des Hünen, der kurz zuvor bereits mit Lady Agatha unangenehme Erfahrungen sammelte.
Das war das Signal für die übrigen Gäste, sich gleichfalls für den Verlust diverser Wertgegenstände zu revanchieren. Es entstand ein Tumult, als Stühle reihenweise gestoßen und umgeworfen wurden und sonst sehr distinguiert wirkende Herrschaften Gegenstände schwingend heranstürmten, um »Robin Hood« und seinem Gefolge klarzumachen, daß man es nicht schätzte, ausgeraubt zu werden.
»Sehr hübsch, Mister Parker, endlich haben es diese Leute begriffen, wie man mit Strolchen umgehen muß«, kommentierte Lady Agatha, während sie seelenruhig etwas Braten zum Mund führte.
»Eine gewisse Pogromstimmung ist nicht zu leugnen, Mylady«, stellte Josuah Parker fest, ohne eine Miene zu verziehen. »Hier scheint sich ein regelrechter Gefühlsstau zu entladen.«
»Und dann noch an der richtigen Adresse«, freute sich die ältere Dame. »Ich muß sagen, ich bin mit diesem Lokalbesuch außerordentlich zufrieden, Mister Parker.« Agatha Simpson nickte nachdrücklich und schaute im nächsten Augenblick empört in die Gegend, als ein Mitglied des Hoodschen Gefolges in wilder Flucht an ihrem Tisch vorbeistürmte, diesen halb umrannte und dadurch Myladys Speisen in Gefahr brachte. Im letzten Moment konnte sie das drohende Unheil verhindern und ihr Essen vor der Bekanntschaft mit dem Boden retten.
Sie hatte nicht die Absicht, dem jungen Mann, bei dem es sich übrigens um den »Mönch« handelte, das schlechte Benehmen durchgehen zu lassen. So griff sie seufzend nach ihrem Handbeutel und machte sich daran, ihm eine entsprechende Lektion zu erteilen.
Sie stemmte sich etwas hoch, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben, visierte kurz und schickte den Pompadour mit dem darin befindlichen Glücksbringer – einem veritablen Pferdehufeisen – auf die Reise.
»Der »Mönch« wollte gerade aufatmen und die schwere Eingangstür öffnen, um in die bereits sicher geglaubte Freiheit zu stürmen, als ihn ein Dampfhammer in den Rücken traf. Er spürte noch, wie ihm etwas mit Urgewalt zwischen die Schulterblätter prallte, dann rutschte er auch schon an der Tür zu Boden und ergab sich klaglos in sein Schicksal.
*
»Sie schon wieder, McWarden?« Lady Agatha sah ihren frühen Besucher am nächsten Morgen kopfschüttelnd an und wunderte sich. »Wunder kann ich nun auch wieder nicht vollbringen, mein Lieber, schließlich haben Sie mir erst gestern Ihr Problem an vertraut.«
»Ich bin leider dienstlich hier, Mylady«, verkündete der Chief-Superintendent. »Gegen Sie wurden schwerwiegende Beschuldigungen vorgebracht.«
»Was Sie nicht sagen!« Die ältere Dame staunte immer mehr und wies einladend auf einen Sessel neben sich. »Nehmen Sie doch Platz, mein Lieber, Sie wissen, wie sehr ich Ihre Besuche zu schätzen weiß! Mister Parker, servieren Sie unserem lieben Gast einen Sherry und fragen Sie ihn, ob er mit mir frühstücken möchte ...«
»Wollen Sie mich etwa bestechen, Mylady?« McWarden musterte die Hausherrin und nahm dankend den Sherry entgegen, den ihm Parker reichte.
»Aber keinesfalls, wie käme ich dazu?« flötete die Lady, ohne einen Augenblick ihr Frühstück zu unterbrechen. »Außerdem bin ich absolut sicher, daß sich alles als Mißverständnis aufklären wird. Eine friedliche Bürgerin wie ich kann gar nicht in Schwierigkeiten geraten, das ist absolut unmöglich.«
McWarden hüstelte und konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. »Das sehe ich allerdings entschieden anders, Mylady«, stellte er fest und beugte sich etwas vor, um die Hausherrin genauer ins Auge zu fassen.
»Reden Sie nicht um den heißen Brei herum, sagen Sie mir endlich, weshalb Sie gekommen sind«, forderte die Detektivin und legte verärgert ihr Besteck beiseite.
»Sie besuchten gestern das ›Coq d’Or‹, Mylady?« erkundigte sich der Chief-Superintendent und lehnte sich erwartungsvoll zurück.
»Was für ein Moor?« fragte Agatha Simpson und mißverstand wieder mal gründlich.
»Das ›Coq d’Or‹, Mylady, ein Feinschmeckerrestaurant für die sogenannte Hautevolee«, präzisierte McWarden geduldig.
»Dort verkehre ich nicht, das sollte Ihnen doch klar sein, mein Lieber«, stellte sie unverzüglich richtig. »Das kann ich mir einfach nicht leisten, ich muß mit jedem Penny rechnen.«
»Das ist bekannt, Mylady, trotzdem wurden Sie gestern gesehen.«
»Was sage ich dazu, Mister Parker?« wandte sich die Hausherrin an ihren Butler. »Kenne ich dieses Lokal?«
»Möglicherweise hielten sich Mylady gestern tatsächlich im Zuge der Ermittlungen dort auf«, formulierte Parker vorsichtig. »Im Verlauf des Aufenthalts kam es zu einem kleinen Tumult, der Mylady veranlaßte, dem besagten Etablissement vorzeitig den Rücken zu kehren.«
»Richtig, mein Lieber, jetzt erinnere ich mich. Warum sagen Sie nicht gleich, daß Sie dieses unmögliche Restaurant meinen? Stellen Sie sich vor, man kann dort nicht mal in Ruhe seine Mahlzeit einnehmen, ohne von Lümmeln gestört zu werden.«
»Sie sind wirklich zu bedauern, Mylady.« McWarden gab sich keine Mühe, den Spott in seiner Stimme zu verbergen.
»Jedenfalls ist dieses Lokal alles andere als empfehlenswert«, fuhr die ältere Dame munter fort und überhörte souverän McWardens Spott. »Ich glaube nicht, daß ich es noch mal aufsuchen werde.«
»Zumal Sie dort ja auch Lokalverbot haben, aber davon wissen Sie sicher nichts, wie?« stichelte McWarden.
»Lokalverbot, mein lieber McWarden? Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen«, zeigte sich die Hausherrin überrascht und blickte ihren Gast pikiert an.
»Ist Ihnen davon etwas bekannt, Mister Parker?« fuhr sie fort und wandte sich an ihren Butler. »Anscheinend liegt hier doch eine Verwechslung vor, bestätigen Sie das dem Chief-Superintendenten.«
»Von diesem Sachverhalt sollte man in der Tat ausgehen, Mylady.« Parker verneigte sich höflich und richtete das Wort an den Mann vom Yard. »Man erteilte tatsächlich in bedauernswerter Verkennung der wahren Umstände Mylady das, was man gemeinhin mit dem Begriff ›Hausverbot‹ umschreibt, Sir. Man ging fälschlicherweise davon aus, daß sich Mylady als sogenannte Rädelsführerin betätigte und eine Saalschlacht verursacht habe, die letztendlich dazu führte, daß das Lokal vorübergehend geschäftsunfähig wurde. Man darf jedoch davon ausgehen, daß besagtes Hausverbot umgehend wieder aufgehoben wird, wenn die Wahrheit an das vielgerühmte Tageslicht kommt. Mylady sorgte lediglich dafür, daß einige Gäste, die ihr Eigentum vorübergehend an einen gewissen Mister Robin Hood und seine Bande abgeben mußten, wieder in den Besitz ihrer Güter gelangten.«