Читать книгу Butler Parker 174 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 4

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»Das grenzt doch an Frechheit«, grollte Agatha Simpson. Sie saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und beugte sich vor. »Haben Sie das gerade gesehen?«

»Es handelte sich um einen Überholvorgang, Mylady, den man nur als recht gewagt bezeichnen kann und muß«, antwortete der Butler und schaltete kurz das Fernlicht ein. Die Scheinwerfer erfaßten gerade noch das Heck des Wagens, der um eine Kurve wischte und dann nicht mehr zu sehen war.

»Ich würde mich mit diesem Verkehrsrowdy gern mal unterhalten, Mister Parker«, redete Lady Agatha weiter und ließ sich wieder zurücksinken, »mit mir kann man so etwas nicht machen.«

»Belieben Mylady zu wünschen, dem Ford zu folgen?« fragte Josuah Parker, ein Mann undefinierbaren Alters, der ungemein korrekt am Steuer seines Wagens saß. Parker trug einen schwarzen Binder. Auf seinem Kopf saß die schwarze Melone.

»Natürlich wünsche ich eine Verfolgung«, meinte Lady Agatha streng, »ich werde diesem Rowdy Ohrfeigen anbieten, Mister Parker.«

Parker zuckte mit keiner Miene. Er kannte die Aggressivität der Lady nur zu gut. Die ältere Dame, die das sechzigste Lebensjahr überschritten hatte, war eine ungemein dynamische Frau, die sich mit jedem anlegte, von dem sie sich auch nur andeutungsweise herausgefordert fühlte.

Der Butler erhöhte also spürbar das Tempo seines Privatwagens, den Eingeweihte als eine Trickkiste auf vier Rädern bezeichneten. Der mächtige Rennsportmotor unter der eckigen Motorhaube ließ ein wenig die Muskeln spielen und wurde sehr schnell. Es schien fast so, als habe Parker einen Turbolader zugeschaltet.

Josuah Parker, das Urbild des hochherrschaftlichen britischen Butlers, hatte allerdings nicht die Absicht, dem Ford nachzujagen. Dazu war die Straße zu schmal. Auch die Sichtverhältnisse rieten zur Vorsicht. Leichter Nebel war aufgekommen, der von den Wiesen der nahen Themse über das Land zog. Parker wollte mit der leichten Erhöhung der Geschwindigkeit nur guten Willen demonstrieren, mehr nicht. Für ihn war der kleine Zwischenfäll bereits erledigt. Gut, der Ford hatte ihn riskant geschnitten, war dabei ein wenig vom Kurs abgekommen und hatte ihn, Josuah Parker, auf den Seitenstreifen abgedrängt, doch sonst war wirklich nichts passiert. Warum also sollte er jetzt eine Verfolgung starten, die ohnehin sinnlos wäre? Der überholende Wagen mußte inzwischen weit voraus sein. Doch es kam anders.

Josuah Parker nahm plötzlich einen Feuerschein wahr, der den nächtlichen Himmel glutrot färbte. Dieser Feuerschein ließ einen kleinen Wald wie einen Schattenriß aus der Dunkelheit treten. Nun gab Parker doch Gas und beschleunigte konsequent.

»Was ist denn da vorn los?« erkundigte sich Lady Agatha interessiert und schob sich wieder vor.

»Es könnte sich möglicherweise um einen Unfall handeln, Mylady«, lautete Parkers Antwort. Agatha Simpson wollte eine weitere Frage stellen, doch die Beschleunigung des hochbeinigen Monstrums war derart groß, daß die ältere Dame in die Polster gedrückt wurde. Sie schnappte verzweifelt nach Luft und produzierte einige halberstickte Zornesausbrüche.

Parker hatte den Galeriewald inzwischen erreicht, legte seinen Wagen in die Kehre und sah dann auch schon, daß nicht weit vor ihm ein Wagen lichterloh brannte.

»Guter Gott, Mister Parker«, stieß Agatha Simpson beeindruckt hervor, »das sieht aber nicht gut aus.«

»Man kann in der Tat nur hoffen, noch ein wenig hilfreich sein zu können«, antwortete der Butler. Er hatte inzwischen das brennende Autowrack erreicht und hielt ohne jede Ankündigung an. Dadurch bewegte sich Lady Simpson haltlos nach vorn und lehnte sich weit über die Rücklehne der Vordersitze. Es war ihr Glück, daß der Butler die Trennscheibe zwischen dem Fond des Wagens und den Vordersitzen nicht geschlossen hatte.

Während Agatha Simpson erneut protestierte, stieg Parker bereits aus dem ehemaligen Taxi und eilte zur Brandstelle. Dabei hatte er aus guten Gründen seinen altväterlich gebundenen Universalregenschirm mitgenommen. Er spannte ihn auf, um sich so gegen die sengende Hitze zu schützen. Er schob sich so nahe wie möglich an den brennenden Wagen heran und wußte gleichzeitig, daß hier jede Hilfe zu spät kam. Wer auch immer im Wagen zurückgeblieben war, der mußte längst tot sein.

Plötzlich stolperte Parker, blickte automatisch zu Boden und entdeckte ein Beinpaar, das unter einem hochgeschobenen Rock hervorragte. Parker bückte sich sofort, faßte mit seinen schwarz behandschuhten Händen nach dem Beinpaar und zerrte den Körper aus der Reichweite der sengenden Hitze.

Dabei half ihm Lady Agatha sehr nachdrücklich.

Es zeigte sich, daß sie über erstaunliche Kräfte verfügte. Zusammen mit Parker zog und zerrte sie den weiblichen Körper zum Wagen des Butlers zurück. Lady Agatha und Josuah Parker hatten es fast geschafft, als eine kleine Detonation erfolgte. Der brennende Wagen platzte auseinander, Wrackteile und Flammengarben schossen durch die Nacht.

»Ich denke, ich habe wieder mal ein Menschenleben gerettet«, stellte Agatha Simpson fest und richtete sich auf.

»Mylady waren wie stets ein leuchtendes Vorbild«, antwortete der Butler, während er sich um die Frau kümmerte, die regungslos auf der nebelfeuchten Wiese lag.

»Nun, Mister Parker, wie sieht es aus?« fragte Lady Agatha ungeduldig.

»Schnelle Hilfe ist angebracht«, erwiderte Josuah Parker.

»Wird sie durchkommen?« lautete Myladys nächste Frage.

»Es dürfte eine gewisse Chance bestehen, Mylady, die man allerdings nur als hauchdünn bezeichnen kann«, meinte Josuah Parker. »Falls Mylady einverstanden sind, sollte man die junge Frau umgehend in die fachmännische Obhut eines Arztes bringen.«

Bevor Lady Agatha antworten konnte, waren zwei Schüsse zu vernehmen, die das Prasseln der Flammen übertönten.

*

»Es ist vielleicht ratsam, Mylady, sich in Deckung zu begeben«, sagte Josuah Parker, der sich selbst in den gefährlichsten Situationen nicht aus der Ruhe bringen ließ.

»Ist da gerade auf mich geschossen worden?« wollte die ältere Dame wissen.

»Man sollte dies in Anbetracht der Situation nicht völlig ausschließen«, gab der Butler zurück und dirigierte Lady Agatha hinter seinen hochbeinigen und eckigen Wagen. Dann ging er die wenigen Schritte zurück und kümmerte sich um die Frau, die nach wie vor regungslos auf der feuchten Wiese lag. Da inzwischen dunkle Rauchwolken vom brennenden Autowrack her eine Art Sichtschutz zwischen der Straße und Parkers Wagen aufbauten, brauchte der Butler keinen gezielten Schuß zu fürchten. Er hob die Frau hoch und trug sie behutsam in Deckung.

Lady Agatha baute sich neben der Unbekannten auf und beugte sich über sie.

Josuah Parker langte nach einer lederumspannten Taschenflasche, die sich in einer der Innentaschen seines schwarzen Zweireihers befand, schraubte den ovalen Verschluß ab und füllte ihn mit Kognak.

»Sehr aufmerksam, Mister Parker«, kommentierte Lady Agatha diesen Vorgang und griff nach dem kleinen Trinkbecher. Dann kippte sie mit Routine den Kognak hinunter und nickte wohlwollend.

Parker ließ sich auch jetzt nicht aus der Ruhe bringen.

»Darf man davon ausgehen, daß Myladys Kreislauf damit nachdrücklich gestärkt wurde?« erkundigte er sich und füllte den ovalen Becherverschluß erneut. Dann aber, bevor die ältere Dame ihren Kreislauf erneut stützen konnte, beugte der Butler sich zu der Frau hinunter und flößte ihr behutsam den Kognak ein.

Sie reagierte kurz darauf, öffnete einen Moment die Augen und hüstelte dann.

»Sie befinden sich in Sicherheit, Madam«, sagte Josuah Parker eindringlich und höflich zugleich, »darf man fragen, ob Sie sich allein im Wagen befanden?«

»Allein«, bestätigte sie hüstelnd.

»Sie kamen vom Weg ab, wenn man es so ausdrücken darf?«

»Ein Reifen platzte«, murmelte sie und wurde wieder ohnmächtig.

»Falls Mylady erlauben, wird meine Wenigkeit sich um den Schützen kümmern«, schickte Parker voraus. Bevor sie diese Erlaubnis erteilte, verschwand der Butler in den dunklen Rauchschwaden. Das Feuer war bereits erheblich in sich zusammengesunken, aber immer noch ausreichend genug, um die Straße zu beleuchten.

Parker machte oberhalb der feuchten Wiese bereits die ersten Fahrzeuge aus, die gehalten hatten. Hilfsbereite und vielleicht auch nur neugierige Autoinsassen eilten auf das brennende Wrack zu. Parker machte einen Bogen um eine besonders fette Rauchwolke und stolperte erneut.

Diesmal war das Hindernis nicht ein Mensch, sondern eine dunkelrote Schultertasche, die in einer Wasserlache lag. Parker bückte sich, hob die Tasche auf und ließ sie, als die fette Rauchwolke die Richtung änderte, unter dem schwarzen Zweireiher verschwinden. Er tat dies aus reinem Instinkt heraus. Erst danach schaltete sich sein scharfer Verstand ein. In dieser Tasche, die sicher der Fahrerin des brennenden Wagens gehörte, mußten sich zumindest ihre Papiere befinden.

Parker ging zurück zu seinem hochbeinigen Wagen und öffnete die hintere Tür. Zusammen mit seiner Herrin bugsierte er die Verunglückte auf den Hintersitz des Wagens und wartete dann, bis die Lady auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis das ehemalige Taxi sich hinauf zur Straße bewegte. Sobald die Reifen wieder festen Asphalt spürten, schaltete Parker hoch und verließ die Unglücksstelle. Es kam ihm darauf, an, die Frau so schnell wie möglich zu einem Arzt zu schaffen. Äußerliche Verletzung gravierender Art hatte er zwar nicht feststellen können, doch die Frau konnte durchaus innere Verletzungen davongetragen haben.

»Was sage ich zu diesen beiden Schüssen, Mister Parker?« fragte Agatha Simpson.

»Mylady machen sich mit Sicherheit Gedanken.«

»Das will ich meinen, Mister Parker.« Ihre Stimme klang durchaus erfreut. »Man ist also wieder mal auf meinen Spuren und will mich umbringen. Ich bin für die Unterwelt einfach zu gefährlich geworden.«

»Die beiden Schüsse könnten auch der Verunfallten gegolten haben, Mylady.«

»Unsinn, Mister Parker«, gab die ältere Dame umgehend zurück, »Sie wollen mich wieder mal nur beruhigen. Warum sollte man auf die junge Frau geschossen haben?«

»Eine Frage, Mylady, die es zu klären gilt.«

»Befand sie sich etwa auf der Flucht, als sie mich überholte?«

»Eine Möglichkeit, die keineswegs auszuschließen ist, Mylady.«

»Auch dann werde ich mich einschalten, Mister Parker«, meinte sie streng, »ungestraft schießt man nicht auf eine Lady Simpson! Und noch weniger dulde ich es, daß man eine Frau dazu bringt, mich derart sträflich zu überholen. Sie dürften mir bei Gelegenheit Vorschläge machen, wo ich den Hebel ansetzen könnte, ich lasse Ihnen da völlig freie Hand. Sie haben mein volles Vertrauen.«

*

Josuah Parker befand sich in der Eingangshalle des Hospitals und wartete auf das Ergebnis der Untersuchung. Er hatte die verunglückte Frau vor etwa zehn Minuten abgeliefert und Lady Simpson in ein Schwesternzimmer geleitet, wo sie mit einem Imbiß und Tee bewirtet wurde.

Natürlich hatte Parker die Schultertasche noch im Besitz und war gerade dabei, deren Inhalt zu sichten. Sie enthielt tatsächlich die üblichen Fahrzeugpapiere, den Führerschein und einige Fotos, die er in einem Briefumschlag entdeckte.

Und diese Fotos hatten es in sich ...

Sie zeigten eine Frau, deren Kleidung mehr als spärlich war. Sie lag auf einer breiten Bettcouch, war nicht gerade allein und trank aus einem Sektglas. Es handelte sich um insgesamt sechs Fotos, die gestochen scharf waren und stets ein anderes, aber ähnliches Motiv darstellten. Parker hatte sofort den Eindruck, daß die Bilder heimlich aufgenommen wurden. Er prägte sich das Interieur des Zimmers genau ein, um es jederzeit wieder aus seinem Gedächtnis abrufen zu können.

Die Papiere aus der Umhängetasche lauteten auf den Namen Hazel Swinton, wohnhaft in London, im Stadtteil Pimlico. Sie war fünfunddreißig Jahre alt und unverheiratet.

Parker, der sich in Gedanken noch mal mit den Fotos befaßte, wurde abgelenkt. Die Tür zur Vorhalle des Hospitals wurde aufgedrückt. Ein untersetzter Mann, der zu Jeans einen Parka trug, trat ein und gab sich sehr selbstsicher. Er steuerte auf die Glasloge zu, in der eine Schwester Nachtdienst machte. Wonach dieser Mann fragte, konnte Josuah Parker zwar nicht verstehen, doch er wußte sofort, daß der Mann wegen der verunglückten Autofahrerin gekommen war.

Der Mann, er mochte dreißig sein, schien sich übrigens auch nach ihm, Josuah Parker, erkundigt zu haben. Der Untersetzte wandte sich um, entdeckte Parker und steuerte sofort auf ihn zu. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Butler bereits die Umhängetasche in einen nahen Papierkorb geschoben und mit einer alten Zeitung abgedeckt, die er von einem Glastisch genommen hatte.

»Haben Sie die Autofahrerin ins Hospital gebracht?« fragte der Mann barsch. Er hatte ein oval geschnittenes Gesicht, einen schmalen Mund und harte Augen.

»Sie nehmen Interesse an dem bedauerlichen Vorfall?« stellte Parker in seiner höflichen Art die Gegenfrage.

»Ich bin ein Verwandter«, kam es glatt über die Lippen des Untersetzten. »Sie sollen die Tasche meiner Schwester gefunden haben?«

»Dies entspricht durchaus den Tatsachen«, erwiderte Parker, »sie wurde von meiner Wenigkeit dort drüben im Warteraum abgelegt.«

»Meine Wenigkeit?« Der Untersetzte grinste spöttisch. »Wie reden denn Sie, Mann?«

»Ich habe die Ehre und den unbestreitbaren Vorzug, der Butler Lady Simpson sein zu dürfen«, erklärte Josuah Parker gemessen, »meine Ausdrucksweise entspricht meiner Stellung, wenn ich mal so sagen darf.«

»Ihr Bier«, gab der Untersetzte zurück und setzte sich in Bewegung, »da die Tür?«

»Falls es genehm ist, könnte man Sie begleiten.«

»Das schaff ich schon allein.«

»Sie möchten nicht in Erfahrung bringen, was Ihre bedauernswerte Frau Schwester noch vor Ihrer Untersuchung zu sagen beliebte?«

»Natürlich muß ich das wissen. Ich glaube, sie ist von der Straße weggedrückt worden. Okay, kommen Sie mit, Mann!«

Der Untersetzte hatte den Köder willig angenommen.

Butler Parker erhob sich und schritt gemessen voraus. Als er die bezeichnete Tür erreichte, trat er zur Seite, öffnete dabei aber die Tür. Der Mann ging auf diese Höflichkeit ein und betrat den Raum hinter der Tür. Erst dann merkte er, daß er von Josuah Parker in einen Waschraum dirigiert worden war.

Der Mann drehte sich wütend um – und wollte etwas sagen, doch Parker ließ ihm aus guten Gründen keine Zeit dazu. Mit dem Bambusgriff seines Universalregenschirms, der mit Blei gefüllt war, klopfte er fast beiläufig gegen die Stirn des Mannes, der daraufhin tief Luft holte und dann kommentarlos zu Boden ging.

Josuah Parker stieg über ihn hinweg, zog ihn tiefer in den Waschraum und leistete anschließend erste Hilfe.

*

»Darf man sich nach Ihrem werten Befinden erkundigen?« fragte der Butler eine halbe Stunde später. Er hatte seine Frage an Hazel Swinton gerichtet, die neben Lady Agatha im Fond des Wagens saß.

Sie hatte sich sichtlich erholt, doch sie verhielt sich sehr schweigsam. In ihr wirkte zudem noch der Unfallschock nach. Erfreulicherweise hatte sie außer einigen Kratz- und Schürfwunden keine Verletzungen davongetragen. Sie war nach dem Abkommen von der Straße aus dem Wagen geschleudert worden und so dem Tod durch die Flammen entkommen.

Aus guten Gründen hatte Parker darauf bestanden, sie in die Stadt zu bringen. Ihm war längst klar, daß man hinter ihr her war, aus Gründen, die er leider noch nicht kannte. In diesem Zusammenhang dachte er selbstverständlich an die Fotos, die er in ihrer Umhängetasche gefunden hatte. Diese Tasche lag zwischen seiner Herrin und Hazel Swinton auf dem Rücksitz. Bisher hatte Hazel Swinton noch keine Möglichkeit, den Inhalt dieser Tasche nachzukontrollieren. Sie hatte jedoch ihre Hand fest auf die Tasche gelegt, als müßte sie einen erheblichen Schatz bewahren.

»Was ist, Kindchen?« schaltete die ältere Dame sich ein, als Hazel Swinton sich mit der Antwort auf Parkers Frage Zeit ließ.

»Ich glaube, ich bin wieder in Ordnung«, sagte sie und riß sich zusammen. »Doch, mir geht es wieder gut.«

»Darf man sich höflichst nach Ihrer Adresse erkundigen?« stellte Parker die nächste Frage. Er tat so, als wüßte er von nichts.

»Sie können mich an der Victoria Station absetzen«, gab sie zurück, »ich habe es dann nicht mehr so weit.«

»Natürlich bringen wir Sie nach Hause, meine Liebe«, widersprach Agatha Simpson nachdrücklich, »das gehört sich einfach so. Ich möchte nicht, daß Ihnen noch in letzter Sekunde etwas zustößt.«

»Okay.« Sie atmete tief durch. »Ich wohne am Bridge Place.«

Das entsprach keineswegs der Wahrheit, doch Parker ging aus guten Gründen darauf nicht ein.

»Bridge Place«, wiederholte er höflich, »Sie haben Angehörige, Madam, die sich um Sie kümmern werden?«

»Ich wohne bei meiner Mutter«, schwindelte sie weiter. Sie lehnte sich erschöpft zurück und schloß die Augen. Sie wollte damit andeuten, daß sie nicht die Kraft hatte, weitere Fragen zu beantworten.

»Sie sollten, wenn meine Wenigkeit darauf aufmerksam machen darf, sich an die Polizei wenden, Madam«, erinnerte Parker dennoch, »man wird inzwischen bereits Ermittlungen wegen Ihres ausgebrannten Wagens anstellen.«

»Das werde ich tun«, versprach sie mit müder Stimme.

»Und Sie sollten morgen vor allen Dingen nicht zum Dienst gehen«, schaltete Lady Agatha sich ein.

»Ich werde mir frei nehmen.«

»Sie arbeiten wo, meine Liebe?« Mylady ließ nicht locker. Sie war längst neugierig geworden.

»Ich bin Sekretärin in ... in einer Weinhandlung«, schwindelte Hazel Swinton weiter, »ich bleibe morgen zu Hause, wirklich, machen Sie sich keine Sorgen.«

Sie arbeitete keineswegs in einer Weinhandlung, wie Parker längst herausgefunden hatte. In ihrer Schultertasche hatte der Butler eine Plastikkarte entdeckt, die eine Art Dienstausweis darstellte und einen Magnetstreifen enthielt. Laut dieser Plastikkarte arbeitete Hazel Swinton in einem technischen Institut, das Parkers Erinnerung nach der Regierung unterstand.

Während seiner Fragen schaute der Butler wiederholt in den Rückspiegel seines hochbeinigen Monstrums. Er dachte an den Untersetzten, der sich zwar noch im Waschraum des Hospitals befinden mußte, der aber wohl kaum allein unterwegs gewesen war. Wurden sie also verfolgt? War mit weiteren Schüssen zu rechnen?

Butler Parker hielt vor einer Telefonzelle, stieg aus und wählte die Nummer eines gewissen Horace Pickett.

Parker setzte diesen Horace Pickett ins Bild und bat ihn, sich doch intensiv und diskret zugleich um Hazel Swinton zu kümmern. Nachdem man einige Einzelheiten geklärt hatte, ging Parker zurück zu seinem hochbeinigen Monstrum und setzte die Fahrt fort. Man hatte inzwischen schon die Themse überquert und näherte sich den Kernbezirken von London.

Als man die Bridge Street in der Nähe von Victoria Station erreichte, hielt Parker vor dem Haus, in dem Hazel Swinton angeblich wohnte. Sie bedankte sich noch mal und eilte dann zum Hauseingang.

»Sie hat natürlich nach Strich und Faden gelogen, nicht wahr?« fragte Agatha Simpson hoffnungsfroh.

»Dem kann nicht widersprochen werden, Mylady«, lautete Parkers Antwort, »Miß Hazel Swinton wohnt eindeutig in Pimlico, und zwar am Churton Place.«

»Das ist nun der Dank dafür, daß ich ihr das Leben gerettet habe«, meinte die passionierte Detektivin, »aber ich werde mal nicht nachtragend sein, Mr. Parker. Erfreulicherweise habe ich ja ein ausgeglichenes Temperament.«

»Das immer wieder neidvoll bewundert wird, Mylady.« Parkers glattes Gesicht zeigte keinen Ausdruck.

»Ob dieses dumme kleine Ding es nun will oder nicht, Mister Parker, ich werde diesen Fall weiterverfolgen«, erklärte Lady Agatha mit Nachdruck. »Wer es wagt, auf eine Lady Simpson zu schießen, muß mit großem Arger rechnen.«

»Hoffentlich störe ich nicht«, schickte Chief-Superintendent McWarden voraus, als er den kleinen Saloon von Lady Simpsons Haus im Shepherd’s Market betrat. McWarden war etwa fünfundfünfzig, untersetzt und bullig. Da zu seiner Statur noch leichte Basedowaugen hinzukamen, sah er aus wie eine stets gereizte Bulldogge.

Der Chief-Superintendent leitete im Yard ein Sonderdezernat, das sich mit der Bekämpfung von organisiertem Bandenverbrechen befaßte. McWarden war ein oft gesehener Gast im Haus der älteren Dame und suchte vor allen Dingen die Mithilfe Butler Parkers.

»Ich werde auf Ihre Frage nicht näher eingehen, mein lieber McWarden«, meinte Lady Agatha, die am Frühstückstisch saß. »Ob Sie es glauben oder nicht, ich habe bereits ein Gedeck für Sie auflegen lassen.«

Ein schneller Seitenblick sagte McWarden, daß die Hausherrin tatsächlich die Wahrheit gesagt hatte. Schon allein diese Tatsache reichte aus, ihn ein wenig aus der Fassung zu bringen. Einladungen dieser Art kannte er so gut wie gar nicht. Zögernd nahm er Platz, nachdem die ältere Dame eine entsprechende Handbewegung gemacht hatte.

»Sie haben natürlich wieder mal Sorgen, mein lieber McWarden«, konstatierte Lady Agatha, während Parker Kaffee reichte.

»Die üblichen, Mylady, die üblichen«, behauptete der Chief-Superintendent. »Man versucht immer wieder, mir zusätzliche Fälle aufzuhalsen.«

»Die Sie doch mit linker Hand lösen«, meinte Agatha Simpson genußvoll, »oder sollte ich mich da getäuscht haben?«

»Im Augenblick beschäftigt uns eine Verkehrssache«, redete McWarden weiter, »in der vergangenen Nacht kam ein Ford von der Straße ab und brannte völlig aus.«

»Was soll daran denn so schrecklich aufregend sein?« wollte Lady Agatha wissen.

»Bei diesem Unfall wurde eine Frau aus dem Wagen geschleudert und von hilfsbereiten Menschen ins nächste Hospital geschafft«, berichtete der Chief-Superintendent weiter.

»War da nicht so etwas, Mister Parker?« Agatha Simpson wandte sich ihrem Butler zu und runzelte nachdenklich die Stirn.

»Mylady konnten der Verunfallten erste Hilfe leisten«, sagte Josuah Parker gemessen. »Mylady veranlaßten die Verbringung der verunglückten Dame in ein Hospital.«

»Richtig.« Sie nickte nachdrücklich. »Mir war das doch schon wieder entfallen. Sie wollen mich für die Rettungsmedaille vorschlagen, mein lieber McWarden?«

»Nicht unbedingt, Mylady«, entgegnete der Chief-Superintendent, »wir würden gern erfahren, wo wir uns mit dieser Dame unterhalten können.«

»Wenden Sie sich an Mister Parker«, sagte Lady Agatha, »mit solchen Bagatellen befasse ich mich grundsätzlich nicht.«

»Wie Sie sicher längst wissen, handelt es sich um eine gewisse Hazel Swinton aus Pimlico«, schickte McWarden voraus, »wir haben das anhand eines Kennzeichens festgestellt. Es war vor dem Brand vorn von der Stoßstange abgerissen worden und lag am Straßenrand.«

»Demnach ist Ihnen die Adresse der erwähnten Person bekannt, Sir?« fragte der Butler.

»Natürlich, Mister Parker, aber unter dieser Adresse konnten wir Miß Swinton nicht erreichen. Haben Sie sie dort abgesetzt?«

»Keineswegs und mitnichten, Sir«, lautete Parkers Antwort, »Miß Swinton wollte in der Nähe von Victoria Station abgesetzt werden, ein Wunsch, dem Mylady nachkam.«

»So war es, mein bester McWarden«, fügte die ältere Dame wohlwollend hinzu, »habe ich damit etwa einen Fehler begangen.«

»Sie stieg vor dem Bahnhof aus?« bohrte McWarden weiter.

»So kann man durchaus sagen, Sir«, erklärte Parker, »meine bescheidene Wenigkeit war so frei, Miß Hazel Swinton darauf hinzuweisen, daß es sinnvoll wäre, sich mit der Polizei in Verbindung zu setzen.«

»Das hat sie aber bisher noch nicht getan«, meinte der Chief-Superintendent. »Naja, vielleicht tut sie es noch.«

»Ist es erlaubt, Sir, eine Frage zu stellen?« machte Parker sich bemerkbar.

»Sie wundern sich über mein Interesse, nicht wahr?« McWarden lächelte flüchtig.

»Ist Miß Swinton eine Person, die unter polizeilicher Überwachung steht?«

»Nein, das nicht«, gab McWarden zurück, »aber wir fanden im ausgebrannten Wrack genau drei Einschußlöcher.«

»Drei, mein lieber McWarden?« wunderte sich Lady Simpson umgehend.

»Drei«, wiederholte der Chief-Superintendent, »aber schon allein ein einziger Einschuß hätte uns alarmiert.«

»Sollte ich denn da wieder mal per Zufall auf einen Kriminalfall gestoßen sein?« wunderte sich die Detektivin.

»Miß Swinton hält sich nicht zufällig hier im Haus auf?« fragte der Chief-Superintendent.

»Wo denken Sie hin, mein lieber McWarden«, empörte sich Lady Agatha prompt und warf ihm einen flammenden Blick zu, »Ihnen gegenüber habe ich noch immer mit offenen Karten gespielt, oder?«

»Fast immer«, schränkte McWarden ein und erhob sich, »vielen Dank übrigens für den Kaffee. Sollte Miß Swinton sich bei Ihnen melden, sagen Sie ihr bitte, daß wir uns gern mal mit ihr unterhalten würden.«

»Weiß man inzwischen, Sir, wer Miß Swinton ist?« erkundigte sich der Butler, als er den Chief-Superintendent in die große Wohnhalle des Hauses geleitete.

»Eine Sekretärin, soviel ich weiß, Mister Parker.« McWarden wurde ausgesprochen mundfaul.

»Könnte man erfahren, Sir, wo Miß Swinton zur Zeit arbeitet?«

»In irgendeinem Institut oder so«, lautete die vage Antwort, »meine Leute werden das noch klären. Sagen Sie, Mister Parker, warum haben Sie die Swinton nach London mitgenommen?«

»Miß Swinton bat darum, Sir. Es handelte sich dabei also um einen Wunsch, dem man leicht nachkommen konnte.«

»Ich wette, Sie haben ihr während der Fahrt einige Fragen gestellt.«

»Sie hätten solch eine Wette gewonnen, Sir«, schickte der Butler höflich voraus. »Meine Wenigkeit bombardierte Miß Swinton förmlich mit Fragen, doch die junge Dame schien noch unter dem Schock des Unfalls zu stehen. Die Antworten auf meine bescheidenen Fragen fielen daher mehr als spärlich aus.«

»Wurden Sie während der Fahrt nach London eigentlich verfolgt?«

»Keineswegs und mitnichten, Sir. Die Fahrt verlief ohne jeden Zwischenfall.«

»Das war’s bereits, Mister Parker.« McWarden hatte den verglasten Vorflur der Wohnhalle erreicht und nickte langsam. »Unter uns, Mister Parker, sie ist wohl nicht die erste Sekretärin, nach der wir momentan suchen.«

»Sie setzen meine Wenigkeit in erhebliches Erstaunen, Sir.«

»Zwei weitere Frauen sind spurlos verschwunden, Sekretärinnen, die ein völlig normales Leben lebten.«

»Und in welchen Dienststellen tätig waren, Sir?«

»Vorerst keine weiteren Angaben, Mister Parker«, erwiderte McWarden und dämpfte unwillkürlich die Stimme, »eigentlich habe ich bereits schon zuviel gesagt.«

*

Das Telefon meldete sich genau in dem Moment, als Lady Agatha im Korridor des Obergeschosses verschwunden war. Sie befand sich auf dem Weg in ihre privaten Räume, um sich für eine Ausfahrt umzukleiden. Parker, der abhob, nannte seinen Namen.

»Hier spricht Hazel Swinton«, meldete sich die junge Frau, die dem brennenden Ford entronnen war, »ich möchte mich unbedingt noch mal bedanken, Mister Parker.«

»Demnach haben Sie die Visitenkarte meiner Wenigkeit in Ihrer Schultertasche entdeckt, Miß Swinton?« fragte Parker höflich.

»Und Sie kennen diese scheußlichen Fotos, nicht wahr?«

»Sie waren zu meinem tiefsten Bedauern nicht zu übersehen«, antwortete Josuah Parker.

»Wegen dieser Fotos möchte ich unbedingt mit Ihnen reden, Mister Parker, aber allein.«

»Wann und wo, Miß Swinton, wünschen Sie mich zu sehen?«

»Könnten Sie vielleicht zu mir kommen, Mister Parker? Aus bestimmten Gründen traue ich mich nicht auf die Straße.«

»Meine Wenigkeit findet Sie nach wie vor am Bridge Place, Miß Swinton?« erkundigte sich Parker in seiner höflichen Art.

»Natürlich nicht, Mister Parker«, korrigierte sie sofort, »in der vergangenen Nacht habe ich Ihnen etwas vorgespielt. Sie wissen ja bestimmt längst, daß ich tatsächlich in Pimlico, Churton Place, wohne.«

»Dies entspricht in der Tat meinem momentanen Wissensstand«, entgegnete der Butler. »Rechnen Sie mit meinem schnellen Erscheinen.«

Er legte auf, bevor Hazel Swinton noch etwas sagen konnte und fragte sich, ob es ratsam wäre, Lady Simpson einzuweihen. Selbstverständlich war mit einer Falle zu rechnen. Wahrscheinlich hatte Hazel Swinton nicht aus eigenem Antrieb angerufen.

Die Hausherrin erschien. Majestätisch bewegte sie ihre imposante Fülle über die geschwungene Treppe hinunter in die große Wohnhalle des altehrwürdigen Fachwerkhauses. Sie hatte sich eines ihrer zu weiten Tweed-Kostüme angezogen und war damit beschäftigt, zwei lange Hutnadeln durch ihr weißgraues Haar zu treiben. Diese Nadeln, die kleinen Bratspießen ähnelten, hielten ein Gebilde fest, das sehenswert war. Myladys Hut erinnerte an einen Napfkuchen, der mit einem Südwester gekreuzt worden war.

»Nun, Mister Parker, was haben Sie mir an diesem Vormittag anzubieten?« fragte sie mit ihrer sonoren Stimme, die kleine Säle mühelos füllte.

»Könnten Mylady eventuell einiges Interesse für Miß Swinton aufbringen?« fragte Parker.

»Wer ist Miß Swinton?« dröhnte ihre Stimme dem Butler munter entgegen. Lady Agatha konnte sich keine Namen merken.

»Meine Wenigkeit erlaubt sich, Mylady auf die junge Dame hinzuweisen, die Mylady aus dem brennenden Auto barg«, erläuterte Parker und verschönte absichtlich ein wenig die Tatsachen.

»Richtig, richtig«, sagte sie wohlwollend, »ohne mich wäre das kleine Ding ja mit Sicherheit verbrannt. Natürlich will ich mich mit dieser Frau unterhalten. McWarden ist ja nicht ohne Grund hinter ihr her.«

Butler Parker informierte seine Herrin über das Telefongespräch.

»Eine Falle, Mister Parker?« fragte sie erfreut zurück, nachdem der Butler darauf besonders hingewiesen hatte, »das hört sich aber doch sehr gut an. Ich denke, ich werde wieder mal ein Exempel statuieren müssen, Mister Parker.«

»Mylady werden überzeugend sein«, stellte der Butler im vorhinein fest, »aber vielleicht sollte man vorher noch Miß Porter und Mister Rander entsprechend informieren.«

»Tun Sie das, Mister Parker.« Sie nickte huldvoll. »Die guten Kinder wissen bereits Bescheid, worum es geht?«

»Meine Wenigkeit war so frei, Mylady, Miß Porter und Mister Rander noch vor dem Frühstück ins Bild zu setzen.«

»Ich glaube, Mister Parker, ich bin sehr mit Ihnen zufrieden«, verkündete sie und prüfte den Inhalt ihres perlenbestickten Pompadours. Sie vergewisserte sich, daß der sogenannte Glücksbringer sich im Handbeutel befand. Dabei handelte es sich um ein großes Pferdehufeisen, das nur oberflächlich in Schaumstoff eingewickelt war.

Butler Parker stand bereits am Telefon und sprach mit Mike Rander.

»Es empfiehlt sich vielleicht, Sir, Mylady zu folgen«, sagte er, nachdem er kurz von der Absicht gesprochen hatte, Hazel Swinton aufzusuchen. »Es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, daß man versuchen wird, Mylady bereits während der Fahrt zu attackieren.«

»Wann fahren Sie los, Parker?« wollte der Anwalt wissen.

»Würden Ihnen fünf Minuten reichen, Sir?«

»Das geht in Ordnung, Parker, kommen Sie an meiner Kanzlei vorbei, dann fädeln wir uns ein.«

»Ich werde bald wissen, wer da draußen auf dem Land auf mich geschossen hat«, meinte die ältere Dame, als Parker vom Telefon zurückkehrte. »Im Grund ist dieser Fall für mich bereits geklärt. Die wenigen unwichtigen Details überlasse ich Ihnen, Mister Parker.«

Der Butler deutete nur eine knappe Verbeugung an. In seinem glatten Gesicht rührte sich auch jetzt kein Muskel.

*

Für einen Augenblick entdeckte Parker im Rückspiegel seines hochbeinigen Monstrums den kleinen Mini-Cooper Kathy Porters. Der Butler hatte die Kanzlei des Anwalts in der Curzon Street passiert und damit das Signal gegeben, Mylady und ihm zu folgen.

Mike Rander, seines Zeichens Anwalt, war nach seiner Rückkehr aus den Staaten von Lady Simpson förmlich vereinnahmt worden. Neben seiner eigentlichen Tätigkeit als Anwalt verwaltete er das immense Vermögen der älteren Dame und wurde dabei von Kathy Porter unterstützt, die die Sekretärin und Gesellschafterin der Lady Agatha war.

Lady Simpson träumte davon, Mike Rander und Kathy Porter miteinander zu verheiraten. Sie tat alles, um dies zu fördern und sorgte dafür, daß die Kinder, wie sie sich gern ausdrückte, möglichst oft zusammen waren.

»Werde ich endlich verfolgt?« fragte sie leicht gereizt nach vorn.

»Momentan läßt sich in dieser Hinsicht nichts Konkretes vermelden, Mylady«, gab der Butler höflich zurück.

»Was denken die Gangster sich eigentlich?« entrüstete sie sich weiter. »Sind Sie sich sicher, Mister Parker, daß Sie auch nichts übersehen?«

»Meine Wenigkeit kann natürlich durchaus einem Irrtum unterliegen«, räumte der Butler ein.

»Wie ist es denn mit diesem Motorradfahrer?« wollte sie wissen und deutete auf einen jungen Mann in roter Lederkleidung, der auf einer japanischen Maschine saß und gerade überholte.

»Es könnte sich selbstverständlich um einen potentiellen Gegner Myladys handeln«, erwiderte Parker geduldig und höflich, während der Motorradfahrer bereits vorbeizog und im Verkehrsgewühl verschwand.

»Wahrscheinlich hat dieses Subjekt sich nicht getraut«, meinte Agatha Simpson verächtlich. »Nun, ich werde wachsam bleiben.«

Sie blieb es in der Tat. Trotzdem ereignete sich nichts während der Fahrt hinunter nach Pimlico. Lange dauerte diese Fahrt nicht. Parker näherte sich bereits dem Churton Place, bog in die entsprechende Straße ein und minderte die Fahrt.

Der Mini-Cooper mit Kathy Porter und Mike Rander war längst verschwunden. Auf Umwegen näherten sich die »lieben Kinder« der entgegengesetzten Straßeneinfahrt, um möglichst unerkannt zu bleiben. Als der Mini-Cooper dann weit unten auf der Straße erschien, steuerte der Butler sein hochbeiniges Monstrum an das Haus heran, in dem laut Nummer Hazel Swinton auf ihn wartete.

Es handelte sich um einen ansehnlichen Backsteinbau mit vier Etagen. Dieser ehemalige hochherrschaftliche Sitz war in Apartment-Wohnungen aufgeteilt worden, die durchweg teuer sein mußten. Die Lage war außerordentlich gut und galt als feine Adresse.

»Wie kann eine Sekretärin sich hier eine Apartment-Wohnung leisten?« fragte die ältere Dame erstaunt.

»Möglicherweise sind die Einkünfte entsprechend«, erwiderte der Butler und hielt. Der Weg vom Straßenrand bis hinüber zum Eingang wurde von einem Baldachin überspannt. Und in der geöffneten Tür machte Parker Hazel Swinton aus, die einen Hosenanzug trug.

Parker entdeckte aber auch einen älteren Herrn, der einen kleinen Cairn-Terrier ausführte und gerade den Baldachin kreuzte. Dieser ältere Herr trug einen einfachen Staubmantel und einen Traveller-Hut. Er hielt eine Zeitung unter dem linken Arm, die zu Boden glitt. Der ältere Herr bückte sich, nahm die Zeitung hoch und klemmte sie sich recht umständlich wieder unter den linken Arm. Dabei wandte er sich ein wenig um und richtete es so ein, daß die vorstehende Zeitung unter dem Arm in eine ganz bestimmte Richtung wies.

Damit wußte Josuah Parker Bescheid.

Er richtete seine Aufmerksamkeit auf die andere Straßenseite und entdeckte dort neben einem parkenden Wagen einen Mann, der Handschuhe trug und damit beschäftigt war, eine Golfschlägertasche in einen japanischen Kleinwagen zu schieben.

Am Steuer dieses Wagens saß ein Mann mit Sonnenbrille.

»Darf man Mylady noch um einen Moment Geduld bitten?« fragte Parker, der bereits in die Innentasche seines schwarzen Zweireihers griff und eine Gabelschleuder hervorzog, die aus schwarz lackiertem Stahl bestand. Aus einer der vielen Westentaschen holte der Butler anschließend eine mehrfach durchlöcherte Plastikkapsel. Er legte dieses seltsame Geschoß in die Lederschlaufe, die mit beiden Gummisträngen verbunden war, zog sie straff durch – und ließ die Kapsel hinüber in den japanischen Kleinwagen zischen.

Hier angekommen, zerplatzte die Glasampulle in der Plastikkapsel und gab eine wasserklare Flüssigkeit frei, die sich sofort mit dem Sauerstoff der Luft zu einem flüchtigen Gas verband.

Das Resultat war frappierend.

Hustend und gestikulierend sprang der Fahrer aus dem Kleinwagen und riß sich die Sonnenbrille vom Gesicht. Parker entdeckte dahinter ein ihm nicht unbekanntes Gesicht. Er hatte es genau mit jenem Untersetzten zu tun, den er im Waschraum des Hospitals dazu überredet hatte, sich auf den gekachelten Boden zu legen.

Der Mann mit der Golftasche wurde kaum weniger irritiert.

Er warf sie weg und rannte hinter seinem Fahrer her, der in einer Seitengasse verschwand. Nur sein Husten war noch laut und deutlich zu vernehmen.

»Was ist denn, Mister Parker?« fragte Lady Agatha, die kaum etwas von diesem Zwischenfall mitbekommen hatte, der sich innerhalb weniger Sekunden ereignete.

»Aus gegebenem Anlaß sah meine Wenigkeit sich gezwungen, Mylady, zwei Gangster dazu zu bringen, das sogenannte Weite zu suchen«, antwortete Josuah Parker höflich und ließ die Gabelschleuder wieder in der Innentasche seines Zweireihers verschwinden.

»Zwei Gangster?« Sie schüttelte den Kopf. »Haben Sie sich da auch nicht getäuscht, Mister Parker?«

»Mister Pickett war so freundlich, entsprechende Hinweise zu geben«, redete der Butler weiter und deutete auf den älteren Herrn, der mit seinem Cairn-Terrier geduldig neben einer Straßenlaterne stand.

»Pickett?« fragte sie überrascht. »Das soll Mister Pickett sein?«

»Er machte ein wenig Maske, Mylady«, erklärte der Butler, »woher er allerdings den Terrier hat, entzieht sich der Kenntnis meiner Wenigkeit.«

»Und wo ist nun mein Schützling?« wollte die Detektivin wissen und blickte wieder zum Eingang des Apartmenthauses hinüber.

»Miß Hazel Swinton scheint die Geduld verloren zu haben, Mylady«, lautete Parkers Antwort, »oder aber man hat sie gezwungen, sich ins Haus zurückzuziehen.«

»Ich werde dem umgehend auf den Grund gehen«, versprach die ältere Dame energisch, »Sie dürfen mich begleiten, Mr. Parker, ich möchte Ihnen wieder mal eine Freude machen.«

*

Sie stand neben dem Fahrstuhl und blickte Parker und Lady Simpson unsicher an. Der Butler erkannte sofort, daß sie unter starkem seelischen Druck stand.

»Nur keine Angst, meine Liebe«, dröhnte Lady Agathas Stimme, die die Vorhalle füllte, »ich bin bei Ihnen, es wird Ihnen nichts passieren.«

»Können wir zu mir ins Apartment fahren?« bat sie leise.

»Und wo wäre das, Miß Swinton?« fragte Parker.

»In der zweiten Etage«, gab sie zurück. »Sind Sie verfolgt worden, Sir?«

»Selbst wenn, Kindchen«, schaltete Lady Simpson sich sofort ein, »das würde keine Rolle spielen. Vertrauen Sie sich mir an.«

Hazel Swinton betrat den Fahrstuhl, Lady Agatha und Parker folgten. Der Butler drückte den Zielknopf und blickte dann Hazel Swinton gelassen an. Sie wich seinem Blick aus und wurde noch nervöser.

»Wer wartet in Ihrem Apartment darauf, Mylady und meine Wenigkeit in Empfang nehmen zu können?« fragte der Butler dann.

Sie öffnete weit die Augen und geriet in Panik.

»Handelt es sich um mehrere Personen?« fügte der Butler hinzu.

»Um zwei Männer«, räumte sie ein.

»Die in Ihrem Apartment warten? Oder sollten die Herren sich bereits in der Nähe des Fahrstuhls aufgebaut haben?«

»Sie sind im Apartment«, gab sie leise zurück. »Bitte, verstehen Sie mich, ich muß einfach mitspielen, sonst...«

»Sie werden erpreßt, Miß Swinton?«

»Sie haben mich völlig in der Hand«, gestand sie, »und ich weiß nicht, was ich tun soll.«

»Man sollte sich ausgiebig unterhalten, Miß Swinton, sobald einige kleine Hindernisse aus dem Weg geräumt sind«, schlug Parker vor. Der Fahrstuhl hatte inzwischen sein Ziel erreicht. In der Mechanik der Tür war leises Fauchen und Rumpeln zu vernehmen. Die Tür wollte sich öffnen.

Parker aber war vorsichtig.

Er hatte bereits den Knopf für die nächste Etage gedrückt und veranlaßte die Tür dadurch, sich wieder fest zu schließen. Eine Sekunde später setzte der Fahrstuhl sich erneut in Bewegung und fuhr weiter. In der dritten Etage angekommen, stieg Parker aus dem Fahrstuhl, ohne sich weiter um die beiden Frauen zu kümmern. Er ging zum Treppenhaus und blickte hinunter.

Seine Vorsicht hatte sich bereits ausgezahlt.

Er entdeckte einen jungen Mann in Jeans und Lederweste, der sich beeilte, in die dritte Etage zu kommen. Er zog sich am Treppengeländer zusätzlich hoch, um schneller zu werden. Eine Automatik in seiner linken Hand war mit einem überlangen, modernen Schalldämpfer versehen.

Butler Parker machte kurzen Prozeß.

Er benutzte seinen altväterlich gebundenen Regenschirm als eine Art Speer. Mit dem bleigefüllten Bambusgriff voran warf er das Regendach gezielt nach unten und hatte Erfolg. Der Bambusgriff traf die Stirn des Mannes, der gerade hochblickte und die Waffe in Anschlag bringen wollte.

Natürlich nahm er Abstand von seinem Plan, auf den Butler zu schießen. Der junge Mann ließ die Schußwaffe fallen, warf beide Arme hoch in die Luft und absolvierte anschließend einen leicht mißglückten Salto rückwärts. Dann rollte er sich weiter ab und blieb auf dem Treppenabsatz liegen.

»Habe ich alles unter Kontrolle, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Simpson. Die ältere Dame tauchte mit Hazel Swinton neben dem Butler auf.

»Mylady beherrschen wieder mal die Situation«, gab Parker höflich zurück.

»Ich wußte gleich, daß man mich eine Etage tiefer abfangen wollte.«

»Myladys Weitsicht gilt als einmalig.«

»Ich weiß, ich weiß, Mister Parker.« Sie nickte ihm wohlwollend zu. »Denken Sie übrigens daran, daß ich dieses Subjekt da unten gleich verhören will.«

Parker war ebenfalls daran interessiert, dem jungen Mann einige Fragen zu stellen, doch er hütete sich, einfach die Treppe hinunterzusteigen.

Hazel Swinton hatte schließlich von zwei Männern gesprochen. Einer von ihnen konnte durchaus im Treppenhaus stehen und darauf warten, einen Schuß abzufeuern.

Inzwischen rührte sich der junge Mann, richtete sich mühsam auf und verlor dabei das Gleichgewicht. Er rutschte über die Kante des Treppenabsatzes ab und kollerte über die Stufen weiter nach unten. Damit verschwand er aus Parkers Sicht.

»Ein deutlicher Wink des Schicksals, Mylady«, meinte Josuah Parker. »Damit dürften die sprichwörtlichen Würfel erst mal gefallen sein.«

»Nun gut«, sagte die Detektivin grimmig, »mir wäre dieses Subjekt natürlich nicht entwischt, Mister Parker, aber ich werde das nicht weiter vertiefen.«

»Mylady sind wieder mal zu gütigst«, lautete Parkers Antwort. Er deutete eine knappe Verbeugung an und wandte sich dann an Hazel Swinton. »Würden Sie meine Ansicht teilen, daß es nicht mehr ratsam sein könnte, in diesem Haus zu verbleiben?«

»Aber wo soll ich denn hin?« gab sie verzweifelt zurück.

»Sie stehen längst unter meinem persönlichen Schutz, Kindchen«, meinte die ältere Dame wohlwollend, »durch Sie bin ich immerhin auf einen neuen Kriminalfall aufmerksam geworden. Mister Parker, wo könnte ich meinen Schützling unterbringen?«

»Denken Mylady zufälligerweise an Ihr Haus in Shepherd’s Market?«

»Richtig«, bestätigte sie, »und während der Fahrt werde ich Ihnen einige Fragen stellen.«

»Ließe es sich vorher noch einrichten, Miß Swinton, einen Blick in Ihr Apartment zu werfen?« fragte Josuah Parker.

»Sie zahlen dafür sicher eine schrecklich hohe Miete, Kindchen, wie?« fragte die ältere Dame ungeniert und rundheraus.

»Ich teile mir das Apartment mit einer Freundin«, informierte Hazel Swinton.

»Es wäre hilfreich, diesen Namen zu erfahren, Miß Swinton«, entgegnete der Butler.

»Meine Freundin heißt Sally Cameron, aber sie hat mit meinen Schwierigkeiten nichts zu tun.«

Parker wollte umgehend die nächste Frage stellen, doch in diesem Moment war im Treppenhaus das aufgeregte Bellen eines Hundes zu vernehmen. Parker dachte sofort an den älteren Herrn mit dem Cairn-Terrier.

»Man sollte das Haus jetzt vielleicht verlassen«, regte er höflich an, »eine akute Gefahr dürfte im Augenblick nicht gegeben sein.«

Parker öffnete die Tür des Fahrstuhls und ließ die beiden Frauen einsteigen. Nachdem auch er nachgekommen war, drückte er den entsprechenden Signalknopf. Als man unten in der Empfangshalle stand, entdeckte er den älteren Herrn vorn an der Tür.

Parker brachte die beiden Frauen in sein hochbeiniges Monstrum und begab sich zurück ins Haus. Ihm lag daran, sich im Apartment der Hazel Swinton umzusehen. Obwohl die Tür zu dem Apartment geschlossen war, brauchte er nur wenige Augenblicke, um sich Zutritt zu verschaffen. Sein kleines Patentbesteck wurde mit dem Sicherheitsschloß spielend leicht fertig.

Butler Parker 174 – Kriminalroman

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