Читать книгу Der exzellente Butler Parker 9 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3

Оглавление

»Warum geht es nicht endlich los, Mister Parker?« fragte Agatha Simpson und kramte in der Konfektschachtel auf ihren Knien.

Josuah Parker warf einen Blick auf seinen Chronometer. »Die Vorstellung dürfte in wenigen Minuten beginnen, Mylady«, versuchte er seine Herrin zu beruhigen.

Die passionierte Detektivin und Butler Parker saßen in den bequemen Logensesseln eines großen Lichtspieltheaters in der City. Sie besuchten die Premiere eines von der Kritik gefeierten Kriminalfilms.

Agatha Simpson, die sonst den heimischen Fernseher vorzog, hatte den Weg ins Kino nicht ohne Grund auf sich genommen: Ein anonymer Gönner hatte ihr Freikarten für die Sondervorstellung vor ausgewähltem Publikum zugeschickt. Und Freuden, die nichts kosten, ließ sich die Lady niemals entgehen.

Ein elektronischer Gong ertönte. Langsam verloschen die Lichter im Saal. Auf der Leinwand flimmerte der Vorspann. Doch was dann ablief, stand nicht im Drehbuch...

Schlagartig wurde es wieder schwarz auf der Leinwand. Die Musik brach ab.

Wie auf Kommando wurden alle Türen gleichzeitig aufgerissen. Mit Strumpfmasken vermummte Gestalten stürmten in den finsteren Saal. Vier von ihnen hielten mit Automaticpistolen das Publikum in Schach. Vier weitere machten sich im Schein von Taschenlampen hastig daran, Brieftaschen, Uhren und Schmuck einzusammeln.

»Was Kinobesitzer sich heutzutage alles einfallen lassen, um einen schwachen Film in die Schlagzeilen zu bringen«, wunderte sich die Detektivin. »Der Film, an dessen Drehbuch ich arbeite, wird solche Werbemätzchen nicht nötig haben.«

»Zweifellos wird Myladys filmisches Schaffen für sich selbst sprechen«, bestätigte Parker ebenso höflich wie zweideutig. »Was die momentane Darbietung angeht, sieht meine bescheidene Wenigkeit sich hingegen mit der Frage konfrontiert, ob die Herren tatsächlich im Auftrag der Direktion handeln.«

Als Sekunden später ein Maskierter ihr den perlenbestickten Pompadour vom Handgelenk reißen wollte, war auch Lady Simpson nicht mehr bereit, das Geschehen als ausgefallenen Werbegag eines Kinobesitzers zu akzeptieren.

»Das geht zu weit!« fauchte die resolute Dame und plazierte ihre geballte Faust derart unsanft in der Magengrube des zudringlichen Räubers, daß der Mann japsend ein paar Schritte zurücktaumelte.

Zwar setzte er sofort zu einem Angriff an, doch inzwischen hatte Mylady ihre bedrohliche Körperfülle aus dem Sessel gewuchtet. Der lederne Beutel, der ihren sogenannten Glücksbringer enthielt, rotierte heftig.

Das Pech des Angreifers war es, daß er genau in die Flugbahn des Pompadours lief. Stöhnend ging der Mann in die Knie, als sich der wohlgefüllte Beutel mit der Zärtlichkeit eines Eisbrechers an sein Brustbein schmiegte.

Im ersten Moment meinte der Gangster, ein Pferd hätte ihn getreten, und dieses Gefühl war nicht mal abwegig. Handelte es sich doch bei dem genannten Glücksbringer um ein veritables Hufeisen, das Mylady aus humanitären Gründen jedoch in eine dünne Lage Schaumstoff gewickelt hatte.

Der Räuber stieß gurgelnde Laute aus, vollführte ein paar schwankende Tangoschritte rückwärts und taumelte seinem bewaffneten Komplizen in die Arme. Der wiederum war zu verblüfft, um rechtzeitig den Finger vom Abzug der Pistole zu nehmen. Ein Schuß peitschte durch den Saal. Die Kugel richtete jedoch nur Sachschaden an, als sie sich in das kunstvolle Jugendstil-Ornament der Stuckdecke bohrte.

Augenblicklich verlöschten die Taschenlampen. Die Türen klappten und wurden von außen verriegelt.

»Warum unternehmen Sie denn nichts, um die dreisten Lümmel zu stellen, Mister Parker?« beschwerte sich die Detektivin. »Muß ich denn alles allein machen?«

»Bedauerlicherweise sieht man sich nicht in der Lage, an Mylady vorbei den Gang zu erreichen, ohne Mylady der Gefahr unschicklicher Berührungen auszusetzen«, machte Parker seine Herrin auf den gewichtigen Grund aufmerksam, der ihn am Eingreifen hinderte.

Mürrisch gab Lady Agatha den Weg frei. Postwendend folgte ein Schrei, als sie in der Finsternis einem älteren Herrn auf den Fuß trat, der ebenfalls aufgestanden war. In dem Saal brach Unruhe aus. Frauen kreischten, Männer schrien wütend nach der Polizei – und nach Licht.

Der Butler hatte sich gerade zum Ausgang getastet und wollte sich der Verriegelung widmen, als unvermittelt das Licht aufflammte. Im nächsten Moment wurde die Tür von außen geöffnet.

Der Mann im Nadelstreifenanzug, der, an Parker vorbei, hereinstolperte, befand sich nicht in bester Verfassung. Sein Haar war mit Blut verklebt, sein linkes Auge geschwollen. Die unsicheren Schritte, mit denen er das Podium vor der Leinwand ansteuerte, hätten jeden Polizisten zum sofortigen Entzug der Fahrerlaubnis veranlaßt.

»Meine Damen und Herren!« rief der Mann mit zitternder Stimme in die brodelnde Menge, die ihn kaum beachtete. »Bitte bewahren Sie Ruhe. Die Polizei ist bereits alarmiert.«

Nach dieser körperlichen und geistigen Anstrengung ließ er sich auf die Stufen des Podiums sinken und betastete vorsichtig die Beule, die sich an seinem Hinterkopf wölbte.

»Ich wünsche, daß Sie mich unverzüglich zu meinem Wagen geleiten, Mister Parker«, drang Agatha Simpsons baritonal gefärbtes Organ durch das aufgeregte Stimmengewirr.

»Darf man Myladys Äußerung so verstehen, daß Mylady davon absehen, in dem vorliegenden Fall ermittelnd tätig zu werden?« erkundigte sich Parker vorsichtshalber.

»Ich möchte mich empfehlen, ehe diese lästigen Schnüffelnasen hier auftauchen, Mister Parker«, bekräftigte Lady Agatha ihren Entschluß. »Ich werde meine Ermittlungen aufnehmen, wenn die Polizisten wieder Kreuzworträtsel lösen, statt die Verbrecher zu fangen.«

*

In diesem Fall war die Polizei jedoch schneller, als die Detektivin für möglich gehalten hätte. Schon auf der Treppe hetzten dem Duo aus Shepherd’s Market die ersten Beamten entgegen.

»Übermäßige Eile dürfte im Moment keine entscheidenden Vorteile mehr bieten, falls der Hinweis erlaubt ist«, spöttelte Parker, doch die Uniformierten rannten an ihm vorbei, als wären die Räuber noch im Saal.

Unbehelligt erreichten Agatha Simpson und ihr Butler den Ausgang. Gerade wollte Parker seine Herrin über die Straße zum Parkhaus geleiten, als eine schwarzglänzende Limousine mit quietschenden Reifen vor den Füßen des Paars stoppte.

Der Butler war keineswegs überrascht, als mit hochrotem Gesicht Chief-Superintendent McWarden aus der Nobelkarosse sprang. Der 55jährige Beamte galt als außerordentlich fähiger Kriminalist und leitete im Yard ein Sonderdezernat, das sich der Bekämpfung des organisierten Verbrechens widmete.

Wie versteinert blieb McWarden vor der gewichtigen Detektivin und ihrem stocksteifen Butler stehen. Seine ohnehin etwas vorstehenden Basedowaugen wagten sich weit aus den Höhlen. Er mußte einige Male nach Luft schnappen, ehe er den ersten Satz herausbrachte.

»Wer – wer hat Sie denn alarmiert, Mylady?« stammelte der Chief-Superintendent fassungslos.

»Das ist mein kleines Geheimnis, McWarden«, neckte Lady Agatha den Mann, der häufig in ihrem Haus zu Gast war und sich dort schon manchen wertvollen Tip geholt hatte. »Aber ich habe nicht vor, mich in die Ermittlungen einzuschalten, falls Sie das beruhigt. Diesen Fall dürfen Sie mal ohne meine Hilfe lösen.«

»Herzlichen Dank für das Entgegenkommen, Mylady«, gab McWarden beleidigt zurück. »Sie tun gerade so, als saßen bei Scotland Yard lauter Dummköpfe.«

»So habe ich es nicht gemeint, mein lieber Mister McWarden«, korrigierte Mylady in liebenswürdigem Tonfall.

McWarden, der unmittelbar dem Innenminister unterstellt war, schien sich aber dennoch angesprochen zu fühlen und setzte an diesem Punkt des kleinen Plauschs ohne Kommentar seinen Weg fort.

»Warum ist der Mann gleich eingeschnappt?« wunderte sich Agatha Simpson. »McWarden versteht keinen Spaß.«

»Soweit sich die Feststellung auf Myladys unnachahmliche Art von Späßen bezieht, dürfte ihr nicht zu widersprechen sein«, pflichtete Parker bei.

»Er muß unter einem Minderwertigkeitsgefühl leiden«, sinnierte die ältere Dame, während sie in Parkers hochbeiniges Monstrum stieg und sich in die Polster fallen ließ.

»Darf man vermuten, daß Mylady einen Minderwertigkeitskomplex zu meinen geruhen?« vergewisserte sich der Butler.

»Nichts anderes, Mister Parker«, behauptete Agatha Simpson. »Jedenfalls ist das der Grund, warum der gute McWarden sich sofort angegriffen fühlt. Wenn ich genauso wäre wie er – ich hätte bestimmt auch so einen Minder ... so einen Perplex.«

»Zu Myladys hervorstechendsten Eigenschaften gehört es, nicht im geringsten von Minderwertigkeitskomplexen angekränkelt zu sein«, stellte der Butler durchaus zutreffend fest.

»Das ist das Geheimnis meines Erfolgs, Mister Parker«, antwortete die Detektivin geschmeichelt. Sie nahm die Bemerkung einfach als Kompliment.

»Darf man möglicherweise davon ausgehen, daß Myladys Ermittlungen bereits in eine bestimmte Richtung weisen?« wechselte Parker das Thema. Er hatte inzwischen sein schwarzes, eckiges Gefährt aus dem Parkhaus gelenkt und fädelte sich in den abendlichen Cityverkehr ein.

»Natürlich habe ich einen konkreten Verdacht«, behauptete Lady Agatha postwendend. »Doch davon später, Mister Parker. Ehe ich mich konkret äußere, möchte ich mein taktisches Konzept bis in die Feinheiten ausarbeiten.«

»Ein gewiß verständlicher Wunsch, Mylady«, bestätigte der Butler höflich, während er das heimische Shepherd’s Market ansteuerte. »Vermutlich haben Mylady aber bereits konkrete Schritte erwogen?«

»Morgen früh werde ich zu den Vernehmungen schreiten«, kündigte die resolute Dame an. »Heute abend muß ich unbedingt noch ein Stündchen an meinem Drehbuch arbeiten. Und eine kleine Meditation habe ich mir auch vorgenommen. Ganz zu schweigen von dem schon erwähnten taktischen Konzept, das der Vollendung harrt. Sie sehen, ich bin ausgelastet, Mister Parker.«

»Bisweilen scheinen Myladys Leistungen ans Übermenschliche zu grenzen«, ergänzte der Butler und hatte dabei vor allem gewisse Fähigkeiten im Sinn, die seine Herrin bei ihrer Diät offenbarte.

Kurz darauf ließ Parker sein hochbeiniges Monstrum in die stille Seitenstraße rollen, an der Agatha Simpson ein zweistöckiges Fachwerkgebäude repräsentativen Zuschnitts bewohnte. Inmitten des hektischen Getriebes der Millionenstadt an der Themse bildete das Areal im Stadtviertel Shepherd’s Market eine liebenswerte Oase der Ruhe.

»Und bringen Sie mir noch ein kleines Stärkungsmittel, Mister Parker«, wünschte Lady Agatha, ehe sie über die geschwungene Freitreppe ins Obergeschoß entschwand. »Die ständigen Londoner Wetterumschwünge richten meinen sensiblen Kreislauf noch zugrunde.«

Parker trug eine Flasche mit erlesenem altem Kognak hinauf und zog sich mit höflicher Verbeugung zurück.

Als Minuten später in Myladys Studio die ersten Schüsse fielen, wußte er sofort, daß seine Herrin zu den gestapelten Videokassetten gegriffen hatte, mit denen er sie täglich versorgen mußte.

Fiel die Abendgestaltung nun unter die Rubrik »Arbeit am Drehbuch«, oder handelte es sich eher um Myladys spezielle Methode von Meditation? Hoffte sie vielleicht, dem Kriminalstreifen Anregungen für ihr taktisches Konzept entnehmen zu können?

Der Butler hatte sich derlei Fragen seit Jahren abgewöhnt. Ihn beschäftigten andere Gedanken, als er würdevollen Schrittes die Küche ansteuerte, um Vorbereitungen für das Frühstück zu treffen.

*

Die Zeiger der pompösen Standuhr in Myladys weitläufiger Wohnhalle rückten auf Mitternacht zu, als Parker die Küche verließ, um noch einen Kontrollgang durchs Haus zu unternehmen. Der Fernseher im Obergeschoß war verstummt. Nur Schnarchgeräusche, die ab und zu die Stille durchbrachen, zeugten von der Anwesenheit der Hausherrin.

Gerade wollte der Butler seine privaten Räume im Souterrain ansteuern, als das Telefon in der Diele schrillte.

»Hier bei Lady Simpson.«

»Mister Parker? Gut, daß ich Sie noch erreiche.« McWardens Stimme klang nervös und abgespannt. »Ich bin eben erst aus diesem verdammten Kino in mein Büro zurückgekehrt.«

»Darf man fragen, ob ihre Ermittlungen vor Ort erfolgversprechend verlaufen sind, Sir?«

»Im Gegenteil, Mister Parker«, gestand der Chief-Superintendent kleinlaut. »Dabei ist das schon der vierte Fall innerhalb weniger Wochen.«

»Kann und muß man Ihre Äußerung so verstehen, daß es sich um eine Serie von Überfällen handelt, für die ein und derselbe Täterkreis in Frage kommt, Sir?«

»Die Vermutung liegt auf der Hand«, bestätigte McWarden und nannte drei Lichtspieltheater, die in den letzten Wochen auf ähnliche Weise heimgesucht worden waren. »Aber bisher gibt es nicht mal eine heiße Spur. Wir können nun rätseln, welches Kino demnächst an die Reihe kommt. Ich dachte, Sie wären vielleicht schon ein Stück weiter, Mister Parker.«

»Darf man erfahren, worauf Sie diese Annahme gründen, Sir?«

»Mir können Sie nichts vormachen, Mister Parker«, schlug der Chief-Superintendent einen vertraulichen Ton an. »Sie ermitteln doch auch in der Sache. Ihrer Herrin glaube ich kein Wort.«

»Meiner Wenigkeit steht es nicht zu, Myladys Äußerungen auch nur im geringsten anzuzweifeln oder zu korrigieren, Sir.«

»Zum Teufel mit Ihrer verdammten Höflichkeit!« McWarden schien gereizt. »Vielleicht wollen Sie auch noch behaupten, Sie wären zufällig am Tatort gewesen?«

»Genauso verhält es sich, Sir«, versicherte Parker würdevoll und gemessen. »Mylady nahm lediglich eine Einladung zur Premiere des vielgerühmten Filmes wahr, falls der Hinweis erlaubt ist.«

»Das können Sie Ihrer Großmutter erzählen«, schrie McWarden ins Telefon. Mit seiner Beherrschung war es vorbei. »Zumindest haben Sie den Polizeifunk abgehört. Und das ist verboten.«

»Ein Umstand, der meiner Wenigkeit durchaus geläufig ist, Sir«, entgegnete der Butler in seiner unbeirrbaren Höflichkeit.

»Wir sprechen uns noch«, fauchte der Yard-Beamte. »Auf den Arm nehmen kann ich mich selbst.«

»Eine solche Leistung würde selbst durchtrainierten Sportlern uneingeschränkten Respekt abnötigen, Sir«, bemerkte Parker, doch McWarden war nicht zu Scherzen aufgelegt. Er stieß kaum verständliche Laute aus, ehe er den Hörer in die Gabel knallte.

*

»Mylady erhoffen sich von der Vernehmung des Kinobesitzers gewisse Hinweise auf die Identität der Räuber?« erkundigte sich Parker. Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und chauffierte Agatha Simpson zu dem Kino in der Innenstadt, das sie am Abend zuvor besucht hatten.

»Der Mann nimmt eine wichtige Schlüsselstellung in meinem Ermittlungskonzept ein«, nickte die Detektivin. »Er wurde von den Ganoven niedergeschlagen. Also muß er sie aus der Nähe gesehen haben. Können Sie mir folgen, Mister Parker?«

»Myladys Gedankengänge sind von einer bestechenden Klarheit, falls die Anmerkung erlaubt ist«, ließ der Butler sich vernehmen. »Vermutlich haben Mylady auch bedacht, daß die Herren Räuber maskiert waren.«

»Selbstverständlich habe ich das bedacht, Mister Parker«, schwindelte Agatha Simpson geistesgegenwärtig. »Aber immerhin hat der Kinobesitzer die Lümmel im Hellen gesehen, während es im Saal stockdunkel war.«

»Auch bei Licht dürfte es kaum möglich sein, ein Gesicht hinter einer Strumpfmaske zu erkennen«, gab Parker zu bedenken.

»Wenn Sie gestern einen der dreisten Lümmel gestellt hätten, Mister Parker, hätte ich diesen ermittlungstechnischen Umweg über den Kinobesitzer nicht nötig«, konterte die Detektivin. »Ein kurzes Verhör, und der Bursche hätte mir alles über seinen Auftraggeber verraten.«

»Myladys Vernehmungsmethoden sind in der Tat ohne Beispiel«, erklärte Parker mit einer angedeuteten Verbeugung. Er wollte seine Herrin nicht noch mal darauf hinweisen, wer ihn gehindert hatte, sich einen der Ganoven zu schnappen.

Zu dieser Vormittagsstunde herrschte wenig Verkehr in der City. Parker fand sogar einen Parkplatz unmittelbar vor dem Kino. Gemächlich ließ er sein schwarzes, eckiges Gefährt ausrollen und half seiner Herrin beim Aussteigen.

Doch der erste Ermittlungsschritt der passionierten Detektivin erwies sich als undurchführbar.

»Wegen technischer Störung heute keine Vorstellung«, verkündeten eilig gepinselte Schilder. Die gläsernen Eingangstüren waren verschlossen. Das Gebäude machte einen verlassenen Eindruck. Auch der Klingelknopf, den der Butler an einem Seiteneingang entdeckte, lockte keinen Menschen heraus.

»Vermutlich sollte man der Annahme zuneigen, daß sich der Inhaber zur Vernehmung in Scotland Yard aufhält, Mylady«, bemerkte Parker.

»Unverschämtheit«, erwiderte die ältere Dame. »Der Mann kann doch nicht einfach wegfahren, wenn ich ihn vernehmen will.«

»Möglicherweise darf man darauf hinweisen, daß der fragliche Herr über Myladys Absichten nicht unterrichtet war«, wandte der Butler ein, doch damit war Agatha Simpson nicht zu beschwichtigen.

»Das ist keine Entschuldigung«, entgegnete sie. »Soll eine Dame meines Standes vielleicht auf der Straße warten, bis der Kerl endlich kommt?«

»Unter Umständen könnten Mylady die Zeit nutzen, um eines der drei anderen Lichtspieltheater zu besuchen«, schlug Parker vor.

Beim Frühstück hatte er seiner Herrin von McWardens mitternächtlichem Anruf berichtet. Sie hatte die Mitteilung interessiert zur Kenntnis genommen, aber erwartungsgemäß jeden Zusammenhang zwischen den vier Überfällen bestritten.

Für die resolute Dame war es ein Gebot der Selbstachtung, grundsätzlich anderer Meinung zu sein als der Chief-Superintendent.

»Nun gut«, lenkte sie ein. »Ich will die überflüssige Fahrt auf mich nehmen. Aber nur, um Ihnen und Mister McWarden zu beweisen, daß Sie beide auf dem Holzweg sind.«

»Man dankt für das Entgegenkommen, Mylady«, sagte Parker höflich, während er sein Fahrzeug wieder auf die Straße lenkte.

Das Kino in der Great Eastern Street, das McWarden neben zwei anderen genannt hatte, war schnell erreicht. Es machte einen weniger gepflegten und repräsentativen Eindruck als der luxuriöse Flimmerpalast in der City. Aber wenigstens war es geöffnet.

»Man wünscht einen angenehmen Tag.« Parker lüftete höflich seinen schwarzen Bowler, als er das grauhaarige Männchen ansprach, das gerade die Fotos in einem Schaukasten auswechselte. »Würden Sie wohl die Güte zeigen, Lady Simpson zum Inhaber dieses Lichtspielhauses zu führen?«

Der schmächtige Alte mit dem faltigen Gesicht wäre fast von der Leiter gefallen, als er die Ankömmlinge erblickte. In der Tat bot das Duo aus Shepherd’s Market einen Anblick, wie er selbst in London heute nicht mehr alltäglich ist.

Josuah Parker war ein Mann von mittlerer Statur und schwer bestimmbarem Alter. Leichte Neigung zum Bauchansatz glich er durch eine würdevolle bis steife Haltung aus, die manchmal den Eindruck aufkommen ließ, er habe einen Ladestock verschluckt.

Der schwarze Zweireiher und der weiße Eckkragen, der Bowler über den leicht ergrauten Schläfen, der altväterlich gebundene Regenschirm am angewinkelten Unterarm – das alles ließ an einen Butler aus längst vergangenen Zeiten denken.

Bei Parker stimmten äußere Erscheinung und innere Haltung überein. Er war Zoll für Zoll das Urbild eines hochherrschaftlichen Butlers, wie man ihn nur auf der Insel findet.

Lady Agatha, die manchmal eine überraschende Dynamik in ihre wogende Fülle bringen konnte, trug ein etwas aus der Mode gekommenes Tweedkostüm von unsäglichem Schnitt und derbe Schnürschuhe. In dem undefinierbaren Filzgebilde auf ihrem Kopf steckten zwei Hutnadeln, die das Format von Grillspießen besaßen und bei jedem Schritt bedrohlich wippten. An ihrem Handgelenk pendelte der Pompadour, der eher einem eingelaufenen Seesack glich als einem Damentäschchen.

»Ich bin selbst der Inhaber«, sagte der Mann nach einer Pause, die fast peinlich lang geriet. Langsam stieg er von den Sprossen, ohne das wunderliche Paar aus den Augen zu lassen.

»Hall ist mein Name«, stellte er sich mit einer schüchternen Verbeugung vor. »Philipp Hall. Was kann ich für Sie tun, Mylady? Wollen Sie vielleicht mein Kino für eine Sondervorstellung mieten? Ich kann Ihnen einen günstigen Preis machen.«

»Ich bin Detektivin und werde Ihnen jetzt ein paar Fragen zu dem Überfall stellen, der sich neulich hier ereignete, Mister Paul«, kam die ältere Dame gleich zur Sache.

»Verzeihung, Mylady«, warf Hall ein. »Mein Name ist Hall, nicht Paul.«

»Ich habe Sie schon richtig verstanden«, entgegnete Agatha Simpson unbeirrt. »Mein Gehör ist ebenso hervorragend wie mein Namensgedächtnis, nicht wahr, Mister Parker?«

»Nichts liegt meiner Wenigkeit ferner, als Myladys Äußerungen zu widersprechen«, versicherte der Butler, ohne vom Pfad der Wahrheit abzuweichen.

»Aber was denn für Fragen?« wollte Hall wissen. Seine grauen Augen blickten mißtrauisch. »Ich habe der Polizei doch schon alles erzählt. Dreimal haben die mich ausgequetscht. Ich will von der Sache nichts mehr wissen. Der Fall ist für mich vorbei und erledigt. Allmählich trauen sich die Leute auch wieder in mein Kino.«

»Mylady hatte nicht die Absicht, die Unterhaltung mit Ihnen hier draußen auf der Straße zu führen, Mister Hall«, stellte Parker klar. »Möglicherweise verfügen Sie über ein Büro, in dem man ungestört wäre?«

»Wenn’s unbedingt sein muß«, murrte Philipp Hall, schritt aber gehorsam voran.

*

»Also wirklich, für mich ist die Sache abgeschlossen«, begann Hall von neuem, als er den Besuchern Plätze angeboten hatte. »Ich will nicht mehr daran denken.«

»Darf man Ihre Äußerung so interpretieren, daß Sie dennoch in regelmäßigen Abständen an den Überfall erinnert werden, Mister Hall?« bohrte Parker.

Die Augen des Kinobesitzers verengten sich zu Schlitzen.

»Wie meinen Sie das?« fragte er zögernd.

»Könnte es möglicherweise zutreffen, daß der Auftraggeber des Überfalls nach dem Ergebnis mit Ihnen Kontakt aufnahm?« antwortete der Butler mit einer Gegenfrage.

»Warum sollte er?« gab Hall lächelnd zurück. »Da müßte er ja schön dumm sein.«

Parkers Gegenüber bewahrte seinen gelassenen Gesichtsausdruck. Dem Butler entging aber nicht, daß Hall nach seinem versilberten Kugelschreiber griff und ihn abwechselnd auf- und zuschraubte.

»Dann darf man vielleicht die Vermutung äußern, daß Ihnen jemand Schutz vor künftigen Überfällen angeboten hat. Mister Hall?«

Ein kaum merkliches Zucken im Gesicht des Kinobesitzers verriet Parker, daß er offenbar auf der richtigen Fährte war.

»Unsinn«, sagte Hall mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Wenn solch ein Angebot gekommen wäre, hätte sich schon längst die Polizei darüber informiert.«

»Gangster, die sogenannte Schutzprämien erpressen wollen, reagieren meistens ausgesprochen aggressiv, wenn man die Polizei einschaltet«, wandte Parker ein. »Insofern könnte verständliche Angst Sie bisher an diesem Schritt gehindert haben, falls man eine solche Spekulation anstellen darf.«

»Ich sage Ihnen doch, da war nichts«, gab Hall ungeduldig zurück. »Was soll die Fragerei?«

Mylady hatte sich bisher darauf beschränkt, den Mann mit lauernden Blicken zu begutachten. Jetzt hielt sie aber den Zeitpunkt zum Eingreifen für gekommen.

»Das ist eine Dreistigkeit, meine Vernehmungsmethoden als Fragerei zu diffamieren«, fuhr sie mit ihrem Bariton den verdutzten Kinobesitzer an. »Außerdem drängt sich der Eindruck auf, daß dieser Bursche auch noch die Unverschämtheit besitzt, einem ins Gesicht zu lügen.«

»Auch meine Wenigkeit würde der Einschätzung zuneigen, daß Mister Halls Einlassungen einer gründlichen Nachprüfung bedürfen, Mylady«, pflichtete der Butler ihr bei.

»Soll das heißen, Sie glauben mir nicht?« empörte sich das graue Männchen und sprang vom Stuhl. »Wissen Sie, was Sie mich können ...?«

Hall kam nicht dazu, sein Angebot zu konkretisieren. Ehe er das erste unpassende Wort ausstoßen konnte, hatte eine von Myladys berüchtigten Ohrfeigen ihn sprachlos gemacht. Er mußte sich mit der rechten Hand auf den Schreibtisch stützen, um nicht in die Knie zu gehen.

Mit der Linken tastete Hall vorsichtig seine Kinnlade ab, auf der sich Agatha Simpsons gespreizte Finger als rote Striemen abzuzeichnen begannen. Tränen standen in seinen Augen, als er sich wieder auf den Stuhl sinken ließ.

»Die kleine Lektion sollte Sie nur daran erinnern, wie man sich in Gegenwart einer Dame benimmt, Mister Fall«, übertönte Myladys Organ das Gewimmer des Kinobesitzers. »Eigentlich hätten Sie wegen Ihrer schamlosen Verlogenheit gleich noch eine Zusatzbehandlung verdient.«

»Nein«, schrie Hall entsetzt und verkroch sich hinter seinem Schreibtisch. »Die eine hat gereicht!«

»Das will ich hoffen«, erwiderte die Detektivin und ließ zur Bekräftigung den perlenbestickten Pompadour wippen. »Aber wehe, Sie versuchen ein zweites Mal, mich zu belügen... Als Detektivin würde ich das sofort merken. Und dann müßte ich natürlich eine deutlichere Sprache sprechen.«

»Bloß nicht noch deutlicher, Mylady«, flehte Hall. »Ich sage alles.«

»Demnach würden Sie nun doch bestätigen, daß der Versuch unternommen wurde, Schutzprämien von Ihnen zu erpressen, Mister Hall?« nahm Parker den Faden wieder auf.

Der Kinobesitzer nickte.

»Und wer ist der Lümmel, der sich an Ihnen schadlos hält?« fragte Agatha Simpson erwartungsvoll.

»Keine Ahnung, Mylady«, gab Hall zur Antwort. »Ich habe den Kerl nie zu Gesicht bekommen.«

»Und trotzdem zahlen Sie?« wunderte sich die sparsame Lady.

»Wenn Sie erlebt hätten, was ich erlebt habe, würden Sie auch zahlen«, behauptete der Kinobesitzer.

»Nie und nimmer!« entrüstete sich die Detektivin. »Eine alleinstehende Dame kann es sich nicht erlauben, derart leichtfertig mit ihrem Geld umzugehen.«

»Darf man auf eine nähere Schilderung dessen hoffen, was Sie bewog, auf die Forderung des Erpressers einzugehen?« setzte Parker seine Befragung fort.

»Der Überfall allein hätte mir eigentlich gereicht«, erzählte Hall nun bereitwillig. »Die Burschen haben mich im Kassenhäuschen niedergeschlagen, ehe sie das Publikum ausplünderten. Einen Tag später rief ein Mann bei mir an, der seinen Namen nicht nannte. Er behauptete, ich müßte mich ihm anvertrauen, wenn ich ähnliche Vorfälle in Zukunft vermeiden wollte.«

»Man darf wohl vermuten, daß dieses Angebot seinen Preis hatte, Mister Hall?« hakte der Butler nach.

»Er wollte fünfhundert Pfund pro Woche. Fast die Hälfte meiner Einnahmen.«

»Dennoch gingen sie auf die Forderung ein, Mister Hall?«

»Natürlich nicht«, entgegnete der Kinobesitzer. »Ich habe ihn ausgelacht und gesagt, ich würde die Polizei einschalten.«

»Die Reaktion des Anrufers dürfte nicht gerade freundlich gewesen sein, Mister Hall.«

»Er hat mir unmißverständlich gedroht, es könnte tödliche Folgen für mich haben, wenn ich nicht schweige und zahle«, bestätigte Parkers Gegenüber. »Da habe ich einfach aufgelegt.«

»Womit die Angelegenheit aber keineswegs erledigt war, falls man diese Vermutung äußern darf.«

»Als ich nach der letzten Vorsteilung das Kino verließ, standen vier Männer im Ausgang«, berichtete Hall, und seine Stimme begann deutlich zu zittern. »Jeder von ihnen hatte einen Revolver in der Hand. Sie schossen nicht, bewegten sich auch nicht von der Stelle. Sie sahen mich nur mit eisigen Blicken an.«

»Eine Inszenierung, die einen gewissen Hang zur Theatralik erkennen läßt«, bemerkte der Butler.

»Als ich kaum zu Hause war, rief der Unbekannte wieder an«, setzte Hall seinen Bericht fort. »Da war es mit meiner Courage vorbei. Seitdem zahle ich.«

»Darf man noch erfragen, auf welchem Weg das Geld den Empfänger erreicht?« blieb Parker am Ball.

»Jede Woche kommt ein Bote, dessen Namen ich auch nicht kenne«, gab Hall die gewünschte Auskunft. »Er meldet sich kurz vorher telefonisch an, holt sich die fünfhundert Pfund und ist gleich wieder verschwunden.«

»Darf man annehmen, daß ein bestimmter Wochentag der Zahltag ist, Mister Hall?«

»Eigentlich müßte er heute wieder kommen.«

*

Das Telefon klingelte wie auf Bestellung.

»Hier Hall«, meldete sich der Kinobesitzer. Parker entging nicht, daß sein ohnehin blasses Gesicht noch eine Spur bleicher wurde.

»Ja natürlich«, beteuerte er. »Das Geld liegt bereit. Und allein bin ich auch.«

Mit zitternden Händen legte Philipp Hall den Hörer auf.

»Sie müssen sofort gehen«, flehte er die Besucher an. »Das war er. Der Bote wird in fünf Minuten hier sein.«

»Umso besser«, triumphierte Agatha Simpson. »Dann kann ich den Lümmel gleich festnehmen und einem verschärften Verhör unterziehen. Sie dürfen sich glücklich preisen, Mister Hall, daß ich Ihren Fall übernommen habe.«

Der Kinobesitzer ließ sich dadurch nicht beruhigen, sondern schob seine Besucher zur Tür.

»Wenn die Kerle auch nur den leisesten Verdacht schöpfen, bin ich ein toter Mann«, jammerte er.

Josuah Parker ließ die Blicke schweifen. Ein Versteck, aus dem sich das Gespräch zwischen dem Kinobesitzer und dem Kassierer des Erpressers belauschen ließ, gab es nicht. Vielleicht war es doch besser, erst mal das Feld zu räumen.

»Sie können unbesorgt sein, Mister Hall«, wandte der Butler sich an den völlig eingeschüchterten Kinobesitzer. »Mylady war ohnehin im Begriff, aufzubrechen.«

»War ich das, Mister Parker?« wunderte sich die Detektivin.

»Falls man nicht irrt, äußerten Mylady die Absicht, den Mann nicht frontal anzugreifen, sondern durch eine List zu Fall zu bringen«, machte Parker seiner Herrin den Abgang schmackhaft.

»Richtig, so steht es in meinem Konzept. Da haben Sie gut aufgepaßt, Mister Parker«, lobte Agatha Simpson und überschritt hocherhobenen Hauptes die Schwelle.

Philipp Hall stand die Erleichterung im Gesicht geschrieben, als er die Tür hinter den Besuchern schloß.

*

»Wie soll ich den Schurken denn stellen, wenn ich im Auto sitze, Mister Parker?« wollte die ältere Dame wissen, als der Butler sie über die Straße zum Wagen geleitete. »Wenn heute wieder einer dieser Lümmel entkommt, können Sie sich eine neue Stellung suchen.«

»Man wird aufrichtig bemüht sein, Mylady keinesfalls zu enttäuschen«, versicherte Parker und schwang sich auf den Fahrersitz. »Möglicherweise möchten Mylady aber vor einer Festnahme über den Inhalt des Gespräches zwischen Mister Hall und seinem Besucher informiert sein.«

»Sie wissen, daß ich grundsätzlich alle verfügbaren Informationen heranziehe und werte, ehe ich zuschlage, Mister Parker«, behauptete die Detektivin großspurig.

»Meine Wenigkeit hat sich erlaubt, entsprechende technische Vorkehrungen zu treffen, Mylady«, teilte Parker mit und schaltete den Radioempfänger am Armaturenbrett ein. Statt Musik oder Nachrichten drang aber nur das Rascheln von Papier und gelegentlich ein nervöses Räuspern aus dem Lautsprecher.

»Was ist denn das für ein merkwürdiges Rundfunkprogramm, Mister Parker?« mäkelte Agatha Simpson. »Man versteht ja überhaupt nichts.«

»Es dürfte sich um die Geräusche handeln, die Mister Hall im Moment verursacht, Mylady«, gab der Butler Auskunft. »Der Miniatursender, den man unter Mister Halls Schreibtischplatte heftete, wird in den nächsten Minuten auch die Stimme des erwarteten Gangsters übertragen, sofern man sich nicht gründlich täuscht.«

Konzentriert beobachtete Parker den Mann in sandfarbenem Trenchcoat und dunkelbraunem Filzhut, der in diesem Moment lässig Richtung Kinoeingang schlenderte. Vor den Schaukästen mit den Ankündigungen blieb der Unbekannte stehen.

Szenenfotos und Plakate schienen ihn aber nur beiläufig zu interessieren. Der Mann musterte betont unauffällig die Umgebung und ließ zwei Passanten vorübergehen, ehe er sich unbeobachtet fühlte und mit schnellen Schritten im Gebäude verschwand.

Parker drehte den Lautstärkeregler des Empfängers höher.

»Tag, Hall«, war gleich darauf die Stimme des Unbekannten zu hören. »Wo ist die Knete?«

»Hier«, meldete der Kinobesitzer eilfertig. Den Geräuschen aus dem Lautsprecher war zu entnehmen, daß Hall eine Schreibtischschublade aufzog und seinem Besucher etwas hinüberreichte.

Papier raschelte. Vermutlich zählte der Unbekannte die Scheine nach.

»stimmt«, bestätigte der Kassierer des Erpressers. »Dann bis zum nächsten Mal, Hall.«

Parker wollte schon den Empfänger abschalten und seiner Herrin beim Verlassen des Wagens behilflich sein, doch plötzlich war die fremde Stimme noch mal zu hören.

»Wie sehen Sie denn überhaupt aus, Hall?« fragte der Mann mißtrauisch. »Sie sind ja ganz durcheinander.«

»Ach, es ist nichts«, wehrte Hall ab. »Nur die Nerven.«

»Versteh’ ich gar nicht«, kommentierte sein Besucher spöttisch. »Wo sie von uns doch so gut beschützt werden.«

»Geht auch vorbei«, beteuerte Hall. »Es ist wirklich nichts.«

»Ich dachte schon«, war die Stimme des Fremden zu vernehmen, bevor er die Tür hinter sich schloß.

Als Philipp Halls Besucher die Treppe herabkam und auf die Straße hinaus wollte, fiel ihm linker Hand eine korpulente Dame mit Tweedkostüm und abenteuerlichem Hut auf, die neugierig die Szenenfotos aus einem Liebesfilm betrachtete. Vor den Schaukästen an der rechten Seite stand ein Mann, der ihn an einen hochherrschaftlichen Butler erinnerte, und studierte die Ankündigung für einen Karatefilm.

Der Fremde dachte sich jedoch nichts dabei und schritt unbekümmert weiter. Das war sein entscheidender Fehler.

Mit einer kaum merklichen Bewegung seines angewinkelten Unterarmes, ließ Josuah Parker den altväterlich gebundenen Universal-Regenschirm senkrecht in die Höhe steigen und hatte im nächsten Moment die Spitze in der schwarz behandschuhten Rechten. Anschließend ließ er den bleigefüllten Bambusgriff dicht über dem Boden einen Halbkreis beschreiben.

Der Unbekannte stieß einen überraschten Schrei aus, als sich die harte Krücke unwiderstehlich um seine Knöchel legte und ihm die Beine nach hinten wegriß. Die Bauchlandung, die er spontan darbot, war zwar nicht formvollendet, dafür aber schmerzhaft. Jedenfalls ließen das die Laute ahnen, die der Mann ausstieß, während er auf dem Pflaster des Gehwegs nach einer bequemen Lage suchte.

»Der Herr scheint eine Kreislaufschwäche erlitten zu haben«, behauptete Parker, als die ersten Passanten stehenblieben. »Man wird den Bedauernswerten unverzüglich ärztlicher Behandlung zuführen.«

Unter den Blicken der Neugierigen, die ihm offenbar das notwendige Fachwissen zutrauten, hob Josuah Parker seinen Patienten vom Boden auf und trug ihn über die Straße.

Der unbekannte Bote des unbekannten Entführers stöhnte schwach, als der Butler ihn auf den Beifahrersitz seines hochbeinigen Monstrums bettete.

»Man darf doch davon ausgehen, daß Mylady dem Herrn eines der Gästezimmer anzuweisen gedenken?« erkundigte sich Parker, während er den Motor startete.

»Natürlich, Mister Parker«, nickte Lady Agatha. »Und sorgen Sie dafür, daß es meinem Gast an nichts fehlt.«

*

»Mit dieser Festnahme habe ich dem Gangstersyndikat eine schwere Schlappe zugefügt, Mister Parker«, frohlockte die ältere Dame und rieb sich vor Freude die Hände. »Dabei haben die Bosse noch nicht mal gemerkt, welches Unheil sich über ihren Köpfen zusammenbraut. Sonst hätten sie schon längst eine ganze Meute von Verfolgern auf meine Spur gehetzt.«

»Völlig unbemerkt scheint Myladys erfolgreiches Eingreifen aber nicht geblieben zu sein, falls der Hinweis gestattet ist«, entgegnete Parker, während er sein schwarzes Gefährt durch die Straßen der City in Richtung Shepherd’s Market steuerte.

Der Fahrer des silbergrauen Chevrolet, der ihm kurz nach der Abfahrt aufgefallen war, hielt zwar vorsichtigen Abstand; das Fahrzeug tauchte aber mit schöner Regelmäßigkeit nach jedem Abbiegen wieder im Rückspiegel auf.

»Wollen Sie damit sagen, daß ich doch verfolgt werde, Mister Parker?« vergewisserte sich die Detektivin hoffnungsvoll.

»Nichts anderes beabsichtigte meine Wenigkeit mitzuteilen, Mylady«, bestätigte der Butler.

»Habe ich’s doch geahnt!« rief die ältere Dame. »Der schwarze Jaguar mit den vier Männern darin kam mir natürlich sofort verdächtig vor, Mister Parker. Ich täusche mich eben nie.«

»Nichts liegt meiner Wenigkeit ferner, als Myladys Beobachtungen anzuzweifeln«, versicherte Parker höflich. »Bedauerlicherweise vermag man jedoch keinen schwarzen Jaguar zu entdecken. Der silbergraue Chevrolet hingegen...«

»Natürlich, Mister Parker«, nickte die Detektivin. »Ein Chevrolet war es. Sagte ich das nicht?«

»Darf man von der Annahme ausgehen, daß Mylady bereits konkrete Vorstellungen entwickelt haben, was die Behandlung des Verfolgers angeht?«

»Selbstverständlich, Mister Parker. Ich werde dem zudringlichen Quartett schon zeigen, was eine Harke ist.«

»Darf man Mylady in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, daß der Chevrolet nur mit einem einzigen Mann besetzt ist, der keineswegs zudringlich erscheint, sondern auffallend Distanz hält?«

»Auch gut«, schwenkte die Detektivin ein. »Was schließe ich aus diesem Verhalten, Mister Parker?«

»Mylady vermuten, daß der Unbekannte im Chevrolet keinerlei Angriffsabsichten hegt...«

»Richtig, Mister Parker.«

»Vielmehr dürfte er daran interessiert sein, herauszufinden, wohin Mylady seinen Komplizen zu bringen gedenken.«

»Seinen Komplizen?«

Der exzellente Butler Parker 9 – Kriminalroman

Подняться наверх