Читать книгу Butler Parker 108 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3

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Günter Dönges

Blei und Schrot für Lady Simpson

Der ältere, gepflegt aussehende Herr im grauen Anzug erlitt genau in dem Moment einen Herzanfall, als Butler Parker das Bankgebäude in der City von London verließ, um zu seinem hochbeinigen Wagen hinüberzuschreiten, der seitlich auf dem Parkplatz stand.

Der Herr griff sich ans Herz, rutschte leicht in die Knie und konnte von seiner jüngeren Begleiterin nicht mehr gehalten werden. Er fiel ihr, im wahrsten Sinn des Wortes, zu Füßen und stöhnte. Sie sah sich hilflos und entsetzt nach allen Seiten um und brauchte den Butler erst gar nicht um Hilfe zu bitten.

Josuah Parker fühlte sich sofort verpflichtet, Erste Hilfe zu leisten.

»Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, daß meine Unterstützung erwünscht sein könnte«, sagte er und lüftete höflich seine schwarze Melone. »Wenn mich nicht alles täuscht, sehe ich mich einem leichten Herzanfall gegenüber.«

Er stellte den schwarzen Aktenkoffer ab und sah sich dann keinem Herzanfall gegenüber, sondern der Mündung eines kurzläufigen Revolvers, den der Mann ihm für einen Moment präsentierte.

»Keine Dummheiten«, sagte die junge Dame. »Helfen Sie meinem Partner hinüber zum Wagen! Wir werden schießen, wenn Sie um Hilfe schreien!«

»Aber ich würde doch auch ohne Schußwaffenbedrohung helfen«, antwortete Parker steif und indigniert.

»Wir brauchen keine Hilfe, sondern den Aktenkoffer«, sagte der ältere Mann. »Wimmeln Sie die Neugierigen ab, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!«

Sein Hinweis kam nicht von ungefähr.

Passanten waren bereits auf den Zwischenfall aufmerksam geworden, eilten herbei und wollten ebenfalls helfen. Parker, der sich an die Schußwaffe sehr deutlich erinnerte, schüttelte abwehrend den Kopf.

»Nur ein kleines Unwohlsein, meine Herrschaften«, rief er den Passanten zu. »Ich darf mich im Namen meines Herrn für Ihre Hilfsbereitschaft bedanken.«

»Sehr intelligent«, lobte ihn die Dame, die etwa 30 Jahre alt war, einen leichten Stadtmantel trug und wie ihr Begleiter seriös aussah.

Parker hakte den älteren Herrn unter und bugsierte ihn behutsam zu dem Bentley, der am Straßenrand stand und für den sich bereits ein Streifenpolizist interessierte. Der Bentley befand sich nämlich in einer Parkverbotszone und lud zu einem Strafmandat ein. Der Polizist sah sofort, daß solch ein Strafmandat jetzt nicht zur Debatte stand, und bot seine Hilfe an. Zusammen mit Josuah Parker geleitete er den schwer atmenden Herrn in den Wagen.

Die Dame setzte sich ans Steuer, Parker neben den Herzleidenden. Wenige Sekunden später rollte der Bentley bereits an und fädelte sich in den Straßenverkehr ein. Der Herr neben Parker hatte sich vollständig erholt und lachte leise.

»Ausgezeichnet«, sagte er zu Parker. »Sie sind ja direkt ein Schnellschalter, Mister Parker.«

»Ich habe den Vorzug, von Ihnen gekannt zu werden?« fragte der Butler gemessen und rückte den Aktenkoffer auf seinem Schoß zurecht.

»Wir wissen eine ganze Menge«, redete der Herr weiter und deutete auf Parkers Aktenkoffer, »So zum Beispiel, daß Sie von der Bank gerade 100 000 Pfund abgeholt haben.«

»Sie sind in der Tat vorzüglich informiert«, gestand Parker.

»Trotzdem wollen wir Sie nicht länger stören, Parker«, meinte der Herr ironisch, »an der nächsten Kreuzung können Sie aussteigen. Es wird Ihnen überhaupt nichts passieren.«

»Ich muß wohl von der Tatsache ausgehen, daß Sie den Aktenkoffer behalten wollen?«

»Wie schnell Sie wieder mal kapieren, Parker! Öffnen Sie den Koffer, ich will wenigstens sehen, ob Sie sich auch an Lady Simpsons Anweisungen gehalten haben!«

Parker knipste beide Kofferverschlüsse auf und hob den Deckel leicht an.

»Bestens«, sagte der ältere Herr und nickte zufrieden. »Danke, der Blick genügte mir bereits! Drüben an der Kreuzung können Sie sich empfehlen.«

»Sie bringen mich in eine äußerst peinliche Situation«, gestand Josuah Parker. »Lady Simpson wird den Verlust der Banknoten nicht gerade begrüßen.«

»Sie wird’s überleben, wozu ist sie schließlich stinkreich.« Die Dame am Steuer des Bentley hatte sich zu Wort gemeldet und lachte amüsiert. »So, Mister Parker, es ist soweit. Vielen Dank für die prompte Bedienung!«

Sie hielt den Wagen kurz an, und Parker empfahl sich, wobei er nicht vergaß, höflich seine schwarze Melone zu lüften. Der seriöse ältere Herr ließ ihn noch mal in die Mündung der Schußwaffe sehen und schlug dann die Tür zu.

Der Bentley glitt wie auf Katzenpfoten weiter, um dann sofort in einer Seitenstraße zu verschwinden. Die beiden Insassen des Wagens hatten sich für das Absetzen des Butlers einen guten Platz ausgesucht.

Parker dachte an den Aktenkoffer, den er im Bentley zurücklassen mußte, doch erstaunlicherweise zeigte er keine Spur von Unruhe. Ein aufmerksamer Beobachter hätte vielleicht sogar in seinem Gesicht die Andeutung eines feinen Schmunzelns wahrgenommen.

*

»Nun, Mister Parker, ich hoffe, Sie haben mir eine interessante Geschichte zu erzählen«, sagte Lady Agatha Simpson. Sie war groß, stattlich und redete grundsätzlich nicht über ihr Alter, obwohl sie sechzig Jahre zählte. Sie war, was ihre Erscheinung anbetraf, das Urbild einer Bühnenheroine und verfügte über eine stets etwas grollend wirkende baritonale Stimme, die bis zum Baß reichte. Agatha Simpson konnte sich mit der Würde einer Herzogin bewegen, aber auch aus sich herausgehen wie eine resolute Marktfrau.

Lady Agatha war schon seit vielen Jahren Witwe, verfügte über ein immenses Vermögen und konnte sich das leisten, wonach ihr der Sinn stand. Sie hatte sich der Aufklärung von Kriminalfällen verschrieben, betätigten sich als leidenschaftliche Amateurdetektivin und verbuchte einen Erfolg nach dem anderen, seitdem Josuah Parker für sie arbeitete.

Sie hatte sich vor ihrem Butler aufgebaut und sah ihn aus großen, erwartungsvollen Augen an.

»Ich darf Mylady versichern, daß alles nach Plan verlief«, antwortete der Butler. »Der Überfall wurde allerdings mit einer Dezenz ausgeführt, die man nur lobend erwähnen kann.«

»Einzelheiten«, forderte sie, »und dazu einen kleinen Kreislaufanreger, Mister Parker.«

»Bitte, Mylady.«

Kathy Porter hatte diesen Wunsch erwartet und entsprechende Vorkehrungen getroffen. Sie servierte Lady Agatha einen doppelten Kognak, den die stets streitbare Dame genießerisch zu sich nahm.

Kathy Porter war die Sekretärin und Gesellschafterin der Lady und im Grund fast so etwas wie eine Haustochter. Groß, schlank und langbeinig, hatte sie wunderbares, kupferrotes Haar und stach jedes Covergirl einer guten Illustrierten aus. Betonte Wangenknochen und leicht schräg gestellte Augen verliehen ihr den sanften Ausdruck einer Exotin. Kathy Porter glich überhaupt einem scheuen Reh, doch dieser Eindruck täuschte gewaltig. Die junge Dame war eine Einzelkämpferin von hohen Graden, kannte sich in vielen Sportarten aus und konnte zu einer Pantherkatze werden, wenn es erforderlich war.

Sie hatte sich im Lauf der Zeit immer mehr zur heimlichen Assistentin des Butlers entwickelt, was Parker nicht ungern sah. Er schätzte ihre Intelligenz, Anpassungsfähigkeit und ihren Mut, den er oft genug aber als Leichtsinn tadeln mußte.

»Ärgern Sie mich nicht unnötig!« grollte Lady Agatha ihren Butler an. »Wieso Dezenz? Seit wann arbeiten Gangster mit Stil?«

Parker erging sich in Einzelheiten und schilderte den Überfall, wobei er nicht vergaß, das gekonnte und sichere Auftreten des Pärchens zu erwähnen.

»Die Individuen werden sich wundern, wenn sie den Koffer öffnen«, freute sich Lady Agatha sichtlich. »Glauben Sie, daß die Überraschung klappen wird?«

»Damit ist durchaus zu rechnen, Mylady«, antwortete Parker. »Es kommt darauf an, mit welcher Gier und wie unbeherrscht man das Geld auspackt.«

*

Der seriöse Herr und seine Begleiterin hatten den gestohlenen Bentley in einer Straße stehen lassen, waren ein Stück zu Fuß gegangen, hatten die Untergrundbahn benutzt, waren dann in einen Morris gestiegen und hielten vor einem Reihenhaus, das in einer guten Wohngegend lag.

Sie hatten dieses Haus vor einem Monat gemietet und sich als provisorischen Unterschlupf eingerichtet. Sie bemühten sich um Haltung, solange sie noch auf der Straße waren. Als sie jedoch ins Haus traten und die Tür hinter sich schlossen, stießen sie einige gedämpfte Jubelschreie aus und fielen sich vor Freude erst mal um den Hals.

»Geschafft«, sagte der ältere Herr, der Thomas Leaming hieß.

»Hunderttausend Pfund«, sagte Edith Cilham andächtig. »Ich kann’s noch gar nicht glauben, Thomas.«

»Komm, sehen wir uns die Scheine an!« Thomas Leaming hatte es eilig, den Wohnraum zu betreten und stellte den Aktenkoffer auf dem runden Mitteltisch ab.

Edith Cilham nickte ihrem Partner zu, der die beiden Verschlüsse aufklicken ließ und den Koffer dann langsam öffnete. Genießerisch beugten die beiden Gauner sich vor und ergötzten sich am Anblick der Pfundnoten.

»Das ist das wirklich große Geld«, sagte Leaming und hob die ersten Banknotenbündel hoch.

»Damit sind wir ein für allemal aus dem Schneider«, bestätigte die Frau, die allerdings von Wort zu Wort immer, langsamer und gedehnter redete. Ihre eben noch freudige Stimme bekam einen Ton der Überraschung und dann der Enttäuschung.

Was sehr gut zu verstehen war …

Unter der ersten Lage Banknoten befanden sich gut und korrekt zugeschnittene Papiernoten, die völlig unbedruckt und nur als Notizzettel zu benutzen waren.

So etwas mußte enttäuschen!

Was Thomas Leaming und Edith Cilham nicht sahen, waren kleine, schwarze Punkte, nicht größer als Stecknadelköpfe. Diese schwarzen Pünktchen waren recht munter und sehr aktiv. Sie gehörten zur Ordnung der Aphanipteren, also der flügellosen Insekten, und hatten den Fachnamen Pulex irritans. Mit anderen Worten und im Klartext, es handelte sich um Menschenflöhe, die vier Wochen ausgiebig gehungert hatten.

Diese munteren Insekten, etwa bis zu 3 Millimeter lang, gierten danach, sich endlich zu betätigen. Sie witterten Wärme in ihrer unmittelbaren Nähe, was für sie Nahrung bedeutete, nämlich Gasttiere, an denen sie sich erfreuen konnten.

Mit kraftvollen Sprüngen, die bis zu 30 Zentimeter lang ausfielen, stellten sie sich auf ihre letzten Beinpaare und machten sich an die Arbeit. Sie hüpften aus dem Aktenkoffer und konzentrierten ihre Bemühungen auf die beiden Gauner, die nach wie vor entgeistert waren und das sportliche Training überhaupt nicht mitbekamen.

»So ein verdammter Schuft«, fluchte Leaming gerade und wirbelte das zugeschnittene, wertlose Papier durch die Luft. Dadurch versetzte er einige Insekten in die Lage, große Sprünge zu machen.

»Das verstehe ich nicht.« Edith Cilham war den Tränen nahe und bemerkte nicht, daß zwei besonders sprungkräftige Exemplare dieser flügellosen Insekten ihren Ausschnitt anvisierten und dann alles auf eine Karte setzten. Sie rieb sich leicht die Haut, als die beiden Weitspringer ihr Ziel erreicht hatten und sich schleunigst in Deckung begaben. Die Flöhe stiegen nach unten in den BH und sahen sich hier näher um.

Sie fühlten sich in dieser neuen Umgebung sofort wohl und richteten sich auf einen längeren Aufenthalt ein. Sie begaben sich in die Naht des BH-Körbchens und setzten dann ihre bohrartigen Saugrüssel an, um erst mal ausgiebig zu frühstücken.

Edith Cilham zuckte unter den feinen Stichen zusammen und kratzte sich ausgiebig am Ausschnitt, kam aber nicht auf den Gedanken, Untermieter besonderer Art könnten sich bei ihr einquartiert haben.

Das Beispiel der beiden Pioniere machte Schule.

Auch die übrigen Flöhe witterten das Frühstück und machten sich auf die Reise. Sie hüpften aus dem Aktenkoffer und überfielen Edith Cilham und Thomas Leaming. Es dauerte nicht lange, bis die beiden Ganoven ihre Enttäuschung vergaßen und nur noch mit sich selbst beschäftigt waren. Etwa hundertzwanzig Flöhe, von Josuah Parker mühevoll erworben, befanden sich in Freiheit und labten sich am warmen Blut.

Die beiden Ganoven kratzten sich inzwischen gegenseitig und rissen sich die Kleider vom Leib. Sie tanzten und hüpften umher wie ihre Untermieter und merkten endlich, was man ihnen angetan hatte. Es war Thomas Leaming, dem ein Licht aufgegangen war. Er hatte bei der Armee Ihrer Majestät gedient und war mal von einigen Flöhen angefallen worden. Er hatte gerade ein recht leichtsinniges und vielleicht auch trunkenes Exemplar dieser flügellosen Insekten erwischt und diagnostiziert. Deshalb wußte er jetzt, was auf sie zugekommen war.

Das Gaunerpärchen stripteaste also und machte sich auf die Mikrojagd, als diese Beschäftigung jäh gestoppt wurde.

Zwei junge, stromlinienförmig aussehende Männer, vielleicht etwas über 20 Jahre alt und mit schallgedämpften Waffen ausgerüstet sahen dem verrückten Spiel fassungslos zu und vergaßen darüber das obligate »Hände hoch« zu rufen.

*

»Wenn ich mir eine Bemerkung gestatten darf, Sir, so scheint man sich auf Mylady eingeschossen zu haben«, stellte Josuah Parker fest und nickte Chefinspektor Sounders andeutungsweise zu. »Ich darf daran erinnern, daß man Mylady schließlich vor einigen Monaten entführte und ein geradezu horrendes Lösegeld verlangte.«

»Und worum geht es diesmal?« Chefinspektor Sounders, einem Bernhardiner nicht ganz unähnlich, wandte sich an die Hausherrin. Man befand sich im Salon der Stadtwohnung von Lady Simpson, in Shepherd’s Market gelegen, einem reizenden Teil von London, in dem altehrwürdige Fachwerkhäuser noch eine Art ländlichen Stil schufen.

»Es geht um meine Nichte Hazel Maidenhead«, antwortete Lady Simpson grollend. »Fragen Sie mich nur nicht nach dem Verwandtschaftsgrad, Sounders. Sie wissen, daß mir meine Verwandtschaft normalerweise gestohlen bleiben kann. Hier aber liegt ein besonderer Fall vor. Mister Parker, die Details!«

»Sehr wohl, Mylady.« Parker, der seitlich hinter Agatha Simpson stand, räusperte sich diskret. »Mylady bekamen gestern den Anruf besagter Maidenheads, der Eltern eben genannter Miß Hazel. Anonyme Anrufer machten klar, daß Miß Hazel entführt worden sei und sich in Lebensgefahr befände.«

»Gegen Zahlung von hunderttausend Pfund will man Hazel wieder freilassen«, warf Lady Agatha mit Baßstimme ein. »Das soll man sich mal vorstellen, hunderttausend Pfund. Das allein ist bereits eine Frechheit! Man scheint mich für eine Millionärin zu halten.«

»Sind Sie das denn nicht?« wunderte sich Chefinspektor Sounders gespielt überrascht und arglos.

»Fragen Sie meinen Vermögens Verwalter, nicht mich«, erwiderte sie grimmig, denn sie verfügte selbstverständlich nicht nur über eine einzige Million. »Aber das steht hier nicht zur Debatte, Sounders. Hazels Eltern waren in hellem Aufruhr und baten um die Summe. Was hätten Sie an meiner Stelle getan?«

»Das Geld natürlich zur Verfügung gestellt«, meinte Sounders. »Erfreulicherweise habe ich dieses Problem nicht.«

»Aber ich.« Ihre Stimme klang grimmig. »Ich schickte also Mister Parker los, das Bargeld abzuheben. Am Geld soll es schließlich nicht liegen, wenn man ein Menschenleben dadurch retten kann.«

»Sehr nobel, Mylady.«

»Zum Teufel, sehr kostspielig«, grollte Agatha Simpson. »Das Geld sollte gegen 10 Uhr hier im Haus bereitliegen. Ein weiterer Anruf sollte uns dann sagen, wohin wir diese horrende Summe zu liefern hätten.«

»Die Entführer hatten sich inzwischen direkt an Sie gewandt, Mylady?«

»Nein, ich rede immer nur von den Maidenheads«, raunzte sie. »Sind Sie begriffsstutzig, Sounders?«

»Manchmal«, räumte der Kriminalist ungeniert ein. »Demnach haben Sie also keinen direkten Kontakt mit den Entführern?«

»Habe ich das nicht deutlich genug gesagt? Es sind die Maidenheads, nur die Maidenheads, Sounders! Haben Sie jetzt endlich begriffen?«

Sounders ließ sich überhaupt nicht aus der Ruhe bringen, schmunzelte und nickte.

»Zehn Uhr ist vorüber«, stellte er dann fest. »Haben Ihre Verwandten sich inzwischen gemeldet?«

»Das werden sie sein«, meinte Parker, als sich wie auf ein Stichwort hin das Telefon meldete. Er hob ab und nannte seinen Namen. Er hörte einen Moment schweigend zu, während Mylady gereizt mit den Fingerkuppen auf der Lehne ihres Sessels trommelte. Als der Butler aufgelegt hatte, musterte sie ihn gereizt.

»Die Familie Maidenhead«, meldete Parker gemessen und würdevoll. »Die Entführer verlangen das Geld pünktlich um elf Uhr am Trafalgar-Square zu sehen, wie die Kidnapper sich auszudrücken beliebten.«

»Dann wird’s echte Schwierigkeiten geben«, sagte Sounders und sah auf seine Uhr. »Sie haben nur noch zwanzig Minuten Zeit. Sagten Sie eben nicht, man habe Ihnen den Aktenkoffer mit den hunderttausend Pfund vor der Bank abgeluchst?«

»Nur das Duplikat«, korrigierte Parker. »Ich vergaß wohl, darauf zu verweisen, Sir. Den Aktenkoffer mit dem Bargeld schaffte Miß Porter etwa zwei Minuten nach mir aus dem Bankgebäude. Wir tauschten in der Vorhalle die beiden gleich aussehenden Koffer aus, um jedem Risiko aus dem Weg zu gehen.«

»Dann war der Überfall auf Sie nur ein Zufall?« Sounders’ Stimme klang skeptisch.

»Dies, Sir, kann und möchte ich mir nicht vorstellen«, lautete Parkers Antwort. »Hier scheinen Dinge im Spiel zu sein, deren Grenzen ich noch nicht zu übersehen vermag.«

*

»Wir woll’n ja nicht unbedingt stören«, sagte einer der beiden stromlinienförmigen jungen Männer, die übrigens echte Profis waren und gar nicht aussahen, wie es in ihrer Branche üblich war. Sie glichen cleveren Angestellten mit Aufstiegschancen, waren gut gekleidet und hatten durchaus angenehme Gesichter, die vielleicht ein wenig zu glatt waren.

Thomas Leaming und Edith Cilham sahen nur kurz zur Tür hinüber, ohne sich in ihren seltsamen Verrenkungen stören zu lassen. Sie juckten und kratzten und stöhnten wonnig auf, wenn die richtige Stelle erwischt war.

»Den Rücken, den Rücken«, keuchte Edith und riß sich den BH von der Brust. Sie rannte auf die beiden völlig perplexen Profis zu und drehte ihnen den Rücken hin. »Links, ja, da unter dem Schulterblatt! Ich werde wahnsinnig!«

Die beiden Kerle hatten so etwas noch nie erlebt und waren dementsprechend ratlos. Sie dachten natürlich zuerst an einen besonders raffinierten Trick und wichen etwas zurück, doch Edith blieb ihnen aufdringlich auf den Fersen und wandte ihnen ihren Rücken zu.

»Mach’ doch endlich!« Ihre Stimme überschlug sich.

Der eine Profi steckte also seine Waffe weg und kratzte an der gewünschten Stelle. Zuerst ein wenig schüchtern und verlegen, dann aber mit ehrlicher Hingabe. Seine kalten Fischaugen belebten sich dabei sichtlich, denn Edith hatte etwas vorzuweisen. Ihre Haut wirkte noch recht jugendlich und straff.

Sie stöhnte wohlig, machte einen Katzenbuckel und schlug dann blitzschnell auf ihre Oberschenkel. Dort hatte gerade ein Pulex irrtans eine Landung vollzogen und seinen Saug- und Bohrrüssel in ihre Haut getrieben.

Thomas Leaming, nur noch in Unterhosenshorts und Sporthemd, rollte wütend auf dem Teppich herum und scheuerte sich den Rücken. Dazu kratzte er an seinem Unterschenkel und schnappte dann nach einem weghüpfenden Floh.

»Habt ihr noch alle Tassen im Schrank?« Die Stimme des zweiten Profi klang wütend und auch ein wenig konsterniert. Die kleine Narbe in Nähe der Nasenwurzel verlieh ihm das Aussehen eines Piraten, der sich vor Jahren mal duelliert hatte. Er riß den Lauf seiner Waffe hoch und merkte nicht, daß ein Floh die Bewegung zusätzlich nutzte, um ihn anzuspringen. Dieser Floh saß auf dem Rand seines Hemdkragens und krabbelte schleunigst nach innen zum Hals. Er witterte warmes Menschenblut.

Der Profi mit der Narbe kratzte sich automatisch und merkte nicht, daß ein ganzer Trupp von Flöhen ihn bereits als Ziel auserkoren hatte. Es dauerte nur Sekunden, bis die kleinen Bestien sich auf ihn verteilt hatten.

Daraufhin steckte er erst mal seine Schußwaffe weg und kratzte sich ebenfalls.

Wie sein Partner mit den Fischaugen, der sich im bildlichen Sinn als Kolonie von Ediths Flöhen angeboten hatte. Kurz, die vier Insassen des Wohnzimmers vergaßen alle bösen Absichten und führten ein supermodernes Ballett auf.

»Wer seid ihr?« erkundigte sich Thomas Leaming zwischendurch. »Was wollt ihr eigentlich?«

»Die hunderttausend Pfund«, erwiderte der Profi, der mit Edith Cilham in eine Art Clinch gegangen war.

»Drüben sind sie«, keuchte Edith und stöhnte wonnig, als ihr Partner sich mit ihrem Rückgrat befaßte. »Nehmt, was ihr braucht! Notizzettel sind immer nützlich …«

*

Josuah Parker schritt gemessen am Trafalgar Square auf die 60 Meter hohe Granitsäule zu, auf deren Spitze der rund 6 Meter große Lord Nelson steht und sich über den Betrieb zu seinen Füßen zu mokieren scheint.

Parker hielt einen schwarzen Aktenkoffer in der rechten Hand. Über dem linken Unterarm hing der altväterlich gebundene Regenschirm, auf seinem Kopf saß die schwarze Melone.

Es war elf Uhr.

Parker wurde bereits erwartet.

Ein gut gekleidetes Ehepaar, Mann und Frau im gleichen Alter von etwa 45 Jahren, stürzte auf ihn zu.

»Mister Parker, nicht wahr?« fragte die Frau, die ein modisches Kostüm trug.

»In der Tat, Madam! Habe ich die Ehre mit Mrs. und Mr. Maidenhead?«

»Natürlich. Wo ist Lady Agatha? Warum ist sie nicht mitgekommen? Mein Gott, die Zeit drängt, und wir müssen uns wohl erst noch ausweisen, wie?«

Mr. Maidenhead hatte gesprochen. Er glich einem gealterten Playboy, sah aber noch recht ansehnlich und sportlich aus.

»Mylady läßt sich entschuldigen«, erwiderte Parker, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Myladys augenblicklicher Gesundheitszustand ist nicht der allerbeste.«

»Gute Besserung«, sagte Mr. Maidenhead nervös und ungeduldig. »Haben Sie das Geld mitgebracht? Die Kidnapper warten!«

»Sie werden Hazel noch umbringen«, schluchzte Mrs. Maidenhead.

»Darf man fragen, wo Sie die Summe zu übergeben haben, Sir?« Parker wandte sich an den alternden Playboy.

»Darauf kommt’s doch jetzt überhaupt nicht an!« Er wollte Parker den Aktenkoffer aus der Hand reißen. »Mann, es geht um ein Menschenleben, begreifen Sie doch endlich! Erklärungen können wir später immer noch geben.«

»Sehr überzeugend, Sir.« Parker überreichte Mr. Maidenhead den Koffer und deutete eine leichte Verbeugung an, während er die schwarze Melone lüftete. »Ich wünsche viel Erfolg, wie ich mir privat zu sagen erlauben möchte.«

Die beiden Maidenheads hasteten sofort in Richtung Nationalgalerie, und verschwanden vor dem Säulenportal zwischen den Passanten.

Der Butler ging zurück zu seinem hochbeinigen Wagen, der auf dem privaten Parkplatz der Admiralität stand.

Er hatte ihn noch nicht ganz erreicht, als ihm ein Polizist entgegenkam und auf den Wagen deutete.

»Ihr Wagen?« fragte er.

»Keineswegs«, erwiderte der Butler. »Er ist das Eigentum Lord Battenblottoms, des zweiten Staatssekretärs der nordatlantischen Flotte im Bereich des Nato-Abschnittes obere Mitte, zugeteilt der Admiralität Ihrer Majestät.«

»Dann kann er da natürlich bleiben.«

»Das wollte ich damit zum Ausdruck bringen«, antwortete Parker und lüftete knapp seine Melone. »Vielleicht möchten Sie noch erfahren, wo Lord Battenblottom während des zweiten Weltkriegs tätig war, aber dann müßte ich mit dem fernöstlichen Kriegsschauplatz beginnen.«

»Ich hab’ zu tun«, sagte der Bobby und hüstelte verschreckt. Er beeilte sich, den Butler allein zu lassen.

»Was war?« erkundigte sich Lady Simpson, die im Fond des Wagens auf die Rückkehr ihres Butlers gewartet hatte. »Wollte der Mann Schwierigkeiten machen?«

»Keineswegs, Mylady«, gab der Butler zurück. »Er gestattete nur die Benutzung dieses an sich verbotenen Parkplatzes.«

»Wie schaffen Sie das eigentlich immer wieder?« wunderte sich Lady Simpson und lächelte. »Sie parken auf den unmöglichsten Plätzen und bekommen nie ein Strafmandat?«

»Überzeugungskraft, Mylady, ist ein wichtiges Argument«, antwortete Parker. »Die Maidenheads lassen übrigens grüßen, hatten es verständlicherweise aber eilig.«

»Und Kathy?«

»Ist den besagten Maidenheads bereits auf den Fersen, Mylady.«

»Sehr schön.« Lady Simpson nickte zufrieden. »Was ist nun Ihr Eindruck, Mister Parker? Will dieser Zweig der Familie mich nur geschickt ausnehmen wie eine Weihnachtsgans?«

»Dieser Verdacht, sollte nicht ausgeschlossen werden, Mylady«, antwortete Parker, während er am Steuer seines Wagens Platz nahm. »Chefinspektor Sounders wird hoffentlich bald in der Lage sein, in dieser Hinsicht mit Tatsachen aufwarten zu können.«

»Mir geht es einzig und allein um Hazel«, sagte Lady Simpson, wobei ihr Gesicht einen nachdenklichen Ausdruck zeigte. »Warum hat dieses Mädchen so plötzlich und ohne Grund vor einem Jahr jeden Kontakt mit mir abgebrochen? Das müssen wir herausfinden, Mister Parker, das interessiert mich!«

»Mit ein wenig Glück, Mylady, vermag Miß Porter vielleicht noch schneller zu sein als Chefinspektor Sounders.«

*

Selbst Lady Simpson hätte Kathy Porter wohl kaum wiedererkannt.

Ihre attraktive Sekretärin und Gesellschafterin hatte sich total verwandelt und glich jetzt einer sehr unkonventionell gekleideten Künstlerin, die auf ihr Äußeres nicht gerade großen Wert legte.

Kathy trug Jeans, die ihre Rundungen abwärts der Taille knapp umschlossen und nachzeichneten, eine weite, karierte Bluse, die bis zu den Hüften reichte, und dunkles Haar, das zu einer Perücke gehörte. Sie hielt unter dem linken Arm eine große Tasche aus Segeltuch, aus der ein bunter Shawl herausflatterte. Auf ihrer Nase saß eine Nickelbrille modernen Stils mit Fassungen so groß wie kleine Wagenräder.

Kathy hatte an der Steinbrüstung oberhalb des Trafalgar Square die Szene der Aktenkofferübergabe verfolgt und brauchte sich nicht zu beeilen, Anschluß an die Maidenhead zu halten. Sie waren ihr praktisch entgegengekommen und eilten nun zur nächsten Untergrundbahn-Station.

Daß das Ehepaar sich nicht wohl in seiner Haut fühlte, war schnell zu erkennen. Er drehte sich in wechselnder Folge immer wieder um, achtete aber natürlich nicht auf die junge Künstlerin, die übrigens die andere Straßenseite gewählt hatte, um jeder Eventualität aus dem Weg zu gehen.

Sie bestiegen die Untergrundbahn in Richtung Picadilly Circus, wovon Kathy Porter sich natürlich nicht ausschloß.

Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten.

Am Circus angekommen, verließ das Ehepaar Maidenhead bereits wieder die Untergrundbahn, stieg ans Tageslicht zurück und ging dann schnell und wie unter Zeitdruck in die Shaftesbury Avenue, um von dort auf durch kleine Querstraßen die Creek Street zu erreichen.

Kathy hatte sich inzwischen erneut verwandelt.

Noch in der Untergrundbahn hatte sie ihr Haar wie selbstverständlich hochgesteckt und sich eine flache Strickmütze übergezogen. Die Nickelbrille hatte sie gegen eine dickrandige Hornbrille ausgetauscht, die mit Sonnengläsern ausgestattet war. Nun sah sie intellektuell aus und konnte vielleicht Studentin oder Besitzerin einer kleinen Kunstgalerie sein, wie sie hier allenthalben zu finden waren.

In der Creek Street verschwand das Ehepaar Maidenhead in einer Buchhandlung, der eine Kunstgalerie angeschlossen war. Kathy blieb vor einem Schaufenster stehen und sah über die Straße. Über dem Eingang zur Buchhandlung stand der Name »Finlay«. In einer Unterzeile wurden ein modernes Antiquariat und zeitgenössische Kunst versprochen.

Die Straßen waren hier in Soho dicht gefüllt.

Kathy Porter brauchte keine Sorge zu haben, etwa aufzufallen. Menschen aus allen Teilen der Welt gaben sich hier ein Stelldichein, strudelten aneinander vorbei, unterhielten und amüsierten sich. Hier schlug das Herz Londons besonders stark und kräftig.

Kathy mußte etwa fünf Minuten warten, dann erschien das Ehepaar Maidenhead wieder auf der Straße.

Es machte einen panikartigen Eindruck. Die Frau redete heftig auf ihren Mann ein, der sich mit einem Taschentuch das linke Auge hielt. Wahrscheinlich litt er unter einer akuten Sehschwäche, die mit einem Fausthieb Zusammenhängen konnte. Auffallend war, daß weder Missis noch Mister Maidenhead den Aktenkoffer bei sich hatten. Sie konnten ihn unmöglich im Buchladen vergessen haben und hatten ihn dort eindeutig abgeliefert.

Die Maidenheads wechselten hinüber zur Charing Cross Road und erwischten hier ein Taxi. Kathy brach die Verfolgung ab und schlenderte zurück in die Creek Street. Sie wollte sich das moderne Antiquariat Finlay aus der Nähe ansehen.

Das untere Ladenlokal war klein und eng und bot nur wenigen Kunden Platz, die aber jetzt nicht vorhanden waren. Kathy war allein und konnte sich in aller Ruhe umsehen. Beim Verlassen des Geschäftes hatten die Maidenheads wohl vergessen, die Tür richtig zu schließen. Kathy hörte kein akustisches Signal, als sie öffnete und sich dann vor einer der Bücherwände aufbaute.

Während sie sich angeblich für die Titel interessierte und hin und wieder einen Band aus den Regalen zog, sah sie sich genauer um. Ihr Blick fiel natürlich sofort auf die hintere Tür, auf die ein Spiegel montiert war. Diesem Spiegel traute Kathy nicht. Sie hatte irgendwie das Gefühl, daß dieser Spiegel von der anderen Seite aus durchsichtig war, um die Kunden in aller Ruhe beobachten zu können.

Links von dieser Tür führte eine alte, eiserne Wendeltreppe hinauf ins Obergeschoß. Auf den Stufen dieser an sich schmalen Wendeltreppe stapelten sich Bücher, die den Durchgang nur noch enger und schwieriger machten.

Im übrigen hatte Kathy schnell herausgefunden, daß dieser Buchladen keine echten Kostbarkeiten bibliophiler Art anzubieten hatte. Es handelte sich überwiegend um Ramsch, der aus Lagerbeständen großer Buchclubs stammte.

Sie entschied sich für einen Bildband französischer Impressionisten und schaute sich dann hilflos nach allen Seiten um, als suche sie nach der Bedienung. Dabei glitten ihre Augen gespielt ahnungslos über den großen Spiegel an der Tür.

Sie rief mit leiser Stimme »Hallo« Und ging dann zur Wendeltreppe. Als sie die ersten Stufen hinter sich hatte, wurde die Spiegeltür plötzlich schwungvoll geöffnet. Ein junger Mann von etwa dreißig Jahren erschien auf der Bildfläche und strahlte Kathy an. Er trug einen saloppen Anzug und keine Krawatte. Er war von einem ausgeprägten Whiskydunst umgeben.

»Kann ich bei Ihnen mein Geld loswerden?« fragte Kathy burschikos.

»Immer«, erwiderte der junge Mann, der gut aussah, »und in jeder Menge.«

»Sind Sie Mister Finlay?« fragte Kathy weiter und beschrieb mit ihrer rechten Hand einen Kreis, der den ganzen Buchladen umfaßte.

»Haargenau, Bob Finlay.«

»Dann müßten Sie mir eigentlich sagen können, wo ich die zeitgenössische Kunst finde, Mister Finlay.«

»Die hat zur Zeit Ausgang«, sagte Bob Finlay und lachte amüsiert auf. »Hier bei mir ist nicht viel los, ich glaube, ich werde die Bude dichtmachen.«

»Na ja, bei dem Angebot.« Kathy wies auf die Regale und deren Füllung.

»Macht ja nichts«, redete Finlay gelassen weiter. »Ich denke, ich werde hier ’ne kleine Kunstbar aufziehen. Kunst und Whisky, das dürfte die bessere Mischung sein. Sie verstehen was von Büchern?«

»Die Staatsbibliothek würde mich bestimmt nicht engagieren.« Kathy ging gekonnt auf den munteren Ton ein.

»Wer würde Sie denn engagieren?« fragte Finlay. Seine freundlichen Augen musterten sie abschätzend.

»Einer, der verkaufen will, darin bin ich ’ne Kanone.«

»Und was verkaufen Sie im Moment?«

»Meine Arbeitskraft«, gab sie zurück. »Mich, wenn Sie so wollen, ich bin zur Zeit ohne Job.«

»Aber Mädchen«, sagte Finlay vertraulich, »dann hat das Schicksal uns doch glatt zusammengeführt. Warum fangen Sie nicht bei mir an?«

»Als was?« Kathy gab den abschätzenden Blick zurück.

»Als Verkäuferin. Und wenn ich hier umgebaut habe, können Sie sich ja entscheiden, ob Sie bleiben wollen.«

Kathy hielt genau die richtige Waage zwischen Koketterie und mißtrauischer Zurückhaltung. Sie erkundigte sich nach dem möglichen Wochenlohn, intensiv nach ihrer Freizeit und stimmte keineswegs begeistert zu.

»Ich muß mir die Sache gründlich überlegen«, sagte sie schließlich. »Vielleicht komme ich wieder vorbei.«

»Ihre Adresse müssen Sie mir aber auf jeden Fall hierlassen«, drängte Bob Finlay.

Kathy Porter geriet dadurch keineswegs in Verlegenheit, sie hatte eine Adresse parat und diktierte sie ihm. Als sie den kleinen Buchladen verließ, wußte sie, daß der Mann ihr sehr nachdenklich mit seinen Blicken folgte. Bob Finlay mochte nämlich alles sein, aber Buchhändler war er nicht.

Während Kathy zur nächsten Untergrundbahnstation schlenderte und sich dabei viel Zeit nahm, fand sie schnell heraus, daß sie von einem kahlköpfigen, großen und hageren Mann beschattet wurde. Diesen Verfolger konnte ihr nur Bob Finlay auf den Hals gehetzt haben.

*

Der Überfall auf Thomas Leaming und Edith Cilham war zu einer Stummfilmgroteske geworden.

Das Gaunerpaar, in mehr als leichter Kleidung, kämpfte gegen genußvolle Flohstiche an, die beiden jungen Profis hatten sich inzwischen ebenfalls teilentkleidet. Ein neutraler Beobachter hätte an Vorbereitungen zu geplantem Gruppensex gedacht.

Bei dem Veitstanz der vier Personen war der Tisch umgestürzt. Der Inhalt aus dem Aktenkoffer hatte sich über den Boden verteilt. Die vier Gauner waren von Papierschnitzeln umgeben.

»Woher habt ihr eigentlich von den hunderttausend Pfund gewußt?« fragte Thomas Leaming und kratzte sich am linken Schulterblatt, was für ihn einige Verrenkungen bedeutete.

»Beziehungen«, erwiderte der Profi, und rieb sich seine Fischaugen, »und ihr?«

»Beziehungen«, erwiderte Thomas Leaming und bearbeitete intensiv seinen Hals, wo ein Floh fündig geworden war, jetzt aber schleunigst weghüpfte und sich unter der linken Achsel niederließ.

»So geht’s ja nicht.« Der Profi, auf dessen Nasenrücken sich die Narbe befand, kehrte zur Realität zurück. Er hielt plötzlich wieder seine Schußwaffe in der Hand, doch auch Thomas Leaming war nicht gerade schlecht. Er nahm seinerseits eine Schußwaffe in die Hand und scheuerte damit seinen Rücken gekonnt gegen die Couchecke.

»Seid ihr wahnsinnig?« Edith Cilham stellte die Frage und benutzte ihr Kleid als Frottiertuch, um einige Hüpflinge zu vertreiben. »Wollt ihr euch gegenseitig umbringen?«

»Da hat sie eigentlich recht«, fand das Fischauge. »Reingelegt worden sind wir alle!«

»Warum tun wir uns nicht zusammen?« fragte Edith Cilham weiter und verscheuchte einen Floh, der über ihren linken Oberschenkel nach oben springen wollte. »Oder arbeitet ihr nicht auf eigene Rechnung?«

»Nee«, sagte das Fischauge vorsichtig. »Aber was die Zusammenarbeit anbetrifft, könnte man ja mal nachfragen.«

»Zumal hier nichts zu holen ist«, meinte Thomas Leaming und richtete seinen Blick auf einen bräunlichschwarzen Punkt, den er in den Haaren seines Unterschenkels entdeckt hatte.

Blitzschnell schlug er mit der freien Hand zu, verfehlte natürlich den wegspringenden Floh und erhielt gleichzeitig einen etwas bösartigen Fußtritt von der Narbennase. Er verlor die Schußwaffe und löste damit das Patt auf, das bis jetzt geherrscht hatte.

»Das war verdammt gemein«, fauchte Edith wütend und vergaß für einen Moment die Anwesenheit der Flöhe.

»Ob gemein oder nicht, Süße, Hauptsache, wir sind wieder am Drücker.« Die Narbennase lächelte schmallippig. »Jetzt mal raus mit der Wahrheit! Woher habt ihr von den Moneten gewußt. Redet, aber’n bißchen plötzlich!«

»Mann, wir können unsere Geschäftsgeheimnisse doch nicht ausquatschen«, brüllte Thomas Leaming aufgebracht.

»Moment mal, jetzt geht mir’n Licht auf.« Das Fischauge klatschte mit der, flachen Hand gegen die Stirn. »Seid ihr nicht die Seiden-Sisters?«

»Ihr kennt uns?« fragte Thomas Leaming, dessen Stimme nun ein wenig geschmeichelt klang.

»Natürlich, das seid ihr.« Das Fischauge wußte jetzt endgültig Bescheid.

»Wir waren in der Schalterhalle der Bank und haben beobachtet, daß dieser Butler hunderttausend Pfund für seine Lady abholte«, schaltete sich Edith Cilham etwas zu schnell ein, als wolle sie gewisse Details gar nicht erst zur Sprache bringen.

»Das ist eine von unseren Maschen.« Thomas Leaming vergaß jetzt auch die Flöhe und paßte sich seiner Partnerin geschickt an. »Schalterhallen sind verdammt ergiebig, wenn man’s richtig anfaßt.«

»Ich freß ’nen Besen«, wunderte sich das Fischauge. »Die Tour lohnt sich?«

»Und wie!« Thomas Leaming nickte wie selbstverständlich. »Man muß natürlich richtig auftreten.«

»Seriös«, fügte Edith Cilham hinzu.

»Und dann seid ihr dem Butler nachgestiegen, habt die Show abgezogen und ihm den Kies abgenommen?« Die Narbennase war ehrlich beeindruckt.

»Ich wette, ihr habt alles mitbekommen.« Edith Cilham lächelte anerkennend. »Aber wußtet ihr denn von den hunderttausend Pfund?«

»Wir sind nur zur Bank geschickt worden«, lautete Fischauges Antwort. »Wie unser Boß an die Information gekommen ist, wissen wir nicht. Wir haben nur gesehen, daß ihr uns den fetten Fisch vor der Nase weggeschnappt habt. Und darum sind wir hier.«

»Bedient euch!« Leaming wies auf die Papierschnitzel.

»Und woher stammen diese verdammten Flöhe?« fragte die Narbennase und kratzte sich ausgiebig das dunkle und reichliche Brusthaar. Zwei Flöhe vollzogen nämlich gerade eine Art Stellungswechsel und pirschten sich an seinen Bauchnabel heran, von dem sie sich einiges versprachen.

»Von wem wohl?« Edith Cilham sah ihn fast mitleidig an. »Man hat uns reingelegt. Und zwar nach allen Regeln der Kunst.«

»Wer?« Die Narbennase wollte sich mit dieser allgemeinen Erklärung nicht zufrieden geben. »Dann hat dieser Butler irgendwie gewußt oder geahnt, daß man ihm den Koffer klauen wollte.«

»Natürlich«, erwiderte Edith Cilham und nickte eifrig. »Aber woher er das wußte, wissen Thomas und ich auch nicht.«

»Das macht uns ja nervös«, pflichtete Leaming seiner Partnerin bei. »Er hat mit ’nem Überfall gerechnet, nachdem er das Geld im Aktenkoffer verstaut hatte.«

»Und muß den Koffer ausgetauscht haben«, stellte Fischauge messerscharf fest.

»Auf private Rechnung?« schaltete die Narbennase dazu.

»Sieht so aus.« Thomas Leaming nickte. »Ich kann den Verdacht nicht loswerden, daß er sich die Piepen unter seinen eigenen Nagel gerissen hat.«

»Wahrscheinlich hätte er auch ohne uns einen Überfall vorgetäuscht«, meinte Edith Cilham und sah die beiden ziemlich ratlosen Profis an. »Was machen wir jetzt?«

Sie vergaßen für einen Moment die springenden Flöhe und tuschelten miteinander, waren durch die veränderte Situation völlig überfordert und wußten nicht, was sie zu tun hatten.

»Ich glaube, wir nehmen euch erst mal mit«, sagte das Fischauge schließlich. »Möglich, daß der Boß euch ein paar Fragen stellen will, aber vorher rufen wir mal an.«

Während er noch redete, ging er ans Telefon und baute sich so auf, daß die »Seiden-Sisters« ihn bei der Wahl der Telefonnummer nicht beobachten konnten.

Dann bewegte er die Scheibe mit den Zahlen.

*

»Dort kommen ja die lieben Verwandten«, stellte Agatha Simpson mit grollender Stimme fest, als die Maidenheads aus einem Taxi stiegen und auf das leicht verkommen, aber immer noch traditionsbewußt aussehende Haus zugingen, das in einem kleinen parkähnlichen Garten lag.

»Ohne Aktenkoffer, wenn ich Mylady darauf aufmerksam machen dürfte«, fügte der Butler gemessen hinzu.

»Natürlich nicht«, raunzte sie mit ihrer dunklen Feldwebelstimme. »Ich habe ja schließlich keine Knöpfe als Augen. Vielleicht haben sie das Geld inzwischen weggeworfen.«

»Vielleicht nicht gerade die Verwandten Myladys«, korrigierte der Butler. »Mir scheint, daß Mister Maidenhead inzwischen über das verfügt, was man gemeinhin und ein wenig vulgär ein ›blaues Auge‹ nennt.«

Myladys recht weitläufige Verwandte waren inzwischen in dem kleinen Landhaus verschwunden, das übrigens im Stadtteil Kew Gardens lag.

»Fahren Sie vor, Mister Parker«, ordnete Lady Simpson an. Sie saß im Fond von Parkers hochbeinigem Wagen und brannte darauf, den Verwandten auf den Zahn zu fühlen. Parker ließ seinen Wagen anrollen, bei dem es sich um ein ehemaliges Londoner Taxi handelte, das nach seinen speziellen, technischen Vorstellungen und Wünschen umgebaut worden und Überraschungen aller Art zu bieten in der Lage war.

Vor dem Haus angekommen, stieg Parker aus und läutete.

Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Mister Maidenhead öffnete und den Butler erstaunt musterte. Parker lüftete seine schwarze Melone und wandte sich halb zu seinem Wagen um.

»Lady Simpson wünscht die Herrschaften zu sprechen«, überbrachte er, ging zum Wagen und öffnete den hinteren Schlag. Als seine Herrin ausstieg und unwillig Parkers helfende, schwarz behandschuhte Hand zur Seite stieß, kam Mrs. Maidenhead ihr bereits entgegen. Sie wirkte aufgelöst und verzweifelt.

»Laß das, Eliza«, herrschte Agatha Simpson ihre Verwandte an. »Ich kann Tränen nicht ausstehen. Und schon gar nicht, wenn sie falsch sind!«

»Aber Agatha!« Eliza Maidenhead schluchzte gequält auf.

»Folge mir!« Lady Simpson schritt wie eine Rachegöttin voran, gefolgt von ihrem Butler. Eliza Maidenhead trippelte aufgeregt hinter dem Duo her und wollte überholen, schaffte es aber nicht, sich der Energie ihrer Verwandten anzupassen.

»Agatha!« Mister Maidenhead kam aus einem Wohnraum im Erdgeschoß und blieb überrascht und wie angewurzelt stehen.

»Bleib’ mir vom Leib, Randolph«, raunzte sie ihn an. »Du weißt genau, daß ich dich nicht ausstehen kann.«

Lady Simpson konnte mit Ruppigkeiten jeder Art dienen, falls ihr danach war. Sie sagte dann ungeniert und frei, was sie dachte.

Sie drückte ihn einfach zur Seite, betrat das etwas süßlich eingerichtete Wohnzimmer und ließ sich schnaufend in einem Sessel nieder.

»Rennt nicht wie die aufgescheuchten Hühner herum und spielt mir nichts vor«, sagte sie dann grimmig. »Wenn ich gute Schauspieler sehen will, gehe ich ins Theater. Was ist passiert?«

»In dem Koffer war überhaupt kein Geld, Agatha«, stieß Eliza Maidenhead anklagend hervor.

»Natürlich nicht«, herrschte Lady Agatha ihre Verwandte an. »Hältst du mich für eine Idiotin?«

»Sie haben mir dafür ein blaues Auge geschlagen«, beklagte sich Randolph Maidenhead und hielt sich wieder das Taschentuch vor die Schwellung.

»Wie schön«, freute sich die streitbare Dame ungeniert, »und nun will ich die Wahrheit hören, meine Herrschaften, oder ich informiere die Polizei!«

Ihr Bluff kam ausgezeichnet an.

Die Maidenheads rutschten förmlich in sich zusammen. Sie gruppierten sich um Lady Agatha und fanden nicht den richtigen Anfang. Sie drucksten herum und waren total durcheinander.

»Stellen Sie die Fragen, Mister Parker!« Lady Agatha wandte sich an ihren Butler. »Mir ist das ganze Theater einfach zu widerlich.«

»Darf Mylady davon ausgehen, daß von einer Entführung Ihrer Tochter Hazel absolut nicht die Rede sein kann?« stellte der Butler die erste Frage.

»Nun?« Lady Agatha sah die beiden Verwandten blitzend an, um sich dann an ihren Butler zu wenden. »Die nächsten Fragen etwas sachlicher bitte. Und keine unnötigen Höflichkeiten. Ich hasse das.«

»Wie Mylady befehlen!«

»Nun?« Agatha Simpson räusperte sich, und es klang wie das Näherkommen eines Alpengewitters.

»Wir waren völlig verzweifelt«, stieß Eliza hervor.

»Wir wußten, daß du uns normalerweise niemals helfen würdest«, klagte Randolph.

»Richtig«, sagte Lady Agatha und nickte erfreut. »Mister Parker, die nächste Frage.«

»Sie befinden sich finanziell in einem beklagenswerten Zustand, Sir?« erkundigte sich Parker wesentlich härter, als er glaubte.

»Ihr seid pleite, nicht wahr?« Lady Simpson drückte sich klarer aus.

Die beiden Maidenheads nickten gleichzeitig.

»Wieder mal!« Lady Simpson räusperte sich erneut, worauf das Ehepaar sich abduckte.

»Muß man von Spielschulden ausgehen?« bohrte der Butler würdevoll weiter.

»Du hast wieder fast Haus und Hof verloren, oder?« Lady Simpson sah klar.

»Das hier gehört uns längst nicht mehr«, beklagte sich Eliza.

»Sondern wem?«

»Einem verdammten Gauner, der mich betrogen hat«, regte sich Randolph ehrlich auf.

»Den Namen, Sir«, erinnerte Parker.

»Der Kerl heißt Martin Spencer.«

»Und er wird Randolph umbringen lassen, wenn wir die Schulden nicht umgehend bezahlen.« Eliza schluchzte jetzt ehrlich auf.

»Wo findet man besagten Mister Martin Spencer?« wollte der Butler wissen. Randolph zuckte die Schultern und wußte nur mit dem Namen und der Adresse des Spielclubs zu dienen, wo Spencer verkehrte.

»Reden wir von Hazel«, wechselte Lady Simpson das Thema. »Wann hat sie sich zuletzt gemeldet?«

»Vor etwa anderthalb Monaten«, antwortete die Mutter Eliza. »Hazel ruft ja nur sporadisch an, sie sagt immer, es ginge ihr gut, und wir sollten sie in Ruhe lassen.«

Butler Parker 108 – Kriminalroman

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