Читать книгу Der exzellente Butler Parker 23 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3
ОглавлениеDie verführerisch duftende Nußtorte, die Butler Parker zum Fünfuhrtee in Lady Simpsons weitläufiger Wohnhalle aufgetragen hatte, ging allmählich zur Neige.
»Mylady wünschen noch Tee?« erkundigte sich Parker höflich.
»Ich werde lieber ein Gläschen Sherry zu mir nehmen, um meinen Kreislauf zu stärken, Mister Parker«, entschied die Hausherrin.
»Aber sicher möchten die Kinder noch Tee.«
In würdevoller Haltung kam der Butler den Wünschen der kleinen Teerunde nach, verneigte sich und trat anschließend in seiner unvergleichlichen Art einen halben Schritt zurück.
Bei den »Kindern« handelte es sich um ihren Vermögensberater, den erfolgreichen Anwalt Mike Rander, und um ihre Gesellschafterin, die attraktive Kathy Porter. Beide kannten aus langjähriger Erfahrung Agatha Simpsons große Leidenschaft: die Kriminalistik.
»Bestimmt ist das die Mafia, die es auf die Reste der Torte abgesehen hat«, flachste Rander deshalb, als die Türglocke läutete.
Die beiden Männer, die Parker gleich darauf einließ, kamen von einer Speditionsfirma. Gewicht und Format des Paketes, das sie ächzend im Flur abstellten, ließen an eine Haustür oder ein mehrflügeliges Fenster denken...
»Nach einer Bombe sieht es nicht gerade aus«, bemerkte Kathy Porter und nahm das sperrige Stückgut näher in Augenschein.
»Das kann man nie wissen, Kindchen«, erhob Agatha Simpson warnend ihre baritonal gefärbte Stimme. »Die Unterwelt läßt sich ständig neue Tricks einfallen, um mich aus dem Weg zu räumen.«
»Eine Gefahr für Myladys Leib und Leben dürfte vom Inhalt dieser Sendung wohl kaum ausgehen, falls der Hinweis erlaubt ist«, schaltete Josuah Parker sich ein. Er hatte inzwischen den Lieferschein unterschrieben und die Männer mit einem Trinkgeld entlassen.
»Hüten Sie sich vor voreiligen Schlüssen, Mister Parker!« erwiderte die passionierte Detektivin. »Woher wollen Sie denn wissen, was sich im Paket befindet?«
»Den Begleitpapieren nach dürfte es sich um den Stammbaum handeln, den Mylady bei Heraldiker Dr. Matthew Daniels in Auftrag zu geben geruhten«, gab der Butler gelassen Auskunft.
»Ein Stammbaum? Ich dachte, so etwas hätten Sie längst, Mylady«, wunderte sich Rander. Natürlich war dem Anwalt bekannt, daß Lady Agatha mit dem Blut- und Geldadel der Insel verwandt und verschwägert – eine Tatsache, die sie oft genug gebührend hervorhob.
»Natürlich, mein Junge«, klärte Mylady den Besucher auf. »Aber diese langweilige Archivblätter schaut doch niemand an. Ich wollte etwas Repräsentatives haben, das jedermann ins Auge fällt.«
Mittlerweile hatte Parker die Verpackung entfernt. Zum Vorschein kam ein monumentales Gemälde im vergoldeten Barockrahmen, das eine stolze Eiche mit Hunderten von Verästelungen zeigte. Jedes Blatt trug in zierlichen Lettern den Namen eines Vorfahren. Die Auftraggeberin selbst war in einem goldenen Blatt in der höchsten Wipfelspitze verewigt.
»Sehr eindrucksvoll, Mylady«, stellte Kathy Porter fest. »Und dieser Stammbaum soll hier in der Diele aufgehängt werden?«
»Das muß einfach sein, Kindchen«, nickte die ältere Dame. »Wenn man bedenkt, daß heutzutage jeder hergelaufene Rüpel in den Adelsstand erhoben wird ...«
»Haben Sie dabei bestimmte Leute im Auge, Mylady?« wollte Rander wissen.
»Zum Beispiel diese Pilzköpfe«, entgegnete die Hausherrin ärgerlich. »Nichts als süchtiges Gesindel, das mit seiner erbärmlichen Katzenmusik den Geschmack der britischen Jugend verdirbt.«
»Die Beatles meinen Sie, Mylady?« lachte der Anwalt. »Die haben immerhin Berge von Devisen ins Land gebracht, bevor sie von der Königin geadelt wurden.«
»Pah! Was ist das schon!« Agatha Simpson ereiferte sich. »Auf Tradition und innere Werte kommt es an, mein Junge. Wie Sie wissen, führe ich meine Abstammung immerhin auf Heinrich den Eroberer zurück.«
»Darf man vermuten, daß Mylady Wilhelm den Eroberer zu meinen belieben?« warf Parker ein.
»Sagte ich das nicht?« tat seine Herrin überrascht.
»Ja, ja, der gute, alte Wilhelm«, setzte sie mit schwärmerisch verklärtem Blick hinzu, als hätte sie den Normannenherzog, der im Jahr 1066 seinen Fuß auf britischen Boden setzte, noch persönlich gekannt.
»Was Tatkraft und Durchsetzungsvermögen angeht, dürften Mylady dem berühmten Urahn in nichts nachstehen«, ließ der Butler sich vernehmen.
»Das haben Sie richtig erkannt, Mister Parker«, nickte die ältere Dame geschmeichelt. »Ich frage mich nur manchmal, wem ich meine ebenso extraordinären Talente auf künstlerisch-kreativem Gebiet verdanke.«
»Vielleicht fließt in Ihren Adern auch keltisches Blut, Mylady«, bemerkte Mike Rander beiläufig.
»Keltisch?« erkundigte sich Agatha Simpson mißtrauisch. »Wie meinen Sie das, mein Junge?«
»Jedenfalls nicht beleidigend, Mylady«, versicherte der Anwalt schmunzelnd. »Im Gegenteil.«
»Bei den Kelten handelt es sich um ein kulturell und künstlerisch außerordentlich hochstehendes Volk, das im Verlauf des ersten Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung in mehreren Wellen die britischen Inseln besiedelte, falls man sich nicht gründlich täuscht«, griff Parker erläuternd ein. »Noch heute werden immer wieder Überreste keltischer Siedlungen gefunden.«
»Das ist ja der Grund, weshalb ich überhaupt auf die Kelten kam«, nahm Rander wieder das Wort. »Professor Kevin Myrtle, mit dem ich manchmal Tennis spiele, erzählte mir dieser Tage von hochinteressanten Ausgrabungen, die er in der Nähe von Bodiam an der Grenze zwischen Kent und Sussex leitet.«
»Ist das nicht sehr mühsam, wochenlang in der Erde herumzukratzen, um schließlich ein paar wertlose Münzen oder Tonscherben zu finden?« wollte Agatha Simpson wissen.
»Myrtle war überzeugt, kurz vor dem Fund seines Lebens zu stehen«, erwiderte der Anwalt. »Er rechnete fest damit, in diesen Tagen auf ein Fürstengrab mit prächtigen Grabbeigaben aus Gold und Bronze zu stoßen.«
»Interessant.« Agatha Simpson zog die Stirn kraus. »Und das Gold kann er behalten, dieser Mister Turtle?«
»Nein, nein«, entgegnete Rander. »Wenn er wirklich Schätze findet, kommen die ins Britische Museum.«
»Welcher Tag ist morgen, Mister Parker?« fragte die Hausherrin unvermittelt.
»Samstag, sofern Mylady keine Einwände erheben«, teilte Parker in seiner überaus höflichen Art mit. »Möglicherweise ist der Hinweis erlaubt, daß Mylady für den morgigen Tag noch keinerlei Verpflichtungen eingegangen sind, so daß einem Ausflug nach Bodiam grundsätzlich nichts im Weg stünde.«
»Solch einen Ausflug wollte ich gerade vorschlagen«, rief die ältere Dame begeistert. »Wollt ihr nicht mitkommen, Kinder?«
»Ich kenne in der Nähe des Ausgrabungsortes ein hübsches, kleines Hotel mit ausgezeichnetem Restaurant«, verriet Mike Rander.
»Eine prächtige Weekend-Idee!« stimmte auch Kathy Porter zu.
»Mir geht es natürlich nicht um die Schätze, nach denen Mister Purple gräbt. Materielle Dinge bedeuten mir nichts«, versicherte die steinreiche Dame, während ihre Besucher vielsagende Blicke tauschten.
»Vermutlich ist es eher das wissenschaftliche Interesse, Mylady«, tippte der Anwalt.
»Das kann man in der Tat sagen«, nickte Agatha Simpson bedeutungsvoll. »Ich werde morgen eine Exkursion zu Zwecken der Familienforschung unternehmen .«
»Familienforschung?« fragten Mike Rander und Kathy Porter wie aus einem Mund.
»Im Grund habe ich keinen Zweifel, daß dieser Keltenfürst jener Stammvater ist, dem ich meine musische Begabung verdanke«, erläuterte die Detektivin. »Aber bevor ich ihm einen Platz in meiner Ahnengalerie einräume, muß ich natürlich alles genau überprüfen.«
*
Es war ein strahlender Vormittag, als Mike Randers dunkelblauer Austin und Josuah Parkers hochbeiniges Monstrum von der Landstraße in einen ungeteerten Wirtschaftsweg abbogen. Der Anwalt hatte sich bei seinem Tennisfreund Myrtle telefonisch nach der genauen Anfahrt erkundigt und fuhr mit Kathy Porter voraus.
»Sie können ruhig etwas rücksichtsvoller fahren, Mister Parker«, verlangte Lady Simpson. Das Abbiegemanöver hatte sie ausgesprochen unvorbereitet getroffen und ihre Körperfülle schwungvoll aus dem Gleichgewicht gebracht.
»Man wird künftig bemüht sein, keinesfalls mehr Myladys Unmut zu erregen«, versprach Parker, während seine Herrin sich wieder dem Picknickkorb widmete, der ihr die angeblichen Strapazen der Reise überstehen half.
Der einspurige Weg führte durch einen Waldstreifen und anschließend über eine Art Damm durch sumpfiges Gelände mit Schilf und Binsen.
Genau an dieser Stelle kam der stahlblaue Chevrolet entgegen.
An Randers Austin leuchteten die Bremslichter auf.
Auch Parker brachte sein schwarzes Gefährt zum Stehen, was Myladys erneuten Protest zur Folge hatte. Diesmal war ihr der Picknickkorb von den Knien gerutscht.
»Die Burschen werden ja wohl zurücksetzen«, meinte Rander zu seiner attraktiven Beifahrerin. »Aus unserer Richtung kommen schließlich zwei Fahrzeuge.«
So einsichtig waren die Männer im blauen Chevrolet allerdings nicht.
Durch wütende Gesten bedeuteten sie dem Anwalt, den Rückzug anzutreten. Als Rander mit gleicher Münze antwortete, machten die Männer einen entscheidenden Fehler: Sie verließen ihr Fahrzeug und kamen unter eindeutigen Drohgebärden näher...
Der Fahrer schien nicht viel älter als dreißig zu sein. Seine etwas schlaksig wirkende Gestalt steckte in einem abgeschabten Jeansanzug. Ein verbeulter Hut aus blauem Jeansstoff und eine Filterzigarette im herabhängenden Mundwinkel rundeten das Bild arroganter Lässigkeit ab.
Der zweite Mann war schätzungsweise zwanzig Jahre älter. Der Untersetzte trug einen dunklen Filzhut, den er tief ins Gesicht gezogen hatte. Dennoch war eine Nase von bemerkenswertem Format, die über einen pechschwarzen Schnurrbart in die Landschaft ragte, nicht zu übersehen. Breite Schultern, die in einem makellosen Trenchcoat steckten, und der federnde Gang ließen auf einen durchtrainierten Kraftsportler schließen.
»Los, verschwinde! Sonst machen wir dir und deiner Puppe Beine!« knurrte der Untersetzte, als Rander ein Stück das Fenster absenkte und freundlich einen guten Tag wünschen wollte.
Ehe der Anwalt dem unhöflichen Schnurrbartträger die passende Antwort erteilen konnte, hatte Parker ihm die kleine Mühe schon abgenommen.
Gleichzeitig mit den Männern aus dem Chevrolet hatte der Butler sein Fahrzeug verlassen. In dezent gestreiften Beinkleidern, mit schwarzem Covercoat und Melone war der alterslos wirkende Josuah Parker eine ausgesprochen würdevolle Erscheinung. Dieser Eindruck wurde durch seinen steifen, gemessenen Gang unterstrichen, der manchmal wirkte, als hätte er einen Ladestock verschluckt.
Sein Auftreten, das Zoll für Zoll dem Urbild eines hochherrschaftlichen englischen Butlers aus dem vergangenen Jahrhundert entsprach, hatte schon oft dazu geführt, daß man ihn unterschätzte. Das Duo aus dem stahlblauen Chevrolet bildete da keine Ausnahme. Die Männer beachteten Parker nicht mal.
Deshalb machte der Schnurrbärtige ein eindeutig verdutztes Gesicht, als er einen ausgesprochen unangenehmen Druck in der Nierengegend verspürte. Erst beim zweiten Hinsehen wurde dem Mann klar, daß es sich um die Spitze von Parkers Universal-Regenschirm handelte, die das sensible Organ eingehend massierte.
Augenblicklich zeigte das Gesicht des Unbekannten eine Blässe, die jeden Arzt in Alarmbereitschaft versetzt hätte. Ehe er sich über die Behandlung beschweren konnte, blieb ihm schon die Luft weg.
Heftig japsend verdrehte der Mann die Augen und ging vor dem Butler in die Knie.
Sein jüngerer Begleiter hatte sich inzwischen zur Beifahrertür des Austin begeben, wobei sein Interesse eindeutig den Reizen der zierlichen Kathy Porter galt. Als der Schlaksige merkte, wie schnell sich die bezaubernde junge Dame mit den mandelförmig geschnittenen Augen und dem Kastanienschimmer im dunklen Haar in eine reißende Pantherkatze verwandeln konnte, war es schon zu spät.
Grell blitzende Sterne tanzten vor den Augen des Jeansträgers, als Kathy Porter ruckartig die Tür aufstieß und ihm damit schmerzhafte Blessuren an Kinn und Knien bescherte.
Torkelnd wich der Zudringliche ein paar Schritte zurück und ließ sich stöhnend zu einer Verschnaufpause am Straßenrand nieder.
Gelassen nutzte Parker die Gelegenheit, um beide Männer diskret von den großkalibrigen Pistolen zu befreien, die in ihren Schulterhalftern steckten.
»Wollten die dreisten Lümmel mich etwa an der Weiterfahrt hindern?« war plötzlich Myladys sonores Organ zu vernehmen. Bebend vor Zorn kam die resolute Dame angestampft.
Obwohl Agatha Simpson die Sechzig mit Sicherheit überschritten hatte, war sie doch eine Erscheinung, die man nur als eindrucksvoll bezeichnen konnte. Das lag nicht nur an ihrer Körperfülle, die sie mit einem nicht gerade modischen Jagdkostüm zu bändigen versuchte.
Auch das undefinierbare Gebilde, das Lady Simpsons Haupt krönte, war durchaus beeindruckend. Was die ältere Dame als Hut bezeichnete, erinnerte eher an einen Napfkuchen, in dem zwei stählerne Grillspieße steckten.
Diese sogenannten Hutnadeln wußte die passionierte Detektivin ebenso beherzt wie zielsicher als Nahkampfwaffen einzusetzen. Der Abwehr allzu frecher Gangster diente auch der Pompadour, den sie am rechten Handgelenk trug.
Der lederne Beutel, der schon erwartungsvoll wippte, hatte mehr Ähnlichkeit mit einem zu heiß gewaschenen Seesack als mit einem Damenhandtäschchen. Er enthielt allerdings auch keine Toilettenartikel, sondern Lady Simpsons sogenannten Glücksbringer. Dabei handelte es sich um ein solides Hufeisen, das von einem stämmigen Brauereipferd stammte und aus humanitären Gründen in eine dünne Lage Schaumstoff gewickelt war.
»Die Herren erregten durch ihre eigenwillige Auslegung der Verkehrsregeln zu Recht Myladys Mißfallen«, bestätigte der Butler mit einer angedeuteten Verbeugung. »Inzwischen dürfte jedoch mit der nötigen Einsicht zu rechnen sein, falls man nicht sehr irrt.«
»Da bin ich nicht so sicher, Mister Parker«, entgegnete die Detektivin und versetzte ihren Pompadour in hektische Schwingungen.
»Eine allzu nachdrückliche Zurechtweisung der Herren dürfte die gewünschte Weiterfahrt noch länger hinauszögern, falls der Hinweis erlaubt ist«, wandte Parker vorsichtshalber ein.
»Das ist mir natürlich auch klar, Mister Parker«, erwiderte Lady Agatha und ließ enttäuscht den ledernen Beutel sinken. »Ich überlege mir eben jeden Schritt sehr genau.«
In diesem Moment rafften sich die beiden Unbekannten nahezu gleichzeitig vom Boden auf und langten mit dem Griff routinierter Profis in ihre Schulterhalfter. Die Leere, die sie dort vorfanden, schlug sich in Form einer ungesunden Blässe auf ihren Gesichtern nieder.
»Das werdet ihr büßen!« zischte der Ältere zwischen zusammengebissenen Zähnen. Anschließend forderte er seinen Begleiter durch eine stumme Geste zum Mitkommen auf. Leicht humpelnd kehrten die beiden zu ihrem Straßenkreuzer zurück.
»Ich glaube, ich habe mir zwei neue Feinde gemacht«, stellte Agatha Simpson mit einem Gesichtsausdruck fest, der tiefe Befriedigung verriet.
»Eine Vermutung, der man sich nur nachdrücklich anschließen kann, Mylady«, pflichtete Parker seiner Herrin bei. »Mit einem erneuten Zusammentreffen dürfte fest zu rechnen sein.«
»Um so besser, Mister Parker«, strahlte die passionierte Detektivin, während der Chevroletfahrer die Maschine aufheulen ließ und den Rückwärtsgang einlegte.
*
Mit dem Bild, das man sich gewöhnlich von einem Archäologieprofessor macht, hatte Kevin Myrtle nicht die geringste Ähnlichkeit. Parker schätzte den Wissenschaftler, der sich aus einer Gruppe von Studenten löste und den Ankömmlingen winkend entgegenkam, auf höchstens Ende Dreißig.
Seine hochaufgeschossene Gestalt steckte in einem sportlichen Leinenanzug. Die wasserblauen Augen im sonnengebräunten Gesicht vermittelten den Eindruck eines neugierigen Kindes, das das Staunen noch nicht verlernt hat.
»Sie kommen genau richtig«, begrüßte er das aus London angereiste Quartett mit strahlendem Lächeln. »Gerade heute morgen haben wir das Grab geöffnet.«
Kevin deutete auf eine Art Kellerschacht, neben dem eine tonnenschwere, rechteckig behauene Steinplatte lag. Stufen führten in die schwarze Tiefe.
»Darf man vermuten, daß die Hoffnungen, die Sie in diese Grabung setzten, sich erfüllt haben, Mister Myrtle?« erkundigte sich Parker.
»Sie sind sogar noch übertroffen worden«, erwiderte Myrtle überglücklich. »Ein keltisches Fürstengrab mit derart reichen Beigaben wurde bisher nicht mal auf dem Kontinent gefunden.«
»Gratuliere, Kevin«, ließ Rander sich vernehmen. »Dann wird dein Name wohl in die Geschichte der Archäologie eingehen.«
»Darum geht es ja gar nicht, Mike«, entgegnete der junge Wissenschaftler bescheiden. »Aber die Funde werden die Forschung wieder ein wichtiges Stück voranbringen – abgesehen von den unermeßlichen Werten, die zu den Prunkstücken des Britischen Museums zählen werden.«
»Und was für Werte sind das, junger Mann?« fragte Agatha Simpson mit deutlichem Interesse.
»Neben einem ganzen Arsenal von Schmuck- und Gebrauchsgegenständen enthält die Grabkammer eine Art fahrbare Liege, auf der der Tote bestattet wurde«, gab, Myrtle die gewünschte Auskunft. »Diese Liege ist die eigentliche Sensation.«
»Und warum ist das Ding so wertvoll?« bohrte Mylady hartnäckig weiter.
»Im Gegensatz zu ähnlichen Funden auf dem Festland, die in Bronze gearbeitet sind, handelt es sich in diesem Fall um pures Gold, Mylady«, antwortete ihr Gegenüber. »Dadurch haben sich die Ornamente und figürlichen Darstellungen perfekt erhalten. Sie werden beeindruckt sein, wenn Sie das Prachtstück sehen.«
»Demnach muß es sich um einen besonders mächtigen Fürsten gehandelt haben«, warf Kathy Porter ein, und Myrtle nickte.
»Das war mir, allerdings schon gestern klar, Kindchen«, behauptete Agatha Simpson postwendend. »Wie heißt der Mann denn eigentlich, Mister Turtle?«
»Verzeihung Mylady«, korrigierte der Archäologe. »Mein Name ist Myrtle. Kevin Myrtle.«
»Ich weiß, junger Mann«, schob die ältere Dame den Einwurf souverän beiseite. »Ich habe Sie ja auch nicht nach Ihrem Namen gefragt, sondern nach dem des Fürsten, der hier begraben wurde.«
»Den Namen des Mannes werden wir wohl nie erfahren«, meinte Myrtle. »Das liegt daran, daß die Kelten keinerlei schriftliche Aufzeichnungen hinterlassen haben.«
»Das ist aber sehr bedauerlich, junger Mann«, stellte Agatha Simpson enttäuscht fest.
»Warum ist der Name denn so wichtig, Mylady?« erkundigte sich Myrtle halb erstaunt, halb belustigt.
»Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich um einen meiner Urahnen, junger Mann«, begründete Lady Agatha ihr spezielles Interesse. »Da muß ich doch wenigstens wissen, wie er heißt.«
»Ihr Urahn?« wiederholte der Wissenschaftler schmunzelnd. Er schien Myladys Antwort für einen Scherz zu halten.
»Jedermann weiß, daß mein Stammbaum bis auf Wilhelm den Eroberer zurückgeht«, erwiderte die Detektivin selbstbewußt. »Aber ich habe Grund zu der Annahme, daß auch keltisches Blut in meinen Adern fließt.«
»Das ist natürlich nicht auszuschließen, Mylady«, schickte Myrtle voraus. »Aber dieses Grab wurde schätzungsweise zwölfhundert Jahre vor der normannischen Invasion angelegt. Verwandtschaftliche Linien über einen solchen Zeitraum zurückzuverfolgen, dürfte sich als unmöglich erweisen – schon wegen der fehlenden Schrift, wie ich eben erklärte.«
»Aber wenn sich beweisen ließe, was für mich zweifelsfrei feststeht, wäre ich die rechtmäßige Erbin«, beharrte Lady Agatha. »Dann wäre der goldene Wagen mein Eigentum, junger Mann.«
»Eine solche Frage hat sich noch bei keiner Ausgrabung ergeben, Mylady«, antwortete Myrtle, der immer noch nicht wußte, ob er die Äußerungen der älteren Dame für bare Münze nehmen sollte. »Da würden sich die Juristen die Köpfe heißreden. Aber Sie wären jedenfalls nicht die erste, die Ansprüche auf diesen Fund anmeldet.«
Myladys Miene verfinsterte sich schlagartig. »Wie habe ich das zu verstehen, Mister Purple?« erkundigte sie sich lauernd.
»Der Bauer, dem dieses Feld hier gehört, geht mir schon seit Beginn der Grabungen auf die Nerven«, teilte der Wissenschaftler mit. »Er will sich mit den üblichen Entschädigungssätzen nicht zufriedengeben, sondern fordert eine prozentuale Beteiligung am Wert des Fundes.«
»Da hat er juristisch aber schlechte Karten«, merkte Anwalt Mike Rander an. »Die Gesetze sprechen eindeutig gegen den Mann.«
»Ich weiß, Mike«, nickte Myrtle. »Aber der Mann ist ein Dickschädel, wie das bei Bauern schon mal vorkommt.«
»Wäre es denn unter Umständen möglich, die Grabkammer mit den Fundstücken in Augenschein zu nehmen, Mister Myrtle?« gab Parker dem Gespräch eine Wende.
»Heute leider noch nicht«, entgegnete der Archäologe. »Wir sind gerade dabei, die Decke abzustützen und Berge von Schutt wegzuräumen. Die beste Gelegenheit wäre am nächsten Montag, wenn wir den Totenwagen ans Tageslicht bringen und ins Museum schaffen wollen.«
»Kann und muß man Ihre Äußerung so verstehen, daß die Fundgegenstände über das Wochenende in der geöffneten Grabkammer verbleiben, Mister Myrtle?« erkundigte sich der Butler.
»Das geht nicht anders, Mister Parker«, erwiderte der Wissenschaftler. »Aber ich habe natürlich ein Bewachungsunternehmen engagiert, das die Schätze hüten wird.«
»Darf man möglicherweise davon ausgehen, daß das erwähnte Unternehmen Ihnen aus regelmäßiger Zusammenarbeit bekannt ist?« wollte der Butler wissen.
»Leider nicht, Mister Parker«, bekannte Myrtle. »Wie Sie vielleicht wissen, sind wir im Staatsdienst gehalten, das preisgünstigste Angebot zu nehmen. In diesem Fall war es die Firma eines gewissen Tim Waller aus Stepney.«
»Dann kann man nur hoffen, daß das genannte Unternehmen seiner Aufgabe gewachsen ist, Mister Myrtle«, sagte der Butler. »Ein gewisses Interesse an ihren Funden dürfte durchaus vorhanden sein. Und dabei dürfte es sich um alles andere als wissenschaftliches Interesse handeln, falls man sich nicht gründlich irrt.«
»Wie meinen Sie das, Mister Parker?« fragte der Archäologe irritiert.
In wenigen Sätzen berichtete der Butler von der Begegnung während der Herfahrt.
»Mit den Männern habe ich vor einer halben Stunde gesprochen«, teilte Myrtle mit. »Sie stellten sich als Zeitungsreporter vor. Glauben Sie, daß es sich um Kriminelle handeln könnte?«
»Diese Möglichkeit sollte man zumindest nicht ausschließen, Mister Myrtle«, urteilte Parker.
»Selbstverständlich handelte es sich um Gangster«, schaltete sich die passionierte Detektivin ein. »In dieser Hinsicht ist mein Instinkt untrüglich. Leider mußte ich die Lümmel nach eingehender Belehrung laufenlassen, weil noch nichts gegen sie vorlag.«
»Um Himmels willen! Da kommt er ja schon wieder!« rief Myrtle in diesem Moment. »Bin gespannt, was er heute auf Lager hat.«
Auch Josuah Parker hatte das gleichmäßige Tuckern eines Treckers vernommen. Das hochrädrige Gefährt tauchte aus einem Hohlweg auf und rollte direkt auf die Fünfergruppe zu.
»Das ist Gerald Rodney, dem das Land hier gehört«, informierte Myrtle seine Besucher, bevor der Traktor zum Stehen kam.
Auch Myrtles Studenten, die mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt waren, hatten die Ankunft des Bauern bemerkt. Sie unterbrachen ihre Tätigkeit und sahen erwartungsvoll herüber.
Rodney, ein stämmiger Mittfünfziger mit schwarzem Haarschopf und rosigen Pausbacken, nahm sich keine Zeit, von seinem Gefährt herunterzuklettern und die Anwesenden zu begrüßen.
»Jetzt reicht’s mir endgültig«, schimpfte er, ohne die schwarze Stummelpfeife aus dem Mund zu nehmen. »Wissen Sie, was die Regierung mir heute geschrieben hat?«
»Bis jetzt nicht«, entgegnete Myrtle und bemühte sich um Gelassenheit. »Aber Sie werden es mir bestimmt gleich verraten.«
»Hundert Pfund!« schrie Rodney von seinem erhöhten Sitz herab. »Lächerliche hundert Pfund bieten sie mir als Entschädigung für einen völlig zerwühlten Acker an. Das lasse ich mir nicht gefallen.«
»Das ist nicht viel«, räumte Myrtle ein. »Aber warum beschweren Sie sich bei mir? Ich kann’s doch nicht ändern.«
»Sie wollen bloß nicht, Professor«, knurrte der Treckerfahrer. »Aber so einfach läßt Gerald Rodney sich nicht übers Ohr hauen. Sie werden noch an mich denken!«
Wutschnaubend legte der erzürnte Landwirt den ersten Gang ein, tuckerte los und war kurz darauf den Blicken entschwunden.
»Ich habe das Gefühl, deine Nachtwächter werden eine Menge Arbeit bekommen, Kevin«, schmunzelte Rander, während man sich fürs erste verabschiedete. »Sehen wir uns heute abend im Hotel?«
»Bestimmt«, versprach Myrtle. »Wir müssen doch meinen Erfolg begießen.«
»Dieser junge Mann weiß wenigstens, was sich gehört«, konstatierte Agatha Simpson wohlwollend, während sie sich von Parker in den Wagen helfen ließ.
Niemand außer dem Butler fielen die beiden Männer auf, die inzwischen auf einer entfernten Hügelkuppe standen und mit Ferngläsern herüberspähten ...
*
Es war ein Abend so recht nach dem Geschmack der älteren Dame. Kevin Myrtle geizte nicht mit Champagner. Auch an den exklusiven Genüssen, die die Küche des kleinen Hotels zu bieten hatte, fand die verwöhnte Lady nichts auszusetzen.
Der Wissenschaftler, der in den letzten Tagen rund um die Uhr gearbeitet hatte, zog sich jedoch schon weit vor Mitternacht auf sein Zimmer zurück.
Mylady war gerade damit befaßt, der aufmerksam lauschenden Kathy Porter auseinanderzusetzen, wie sie ihre Abstammung von dem keltischen Fürsten doch noch stichhaltig zu beweisen gedachte, als Parker sich diskret räusperte.
»Falls Mylady keine Einwände erheben, würde man sich gern noch ein wenig an der frischen Luft die Füße vertreten«, sagte er mit einer angedeuteten Verbeugung, als seine Herrin aufblickte.
»Gehen Sie nur, Mister Parker«, gestattete Agatha Simpson großzügig. »Aber geben Sie acht, daß Sie nicht im Dunkeln stolpern.«
»Man wird Myladys wohlgemeinten Ratschlag vorbehaltlos beherzigen«, versprach der Butler und wollte sich schon umwenden.
»Moment mal, Parker«, hielt Rander ihn zurück. »Hätten Sie was dagegen, wenn ich mich anschließe?«
»Keineswegs und mitnichten, Sir«, versicherte der Butler. »Meine Wenigkeit empfindet es als Auszeichnung, den geplanten Spaziergang in Ihrer Begleitung unternehmen zu dürfen.«
»Aber daß du dich nicht gleich wieder in irgendwelche Abenteuer stürzt, Mike«, warnte Kathy Porter scherzhaft, während die Männer zur Tür gingen.
»Wie kommst du denn darauf, Darling?« gab der Anwalt mit einer erstaunten Geste zurück. »Wir wollen doch nur Spazierengehen.«
Daß der Argwohn der jungen Dame durchaus nicht unberechtigt war, sollte sich schon in den nächsten Minuten herausstellen.
Der Nachtportier nickte dem Butler und dem sportlich wirkenden Anwalt freundlich zu, als die Männer das Hotel verließen. Die Nachtluft war frisch und kühl. Am wolkenlosen Himmel stand der fast volle Mond und tauchte die pechschwarzen Silhouetten von Häusern, Bäumen und Hügeln in ein unwirklich schimmerndes Silberlicht.
Der mit einem rosenüberwucherten Torbogen abgeschlossene Innenhof des Hotels, auf dem Parker und Rander ihre Fahrzeuge abgestellt hatten, lag dagegen in fast undurchdringlicher Finsternis.
»Was ist?« flüsterte Rander, als der Butler unvermittelt stehenblieb.
Wortlos deutete Parker in die Dunkelheit. Jetzt sah auch der Anwalt, was die scharfen Nachtvogelaugen des Butlers erspäht hatten: Unter dem Boden des hochbeinigen Monstrums, das sich nur als verschwommener Schatten von der hell verputzten Mauer im Hintergrund abhob, ragte unverkennbar ein Paar Füße in derben Arbeitsschuhen hervor.
Lautlos bogen die Männer in die Toreinfahrt. Kein Stein knirschte unter ihren Schuhsohlen. Dennoch blieben sie nicht unbemerkt.
Leises Pfeifen wurde hörbar, als plötzlich eine federnde Stahlrute, die man nicht zu Unrecht als Totschläger bezeichnet, die Luft durchschnitt.
Der Eigentümer des gefährlichen Schlaginstruments, der sich hinter dem Torpfeiler verborgen hielt, hatte sorgfältig gezielt und traf präzise. Dennoch war er mit dem Erfolg seines Bemühens offensichtlich unzufrieden.
Der Unbekannte stieß ein unterdrücktes Jaulen aus. Den Totschläger ließ er fallen, um seine heftig schmerzende Rechte besser massieren zu können.
Wie hätte der Angreifer auch ahnen sollen, daß Parkers schwarze Melone mit Stahlblech gefüttert war und über die Qualitäten eines hochwertigen Sturzhelms verfügte? Erst der heftige Rückschlag, der sein Handgelenk in Sekundenschnelle beträchtlich anschwellen ließ, belehrte ihn eines Besseren. Da war es aber bereits zu spät.
Blitzartig ließ der Butler seinen schwarzen Universal-Regenschirm in die Höhe schnellen. Eifrig tastete die bleigefütterte Spitze den Solarplexus des Gegners ab, der auf diese Behandlung mit heiserem Röcheln reagierte.
Stöhnend knickte der Mann in der Hüfte ein und torkelte aus seinem Versteck hervor – direkt auf den Anwalt zu, der ihn mit einem harten linken Haken in Empfang nahm. Daraufhin vergaß der nächtliche Angreifer endgültig seine unfreundlichen Absichten und suchte umgehend den Kontakt zum Pflaster.
Im selben Moment kam Bewegung in die Füße, die unter Parkers Fahrzeug hervorragten. Eilig versuchte der Komplice des angriffslustigen Rutengängers, sich aus seiner unbequemen Lage zu befreien. Rander war jedoch rechtzeitig zur Stelle und packte den Mann, der rücklings unter dem Wagenboden herausrobbte, mit eisernem Griff am Kragen seines Monteuranzuges.
»Wer hat euch geschickt?« herrschte der Anwalt den reichlich verdutzt wirkenden Mechaniker an.
»Wird’s bald?« drängte er und holte zu einem Schwinger aus.
»Was soll der Unfug?« fauchte der Mann und zog vorsichtshalber den Kopf ein. »Wir haben Ihnen doch nichts getan.«
»Entsprechende Absichten sollte man aber vermutlich unterstellen«, schaltete Parker sich ein. »Deshalb dürfte es gestattet sein, die Frage nach Ihrem Auftraggeber zu wiederholen.«
»Rodney hat uns geschickt«, behauptete der Unbekannte kleinlaut.
»Darf man vermuten, daß Sie den Landwirt Gerald Rodney zu meinen belieben?« faßte der Butler sofort nach.
»Genau der«, nickte Parkers Gegenüber.
»Und wie lautete Ihr Auftrag?« wollte der Anwalt wissen.
»Wir sollten Sie nur ein bißchen ärgern«, gab der Mann ausweichend zur Antwort. »Rodney fühlt sich einfach übers Ohr gehauen und kocht vor Wut.«
»Und warum hat er Sie und Ihren Komplicen ausgerechnet zu uns geschickt?« wollte Rander wissen.
»Sind Sie denn nicht der Professor, der ihm sein Feld zerwühlt hat?« zeigte der Mann im Overall sich überrascht. »Dann ist das Ganze ein Mißverständnis, eine Verwechslung sozusagen. Kann ja vorkommen in der Dunkelheit.«
»Darf man möglicherweise noch um Auskunft darüber bitten, in welcher Verbindung Sie zu Mister Rodney stehen?« ließ der Butler sich wieder vernehmen.
»In welcher Verbindung?« wiederholte der Mann.
»Arbeiten Sie auf seinem Hof?« wurde Rander konkreter.
»Nein, nein«, behauptete der Unbekannte. »Wir kennen ihn ja kaum. Rodney sprach uns in einem Pub in der Nähe an. Wären Marc und ich nicht knapp bei Kasse gewesen, hätten wir den Auftrag gar nicht angenommen.«
»Demnach darf man davon ausgehen, daß Mister Rodney Ihnen und Ihrem Komplicen Geld für einen Überfall auf Professor Myrtle anbot?« vergewisserte sich Parker.
»Ja ...«, antwortete sein Gesprächspartner zögernd.
»Wieviel?« fragte Rander.
»Hundert Pfund.«
»Da hat der Bursche seine Entschädigung zum Fenster rausgeworfen, statt sie vernünftig zu investieren«, meinte der Anwalt, an Parker gewandt. »Was machen wir denn mit den beiden Gestalten?«
»Möglicherweise sollte man die Herren bitten, sich bis zur vollständigen Klärung der Angelegenheit zur Verfügung zu halten«, schlug der Butler vor und schritt auch sofort zur Tat.
Es dauerte kaum zwei Minuten, bis er die Männer so mit zähem Paketband umwickelt hatte, daß sie keinen Finger mehr rühren konnten. Anschließend versenkte er sie mit Randers Hilfe in einer bauchigen Regentonne, die aber nur zur Hälfte mit Wasser gefüllt war.
*
»Meinen Sie wirklich, daß Rodney die Burschen geschickt hat, Parker?« erkundigte sich Rander.
»Man sollte die diesbezügliche Aussage mit der gebotenen Skepsis zur Kenntnis nehmen, falls der Hinweis erlaubt ist, Sir«, erwiderte der Butler.
Er hatte soeben im Schein seiner Bleistiftlampe den Boden des hochbeinigen Monstrums einer kurzen Inspektion unterzogen. Erwartungsgemäß fand sich eine Eisensäge. Aber allem Anschein nach war der ungebetene Mechaniker nicht dazu gekommen, seine Arbeit in Angriff zu nehmen. Die Bremsleitungen waren noch unversehrt.
»Die Burschen machen nicht den Eindruck, als hätten sie solch einen Auftrag zum ersten Mal übernommen«, fuhr der Anwalt fort. »Mich würde nicht wundern, wenn wir es mit Angehörigen der Londoner Szene zu tun hätten, Parker.«
»Ein Eindruck, der sich auch meiner bescheidenen Wenigkeit geradezu unwiderstehlich aufdrängt, Sir«, pflichtete der Butler ihm bei.
»Daß die Burschen mich für Myrtle gehalten haben, klingt auch nicht besonders glaubhaft«, meinte Rander nach einer kurzen Pause des Nachdenkens.
»In diesem Zusammenhang dürfte es der Beachtung wert sein, daß die Herren sich Myladys Fahrzeug zuwandten«, erinnerte Parker. »Eine Verwechslung mit Professor Myrtles Automobil dürfte als schlechthin ausgeschlossen gelten.«
Mit der schwarzbehandschuhten Rechten deutete der Butler auf den weißen Bentley des Archäologen, der auf der gegenüberliegenden Hofseite parkte.
»Stimmt«, nickte Rander. »Das läßt nur den Schluß zu, daß man es in Wahrheit auf Sie und Mylady abgesehen hat.«
»Eine Feststellung, der man sich nur mit allem Nachdruck anschließen kann, Sir.«
»Sie denken an die Begegnung heute morgen, Parker? An die beiden Typen im stahlblauen Chevrolet?«
»In der Tat, Sir.«
»Aber es waren bestimmt nicht nur Rachegelüste nach der peinlichen Niederlage, die hinter diesem mißglückten Anschlag stecken, Parker.«
»Keineswegs und mitnichten, Sir. Eher dürfte die Absicht zu vermuten sein, Mylady und meine Wenigkeit nachhaltig an einer nächtlichen Besichtigung des Ausgrabungsgeländes zu hindern.«
»Das legt den Schluß nahe, daß es in dieser kühlen Nacht am Grab des Keltenfürsten heiß hergeht. Wie wär’s mit einer kleinen Ausfahrt, Parker?«
»Ein Vorschlag, den meine bescheidene Wenigkeit soeben auch unterbreiten wollte, Sir«, sagte der Butler mit einer angedeuteten Verbeugung.
Anschließend öffnete er dem Anwalt die Beifahrertür und begab sich hinter das Lenkrad. Sekunden später rollte das schwarze, schwerfällig wirkende Gefährt vom Hof...
*
Als Parker von der Landstraße in den schmalen Wirtschaftsweg einbog, der zum Ausgrabungsgelände führte, schaltete er die Scheinwerfer aus. Im blassen Mondlicht hatte auch Mike Rander keine Mühe, die sanften Windungen des Weges durch Wald und Sumpfland zu erkennen.
Ein kleines Stück jenseits des Dammes, auf dem man morgens mit den nicht sehr höflichen Chevrolet-Insassen zusammengetroffen war, ließ den Butler sein hochbeiniges Vehikel seitwärts in den Wald rollen und stellte den Motor ab.
»Wenn wir uns rechts vom Weg halten, können wir uns dem Grab von den Hügeln her nähern und haben einen freien Überblick über das Gelände«, meinte der Anwalt.
»Eine Anregung, der man unverzüglich folgen sollte, falls der Hinweis genehm ist, Sir«, pflichtete Parker seinem Begleiter bei.
Mit traumwandlerischer Sicherheit schritt die schwarzgewandete Gestalt des Butlers in der Dunkelheit des kleinen Waldstücks voran. Nicht das leiseste Knacken eines Astes wurde hörbar, während Parker zielstrebig Fuß vor Fuß setzte.
»Allein hätte ich mir in dieser Finsternis bestimmt schon das Genick gebrochen«, murmelte Rander und stieg tastend über einen umgestürzten Baumstamm.
Wenige Minuten später hatten die Männer den Waldsaum erreicht und traten in freies, hügeliges Gelände. Am Himmel waren inzwischen dünne Schäfchenwolken aufgezogen, die das Mondlicht dämpften, ohne die silberne Scheibe ganz zu verdecken.
»Haben Sie das auch gehört, Parker?« fragte Rander im Flüsterton und blieb lauschend stehen.
»Falls man sich nicht gründlich täuscht, dürfte es sich um zwei Personen- und einen Lastwagen handeln, Sir«, meinte Parker, der die Motorengeräusche ebenfalls vernommen hatte.
Die Männer beschleunigten ihre Schritte, bis sie von einer Hügelkuppe auf das in blassem Mondlicht liegende Ausgrabungsgelände sehen konnten.
»Verdammt!« knurrte der Anwalt. »Wir kommen zu spät, Parker.«
Gerade setzten sich die drei Fahrzeuge in Bewegung. Der stahlblaue Chevrolet fuhr an der Spitze des kleinen Konvois. Ein Lastwagen mit Kastenaufbau folgte in geringem Abstand. Ein zweiter Straßenkreuzer amerikanischer Bauart, vermutlich ein Buick, bildete die Nachhut.
»Möglicherweise darf man Ihre Aufmerksamkeit auf die beiden Fahrzeuge lenken, die noch vor dem Eingang der Grabkammer parken, Sir«, ließ der Butler sich mit gedämpfter Stimme vernehmen.
»Die werden doch wohl der Wachmannschaft gehören«, meinte Rander. »Hoffentlich haben die Gangster die Jungs nicht gleich kaltgemacht.«
»Diese unerfreuliche Möglichkeit sollte man keinesfalls von vornherein ausschließen, Sir«, erwiderte Parker, während er gemessen den Hügel hinabschritt und dabei verstreut stehende Weidenbüsche als Deckung nutzte. »Näheren Aufschluß dürfte eine Besichtigung der Grabkammer erbringen, falls der Vorschlag genehm ist.«