Читать книгу Butler Parker 177 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 4

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Josuah Parker wirkte ein wenig gehemmt und schüchtern.

Vielleicht lag es an der Umgebung, in der er sich befand. Die Kneipe in der Nähe der West India Docks sah bedrückend schmutzig und verkommen aus. Es roch nach saurem, verschüttetem Bier, nach schlechtem Tabak und nach scharfem Schweiß. Die Dockarbeiter an der Theke waren laut. Sie bewegten sich mit einer hemdsärmeligen Rauheit, die auf den Butler schon peinlich wirkte, achteten kaum auf den korrekt gekleideten Mann, der sich beeilte, in einer halbdunklen Nische zu verschwinden.

Parker legte seinen Universal-Regenschirm ab, verstaute seine schwarze steife Melone und zog sich die schwarzen Zwirnhandschuhe aus. Seine Hände spielten nervös mit einer kleinen Ledertasche. Unnötig zu sagen, daß sie von schwarzer Farbe war.

Es dauerte lange Minuten, bis sich der Barkeeper dazu herabließ, vor Parker zu erscheinen. Brummig erkundigte er sich nach seinen Wünschen.

»Wenn es recht ist, hätte ich gern ein Glas Ale«, antwortete Josuah Parker höflich.

»Kostet hier am Tisch aber Bedienung«, meinte der Barkeeper. Er trocknete sich seine nassen Hände an der schmuddeligen Schürze ab.

»Natürlich, natürlich«, gab Parker höflich zurück. »Würden Sie mir übrigens über die Bedienung hinaus mit einem Rat zur Verfügung stehen? Selbstverständlich gegen Bezahlung.«

»Sie wissen, worauf es ankommt.« Der Barkeeper grinste. »Was haben Sie denn auf dem Herzen?«

»Ich weiß nicht recht, wie ich beginnen soll.« Parker seufzte elegisch auf und sah verschämt zu Boden. Der Barkeeper glaubte verstanden zu haben. Sein Grinsen wurde anzüglich.

»Wollen Sie ’ne Dame kennenlernen?« fragte er rundheraus.

»Aber nein, ganz gewiß nicht.« Parker schüttelte fast entrüstet den Kopf. »Ich fürchte, ich bin gründlich mißverstanden worden. Nein, es handelt sich um gewisse Geschäftsbedingungen. Mit anderen Worten, ich besitze eine Ware, die ich allein wohl kaum zu Geld machen kann.«

»Ach so, Sie wollen was verscheuern.« Der Barkeeper hatte endlich richtig verstanden. Er sah den Butler abschätzend und interessiert an. Dann glitten seine Augen auf die schwarze Ledermappe. »Was wollen Sie denn an den Mann bringen?«

»Darf ich offen zu Ihnen reden?«

»Versuchen Sie’s doch.«

»Es geht um Dinge, die vom Gesetz nicht zugelassen sind.«

»Machen Sie’s nicht so spannend.« Der Barkeeper grinste amüsiert. »Hier bei uns brauchen Sie nichts zu befürchten. Wir können den Mund halten.«

»Gestatten Sie, daß ich etwas aushole«, begann Parker. »Ich bin Butler, was meinen Beruf angeht. Bis vor zwei Tagen arbeitete ich für einen Chemiker. Wegen einiger Mißverständnisse mußte ich meinen Dienst quittieren.«

»Hat man Sie beim Klauen erwischt?« Der Barkeeper war für klare Feststellungen. Von vornehmen Umschreibungen hielt er nichts.

»Ich bin natürlich zu Unrecht verdächtigt worden«, meinte der Butler entrüstet. »Eine Durchsuchung meines Gepäcks verlief ergebnislos.«

»Dann waren Sie eben gerissen. Rücken Sie endlich mit der Sprache heraus, Mann. Was wollen Sie loswerden?«

»Ich deutete schon an, daß ich bei einem Chemiker arbeitete«, erklärte Josuah Parker würdevoll. »Da man mir den mir zustehenden Jahreslohn vorenthielt, sah ich mich gezwungen, mich anderweitig schadlos zu halten.«

»Mann, Sie gehen mir auf die Nerven. Sagen Sie schon, was Sie verscheuern wollen.«

»Methylester des Benzoinekgonins.«

»Wie bitte? Was is’ denn das?«

»Sie würden Kokain dazu sagen.«

»Koks?«

»So lautet tatsächlich der Vulgärausdruck.« Parker nickte und zog die schwarze Ledertasche unwillkürlich an sich. »Kennen Sie eine Adresse, die sich für meine, sagen wir Ware, interessieren könnte?«

»Mein lieber Mann!« Der Barkeeper grinste nicht mehr. Ja, er sah sich sogar unwillkürlich zur Theke um, als befürchte er, belauscht zu werden. »Warum handeln Sie nicht gleich mit ’ner Wasserstoffbombe?«

»Die war leider nicht zu bekommen«, erwiderte Parker ernsthaft. »Zudem befaßte sich mein Dienstherr nicht damit. Ich deutete wohl schon an, daß er Chemiker ist.«

»Wieso kommen Sie mit dem Koks ausgerechnet hierher?« Der Barkeeper war und blieb mißtrauisch. Er hatte seine Stimme zu einem Flüstern gedämpft.

»Das hier ist das vierte Lokal seiner Art, das ich besuche. Und zum ersten Mal begegne ich endlich einem Menschen, der mit dem Begriff Kokain etwas anzufangen weiß.«

»Sie sind mit dem Zeug hausieren gegangen?«

»Ich möchte es, unkompliziert ausgedrückt, zu Geld machen. Ich befinde mich in einer gewissen momentanen Verlegenheit.«

»Sie glauben, ich könnte Ihnen helfen?«

»Ich hoffe es. Sollten Sie einen Verkauf der Ware ermöglichen, werde ich mich selbstverständlich erkenntlich zeigen.«

»Was Sie da anbieten, ist verdammt heiß.« Der Barkeeper blieb vorsichtig. »Sagen Sie mal, welche Kneipen haben Sie denn bisher besucht?«

»Oh, ich verstehe.« Parker gestattete sich ein diskretes Schmunzeln. »Sie wollen nachforschen, ob ich die von mir genannten Lokale auch tatsächlich aufgesucht habe, nicht wahr?«

»Klar, ich lasse mich nicht gern aufs Glatteis führen.«

Parker hatte vollstes Verständnis für diese Vorsicht. Er nannte die Namen der vier betreffenden Lokale. Der Barkeeper schien sie alle zu kennen. Und er wollte den Dingen auf den Grund gehen.

»Ich werd’ Ihnen jetzt erst mal das Ale bringen«, sagte er. »Kann sein, daß ich einen Kunden für Sie herbeischaffen kann. Kann sein, ist aber noch längst nich sicher.«

»Nehmen Sie sich nur Zeit«, meinte Parker freundlich. »Ich deutete ja schon an, daß ich zur Zeit beschäftigungslos bin. Daher kann ich über meine Freizeit verfügen.«

»Noch etwas.« Der Barkeeper schien sich für dieses Geschäft inzwischen erwärmt zu haben. »Bei welchem Mann waren Sie beschäftigt? Und wie heißen Sie eigentlich?«

»Mein Name ist Parker, Josuah Parker. Und mein Dienstherr ist ein gewisser Dr. Basil Snyder.«

»Schön, und wann kommt er dahinter, daß Sie ihm das Kokain weggenommen haben?«

»Meiner Schätzung nach erst in vierzehn Tagen. Dr. Snyder ist zur Zeit in Frankreich. Er besucht dort einen wichtigen Kongreß.«

»Na schön, warten wir’s ab.« Der Barkeeper verließ die Nische und ging zurück zur Theke. Er beeilte sich, einige Biergläser zu füllen, servierte Parkers Ale und verschwand dann hinter einer Schiebetür.

Parker richtete sich auf eine längere Wartezeit ein. Er wußte nur zu gut, wie vorsichtig Rauschgiftgangster waren. Bevor sie sich mit ihm in Verbindung setzen würden, prüften sie bestimmt alle Angaben.

Der Butler gratulierte sich nachträglich zu seinen intensiven Vorbereitungen. Seine Angaben stimmten bis aufs Haar. Sie hielten allen Nachprüfungen stand. Nun kam es darauf an, daß er interessant genug erschien …

*

»Anruf für Sie.«

Der Barkeeper winkte den Butler zur Theke und deutete auf den Wandapparat. Er schien das Geschäft also schon eingefädelt zu haben. Josuah Parker erhob sich. Würdevoll schritt er durch die Kneipe und langte nach dem Telefonhörer. Er meldete sich mit seinem Namen.

»Sie haben Ware?« fragte eine kalte, unpersönliche Stimme.

»Mit wem habe ich die Ehre zu sprechen?«

»Lassen Sie die Mätzchen, Parker. Haben Sie Ware oder nicht?«

»Ich bin ganz gewiß nicht zu meinem Vergnügen hier.«

»Hoffentlich versuchen Sie keine faulen Tricks, Parker.«

»Sie werden beleidigend.«

»Na gut, ich bin an dem Zeug interessiert. Haben Sie eine Probe bei sich?«

»Eine Probe? Ich nahm mir die Freiheit, die gesamte Ware gleich mitzubringen. Ich möchte nicht in Raten verhandeln und verkaufen.«

»Wieviel Gramm?«

»Genau 580,6 Gramm. Aber nun möchte ich wissen, mit wem ich spreche.«

»Sagten Sie gerade 580 Gramm?«

»Nein, 580,6 Gramm.«

»Spalten Sie keine Haare, Parker. Ich werde das Zeug aufkaufen. Über den Preis werden wir uns schon einigen.«

»Ich will es sehr hoffen. Ich brauche Geld, um den Staub dieser Insel von meinen Schuhen schütteln zu können. Ich brauche das Geld umgehend.«

»In Ordnung, wir werden uns treffen. Sagen wir, in einer Stunde.«

»Und wo, wenn ich fragen darf?«

»Lassen Sie sich vom Barkeeper erklären, wo Sie das Lokal ›The Coin‹ finden können. Erwarten Sie mich dort!«

»Wie werde ich Sie erkennen?«

»Ich werde mich zu Ihnen an den Tisch setzen, Parker.«

»Wissen Sie denn, wie ich aussehe?«

»Natürlich. Ein Mann wie Sie fällt auf! Machen Sie sich sofort auf den Weg! Wir wollen keine Zeit verlieren, «

»Ich hoffe, Sie stellen mir keine Falle.«

»Dieses Risiko müssen Sie eingehen.«

»Sie auch, das ist nur zu natürlich.« Parker verzichtete auf ein weiteres Gespräch und legte auf. Er winkte den Barkeeper zu sich heran und ließ sich den Weg beschreiben.

»Das ist ’ne finster aussehende Gegend«, schloß der Barkeeper seinen eingehenden Vortrag. »Stören Sie sich nur nicht daran. Ihnen wird nichts passieren.«

»Ich will es sehr hoffen«, erwiderte Parker. »Sie ahnen nicht, wie nervös ich werde, falls man mir Unannehmlichkeiten bereitet.«

»Sie sehen ganz danach aus«, spottete der Barkeeper und lachte wie über einen guten Witz. Er hielt den Butler für einen ausgemachten Trottel und wußte, daß er übers Ohr gehauen werden sollte …

*

Der Butler hielt sich genau an die Beschreibung, die der Barkeeper ihm gegeben hatte. Er wußte längst, daß er sich in einer bösen und finsteren Gegend befand. Sein Weg führte ihn durch schmale Gassen, vorbei an schmutzigen Lagerschuppen und an einsamen Dockanlagen, wo es nach verfaultem Fisch, nach Salz und nach Brackwasser roch.

Parker hatte keine Angst. Er war sich seiner Fähigkeiten durchaus bewußt. Er hielt sich selbstverständlich nicht für einen Übermenschen. Dazu war seine Selbstkritik viel zu sehr ausgebildet. Er wußte aber, daß seine Trickkiste gut gefüllt war. Zu oft schon hatte er sich in der Vergangenheit mit ausgekochten und gerissenen Gangstern herumgeschlagen. Er kannte ihr Denken und Handeln. Er konnte sich auf ihre Methoden einstellen.

Ihm war klar, daß er ausgenommen werden sollte. Man hielt ihn für einen Gimpel, glaubte gewiß, leichtes Spiel mit ihm zu haben. Nun, Parker war gewillt, es auf einen Versuch ankommen zu lassen.

Nach knapp zehn Minuten war es soweit.

Er befand sich in einer schmalen Gasse, die von nackten Ziegelmauern einer Fabrik und eines Lager-Schuppens flankiert wurde. Die Straßenbeleuchtung war hier mehr als spärlich. Seine Schritte hallten wider. Es herrschte eine unheimliche und unheilschwangere Atmosphäre, wie sie in Kriminalfilmen bevorzugt wird. Gewalt und Verbrechen lagen in der Luft. Nebelschwaden, die von der Themse her kamen, unterstrichen diesen Eindruck …

Parker hatte die Hälfte der Gasse bereits hinter sich gebracht, als er Kontakt mit den Gangstern bekam.

Zwei stark angetrunkene Seeleute kamen ihm entgegen. Sie sangen schlecht und laut. Sie torkelten auf ihn zu, schienen ihn überhaupt nicht zu bemerken und blieben plötzlich stehen, um sich Zigaretten anzuzünden.

Parker sah sich als guterzogener Mensch gezwungen, ihnen sein Feuerzeug anzubieten. Er ging ihnen direkt entgegen. Höflich lüftete er seine steife schwarze Melone,

»Bedienen Sie sich«, sagte er freundlich. »Ich sehe, daß Sie mit den Streichhölzern nicht zurechtkommen.«

Einer der Seeleute beging den Fehler, nach dem Feuerzeug zu greifen. Er weitete seinen Fehler noch aus, indem er das Feuerzeug in Tätigkeit setzte und zur Zigarette hochhob.

Der Verschluß sprang auf. Der Funke zündete. Und er brachte im gleichen Augenblick damit ein kleines Gasgemisch zur Explosion. Es gab einen bösen Knall. Eine mittelprächtige Stichflamme schoß hoch und veranlaßte den Gangster, einen Schrei des Entsetzens auszustoßen.

Der zweite Seemann handelte augenblicklich. Er versuchte zu retten, was noch zu retten war. Er holte zu einem mächtigen Hieb aus. Er schlug auch gekonnt zu, doch sein Schwinger verpuffte in der Luft. Parker hatte es aus taktischen Gründen vorgezogen, zur Seite zu weichen.

Bevor der Schläger sich fassen und neu aufbauen konnte, verspürte er einen unangenehmen, harten Griff am Knöchel. Ein kurzer Ruck, dann verlor der Mann sein Gleichgewicht. Er stürzte zu Boden und blieb überrascht und leicht groggy auf dem nebelnassen Pflaster liegen.

Parker hakte den Griff seines Universal-Regenschirms vom Knöchel des Mannes los. Damit hatte er den Schläger nämlich aus dem Gleichgewicht gebracht. Dann warf der Butler ein kleines Glasfläschchen auf das Pflaster und war im gleichen Moment verschwunden.

Nun, er hatte sich nicht in der Luft aufgelöst. Das brachte auch ein Josuah Parker nicht fertig. Doch er verschwand in einer dichten Nebelwolke, die aus dem zertrümmerten Glasfläschchen hochstieg. Diese Nebelwolke verbreitete sich mit größter Schnelligkeit. Innerhalb nur weniger Sekunden waren selbst die nackten Ziegelmauern nicht mehr zu sehen.

Hustend, spuckend, nach Luft ringend, ergriffen die beiden angeblich betrunkenen Seeleute die Flucht. Sie torkelten plötzlich nicht mehr herum. Sie konnten sehr schnell laufen und machten einen durchaus sportlichen und durchtrainierten Eindruck.

Sie waren derart durcheinander, daß sie den Butler vollkommen vergaßen. Sie kümmerten sich nicht mehr um ihn. Sie hatten nur den einen Wunsch, so schnell wie möglich zurück zu ihrem wartenden Wagen zu gelangen.

Es handelte sich um einen Morris Oxford. Der Wagen stand in einer Seitenstraße. Die beiden Gangster sprangen in ihn hinein und wollten sofort losfahren.

Dann aber merkten sie, daß die Luft in den Hinterreifen fehlte. Sie waren mit Recht böse und peinlich berührt. Mit dieser Verzögerung hatten sie nicht gerechnet.

Der Beifahrer sprang aus dem Wagen. Er wollte sich den Schaden ganz aus der Nähe ansehen. Als er um das Wagenheck herumkam, blieb er wie angewurzelt stehen. Er kam nicht mehr dazu, nach seiner Schußwaffe zu greifen.

Sein Kinn rammte nämlich einen harten Gegenstand. Der angebliche Seemann stieß einen gurgelnden Laut aus. Dann machte er sich gehorsam auf die Reise hinunter zum Pflaster. Er blieb regungslos neben dem platten Reifen liegen.

»Was ist?« rief der Fahrer des Morris Oxford. Er wartete auf einen Lagebericht. Als er keine Antwort erhielt, stieg er auch aus. Er wollte seinem Begleiter helfen.

Er kam nicht weit. Ein Finger tippte auf seine Schulter.

Der Mann drehte sich erstaunt um. Im Rücken hätte er seinen Partner nicht vermutet.

Es war nicht sein Partner, es war der Butler.

»Ich bedaure diese Kraftakte und verurteile sie im Grunde meines friedlichen Wesens«, entschuldigte sich Parker. Dann schlug er noch mal zu. Sein Schlag kam kurz und trocken. Ein Profi hätte nicht präziser zulangen können.

Der zweite Seemann verdrehte die Augen. Er produzierte einen wehmütigen Seufzer und suchte dann das Pflaster auf. Er schien sich darauf sehr wohl zu fühlen, denn er blieb liegen und hielt innigen Kontakt mit den groben Steinen. Er stand nicht mehr auf.

Josuah Parker hatte nun Zeit, sich den Morris Oxford etwas genauer anzusehen. Vorn auf dem Beifahrersitz entdeckte er ein kleines Funksprechgerät, ein Walkie-Talkie, wie es bei der Armee verwendet wird. Die beiden angeblichen Seeleute hatten sich also sehr modern ausgerüstet. Ob sie sich als reine Funkamateure auf solch eine kostspielige Sache eingelassen hatten, bezweifelte der Butler. Er vermutete realere Hintergründe.

Um den Dingen auf den Grund zu gehen, holte Parker das Funksprechgerät aus dem Wagen, zog die Teleskopantenne heraus und drückte den Sendeknopf. Mit etwas verstellter Stimme sagte er einige Male »Hallo« in das eingebaute Mikrofon hinein. Er war gespannt, ob die Gegenstelle sich meldete.

Sie meldete sich.

Eine kühle, unpersönliche Stimme fragte zurück. Sie wollte wissen, ob alles glatt verlaufen war.

»Habt ihr die Ware bekommen?« wollte die Stimme schließlich wissen.

»Ich muß Sie enttäuschen«, antwortete Josuah Parker in seiner höflichen Art. »Hier spricht Josuah Parker. Ich muß in aller Form gegen Ihre unfairen Methoden protestieren. Ich wollte die Ware verkaufen, nicht aber verschenken!«

»Parker, Sie?« Ein nervöses Hüsteln folgte.

»Ich bin so frei«, gab Parker zurück. »Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß zwei angebliche Seeleute dringend der Hilfe und Behandlung bedürfen. Sie haben das erlitten, was Sie wahrscheinlich in Ihrer Branche einen Betriebsunfall nennen werden.«

»Hören Sie, Parker, ein Mißverständnis.« Die kalte, unpersönliche Stimme war deutlich und ohne Verzerrung zu hören. Das Funksprechgerät arbeitete erstklassig. Die Gegenstelle mußte sich irgendwo in der Nähe der Docks befinden, sonst wäre wegen der hohen Bauten eine solch gute Verständigung gar nicht möglich gewesen.

»Ob Mißverständnis oder nicht, ich werde mir die Freiheit nehmen, die Ware anderweitig anzubieten.«

»Sie werden keinen Kunden finden. Vergessen Sie den Zwischenfall. Wir werden uns noch einigen.«

»Besser nicht«, meinte der Butler. »Ich bin sicher, daß es hier in London auch noch ehrliche Geschäftsfreunde geben wird. Ich empfehle mich.«

Parker ließ die Sende- und Empfangstaste los. Der Funksprechverkehr war damit beendet. Der Butler klemmte sich das Gerät unter den Arm und verschwand in der Dunkelheit. Vorher vergaß er allerdings nicht, die beiden Hinterreifen des Morris Oxford anzubohren. Er war nicht daran interessiert, daß die beiden angeblichen Seeleute allzu schnell wegfuhren. Er brauchte sie noch.

*

Fluchend und schwitzend mühten sich die angeblichen Seeleute ab, die beiden Hinterreifen zu wechseln. Sie waren übrigens vorsichtig geworden und hatten sich den Wagen samt Kofferraum sehr genau angesehen. Möglicherweise hatten sie befürchtet, Josuah Parker könnte sich als blinder Passagier eingeschlichen haben.

Nun, der Butler hatte davon Abstand genommen. Er wußte längst, daß er es mit Routiniers zu tun hatte. Und solchen Leuten konnte man nicht mit den üblichen Tricks beikommen. Um sie außer Gefecht zu setzen, mußte man sich schon etwas einfallen lassen.

Es dauerte übrigens nicht lange, bis die beiden sogenannten Seeleute Verstärkung erhielten. Eine 58er Jaguar Limousine kam aus einer Seitenstraße und hielt genau hinter dem Morris Oxford an. Zwei Männer verließen den Wagen und halfen ihren Freunden beim Reifenwechsel. Josuah Parker, der in Deckung gegangen war, konnte alles sehr genau überblicken. Er stand hinter der nur spaltbreit geöffneten Tür einer Mauerpforte. Mit seinem Universalschlüssel hatte er sich Zutritt verschafft. Parker merkte sich nicht nur die Nummer des Jaguars, er überlegte auch, welchen Streich er der Besatzung des Wagens noch spielen konnte.

Schnell fand er eine ansprechende Lösung.

Parker holte aus einer der unergründlichen Taschen seines schwarzen Covercoats eine zusammenlegbare Gabelschleuder eigener Konstruktion.

Innerhalb weniger Sekunden war sie betriebsbereit. Prüfend strammte er die starken Gummistränge, die an den Gabelenden befestigt waren. Als Spezialmunition verwendete er grobe Schrotkörner.

Diesmal begnügte er sich nicht mit einem einzigen Schrotkorn. Ihm kam es auf einen lautstarken Effekt an. Parker packte die Lederschlaufe der Gabelschleuder also voll mit Schrotkörnern. Darm spannte er die beiden Gummistränge, visierte den Morris an und schickte seine Munition auf die Reise.

Natürlich traf er haargenau. Wie hätte es auch anders sein sollen. Was Parker tat, besorgte er richtig.

Prasselnd landeten die Schrotkörner auf dem Blech des Kofferraums. Ein Theatergewitter hätte nicht lauter sein können. Die abgeprallten Bleikörner verwandelten sich in winzig kleine Querschläger und pfiffen den vier Seeleuten um die Nasen.

Die Wirkung war einzigartig.

Die Gauner verwandelten sich in erschreckte Veitstänzer. Sie schienen von einem halben Dutzend Taranteln gebissen worden zu sein. Die Männer fühlten sich angegriffen, warfen sich blitzschnell in Deckung und hielten nun Ausschau nach ihrem Feind.

Damit hatten sie allerdings Pech.

Parker befand sich nämlich längst wieder in Deckung. Und da seine Gabelschleuder beim Abschuß keinen Lärm verübt hatte, konnten die vier Männer nicht herausbekommen, wo der Schütze sich befand.

Es dauerte einige lange Sekunden, bis die vier angeblichen Seeleute sich vorsichtig erhoben. Zwei von ihnen hatten längst ihre Schußwaffen gezogen. Sie warteten nur darauf, einen Schuß anbringen zu können.

Parker beobachtete zwei Männer. Zwei von ihnen schirmten die beiden Männer ab, die sich noch immer mit den platten Reifen abmühten

Um etwas Leben in die Szene zu bringen, spannte der Butler erneut die Gabelschleuder. In der Lederschlaufe befand sich diesmal ein kleiner Federbolzen, dessen Spitze nadelscharf geschliffen war.

Der Butler öffnete die Pforte so weit, daß er den Morris erneut anvisieren konnte. Genauer gesagt, ihn interessierte das Gesäß eines der Männer. Es präsentierte sich gefällig und gestrammt, da der Mann sich gerade bückte.

Unhörbar sirrte der Federbolzen durch die Luft.

Dann erreichte er das Gesäß. Die scharfe Spitze durchschlug den Anzugstoff und bohrte sich in die Gesäßmuskeln.

Der Gauner richtete sich blitzartig auf. Dann schrie er kurz und entsetzt auf. Er faßte nach der schmerzenden Stelle und improvisierte einen neuen Tanz, der an Schnelligkeit und Artistik nichts zu wünschen übrig ließ.

Der zweite Reifenwechsler hatte sich hastig aufgerichtet. Er schrie seinem Partner einige Fragen zu, die der aber infolge seines Tanzes nicht beantworten konnte. Um diesem fragenden Mann zu zeigen, mit welchen Problemen sein Partner zu tun hatte, schickte der Butler einen zweiten Federbolzen auf die Reise.

Er traf genau.

Der zweite Reifenwechsler brüllte auf, faßte nach seinem Gesäß und startete zu einem rasanten Sprint. Innerhalb weniger Sekunden war er in der Dunkelheit verschwunden.

Die beiden Waffenträger verloren die Übersicht. Mit einem unsichtbaren Gegner hatten sie es noch niemals zu tun gehabt. Sie wollten sicherheitshalber erst mal hinter dem Jaguar in Deckung gehen.

Einer schaffte es.

Der zweite Revolverbesitzer wurde von einem dritten Federbolzen erwischt. Auch in diesem Fall wurde das Gesäß getroffen. Der Mann sprang aus dem Stand etwa dreißig Zentimeter in die Höhe, schnappte nach Luft und verlor die Selbstkontrolle. Er riß den Abzug seines Revolvers durch und löste einen Schuß aus.

Sein Freund, der bereits hinter dem Jaguar stand, fühlte sich angegriffen. Er schoß seinerseits. Er begnügte sich nicht mit einem einzigen Schuß. Er war derart nervös geworden, daß er die Trommel leerte. Schuß auf Schuß dröhnte aus dem kurzen Lauf. Die nächtliche Stille nahm jene Lautstärke an, wie sie bei einer mittleren Gefechtstätigkeit auf dem Manöverfeld zu hören ist.

Josuah Parker war ausgesprochen zufrieden. Mehr konnte er wirklich nicht erwarten. Er war nicht der Mensch, der alles auf die Spitze treibt. Er schloß die kleine Mauerpforte, verstaute seine zusammenlegbare Gabelschleuder und dann hakte er sich seinen Universal-Regenschirm über den linken Unterarm.

Würdevoll und gemessen schritt er über den weiten, leeren Fabrikhof. Er verließ den Tatort. Und Parker war sich vollkommen klar darüber, daß dieser Zwischenfall Wirbel und Bewegung auslösen würde. Er hatte den Kontakt zu den Rauschgiftgangstern gesucht und gefunden. Sie würden diese Schmach bestimmt nicht auf sich sitzen lassen, sondern alle Anstrengungen machen, um Rache zu nehmen.

Genau das bezweckte der Butler. Er liebte es, seine Gegner zu reizen, herauszufordern und sie zu Unbesonnenheiten zu verleiten. Auf diese ungewöhnliche Art und Weise ließen sich Gangster bekämpfen, denen auch jedes Mittel recht war.

Im Gegensatz zu solchen Machenschaften begnügte Parker sich aber stets mit jenen Albernheiten, die ihn auszeichneten. Daß sie sinnvoll waren, hatte er gerade erst wieder bewiesen. Seine Taktik der Nadelstiche war wirkungsvoller als der massive Einsatz irgendeiner Gangsterbande.

Mit traumwandlerischer Sicherheit fand Parker natürlich den Weg in eine Seitenstraße. Der ganze Zwischenfall hatte noch nicht mal zwanzig Minuten gedauert. Innerhalb dieser kurzen Zeit war es ihm gelungen, sich in das Blickfeld dieser Rauschgiftgangster zu schieben …

*

Das Haus des Dr. Basil Snyder stand in der Saville Street in der Nähe des Victoria Park. Es handelte sich um einen dreistöckigen, villenartigen Bau im Stil der Jahrhundertwende. Es gab schmale, hohe Fenster, viele Erker und Türmchen und noch mehr Schornsteine.

In den beiden unteren Etagen befanden sich die Labors des Chemikers. In der dritten Etage hatte sich Dr. Basil Snyder seine Wohnräume eingerichtet.

Der Chemiker war freiberuflich tätig. Er arbeitete an der Grundlagenforschung für die Kunststoffindustrie. Um diese kostspieligen Forschungen finanzieren zu können, hatte er seinen Labors eine Großhandlung für chemische und pharmazeutische Artikel angegliedert.

Normalerweise arbeiteten zwölf Angestellte für den Chemiker. Seit vier Tagen aber war das Haus praktisch leer. Dr. Snyder hatte seine Angestellten in Urlaub geschickt und eine Art Betriebsferien angeordnet. Er selbst befand sich in Frankreich. Er hatte nur seinen Butler zurückgelassen.

Die Saville Street war menschenleer, als Josuah Parker vor dem Haus eintraf. Nach seinen neckischen Spielereien mit den Gangstern war er sofort nach Hause gegangen. Er hätte ein Taxi benutzen können, denn der Weg von den India-Docks bis zum Victoria Park war kein kleiner Spaziergang. Der Butler hatte bewußt darauf verzichtet. Er wollte den Gangstern Zeit und Gelegenheit geben, sich um dieses Haus zu kümmern. Daß sie versuchen würden, ihn hier abzufangen, war Parker klar.

Parker benutzte den Seiteneingang. Von hier aus führte ein schmuckloses Treppenhaus hinauf in die Wohnetage. Dieses Treppenhaus diente zusätzlich als Feuertreppe.

Im Erdgeschoß und in der ersten Etage führte je eine Treppe in die Räume der Labors und Großhandlung. Zur Straße hin waren diese beiden Etagen durch starke Scherengitter gegen Einbruch gesichert. Der Haupteingang und die Fenster hätten nur von erstklassigen Spezialisten überwunden werden können. Dr. Basil Snyder war ein vorsichtiger Mann, der ungebetenen, nächtlichen Besuch absolut nicht schätzte.

Scheinbar arglos sperrte der Butler die Tür des Seiteneingangs auf und stieg dann durch das nur spärlich beleuchtete Treppenhaus hinauf in die dritte Etage. Er wußte aber längst, daß diese Tür vor ihm geöffnet worden war.

Ein kleiner schwarzer Zwirnsfaden, den er zwischen Schwelle und Tür angeklebt und befestigt hatte, war nämlich zerrissen worden. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten die Rauschgiftgangster ihren Zeitvorsprung genutzt und sich in das Haus eingeschlichen.

In der dritten Etage angekommen, öffnete der Butler die Wohnungstür. Er erwartete von nun an jede Sekunde den Überfall. Angst hatte er nicht. Er wußte, daß er viel zu wertvoll war, als daß die Gangster ihn niederschießen würden. Sie wollten schließlich nicht sein Leben, sondern sie wollten Rauschgift besitzen. Nach Parkers Prognose witterten sie ein tolles Geschäft.

Als er in der Küche das Licht einschaltete, standen plötzlich zwei Männer vor ihm. Sie waren nicht allein. Sie wurden begleitet von zwei Trommelrevolvern, deren Mündungen auf Parkers Leib gerichtet waren.

»Welch eine Überraschung«, schwindelte Josuah Parker, ohne allerdings Erschrecken zu zeigen. »Was kann ich für Sie tun?«

»Keine falsche Bewegung!« Scharf klang die Stimme des Mannes, der eine blau eingefärbte Brille trug. Er war schlank, mittelgroß und hatte stark behaarte Hände. Sein schütteres Haar war aschblond. Der Mann trug einen eleganten Zweireiher und schien aus sogenannten besseren Kreisen zu stammen.

Sein Begleiter war aus wesentlich gröberem Holz geschnitzt. Es handelte sich um einen Bilderbuch-Gauner. Er hatte ein grobes Gesicht, dichtes schwarzes Haar und in der oberen Reihe eine Zahnlücke. Er trug eine Tweedjacke, die sich über seinen Oberarmmuskeln und über seinem schwammigen Leib spannte.

Dieser Gauner mit der Zahnlücke löste sich von der gekachelten Küchenwand und baute sich schräg hinter dem Butler auf. Daraufhin steckte der Elegante seinen Trommelrevolver weg.

»Ist Ihnen an einem guten schwarzen Tee gelegen?« erkundigte sich Josuah Parker.

»Reden Sie keinen Unsinn! Sie wissen genau, was ich haben will.« Der Elegante wies auf Parkers kleine Ledertasche. »Sie können froh sein, wenn wir uns damit begnügen.«

»Oh, ich verstehe.«

»Endlich geht Ihnen ein Licht auf, Parker. Haben Sie im Traum daran gedacht, uns abschütteln zu können?«

»Mit solch einer Schnelligkeit hatte ich in der Tat kaum gerechnet«, räumte der Butler höflich ein »Wenn ich recht verstanden habe, wünschen Sie die Ware zu holen.«

»Erraten.« Der Elegante lächelte ironisch.

»Darf ich fragen, ob Sie auch das vereinbarte Geld mitgebracht haben?«

»Sie sind verrückt. Wir bezahlen doch nicht für etwas, was wir auch umsonst haben können. Auf welchem Stern leben Sie eigentlich?«

»Ich bin ein Kind meines Jahrhunderts«, stellte Parker richtig. »Deshalb glaube ich auch, daß Sie sich nicht mit einem Teilgeschäft zufrieden geben werden. Sind Sie der Gentleman, mit dem ich per Sprechfunk gesprochen habe?«

»Wo haben Sie den Apparat?«

»Er wurde mir ausgesprochen lästig. Deshalb beförderte ich ihn in die Themse.«

»Das Gerät werden Sie uns ersetzen.«

Der Elegante sah den Butler spöttisch an. »Was meinten Sie gerade mit einem Teilgeschäft, he? Drücken Sie sich deutlicher aus.«

»In dieser Ledertasche befinden sich 580,6 Gramm Kokain«, antwortete Parker gelassen.

»Hoffentlich«, sagte der Gangster. Sein Partner stand inzwischen endgültig hinter dem Butler. Er konnte jeder seiner Bewegungen überblicken und kontrollieren.

»Wenn ich meine Lage richtig beurteile, sind Sie durchaus in der Lage, mir diese Ware abzujagen.«

»Gut, daß Sie das einsehen.« Der Elegante nickte spöttisch.

»Diese Wegnahme wäre das Teilgeschäft, von dem ich spreche.«

»Soll das heißen, daß Sie noch mehr von dem Zeug haben?«

»Ich deutete es bereits diskret an.« Josuah Parker nickte.

»Sehr schön.« Der Gangster strich sich über das schüttere Haar. »Dann werden Sie auch mit dem anderen Zeug ’rausrücken.«

»Dazu sind weder Sie noch ich in der Lage.«

»Denken Sie, Parker! Wir kennen Mittel und Wege, um Sie schnell dazu zu bringen.«

»Die neue Ware müßte erst von mir chemisch dargestellt werden.«

»Sie können Koks Zusammenbauen?« Der Elegante spielte nachdenklich mit seinem rechten Ohrläppchen.

»Ich möchte Ihre Frage in aller Bescheidenheit positiv beantworten.«

»Wo haben Sie denn das gelernt?«

»Ich habe längere Zeit als Labortechniker gearbeitet. Legen Sie Wert darauf, meine Zeugnisse zu sehen?«

»Zum Teufel mit Ihren Papieren! Hauptsache, Sie haben mich nicht belogen.«

»Natürlich nicht. Über den Ernst meiner Lage bin ich mir vollkommen klar.«

»Daran sollten Sie tatsächlich denken, Parker.«

»Ich kenne aber auch den Wert, den meine Fähigkeiten darstellen.«

»Worauf wollen Sie hinaus?«

»Haben Sie Prokura, um verbindliche Abmachungen mit mir zu treffen?«

»Nun ja, was schlagen Sie denn vor, he?« Der Elegante war etwas unsicher geworden.

»Sie bezahlen mir die 580,6 Gramm. Sie bezahlen alle weiteren Sendungen, die ich für Sie und Ihre Freunde zusammenstellen werde. Ein ehrliches Geschäft, das Zug um Zug abgewickelt werden müßte.«

»Is’ ’ne Gaunerei dahinter«, ließ der andere Gauner sich vernehmen. Er sprach lässig und mit sehr viel Slang. »Wir sollten ihm eins auf den Schädel geben und mit dem Zeug verduften.«

»Reden Sie nicht über Dinge, die Ihre Hirnwindungen nicht verarbeiten können«, sagte Josuah Parker würdevoll. »Beschränken Sie sich bitte auf das, was Ihnen von der Mutter Natur mitgegeben wurde, nämlich auf Ihre Muskeln.«

»Wie war das? Is’ das ’ne Beleidigung?« Der Gangster mit dem grob geschnittenen Gesicht schnaufte ärgerlich. Er hatte den Eindruck, daß es eine Beleidigung war.

»Es ist die kühle und sachliche Feststellung von Tatsachen«, erwiderte Parker. Dann wandte er sich wieder dem Eleganten zu. »Haben Sie meinen Vorschlag schon überdacht? Falls Sie Rücksprache mit dem Chef Ihrer Vereinigung nehmen müssen, steht das Telefon in der Diele Ihnen zur Verfügung.«

»Sie scheinen verdammt gerissen zu sein, wie?«

»Ich bin es, Sir«, erklärte Parker mit Nachdruck. »Sie werden in mir einen wertvollen Geschäftspartner finden.«

»Eingebildet sind Sie wohl gar nicht, was?«

»Kaum, ich schätze es, mich an Tatsachen und Erfahrungswerte zu halten. Wollen Sie nun anrufen? In der Zwischenzeit würde ich gern den Waschraum auf suchen. Oh, keine Sorge, aus dem dritten Stock werde ich nicht hinunter in den Hof springen.«

»Tun Sie’s nicht, Strickton«, warnte der Gangster mit dem groben Gesicht.

»Halt den Mund, Stan.« Der Elegante wurde ärgerlich, weil er bereits unsicher geworden war. Er sah Parker scharf und abschätzend an. »Schön, gehen Sie zur Toilette. Aber keine Mätzchen!«

»Sie werden zufrieden mit mir sein.« Parker verbeugte sich andeutungsweise und wollte die Küche verlassen.

»Moment, ich muß auch mal«, sagte der Gangster mit dem groben Gesicht. »Mich legst du nicht aufs Kreuz, mein Junge!«

»Sie sind herzlichst eingeladen, mitzukommen«, antwortete Josuah Parker. »Natürlich habe ich Verständnis für Ihr Mißtrauen.«

Parker und der ihn begleitende Gangster verließen die Küche. Keiner seiner beiden Besucher merkte, daß der Butler seine kleine Ledertasche mitnahm. Es lag wohl an seiner ruhigen Selbstverständlichkeit, mit der er auftrat.

Der Gangster mit dem groben Gesicht war ungemein vorsichtig. Er preßte den Lauf seines Trommelrevolvers gegen den Rücken des Butlers. Er gehörte zu der Sorte von Gangstern, die nur darauf warten, endlich schießen zu können.

Parker ließ sich nicht beeindrucken. Sein Plan stand längst fest. Er wußte wieder mal genau, was zu tun war …

*

Der Elegante wartete, bis Parker und sein Begleiter im Waschraum verschwunden waren. Dann erst wandte er sich dem Telefon in der Diele zu. Es stand auf einem kleinen Wandtisch.

Der bebrillte Gangster wählte eine Nummer, wartete auf das Freizeichen und nickte, als sich auf der Gegenseite eine Stimme meldete.

»Hier ist Strickton«, sagte er. »Ben, du mußt dich sofort mit dem Chef in Verbindung setzen.«

»Warum? Was ist denn los? Weder was mit diesem verdammten Parker schiefgegangen?«

»Unsinn, doch nicht bei mir. Nein, dieser Parker könnte uns noch mehr von dem Zeug besorgen. Er weiß, wie man die Ware herstellt.«

»Donnerwetter, hört sich gut an.« Ben ließ einen abschließenden, anerkennenden Pfiff hören.

»Wir müssen natürlich vorerst regulär zahlen. Der Bursche muß in Sicherheit gewiegt werden.«

»Hast du dir die Ware schon angesehen? Geht die in Ordnung?«

»Wie? Nein, mach ich gleich. Aber ich zweifle nicht daran, daß alles in Ordnung ist.«

»Gut, ich werde den Chef anfunken. Inzwischen kannst du dir die Ware ja mal ansehen, klar? Ich rufe in ein paar Minuten zurück. Falls ich den Chef erreichen kann.«

»Versuche es. Ich warte auf den Anruf.«

Strickton legte auf, massierte sich das Kinn und sah zur Toilettentür hinüber. Parker und Stan mußten jeden Augenblick wieder erscheinen.

Da öffnete sich auch schon die Tür.

Josuah Parker tauchte auf.

Er war allein.

»Kümmern Sie sich bitte um Ihren Partner Stan«, sagte er höflich. »Mir scheint, ihm ist plötzlich schlecht geworden.«

Strickton schöpfte Verdacht. Blitzschnell zog er seinen Trommelrevolver.

»Bleiben Sie dort an der Wand stehen«, rief er dem Butler scharf zu. »Keine Bewegung! Mätzchen können Sie mit mir nicht machen!«

»Ich erinnere mich, Sie sagten es schon mal«, gab Parker gelassen zurück. »Haben Sie besondere Wünsche, wie ich mich hinstellen soll?«

Strickton schnaufte gereizt. Mit schnellen Schritten ging er auf die Toilettentür zu. Er übersah in seinem Eifer, daß die Tür nach außen, zur Diele hin, geöffnet worden war. Er wollte eigentlich nur einen vorsichtigen Blick in den Raum riskieren. Ihm kam es darauf an, den Butler nicht aus den Augen zu lassen. Insgeheim rechnete er wohl mit einer bösen Überraschung.

Da Strickton aber nicht in der Lage war, schielen zu können, mußte er mit beiden Augen in den Raum hineinsehen. Dadurch war er gezwungen, Parker für wenige Bruchteile von Sekunden aus der Sichtkontrolle zu entlassen.

Diese kurze Zeit genügte dem Butler.

Er warf sich gegen die halb geöffnete Tür. Sie bewegte sich in den gut geölten Angeln und schmetterte gegen Stricktons Rücken.

Der Gangster erhielt einen wuchtigen Stoß, verlor prompt das Gleichgewicht und wurde in die Tiefe des Waschraums hineinkatapultiert. Er stolperte über den am Boden liegenden Stan und schlug mit der Stirn gegen das Waschbecken.

Strickton war zwar benommen, doch nicht besinnungslos.

In der ersten Aufwallung wollte er unbedingt schießen. Da er aber kein Ziel vor Augen hatte, verzichtete er auf diese geräuschvolle Betätigung. Schnell stand er auf.

Er hörte, daß von der Diele aus die Tür abgeschlossen wurde. Parker hatte ihn eingesperrt.

Glaubte Mr. Tony Strickton. In Wirklichkeit hatte Parker dieses geräuschvolle Zuschließen nur vorgetäuscht. Er versprach sich davon einen neuen, zusätzlichen Effekt.

Strickton ging in die Falle.

Im Glauben, die Tür sei verschlossen, nahm er einen Anlauf. Dabei übersah er, daß Parker die bewußte Tür sogar aufgeklinkt hatte. Ein feiner Lufthauch hätte sie bestimmt schon bewegt. Ein schwerer Körper aber mußte sie explosionsartig aufwerfen.

Es kam, wie es kommen mußte.

Mit der Geschwindigkeit eines heranbrausenden Stiers in der Arena rauschte Strickton auf die Tür zu. Er wollte sie mit seiner Schulter in Fetzen und Splitter auflösen. Er wollte Parker jetzt auf den Fersen bleiben und sich für den Trick böse revanchieren.

Unter der Gewalt des in Schwung geratenen Körpers flog die nur angelehnte Tür blitzartig auf. Der Widerstand fehlte, mit dem Strickton fest gerechnet hatte. Prompt verlor er noch mal das Gleichgewicht. Er schoß, fast waagerecht in der Luft liegend, in die Diele. Sein Hinterkopf bot sich freundlich an. Parker brauchte nur noch mit dem bleigefütterten Griff seines Universal-Regenschirms zuzulangen.

Fast bedauernd legte er diesen Griff auf den Hinterkopf Stricktons. Er überredete ihn mit dieser Berührung, schleunigst den Boden aufzusuchen und ohnmächtig liegen zu bleiben.

Parker entwaffnete nun auch Strickton, wie er es mit Stan bereits vorher getan hatte, verstaute die beiden Trommelrevolver in einem kleinen Wandschrank in der Diele und kümmerte sich dann um den weiteren Verbleib der beiden ungebetenen Gäste. Er wollte sie so sicher wie möglich unterbringen, sich dabei aber wenig anstrengen.

Natürlich fand er eine ansprechende Lösung.

Neben dem Treppenhaus befand sich der Schacht eines Lastenaufzugs. Er führte vom Kellergeschoß bis hinauf zur Wohnetage im dritten Stock. Auf dem Treppenabsatz vor der Wohnungstür gab es einen Ausstieg, der normalerweise kaum benutzt wurde.

Parker betätigte die Schaltknöpfe. Der Lastenaufzug surrte gehorsam hinauf in den dritten Stock. Parker öffnete die Schutzgitter und holte seine beiden Gäste herbei. Nacheinander verstaute er die immer noch ohnmächtigen Gangster im Fahrstuhlkorb. Dann schloß er das Schutzgitter und ließ den belasteten Korb wieder nach unten absinken.

In genauer Höhe zwischen dem dritten und zweiten Stock hielt er den Aufzug an. Dazu genügte ein kurzer Druck auf den Alarmknopf, wie er für Lastenaufzüge verwendet wird. Vom Korb aus war der Aufzug nicht in Bewegung zu setzen. Er diente ja Lasten, keiner Personenbeförderung.

Nach wenigen Sekunden schwebten die beiden Gangster zwischen der zweiten und dritten Etage. Viel Platz hatten sie in dem niedrigen Lastenkorb zwar nicht, auf der anderen Seite brauchten sie sich auch nicht unnötig herumzuquälen

Sicherer konnten sie gar nicht aus dem Verkehr gezogen werden. Eine Selbstbefreiung war so gut wie ausgeschlossen. Josuah Parker ging zurück in die Wohnung und gestattete sich den Luxus, eine seiner spezial angefertigten, gefürchteten Zigarren zu rauchen. Dann widmete er sich gemächlich dem Tonbandgerät, das an den Telefonapparat angeschlossen war.

Er war sicher, die elektromagnetisch festgehaltenen Wählgeräusche von Stricktons Anruf in echte Nummern umsetzen zu können. Schließlich wollte er ja wissen, wen Strickton angerufen hatte …

*

Strickton spuckte Gift und Galle.

»Ich bringe den Kerl um«, schwor er laut. »Vier Stunden lang hat er Stan und mich in dem Lastenaufzug eingesperrt. Ich bring’ ihn um. So ist noch keiner mit mir umgesprungen!«

Ben Turpins sah ihn verständnislos an. Er schüttelte den Kopf.

»Diesen Wunderknaben Parker möchte ich direkt mal kennenlernen«, meinte er dann. »Erst legt er zwei Wagenbesatzungen lahm, und dann seid ihr an der Reihe. Kann ich mir gar nicht vorstellen. Wir sind doch keine Schießbudenfiguren.«

»Genauso hat er Stan und mich aber behandelt.«

»Wieso denn?« Ben Turpins sah Strickton erwartungsvoll an.

»Als wir eine gute Stunde in dem engen Lastenaufzug staken, fing Stan an zu randalieren. Er bekam so was wie einen Koller.«

»Und was passierte?«

»Parker behandelte uns mit kaltem Wasser«, erklärte Strickton und mußte explosionsartig niesen. »Er muß einen Wasserschlauch in den Fahrstuhlschacht gehängt haben. Wir kamen uns vor, als hätte er den Niagara umgeleitet.«

Butler Parker 177 – Kriminalroman

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