Читать книгу Butler Parker 128 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3
Оглавление»Mylady bevorzugen einen bestimmten Supermarkt?« erkundigte sich Butler Parker in seiner höfliche Art. Er saß stocksteif vor dem Lenkrad seines hochbeinigen Wagens, den er durch die City von London steuerte. »Natürlich«, gab Agatha Simpson zurück. »Warten Sie, wo ist denn nur die Anzeige? Ich weiß genau, daß ich sie eingesteckt habe.«
Parkers Herrin, die vor einiger Zeit beschlossen hatte, sechzig Jahre alt zu bleiben, kramte in ihrem perlenbestickten Pompadour, um dann einen nicht gerade leisen Freudenschrei in tiefer Baß-Lage auszustoßen.
»Mylady wurden fündig?« fragte Parker.
»Zur Mortimer Street«, befahl die Detektivin. »Hören Sie sich das mal an, Mister Parker: Ölsardinen zum Vorzugspreis. Orangensaft billig wie nie! Und dann diese Eierpreise. Es ist einfach nicht zu glauben, daß die Leute zu solchen Spottpreisen verkaufen können.«
»Wie Mylady meinen.« Parker nahm die Ausrufe des Entzückens zur Kenntnis, ohne eine Miene zu verziehen. Mylady hatte sich seit einigen Tagen ein neues Hobby zugelegt...
Sie kaufte ein und achtete auf die allgemeine Preisgestaltung. Sie war, wie sie sich ausgedrückt hatte, zu einer kostenbewußten und kritischen Verbraucherin geworden. Diese neue Haltung hing mit der Zeitschrift einer Kundenorganisation zusammen. Lady Agatha hatte sich die beschwörenden Worte sehr zu Herzen genommen.
Natürlich hatte sie es nicht nötig, auf den Penny zu achten. Agatha Simpson war eine steinreiche Frau, die sich jede Extravaganz leisten konnte. Seit dem Tod ihres Mannes hatte sie das hinterlassene Vermögen noch aufgestockt und vermehrt. Dennoch wollte sie jetzt vor sich bestehen und beweisen, daß sie ihr Geld nicht bedenkenlos ausgab.
Parker hatte einige dieser Einkaufsfahrten bereits hinter sich. Da er sich grundsätzlich über nichts wunderte, akzeptierte er die Marotte seiner Herrin. Sie bot die Gewähr dafür, daß Mylady abgelenkt wurde und sich ausnahmsweise mal nicht mit Kriminalfällen beschäftigte. Für eine kleine Erholungspause in dieser Hinsicht war Josuah Parker dankbar. Vor zwei Wochen erst war es turbulent genug zugegangen.
»Der Supermarkt, Mylady.« Parker hatte den großen Parkplatz vor dem neu eröffneten Einkaufsparadies erreicht und hielt. Gemessen stieg er aus dem Wagen und öffnete die hintere Tür. Er nahm in einer fast feierlichen Geste seine schwarze Melone ab und deutete eine knappe Verbeugung an.
»Wünschen Mylady meine bescheidene Begleitung?« fragte er.
»Natürlich, Mister Parker«, lautete ihre Antwort. »Ich werde Ihnen eine weitere Lektion in Sachen Preisvergleich erteilen.«
Parker legte den altväterlich gebundenen Regenschirm über den angewinkelten linken Unterarm und folgte der älteren Dame, die resolut auf den Eingang zumarschierte. Er übersah die vielen amüsierten und erstaunten Blicke der Käufer, die Mylady und ihm galten. Die beide schienen aus einem anderen Jahrhundert zu stammen, um sich im modernen London mal umzusehen.
Der neu eröffnete Supermarkt gehörte zu einer Kette gleicher Geschäfte und war eine einzige Verlockung in Neonlicht, Chrom, Glas und leiser, einschmeichelnder Verkaufsmusik.
Obwohl der erste Eröffnungsansturm bereits am Vormittag vorüber war, drängten sich die Menschen und hofften auf günstige Gelegenheiten. Der Betrieb war sogar noch fast beängstigend. Parker wollte Mylady überholen und sich vor sie schieben. Er dachte, für sie so eine Art Eisbrecher zu sein.
Doch das war überhaupt nicht möglich und notwendig. Eine Lady Simpson ließ sich nicht aufhalten oder gar abdrängen. Sie war eine stattliche Dame, die an eine Wagner-Heroine erinnerte. Wie ein in Tweed gekleideter Panzer bahnte sie sich ihren Weg und nahm jedes Hindernis. Sie merkte nicht, daß ihr Hut, der einem zivilen Südwester glich, sich verschoben hatte, was ihrem Gesicht einen kampfbereiten Ausdruck verlieh. Agatha Simpson fühlte sich nicht eingeengt oder belästigt, sie war in ihrem Element.
Zielbewußt steuerte sie die Konservenabteilung an, um sich hier mit billigen Ölsardinen einzudecken, aus denen sie sich übrigens überhaupt nichts machte, wie Parker nur zu genau wußte. Er folgte ihr höflich und geduldig und beugte sich leicht vor, als Agatha Simpsons Weg von einem Aluminiumcontainer blockiert wurde, aus dem ein Angestellter des Supermarkts Haferflockenpackungen holte.
»Platz da, junger Mann«, grollte Agatha Simpson, die nicht schnell genug an die Konserven herankam.
Der junge Mann im weißen Kittel reagierte erstaunlich. Er sah von seinen Haferflocken hoch. Es war ein Blick, der dem eines Wolfes glich. Aus der Tiefe des Supermarktes kam von irgendwoher ein Geräusch, als würde eine Sektflasche geöffnet. Der junge Mann griff noch mal in den fahrbaren Container und... zog eine tückisch aussehende Maschinenpistole hervor.
*
»Wie soll man Ihre Geste interpretieren?« erkundigte sich Josuah Parker höflich bei dem Weißkittel. »Gehe ich recht in der Annahme, daß es sich um eine Spielzeugwaffe handelt?«
»Schnauze«, sagte der junge Mann, der sicher kein Verkäufer des Supermarktes war. »Stehenbleiben, klar?«
»Was ist denn das für ein Ton?« entrüstete sich Agatha Simpson.
»Schnauze!« Der junge Mann wandte sich halb um und beobachtete den hinteren Teil des Supermarktes. Sein Interesse galt zwei weiteren jungen Verkäufern, die jeder eine große Ledertasche trugen und es ausgesprochen eilig hatten.
Diese nach Parkers Ansicht sehr schlecht geschulten Angestellten zeichneten sich durch besondere Unhöflichkeit und Rücksichtslosigkeit aus: Sie drängten und boxten sich förmlich durch die Menge der verdutzten und ratlosen Kunden und strebten dem Ausgang zu.
Für den Weißkittel am Container war dies das Zeichen, sich ebenfalls in Bewegung zu setzen. Er stemmte sich hoch und wollte über den Container hinwegflanken. Mylady und ihren Butler hielt er für keine Gefahr...
Doch der Mann irrte!
Josuah Parker langte mit seinem altväterlich gebundenen Regenschirm zu und traf den jungen Mann, als er gerade den Gipfelpunkt seines Sprungs erreicht hatte. Parkers Schlag erwies sich als Volltreffer. Die Bleieinlage im Bambusgriff des Schirms sorgte für einen jähen Absturz. Der Weißkittel grunzte ein wenig und ... landete klatschend im Container. Agatha Simpson wich zurück, als aus geplatzten Packungen die Haferflocken stäubten und eine mehligweiße Wolke aufstieg.
Josuah Parker benutzte seinen Regenschirm, um die aus dem Container heraushängenden Beine des Weißkittels anzuheben und dem Körper nachzuschicken. Damit war der Mann völlig in dem Behälter verschwunden.
»Ein Überfall, nicht wahr?« fragte Agatha Simpson, sich an ihren Butler wendend.
»Davon, Mylady, sollte man in der Tat ausgehen«, entgegnete Parker würdevoll. »Nach Lage der Dinge dürfte man es auf den Kassenbestand des Hauses abgesehen haben.«
»Zeiten sind das!« Agatha Simpson schüttelte verweisend den Kopf. »Noch nicht mal in Ruhe einkaufen kann man. Nun hören Sie sich nur mal dieses Getöse an!«
Parker kam dem Wunsch seiner Herrin nach. Vom Eingang des Supermarktes waren Schüsse zu hören, die ungedämpft und peitschend den Eindruck mittlerer Gefechtstätigkeit hervorriefen. Kunden schrien, Kinder weinten, splitterndes Glas brach berstend entzwei.
Parker beugte sich über den Container und suchte nach dem angeblichen Verkäufer.
Der junge Mann war nur noch andeutungsweise zu erkennen. Die Haferflocken hatten ihn förmlich begraben. Parker schob mit seinen schwarz behandschuhten Händen die Nahrungsmittel ein wenig zur Seite und arbeitete sich an die Kleidung des Ohnmächtigen heran. Natürlich suchte er nach Hinweisen, um die Identität des Mannes festzustellen.
Agatha Simpson beschäftigte sich ebenfalls.
Um die Regalecke herum brauste ein Mann, der ebenfalls einen weißen Kittel trug. Zusätzlich trug er auch eine offensichtlich schwere Ledertasche. Er prallte fast mit der alten Dame zusammen und wußte nicht, was er von ihr halten sollte.
Agatha Simpson reagierte gezielt. Sie deutete mit der rechten Hand auf ein Regal, als sei dort etwas Einmaliges und Wichtiges zu sehen. Der junge Mann riß den Kopf herum und schaute prompt nach oben. Er reagierte ganz automatisch.
Agatha Simpson hielt in der linken Hand inzwischen ein Paket Mehl, mit dem sie energisch zuschlug. Gewiß, die Packung platzte auf und verwandelte den Mann in eine Art Puderpuppe. Gleichzeitig aber ging der Mann in die Knie und schnappte nach Luft. Er machte einen im wahrsten Sinn des Wortes angeschlagenen Eindruck.
»Benötigen Mylady Hilfe?« erkundigte sich Josuah Parker, der auf das kleine Intermezzo inzwischen aufmerksam geworden war.
»Papperlapapp!« Der Ton ihrer Stimme klang wegwerfend. Sie griff nach einem Paket Bohnen und klatschte es auf den Hinterkopf des Mannes, der gerade wieder nach oben wollte. Der Getroffene sagte etwas, was aber nicht zu verstehen war, schwankte und legte sich dann widerstandslos auf den Boden. Die harten Bohnen sorgten für einen Tiefschlaf.
»Ein sehr schlechtes Einkaufsklima, Mister Parker, finden Sie nicht auch?« Sie sah ihren Butler kopfschüttelnd an.
»Falls Mylady darauf bestehen, werde ich das bei der Geschäftsleitung rügen«, lautete Parkers würdevolle Antwort.
*
»Natürlich, Mylady, reiner Zufall, daß Sie hier sind«, sagte Superintendent McWarden gereizt wie immer. Er hatte ehrliche Mühe, seine Stimme nicht laut werden zu lassen. »Sie sind ja immer rein zufällig da, wo Gangster und Ganoven aufkreuzen.«
»Mylady beabsichtigten, Ölsardinen einzukaufen«, erläuterte Josuah Parker würdevoll. »Sie sollen hier ungewöhnlich preisgünstig sein.«
»Ölsardinen! Natürlich, natürlich!« McWarden schnaufte wie eine alte Dampfmaschine. »Ich glaube Ihnen jedes Wort.«
»Was ich Ihnen auch geraten haben möchte!« Lady Agathas Stimme, die an einen urigen Baß erinnerte, grollte wie ein heraufziehendes Gewitter. »Sie sollten mir die Hände küssen, junger Mann.«
»Sagen Sie nicht immer ›junger Mann‹ zu mir«, fauchte McWarden, ein etwa fünfzigjähriger, untersetzter und bullig aussehender Mann. »Und warum sollte ich Ihnen die Hand küssen?«
»Zwei der Strolche konnte ich Ihnen immerhin in einem Container liefern.«
»Woher, Mylady, hatten Sie die Information, daß hier ein Raubüberfall stattfinden sollte?« McWarden kam zur Sache. Er hatte sich vorgenommen, sich nicht weiter provozieren zu lassen.
»Diese Information gab es nicht, junger Mann.« Agatha Simpson schüttelte den Kopf. Zwischen ihr und McWarden existierte stets eine Atmosphäre, die an die eines Duells erinnerte. Sie kannten sich schon seit Jahren, schätzten sich auch, hüteten sich jedoch, es zu zeigen. Lady Simpson und Butler Parker lieferten McWarden in fast regelmäßiger Folge fertig gelöste Kriminalfälle, eine Tatsache, über die McWarden sich zwar durchaus freute, die ihn aber auch immer wieder ungemein ärgerte.
»Ich kann Ihnen nicht das Gegenteil beweisen, Mylady«, meinte McWarden verschnupft und ungläubig. »Sie haben diese beiden Typen natürlich vor der Ankunft der Polizei gründlich durchsucht, nicht wahr?«
»Dies, Sir, war meine Pflicht und Aufgabe«, schaltete Parker sich ein.
»Und Sie haben natürlich nichts gefunden, oder?«
»Die Taschen der beiden Herren im Container erwiesen sich als leer, Sir.«
»Und das soll ich Ihnen natürlich ebenfalls glauben?«
»Ich hoffe, Sir, daß es der Fall ist.«
»Sie fanden nur diese zwölftausend Pfund in der Ledertasche?«
»Die Ihren Mitarbeitern pflichtschuldigst übergeben wurden, Sir.« Parker deutete ein feines Nicken an.
»Ich glaube Ihnen kein Wort, Mister Parker.«
»Sie sehen meine bescheidene Wenigkeit zutiefst bestürzt, Sir.«
»Sie wollen diesen Fall wieder mal allein lösen, oder?«
»Hinsichtlich der weiteren Pläne Myladys ist mir zur Zeit nichts bekannt, Sir.«
»Natürlich werde ich diesen Fall lösen«, warf Agatha Simpson ein. »Wie sollte er sonst gelöst werden? Durch Sie etwa, McWarden?«
»Mylady, ich werde Sie ...« Der Superintendent wollte eine Drohung ausstoßen, doch er schluckte sie im letzten Moment hinunter. Es war ja erfahrungsgemäß sinnlos, mit der älteren Dame zu streiten.
»Was werden Sie?« Agatha Simpson sah McWarden interessiert an. »Werden Sie jetzt etwa die übrigen drei Strolche festnehmen? Dann sollten Sie hier nicht länger herumstehen.«
McWarden war deutlich anzusehen, daß er die Lady am liebsten in den mit Haferflocken gefüllten Container gestoßen hätte, doch er wußte, daß so etwas nicht gerade leicht war. Sein Gegenüber war eine kriegerische Frau, die sich nichts gefallen ließ. McWarden wandte sich deshalb um und suchte nach einem Objekt, an dem er seine Gereiztheit auslassen konnte.
Agatha Simpson kehrte dem Container den Rücken und marschierte zum Ausgang des Supermarktes. Sie war es satt, sich weiter ausfragen zu lassen. Ärgerlicherweise hatte sie wirklich nichts zu sagen oder gar zu verschweigen. Die beiden Gangster hatten nichts bei sich gehabt, was eine Spur hätte bedeuten können. Leider hatten sie auch mündlich keinen Hinweis gegeben. Sie waren schweigsam wie tote Austern gewesen.
Dieser Fall war beendet, bevor er überhaupt erst richtig begonnen hatte.
»Haben Sie auch nichts übersehen?« fragte die Detektivin ihren Butler, der gemessen neben ihr auftauchte.
»Diese Frage, Mylady, muß ich leider verneinen.«
»Und was machen wir jetzt? Wie wollen wir den Rest dieser Bande finden?«
»Ich sehe mich außerstande, Mylady, darauf eine hoffnungsvolle Antwort geben zu können«, erwiderte Parker. Und ein genauer Zuhörer hätte in seiner Stimme wohl so etwas wie Erleichterung und Befriedigung wahrnehmen können. Josuah Parker war froh, daß Mylady diesmal nicht schon wieder auf Gangsterjagd gehen konnte.
*
»Quatsch, die paar Piepen können wir verschmerzen«, sagte Pete Court wegwerfend. Er war fünfunddreißig Jahre alt, mittelgroß und schlank. Court trug einen gutgeschnittenen Anzug und schien auch sonst in Luxus zu leben. Sein Apartment war modern eingerichtet und deutete darauf hin, daß er Geld hatte.
»Die paar Piepen?« fragte ein untersetzter Mann, der vielleicht dreißig war. Er hieß Harry Molson und war ein unangenehm wirkender Typ, dem man die Roheit und Brutalität ansah.
»Ich hätte auch nichts dagegen, wenn wir sie hier aufteilen könnten«, erklärte Oscar Peterson, ein junger Mann von achtundzwanzig Jahren, der groß und blond war, ein durchtrainierter Sportsmann, wie man ihm deutlich ansah.
»Ihr habt Sorgen!« Pete Court, offensichtlich der Anführer der Bande, baute sich vor seinen Mitarbeitern auf. »Begreift ihr denn nicht? Hank und Joe sind von dieser Simpson hochgenommen worden. Von ihrem Butler mal ganz zu schweigen.«
»Darauf reitest du schon die ganze Nacht herum«, ärgerte sich Harry Molson. »Was macht dich daran so nervös?«
»Weil die Alte und ihr Butler nicht zufällig im Supermarkt gewesen sein können.«
»Jeder kauft mal ein«, fand Oscar Peterson und zuckte die Achseln »Aber ’ne ausgewachsene Lady marschiert doch nicht in den nächstbesten Supermarkt«, gab Court zu bedenken. »Und dabei läßt sie sich schon gar nicht von ihrem Butler begleiten.«
»Die alte Lady wird ’ne Meise haben«, tippte Molson an und grinste abfällig.
»Die nicht, Jungens. Man merkt, daß ihr hier in London noch verdammt neu seid. Lady Simpson ist ’ne gefährliche Spürhündin. Und Parker ist sogar ein As.«
»Nun übertreib mal nicht.« Oscar Peterson verzog ironisch sein Gesicht.
»Ich untertreibe höchstens noch.« Pete Court mischte sich einen strammen Whisky und trank das Glas in einem Zug fast leer. »Diese beiden Typen haben Leute hochgenommen, an die sich kein Profi rangetraut hätte.«
»Dann sind die eben dämlich gewesen.« Harry Molson war nicht zu beeindrucken.
»Und wie dämlich die gewesen sind!« Court war mit dieser Einschätzung vollkommen einverstanden. »Die haben Lady Simpson und ihren Butler eben unterschätzt und auf die leichte Schulter genommen. Mir wird das nicht passieren.«
»Woher sollen die Alte und ihr Butler denn von unserem Überfall gewußt haben?« Oscar Peterson verdrehte gelangweilt die Augen. »Oder sind die beiden Typen Hellseher?«
»Woher haben die von unserem Überfall gewußt? Das ist die Frage!« Pete Court trank sein Glas leer. »Wer könnte ihnen das gesteckt haben?«
»Ich tippe immer noch auf Zufall.« Harry Molson hielt Courts Vorsicht für übertrieben.
»Zufall«, sagte auch Peterson.
»Überlegt doch mal«, schickte Court voraus. »Hank und Joe sind zwei ganz ausgebuffte Jungens, oder etwa nicht? Sie hatten Maschinenpistolen bei sich. Und wo landen sie? Bei der Polizei.
»Sie haben eben mal Pech gehabt. Und kein Wort werden die sagen.« Harry Molson war sich seiner Sache sicher.
»Die singen keine Arien«, schätzte auch Oscar Peterson. »Nee, Pete, die nicht!«
»Die Polizei kann uns mal«, reagierte Court gereizt. »Die macht mich nicht nervös. Nee, es sind die alte Lady und ihr Butler. Vergeßt nicht, daß wir noch ’ne Menge Vorhaben! Ich möchte in aller Ruhe arbeiten und nicht auf ’nem Pulverfaß sitzen.«
»Dann laß das Pulverfaß hochgehen, bevor wir drauf sind«, schlug Oscar Peterson vor.
»Genau.« Harry Molson lächelte unangenehm. »Mensch, Pete, is’ doch’n Klacks, die Alte mitsamt ihrem Butler in die Hölle zu schicken, oder? Warum tun wir’s nicht gleich? Vielleicht können wir bei ihr im Haus noch was Wertvolles abstauben und uns schadlos halten.«
*
Harry Molson stieg aus dem VW-Bus und schaute sich das Haus der Lady Simpson genau an.
Es handelte sich um einen altehrwürdigen Fachwerkbau in Shepherd’s Market in der Nähe vom Hyde Park. Das Haus beherrschte den kleinen Platz, der von ähnlichen Fachwerkbauten gesäumt wurde. Inmitten der Millionenstadt hätte man solch eine Oase der Stille und des Friedens nur schwerlich vermutet.
Nun interessierte Molson sich nicht für Architektur. Er prüfte nur die Möglichkeiten, ungesehen und ungestört in dieses Haus einsteigen zu können. Pete Court hatte die Adresse besorgt und seinen beiden Mitarbeitern eingeschärft, nur ja keinen Doppelmord zu riskieren. Er hatte aber nichts dagegen, daß sowohl Agatha Simpson als auch Butler Parker für einige Wochen stationär in einem Krankenhaus behandelt würden.
Harry Molson hatte die Prüfung des Hauses beendet und lächelte geringschätzig. Dieser Bau mit seinen schmalen und hohen Fenstern war leicht zu schaffen. Die bleiverglasten Scheiben boten kein echtes Hindernis. Pete Court hatte mächtig übertrieben. Wer so sorglos wohnte wie diese Alte mit ihrem Butler, der konnte nicht gefährlich sein. Das Fachwerkhaus war für Einbrecher eine einzige höfliche Einladung.
»Los geht’s, Oscar«, sagte er zu seinem Partner, der an der Ecke des kleinen Platzes auf ihn gewartet hatte. »In ’ner Viertelstunde haben wir alles hinter uns.«
»Dachte ich mir doch gleich.« Oscar gluckste vor Vergnügen. »Marschieren wir durch die Fenster rein, oder sollen wir die Haustür nehmen?«
»Warum sich anstrengen, Junge?« Harry Molson schüttelte den Kopf.« Wir nehmen natürlich den Haupteingang. Wer sind wir denn?«
Die beiden Helden lösten sich von der Ecke und gingen wie selbstverständlich auf Lady Simpsons Haus zu. Sie beobachteten die übrigen Häuser am Platz, wo hinter dicht zugezogenen Fenstern gedämpftes Licht brannte. Ungewöhnliches war nicht festzustellen.
Harry Molson erreichte den kleinen Vorbau vor der Haustür, nickte Peterson zu und langte nach seinem Dietrich. Es handelte sich natürlich nicht um ein gewöhnliches Einbruchsgerät. Ein Mann wie er besaß selbstverständlich eine Anfertigung, die mit jedem Schloß fertig wurde.
Das Schloß, das hier in der Tür war, stellte für ihn so etwas wie eine kleine Beleidigung dar, so einfach war es. Man hätte es seiner Meinung nach mit einem einfachen Sperrhaken öffnen können. Wahrscheinlich hätte es sogar eine gebogene Haarnadel getan. Harry Molson schob also seinen Universal-Dietrich ins Türschloß und bewegte ihn prüfend und vorsichtig. Währenddessen rückte Oscar Peterson nach und baute sich dicht neben seinem Freund auf.
»Ich hab’s«, verkündete Molson leise. »Gleich sind wir drin.«
Bruchteile von Sekunden später ergaben sich einige Überraschungen für die beiden Gangster.
Zuerst flammte ein ungemein helles Blitzlicht auf.
Molson und Peterson blieben wie Salzsäulen stehen und waren geblendet. Gleichzeitig ergoß sich aus der Decke des spitzgiebeligen Vorbaus eine Ladung Wasser nach unten, die die beiden Männer bis auf die Haut durchnäßte. Und dann sagte eine würdevolle Stimme etwas, was Molson und Peterson nicht mehr so leicht vergaßen.
»Mylady bitten, von einem Besuch Abstand zu nehmen«, hieß es in dieser Verlautbarung, die auf den Jargon der Unterwelt abgestimmt war. »Mylady wünschen, in ihrer Nachtruhe nicht weiter gestört zu werden.«
Harry Molson und Oscar Peterson waren noch immer geblendet und rührten sich nicht von der Stelle. Mit solch einer üblen Überraschung hatten sie nicht gerechnet. Hinzu kam, daß sie von einem penetranten Geruch umwallt wurden, der ihren Kleidern entströmte. Ihnen ging auf, daß die Wasserflut der Geruchsträger gewesen sein mußte.
Nun kam Bewegung in die beiden Männer.
Sie sahen wieder klarer und ergriffen ausgesprochen hastig die Flucht. Sie sprinteten in einer vergleichsweise guten Zeit zurück zur Durchgangsstraße und warfen sich wenig später erschöpft und verwirrt auf die Polstersitze des VW-Bus.
Daß sie den Wagen damit gründlich ruinierten, ging ihnen erst später auf. Der Geruch sollte nämlich noch wochenlang im Wagen nisten und seine Benutzung so gut wie unmöglich machen ...
*
»Wer können denn diese Lümmel gewesen sein?« fragte Agatha Simpson am anderen Morgen, nachdem Butler Parker einen kurzen Bericht erstattet hatte.
»Das, Mylady, entzieht sich im Moment meiner Kenntnis«, erwiderte der Butler. »Ich darf aber bemerken, daß die Fotos ausgezeichnet sind. Die Identität der beiden Männer müßte sich feststellen lassen.«
»Ob es normale Einbrecher gewesen sind?«
»Auch damit sollte man rechnen, Mylady.«
»Also nicht! Wer ist denn im Augenblick hinter mir her?« Die Detektivin schüttelte energisch den Kopf, als Parker Tee nachgießen wollte. Sie deutete auf die Kristallkaraffe, die guten Kognak enthielt.
Parker servierte seiner Herrin einen Kreislaufbeschleuniger, den sie genießerisch zu sich nahm. Dann sah sie ihren Butler erwartungsvoll an.
»Falls Mylady darauf bestehen, werde ich mir erlauben, im Lauf des Vormittags Erkundigungen einzuziehen.« Parker hatte zwar eine bestimmte Theorie, doch er hütete sich, sie Mylady zu offenbaren. Seiner Ansicht nach hing dieser nächtliche Einbruchsversuch mit dem Raubüberfall im Supermarkt zusammen. Wahrscheinlich wollten gewisse Herren sich rächen.
»Hoffentlich sind es diese Strolche aus dem Supermarkt gewesen«, meinte Agatha Simpson aber bereits. »Wissen Sie was, Mister Parker, ich werde Sie begleiten.«
»Mylady sollten sich nicht unnötig echauffieren«, gab Parker zurück.
»Ich soll mich hier in der Wohnung zu Tode langweilen, wie?« Sie schaute ihn grimmig an. »Nichts da, Mister Parker. In einer halben Stunde fahren wir los. Finden Sie übrigens nicht auch, daß es immer noch sehr unangenehm riecht?«
»Eine bedauerliche Begleiterscheinung der nächtlichen Dusche«, entschuldigte Parker. »Ich war so frei, ein Geruchsspray einzusetzen. Innerhalb der nächsten halben Stunde dürften die letzten Reste sich verflüchtigt haben. Zudem sollte man ...«
Er kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu beenden. Wie auf ein Stichwort hin klingelte das Telefon. Parker begab sich hinüber zum Wandtisch und nahm den Hörer ab.
»Oh, Miß Porter«, sagte er, als die Gegenseite sich gemeldet hatte.
»Ich komme erst gegen Abend zurück«, entschuldigte sich die Gesellschafterin und Sekretärin der Lady, »die Polizei benötigt mich als Augenzeugin.«
»Darf man mehr erfahren, Miß Porter?« Parker schaltete die Zusatzanlage ein, damit Mylady mithören konnte.
»Hier wurde ein Supermarkt überfallen«, berichtete Kathy Porter. »Die Täter haben rund fünfzehntausend Pfund erbeutet und während der Flucht einen Angestellten niedergeschossen. Der Mann liegt mit einer bösen Verletzung im Hospital.«
Agatha Simpson war inzwischen aufgestanden.
Sie griff nach der Karaffe und tat noch etwas für ihren Kreislauf. Sie kam auf Parker zu und ließ sich den Hörer geben.
»Sind die Täter erkannt worden, Kindchen?« fragte sie.
»Es waren zwei Männer, Mylady«, gab Kathy Porter zurück. »Guten Morgen, Mylady!«
»Keine Nebensächlichkeiten«, sagte die Detektivin. »Ich habe doch richtig gehört, nicht wahr? Ein Supermarkt ist ausgeraubt worden?«
»Von zwei Tätern, die weiße Kittel trugen, Mylady. Sie kamen ganz dicht an mir vorbei, aber ich konnte nichts machen, sie trugen Maschinenpistolen.«
»Kommen Sie erst wieder zurück, wenn Sie alles wissen«, drängte Agatha Simpson. »Ich brauche jede Einzelheit. Es handelt sich nämlich um einen neuen Fall.«
»Mylady sind an diesem Überfall interessiert?«
»Und ob, Kindchen, und ob! Sie werden Augen machen, wenn Sie erfahren, was sich hier zugetragen hat. Mir kommt da gerade ein Gedanke. Kehren Sie nicht hierher zurück ins Haus, nehmen Sie die kleine Zweitwohnung! Man braucht nicht zu wissen, daß wir zusammenarbeiten.«
»In Ordnung, Mylady«, gab Kathy burschikos zurück. Sie wußte, wie sie sich zu verhalten hatte. »Demnach bin ich dann also schon seit Wochen nicht mehr bei Ihnen.«
»Richtig, Kindchen. Sie haben wieder mal silberne Löffel gestohlen oder Schecks gefälscht. Sie kennen ja Ihre Rolle. Würden Sie die beiden Subjekte wiedererkennen?«
»Natürlich, Mylady. Einer von ihnen kam mir sogar bekannt vor. Ich muß ihn schon mal in London gesehen haben.«
»Sehr schön, Kindchen, sehr schön.« Agatha Simpson glühte vor Eifer. Ihr Kreislauf war sichtlich in Bewegung geraten. »Tun Sie Ihr Bestes, aber bringen Sie sich nicht unnötig in Gefahr!«
Agatha Simpson legte auf und wandte sich ihrem Butler zu, dessen Gesicht verschlossen und unbeweglich wie eine Maske war.
»Ihnen paßt mal wieder einiges nicht, wie?« fragte sie spöttisch.
»Eine Kritik an Myladys Maßnahmen steht meiner bescheidenen Wenigkeit nicht zu«, erwiderte Parker würdevoll.
»Verstehen Sie denn nicht?« Agatha Simpson war bester Laune. »Wir haben es mit einer Großbande zu tun! Diesem McWarden werde ich mal zeigen, wie man einen Kriminalfall löst!«
*
Kathy Porter, fünfundzwanzig, mittelgroß und schlank, war eine pikante Erscheinung, die man nicht übersah.
Normalerweise erinnerte sie an ein etwas scheues Reh, doch dies täuschte. Sie schlüpfte ganz nach Belieben in jede Frauenrolle und war wandlungsfähig wie ein Chamäleon. Sie brauchte nur wenige Hilfsmittel, um sich zu verändern.
Sie war eine mehr als gelehrige Schülerin des Butlers. Erfahren in allen Künsten der Selbstverteidigung, scheute sie kaum ein kalkulierbares Risiko. Wenn es sein mußte, verwandelte sie sich in eine Pantherkatze. Judo, Karate und Kendo beherrschte sie erstklassig, darüber hinaus kannte sie sich aber auch in vielen Tricks aus, die ein gewisser Josuah Parker ihr beigebracht hatte. Sie konnte ein billiges Mädchen des horizontalen Gewerbes vortäuschen, um wenig später als arrogant-gelangweilte Dame der Gesellschaft aufzutreten. Zwischen diesen beiden Polen beherrschte sie jede erforderliche Nuance.
Im Moment war sie die normale Kathy Porter, also das zurückhaltende, ein wenig scheu aussehende Reh. Sie hatte die Telefonzelle verlassen, von wo aus sie Lady Simpson angerufen hatte. Kathy Porter trug einen Trenchcoat, flache Schuhe und eine Schultertasche. Sie schien nicht zu ahnen, wie pikant sie selbst in dieser einfachen Aufmachung aussah.
Sie war hier in Brighton, um die Geschäftsbücher einer karitativen Organisation zu überprüfen. Diese Organisation hatte sich an eine von Myladys Stiftungen gewandt und um finanzielle Hilfe gebeten. Agatha Simpson gab zwar reichlich und gern, doch sie wollte wissen, wie ihr Geld verwendet wurde. Da Kathy eine bilanzsichere Buchhalterin war, war sie übers Wochenende ans Meer gefahren.
Das Gespräch mit ihrer älteren Dame hatte sie amüsiert. Lady Simpson war also wieder mal auf der Spur eines Verbrechens. Kathy Porter kannte das. Die Detektivin witterte stets und überall geheimnisvolle Zusammenhänge. Und sie träumte davon, eines Tages einen Kriminal-Bestseller zu schreiben. Sie wollte eine gewisse Agatha Christie in den Schatten stellen und der Welt zeigen, wie ein echter Kriminalroman aussah.
Kathy Porter schaute auf ihre Uhr.
Sie hatte noch Zeit, bis sie zur Polizeistation gehen konnte. Sie war um elf Uhr mit den Beamten verabredet. Kathy schlenderte hinunter zur Seepromenade und ließ sich den frischen Wind um die Nase wehen. Sie hatte das kurze Gespräch mit Agatha Simpson schon wieder vergessen.
Sie schaute kurz zur Seite, als neben ihr ein mittelgroßer Mann erschien, der etwa vierzig Jahre alt war. Er hatte ein rosiges Gesicht, trug eine Sonnenbrille und schnaufte ein wenig.
»Fein, daß ich Sie treffe«, sagte er und lächelte.
»Sie verwechseln mich bestimmt«, erwiderte Kathy, die an nichts Böses dachte.
»Nee, ganz sicher nicht. Sie waren doch im Supermarkt, oder? Ich meine, als der Laden überfallen wurde.«
»Das ist richtig. Sind Sie von der Polizei?« Kathy Porter war hellhörig geworden, doch sie tat naiv und ahnungslos.
»Ich glaube, man wird Ihnen gleich ’ne Reihe von Fotos vorlegen, Miß«, redete der Mann freundlich weiter. »Kann sein, daß Sie da ein Gesicht aus dem Supermarkt wiedererkennen.«
»Doch, ich habe mir die Gesichter der beiden Täter genau eingeprägt«, gab Kathy übertreibend zurück. »Ich denke schon, daß ich sie wiedererkennen würde.«
»Das klingt aber gar nicht gut für Sie, Miß.«
Während er noch sprach, überholte er sie mit einem halben Schritt und baute sich so auf, daß ihr der Weg versperrt wurde.
Normalerweise hätte Kathy sich so etwas nachdrücklich verbeten, doch wie gesagt, sie war hellhörig geworden.
»Wer... wer sind Sie?« fragte sie und tat ängstlich.
»Mein Name tut nichts zur Sache, Kleines.« Er schätzte sie so ein, wie sie sich gab. Er hielt sie tatsächlich für scheu und ängstlich. »Und mein Gesicht solltest du möglichst schnell wieder vergessen. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
»Ich... ich verstehe überhaupt nichts, was ...«
»Du weißt wahrscheinlich überhaupt nicht, wie hübsch du aussiehst«, schickte er ehrlich voraus. »Schön, das ist deine Sache, Hübsche. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß du gern mit Schnittnarben im Gesicht herumlaufen möchtest, oder?«
»Aber nein, wirklich nicht.« Sie sah ihn aus vor Angst weit geöffneten Augen an.
»Siehst du, Hübsche, und genau das wird dir passieren, wenn du nachher auf der Polizeistation Gesichter wiedererkennst. Ist denn jetzt der Groschen gefallen?«
»Sie meinen ...?« Kathy holte tief Luft und mimte Verstehen.
»Na also, Hübsche, ich wußte doch, daß du kapieren würdest.« Er griff in die Tasche seines leichten Regenmantels und zog ein Rasiermesser hervor. »Mit dem Ding hier, Hübsche, kann man alles in Streifen schneiden. Zum Beispiel auch Gesichter.«
»Ich... ich soll also kein Gesicht wiedererkennen?«
»’n bißchen schwer von Begriff, wie?« Er lachte fast jovial auf, um dann aber zu nicken. »Das trifft es. Du vergißt einfach, wie die beiden Jungens im Supermarkt ausgesehen haben. So einfach ist das! Falls du aber Zicken machst, Hübsche, sehen wir uns wieder! Und dann ist das Messer aufgeklappt!«
»Ja, aber...« Kathy Porter spielte ihre Rolle weiter. »Woher wissen Sie denn, daß ich nichts sagen werde? Sie sind doch nicht dabei. Und wenn jetzt ein anderer Zeuge ...? Ich meine ...«
»Die Sorge brauchst du nicht zu haben, Hübsche.« Der Mann lachte beruhigend und gab sich nach wie vor zivil. »Ich erfahre schon, wie du dich verhalten hast. Alles klar?«
Kathy nickte nur und ließ nicht erkennen, daß sie blitzschnell überlegte. Wenn dieser Mann ging, hatte sie kaum eine Möglichkeit, ihm vorsichtig zu folgen. Selbst bei aller Geschicklichkeit konnte sie ihr Aussehen nicht so verändern, daß er sie übersah. Auf der anderen Seite durfte sie ihn nicht entwischen lassen. Er war das einzige Bindeglied zu den Gangstern. Und sie konnte davon ausgehen, daß dieser Mann Dinge bei sich trug, die Hinweise auf seine Identität zuließen.
»Gehört der Herr dort auch zu Ihnen?« fragte sie gespielt ängstlich und deutete hinüber auf die Straße. Der Mann fiel auf diesen einfachen, aber immer wieder wirkungsvollen Trick herein. Er nahm den Kopf herum und ... brach eine Sekunde später in sich zusammen. Er hatte überhaupt nicht mitbekommen, daß Kathy ihn nachhaltig außer Gefecht gesetzt hatte. Kathy hatte Zuflucht zu einem gefährlichen Karateschlag genommen.
Der Mann schnappte verzweifelt nach Luft, stierte Kathy überrascht an und fiel auf die Knie. Dann rollte er auf die Seite und blieb keuchend liegen.
Kathy kümmerte sich natürlich um den Hilflosen. Sie durchsuchte blitzschnell die Innentasche des Jacketts und fand eine Brieftasche, die sie in ihrer Umhängetasche verschwinden ließ. Sie sah hoch, als einige Passanten herbeiströmten.
»Rufen Sie einen Rettungswagen«, bat sie hastig. »Mein Begleiter hat einen Herzanfall bekommen, schnell! Bitte, beeilen Sie sich!«
*
»Sie sind ja ein Goldkind, Kathy«, freute sich Agatha Simpson. »Und was haben Sie in der Brieftasche entdeckt?«
Die Detektivin war von Kathy angerufen, worden. Parker stand neben seiner Herrin und hörte mit dem zweiten Hörer. Selbst er konnte es sich nicht verkneifen, anerkennend zu nicken.
»Der Mann heißt Marty Ballister, Mylady«, erwiderte Kathy. »Er wohnt in London, Soho, Wells Street. Er muß dort einen Buchladen haben. Mehr geht aus seinen Papieren nicht hervor.«
»Diesen Lümmel werde ich mir kaufen, Kindchen, seien Sie ganz beruhigt!« Lady Agatha glühte wieder mal vor Begeisterung.
»Ich werde Ihnen die Brieftasche zuschicken, Mylady«, versprach Kathy und lachte leise. »Wahrscheinlich wird Mister Parker noch mehr entdecken als ich.«
»Nun, überschätzen Sie Mister Parker nicht«, meinte die ältere Dame. »Auch er kocht nur mit Wasser. Was ist aus diesem Subjekt geworden?«
»Er hat das Hospital vor etwa fünfzehn Minuten verlassen, Mylady. Er ist jetzt in einer kleinen Fremdenpension am Strand. Ich bin ihm bis dahin gefolgt. Ich ahnte gleich, daß er nicht lange im Krankenzimmer bleiben würde.«
»Gut recherchiert.« Lady Agatha war weiterhin sehr zufrieden. »Passen Sie auf sich auf, lassen Sie sich nicht erwischen!«
»Ich glaube kaum, daß er mich wiedererkennt, Mylady. Ich muß jetzt Schluß machen, er kommt gerade aus dem Haus. Ich werde mich später wieder melden.«
Agatha Simpson legte den Hörer auf, bevor Parker es tun konnte. Sie wandte sich an ihren Butler.
»Ist sie nicht ein Schatz?« fragte sie. »Durch sie sind wir diesen Supermarktgangstern auf den Pelz gerückt.«
»Falls es sich um dieselbe Bande handelt, Mylady.«
»Papperlapapp, Mistet Parker! Natürlich ist das eine einzige Bande, die mal hier und mal dort arbeitet. Sie wissen hoffentlich, was wir jetzt tun werden, oder?«
»Ich würde unterstellen, daß Mylady sich den von Miß Porter erwähnten Buchladen ansehen möchte.«
»Und zwar umgehend.« Sie nickte entschlossen. »Dieser Lümmel ist nicht da, also werden wir uns in aller Ruhe mit diesem Geschäft befassen können.«
Aus Erfahrung wußte Parker, daß Widerspruch sinnlos war. Einmal in Fahrt geraten, war eine Lady Simpson nicht mehr zu bremsen. Parker holte also sein hochbeiniges Monstrum aus der hinteren Garage und erschien wieder vor dem Hauseingang. Während der kurzen Fahrt hatte er sich die nähere Umgebung genauestens angesehen. Seinem Gefühl nach war mit baldigen Überraschungen zu rechnen. Die beiden nächtlichen Besucher gehörten seiner Vermutung nach zu den Gangstern, die den Supermarkt hier in London überfallen hatten.
Parker stellte den Wagen so dicht vor dem Vorbau ab, daß seine Herrin nicht gefährdet wurde. Selbst für einen Scharfschützen, der irgendwo im Hinterhalt lauerte, war sie unerreichbar.
Während der Fahrt nach Soho entdeckte Parker schon recht bald einen Verfolger.
Es handelte sich um einen kleinen französischen 2 CV, der sie hartnäckig nicht aus den Augen ließ. Am Steuer des Wagens saß ein langmähniger Jüngling, der einen völlig unverdächtigen Eindruck machte.
»Was soll denn das?« entrüstete sich Agatha Simpson grollend, als Parker von der Hauptstraße abbog und sein Monstrum in eine Tiefgarage bewegte.
»Ein Manöver, Mylady, das ich als Ablenkung bezeichnen möchte«, erwiderte der Butler. »Die jähe Richtungsänderung bitte ich entschuldigen zu wollen. Sie ergab sich aus dem passenden Moment.«
»Wir werden verfolgt?« fragte die ältere Dame animiert.
»In der Tat, Mylady«, lautete Parkers Antwort. »Nach Lage der Dinge jedoch nicht mehr lange.«
*
Kathy Porter hatte sich in eine andere Frau verwandelt.
Sie trug eine blonde Perücke, einen schwarzen Lackmantel und hochhackige Schuhe. Sie sah ein wenig billig aus, aber ungemein sexy. Von einem scheuen Reh konnte keine Rede mehr sein.
Sie hatte die Telefonzelle verlassen und beobachtete Marty Ballister und die vier anderen Männer, die sich in seiner Begleitung befanden. Sie gingen auf einen Ford-Bus zu, der neben der Pension auf einem Parkplatz stand. Alle fünf Männer waren mit Reisetaschen und kleinen Koffern ausgerüstet. Sie lachten und lärmten, amüsierten sich prächtig und erinnerten an die Mitglieder eines kleinen Vereins, der in Brighton Urlaub macht.
Kathy hatte die Straße überquert und schlenderte auf die Gruppe der Männer zu. Ihr Gang war eine einzige Herausforderung, das Schwingen ihrer Hüften eine Einladung.
Sie hörte anerkennende Pfiffe, aber auch anzügliche Bemerkungen. Die fünf Männer waren stehen geblieben und ließen sich diesen anregenden Anblick nicht entgehen. Es war Ballister, der zum Einsteigen drängte. Er schien so etwas wie der Wortführer und Reiseleiter der Gruppe zu sein.
Kathy sah sich die Reisenden genau an. Dabei entdeckte sie genau jenen jungen Mann, den sie bereits während des Überfalls im Supermarkt gesehen hatte. Eine Verwechslung war ausgeschlossen.
»Hallo, Jungens«, sagte sie und blieb herausfordernd vor den jungen Männern stehen. »Wer ist denn hier der Boß?«
»Was wollen Sie?« fragte Ballister abweisend. Er machte einen nervösen Eindruck. Kathy lächelte kokett und musterte ihn betont. Sie wollte herausfinden, ob es bei ihm zündete. Erinnerte er sich? Kam ihm ein Verdacht?
»Ich brauche eine Freifahrt«, sagte Kathy. »Mir ist das Kleingeld ausgegangen.«
»Wir sind besetzt«, sagte Ballister knapp. Nein, er schien sich nicht zu erinnern. Seine Absage rief bei den übrigen vier jungen Männern Proteste hervor. Sie hatten überhaupt nichts dagegen, mit einer munteren Begleiterin durchs Land zu fahren.
»Wir kutschieren nach Portsmouth«, meinte Ballister. »Wir sind ’ne Werbekolonne.«
»Nach Portsmouth? Ist das ein Zufall!« Kathy Porter strahlte. »Genau da will ich hin.«
Während sie das behauptete, stellte sie sich in Positur und verkaufte förmlich ihre Rundungen und Linien. Sie hatte in dieser Beziehung viel zu bieten.
»Das geht trotzdem nicht.« Ballister wirkte unschlüssig. Er hatte bemerkt, daß diese aufreizende Blondine sich für ihn zu interessieren schien. Das schmeichelte natürlich seiner Eitelkeit.
Die übrigen vier jungen Männer redeten leise auf Ballister ein. Kathy hatte sich eine Zigarette angezündet und schlenderte langsam weiter. Zu aufdringlich durfte sie nicht erscheinen. Sie hielt auf einen Kombiwagen zu, dessen Fahrer sie bereits wohlwollend gemustert hatte.