Читать книгу Butler Parker 114 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3
ОглавлениеAgatha Simpson befand sich in Hochstimmung. Sie sprühte vor Unternehmungslust und wußte, daß es diesmal klappen würde. Sie hatte sich das kleine Teehaus auf ihrem Landsitz besonders herrichten lassen. Auf ihren stämmigen Beinen schritt sie durch den kreisrunden Steinbau, der von blühenden Sträuchern eingerahmt wurde. Schlanke Säulen trugen das spitzzulaufende Dach.
Agatha Simpson musterte anerkennend die Bibliothek, erfreute sich an dem reichhaltigen Vorrat an Manuskriptpapier und betrachtete dann fast verliebt die große elektrische Schreibmaschine. Sie stand auf einem Tisch, der seinerseits vor einem der hohen Fenster untergebracht war. Von diesem Arbeitsplatz aus konnte sie den parkähnlichen Garten sehen.
Lady Simpson inspizierte die Schalttafel, über die sie mit dem Landsitz verbunden war und nickte sich dann entschlossen zu.
Die Sechzigjährige hatte vor, den literarischen Markt zu erobern und einer gewissen Agatha Christie mal zu zeigen, wie ein guter Kriminalroman auszusehen hatte.
Die Lady arbeitete an diesem Bestseller schon seit Monaten und war bisher über gewisse Vorbereitungen nicht hinausgekommen. Zu ihrer heimlichen Freude hatte es immer wieder Unterbrechungen gegeben, die sie einfach zwangen, den Beginn ihrer Arbeit zu verschieben. Doch nun sollte das alles ganz anders werden.
Lady Agatha hatte ihren beiden Begleitern strikt untersagt, im Teehaus zu erscheinen. Sie wollte sich nicht noch mal ablenken lassen und war fest entschlossen, selbst den interessantesten Kriminalfall zu ignorieren. Es ging schließlich auch um Lady Agathas Selbstachtung. Sie wollte sich endlich mal beweisen, daß sie zu einer konzentrierten, schriftstellerischen Arbeit fähig war.
Sie sah die elektrische Schreibmaschine also fast verliebt an, nahm feierlich vor ihr Platz und schob ihre Hände vor. Da die Entfernung nicht ganz stimmte, korrigierte sie ihren Sitz, um dann zu bemerken, daß sie nicht hoch genug saß.
Die sonst so kriegerische Dame ließ sich keineswegs aus der Fassung bringen. Heiteren Gemüts nahm sie die Änderungen vor, schaltete den Motor der Elektroschreibmaschine ein und ... zuckte ein wenig irritiert zusammen. Das Geräusch dieses Motors kam ihr ungewöhnlich laut vor. Irgend etwas in der Maschine schepperte unschön.
Lady Agatha behielt eine heitere Gemütsverfassung. Solche Kleinigkeiten störten sie nicht, obwohl sie einräumte, daß zu diesem Scheppern jetzt ein leichtes Kreischen kam. Ein Mensch mit relativ schwachen Nerven hätte so etwas auf die Dauer wohl kaum ausgehalten, doch Lady Simpson stand über solchen Äußerlichkeiten.
Wenige Sekunden später wurde sie sich klar darüber, daß der Arbeitstisch eigentlich nicht gut stand. Durch das große Fenster fiel zuviel Licht in das Teehaus. Die Sonnenreflexe auf den Metallteilen der Maschine waren nicht geeignet, Konzentration aufkommen zu lassen. Zudem, das merkte sie erst jetzt, schweifte ihr Blick etwas zu unstet über den großen, parkähnlichen Garten und verlor sich irgendwo in der sanften Hügellandschaft des Themseufers.
Agatha Simpsons Landsitz befand sich hart am Ufer der Themse in der unmittelbaren Nähe des Vororts Richmond, im Westen von London. Von der riesigen Metropole war hier draußen so gut wie nichts zu spüren. Das hier war der geeignete Platz, um den Kriminalroman des Jahrhunderts zu schreiben!
Die Lady war inzwischen aufgestanden und rückte den Tisch zur Seite. Bei dieser Gelegenheit zeigte sich, daß die ältere Dame, die von der Figur her an eine Heroine erinnerte, recht kräftig sein mußte. Sie handhabte den Tisch samt Maschine ohne sonderliche Schwierigkeiten. Nachdem sie noch einige Korrekturen angebracht hatte, ließ sie sich erwartungsvoll auf dem Sitz nieder, nickte sich innerlich zu und ... kam nicht mehr dazu, auch nur eine einzige Taste anzurühren.
*
Agatha Simpson schaute ein wenig überrascht auf das Monster, das sich heimlich ins Teehaus geschoben hatte.
Ein Gesicht war so gut wie überhaupt nicht vorhanden. Es war eher eine glatte, fleischige Maske, in die nur Öffnungen für die Augen, die Nasenlöcher und den Mund geschnitten waren. Diese Öffnungen sahen wie bösartige Schlitze aus. Die Ohren verschwanden unter dieser Maske und zeichneten sich nur vage ab.
»Sie stören«, sagte Lady Simpson grimmig, nachdem sie sich von ihrer ersten Überraschung erholt hatte.
»Ich werde noch viel mehr tun«, erwiderte die Maske gereizt. Sie ärgerte sich wahrscheinlich darüber, daß die Frau keinen spitzen Schrei des Entsetzens ausgestoßen hatte.
Das Monster trug einen enganliegenden Overall, über den es eine Art Umhang geworfen hatte. Erfreulich sah diese ganze Erscheinung nicht aus. Sie war tatsächlich geeignet, Schreie des Grauens auszulösen. Dieses Monster schien aus einem wilden Alptraum zu stammen.
»Sie sehen doch, daß ich arbeite«, redete Lady Agatha ungeduldig weiter. »Melden Sie sich bei meinem Butler, wenn Sie mich unbedingt sprechen wollen.«
»Sie werden jetzt genau tun, was ich Ihnen sage«, herrschte die Maske die streitbare Dame an. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, hielt das Monster ruckartig die linke Hand hoch und ließ Lady Simpson auf ein Stilett blicken.
»Und das wäre?« Die Sechzigjährige, die sich bereits abgewendet hatte, fuhr mit dem Sitz des Drehstuhls herum und schien ihr Gegenüber jetzt erst richtig wahrzunehmen.
»Lassen Sie sich Ihr Scheckbuch bringen«, verlangte das grotesk aussehende Monster durch seinen Mundschlitz, »und schreiben Sie dann einen Scheck auf den Namen Harry Betnam. Die Höhe beträgt fünfzehntausend Pfund in bar.«
»Warum haben Sie nicht gleich gesagt, daß das ein Überfall ist?« ärgerte sich die Überfallene, »ich habe mein Scheckbuch hier. Wie hoch war noch die Summe?«
»Fünfzehntausend Pfund«, gab das scheußliche Monster mit dem glatten, ausdruckslosen Schädel zurück, »und wir werden hier warten, bis abkassiert ist. Haben Sie mich verstanden?«
»Ich verbitte mir diese dumme Frage«, herrschte Lady Simpson das Monster an. »Sie haben es schließlich nicht mit einer Irren zu tun.«
Das Monster war echt verunsichert.
So hatte es sich diesen Überfall wohl nicht vorgestellt. Diese Frau schien man kaum in Angst und Panik jagen zu können. Das Monster mit dem langen, spitzen Stilett in der Hand kam sich albern und nutzlos vor.
Lady Agatha griff inzwischen nach ihrem Pompadour. Das perlenbestickte Handbeutelchen lag auf einem Beistelltisch und sah recht harmlos aus. Eine Waffe konnte es unmöglich enthalten, dachte wenigstens das Monstrum.
Die Lady griff also nach dem Pompadour und ... warf ihn äußerst kraftvoll in die Magenpartie des Monsters. Das widerlich aussehende Scheusal mit dem faltenlos glatten und synthetischen Gesicht verbeugte sich daraufhin erstaunlich tief und respektvoll. Dazu produzierte es einige Töne, die an ein luftschnappendes Grunzen erinnerten.
Agatha Simpson wurde von dieser Höflichkeitsgeste nicht überrascht. Sie wußte schließlich, daß sich in ihrem Pompadour ein echtes Hufeisen befand. Es handelte sich dabei um ihren Glücksbringer, der nur oberflächlich mit Schaumstoff umwickelt war.
Das Monster wunderte sich allerdings.
Es hatte den Eindruck, von einem auskeilenden Pferd getroffen worden zu sein. Es kam aus der Verbeugung nicht hoch und litt sichtlich. Lady Simpson war inzwischen aufgestanden und griff nach einer frisch angerissenen Packung Manuskriptpapier. Sie hob diese improvisierte Waffe kurz an und setzte das Papier dann auf den Hinterkopf des Monsters.
Die widerliche Erscheinung kniete daraufhin vor der älteren Dame nieder und keuchte verzweifelt. Lady Simpson nahm sich jedoch nicht die Zeit, diese Geste der Ergebenheit länger zu genießen. Für ihr Gefühl war dieses gesichtlose Monster noch immer zu vital. Die resolute Dame griff nach dem Aschenbecher und stellte ihn noch zusätzlich auf den Kopf des Scheusals.
Diese weitere Belastung vermochte das Monster nicht mehr zu verkraften. Es streckte sich zu Lady Agathas Füßen aus und gab sich einem Tiefschlaf hin, der vielleicht auch schon einer mittelschweren Ohnmacht nahe kam.
Die Sechzigjährige schaute auf das Monster hinunter und dachte bei sich, daß ihr das erste Kapitel recht gut gelungen war, obwohl sie noch nicht ein einziges Wort getippt hatte.
*
»Die Hartnäckigkeit Myladys ist geradezu bewunderungswürdig«, stellte Josuah Parker anerkennend fest. Er hielt sich zusammen mit der Gesellschafterin und Sekretärin seiner Herrin in dem Landhaus auf. Kathy Porter nickte lächelnd. Auch sie wunderte sich ehrlich. Lady Simpson befand sich schon seit gut einer Stunde im kleinen Teehaus weit hinten im Park.
Butler Parker trug schwarze Hosen, eine gestreifte Weste und den üblichen weißen Eckkragen. Es war ein Butler wie aus einem englischen Gesellschaftsfilm der alten Schule. Schon seit geraumer Zeit befand er sich in Diensten der älteren Dame und schätzte sie ungemein. Lady Simpson garantierte dem Butler stetige Abwechslung.
Kathy Porter sah gegen Parker direkt lässig aus. Sie erinnerte auf den ersten Blick an ein scheues Reh, wirkte zurückhaltend und stets ein wenig erstaunt. Sie war groß, schlank und hatte kastanienrotes Haar, eine junge Frau also, nach der die Männer sich prompt und wie unter innerem Zwang umdrehten und veranlaßt fühlten, ihre schützende Hand über sie zu breiten.
Kathy brauchte solch einen Schutz allerdings überhaupt nicht. Sie war eine gut getarnte Pantherkatze, die sich in allen speziellen Künsten der Verteidigung bestens auskannte. Karate und Kung-Fu waren für sie eine Selbstverständlichkeit, über die sie nicht sprach. Darüber hinaus war die junge Dame, die von Lady Simpson wie eine Tochter gehalten wurde, eine erstklassige Schauspielerin, die sich in Sekunden in einen völlig anderen Typ verwandeln konnte.
Kathy Porter war Parkers Schülerin. Er hatte sie eine Unmenge von Tricks gelehrt und ihre Fähigkeiten entwickelt. Sie mochte diesen Josuah Parker, dessen viktorianische Erscheinung so gar nicht in diese Zeit paßte.
Der Butler schien ein Relikt vergangener Zeiten zu sein, doch er wußte sich dieser, unserer Zeit sehr gut anzupassen. Er war Amateurdetektiv aus Leidenschaft und konnte auf eine schier endlose Kette von Erfolgen zurückblicken.
»Ich wundere mich, Mister Parker, daß Lady Simpson noch nicht geläutet hat«, meinte Kathy Porter ein wenig ironisch. »Normalerweise gab sie das Schreiben meist nach dreißig Minuten wieder auf.«
»Vielleicht ist das geplatzt, Miß Porter, was man gemeinhin im Volksmund den Knoten nennt«, antwortete der Butler in seiner barocken und steifen Art. »Mylady machte einen sehr entschlossenen Eindruck, als sie sich ins Teehaus begab.«
Parker hatte seinen Satz gerade beendet, als er plötzlich gespannt und aufmerksam lauschte. Bruchteile von Sekunden später setzte er sich gegen seine sonstige Gewohnheit sehr schnell in Bewegung und öffnete eine Terrassentür.
»Das war doch ein Schuß, nicht wahr?« stieß Kathy Porter hervor und sah den Butler prüfend an.
»In der Tat, Miß Porter«, antwortete der Butler, »er wurde durch einen Schalldämpfer modernster Bauart gedämpft.«
Parker verzichtete auf weitere Erklärungen, eilte über die hintere Terrasse und begab sich in den Garten. Er schien sich nur gemessen und steif zu bewegen, in Wirklichkeit aber war er sehr schnell, erreichte zusammen mit Kathy die Reihe der hohen Sträucher und Büsche und nickte ihr knapp zu.
Sie wußte daraufhin, was sie zu tun hatte, trennte sich von ihm und-verschwand nach links. Parker übernahm die rechte Seite dieser Sträucher und umging den weiten englischen Rasen, der in seinem makellosen Schnitt an einen kostbaren Teppich erinnerte.
Wenig später stellte er zu seinem Bedauern fest, daß dieser grüne Teppich leider in Mitleidenschaft gezogen worden war. Ein häßlicher Blutfleck verunzierte ihn deutlich. Und dieser Blutfleck sickerte unter einem Mann hervor, der eine Art engsitzenden, silberglänzenden Overall trug.
Parker drehte den Träger des Overalls auf den Rücken und hatte echte Schwierigkeiten, seine Gelassenheit zu bewahren. Er sah in ein monsterähnliches Gesicht, das völlig konturenlos war und eigentlich nur aus Schlitzen und schmalen Öffnungen bestand. Unheimlicher hätte eine echte Dämonenmaske nicht aussehen können, selbst wenn sie noch so reichhaltig ausgestattet gewesen wäre. Diese Konturenlosigkeit schuf einen abstoßenden Eindruck.
Der Mann war tot, doch damit hatte der Butler bereits gerechnet. Er entdeckte vorn im Overall einen blutverschmierten Einschuß über der Herzgegend.
Parker dachte an Lady Agatha Simpson.
Er glaubte zwar nicht, daß sie die Schützin war, doch er fragte sich, wo sie war. Oder sollte sie diesen Schuß in unmittelbarer Nähe des Teehauses überhört haben, selbst wenn er schallgedämpft gewesen war?
Vom Teehaus her kam Kathy Porter und schüttelte bereits verneinend den Kopf.
»Lady Simpson ist nicht im Teehaus«, sagte sie hastig, »aber dort muß ein Kampf stattgefunden haben.«
Wenig später sah Parker sich die Unordnung im Teehaus an. Auf dem Boden lagen Manuskriptblätter und ein Aschenbecher. Dort entdeckte er auch unter dem Arbeitstisch der älteren Dame ein langes und scharfes Stilett. Nur Lady Agatha blieb unauffindbar. Sie war entweder entführt worden, oder dem heimtückischen Mörder auf der Spur.
Parker wagte nicht zu entscheiden, welche Möglichkeit die günstigere war. Sein sonst so ungemein beherrschtes Gesicht zeigte die Andeutung von echter Erleichterung, als er dann die streitbare Dame erblickte. Sie kam vom Ufer der Themse und schien sich in angeregter Stimmung zu befinden.
Damit war dem Butler klar, daß seine Herrin die Pläne für das Schreiben eines Kriminal-Bestsellers erst mal zurückstellen würde. Er kannte so etwas aus Erfahrung.
*
»Diese Subjekte«, keuchte Lady Simpson, als sie Parker und Kathy Porter erreicht hatte, »um ein Haar hätte ich sie erwischt. Um ein Haar!«
»Mylady waren möglicherweise hinter einem Schützen her?« erkundigte Parker sich vorsichtig.
»Hinter zwei Subjekten«, gab sie zurück, »sie waren etwas schneller als ich und entkamen in einem Kahn.«
»Mylady wissen, daß sich dort auf dem Rasen ein Toter befindet?«
»Dumme Frage«, grollte Agatha Simpson, »der Schuß galt doch mir!«
»Mylady versetzen meine bescheidene Wenigkeit nachträglich in Entsetzen«, bekannte Parker formvollendet.
»Als ich diesen ungezogenen Lümmel zurück ins Teehaus zerrte, wurde auf mich geschossen«, berichtete die Dame mit der detektivischen Ader. »Zwei dieser Monster standen plötzlich vor mir. Man muß sich das mal vorstellen! Sie hatten Revolver in Händen. Eine unverschämte Frechheit, finden Sie nicht auch?«
»In der Tat, Mylady.«
»Etwas mehr könnten Sie sich schon entrüsten, Mister Parker«, fuhr sie ihn grimmig an, »ich dachte schon, mein Herzschlag würde aussetzen, so habe ich mich geängstigt.«
»Ein Vorgang, der nur zu natürlich gewesen wäre, Mylady.«
»Er setzte aber nicht aus«, redete die Sechzigjährige grimmig weiter, »ich geriet vielleicht ein wenig in Zorn, wenn ich mich recht erinnere. Ich schleuderte diesen jungen Mann auf die beiden Lümmel. Und genau in diesem Moment fiel der Schuß.«
»Sie stellten das Opfer vor dem Teehaus, Mylady?«
»Im Teehaus«, korrigierte sie ihren Butler, »das, was ich erlebte, ist eigentlich die Geschichte für einen zweiten Bestseller.«
»Sie sind also überfallen worden, Lady Simpson?« schaltete sich Kathy Porter ein.
»Seit wann sind Sie so begriffsstutzig, Kindchen?« Sie sah ihre Vertraute kopfschüttelnd und verweisend zugleich an, um dann die ganze Geschichte zu erzählen.
»Fünfzehntausend Pfund«, widerholte Josuah Parker, als er Myladys Geschichte kannte, »und man wollte Sie bis zur Einlösung des Barschecks als eine Art Geisel betrachten.«
»Stellen Sie sich vor, was das für ein Zeitverlust gewesen wäre«, entrüstete Mylady sich erneut. »Schließlich wollte ich gerade meinen Krimi beginnen. So etwas konnte ich einfach nicht zulassen. Ich mußte diesen Flegel zur Ordnung rufen. Was halten Sie davon, daß man so einfach drauflos feuerte, Mister Parker?«
»Es muß sich um eine Bande handeln, die auf jede Rücksicht verzichtet.«
»Aber warum? Die beiden anderen Männer hätten mich doch wahrscheinlich ohne weiteres ausschalten können.«
»Das Inkognito schien für sie besonders wichtig gewesen zu sein. Sie wollten es wahrscheinlich auf keinen Fall aufs Spiel setzen, Mylady.«
»Klingt ausnahmsweise nicht schlecht, was Sie da als Grund anbieten«, räumte die verhinderte Schriftstellerin ein, »sehen wir uns den Toten mal an. Er wird zumindest sein Inkognito lüften müssen.«
Sie stampfte um die Sträucher herum und übernahm wie selbstverständlich die Führung der Gruppe. Agatha Simpson erinnerte in diesen Sekunden an eine Walküre. Mit einem langen Spieß in der Hand, angetan mit einem Panzerhemd, hätte sie durchaus in eine verstaubte Wagner-Inszenierung gepaßt.
Sie blieb plötzlich abrupt stehen und schüttelte gereizt den Kopf.
Parker stellte keine Fragen, denn er stand jetzt neben seiner Herrin und sah genug.
Der Tote war verschwunden! Auf dem grünen Rasen war nur noch der Blutfleck zu sehen...
*
»Lassen Sie sich gefälligst eine Erklärung einfallen«, sagte Lady Simpson und wandte sich an ihren Butler. »Ich möchte zumindest eine gute Theorie vorgesetzt bekommen.«
»Darf ich mir erlauben, Mylady vorher eine kleine Erfrischung anzubieten?«
»Gegen einen Kreislaufbeschleuniger wäre nichts einzuwenden«, gestattete sie. Parker wußte, was zu tun war. Er ging hinüber zur Hausbar und servierte Mylady anschließend einen erstklassigen Kognak. Einen doppelten übrigens, denn er wußte, daß Mylady sich mit Kleinigkeiten niemals abgab.
Er, Kathy Porter und Agatha Simpson befanden sich inzwischen im eigentlichen Landsitz, einem altehrwürdigen Bau aus geschichtsträchtiger Vergangenheit. Dieses Steinhaus zeichnete sich durch eine Vielzahl von Türmchen, Erkern und Kaminen aus. Die Fenster im Erdgeschoß waren bleiverglast und ließen keinen Einblick zu.
Lady Simpson bezeichnete sich stets leicht untertreibend als eine halbwegs vermögende Frau. In Wirklichkeit war sie reich und konnte sich trotz der hohen Vermögenssteuern ihre Extravaganzen leisten.
Ihr schon vor vielen Jahren verstorbener Mann hatte ihr reichhaltige Beteiligungen hinterlassen, die von einem Vermögensberater geschickt gesteuert wurden. Lady Simpson war mit dem Blut- und Geldadel der Insel verschwistert und verschwägert, war mehr gefürchtet als geliebt. Sie pfiff auf alle Konventionen und konnte sehr ruppig sein, wenn sie einen Grund dafür sah.
Sie nahm den Kreislaufbeschleuniger in Empfang und genoß den Kognak. Dann sah sie ihren Butler erwartungsvoll an.
»Nach Lage der Dinge muß es sich um eine Bande handeln«, begann Josuah Parker in seiner steifen und stets ein wenig umständlichen Art. »Die Schußfreudigkeit, um es mal so auszudrücken, Mylady, läßt darauf schließen, daß diese Bande jedes Risiko einer Entdeckung und Demaskierung vermeiden will. Daraus nun wieder ergibt sich der mögliche Schluß, daß es sich um bekannte Gesichter handelt.«
»Woher wußten die Täter, daß Lady Simpson hier arbeiten wollte?« fragte Kathy Porter. »Mylady ist doch erst seit zwei Tagen in Richmond.«
»Eine gute Frage, Kindchen!« Agatha Simpson nickte ihrer Vertrauten anerkennend zu.
»Es wäre darüber hinaus zu klären, Mylady, ob solche Überfälle bereits anderwärts erfolgten.«
»Das werde ich übernehmen«, sagte Parkers Herrin, deren Verbindungen erstklassig waren. »Es ist zwar schade, daß ich im Moment nicht weiterschreiben kann, aber was sein muß, muß einfach sein. Die literarische Welt wird noch ein wenig auf meinen Bestseller warten müssen.«
»Mylady könnten ja vielleicht die Arbeit an einem geheimen Ort fortsetzen«, schlug der Butler vor, ohne eine Miene zu verziehen. »Ich erlaube mir, in diesem Zusammenhang an Schottland oder an die Riviera zu denken.«
»Jetzt werden Sie aber reichlich albern, Mister Parker.« Sie sah ihn streng an und schüttelte verweisend den Kopf. »Schließlich hat man auf mich geschossen. So etwas lasse ich mir nicht bieten! Ich möchte wissen, wer diese Flegel und Mörder sind ...«
Agatha Simpson genehmigte sich noch einen zweiten Kreislaufbeschleuniger, um anschließend das Telefon zu bemühen. Mylady sprach mit dem Yard und. mit einigen hohen Beamten des Innenministeriums. Sie wußte genau, an welche Stellen sie sich zu wenden hatte. Nach etwa zehn Minuten war sie ausgiebig informiert.
»Das hier war bereits der dritte Fall«, sagte sie zu Parker und Kathy Porter. »Diese Monster haben schon zwei Opfer ausgenommen. Sie erbeuteten dabei dreiunddreißigtausend Pfund. In beiden Fällen erschienen die Gangster wie die Monster, die ich gesehen habe.«
»Rechnet die Polizei mit einer Dunkelziffer, Mylady?« fragte der Butler.
»Sie spricht von einer Spitze des Eisberges, Mister Parker.« Agatha Simpson nickte grimmig. »In Wirklichkeit dürften diese Flegel erheblich größere Beute gemacht haben. Die Opfer trauen sich nur nicht, die Behörden zu verständigen.«
»Und aus welchen Kreisen stammen die beiden bisherigen Opfer, Lady Simpson?« wollte Kathy Porter wissen.
»In einem Fall ist ein Juwelier ausgenommen worden, im zweiten Fall ein Verleger. Sie mußten Barschecks ausstellen und wurden bewacht, bis das Geld von der Bank ausgezahlt worden war.«
»Darf man erfahren, wo diese Überfälle stattfanden, Mylady?«
»Der Juwelier wohnt in London, der Verleger in Brighton. Beide Überfälle sind gerade acht Tage alt. Jetzt sind Sie an der Reihe, Mister Parker, sich etwas einfallen zu lassen. Diese Monster dürfen erst gar nicht üppig werden.«
»Sehr wohl, Mylady«, antwortete Josuah Parker und verbeugte sich knapp. »Darf ich noch mal auf den Toten zurückkommen, der aus dem Park verschwunden ist? Sollte man nicht die zuständigen Behörden verständigen?«
»Warum? Der Tote ist doch verschwunden?«
»Er hinterließ Blutspuren, Mylady, die für eine Ermittlung wichtig sein könnten.«
Was das allerdings betraf, so sollte Parker sich gründlich täuschen.
Als er zusammen mit Lady Simpson und Kathy Porter noch mal zurück in den Park ging und dann die Stelle erreichte, wo sie den Blutfleck gesehen hatten, bemerkten sie nichts als eine große, häßliche Wunde im Rasenteppich.
Die Monster waren noch mal zurückgekehrt und hatten den Blutfleck beseitigt. Der Rasen war herausgestochen worden, und neben dieser Verwüstung lag ein alter Spaten, den man bei dieser Arbeit verwendet hatte.
»Das geht aber wirklich zu weit«, entrüstete sich, die ältere Dame und sah verärgert aus. »Diese Vandalen scheuen sich ja noch nicht mal, einen Rasen zu zerstören.«
»Sehr ungewöhnlich und vorsichtig«, sagte Parker.
»Das müssen Ausländer gewesen sein«, mutmaßte die Detektivin, »ein Engländer würde sich niemals an einem Rasen vergreifen.«
Parker war zwar anderer Ansicht, doch er griff dieses Thema nicht auf. Innerlich amüsierte er sich ein wenig. Lady Simpson war überfallen worden, man hatte auf sie geschossen, und es hatte immerhin einen Toten gegeben. Das alles zählte kaum. Der zerstörte Rasen hingegen brachte das Blut der Dame in Wallung. Die Monster ahnten sicher nicht, welch einen unerbittlichen Gegner sie sich da leichtsinnigerweise herangezüchtet hatten.
*
Agatha Simpson befand sich in ihrem Ankleidezimmer im Obergeschoß des Landsitzes.
Nach dem mörderischen Zwischenfall im Park zog sie sich um. An ein Weiterschreiben war selbstverständlich nicht mehr zu denken. Lady Agatha war bereit, in ihren »Kampfanzug« zu schlüpfen. Dabei handelte es sich um ein Chanel-Kostüm aus einem allerdings recht derben Tweed-Stoff. Dieses sehr weit geschnittene Damenkostüm enthielt einige Ausrüstung, die aus Parkers Bastelstube stammte. Den Verteidigungsgegenständen sah man ihren Zweck natürlich nicht an. Sie waren gut getarnt und erinnerten an selbstverständliche und harmlose Zutaten zu dieser Kleidung.
Agatha Simpson stand vor dem Spiegel und begutachtete sich. Sie glaubte wieder etwas schlanker geworden zu sein. Als sie nach ihrer Kostümjacke griff, prallte plötzlich ein kleiner Gegenstand gegen die Scheibe des mittleren Fensters.
Agatha Simpsons Blutdruck stieg prompt an.
Sie ahnte, daß man sich einen bösen Scherz mit ihr erlauben wollte. Die Monster aus dem Park schienen ihr nachzutragen, daß sie das falsche Opfer getötet hatten.
Agatha Simpson war nun keineswegs eine ängstliche Frau. Sie neigte eher dazu, impulsiv zu handeln. Stieg ihr Blutdruck erst mal an, war sie kaum zu bremsen. Diesmal jedoch dachte sie an die beiden schallgedämpften Revolver in den Händen der Monster. Sie hatte keine Lust, sich vom Garten aus beschießen zu lassen.
Ein zweiter Stein flog gegen die Fensterscheibe. Lady Agatha sollte ganz eindeutig ans Fenster gelockt werden, um sich als nicht zu verfehlendes Ziel anzubieten.
Die kriegerische Dame dachte aber nicht im Traum daran, dieser Aufforderung ohne weiteres nachzukommen. Von einem gewissen Josuah Parker hatte sie im Lauf der Zeit eine Menge gelernt. Agatha Simpson eilte hinüber in das angrenzende Zimmer, um von dort aus hinunter in den Park zu sehen. Dabei vergaß sie nicht, sich um ihr Sportgerät zu kümmern, das noch nicht ausgepackt worden war. Die Sechzigjährige spielte leidenschaftlich gern Golf, war eine ausgezeichnete Sportbogenschützin und schoß auch treffsicher auf Tontauben. Sie entschloß sich, den schweren Sportbogen mit ans Fenster zu nehmen, bewaffnete sich mit zwei Pfeilen und erreichte dann das hier nur angelehnte Fenster.
Verstohlen sah sie hinunter und suchte nach dem Monster, das die Steine gegen die Fensterscheibe geworfen hatte. Kam es noch mal zurück? Verbarg es sich im Moment hinter den Sträuchern und Büschen?
Aus den Sträuchern heraus flog ein dritter Stein durch die Luft und landete klickend vor der Fensterscheibe. Der Werfer war leider immer noch nicht zu sehen. Agatha Simpson, die ihren Sportbogen bereits »geladen« hatte, spannte sicherheitshalber die Sehne und wartete darauf, daß der Werfer sich eine Blöße gab.
Er gab sie sich zwar, ließ sich aber immer noch nicht blicken.
In den Sträuchern, die etwa vierzig bis fünfundvierzig Meter von der Rückseite des Landsitzes entfernt waren, bewegten sich einige dicht belaubte Zweige. Dort mußte das Monster sich also befinden. Lady Agatha spannte die Bogensehne weiter an und gönnte sich noch eine Pause.
Sie zahlte sich aus.
Der Werfer der kleinen Steine wagte sich etwas vor. Wahrscheinlich ärgerte er sich darüber, daß sein Angriff bisher ohne jeden erkennbaren Erfolg geblieben war. Er kam um die ausladenden Zweige eines Strauches herum und nahm seinen rechten Arm weit zurück. Er wollte ganz offensichtlich den nächsten Wurfkörper auf die Reise schicken. Es war eines der Monster!
Die gesichtslose Maske sah widerlich aus, trotz der Entfernung. Die Augenlöcher in ihr wirkten wie schwarze Wunden. Das Fehlen von Nase, Ohren und Mund gab diesem Kopf das Aussehen einer bösartigen Larve.
Lady Agatha zögerte nicht lange.
Sie war eine erstklassige Bogenschützin, ließ den armlangen Pfeil von der Sehne schnellen und wartete dann auf den Treffer.
Es war bestürzend, wie genau sie traf.
Die Entfernung betrug, wie schon gesagt, gut und gern vierzig bis fünfzig Meter, doch das machte dem Aluminiumpfeil überhaupt nichts aus. Er bohrte sich in den Oberarm des Monsters, das daraufhin nicht mehr in der Lage war, seinen Stein zu werfen. Das Monster heulte erschreckt auf, warf sich zurück ins Strauchwerk und war auch schon verschwunden.
»Das war für den Mord«, murmelte Lady Agatha und nickte nachdrücklich, »und den Pfeil hole ich mir auch noch zurück.«
Josuah Parker saß vor dem Steuer seines hochbeinigen Monstrums und lenkte seinen Privatwagen in Richtung City.
Dieses Monstrum war ein ehemaliges Londoner Taxi, das nach seinen Vorstellungen und Wünschen umgebaut worden war. Unter der eckigen Motorhaube befand sich der superstarke Motor eines Tourenrennwagens. Die Radaufhängung hätte einen Rallyefahrer entzückt, so durchkonstruiert und schluckfähig war sie. Zudem enthielt diese Trickkiste auf Rädern eine Menge Überraschungen, um bösartige Verfolger und Angreifer abzuwehren.
Im Fond des Wagens saß Lady Agatha und Kathy Porter. Parker wollte sich in der Stadt nach Banditen erkundigen, die als Monster auftraten und arbeiteten. Er hatte da einige sichere Quellen, die ihm Informationen liefern konnten. Diese Fahrt diente aber auch dazu, Lady Simpson im Yard abzuliefern. Auch sie wollte sich zusätzliche Informationen beschaffen. Es stand immerhin zu erwarten, daß die Monster nach dem Pfeilschuß sehr nachdrücklich und ärgerlich reagierten. Mit einer blutigen Retourkutsche war jederzeit zu rechnen.
Durch den Rückspiegel beobachtete der Butler die Landstraße. Er hätte längst eine der breiten Ausfallstraßen benutzen können, doch er verzichtete bewußt darauf. Er hatte noch einiges vor.
Er hatte längst einen Morris entdeckt, der hinter ihnen herfuhr, ob er allerdings Beobachter der Monster enthielt, konnte Parker nicht sagen. Sicherheitshalber sorgte er aber dafür, daß der Abstand zwischen dem Morris und seinem Monstrum etwas größer wurde. Nachdem die Straße um eine hohe Taxushecke knickte, hielt er jäh an und wartete, bis Kathy Porter sich nach draußen gehechtet hatte. Das geschah innerhalb weniger Sekunden. Als der Morris hinter dem Knick erschien, rollte Parkers Wagen bereits wieder regulär über die Landstraße, während Kathy Porter sich hinter einem Bretterzaun verbarg.
Agatha Simpson hatte für Ersatz gesorgt. Neben ihr saß eine zweite Kathy Porter, wie man auf den ersten und zweiten Blick annehmen mußte. Es handelte sich um eine aufblasbare Plastikpuppe. die aus Parkers Bastelstube stammte. Sie war vorbereitet worden und trug die Kleidung, die die wirkliche Kathy Porter gewählt hatte. Diese seelenlose Puppe saß neben der Detektivin, die dafür sorgte, daß hin und wieder Bewegungen ausgeführt wurden.
»Ob sie was gemerkt haben, Mr. Parker? « fragte Lady Simpson nach vorn.
»Ich möchte mir erlauben, diese Frage zu verneinen«, gab der Butler zurück.
»Gern lasse ich das Kind aber nicht zurück«, sorgte sich die ältere Dame ein wenig.
»Nur so läßt sich herausfinden, Mylady, ob und was die Monster für den Landsitz planen«, erwiderte der Butler. »Ich denke, man sollte auf Miß Porters Erfahrung setzen.«
»Sie ist so schrecklich impulsiv«, behauptete Lady Simpson.
»Wie Mylady meinen.«
»Sie sind nicht meiner Ansicht?«
»Das, Mylady, würde ich mir niemals erlauben.«
»Manchmal machen Sie mich wahnsinnig mit Ihrer verdammten Höflichkeit«, fauchte sie sofort. »Widersprechen Sie mir doch endlich mal!«
»Bei passender Gelegenheit, Mylady.«
Während der Butler sich auf diese Art und Weise äußerst angeregt mit seiner Herrin unterhielt, schaute er immer wieder in den Rückspiegel. Der Morris blieb ihnen hartnäckig auf den Fersen. In ihm saßen zwei normal gekleidete Männer, die trotz des verhangenen Himmels Sonnenbrillen trugen.
Der Morris holte auf und schob sich immer näher an Parkers Monstrum heran. Der Butler paßte höllisch auf. Er rechnete mit einem heimtückischen Anschlag, weil er einfach das Gefühl hatte, daß diese Gangster sofort zurückschlugen, falls man ihnen eine Niederlage beibrachte. Seiner Ansicht nach wollten diese Monster Angst und Grauen verbreiten. Das war schließlich der Boden, auf dem ihre kommenden Überfälle besonders gut gediehen.
Er hatte sich nicht getäuscht...
Der Beifahrer beugte sich plötzlich aus dem Wagen und hielt eine Panzerfaust in seinen Händen. Es handelte sich um eine Waffe aus dem zweiten Weltkrieg, wie Parker sofort erkannte. Er war der Ansicht, daß jetzt sofort etwas geschah.
*
Kathy Porter war eine erstklassige Sportlerin.
Nachdem der Morris an ihrem Versteck vorbeigefahren war, stieg sie über die Steinmauer hinter ihr und lief quer über Felder und Wiesen hinunter zur Themse. Sie hatte mit Butler Parker vorher alles genau durchgesprochen und wußte, wie sie sich zu verhalten hatte.
Sie brauchte etwa eine Viertelstunde, bis sie sich vom Ufer her dem Grundstück, des Landsitzes näherte. Kathy Porter blieb auf dem benachbarten Gelände, dessen Haus leer war. Sie pirschte sich vorsichtig an Sträucher und Hecken heran. Vor der hohen Mauer aus übereinandergeschichteten Bruchsteinen blieb sie stehen und beobachtete mit dem kleinen, aber leistungsstarken Fernglas Lady Simpsons Landsitz.
Sie rechnete wie Parker damit, daß die Monster die Abwesenheit der Bewohner nutzen würden, um im Haus einige Fallen zu installieren, die unter Umständen vielleicht tödlich vorprogrammiert waren. Butler Parker traute diesen Monstern nicht über den Weg. Seiner Ansicht nach handelte es sich um besonders brutale Gangster.
Der Landsitz machte einen völlig normalen Eindruck. Von fremden Besuchern war nichts zu entdecken. Kathy Porter verlor jedoch nicht die Geduld. Sie suchte die Fenster im Obergeschoß ab und hoffte, dort irgendeine irreguläre Bewegung auszumachen. Sie hatte das kleine Transistorradio eingeschaltet und wartete darauf, daß es Geräusche oder Stimmen übertrug.
Im Landsitz hatte Josuah Parker nämlich einen kleinen Minisender zurückgelassen, der sich in der großen Eingangshalle befand. Er hatte ihn hoch oben im Kronleuchter installiert und durfte sicher sein, daß dieser Sender jedes Geräusch im Haus nach außen übertrug. Der Transistor, der neben Kathy auf einem vorspringenden Mauerstein stand, war frequenzgeeicht. Parker liebte solche elektronischen Spielereien. Sie hatten sich in der Vergangenheit schon häufig als lebensverlängernd erwiesen.
Plötzlich meldete sich der Lautsprecher im Transistorradio. Zuerst handelte es sich nur um ein Knacken und Scharren, dann waren schnelle, irgendwie schleichende Schritte zu vernehmen. Die Übertragung war erstklassig und ließ keine Wünsche offen.
»Wo ist das Eßzimmer?« fragte eine undeutliche Stimme, die auf Kathy unheimlich wirkte. Sie war hell, fast ein wenig schrill. Eine Antwort auf diese Frage war nicht zu hören, nur wieder schleichende Schritte, die sich rasch entfernten. Sekunden später hörte Kathy Porter auch feines Quietschen. Damit wußte sie, daß die Tür zum Eßzimmer geöffnet worden war. Dieses Quietschen kannte sie nur zu gut. Sie war jetzt froh, daß Parker es noch nicht mit einem Schmiermittel bekämpft hatte, wie es am Abend geschehen sollte.
»Beeilt euch«, war die schrille, hohe Stimme undeutlich und nun auch etwas schwächer zu vernehmen. »Nein, nicht unter den Tisch. Ja, dort unter den Ledersessel.«
Kathy Porter dachte sofort an eine Bombe, die man installieren wollte. Und das war ungeheuerlich! Die Monster mit den gesichtslosen Masken bereiteten einen grausamen Massenmord vor. Ihr Vorgehen war ungewöhnlich brutal. Kathy fragte sich unwillkürlich, warum diese Gangster so etwas planten. Handelte es sich wirklich nur um einen Racheakt? Oder steckte mehr dahinter? Wer sollte mit diesem Massenmord geschockt werden? Nur zukünftige Opfer?
Das kleine Transistorradio lieferte weitere Geräusche: Stühle wurden verrückt, Schritte waren erneut zu hören. Kathy schloß daraus, daß die ungebetenen Besucher dabei waren, das Haus wieder zu verlassen.
Sie wollte unbedingt herausfinden, wer diese Männer waren und wie sie sich ausstaffiert hatten. Trugen sie normale Kleidung? Hatten sie auf Masken verzichtet? Oder verzichteten sie selbst jetzt nicht auf ihr monsterähnliches Aussehen?
Sie verließ die Bruchsteinmauer, vergaß nicht, den Transistorapparat mitzunehmen und ... prallte förmlich mit einem der Monster zusammen.
Im ersten Moment war Kathy Porter unfähig, irgend etwas zu unternehmen. Zu plötzlich war diese Begegnung gekommen. Sie starrte entgeistert in ein Gesicht, das keines war. Sie sah die fleischige, weiße Maske, die Augenlöcher, die Schlitze für die Nase und den Mund. Dieses Monster schien wirklich von einem anderen Stern zu stammen.
Es trug übrigens einen schwarzen, elegant geschnittenen Stadtanzug und wirkte in seiner Art durchaus überlegen.
»Sollte ich jetzt schreien?« fragte Kathy endlich.
»Tun Sie sich keinen Zwang an«, sagte das Monster, dessen Stimme fast sympathisch klang, wenn auch vielleicht ein wenig überlegen-ironisch. Kathy Porter wußte mit letzter Sicherheit, daß sie dem Mann gegenüberstand, der das alles leitete und inszenierte.
Kathy Porter hielt sich an diese Empfehlung und setzte alles auf eine Karte. Blitzschnell schoß ihre linke Hand vor und griff nach der gesichtslosen Maske.
Doch der Mann war schneller.
Kathys Hand wurde abgeblockt und zurückgeprellt. Sie merkte sofort, daß das Monster Karate kannte. Bevor Kathy sich eine andere Taktik überlegen konnte, erhielt sie einen Schlag ins Genick. Als sie zusammenbrach, hörte sie das spöttisch-überlegene Auflachen des Obermonsters.
*
Parker hatte sich durch den Anblick der häßlichen Panzerfaust nicht aus der Ruhe bringen lassen.
Um den Schützen ein wenig zu verwirren, produzierte Parker mit seinem hochbeinigen Monstrum eine gekonnte Schlangenlinie und brachte sich so erst mal aus dem Visier der panzerbrechenden Rakete.
»Was soll denn das?« ließ Lady Simpson sich aus dem Fond des Wagens vernehmen. »Trinken Sie neuerdings heimlich, Mr. Parker?«
»Ich bitte höflichst um Entschuldigung«, gab der Butler gemessen und ohne Hast zurück. »Mir ging es darum, den Schützen einer Panzerfaust ein wenig aus dem Konzept zu bringen.«
»Wo ist dieser Lümmel?« Agatha Simpson wandte sich um und entdeckte den Morris, aus dessen Seitenfenster der Schütze erneut sein Ziel aufnahm.
Josuah Parker handelte inzwischen. Die Situation war recht günstig für seine Absichten. Auf der kaum befahrenen Landstraße war im Augenblick von einem entgegenkommenden Fahrzeug nichts zu sehen. Parkers schwarzbehandschuhte Hand glitt über die Kipphebel und Knöpfe des reichhaltig ausgestatteten Armaturenbretts und entschied sich für einen neutral aussehenden Hebel.
Bruchteile von Sekunden später schoß unter dem Heck von Parkers Wagen eine fettige Rußwolke hervor, die die Straße augenblicklich in finstere Nacht verwandelte. Zusätzlich sorgte der Butler dafür, daß sich eine kleine Öllache auf dem Asphalt ausbreitete.
Dann jagte er mit dem Monstrum durch einen niedrigen Graben in einen kleinen Garten und hielt.
Er hatte sich nicht verrechnet.
Die Panzerfaust war trotz der partiellen Sonnenfinsternis abgeschossen worden.
Dort, wo das hochbeinige Monstrum sich eben noch befand, zischte das feuersprühende Ungetüm durch die Luft und landete klatschend an der Steinmauer einer Feldscheune. Diese Mauer flog auseinander und verschwand hinter einem Vorhang aus Rauch und Staub.
Parker verließ bereits seinen Wagen und näherte sich der fetten Rußwolke.
Er brauchte nicht lange zu suchen.
Der Morris stand vor einem ansehnlichen Baum und hatte seine Wagenlänge um gut und gern zwanzig Zentimeter verkürzt. Er rauchte aus allen Fugen und war nicht mehr fahrtüchtig.
Anders erging es kaum den beiden Fahrzeuginsassen.
Der Fahrer lag neben der aufgesprungenen Tür und wußte nicht, was eigentlich geschehen war. Der Beifahrer, der die Panzerfaust abgeschossen hatte, lief humpelnd über eine Wiese und hatte die Absicht, sich in einer Gärtnerei zu verstecken. Weit bis dorthin war es nicht. Hinter einem weißgestrichenen Bretterzaun waren die Dächer der Treibhäuser deutlich zu erkennen.
Der Butler verzichtete nie auf seinen Universal-Regenschirm. Eine raffinierte und besser getarnte Waffe konnte man sich kaum vorstellen. Parker hob den Schirmstock und visierte mit der Spitze dieses Regenschirms den Flüchtenden an. Nachdem er auf den versteckt angebrachten Auslöseknopf gedrückt hatte, zischte ein von komprimierter Kohlensäure angetriebener Blasrohrpfeil dem Fliehenden nach.
Der Blasrohrpfeil war schneller.
Der Humpelnde wurde eingeholt und blieb plötzlich kerzengerade stehen. Dann faßte er ungläubig nach seiner rechten Gesäßhälfte und entdeckte darin zu seinem wahrscheinlich nicht geringen Entsetzen den bewußten Pfeil.
Er traute sich zuerst nicht, ihn aus den Muskeln hervorzuziehen. Schließlich ermannte er sich und tat es doch. Verwundert und ein wenig benommen betrachtete er den buntgefiederten Pfeil, merkte, daß dieser Gegenstand vor seinen Augen verschwamm und klappte dann zusammen, als sei er von einem unsichtbaren Blitz getroffen worden.
Parker wunderte sich darüber keinen Augenblick. Er selbst hatte die Pfeilspitze schließlich mit einem ungemein schnell wirkenden Präparat behandelt. Für einen Tiefschlaf des Getroffenen war damit gesorgt. Vor einer Viertelstunde war an ein Erwachen nicht mehr zu denken.
Parker ging zurück zur Rußwolke, umschritt sie und lüftete höflich seine schwarze Melone in Richtung der Fahrzeuge, die sich etwa zehn Meter vor dem nur langsam auflösenden Nebel stauten. Die Fahrer dieser Wagen hüteten sich, in die Dunkelheit vorzustoßen. Sie rätselten aber über dieses Phänomen, das sie sich nicht zu erklären vermochten.
Butler Parker widmete sich dem immer noch neben dem halb umgekippten Wagen liegenden Fahrer und stellte nach kurzer Prüfung fest, daß er keine ernsthaften Schäden davongetragen hatte. Bis auf ein paar Schrammen und Prellungen war der Mann in Ordnung.
Josuah Parkers Aufmerksamkeit wurde dann allerdings jäh abgelenkt.
Er hörte ein Kreischen von gequältem Metall und wußte sofort, daß irgendwo ein Wagengetriebe malträtiert wurde. Er hatte sich nicht getäuscht.
Agatha Simpson hatte es nicht länger im Fond des hochbeinigen Monstrums ausgehalten. Sie wollte auch etwas tun und hatte sich ans Steuer gesetzt. Sie mühte sich nun ab, den Wagen in Bewegung zu bringen.
Parker hätte sein Haupt am liebsten verhüllt, doch seine erstklassige Erziehung als Butler hinderte ihn daran. Zudem war es auch schon zu spät, um helfend einzugreifen. Lady Simpson hatte sowohl den Motor als auch das Wagengetriebe bezwungen und steuerte in verwegener Fahrt rückwärts auf den Straßengraben zu. Dabei verschätzte sich die unternehmungslustige Dame und rollte bedenkenlos durch ein Zierbeet, wobei sie sämtliche Blumen durcheinanderwirbelte.