Читать книгу Der exzellente Butler Parker 20 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3
ОглавлениеDie soliden Grundfesten des altehrwürdigen Hauses erzitterten, die Fensterscheiben vibrierten. Irritierende Geräusche drangen aus dem Obergeschoß des Fachwerkhauses, das auf den Gewölben einer ehemaligen Abtei errichtet worden war. Hin und wieder tanzte sogar das Sherryglas auf dem Eichentisch, der von einer eleganten Sitzgruppe umgeben war.
»Guter Gott, Mister Parker!« Chief-Superintendent McWarden griff hastig nach seinem Glas, das sich vom Tisch schieben wollte. »Wird das Haus etwa abgebrochen?«
»Keineswegs und mitnichten, Sir«, gab Butler Parker gemessen zurück und zuckte mit keiner Wimper, als es wieder krachte.
»Hält Mylady sich neuerdings einen Elefanten als Haustier?« fragte der Yardbeamte und blickte mißtrauisch zur Decke der Wohnhalle.
»Mylady übt sich in der Tanzkunst«, erklärte der Butler höflich. »Wie meiner Wenigkeit versichert wurde, hatte Mylady in jungen Jahren Ballett-Unterricht.«
»Kaum vorstellbar«, meinte McWarden skeptisch. »Und diese Kenntnisse will sie jetzt wieder auffrischen?«
»Mylady betätigen sich momentan als Sylphide«, sagte Parker, ohne eine Miene zu verziehen.
»Was, zum Teufel, ist denn das?« McWarden runzelte die Stirn und zog erneut den Kopf ein, als es wieder aus dem Obergeschoß dröhnte.
»Eine Sylphide, Sir, ist ein weiblicher Elementar- und Luftgeist«, erläuterte der Butler.
»Lady Simpson als Luftgeist?« staunte der Chief-Superintendent und dachte eindeutig an die majestätische Körperfülle der älteren Dame, die nicht unbeträchtlich war.
»Gestern interpretierte Mylady den sogenannten »Sterbenden Schwan«, Sir«, sagte Parker.
»Daß das Haus das aushält«, wunderte sich McWarden. Er war etwa fünfundfünfzig Jahre alt, untersetzt, ein wenig korpulent und hatte leicht hervorstehende Basedow-Augen, die ihm das Aussehen eines stets gereizten Bullterriers verliehen.
Der Chief-Superintendent leitete im Yard ein Sonderdezernat, das sich mit dem organisierten Verbrechen befaßte. Er war ein durchaus erstklassiger Kriminalist, doch er fand sich immer wieder im altehrwürdigen Fachwerkhaus der Lady Simpson ein, um sich bei Josuah Parker mehr oder weniger offen Rat zu holen.
»Warum spielt Mylady mit dem Einsturz des Hauses?« wollte McWarden wissen, als wieder ein dumpfes Dröhnen durch das Mauerwerk ging.
»Mylady wurde von einer Ballett-Company eingeladen und will in wenigen Stunden unter Beweis stellen, daß man Mylady nichts vormachen kann.«
»Eigenartiger Zufall«, antwortete McWarden und blickte mißtrauisch auf einen schweren Leuchter, der in leichte Pendelbewegung geraten war. »Ich komme auch wegen einer Tanz-Darbietung, Mister Parker.«
»Sie arbeiten an einem neuen Fall, Sir?« Parker war das Urbild eines hochherrschaftlichen englischen Butlers. Er war eine alterslose Erscheinung und die vornehme Selbstbeherrschung in Person.
»Unter uns, Mister Parker, haben Sie schon von der Ballerina gehört?«
»Sie sprechen von einer bestimmten Tanzkünstlerin, Sir?«
»Von einer Ballerina, die die Öffentlichkeit scheut, Mister Parker. Sehen Sie sich das mal an.« McWarden griff in die linke Tasche seines knapp sitzenden Zweireihers und holte eine kleine Porzellanfigur hervor, die eine Spitzentänzerin darstellte. Sie war bemalt und sah hübsch aus. Sie stand auf einer Fußspitze, hatte das Spielbein graziös abgewinkelt und schien eine Pirouette zu drehen.
»Ein nicht gerade bemerkenswertes Erzeugnis der Porzellan-Brennkunst, Sir«, urteilte Parker.
»Stammt aus einer Massenproduktion«, pflichtete der Chief-Superintendent dem Butler bei. »Diese Figuren bekommen Sie dutzendweise in jedem Andenkenladen, Mister Parker.«
»Meine Wenigkeit geht davon aus, Sir, daß Sie die Ballerina nicht aus Neigung gekauft haben?«
»Diese Ballerina ist bei einer Tänzerin abgegeben worden, Mister Parker, die in drei Tagen als Solistin in einem Musical auftritt.«
»Sollte man unterstellen müssen, Sir, daß diese Figur nicht als Talisman übersandt wurde?«
»Als eindeutige Warnung, Mister Parker«, antwortete der Chief-Superintendent. »Im Begleitschreiben wurde die Künstlerin aufgefordert, die Rolle zurückzugeben.«
»Diese Aufforderung war sicher mit einer ernsten Drohung verbunden, Sir?«
»Sehen Sie sich das Standbein der Figur an, Mister Parker«, forderte McWarden ihn auf. »Sehen Sie den feinen Riß über den Knöchel? Tippen Sie doch mal ganz vorsichtig gegen den Fuß.«
Butler Parker kam dem Wunsch des Yard-Beamten nach, worauf das Bein seitlich wegbrach!
*
Die geschwungene Treppe, die ins Obergeschoß führte, geriet in Vibration, als Lady Agatha nach unten schritt. Eine Bühnen-Heroine hätte kaum wirkungsvoller auftreten können. Die Hausherrin war über sechzig, doch ihre Energie ungebrochen. Agatha Simpson war groß und stattlich. Sie trug einen wallenden Morgenmantel, hatte sieh ein Stirnband umgeschlungen und tupfte sich mit einem Handtuch kleine Schweißperlen vom Gesicht.
»Mylady haben das Training beendet?« fragte Josuah Parker.
»Ich beherrsche wieder alle Schritte, Mister Parker«, behauptete sie. »Ich weiß jetzt, daß mir diese jungen Dinger nichts vormachen können.«
»Mylady sind nach wie vor bereit, die Tanz-Company finanziell zu unterstützen?« vergewisserte sich Parker.
»In einem bestimmten Rahmen, denn ich habe schließlich nichts zu verschenken«, machte sie umgehend deutlich. »Natürlich werde ich mich an den Gewinnen beteiligen lassen.«
Sie ließ sich in einem der tiefen Ledersessel vor dem mächtigen Kamin nieder. Parker servierte den Nachmittags-Tee und reichte Gebäck dazu. Die ältere Dame entdeckte prompt die kleine Porzellan-Figur und nickte erfreut.
»Wie hübsch«, meinte sie und nahm die kleine Ballerina in die Hand. Bei dieser Gelegenheit blieb der Sockel mit dem abgebrochenen Fuß auf der Tischplatte zurück.
»Von wem stammt denn das?« fragte Lady Agatha.
»Chief-Superintendent McWarden ließ die kleine Figur nicht ohne Grund zurück, Mylady«, erklärte Parker und berichtete dann von der Unterhaltung mit dem häufigen Gast des Hauses.
»Und was soll die angebrochene Figur bedeuten?« wollte Lady Simpson wissen.
»Die betreffende Künstlerin, die diese Figur erhielt, liegt zur Zeit mit einem gebrochenen Knöchel in einem Londoner Hospital, Mylady«, sagte Parker in seiner höflichen Art. »Nach der Drohung, die meine Wenigkeit erwähnte, gab sie die Holle leider nicht zurück. Wenig später brach der Fußknöchel.«
»Doch nicht zufällig, wie?« Ein erstes Grollen war in Myladys Stimme zu vernehmen.
»Miß Baxter wurde angefahren, Mylady, wie Chief-Superintendent McWarden berichtete«, führte Parker weiter aus. »Der Fahrer beging Fahrerflucht und entkam unerkannt.«
»Das arme Ding wurde also absichtlich angefahren, Mister Parker?«
»Mister McWarden geht davon aus, Mylady, zumal es bereits zwei weitere, ähnlich gelagerte Fälle gibt.«
»Unerhört, Mister Parker.« Sie griff nach der Karaffe, die mit altem Cognac gefüllt war, und erfrischte ihren Kreislauf mit diesem edlen Getränk. Dabei sorgte sie dafür, daß der Schwenker nicht nur oberflächlich befeuchtet wurde.
»Die bereits erwähnte Ballerina, Mylady, wurde zweimal verschickt, bevor Miß Baxter das dritte Exemplar erhielt. Auf den jeweiligen Porzellan-Figuren waren in allen Fällen genau jene Stellen markiert worden, die im menschlichen Original ihre Entsprechung fanden.«
»Einzelheiten, Mister Parker, Einzelheiten«, forderte Agatha Simpson ungeduldig.
»In einem Fall kam es zu einem Bruch des rechten Handgelenks, Mylady, im anderen zu diversen Rippenbrüchen.«
»Das ist ja geradezu sadistisch«, entrüstete sich die passionierte Detektivin.
»Dem kann man in der Tat keineswegs widersprechen, Mylady.«
»Weiß der gute McWarden denn, wer hinter diesen Dingen steckt?« fragte sie interessiert weiter und betrachtete die kleine Porzellan-Figur in ihrer Hand.
»Der Chief-Superintendent weiß nur, daß es sich um eine gewisse Ballerina handelt, die hinter diesen Anschlägen steckt«, gab Parker Auskunft. »Wer diese Ballerina jedoch sein könnte, entzieht sich seinem momentanen Wissensstand, Mylady.«
»Ich werde mich sofort um diese Ballerina kümmern, Mister Parker«, versprach sie. »Treffen Sie alle Vorbereitungen dazu. Ich werde McWarden wieder mal zeigen, wie man einen solchen Fall löst!«
*
»Ich habe die Tänzerinnen und Tänzer nach Hause geschickt, Mylady«, sagte Jill Handley und deutete auf den Flügel, der vor einer großen, rechteckigen Spiegelwand stand. Dort standen einige Porzellan-Figuren, die Mylady und Parker bereits kannten.
»Sie erhielten demnach eine Drohung, Miß Handley?« erkundigte sich Parker. Er hatte die ältere Dame ins Studio der Ballett-Company begleitet. Es befand sich im Obergeschoß einer ehemaligen Baumwoll-Spinnerei im Londoner Osten.
Jill Handley mochte etwa dreißig sein. Sie war groß, überschlank und hatte ein schmales Gesicht und dunkle Augen. Über ihrem eng anliegenden Trikot trug sie einen wärmenden Steppmantel. Am Klavier saß ein älterer, vielleicht fünfzigjähriger Mann, der in Noten blätterte.
»Barnly wurde während der Probe an die Tür gerufen und erhielt ein Päckchen für ’mich«, berichtete Jill Handley. »In diesem Päckchen waren die Ballerinen dort und dann hier dieses Drohschreiben.«
Während sie noch redete, reichte sie Mylady einen Briefbogen, den die ältere Dame wie selbstverständlich sofort an ihren Butler weitergab.
»Die Ballerina, Mylady, die die Zeilen auch unterschrieb, verweist auf die Porzellan-Figuren und die diversen Risse«, informierte Parker über den Inhalt. »Sie droht mit körperlich entsprechenden Schäden.«
»Das dachte ich mir«, erwiderte Lady Agatha und wandte sich an Jill Handley. »Wann und wo wollten sie noch auftreten, meine Liebe?«
»Wir wollten in acht Tagen unsere Tanz-Company vorstellen, Mylady«, erwiderte Jill Handley. »Aber das können wir jetzt wohl vergessen.«
»Auf keinen Fall«, protestierte die ältere Dame.
»Die Ballerina droht mit nachhaltigen körperlichen Schädigungen«, meldete der Butler sich zu Wort. Er hatte inzwischen die feinen Haarrisse untersucht. »Wenn man den diversen Bruchstellen Glauben schenken darf, was man sicher soll, so ist mit Arm- und Beinbrüchen zu rechnen.«
»Papperlapapp, Mister Parker«, reagierte Lady Agatha ungeduldig. »Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.«
»Ich kann das Risiko für meine Tanzgruppe einfach nicht eingehen«, warf die Leiterin der Tanz-Company ein. »Dabei hatten wir so wunderschöne Angebote.«
»Darf man mehr darüber erfahren, Miß Handley?« bat Parker.
»Wir haben bereits einen Vorvertrag für ein neues Musical, das im Herbst herauskommen wird«, beantwortete die Choreographin die Frage und blickte Lady Agatha an. »Sie wollten sich ja finanziell an dieser Produktion beteiligen.«
»Erst, meine Beste, wenn ich mit eigenen Augen gesehen habe, was Ihre Company kann«, schränkte die ältere Dame schleunigst ein. »Bei dieser Gelegenheit werde ich Ihnen zeigen, daß Sie mir auf dem Gebiet des Tanzes wohl kaum etwas vormachen können. Sagte ich Ihnen nicht bereits, daß ich früher mal im Spitzentanz ausgebildet wurde?«
»Das Musical können wir vergessen«, wiederholte Jill Handley noch mal. »Ich kann die Gesundheit meiner Tänzerinnen und Tänzer nicht aufs Spiel setzen.«
»Vertrauen Sie mir, meine Liebe, sie werden auftreten«, kündigte Lady Agatha erneut an. »Mister Parker hat in meinem Auftrag bereits mit den Ermittlungen begonnen.«
Sie wollte noch weiterreden, doch in diesem Augenblick erhob sich der kleine Klavierspieler und trippelte auf sie zu.
»Kann ich jetzt gehen, Miß Handley?« fragte er. »Ich habe noch einen anderen Termin.«
»Natürlich, Barnly, gehen Sie ruhig, hier tut sich doch nichts mehr.«
»Und wann soll ich wiederkommen?«
»Ich werde Sie anrufen, Barnly.« Der Klavierspieler nickte nach diesem Hinweis und schlurfte aus dem Studio.
»Ein seltsamer Mann«, stellte Mylady fest.
»Barnly?« gab die Choreographin flüchtig lächelnd zurück. »Er ist vor allen Dingen ein geduldiger Mann, Mylady, und ein sehr guter Begleiter bei den Proben.«
»Ich traue ihm nicht recht«, mokierte sich Agatha Simpson. »Wie sieht sein Vorleben aus? Kennen Sie ihn überhaupt?«
»Mylady, Sie glauben doch etwa nicht, daß er etwas mit dieser Ballerina zu tun hat?« Jill Handley blickte die Detektivin mehr als erstaunt an.
»Sie kennen ihn seit längerer Zeit, Miß Handley?« Die ältere Dame ließ sich nicht beirren.
»Seit vielen Jahren, Mylady«, erwiderte die Tanzlehrerin. »Barnly war früher mal Tänzer, aber wegen seiner Größe konnte er nie Karriere machen. Seit dieser Zeit begleitet er auf dem Klavier.«
»Mister Parker, erinnern Sie mich bei Gelegenheit an diesen Mann«, verlangte die ältere Dame. Bevor der Butler darauf reagieren konnte, wurde die Tür zum großen Tanzstudio jäh aufgerissen.
Zwei Männer erschienen auf der Bildfläche und machten einen wenig geselligen Eindruck.
*
Sie waren mittelgroß, schlank und etwa fünfundzwanzig Jahre alt Sie trugen schwarze Lederhosen und Jeans-Jacken. Jeder von ihnen zeigte einen Baseballschläger und machte deutlich, daß er mit diesen an sich harmlosen Sportgeräten umzugehen verstand. Sie ließen sie durch die Luft zischen und näherten sich Mylady, Parker und Jill Handley.
»Man erlaubt sich, einen recht angenehmen Abend zu wünschen«, grüßte Parker und lüftete die schwarze Melone. »Könnte es übrigens sein, daß Sie sich im Studio geirrt haben?«
»Halt’ den Rand, Alter«, herrschte ihn einer der beiden Männer an und konzentrierte sich dann auf die junge Frau. »Du bist Jill Handley, wie?«
»Was wollen Sie hier?« fragte die Choreographin ängstlich.
»Eine von den Figuren war für dich .gedacht«, fuhr der Mann fort und warf wie beiläufig einen spöttischen Blick auf Lady Agatha. »Du kannst dir eine davon aussuchen.«
»Wir richten uns dann danach«, fiel der zweite Besucher ein und lächelte spöttisch-überlegen. Für ihn waren Mylady und Parker so gut wie nicht vorhanden.
»Eine ... eine Figur aussuchen?« reagierte Jill Handley nervös.
»Klar doch, soll’s ein Fuß sein? Oder vielleicht ’ne Hand?«
»Wie wäre es denn mit ein paar gebrochenen Rippen?« bot der andere Schläger an.
»Wenn Sie gestatten, meine Herren, möchte meine Wenigkeit eine Erklärung abgeben«, meldete Parker sich zu Wort.
»Los, mach’ schon«, forderte ihn der erste Schläger auf.
»Sie dürften das, was man gemeinhin die Kinderstube zu nennen pflegt, im Eiltempo durchschritten haben«, sagte Parker.
»Mit dir beschäftigen wir uns gleich«, drohte der Schläger und grinste fast fröhlich. Er ließ seinen Baseballschläger durch die Luft zischen. »Aber dann kannst du dir nichts aussuchen.«
Er stand zu seinem Pech in Reichweite der älteren Dame. Genauer gesagt, ihr Fuß war in der Lage, einen Tritt auszuteilen. Und genau das besorgte Agatha Simpson geradezu lustvoll. Ohne Vorankündigung ließ sie ihren rechten Fuß vorschnellen. Der mächtige, solide Schuh traf haargenau das linke Schienbein des Schlägers und verursachte ein deutlich hörbares Knacken.
Der Getroffene heulte auf, riß das Bein hoch und tanzte auf dem gesunden. Dabei warf er den Baseballschläger weit von sich. Lady Agatha hätte bereits ihren perlenbestickten Pompadour in Schwingung gebracht und setzte den so harmlos aussehenden Handbeutel, der an langen Lederschnüren an ihrem Handgelenk hing, auf die Brust des Tanzenden.
Die Wirkung war verheerend.
Im Pompadour befand sich Myladys sogenannter Glücksbringer, nämlich ein Hufeisen, das von einem stämmigen Brauereipferd stammte. Dieser Glücksbringer brachte das Brustbein des Mannes in eine gewisse Schieflage. Die Rippen versetzten sich daher ein wenig und verursachten dem Getroffenen einen gewissen Luftmangel. Er verfärbte sich, wollte atmen, schaffte es jedoch nicht, öffnete weit den Mund und fiel dabei rücklings zu Boden.
»Sie sollten sich ein wenig entspannen«, riet Parker ihm, um dann den Angriff des anderen Schlägers abzuwehren. Nach einer kurzen Spanne der Verblüffung wollte der Mann mit seinem Baseballschläger in Richtung Parker schlagen, doch das schaffte er noch nicht mal ansatzweise.
Der Butler benutzte seinen Universal-Regenschirm als Kendo-Stock und schlug dem Mann das Sportgerät geschickt und kraftvoll zugleich aus der Hand. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis der Schläger ebenfalls auf dem Boden Platz nahm und nach Luft schnappte.
Jill Handley blickte aus weit geöffneten Augen auf Lady Agatha und Parker und schluckte vor Aufregung.
»Um ein Haar wäre ich doch tatsächlich ärgerlich geworden«, meinte die ältere Dame und lächelte die Choreographin an, »aber ich bin eine Frau, die sich stets unter Kontrolle hat.«
»Die... die wollten mich zusammenschlagen«, stöhnte Jill Handley und schleppte sich förmlich zu dem Stuhl hinüber, der vor dem Flügel stand.
»Diese Subjekte werden es nicht noch mal wagen, Sie zu belästigen, meine Liebe«, gab Lady Simpson zurück und blickte ihren Butler an. »Mister Parker, ich bestehe darauf, daß Sie die beiden Lümmel nun verhören. Ich denke, daß ich den Fall in dieser Nacht abschließen kann.«
*
Matt Linkers saß mit zwei anderen Männern an einem Tisch, der in einer Nische des Restaurants stand. Linkers war etwa vierzig Jahre alt, groß, massig und entwickelte einen sehr guten Appetit. Er hatte sich über eine kalte Platte hergemacht und bestrich gerade eine Scheibe Roastbeef mit Remouladensauce. Dabei redete er eindringlich auf die beiden Männer ein, die ihrerseits damit beschäftigt waren, je ein Brathähnchen zu vertilgen. Keiner von den dreien achtete auf die beiden neuen Gäste in dem kleinen, aber ausgesucht guten Lokal.
Lady Agatha marschierte energisch zur Nische und war in ihrer majestätischen Fülle nicht zu bremsen. Parker machte erst gar nicht einen Versuch. Wenn Lady Agatha sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann glich sie einem außer Kontrolle geratenen Bulldozer.
»Sie sind Matt Linkerton?« erkundigte sie sich, als sie den Liebhaber des kalten Roastbeefs erreicht hatte.
»Matt Linkers«, korrigierte der Mann ein wenig amüsiert.
»Wie auch immer, junger Mann«, redete die ältere Dame grimmig weiter. »Namen sind Schall und Rauch.«
Während sie diese Feststellung traf, nahm sie die kleine silberne Sauciere hoch und... fuhr mit dem Löffel in die sich darin befindende Remouladensauce. Bevor Matt Linkers überhaupt ahnte, was da mit ihm geschah, klatschte Agatha Simpson ihm eine erste Ladung auf das linke Auge, das sich verständlicherweise automatisch schloß. Matt Linkers warf sich instinktiv zurück, was er wohl besser nicht getan hätte. Er bot Mylady das Gesicht an und wurde bestens bedient.
Agatha Simpson klatschte ihm zwei saftige und große Roastbeef-Scheiben ins Gesicht, um dann das rechte Auge mit Remouladensauce zu behandeln. Danach war es ebenfalls geschlossen.
Parker beschäftigte sich inzwischen mit den beiden anderen Männern am Tisch, die eine gewisse Unruhe zeigten und aufspringen wollten. Der Butler benutzte den bleigefüllten Bambusgriff seines Universal-Regenschirmes, um die beiden Männer zu beruhigen. Sie sackten daraufhin in sich zusammen und verschwanden unter dem Tisch.
»Aber meine Herrschaften«, tönte die entsetzte Stimme des Oberkellners. Der Befrackte war vor der Nische erschienen und rang die Hände.
»Noch etwas Remouladensauce«, bat Parker in seiner unverwechselbar höflichen Art. »Möglicherweise bedarf man noch ihrer.«
»Stören Sie jetzt nicht, junger Mann«, herrschte Lady Agatha den konsternierten Mann an. »Sie sehen doch, daß ich beschäftigt bin.«
Die resolute Dame hielt bereits die Serviette von Matt Linkers in der rechten Hand und wischte ihm das Gesicht nachdrücklich ab. Der Mann schnappte nach Luft, gurgelte und produzierte dumpfe Protestschreie. Doch es half ihm alles nichts. Was Lady Simpson tat, tat sie mit Liebe und Vehemenz. Als sie die Reinigung abgeschlossen hatte, hing Matt Linkers entkräftet auf dem Stuhl.
Die übrigen Gäste im Restaurant, die in der Mehrzahl gar nicht mitbekommen hatten, was in der versteckten Nische geschehen war, widmeten sich in bekannt britischer Gleichgültigkeit wieder ihren Speisen.
»Mylady sind ein wenig ergrimmt darüber, Mister Linkers, daß Sie zwei Ihrer Mitarbeiter beauftragten, Mylady zu belästigen«, erklärte Josuah Parker höflich den Zwischenfall. »Vielleicht sollten Sie jetzt dazu Stellung nehmen.«
»Das ... das werden Sie bereuen«, zischte Matt Linkers. »Dafür breche ich euch alle Knochen im Leib.«
»Mittels einiger Baseballschläger, Mister Linkers?« erkundigte sich der Butler. »Nach Lage der Dinge dürfte es sich dabei um die Grundausstattung Ihrer Schläger handeln.«
»Die gewünschte Remouladensauce«, meldete ein Kellner arglos. Auf einem Silbertablett reichte er die wohlgefüllte Sauciere. »Haben die Herrschaften sonst noch Wünsche?«
Er blickte ein wenig indigniert auf das beschmutzte Hemd von Matt Linkers.
»Mylady wird es Sie rechtzeitig wissen lassen«, erwiderte der Butler gemessen. »Wo kann der Herr inzwischen seine Garderobe richten?«
»Wenn Sie mir bitte folgen würden«, erwiderte der Kellner und deutete gleichzeitig auf eine Tür im Hintergrund.
»Kommen Sie, Sie kleines Ferkel«, sagte Lady Simpson ausgesprochen genußvoll. Dann drückte sie ihm eine ihrer mächtigen Hutnadeln in die Weichteile der Hüfte. Daraufhin erhob Matt Linkers sich gehorsam und ließ sich aus dem Lokal führen. Dabei erntete er einige verächtliche Blicke der Gäste...
*
»Das ist eine glatte Entführung«, beschwerte sich Matt Linkers wütend, als er im Fond des hochbeinigen Monstrums Platz genommen hatte. Er wollte natürlich die Gunst des Augenblicks nutzen, als Parker die hintere Wagentür schloß. Linkers warf sich auf die andere Seite, drückte die dortige Klinke und mußte zu seiner Enttäuschung zur Kenntnis nehmen, daß die Tür sich nicht rührte. Die Zentralverriegelung tat bereits ihre Wirkung.
Mylady saß auf dem Beifahrersitz wie eine behäbige Glucke und blickte durch die geschlossene Trennscheibe auf Matt Linkers, der auf weitere Ausbruchsversuche verzichtete.
»Was soll das alles?« brauste der Fahrgast unvermittelt wieder auf. »Wer sind Sie überhaupt?«
»Sie haben die einmalige Ehre und den Vorzug, Lady Simpson begleiten zu dürfen.« Parker saß inzwischen am Steuer seines Privatwagens, der einst als Londoner Taxi gedient hatte.
Der hohe, eckige Wagen sah bereits sehr betagt aus, doch dieser Eindruck täuschte. Tatsächlich war das Gefährt – wie Freund und Feind es nannten – eine wahre Trickkiste auf Rädern. Unter der Motorhaube arbeitete ein Motor, der einem Rennwagen alle Ehre gemacht hätte.
»Lady Simpson?« kam gedehnt die Antwort.
»Und Mister Parker«, sagte die ältere Dame auf dem Umweg über die Bordsprechanlage.
»Ich habe mit Ihnen nichts am Hut«, erklärte Matt Linkers gereizt.
»Die Herren Ben und Joel waren so entgegenkommend, eine andere Aussage zu machen«, stellte der Butler klar.
»Dann lügen die«, brauste Linkers sofort wieder auf und wischte sich die letzten Reste der Remouladensauce aus den Augenwinkeln. »Die sollten nur...«
»Sie unterbrachen sich gewiß nicht ohne Grund, Mister Linkers.«
»Von mir hören Sie überhaupt nichts mehr.« Linkers drückte sich in die rechte Wagenecke und preßte die Lippen fest aufeinander.
»Ihre beiden Mitarbeiter Ben und Joel hatten den Auftrag, Miß Jill Handley einer Tortur zu unterziehen, die man nur als grausam bezeichnen kann.«
»Wovon reden Sie eigentlich, Parker?« Er sprach plötzlich doch. »Ich kenne weder einen Ben noch einen Joel.«
»Das wird sich zeigen, junger Mann«, schaltete die Detektivin sich gefährlich freundlich ein. »Mister Parker sammelte einige Baseballschläger. Man kann damit nicht nur Sport betreiben.«
»Sie müssen mich verwechseln, Lady. Oder irgend jemand will mich in die Pfanne hauen.«
»Sprüche, nichts als dumme Sprüche, junger Mann«, wehrte Agatha Simpson ab. »Sie sind es gewesen, der die Ballerinen verschickt hat.«
»Was für Ballerinen?« wunderte sich Matt Linkers. »Was soll denn das sein, Lady?«
»Das werde ich Ihnen gleich mit dem Baseballschläger erklären«, drohte Lady Agatha genußvoll. »Sie werden schnell begreifen.«
»Hören Sie, haben Sie überhaupt eine Ahnung, wer ich bin? Und wer die beiden Männer sind, die Sie unter den Tisch geschickt haben?«
»Sie, Mister Linkers, sind in der kriminellen Szene von London keineswegs unbekannt«, beantwortete Parker die Frage. »Nach dem Wissensstand meiner Wenigkeit leiten Sie eine Organisation, die sich mit illegalen Wetten und Krediten zu Wucherzinsen befaßt.«
»Das sind doch alles Verleumdungen«, behauptete der Fahrgast. »Das soll mir erst mal einer beweisen.«
»Und die beiden Gesprächspartner in der Nische dürften Geschäftsfreunde sein«, redete Parker weiter und zeigte kurz zwei Brieftaschen.
»Was soll das? Woher haben Sie die?« fragte Linkers überrascht.
»Sie stammen vom Fußboden des Restaurants«, sagte Parker. »Sie lagen neben den beiden Herren, die sich unter dem Tisch ausruhten und nach denen ich besorgt Ausschau hielt.«
»Sie haben die Brieftaschen geklaut?«
»Ihre Manieren und Ihre Ausdrucksweise sind in der Tat ungemein .beklagenswert«, stellte der Butler würdevoll fest. »Die Wahl Ihrer Worte läßt eindeutig Wünsche offen.«
*
»Wo steckt Linkers jetzt?« erkundigte sich Mike Rander. Der Anwalt, groß und schlank, eine sportlich-lässige Erscheinung, war zusammen mit Kathy Porter im altehrwürdigen Haus der Lady Simpson in Shepherd’s Market zum Dinner erschienen.
Kathy Porter war die Gesellschafterin und Sekretärin der Lady Agatha und wurde von ihr wie eine erwachsene Tochter behandelt. Die ältere Dame wartete nur darauf, sie und Mike Rander miteinander zu verheiraten.
Sie tat alles, um dieses Ziel zu erreichen und verzichtete deshalb gern auf Kathy Porters Anwesenheit in ihrem Haus. Sie hatte darauf bestanden, daß Kathy Porter als Sekretärin für Mike Rander arbeitete, der in der nahen Curzon Street seine Wohnung und auch seine Kanzlei hatte.
»Linkers und seine Schläger sind ... Wo sind sie eigentlich, Mister Parker?« fragte die Detektivin.
»Bei einem gewissen Sam Stouder, Sir«, berichtete Parker in Richtung Mike Rander. »Mister Stouder sorgte für eine passende Unterkunft auf einem ausgedienten Lastkahn an der Themse.«
»Und wer ist dieser Stouder, Parker?« Mike Rander, der äußerlich an einen bekannten James-Bond-Darsteller erinnerte, kannte Parker schon seit vielen Jahren und hatte seinerzeit in den USA zusammen mit ihm einige haarsträubende Abenteuer erlebt.
»Mister Stouder, Sir, betreibt einen ausgesprochen schwunghaften Handel mit Schmuggelgut aller Art, das von einlaufenden Schiffen stammt. Er gilt bei den Seeleuten als ehrlicher Makler.«
»Leute kennen Sie, Parker!« Rander lächelte.
»Mister Stouder ist meiner Wenigkeit verpflichtet und sorgte für die erwähnte Unterkunft, ohne selbst in Erscheinung zu treten. Die drei Kriminellen werden sich also in keinem Fall an ihm rächen können.«
»Und warum auf einem Lastkahn?« fragte Kathy Porter.
»Die Herren Linkers, Ben und Joel sollen sich aus eigener Kraft befreien, Miß Porter«, erklärte der Butler. »Mister Horace Pickett wurde von meiner Wenigkeit bereits verständigt und wird die notwendigen Observationen veranlassen.«
»Der gute Pickett«, warf die Dame des Hauses wohlwollend lächelnd ein.
»Sie sollten ihn bei Gelegenheit doch mal zum Tee einladen«, erwiderten Kathy Porter und Mike Rander fast synchron. Die beiden kannten Myladys Standardsatz, der bei dieser Gelegenheit immer fällig war.
»Das ist richtig«, pflichtete die ältere Dame ihnen arglos bei. »Man kann sich wirklich auf ihn verlassen. Ist es nicht so, Mister Parker?«
»Auf Mister Pickett ist absolut Verlaß«, lautete Parkers Antwort. Er sprach von einem ehemaligen Taschendieb, der seit geraumer Zeit aber auf der richtigen Seite des Gesetzes stand. Pickett war zu einem unentbehrlichen Helfer geworden, der Lady Agatha verehrte und Parker nie vergaß, daß er ihm mal das Leben gerettet hatte.
»Matt Linkers kommt demnach kaum als die Ballerina in Betracht, wie?« wollte der Anwalt wissen.
»Solch eine Möglichkeit sollte man zu diesem Zeitpunkt keineswegs ausschließen«, meinte Josuah Parker. »Man weiß noch zu wenig von seinen Aktivitäten. Es könnte durchaus sein, daß er seinen Geschäftsbereich ausgeweitet hat.«
»Diese Ballerina bricht also nicht grundlos Knochen?«
»Davon sollte man ausgehen, Sir. Früher oder später wird man die Bedrohten auffordern, gewisse Summen zu zahlen.«
»Hier handelt es sich um reine Erpressung, mein Junge«, schaltete die ältere Dame sich energisch ein. »Ich wußte es vom ersten Augenblick an.«
»Es könnte sich allerdings auch durchaus um milieubedingte Straftaten handeln«, äußerte Parker.
»Das auch«, schnappte Lady Agatha sofort zu. »Und was meine ich damit?«
»Mylady klärten in der Vergangenheit bereits einen Fall, der im Künstlermilieu spielte und in dem nackte Eifersucht auf bestimmte Rollen im Spiel war.«
»Richtig, und genau daran denke ich auch jetzt«, meinte sie wie selbstverständlich. »Ich lasse mir ja bekannterweise nie den Blick verstellen. Ich rechne eben mit allen Möglichkeiten.«
»Was haben die beiden bewußten Brieftaschen denn ergeben?« fragte Mike Rander ablenkend.
»Sie gehören den Herren Brett Brookers und Wade Coleman, Sir«, gab der Butler Auskunft. »Sie reisten vor wenigen Tagen aus den USA an. Im Gegensatz zu seiner ersten Ankündigung verzichtete Mister Linkers darauf, sich zu diesen beiden Personen zu äußern. Man kann aber sicher davon ausgehen, daß die Herren Brookers und Coleman sich recht bald vorstellen werden.«
»Noch in dieser Nacht«, prophezeite die ältere Dame. »Wahrscheinlich lauert man mir bereits auf.«
*
»Ich habe eine interessante Nachricht für Sie, Parker«, sagte Mike Rander. Er telefonierte mit dem Butler von seiner Kanzlei aus. Nach dem gemeinsamen Dinner war etwa eine Stunde verstrichen.
»Kann meine Wenigkeit davon ausgehen, Sir, daß diese Nachricht die bewußte Ballerina betrifft?«
»Sie sagen es, Parker. Freunde riefen mich an. Zwei Vorstellungen in der City sind ausgefallen, in einem Fall handelt es sich um ein Musical, dann um eine Varieté-Vorstellung.«
»In beiden Fällen dürften die Hauptakteure bedauerlicherweise ausgefallen sein, Sir?«
»Richtig, Parker. Der weibliche Musical-Star liegt mit schweren Prellungen in einem Hospital, der Star-Gast im Varieté hat sich die linke Hand total verstaucht.«
»Beide Personen haben sicher erklärt, daß es sich um dumme Zufälle handelte, Sir?«
»So drückten sie sich aus, wie meine Freunde sagten, Parker. Dumme Zufälle, nicht wahr?«
»Die Handschrift dieser Unglücksfälle ist keineswegs zu übersehen.«
»Da hat diese Ballerina ihre Hände im Spiel, Parker. Hat Pickett sich inzwischen gemeldet?«
»Es erfolgte ein erster Anruf und Hinweis darauf, Sir, daß die Herren Linkers, Ben und Joel sich inzwischen aus eigener Kraft befreiten und das sprichwörtliche Weite suchten. Sie werden diskret beschattet.«
»Na ja, Parker, vielleicht bringt uns das weiter. Wissen Sie, ich glaube, daß es da einen Kriminellen gibt, der den Kunstbetrieb unserer Stadt lahmlegen will.«
»Wenn Sie gestatten, Sir, möchte meine Wenigkeit sich Ihrer Ansicht anschließen. Darf man daran erinnern, daß Gangster bereits in der Vergangenheit versuchten, Künstler zu erpressen?«
»Ich weiß, Parker. Hier dürften wir es mit einer Neuauflage zu tun haben. Ist ja auch sehr verlockend. Schneller kann man kein Geld machen. Man erpreßt die Betriebe und kassiert locker ab.«
»Dabei sollte man an die beiden Herren Brookers und Coleman aus den Staaten denken, Sir.«
»Die vielleicht von der Mafia geschickt wurden, Parker.«
»Auch dies ist keineswegs auszuschließen, Sir.«
»Werden Mylady und Sie heute noch ausfahren?«
»Mylady möchte einen Blick auf das Nachtleben werfen, Sir.«
»Dann dürfte auf die intime Szene ja einiges zukommen, Parker.« Mike Rander lachte amüsiert. »Sollen Miß Porter und ich mitkommen?«
»Eine gewisse Unterstützung könnte im Fall eines Falles keineswegs nutzlos sein, Sir.«
»Und wo werden Sie mit der Nachtleben-Tour beginnen?«
»Mylady werden Soho beehren, Sir.«
»Dann werden wir gleich losfahren, Parker. Wissen Sie übrigens, wo Brookers und Coleman abgestiegen sind?«
»Nach dem Verlust der Brieftaschen werden die bewußten Herren mit Sicherheit die Unterkünfte gewechselt haben, Sir.«
»Okay, Parker, dann auf in den Kampf! Vielleicht haben Sie Glück und werden beim Verlassen des Hauses bereits beschattet.«
»Dies sollte man als sicher unterstellen, Sir.«
»Und wo könnten Sie diesen Linkers regulär finden?«
»Sein Kreditbüro befindet sich in Soho. Man wird dort einen Höflichkeitsbesuch abstatten.«
»Dann wissen Miß Porter und ich Bescheid, Parker. Bis dann!«
Der Butler legte auf und brauchte unten in der großen Wohnhalle nicht lange auf Lady Agatha zu warten. Die ältere Dame erschien oben an der Treppe und winkte ihrem Butler huldvoll zu.
»Nun, Mister Parker«, rief sie mit ihrer tiefen und sonoren Stimme fast freundlich. »Sind Sie bereit? Ich hoffe, Sie können mir einige zweifelhafte Etablissements zeigen, die ich noch nicht kenne.«
»Mylady werden zufrieden sein.«
»Das wird sich zeigen«, erwiderte sie und brachte ihren perlenbestickten Pompadour in leichte Schwingung. »In Anbetracht dieses Falles habe ich noch einen zweiten Glücksbringer in meinen Handbeutel gegeben. Eine Pfadfinderin wie ich ist allezeit bereit!«
*
Schon nach wenigen Minuten wußte Parker, daß sie verfolgt wurden. Ein Zweifel war ausgeschlossen. Es handelte sich um einen Mazda, in dem zwei Männer saßen. Der Wagen klebte am Heck des hochbeinigen Monstrums und ließ sich auch dann nicht abschütteln, als Parker einige verzwickte Umwege fuhr. Die beiden Insassen machten gar nicht erst den Versuch, ihre Absicht zu kaschieren.
»Eigentlich eine Unverschämtheit, Mister Parker«, sagte die Detektivin leicht verärgert, als Parker sie auf die Verfolger aufmerksam machte. »Hält man mich für blind oder für eine Amateurin?«
»Man versucht, Mylady zu düpieren«, antwortete Parker. »Man will Myladys Aufmerksamkeit auf den Mazda lenken, der wohl bald außer Sichtweite geraten dürfte. Die tatsächlichen Verfolger werden erst danach diskret in Erscheinung treten.«
»Das dachte ich mir doch gleich«, meinte sie und nickte wissend. »Und wer sind die eigentlichen Verfolger?«
»Sie befinden sich möglicherweise in einem der vielen Taxis, die die Straße befahren.«
»Und wo werde ich die Lümmel, stellen?«
»In Soho gibt es einige private Clubs, die sich dazu ungemein gut eignen, Mylady.«
»Sie dürfen da frei entscheiden, Mister Parker«, räumte sie großzügig ein. »Wann wird dieser Honda verschwinden?«
»Der Mazda läßt sich bereits ein wenig abdrängen und zurückfallen, Mylady. Man könnte ihn jetzt scheinbar bewußt abhängen.« Während Parker diese Möglichkeit andeutete, handelte er natürlich bereits.
Er gab etwas mehr Gas, slalomte an einigen Wagen vorüber und bog dann in eine schmale Seitenstraße ein. Die beiden Insassen im Mazda mußten den Eindruck gewinnen, als versuche das hochbeinige Monstrum erneut, sich seinen Verfolgern zu entziehen.
Dann war der Mazda plötzlich nicht mehr zu sehen...
Parker beobachtete im Rückspiegel einige andere Autos, darunter befanden sich natürlich auch Taxis, die alle unverdächtig wirkten. Es war längst dunkel geworden, und die Lichter der Großstadt spiegelten sich auf dem feuchten Asphalt. Ein genauer Blick in die Taxis war so gut wie unmöglich.
Parker rechnete nicht unbedingt mit einem Feuerüberfall. Die Unterwelt von London verabscheute in der Regel spektakuläre Aktionen. Sie verfügte über subtilere Methoden, wie die Vergangenheit gelehrt hatte. Auch zwei mögliche Abgesandte der US-Mafia hüteten sich bestimmt, gewisse Tabus zu durchbrechen.
Parker hatte Soho erreicht und hielt kurz vor einem Torweg. Zwei Taxis passierten ihn, ein drittes jedoch überholte ihn, hielt dann aber ebenfalls weiter vom. Zwei Männer stiegen aus und unterhielten sich mit dem Taxifahrer.
»Wie lange muß ich denn noch warten, Mister Parker?« räsonierte Agatha Simpson verhalten. »Diese Subjekte nehmen sich viel Zeit. Oder sollten Sie sich wieder mal geirrt haben, Mister Parker?«
Die beiden Männer schlenderten auf das hochbeinige Monstrum zu und unterhielten sich angeregt. Sie machten einen völlig unverdächtigen Eindruck.
Einer von ihnen blickte auf seine Armbandhuhr, schüttelte dann das Handgelenk und tippte auf die Uhr. Dann winkte er Parker und kam schnurstracks auf ihn zu, dabei wiederholt auf die Uhr deutend. Er machte klar, daß er sich nach der momentanen Uhrzeit erkundigen wollte.
Butler Parker legte einen der vielen Kipphebel um, die sich auf dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett befanden. Dann lüftete er höflich die schwarze Melone und harrte der Dinge, die da kommen mußten.
Die beiden Nachtschwärmer wurden überraschend aktiv und hatten sich wohl alles viel einfacher vorgestellt. Sie erreichten die Breitseite des Wagens und langten gleichzeitig nach den Türgriffen, in der Absicht, die Wagentüren aufzureißen und Kontakt mit den Insassen aufzunehmen.
Sie griffen also herzhaft zu!
*
Die beiden Wagentüren ließen sich allerdings keineswegs öffnen. Sie waren zentral verriegelt worden und standen zusätzlich unter Strom. Er beeilte sich, von den Türgriffen aus Besitz von der Muskulatur der beiden Männer zu nehmen.
Die relativ minimale Stromstärke schaffte dies natürlich ohne jede Schwierigkeit und sorgte für nachhaltige Kontraktionen. Die beiden Männer verspannten sich, wurden zu zappelnden Gliederpuppen und verloren jede Orientierung. Schließlich wurden sie zurückgeschleudert, behinderten sich dabei gegenseitig und fielen zu Boden.
Parker verließ den Wagen und bot höflich seine Hilfe an. Er beugte sich über die beiden Männer und durchsuchte sie erst mal. Er barg zwei automatische Faustfeuerwaffen, die mit Schalldämpfern ausgerüstet waren, zwei Klappmesser und zwei Schlagringe.
»Sie sollten möglichst umgehend der Ruhe pflegen«, schlug Parker ihnen vor. Er half einem der Männer hoch, der immer noch einen verwirrten Eindruck machte, führte ihn an die hintere Wagentür und übergab ihn Mylady, die ihn mit sportgestählten Armen in den Fond zog. Es zahlte sich aus, daß die ältere Dame Golf spielte.
Nachdem sie den zweiten Mann in Empfang genommen hatte, stieg sie nach vorn auf den Beifahrersitz und lächelte Parker wohlwollend an. Er hielt ihr den Wagenschlag auf und setzte sich anschließend wieder ans Steuer.
»Das war schon recht talentiert, Mister Parker«, lobte sie ihn dann verhalten. »Sie können es doch, wenn Sie nur wollen.«
»Mylady sind eine Lehrmeisterin von hohen Graden.«
»Ich weiß, ich weiß, Mister Parker«, gab sie zurück. »So aber nun weiter, Sie wissen, ich suche bestimmte Kontakte.«
»Mylady werden in wenigen Minuten einen gewissen Mister Baffins kennenlernen«, kündigte Parker an. »Mister Baffins ist auf dem Gebiet der Schutzgeld-Eintreibung tätig.«
»Das klingt aber doch recht gut«, freute sie sich umgehend. »Er erpreßt Geschäftsleute?«