Читать книгу Der exzellente Butler Parker 15 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3

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Die Gestalt trug einen hellen, flatternden Kittel und sah aus wie ein zu groß geratener, prähistorischer Vogel.

»Mir ist, als hätte ich mal gehört, daß es in dieser Gegend noch spukt«, sagte Lady Agatha. »Ich wittere eine nette, kleine Abwechslung, Mister Parker, ein Gespenst käme mir gerade recht.«

»Falls es sich um ein solches handelt, dürfte es sich mit seinem Auftritt verfrüht haben, Mylady, bis Mitternacht sind es noch vier Stunden«, gab der Butler gemessen zurück.

»Seien Sie doch nicht immer so pingelig, Mister Parker«, räsonierte die ältere Dame. »Ob Gespenst oder nicht, wir nehmen es auf jeden Fall an Bord.«

»Wie Mylady zu wünschen belieben.« Parker trat auf die Bremse und hielt direkt neben der seltsamen Erscheinung. Diese riß sofort die hintere Tür des Wagens auf und warf sich in den Fond. »Fahren Sie weiter«, keuchte sie, während sie verängstigt nach draußen starrte.

»Sie erwarten Ungemach?« erkundigte sich Parker höflich und beschleunigte sein hochbeiniges Monstrum.

»Die wollen mich dort einsperren, um an mein Geld zu kommen«, japste der Fahrgast außer Atem, »aber ich konnte im letzten Augenblick verschwinden. Wenn ich erst in der Anstalt gelandet wäre, wäre ich nie wieder herausgekommen.«

»Ihre Stimme kommt mir irgendwie bekannt vor«, überlegte Lady Agatha. »Ich muß sie schon mal gehört haben.« Die passionierte Detektivin beugte sich vor und sah der Unbekannten ins Gesicht, dann gab sie einen überraschten Laut von sich und klatschte ihrem Fahrgast auf die Schulter.

»Margareth, was soll das heißen?« dröhnte sie. »Ich denke, du sitzt daheim auf deinem Castle und wartest auf meinen Besuch.«

»Agatha!« Die hellgekleidete Gestalt war nicht weniger überrascht und warf sich in die Arme der Lady, um gleich darauf laut zu schluchzen.

»Was ist passiert, meine Liebe, du kannst dich mir voll und ganz anvertrauen«, bemerkte Lady Agatha und tätschelte der Gestalt neben sich den Rücken.

»Hubert«, antwortete Margareth Worthington, »der verdammte Erbschleicher wollte nicht länger warten und mich deshalb in die Anstalt einweisen lassen, um schon jetzt an mein Geld heranzukommen. Mein Gott, wenn ich nicht in dem Moment, in dem die schrecklichen Wärter mich aus dem Krankenwagen holten, richtig reagiert hätte und weggelaufen wäre, säße ich jetzt in einer Gummizelle und käme wohl mein Leben lang nicht mehr heraus.

»Bedarf es nicht eines gewissen, gesetzlich genau vorgeschriebenen Aufwandes, Mylady, um jemanden gegen seinen Willen in eine solche Anstalt einzuliefern?« erkundigte sich Parker, der den neuen Fahrgast als Lady Margareth Worthington, Lady Agathas weitläufige Verwandte, identifiziert hatte.

»Natürlich, aber Sir Hubert ist mit dem Anstaltsleiter befreundet und hat sich von ihm ein falsches Attest besorgt. Danach war alles ganz einfach für ihn, er brauchte das Attest nur noch vor Gericht einzureichen und meine Entmündigung zu beantragen. Dieser Doktor Rush gilt als Koryphäe auf seinem Gebiet. Niemand würde es wagen, sein Urteil anzuzweifeln.«

»Was genau wird Ihnen in dem medizinischen Gutachten dieses Doktor Rush unterstellt, Mylady?«

»Nun, er hat das natürlich in Fachchinesisch ausgedrückt, aber im wesentlichen läuft es wohl darauf hinaus, daß ich angeblich wegen meiner großzügigen Spenden und sozialen Engagements den Worthington-Familienbesitz heruntergewirtschaftet habe und deshalb geschäftsunfähig bin. Dabei führt seit Jahren Hubert die Geschäfte der Familie, ohne daß ich Einfluß darauf nehme, und wenn jemand Schuld daran hat, daß der Besitz nichts mehr abwirft, dann er. Aber er behauptet natürlich, er hätte immer nur auf meine Weisung hin gehandelt. Jedenfalls hat Doc Rush ein Gutachten erstellt, ohne mich untersucht zu haben, und mit dem ist Hubert zum Gericht gegangen und hat meine Entmündigung durchgesetzt. Jetzt verfügt er über das Familienvermögen und kann machen, was er will.«

»Keine Angst, meine Liebe, das werde ich schon in Ordnung bringen«, versprach Agatha Simpson. »Wir werden diesem Doc Cash nachdrücklich klarmachen, daß er sich geirrt hat, nicht wahr, Mister Parker?«

»In der Tat, Mylady. Doktor Rush wird sich bestimmt gern von Mylady überzeugen lassen«, korrigierte er diskret den Namen des Arztes. »Im übrigen sieht es so aus, als wollte man Kontakt mit Mylady aufnehmen.«

»Wirklich?« Agatha Simpson drehte sich um und schaute animiert durch das Rückfenster. Es näherte sich ein weißlackierter Wagen, auf dessen Dach ein Blaulicht kreiste.

»Der Anstaltswagen!« Lady Margareth hatte sich gleichfalls umgedreht und starrte ängstlich auf das rasch näher kommende Fahrzeug, das gerade zum Überholen ansetzte und sich rücksichtslos vor Parkers Kühlerhaube drängte.

Ohne eine Miene zu verziehen, ließ der Butler sein hochbeiniges Monstrum am Straßenrand ausrollen, direkt hinter dem Krankenwagen, aus dem drei weißbekleidete Männer sprangen. Man schien es eilig zu haben, Kontakt aufzunehmen, denn einen Moment später griff bereits einer der Weißkittel nach der Klinke von Parkers Wagen. Doch der Butler hatte die Zentralverriegelung eingeschaltet und sein Fahrzeug gegen unbefugtes Öffnen gesichert.

*

»Darf man nach dem Begehr der Herren fragen?« Parkers Stimme drang durch einen kleinen, unter dem Wagen angebrachten Lautsprecher an die Ohren der Verfolger, die ratlos neben dem Wagen standen und überlegten, was sie tun sollten.

»Machen Sie auf, Mann, wir müssen unsere Patientin zurückholen«, erklärte schließlich der Älteste von ihnen, ein schlanker, hochgewachsener Mann mit grauem Vollbart und schmaler Goldrandbrille.

»Erklären Sie dem Lümmel, daß das nicht in Frage kommt, Mister Parker«, grollte Agatha Simpson vom Rücksitz. »Lady Margareth steht unter meinem persönlichen Schutz. Sie wissen, was das bedeutet.«

»In der Tat, Mylady.« Parker wandte sich wieder den Weißbekittelten neben seinem Wagen zu, die bereits deutliche Anzeichen von Ungeduld zeigten.

»Sie sind sicher in der Lage, sich entsprechend zu legitimieren und nachzuweisen, daß Sie berechtigt sind, Lady Worthington mitzunehmen«, bemerkte er würdevoll und legte unauffällig einen der zahlreichen Hebel am Armaturenbrett um.

»Was soll der Quatsch, Mann, Sie sehen doch, daß wir mit ’nem Wagen der Anstalt gekommen sind«, fauchte einer der beiden jüngeren Weißkittel gereizt und langte seinerseits an den Griff der Fahrertür. Im nächsten Augenblick heulte er entsetzt auf und begann einen Steptanz, ohne allerdings dabei die Hand von der Klinke zu lösen, was auch nicht möglich war. Parker hatte nämlich die Klinke unter Gleichstrom gesetzt und für eine kleine Aufmunterung des vorwitzigen Krankenpflegers gesorgt.

»Mein Gott, was treibt der Mann da?« erkundigte sich Margareth Worthington, die angesichts der seltsamen Vorstellung, die der leichtsinnige Pfleger bot, ihre Angst vergaß. Sie beugte sich neugierig vor, um das kleine Schauspiel besser verfolgen zu können.

Ein kleiner technischer Trick, den Mister Parker auf meine Anregung hin hat einbauen lassen, meine Liebe«, erklärte Lady Agatha ihrer Verwandten ein wenig gönnerhaft. »Du siehst, bei mir kann dir wirklich nichts passieren.«

Parker hatte den Strom inzwischen wieder abgeschaltet und lüftete andeutungsweise die Melone in Richtung der Krankenpfleger, die zurückgewichen waren. Sie untersuchten ihren vorwitzigen Kollegen auf eventuelle gesundheitliche Schäden, die es natürlich nicht gab. Der Butler pflegte stets und ständig darauf zu achten, niemandem bleibenden Schaden zuzufügen, und war in der Wahl seiner Mittel entsprechend vorsichtig.

»Was haben Sie mit ihm gemacht, Mann? Jetzt reicht’s aber!« Der Mann mit dem Vollbart verlor die Nerven und zerrte eine Pistole aus der Kitteltasche, die er auf Parkers Seitenfenster richtete. »Machen Sie sofort auf, oder es knallt! Ist das klar?«

Lady Margareth stieß im Fond einen Seufzer aus und flüchtete sich in eine Ohnmacht, während Lady Agatha empört nach ihrem Pompadour griff, der neben ihr auf dem Sitz lag.

»Öffnen Sie die Türen, Mister Parker, ich werde diesem Lümmel Manieren beibringen«, forderte sie und schob sich ungeduldig an ihrer Verwandten vorbei.

»Wenn sich Mylady noch einen Augenblick gedulden wollen?« bat Parker.

»Sie bringen sich nur unnötig in Gefahr, Sir«, wandte sich der Butler an den Vollbart. »Karosserie und Scheiben sind schußfest, wenn Sie diesen Hinweis freundlicherweise zur Kenntnis nehmen würden. Einem Test Ihrerseits steht natürlich nichts im Weg. Über ausreichende Mengen an Verbandsmaterial verfügen Sie sicher in Ihrem Fahrzeug.«

»Mich bluffst du nicht«, schrie der bärtige Krankenpfleger und drückte ab.

Die Kugel schlug gegen die Seitenscheibe, prallte ab und sirrte als Querschläger seitlich nach hinten. Die Kollegen des Vollbärtigen warfen sich reaktionsschnell zu Boden und vermieden einen Zufallstreffer.

Parker löste die Zentralverriegelung und stieg aus. Im Fond stieß Agatha Simpson ihre Tür auf und wälzte ihre junonische Gestalt ins Freie. Sie schritt behende auf die Weißkittel zu und schwang ihren perlenbestickten Handbeutel, der ein Hufeisen beträchtlicher Größe enthielt, das von einem stämmigen Brauereipferd stammte.

»Sie haben auf mich geschossen, Sie Lümmel«, stellte sie erfreut fest end musterte den vollbärtigen Pfleger wohlwollend.

»Auf den Wagen«, stammelte der Verängstigte und wich zurück. »Ich habe auf den Wagen gezielt, nicht auf Sie, Madam!« Der Vollbärtige war von Myladys Erscheinung deutlich beeindruckt und ging weiter zurück. Die Pistole, die er noch immer in der Hand hielt, schien er völlig vergessen zu haben.

»Papperlapapp, junger Mann, betreiben Sie hier keine Kümmelspaltereien«, wischte die Lady seinen Einwand beiseite. »Sie haben mich gemeint, Und das nehme ich übel.« Sie nahm kurz Maß, nickte dann zufrieden und ließ ihren rechten Fuß, der in einem nicht eben kleinen Schuh steckte, vorschnellen.

Er suchte und fand das Schienbein des Pflegers und verursachte dort nachhaltigen Schmerz. Der Mann schrie auf und zog das malträtierte Bein an, um es heftig zu reiben und so den Schmerz zu lindern. Dabei ließ er die Pistole fallen, und die Lady kickte sie reaktionsschnell zur Seite.

Die beiden anderen Pfleger sahen sich betroffen an, beschlossen einzugreifen und stürmten vor. Dabei zogen sie dünne Stahlruten unter ihren Kitteln hervor und schwangen sie unternehmungslustig über ihren Köpfen.

Agatha Simpson sah den Männern freundlich lächelnd entgegen und machte ihren Handbeutel startklar. Im nächsten Augenblick war der Pompadour schon unterwegs, nahm Kurs auf den vorderen Mann – und legte sich nahezu liebevoll auf seinen Brustkorb, wo er ein knackendes Geräusch verursachte und dem Getroffenen das Gefühl vermittelte, von einem mittleren Felsbrocken erwischt worden zu sein. Seine Füße hoben sich etwas vom Boden, dann flog der Mann ein Stück zurück und klatschte auf den Rücken, zuckte noch mal kurz mit den Beinen und rührte sich anschließend nicht mehr.

Parker hatte sich dem anderen Mann zugewandt und stoppte ihn mit energischer Handbewegung. Er hob die Rechte, in der er eine Sprühdose hielt, und deutete mit der anderen Hand darauf.

»Sehen Sie dieses Fläschchen hier, Sir?« erkundigte er sich höflich, während der verdatterte Mann die Füße in den Boden stemmte und kurz vor Parker stehenblieb.

»Eine Sprühflasche, na und, was soll das?« knurrte er verwirrt und starrte verständnislos auf Parkers rechte Hand.

»In der Tat, Sir, und zwar eine mit einem gut verträglichen Beruhigungsmittel«, bestätigte Parker gemessen und drückte auf den Sprühknopf. Ein feiner Nebel trat aus der Düse des Flakons und hüllte das Gesicht des Krankenpflegers ein. Einen Augenblick später stöhnte er wohlig, sank in die Knie und ließ sich dann zu Füßen des Butlers nieder, wo er sich wie ein Embryo zusammenrollte und einem erholsamen Schläfchen hingab.

»Immer diese Taschenspielertricks, Mister Parker! Was soll das?« beschwerte sich die Lady und musterte ihren Butler anklagend. »Ich wollte mich gerade um den Mann kümmern, aber Sie gönnen mir wieder mal gar nichts.«

»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit tief zerknirscht«, räumte Parker ein, ohne eine Miene zu verziehen. »Man wird sich bemühen, beim nächsten Mal Mylady den Vortritt zu lassen.«

»Das möchte ich mir aber auch ausgebeten haben, Mister Parker.« Sie nickte ihm zu und sah dann auf die drei Männer hinunter. »Was werde ich jetzt mit den Lümmeln anfangen, Mister Parker? Sagen Sie mir, was ich vorhabe«, verlangte sie und blickte den Butler gespannt an.

»Möglicherweise denken Mylady an einen kleinen Spaziergang, den die drei Herren unternehmen sollten«, vermutete Parker. »Bis zur Anstalt dürften es gut und gern zehn Kilometer sein.«

»Ist das alles, was mir dazu einfällt, Mister Parker?« räsonierte sie. »Sehr aufregend ist das gerade nicht, oder?«

»Mylady denken auch an sogenannte Zwangsjacken, die im Krankenwagen zu finden sein dürften«, fuhr Parker unbeirrt fort. »Mylady wollen diese Jacken sicher den drei Herren anpassen und während des Spaziergangs testen.«

»Nun ja, Mister Parker, das wiederum klingt ja recht annehmbar.« Sie nickte huldvoll und lächelte versonnen. »Doch, wirklich, ich denke, das gefällt mir.«

»Stellen Sie sich nicht so an!« fuhr sie wenig später den vollbärtigen Pfleger an, während sie genüßlich die Riemen der Zwangsjacke auf seinem Rücken zuzerrte. »Das ist gut für die Figur, Sie sind sowieso etwas zu füllig, mein Guter.«

Zufrieden trat sie zurück und musterte die drei Männer, die wütend in die Gegend starrten. Sie trugen Zwangsjacken, die von den Schultern bis zu den Oberschenkeln reichten und die Arme nachdrücklich gegen den Oberkörper preßten. Sie konnten nur die Köpfe und die Beine bewegen und schienen darüber nicht glücklich zu sein.

»Das wird Ihnen noch leid tun, das garantiere ich Ihnen«, knurrte der Vollbärtige und starrte seine Gegnerin haßerfüllt an.

»War das etwa eine Drohung, junger Mann?« freute sich Agatha Simpson. »Ich hoffe, Sie halten Ihr Wort und belästigen mich bei passender Gelegenheit wieder.«

»Sie sehen uns früher wieder, als Sie denken, darauf können Sie Gift nehmen«, meldete sich einer der beiden jüngeren Pfleger zu Wort. »Beim nächsten Mal wird dies in der Anstalt sein, und das Spiel wird nach unseren Regeln gespielt.«

»Apropos Anstalt«, bemerkte Parker höflich. »Sie sollten sich allmählich auf den Weg machen, meine Herren. Man wird Sie bereits vermissen, und bis Sie dort ankommen, haben Sie ein gutes Stück zu gehen, wenn Sie diesen Hinweis gestatten.«

»Ein recht hübscher Anblick, Mister Parker«, fand die Lady und lächelte versonnen, während sie den weißen Gestalten nachblickte, die sich langsam auf der Landstraße entfernten. »Es geht doch nichts über ein bißchen Phantasie und Originalität. Sie sollten sich das für Ihr späteres Leben merken.«

»Man wird sich bemühen, Myladys leuchtendem Beispiel zu folgen«, versprach Parker und verbeugte sich respektvoll. »Allerdings dürfte es völlig ausgeschlossen sein, Mylady auch nur annähernd nahezukommen.«

»Papperlapapp, nun übertreiben Sie nicht gleich, Mister Parker.« Die ältere Dame nickte freundlich und rieb sich zufrieden die Hände. »Allerdings haben Sie voll und ganz recht mit dem, was Sie da sagen: Eine Lady Simpson ist einfach nicht zu übertreffen.«

*

Parker hatte am nächsten Morgen gerade den Tee serviert, als sich die Türglocke meldete.

Der Butler begab sich gemessen in den verglasten Vorflur und öffnete einen kleinen Wandschrank, in dem die hochmoderne Überwachungsanlage untergebracht war. Er schaltete den Monitor ein, der einen Augenblick später ein gestochen scharfes Bild der Szenerie vor Myladys altehrwürdigem Fachwerkhaus lieferte.

Josuah Parker erkannte einen weißen Rolls-Royce, an dessen Steuer ein livrierter Chauffeur saß und in einer Zeitung blätterte. Direkt vor der Haustür stand ein Mann, der als das Abbild des perfekten Gentleman schlechthin dienen mochte.

Der Einlaßbegehrende war mittelgroß und schlank. Die graumelierten Haare und der gepflegte Schnauzer bildeten einen bestechenden Kontrast zur sonnengebräunten Haut, die Kleidung verriet den erstklassigen Maßschneider. Dieser Bilderbuch-Gentleman blickte mit gewinnendem Lächeln in die Kamera, von der er natürlich nichts wußte.

»Wer wagt es, mich um diese Zeit zu stören, Mister Parker?« meldete sich Lady Agatha zu Wort, die mit Lady Margareth Worthington vor dem Kamin saß und den Tee einnahm.

»Man wird Mylady sofort mit näheren Angaben dienen«, gab Parker zurück und betätigte die Wechselsprechanlage.

Der Besucher vor der Tür hörte das leise Knacken im Lautsprecher neben dem Türblatt und stellte sich umgehend vor. »Rush, mein Name, Doktor Kenneth Rush. Wäre es möglich, der Dame des Hauses meine Aufwartung zu machen? Ich muß mich für die Störung zu dieser ungewöhnlichen Stunde entschuldigen, aber mein Anliegen duldet keinen Aufschub.«

»Ein Doktor Kenneth Rush, Mylady«, meldete Parker umgehend an seine Herrin weiter, die stirnrunzelnd aufblickte.

»Den Namen habe ich doch schon irgendwo gehört, Mister Parker?« überlegte sie. »Sagen Sie mir, was mir dazu einfällt...«

Neben der Lady gab ihre Verwandte einen unterdrückten Aufschrei von sich und warf sich zitternd an Lady Agathas üppigen Busen. »Na, ich muß mich doch sehr wundern, meine Liebe.« Agatha Simpson schob Lady Margareth von sich und musterte sie kopfschüttelnd. »Ich finde dein Benehmen ehrlich gesagt albern. Was soll denn das?« wunderte sie sich und wandte sich wieder an ihren Butler.

»Also, Mister Parker, ist Ihnen endlich eingefallen, woher ich den Namen kenne?« verlangte sie mit strenger Stimme zu wissen.

»Mister Kenneth Rush, Mylady, ist jener Arzt, der Lady Margareth durch sein Gutachten die Geschäftsunfähigkeit attestierte und dem zuständigen Gericht dadurch die Grundlage für das Entmündigungsverfahren lieferte. Es war Doktor Rushs Anstalt, aus der sich Lady Margareth in letzter Sekunde flüchten konnte.

»Richtig, Mister Parker. Mit diesem Lümmel habe ich ein ernstes Wort zu reden. Sehen Sie doch nur, was er aus der armen Margareth gemacht hat.«

Sie blickte auf ihre Verwandte, die sich ängstlich in eine Ecke des Ledersofas gedrängt hatte und die Hände um die Tischkante krampfte.

Josuah Parker betätigte den Türöffner und ließ den Nervenarzt eintreten. Doktor Rush verbeugte sich vor Lady Agatha und deutete einen Handkuß an, während die ältere Dame ihn grimmig anstarrte und mit den Augen Maß zu nehmen schien.

»Ich bedaure unendlich, Sie um diese Zeit stören zu müssen«, erklärte der Psychiater, »aber meine Pflicht zwingt mich, Sie zu belästigen.«

Er blickte zu Lady Margareth hinüber, die förmlich zu schrumpfen schien, und schüttelte mit mildem Vorwurf im Gesicht den Kopf.

»Sie wissen natürlich nicht, worauf Sie sich da eingelassen haben, Mylady«, erklärte er salbungsvoll. »Ich bin sicher, Sie hätten uns sonst sofort verständigt, als Lady Margareth Sie um Hilfe bat.«

»Da wäre ich an Ihrer Stelle gar nicht so sicher«, stellte Lady Agatha mit leichtem Grollen in der Stimme fest. »Wie kommen Sie dazu, Lady Margareth in Ihre Klapsmühle einzuliefern?«

»Ein nicht ganz zutreffender Ausdruck für meine Klinik«, lächelte der Nervenarzt unbeirrt weiter. »Aber Sie meinen es ja nicht so.«

»Ich meine es immer genau so, wie ich es sage, junger Mann«, ärgerte sich die passionierte Detektivin. »Verdrehen Sie mir gefälligst nicht die Worte im Mund! Wenn ich Klapsmühle sage, meine ich auch Klapsmühle. Ist das klar?«

»Regen Sie sich bitte nicht auf, Mylady.« Doktor Rush winkte beschwichtigend ab. »Ich werde Lady Margareth wieder mitnehmen, damit ich mich in der Anstalt um sie kümmern kann. Ich versichere Ihnen, es wird alles für sie getan, um ihre baldige Genesung zu erreichen.«

»Ganz bestimmt«, bemerkte Margareth Worthington, die bis jetzt geschwiegen hatte, mit bitterer Stimme. »Glaub ihm kein Wort, Agatha, in seiner Klinik sterben die Patienten wie die Fliegen, und sehr oft hinterlassen sie ihm ihr Vermögen. Ich kenne allein in meinem näheren Bekanntenkreis drei solcher Fälle.«

»Stimmt das, junger Mann?« wollte Agatha Simpson wissen und sah den Arzt empört an.

»Aber ich bitte Sie, Mylady, das sind doch Hirngespinste, weiter nichts. Aber so ist es nun mal, die Leute denken sich alles mögliche aus, um einer Einlieferung zu entgehen und in der gewohnten Umgebung bleiben zu können. Aber das läßt Lady Margareths Zustand nicht zu, sie gehört in die Obhut eines erfahrenen Arztes, der ihr helfen kann.«

»Und dieser Arzt sind Sie, nehme ich an?« Die ältere Dame bedachte ihren Besucher mit süffisantem Lächeln, das ihre Geringschätzung mehr als deutlich zum Ausdruck brachte.

»Allerdings, Mylady. Ich gelte in meinem Fach als Kapazität, erklärte der Arzt selbstbewußt und funkelte die Hausherrin gereizt an. Einen Augenblick später hatte er sich wieder in der Gewalt und entschuldigte sich. »Pardon, Mylady, ich habe mich wohl etwas gehen lassen, aber wenn es um meine ärztliche Reputation geht... da hat jeder seine Schwäche, nicht wahr?« lächelte er und verneigte sich andeutungsweise.

»Darf man fragen, wer Lady Margareths Entmündigung ursächlich betrieb bzw. wer Ihr Gutachten erstellen ließ, Sir?« erkundigte sich Josuah Parker höflich.

Doktor Rush wandte sich langsam nach dem Butler um und musterte ihn mit hochgezogenen Brauen und blasiertem Gesichtsausdruck.

»Ich bin Arzt, mein Bester, ich unterliege der Schweigepflicht«, erwiderte er und schüttelte verweisend den Kopf. »Außerdem geht Sie das nichts an, denke ich.«

»Wir wissen auch so Bescheid, junger Mann, es war Sir Hubert, mit dem Sie befreundet sind und der an das Geld seiner Tante will«, trumpfte Lady Agatha auf.

Der Nervenarzt zuckte schmerzlich berührt zusammen. »Das haben Sie sicher von Lady Margareth, nicht wahr? Nun ja, das Erfinden von Hirngespinsten gehört zum Krankheitsbild, aber das können Sie natürlich nicht wissen. Für einen Laien ist so etwas schwer zu verstehen.«

»Ich durchschaue Sie genau, Sie Lümmel, was für einen Anteil bekommen Sie für Ihr falsches Attest von Sir Hubert?« fragte Lady Agatha in ihrer ungenierten Art und musterte den Arzt durchdringend.

»Jetzt reicht’s mir aber, Mylady, auch bei mir gibt es Grenzen«, empörte sich Rush und plusterte sich dabei regelrecht auf. »Ich werde mit Lady Margareth jetzt das Haus verlassen und hoffe, Ihnen zukünftig nicht mehr zu begegnen.«

»Das kann ich Ihnen nicht unbedingt garantieren«, stellte Agatha Simpson genüßlich fest, »schon deshalb nicht, weil Lady Margareth hier bleibt.«

»Sie wurde durch einen ordnungsgemäßen Gerichtsbescheid eingewiesen«, zischte der Arzt deutlich genervt, »deshalb werde ich sie mitnehmen, ob Ihnen das nun gefällt oder nicht!«

»Sie scheinen ein wenig die Contenance zu verlieren, Sir«, rügte Parker. »Ein Psychiater sollte stets und ständig eine gewisse Souveränität und Gelassenheit an den Tag legen, w£nn Sie mir diesen Hinweis gestatten wollen.«

»Ich pfeife auf Ihren Hinweis, Mann, ich habe allmählich die Nase voll! Also, Lady Margareth, darf ich bitten, oder muß ich erst einen Streifenwagen kommen lassen?«

»Margareth Worthington erhob sich folgsam und blickte Lady Agatha hilflos und mit einer gewissen Resignation an. »Dann muß ich wohl, Agatha, o Gott...« Sie brach in heftiges Schluchzen aus und schob sich langsam an der älteren Dame vorbei auf den Arzt zu, der ihr mit verschränkten Armen und triumphierendem Gesichtsausdruck entgegensah.

»Du bleibst!« ordnete Lady Agatha mit ihrer baritonal gefärbten Stimme an und drückte ihre Cousine auf das Sofa zurück. »Wie kann man sich nur so leicht einschüchtern lassen?«

Rush starrte sie entgeistert an. »Sie wagen es, meine Patientin zurückzuhalten?« keuchte er und ballte die Hände. »Wissen Sie eigentlich, worauf Sie sich da einlassen?«

»Und ob, junger Mann, hoffentlich ist Ihnen das auch klar?« verkündete die Hausherrin fröhlich und musterte den Arzt schadenfroh. Sie spürte deutlich ein neues Abenteuer auf sich zukommen und wollte es sich auf keinen Fall entgehen lassen.

*

»Nun, Mister Parker, was halte ich von diesem Doktor Mash?« wollte Lady Agatha später wissen, als der Nervenarzt wütend und ohne seine Patientin das altehrwürdige Fachwerkhaus in Shepherd’s Market verlassen hatte. Die Lady war mit sich und der Art zufrieden, wie sie den arroganten Psychiater hatte abblitzen lassen. Zu ihrem Leidwesen hatte sie jedoch leider nicht aktiv werden können. Bei seinem Weggang hatte der Arzt angekündigt, in Kürze wieder vorzusprechen, diesmal mit Polizeischutz.

»Mylady meinen Doktor Rush«, korrigierte Parker den Namen des Arztes und zog sich damit prompt den Unmut seiner Herrin zu.

»Namen sind Schall und Rauch, Mister Parker. Mir geht es immer nur um die Sache. Was also fällt mir zu diesem Nervenklempner ein?«

»Mylady dürften Mister Rush nachhaltig verunsichert haben«, beantwortete Parker die Frage seiner Herrin. »Es steht allerdings zu befürchten, daß Mister Rush seine Ankündigung wahrmacht und tatsächlich in Begleitung der Polizei hier auftaucht.«

»Von mir aus, Mister Parker, was schert mich das schon? Auch die Polizei kann eine Lady Simpson nicht einschüchtern.«

»Myladys Entschlossenheit und unerschrockenes Eintreten für Lady Margareth sind rühmenswert«, schmeichelte der Butler. »Allerdings überlegen Mylady sicher auch, ob es tatsächlich ratsam ist, sich auf eine Auseinandersetzung mit der Polizei einzulassen, da ein ordnungsgemäßer Einweisungsbeschluß vorliegt und Doc Rush formaljuristisch die Herausgabe Lady Margareths beanspruchen darf.«

»Selbstverständlich ziehe ich alle Aspekte des neuen Falles ins Kalkül, Mister Parker«, stellte Agatha Simpson nachdenklich fest. »Das ist ja auch der Grund für meinen andauernden Erfolg. Ich kann also davon ausgehen, diesen komischen Menschen bereits nachdrücklich aufgescheucht zu haben?«

»Dies dürfte völlig außer Frage stehen, Mylady. Um Doktor Rush noch weiter zu verunsichern, denken Mylady sicher daran, ein Täuschungsmanöver durchzuführen und so den Psychiater weiter zu reizen.«

»Richtig, Mister Parker, ich denke in der Tat daran, dem Lümmel zu zeigen, daß man sich mit einer Lady Simpson besser nicht anlegt. Lassen Sie sich dazu etwas Hübsches einfallen, Mister Parker. Ich lasse Ihnen da völlig freie Hand und hoffe, Sie enttäuschen mich nicht.«

»Mylady können fest auf meine bescheidene Wenigkeit bauen.« Parker hatte bereits den Telefonhörer in der Hand und ließ sich einen gewissen Horace Pickett geben, den er anschließend um eine kleine Gefälligkeit bat.

*

»Ich höre Autos vorfahren, Mister Parker. Sollte das etwa dieser aufdringliche Arzt mitsamt der Polizei sein?« erkundigte sich Agatha Simpson eine halbe Stunde später, als draußen Motorenlärm und das Zuschlagen von Autotüren zu hören waren.

»In der Tat, Mylady.« Josuah Parker stand bereits im verglasten Vorflur und öffnete die Haustür. Mehrere uniformierte Polizisten, angeführt von einem Zivilisten in mittleren Jahren, schoben sich an dem Butler vorbei in die große Wohnhalle und sahen sich dort um.

»Ich bin Inspektor Simmons«, stellte sich der Zivilist vor und verneigte sich höflich vor der Hausherrin. »Tut mir leid, daß wir hier so ungeniert einfallen, Mylady, aber wir haben leider einen triftigen Grund.«

»Aber das macht doch nichts, mein lieber Inspektor Higgins«, flötete die Lady jovial. »Ein bißchen Abwechslung tut immer gut, finden Sie nicht auch? Wo drückt denn der Schuh? Nur heraus mit der Sprache, genieren Sie sich nicht!«

»Simmons ist mein Name, Mylady, nicht Higgins, wenn ich Sie korrigieren darf«, stellte der Inspektor ein wenig verunsichert fest. Er hatte anscheinend mit einem völlig anderen Empfang gerechnet und wunderte sich jetzt über die Leutseligkeit der Hausherrin.

»Aber ich bitte Sie, Namen sind doch Schall und Rauch, es ist der Mensch, der zählt«, gab sich Lady Agatha philosophisch. »Erzählen Sie mir lieber, was Sie hierherführt. Darf ich Ihnen etwas zu trinken servieren lassen, einen alten Sherry vielleicht oder einen Cognac? Das gilt natürlich auch für Ihre Leute. Gastfreundschaft geht mir über alles.«

»Jetzt reicht’s aber, die Dame will Sie doch nur einwickeln, merken Sie das denn nicht?« Doktor Rush, der sich bislang im Hintergrund gehalten hatte, stürzte vor und wies anklagend auf die Frau neben der Hausherrin.

»Das ist meine Patientin, Inspektor, und ich verlange von Ihnen, daß Sie auf der Stelle Recht und Gesetz Geltung verschaffen. Dazu habe ich Sie schließlich mitgebracht, wenn ich Sie daran erinnern darf.«

»Ich kenne meine Pflichten besser als Sie, Mister Rush.« Der Inspektor maß den Nervenarzt mit eisigem Blick und wandte sich dann mit ausgesuchter Höflichkeit an Lady Agathas Besucherin auf der Couch.

»Sie sind Lady Margareth Worthington?« erkundigte er sich freundlich, während er ein Dokument aus seiner Tasche zog und eingehend studierte.

»Klingt nicht schlecht, junger Mann, aber leider bin ich das nicht.« Die Frau neben Lady Agatha seufzte laut und breitete die Hände resignierend aus. »Leider bin ich nur eine mittelose ehemalige Schauspielerin, die allerdings das Glück hat, in Lady Agatha eine wohlmeinende Gönnerin gefunden zu haben. Die Lady hat mich früher bei einigen meiner Auftritte gesehen und beehrt mich von Zeit zu Zeit mit einer Einladung zum Tee. Mein Name ist Janet Winter, vielleicht haben Sie mich schon mal in einem Stück gesehen, Inspektor?« fuhr sie fort und sah ihn gespannt an.

»Das ist doch wohl der Gipfel!« Doktor Rush drängte den Inspektor rücksichtslos zur Seite und baute sich drohend vor der ehemaligen Schauspielerin auf. Er beugte sich vor, starrte ihr ins Gesicht und ... fuhr herum wie von der Tarantel gestochen.

»Das ist sie ja gar nicht!« stammelte er und sah Simmons verwirrt und ratlos an.

»Was soll das heißen, das ist sie ja gar nicht?« Der Inspektor musterte den Nervenarzt stirnrunzelnd und zeigte deutliche Anzeichen von Ungeduld. »Wollen Sie damit sagen, daß Sie uns umsonst hierhergejagt haben, um eine angesehene Bürgerin dieser Stadt wegen eines Irrtums zu stören, Sir?«

»Ich irre mich nie, Inspektor, merken Sie sich das!« Kenneth Rush wandte sich wütend zu der ehemaligen Schauspielerin um und blaffte gereizt. »Was soll die Komödie, wo steckt Lady Worthington? Ist Ihnen eigentlich klar, daß Sie sich strafbar machen, wenn Sie vorgeben, die Lady zu sein?«

»Das habe ich nie behauptet, junger Mann!« Janet Winter sah den Arzt empört an. »Ich habe von Anfang an gesagt, daß ich Janet Winter und niemand sonst bin. Sie sollten mal Urlaub machen, Doktorchen, Sie sind ja total aus dem Tritt...«

»Sie können sich möglicherweise ausweisen, Madam?« meldete sich Josuah Parker zu Wort, der der Unterhaltung bislang schweigend aus dem Hintergrund gefolgt war.

»Aber ja, Mister Parker, selbstverständlich.« Janet Winter öffnete ihre Handtasche, die neben ihr auf dem Sofa lag. »Ich habe meinen Paß bei mir. Wenn Sie sich überzeugen wollen, verehrter Inspektor?« Sie reichte Simmons freundlich lächelnd das Dokument und zwinkerte dabei unauffällig Lady Agatha zu, die die Szene sichtlich genoß.

»Ich bedanke mich, Madam.« Der Inspektor gab der ehemaligen Schauspielerin den Paß zurück und entschuldigte sich. »Tut mir außerordentlich leid, aber wir mußten auf Grund eines ganz offensichtlich falschen Hinweises eingreifen.« Er drehte sich um und maß den Psychiater von oben bis unten. »Ich empfehle Ihnen, Sir, sich das nächste Mal vorher zu vergewissern, bevor Sie jemanden beschuldigen, was nebenbei bemerkt auch strafbar ist.«

»Aber merken Sie denn nicht, daß man Ihnen hier eine ganz jämmerliche Komödie vorspielt, Inspektor? Diese Frau ist doch nicht zufällig hier, die hat man absichtlich hergeschafft, nachdem ich damit gedroht hatte, mit der Polizei wiederzukommen. Sie müssen das Haus durchsuchen lassen!«

Doktor Rush griff nach den Ärmeln des Inspektors und versuchte, ihn am Verlassen der Halle zu hindern.

»Ich muß doch sehr bitten, Sir.« Simmons befreite sich von den Fingern des Arztes und schüttelte mißbilligend den Kopf. »Sie haben einfach zuviel Phantasie, wenn Sie mich fragen, Doc. Aber, na ja, bei Ihrem Beruf ist das durchaus zu verstehen.«

Er blieb im Vorflur stehen und drehte sich noch mal zu den Damen auf dem Sofa am Kamin um. »Noch mal, entschuldigen Sie bitte unser Eindringen hier«, bat er. »Wer hätte schon damit rechnen können, daß ein angesehener Arzt einen solchen Aufwand inszeniert? Na ja, man lernt eben jeden Tag dazu.« Damit verschwand Simmons und nahm neben seinen Leuten auch den widerstrebenden Psychiater mit, der partout nicht gehen wollte.

»Nun, Mister Parker, was sagen Sie zu dieser Kriegslist?« erkundigte sich Lady Agatha, indem sie ungeniert Parkers Einfall als ihre eigene Idee ausgab. »Auf so etwas wäre doch niemand gekommen!«

»Mylady sind eben einfach unübertrefflich«, bestätigte Parker, ohne eine Miene zu verziehen. »Möglicherweise wäre es sogar angebracht, von einer gewissen Brillanz zu sprechen, die Myladys Vorgehen auszeichnet.«

»Nun übertreiben Sie nicht gleich, Mister Parker«, zeigte sich die ältere Dame geschmeichelt. »Im Grund haben Sie natürlich recht.«

Sie wandte sich an die Frau neben ihr und tätschelte ihr huldvoll den Arm. »Auch Sie waren nicht schlecht, meine Liebe«, lobte sie und lächelte versonnen. »Sie haben sogar ganz ausgezeichnet mitgespielt.«

»Vielen Dank, Mylady.« Die ehemalige Schauspielerin, die von einem gewissen Horace Pickett geschickt und von Parker zurechtgemacht worden war, zeigte sich sichtlich erfreut über Myladys Lob. »Ich hoffe, daß ich Ihnen wirklich helfen konnte.«

»Das konnten Sie, meine Liebe.« Agatha Simpson lachte schadenfroh. »Ich muß schon sagen, ich habe diesen windigen Arzt richtiggehend ausgespielt, finden Sie nicht auch, Mister Parker?«

»Mylady haben Doc Rush förmlich demoralisiert und am Boden zerstört, um eine bekannte Redewendung zu gebrauchen«, gab Parker höflich zurück. »Gleichzeitig haben Mylady Doc Rush herausgefordert und zu weiteren Aktivitäten animiert.«

»Genau das war auch meine Absicht«, nickte Lady Agatha energisch und schob ihr kräftiges Kinn angriffslustig vor. »Wenn ich mit diesem Arzt fertig bin, Mister Parker, wird er sich wünschen, mir nie begegnet zu sein.«

»Ein Wunsch, den alle Kriminellen dieser Welt hegen, Mylady«, bestätigte Parker, was ihm ein anerkennendes Lächeln seiner Herrin eintrug.

»Ich werde mich jetzt zurückziehen und ein wenig über den Fall nachdenken, Mister Parker«, kündigte Lady Agatha an und erhob sich. »In der Zwischenzeit bitte ich um einen brauchbaren Vorschlag. Ich werde Ihnen dann sagen, was ich davon halte.«

*

»Ich komme mehr oder weniger zufällig«, behauptete der frühe Gast, der an Butler Parker vorbei die geräumige Wohnhalle betrat und auf die Hausherrin zustrebte, die ihm mit gerunzelter Stirn entgegenblickte.

Es handelte sich um einen untersetzten, etwas korpulent wirkenden Mittfünfziger mit leicht vorstehenden Basedowaugen, der im Yard ein Sonderdezernat zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens leitete und direkt dem Innenminister unterstellt war.

Chief-Superintendent McWarden galt als der gute Freund des Hauses und schätzte die unkonventionelle Art, in der die Lady und insbesondere der Butler ihre Fälle angingen und ihm so manches Mal wertvolle Hilfe leisteten. Dabei nahm er gern in Kauf, daß sich Agatha Simpson immer wieder beinahe lustvoll an ihm rieb und die vermeintliche Unfähigkeit der Polizei ausgiebig kritisierte.

»Ich habe mein Frühstück fast beendet, mein lieber McWarden«, bemerkte die Hausherrin vorbeugend. »Wie Sie sehen, ist kaum noch etwas da. Wirklich schade, daß ich Sie nicht einladen kann, aber Sie wissen ja, daß ich Diät lebe und kaum etwas zu mir nehme.«

»Ich bin bescheiden, Mylady und begnüge mich gern mit Resten«, reagierte McWarden zurückhaltend und ließ seine Blicke über so manche Köstlichkeit gleiten, die Myladys Frühstückstisch zierte.

Parker stand schon neben dem Chief-Superintendenten und legte ein Gedeck auf. Mit zusammengezogenen Brauen sah die Hausherrin zu, wie der Butler McWarden Tee servierte und ein Glas mit altem Sherry vor ihn stellte. Die Lady konkurrierte, wenn es sein mußte, in punkto Geiz mit jedem Schotten und genierte sich nicht, dies offen zu zeigen.

»Meine bescheidene Wenigkeit ging davon aus, Myladys sprichwörtliche Gastfreundschaft Mister McWarden spüren zu lassen.«

»Natürlich, Mister Parker, aber müssen Sie denn immer so schrecklich übertreiben? Ein Täßchen Tee hätte durchaus genügt.«

»Machen Sie nur keine Umstände, Mylady, ich begnüge mich gern mit dem, was ich hier vorfinde. Mister Parker braucht meinetwegen nicht noch mal die Küche zu bemühen«, winkte McWarden gespielt bescheiden ab und schob sich eine Scheibe Roastbeef in den Mund. »Darf man fragen, ob Sie wieder an einem neuen Fall arbeiten, Mylady?« erkundigte er sich kauend.

»Nicht direkt, im Grund genommen sehe ich mich einer gewissen Langeweile ausgesetzt, mein Lieber«, schwindelte sie ungeniert. »Warum fragen Sie, mein Bester?«

»Ach, nur so, ohne besonderen Grund«, erwiderte McWarden nicht minder ungeniert und lächelte freundlich. »Ich denke da allerdings an eine merkwürdige Geschichte, die mir ein Kollege sozusagen im Vorbeigehen erzählte.«

Wahrscheinlich wieder so ein Wachstubenklatsch«, mokierte sich die Lady und gab sich desinteressiert. »Ich kann mir kaum vorstellen, daß es etwas Besonderes ist.«

»Vielleicht doch, Mylady.« McWarden lächelte vielsagend und schlürfte genußvoll seinen Sherry, was die Hausherrin zu neuerlichem Stirnrunzeln veranlaßte. »Der Kollege erzählte mir, er hätte sich gestern nachmittag in Ihrem Haus aufgehalten, Mylady, aber davon wissen Sie wahrscheinlich nichts, nehme ich an, oder?«

»Hatten wir gestern nachmittag Besuch, Mister Parker?« wandte sie sich an ihren Butler und gab sich völlig überrascht. »Haben Sie mich etwa nicht verständigt?«

»Ein absolut belangloser Besuch, den Mylady aus diesem Grund und völlig zu recht bereits aus Ihrem Gedächtnis gestrichen haben«, bemerkte Parker höflich. »Ein gewisser Inspektor Simmons machte seine Aufwartung, deren Anlaß sich bedauerlicherweise sehr schnell als Irrtum herausstellte.«

»Da hören Sie es, mein Lieber. Nichts von Belang, wie Mister Parker treffend feststellte. Solche Dinge merke ich mir grundsätzlich nicht. Mir geht es immer nur um die wirklich bedeutenden Angelegenheiten.«

»Ich weiß Mylady«, bestätigte McWarden mit ernster Miene. »Das ist es ja gerade, was ich an Ihnen bewundere.«

»Das haben Sie sehr hübsch gesagt, mein Lieber. Möchten Sie übrigens noch einen Schluck Sherry?« lächelte sie huldvoll und vergaß ihren sprichwörtlichen Geiz.

»Sehr gern, Mylady.« McWarden wartete, bis Parker ihm nachgeschenkt hatte und fuhr dann mit seinem Bericht fort. »In der Begleitung meines Kollegen soll sich ein recht renommierter Psychiater befunden haben, wie ich weiter hörte.«

»War dem so, Mister Parker?« Die Hausherrin drehte sich zu ihrem Butler um und sah ihn fragend an.

»Ein gewisser Doktor Rush, Mylady, der allerdings einen etwas verwirrten Eindruck machte und selbst behandlungsbedürftig erschien«, erläuterte Parker, ohne daß sich ein Muskel in seinem glatten, ausdruckslosen Gesicht verzog.

»Ach, wirklich? Und das alles habe ich versäumt?« staunte die ältere Dame und schüttelte verwundert den Kopf.

»Nicht ganz, wenn ich meinen Kollegen richtig verstanden habe«, korrigierte McWarden sie lächelnd. »Außerdem soll sich bei dieser Gelegenheit eine Dame hier aufgehalten haben, die der Arzt mit einer seiner Patientinnen verwechselte.«

»Ein bedauerliches Mißverständnis, Sir«, gab Parker gemessen zurück. »Bei dieser Gelegenheit fiel Mister Rush bedauerlicherweise etwas aus der Rolle, wie man leider feststellen muß.«

»Apropos Rolle«, hakte der Chief-Superintendent ein. »Behauptete dieser Arzt nicht auch, die betreffende Dame spiele die Rolle seiner Patientin, um diese vor einer Rückkehr in seine Klinik zu bewahren?«

»Mein Gott, hier scheint sich ja ein wahres Drama abgespielt zu haben«, seufzte Lady Agatha und blickte ihren Butler an. »Wenn so etwas wieder vorkommt, Mister Parker, bitte ich mir aus, daß man mich verständigt und hinzuzieht.«

»Wie Mylady zu wünschen geruhen. Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und verneigte sich vor seiner Herrin.

»Sollte dieser an sich belanglose Vorfall Ihr Interesse gefunden haben, Sir?« erkundigte sich Parker höflich bei McWarden.

»Nicht direkt, Mister Parker. Allerdings fiel mir bei dieser Gelegenheit ein, daß in letzter Zeit in meiner Dienststelle mehrfach darauf hingewiesen wurde, daß es neuerdings immer öfter zu Entmündigungen vermögender Leute kommt und diese Leute meist kurze Zeit später sterben. Die Nutznießer sind bislang immer irgendwelche entfernte Verwandte gewesen, die in der Regel bis dahin beträchtliche finanzielle Probleme hatten, oder sogar die Klinik, in die die Entmündigten eingeliefert worden waren und in der sie dann auch gestorben sind.«

»Fiel in diesem Zusammenhang auch der Name des Doktor Rush, Sir?«

»Möglicherweise habe ich diesen Namen schon mal gehört, aber mehr darf ich Ihnen wirklich nicht sagen, Mister Parker.«

»Ich werde dem Lümmel das Handwerk legen, mein lieber McWarden, er macht diesen bedauernswerten Leuten den Garaus, um an ihr Geld zu kommen. Aber jetzt hat er den Bogen überspannt, er hat es gewagt, sich mit mir anzulegen, und das wird ihm das Genick brechen!«

Agatha Simpson sah sich kampflüstern um.

»Aber seien Sie vorsichtig, Mylady, ich möchte Sie nicht eines Tages in einer Anstalt sehen«, warnte McWarden. »Der Mann bringt es fertig und sorgt auch für Ihre Einlieferung!«

*

»Das ist ja wohl nicht zu fassen«, erklärte Mike Rander, der gerade mit Kathy Porter im altehrwürdigen Fachwerkhaus der Lady eingetroffen war und sich kopfschüttelnd den Bericht der älteren Dame angehört hatte.

Mike Rander, vierzig, groß und schlank, war der Anwalt und Vermögensverwalter Lady Simpsons und erinnerte an einen bekannten James-Bond-Darsteller. Vor Jahren hatte er als Anwalt britische Firmen in den Staaten vertreten und dabei so manchen Kriminalfall mit Parker, der damals sein Butler war, gelöst.

Der exzellente Butler Parker 15 – Kriminalroman

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