Читать книгу Butler Parker 105 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3

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Günter Dönges

Killer für zwei schlanke Beine

Das Wetter war alles andere als angenehm.

Kathy Porter, die attraktive Gesellschafterin Lady Agathas, saß am Steuer ihres Mini-Cooper und war auf der Heimfahrt nach London. Es goß aus Kübeln. Der Regen peitschte gegen die Windschutzscheibe. Die Sicht war scheußlich und ließ kein schnelles Fahren zu.

Kathy hatte das Autoradio eingeschaltet und dachte nicht daran, sich leichtfertig den Hals zu brechen. Von Reading aus hatte sie Josuah Parker verständigt und ihm ihr späteres Ankommen angekündigt. Der But-ler hatte sie beschworen, kein unnötiges Risiko einzugehen, und ihr Hinweise auf die Gefahren des Aqua-planing gegeben.

Davon schien der Fahrer nichts zu wissen, dessen Scheinwerfer plötzlich im Rückspiegel des Mini-Cooper erschienen und sich ungewöhnlich schnell näherten. Der Mann hatte die Lichter voll aufgeblendet und scherte sich den Teufel darum, daß er lästig war.

Kathy Porter minderte unwillkürlich das Tempo ihres kleinen Wagens. Sie war zwar eine ausgezeichnete Fahrerin, wollte aber diesen rücksichtslosen Flegel so schnell wie möglich an sich vorbeilassen. Daß es sich um einen männlichen Chauffeur handeln mußte, stand für Kathy so gut wie fest, denn eine Frau hätte solch ein riskantes Tempo wohl nie gewählt.

Ein Wagen zischte an ihr vorbei …

Kathy erkannte im Lichtkegel der Scheinwerfer die langgestreckte Haube eines Sport-Jaguar, der wie ein Blitz vorbeihuschte, und sah dann die Rücklichter, die sehr schnell klein wurden und hinter einer leichten Wegbiegung verschwanden.

Kathy befand sich nicht auf der Hauptstraße von Bristol nach London. Wegen eines Verkehrsstaus infolge eines Massenunfalls auf der Schnellstraße Nr. 4, von dem sie im Autoradio gehört hatte, war sie nach Ba-singstoke ausgewichen, um über die Autostraße Nr. 30 nach London zu kommen.

Diese Verbindungsstraße zeichnete sich nicht gerade durch eine besondere Breite aus, dafür war sie aber streckenweise geteert, deshalb also noch nicht griffig und eingefahren, was der Fahrer des Jaguar wohl zu spät bemerkte.

Kathy Porter hörte nichts von dem Unfall, dazu trommelte der Regen zu intensiv auf das Wagendach. Sie sah nur plötzlich einen steil in die Luft schießenden Feuerschein und wußte im selben Moment, daß der Ja-guar nicht mehr auf seinen vier Reifen stand.

Helfen, das war das einzige, woran die junge Frau sofort dachte. Kathy steigerte das Tempo, vielleicht kam es auf jede Sekunde an. Sie näherte sich der Straßenbiegung und entdeckte den bereits lichterloh bren-nenden Wagen, der von der Fahrbahn abgekommen war. Der Jaguar lag auf dem Dach und produzierte im-mer neue Feuergarben, die auch von dem strömenden Regen nicht gelöscht wurden.

Hart hielt sie an, griff nach dem Feuerlöscher, drückte die Tür auf und rannte zur Unfallstelle. Kathy trug sportlich lange Hosen und konnte sich frei bewegen. Sie war in Sekunden bis auf die Haut durchnäßt. Sie achtete nicht weiter darauf, daß die leichte Bluse bereits an ihrem Körper klebte, löste den Sicherungsstift des Feuerlöschers und brauchte für ihr Gefühl fast eine kleine Ewigkeit, bis sie endlich den brennenden Wa-gen erreicht hatte.

Kathy sah auf den ersten Blick, daß der Fahrer nicht mehr im Wagen saß.

Er mußte herausgeschleudert worden sein.

Kathy kämpfte sich ah die sengende Hitze heran, um nach einem etwaigen Beifahrer Ausschau zu halten. Erleichtert stellte sie fest, daß der Sitz leer war. Der Jaguar konnte also ausbrennen, hier war nicht mehr viel zu machen. Doch wo war der Fahrer?

Der Feuerschein reichte aus, um die nähere Umgebung des Wagens abzusuchen.

Kathy stolperte über Grasbüschel, versank bis zu den Fußknöcheln in der sumpfigen Wiese und ging in einem weiten Bogen um den Wagen herum, doch den Fahrer entdeckte sie nicht. Schließlich blieb sie nach-denklich am Ufer eines Baches stehen. Als gerade wieder eine Flammengarbe zum Himmel schoß, glaubte sie Schleifspuren an der Böschung zu erkennen.

Hatte der Fahrer des Jaguar sie hinterlassen? Hatte er nach diesem schrecklichen Unfall noch die Kraft gehabt, bis hierher an den Bach zu kommen?

Sie rief laut „Hallo“, ging ein Stück am Ufer entlang, schüttelte ratlos den Kopf und drehte sich wieder zu dem brennenden Wagen um.

Endlich entdeckte sie den Fahrer!

Er lag in einer flachen Mulde, hatte sich halb aufgerichtet und winkte ihr mit der Hand matt und kraftlos zu. Kathy konnte sich zwar nicht erklären, wieso sie den Mann übersehen hatte, doch darauf kam es jetzt überhaupt nicht an. Sie rannte hinüber zu dem Mann und wollte helfen.

Als sie sich zu ihm hinunterbeugte, wurde der Verunglückte allerdings sehr munter.

Seine Hände schossen blitzschnell vor und legten sich um ihren Hals, worauf Kathy Porter unter gewissen Luftschwierigkeiten litt …

*

Butler Parker war leicht verstimmt.

Er stand in der Vorhalle des Stadthauses von Lady Agatha Simpson und musterte sehr distanziert die bei-den Bücherkisten, die vor einer halben Stunde abgeliefert worden waren. Sie gehörten zu einer Massensen-dung, die seine Herrin bestellt hatte.

Agatha Simpson, die Dame des Hauses, steinreich und skurril, hatte sich nämlich entschlossen Schriftstel-lerin zu werden. Das hatte sie ihrem Butler vor einigen Tagen erst am Frühstückstisch offenbart, worauf Parker sicherheitshalber vorerst mal mit keiner Wimper gezuckt hatte. Er kannte die exzentrischen Hobbys seiner Herrin und wußte aus Erfahrung, daß sie selten von langer Dauer waren.

Diesmal schien die Sache allerdings ernst zu werden.

Lady Agatha hatte sich eine elektrische Schreibmaschine kommen lassen, Diktiergeräte und Wagenladun-gen von Manuskriptpapier. Sie war fest entschlossen, Bestseller zu schreiben, und wollte sich auf dem Spe-zialgebiet des Kriminal-Thrillers einen Namen machen. Wie sie ihrem Butler gegenüber geäußert hatte, be-saß sie auf diesem Fachgebiet genug Erfahrung.

Während Mylady seit Tagen die Technik ihrer Kollegen eingehend studierte, hatte Parker die Arbeit. Er mußte nämlich die Kisten auspacken, die Bücher ordnen und unterbringen. Seiner bescheidenen Ansicht nach quoll das altehrwürdige Haus in Shepherd’s Market fast über, und er wußte kaum noch, wo er all die vielen Bände unterbringen sollte. Sie waren bereits über sämtliche Zimmer verteilt, doch Lady Agatha er-wartete von ihrem Butler, daß er selbstverständlich auf Anhieb zu sagen wußte, wo sich welches Buch be-fand.

Die leidenschaftliche Amateurdetektivin hatte sich für Fachliteratur entschieden und sämtliche Standard-werke eingekauft, die auf dem Buchmarkt zu haben waren. Angefangen von der Gerichtsmedizin bis zur Psychologie des Verbrechens stand ihr alles zur Verfügung. Es war Myladys Ehrgeiz, eine gewisse Agatha Christie zu übertreffen. Für die nahe Zukunft hatte Lady Agatha sogar Bühnenwerke angekündigt. Darüber hinaus gedachte sie, die BBC mit Fernseh-Kriminalspielen zu beglücken, und zweifelte nicht eine einzige Sekunde lang an ihrer einmaligen Begabung.

Butler Parker deutete eine höfliche Verbeugung an, als Agatha Simpson in der Vorhalle erschien.

Sie erinnerte an eine Walküre, war groß, majestätisch und 60 Jahre alt, wovon sie aber nicht gern sprach. Nach dem Tod ihres Mannes war sie die Alleinerbin eines sagenhaften Vermögens geworden. Lady Agatha war eine ungewöhnliche Frau. Sie liebte das Abenteuer und witterte hinter alltäglichen Banalitäten stets ei-nen großen Kriminalfall.

Sie war auf ihre Art liebenswert.

Verschwistert und verschwägert mit dem Hochadel des Landes, stand ihr praktisch jede Tür offen. Auf der anderen Seite konnte sie noch derber sein als eine Blumenfrau vor Covent Garden. Wenn sie in Rage geriet und schimpfte, spitzten selbst abgebrühte Taxifahrer die Ohren und lernten freudig dazu. Ihre Unge-niertheit selbst höchstgestellten Personen gegenüber war erfrischend.

In jungen Jahren hatte Lady Agatha sich sportlich betätigt. Auch jetzt spielte sie noch hervorragend, wenn auch sehr regelwidrig. Golf, Tennis und war eine Meisterin im Sportbogenschießen. Beim Tontaubenschie-ßen war ihre Trefferquote bestürzend hoch und gut. Kurz, sie stand mit ihren stämmigen Beinen immer noch fest auf dem Boden.

Als sie in der Vorhalle des Stadthauses erschien, trug sie ein wallendes Gewand, eine Kreuzung zwischen Nachthemd und Morgenmantel. Sie hielt ein dickes Buch in der Hand, schlug es auf und präsentierte dem leicht indignierten Butler einige Tatortfotos aus der Gerichtsmedizin.

„Sehen Sie diese wunderbaren Nahaufnahmen an“, begeisterte sie sich.

„Die Würgemale am Hals des Opfers sind geradezu einmalig.“

„Wie Mylady meinen“, erwiderte Parker mit deutlicher Zurückhaltung.

„Aber das ist noch gar nichts gegen diese herrlichen Fotos“, stellte Lady Agatha fest und blätterte weiter in dem dicken Band. „Interessieren Sie sich für Vergiftungen?“

„Nur bedingt, Mylady“, sagte Parker, „falls sie sich nämlich nicht auf meine bescheidene Wenigkeit be-ziehen.“

„Dann werde ich Ihnen Aufnahmen eines Opfers zeigen, das von seinem Mörder in Stücke zerlegt wur-de.“

„Darf ich mir erlauben, Myladys Aufmerksamkeit auf die Bücherkisten zu lenken?“ Parker war an einem Wechsel des Themas sichtlich interessiert.

„Und?“ Sie sah ihn ein wenig enttäuscht an und klappte den dicken Fachband zu.

„Ich sehe mich außerstande, noch weitere Bücher im Haus unterzubringen, Mylady.“

„Aber wir haben doch Platz genug“, stellte Agatha Simpson erstaunt fest und deutete ins Treppenhaus. „Lassen Sie Bücherregale anbringen, Mr. Parker. Bücher sind die schönste Tapete, die ich mir vorstellen kann.“

„Sehr wohl, Mylady.“

„Ich werde in den nächsten Tagen mit meinem ersten Romankapitel beginnen, Mr. Parker.“

„Das war zu erwarten, Mylady.“

„Sorgen Sie dann dafür, daß ich auf keinen Fall gestört werde! Ich brauche absolute Ruhe und Konzentra-tion.“

„Darf ich mir eine Frage erlauben, Mylady?“

„Natürlich, Mr. Parker. Ich ahne schon, worauf Sie hinauswollen.“

„Mylady?“ Parker fühlte sich mißverstanden.

„Ihr Wunsch sei Ihnen gewährt“, versprach Agatha Simpson großzügig, obwohl Parker nun wirklich kei-nen Wunsch geäußert hatte. „Sie dürfe die ersten Seiten selbstverständlich anlesen.“

„Eine hohe Auszeichnung, Mylady!“

„Habe ich Ihnen schon gesagt, worüber ich meinen ersten Thriller schreiben werde?“

„Mylady waren in dieser Hinsicht sehr verschwiegen.“

„Ein Spionagethema“, redete Agatha Simpson weiter und wanderte in der Vorhalle auf und ab. „Der Fall wird bis in höchste Regierungskreise hineinspielen.“

„Bemerkenswert, Mylady.“

„Es wird sich aber nicht um einen normalen Spionagefall handeln.“

„Eine äußerst geschickte Variante, Mylady.“ Parker war ein höflicher Gesprächspartner. „Demnach ist mit einem unnormalen Spionagefall zu rechnen, Mylady?“

„Richtig, diese Formulierung trifft es haargenau. Ich muß mir allerdings erst noch überlegen, was ich spe-ziell wählen soll. Vielleicht sollten wir uns mal darüber ausführlich unterhalten, Mr. Parker.“

„Sobald ich die Bücher ausgepackt habe, Mylady.“

„Das hat Zeit.“ Man sah es ihr an der Nasenspitze an, daß sie einen Menschen brauchte, der ihr eine Idee lieferte.

„Sehr wohl, Mylady, dann wäre für Miß Porter noch ein kleiner Imbiß zu richten“, entschuldigte sich Par-ker weiter, „danach stehe ich Mylady sofort zur Verfügung.“

„Ja, wo bleibt eigentlich Kathy?“ wunderte sich Agatha Simpson und sah auf die alte Standuhr in der Vorhalle. „Sie müßte doch längst hier sein. Hoffentlich ist nichts passiert. Die Zeiten sind so unsicher!“

Es war nicht Sorge, die aus ihr sprach, sondern freudige und hoffnungsvolle Erwartung.

Mylady sehnte sich wahrscheinlich wieder mal nach einem Fall!

*

Im ersten Moment war sie keiner Gegenwehr fähig.

Zu überraschend war der Angriff gekommen, zu fest schlossen sich die stahlharten Finger um ihren Hals und schnitten ihr die Luft ab. Doch dann besann Kathy sich auf all das, was sie von einem gewissen Josuah Parker gelernt hatte und was sie von sich aus konnte.

Sie versuchte erst gar nicht, die Klammer um ihren Hals zu lösen. Dabei hätte sie mit Sicherheit zuviel Zeit verloren. Kathy stieß nicht nur mit dem Knie zu, sondern langte auch nach den Ohren des Angreifers und drehte sie wie einen Lichtschalter nachdrücklich zur Seite, was dem Mann überhaupt nicht bekam.

Er brüllte, gab ihren Hals frei und merkte kaum, daß Kathy hochsprang.

Leider war das aber auch alles, was Kathy erreichte.

Als sie die Flucht ergreifen wollte, erhielt sie einen harten Schlag auf den Hinterkopf und verlor augen-blicklich das Bewußtsein. Sie merkte nicht, daß der Mann, der hinter ihr aufgetaucht war, sie auffing, und sah nicht, daß der angeblich Verunglückte blitzschnell aufstand und nach ihren Beinen griff.

Die beiden Männer hatten es es eilig. Der lichterloh brennende Wagen schien sie sehr zu stören.

Sie schleppten die junge, bewußtlose Frau in einem weiten Bogen um das Wrack herum und steuerten ei-nen schmalen Feldweg an, der bis hinunter zum Bach verlief. Hier erreichten sie einen dunklen Kastenlie-ferwagen, der hinter hohen Sträuchern stand.

Während dieser Minuten träumte Kathy Porter einen Traum, der mit der harten Realität überhaupt nichts zu tun hatte. In diesem Traum lag sie auf einer Luftmatratze und ließ sich von den sanften Wellen eines Sees wiegen. Das sanfte Wiegen wurde allerdings plötzlich sehr hart. Kathy erwachte, schaute sich verwirrt um und begriff dann, daß sie sich auf der harten Ladefläche eines Wagens befand, der durch tiefe Schlaglöcher rumpelte.

Die Entführte wußte sofort, was passiert war, richtete sich auf und merkte bei dieser Gelegenheit, daß man sie an Händen und Füßen gefesselt hatte. Isolierband ersetzte die sonst üblichen Stricke und war wesentlich wirkungsvoller.

Kathy Porter ließ sich vorsichtig zurückgleiten und dann weiter durchschütteln.

Warum man sie gekidnappt hatte, war ihr rätselhaft.

Daß Sie es mit zwei Gegnern zu tun hatte, war ihr hingegen klar. Der scheinbar verunglückte Mann mußte noch einen Helfershelfer gehabt haben. Es mußte sich schon um sehr eigenartige Retter handeln, die herun-ter zu dem brennenden Autowrack gekommen waren.

Wie lange Kathy besinnungslos war, ließ sich nicht berechnen. Demnach konnte sie auch noch nicht mal schätzen, seit wann sie sich in diesem scheußlichen Wagen befand. Sie ärgerte sich nur, auf diese heimtücki-sche Art hereingelegt worden zu sein. Handelte es sich um ehemalige Gegner, die ihr während der ganzen Heimfahrt auf der Spur gewesen waren? Oder hing dieser Überfall mit dem brennenden Jaguar zusammen?

Bevor Kathy Porter sich in weiteren Spekulationen ergehen konnte, hielt der Wagen jäh an.

Haltlos rollte die junge Frau herum und landete vor der Längsseite des Wagens. Sie hörte das Öffnen und Zuschlägen der beiden Türen, dann Schritte. Wenig später blinzelte Kathy in das grelle Licht einer Taschen-lampe.

„Schreien ist wohl völlig sinnlos, nicht wahr?“ fragte sie.

„Kluges Kind“, sagte eine Männerstimme. „Wer schreit, kriegt eins aufs Maul!“

Sie zerrten Kathy wenig sanft an den Rand der Ladefläche. Starke Arme lifteten sie an und legten sie über eine breite Männerschulter, dann wurde sie über einen mit Steinplatten ausgelegten Weg in ein Haus getra-gen, von dem sie nur die Umrisse erkannte. Der Regen war noch stärker geworden.

Der zweite Mann schloß hinter ihr die Tür, dann landete Kathy Porter mit viel Schwung und wenig Liebe auf einem Sofa, dessen Federn ausgeleiert waren.

Neugierig sah sie die beiden Männer an, die Licht gemacht hatten.

Einer von ihnen – der sie getragen hatte – war groß und breitschultrig. Er wirkte ein wenig beschränkt. Der zweite Mann hingegen behagte Kathy überhaupt nicht. Er war mittelgroß, schlank und litt noch eindeu-tig unter dem Kniestoß, den sie ihm versetzt hatte. Seine Augen rissen ihr die Kleider vom Leib, waren in ununterbrochener Bewegung und gehörten einem Menschen, der mit Sicherheit ein Sadist war.

*

„Ihre Ruhe möchte ich haben, Mr. Parker.“

Lady Agathas Stimme grollte verärgert. Sie hatte sich hinter ihrem Butler aufgebaut und räusperte sich nachdrücklich.

„Mylady?“ Parker wandte sich höflich um und wußte, was ihm blühte. Agatha Simpson hatte sich in der Zwischenzeit umgekleidet und machte einen äußerst unternehmungslustigen Eindruck. Sie trug ein derbes Tweed-Kostüm, flache Wanderschuhe und einen Hut, der an den Südwester eines Segelschiffkapitäns erin-nerte. An ihrem linken Handgelenk baumelte der Pompadour, diesmal allerdings handelte es sich um eine wettersichere Ausführung. Der Pompadour war ein Lederbeutel, der neben Myladys „Glücksbringer“ noch einige andere nützliche Utensilien enthielt.

„Worauf warten Sie noch?“ grollte die Detektivin.

„Mylady haben bestimmte Pläne?“

„Wir werden nach Kathy suchen“, ordnete die walkürenhafte Dame energisch an. „Ich erwarte, daß wir in weniger als drei Minuten losfahren können.“

„Wie Mylady wünschen.“ Widerspruch war sinnlos, das wußte der Butler seit geraumer Zeit. Wenn Lady Agatha sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war sie auch nicht mehr von einem Kampfpanzer zu bremsen. Parker griff nach seinem schwarzen, knielangen Covercoat, der im Vorflur an der Garderobe hing, setzte die schwarze Melone auf und versorgte sich mit seinem altväterlich gebundenen Universal-Regenschirm. Nach insgesamt zwei Minuten saß er am Steuer seines hochbeinigen Monstrums, während Mylady im Fond des ehemaligen Londoner Taxis Platz genommen hatte. Sie machte einen äußerst zufriedenen Eindruck, denn endlich gab es für sie etwas zu tun. Vielleicht war sie aber auch nur erleichtert, daß sie nicht mehr vor der Schreibmaschine zu sitzen brauchte.

Die Fahrt durch das dunkle, regenüberflutete London war erstaunlich problemlos, der Verkehr geradezu harmlos. Schon nach einer halben Stunde hatten sie die Ausfallstraße Nr. 30 erreicht.

„Wollen Sie an einem Wettrennen für Schnecken teilnehmen, Mr. Parker“, erkundigte Lady Agatha sich vorwurfsvoll, „oder soll ich das Steuer übernehmen?“

Josuah Parker bekam fast so etwas wie einen elektrischen Schlag, als Mylady diese Ankündigung vom Stapel ließ. Er kannte die einmalige Fahrkunst der unternehmungslustigen Dame. Dennoch war er der An-sicht, auf die schlechte Sicht der Straßenverhältnisse hinweisen zu müssen. Er machte auf die Gefahren des Aquaplaning aufmerksam und deutete an, man könne unter Umständen von der Straße fliegen.

„Ich denke, Sie haben Ihr Pilotenexamen“, war Myladys grollende Antwort. „Verschonen Sie mich mit diesen unwesentlichen Kleinigkeiten, ich bitte mir etwas mehr Tempo aus, Mr. Parker!“

Bruchteile von Sekunden später wurde Lady Agatha sehr nachdrücklich in ihren Sitz zurückgeworfen, denn Parker hatte wunschgemäß Gas gegeben.

*

Pete Malbert war ein Stromer, Trinker und Schnorrer.

Der Mann, etwa 50 Jahre alt und klein, hatte ein gedunsenes Gesicht und eine rote Schnapsnase. Pete schlug sich mehr schlecht als recht durchs Leben, machte lange Finger, wo die Gelegenheit sich bot, hatte schon ein paar Jahre gesessen und war im Grunde harmlos.

In diesen Minuten fühlte er sich prächtig.

Er hatte sich eigentlich schon seit langem gewünscht, wieder mal am Steuer eines Wagens sitzen zu kön-nen. Der letzte Versuch war böse für ihn ausgegangen und hatte ihn ein halbes Jahr Gefängnis gekostet, doch das lag inzwischen schön gut ein Jahr zurück.

Er war bis auf die Haut durchnäßt und dampfte aus allen Poren. Er hatte die Wagenheizung des Mini-Cooper voll aufgedreht, das Radio eingeschaltet und fuhr in Richtung London. Den Mini-Cooper hatte er sich „entliehen“, wie er es ausgedrückt hätte. In der Handtasche, die auf dem Beifahrersitz lag, hatte er 20 Pfund entdeckt und sofort eingesteckt, ganz zu schweigen von den Münzen. Er verfügte über ein Vermö-gen und war bereit, es in London so schnell wie möglich durchzubringen. Er gierte nach Bier und Whisky.

Pete Malbert hatte den Unfall bis ins letzte Detail genau mitbekommen, doch schon halb wieder verges-sen. Daran war eine Flasche Wermut schuld, deren Inhalt durch seine Adern kreiste. Diese Flasche hatte er unter dem Bogen einer schmalen Bachbrücke geleert.

Die 20 Pfund waren wichtiger als der ganze Unfall.

Pete fingerte nach den Scheinen in seiner linken Rocktasche und steuerte den Mini-Cooper über die leere, kurvenreiche Straße. Er gratulierte sich zu seinem Glück, diesen Wagen oben auf der Straße entdeckt zu haben. Die langen Meilen bis nach London waren für ihn keine Strecke mehr. Er hatte sich vorgenommen, den Wagen gleich an der Peripherie der Stadt sehenzulassen. Ärger mit der Polizei wollte er nicht haben. Er kannte sich da aus.

Sein Fahrstil war nicht besonders gut.

Der Wermut hatte die Schärfe seines Blicks leicht gestört, der Alkohol beflügelte ihn, in sanften Schlan-genlinien zu fahren. Dennoch war Pete heiter und vergnügt, bis plötzlich aus einer Kurve die grellen Licht-finger voll aufgedrehter Scheinwerfer hervorstachen.

Pete Malbert reagierte prompt falsch.

Er kurbelte am Steuerrad, als müsse er einen schweren Raddampfer bewegen, kam von der Straße ab und schlitterte auf eine weite Wiese, nicht ohne vorher noch einen soliden Weidezaun in Stücke zu fahren.

Nach dieser Anstrengung legte Pete Malbert sich mit seinem Oberkörper über das Steuerrad und schlief ein. Er hatte sich nichts getan, doch er war plötzlich sehr müde.

*

„Wo steckt Burt Lister?“ fragte der Mann mit dem beiläufigen Ton eines Partyteilnehmers. Seine kleinen, flinken Augen glitten über Kathy, die verständnislos den Kopf schüttelte.

„Ich kenne keinen Lister“, erwiderte sie wahrheitsgemäß. „Sie müssen mich verwechseln. Ich bin doch nur runter zum Wagen gelaufen, um der Insassen zu helfen.“

„Haben wir uns da nicht ’ne prima Märchentante eingefangen?“ Der Mittelgroße mit den wieselflinken Augen wandte sich an seinen breitschultrigen Partner und lächelte dünn. Dann widmete er sich wieder Ka-thy, kam näher und beugte sich über sie. „Wohin wollte Lister, Süße? Wenn du scharf drauf bist, kitzel’ ich das auch aus dir raus. Es soll mir ein Vergnügen sein.“

Zur Unterstreichung seiner Worte holte er ein Rasiermesser aus der Ziertuchtasche seines Jacketts und klappte es auf. Er prüfte die Schneide sorgfältig mit seinem Fingernagel.

Während dieser Prozedur verzog der Breitschultrige sein Gesicht. Er machte einen durchaus angewiderten Eindruck und schien mit den Methoden seines Partners überhaupt nicht einverstanden zu sein.

Kathy überlegte blitzschnell.

Sie wirkte nach außen hin zwar wie ein scheues Reh, war in Wirklichkeit aber eine junge Frau, die sich ihrer Haut zu wehren wußte. Sie hatte in der Vergangenheit schon manches Abenteuer durchgestanden und wußte, wie man sich in einem solchen Fall verhalten mußte.

Die beiden Entführer verwechselten sie offensichtlich.

Es war sinnlos, ihnen das Gegenteil einreden zu wollen, sie hätten ihr doch kein Wort geglaubt Also muß-te sich Kathy Porter einiges einfallen lassen.

„Wir … wir wollten nach Staines“, schwindelte sie munter drauflos und wich ängstlich vor dem Rasier-messer zurück. „Burt wollte mir sein neues Cottage zeigen.“

„Ach nee!“ Der Schlanke war ehrlich überrascht.

„Und wo genau?“ warf der Breitschultrige ein.

„Das weiß ich nicht es sollte ja eine Überraschung werden“, redete Kathy unbekümmert weiter, wobei sie selbstverständlich nervös und ängstlich tat.

„Staines“, sagte der Schlanke und dachte nach. „Überleg, Süße, ob er nicht ’ne Andeutung gemacht hat!“

„Ich weiß nicht“ Kathy gab sich hilflos und verzweifelt „Doch, jetzt fällt mir etwas ein.“

„Dein Glück“, drohte der Schlanke sofort.

„Laß sie doch ausreden“, fuhr der Breitschultrige seinem Partner in die Parade. Er beugte sich erwar-tungsvoll vor.

„Das Haus muß an einem Bach liegen. Er hat etwas von einem Mühlrad gesagt das sich für uns drehen wird.“

„Wie romantisch.“ Der schlanke Bursche grinste ironisch. „Seit wann kennst du Lister?“

„Seit ein paar Wochen“, stammelte Kathy hastig. „Wir lernten uns in einem Lokal kennen und sahen uns dann öfter.“

Sie hatte keine Ahnung, wer dieser gesuchte Burt Lister war, und wußte nur, daß es sich um den Fahrer des Jaguar handeln mußte. Jedes weitere Wort, das sie sagte, mußte genau überlegt werden. Die beiden Männer durften keinen Verdacht schöpfen.

Sie redeten leise miteinander, wobei sie hin und wieder schnell zu ihr herüberschauten.

„Was hat er beim Unfall abbekommen?“ fragte der Schmale, sich ihr wieder zuwendend.

„Ich weiß es wirklich nicht“, gab Kathy zurück und hob hilflos die Schultern. „Als ich wieder zu mir kam, war er bereits weg.“

„Und was dann?“ Der Breitschultrige mischte sich ein.

„Ich suchte nach ihm. Auf der Wiese und dann am Bach, aber ich konnte ihn nicht mehr finden.“

Kathy Porter fragte sich, warum sie nicht auf ihren Mini-Cooper zu sprechen kamen. Sie mußten ihn doch oben am Straßenrand gesehen haben. Allerdings ahnte sie nicht, daß ein gewisser Pete Malbert mit ihm los-geprescht war, bevor man sie im Kastenlieferwagen weggeschafft hatte.

Die beiden Kidnapper sprachen wieder leise miteinander.

Kathy Porter hatte endlich Zeit, sich in dem Wohnraum umzusehen. Es mußte sich um ein kleines Ferien-haus handeln, in das man sie geschafft hatte. Ob es den beiden Männern gehörte oder ob sie es gemietet hat-ten, darauf wußte sie keine Antwort.

„Mein Partner wird nach Staines fahren“, sagte der Breitschultrige schließlich, „Das Cottage wird sich ja finden lassen. Gnade dir Gott, Puppe, wenn du uns belogen hast, dann kannst du dich auf was gefaßt ma-chen!“

Ein paar Minuten später war Kathy mit dem massiven Mann allein.

Er hatte sich auf die Kante eines schmalen Wandtisches gesetzt, ließ die Beine herunterbaumeln und sah sie intensiv und eindringlich an.

„Um was geht es eigentlich?“ fragte Kathy gespielt naiv und schüttelte ratlos den Kopf. „Was hat Burt denn angestellt?“

„Was du nicht weißt, macht dich nicht heiß“, lautete seine Spruchweisheit „Das Schwein will uns reinle-gen.“

„Sie waren die ganze Zeit von Bristol aus hinter uns her?“ wunderte sie sich. Kathy brauchte Informatio-nen. Sie ahnte, welche Fragen Butler Parker und Lady Simpson später stellen würden. Falls es ihr gelang, noch mal mit heiler Haut davonzukommen.

„Hinter ’nem Jaguar? Und mit Lister am Steuer?“ Der Breitschultrige lachte leise und schüttelte den Kopf. „Wir haben unterwegs auf ihn gewartet.“

„Ist … Burt ein Verbrecher?“ fragte sie zögernd und schlug gekonnt die Augen nieder.

„Laß die Fragerei, Kleine“, meinte der Breitschultrige. „Besser, du hättest diesen gerissenen Hund nie kennengelernt. Jetzt sitzt du in der Tinte.“

„Aber ich kenne ihn doch kaum.“ Kathy schluchzte überzeugend.

„Dafür kennst du jetzt uns“, antwortete er und sah etwas verlegen zur Seite. In diesem Moment wußte Ka-thy Porter, daß man sie umbringen würde. Sie war da in eine Sache hineingeraten, die tödlich endete, falls ihr nicht etwas einfiel.

*

Pete Malbert schnarchte hemmungslos und war auch durch derbes Rütteln an der Schulter nicht zu we-cken. Parker wandte sich ein wenig hilflos zu Lady Simpson um, die seitlich hinter ihm stand.

„Wenden Sie endlich den dritten Grad an, Mr. Parker“, herrschte die kriegerische Dame ihren Butler an. „Wieviel Zeit wollen wir denn noch verlieren? Lassen Sie mich mal!“

Sie drängte den Butler zur Seite, schwang ihren Pompadour und ließ den Handbeutel aus Leder gegen Pe-tes Seite pendeln. Der „Glücksbringer“ darin tat voll seine Wirkung. Pete schnaufte auf und stöhnte prompt. Er hatte den Eindruck, von einem Pferdehuf geküßt worden zu sein. Was im übertragenen Sinn sogar durch-aus stimmte, denn Myladys „Glücksbringer“ war ein veritables Hufeisen, das Rippenbögen leicht zum Klin-gen und Singen brachte.

Aus verglasten Augen starrte Pete auf Lady Simpson.

„Hallo, Wachtmeister“, sagte er dann und nahm Haltung an. Er hielt die Dame für einen Vertreter des Ge-setzes, wozu Myladys Südwester vielleicht ein wenig mitwirkte.

„Lassen Sie das, Sie Lümmel!“ Agathas Stimme dröhnte wie eine schlecht gestimmte Glocke. „Wie sind Sie an den Wagen gekommen?“

Pete Malbert bemerkte seinen Irrtum und wollte frech werden, zumal er den Butler nicht sah, der von La-dy Agathas Rücken verdeckt wurde. Was verständlich war, denn Myladys Figur war imposant und erinnerte an die einer Wagner-Sängerin alten Stils.

„Hallo, Mädchen“, sagte er und stieg aus. Das heißt, er fiel förmlich aus dem Wagen, hielt sich an Mylady fest und merkte Bruchteile von Sekunden später, daß er das besser nicht getan hätte. Sie trat ihm sehr nach-drücklich gegen das linke Schienbein, worauf Pete erbärmlich schluchzte.

„Wo haben Sie den Wagen her?“ herrschte Lady Agatha den Stromer erneut an. „Antworten Sie, oder ich werde Sie verprügeln!“

Er glaubte ihr aufs Wort und stotterte seine Geschichte herunter, wobei er allerdings einige Kleinigkeiten verschwieg, wie sich später noch herausstellte.

„Und jetzt will ich Ihren Namen hören, Sie Flegel!“

„Harry Pool“, schwindelte er geistesgegenwärtig. „Ehrenwort, Lady, ich wollt’ den Schlitten nur zur nächsten Polizeistation bringen.“

Parker durchsuchte inzwischen Kathy Porters Handtasche und wurde wie Lady Simpson von der plötzli-chen Flucht des Stromers überrascht, der sich ein Herz gefaßt hatte und losrannte.

„Halten wir uns nicht auf“, knurrte Lady Simpson, als Parker die Verfolgung aufnehmen wollte. „Lesen wir Miß Porter auf. Das arme Ding wird hilflos über die Straße irren.“

Parker hatte ein ungutes Gefühl, den Stromer ziehen zu lassen. Er hätte sich gern noch etwas intensiver mit ihm unterhalten, doch Lady Agathas Wunsch war ihm selbstverständlich Befehl. Er geleitete die ältere Dame zurück zum Wagen und öffnete den hinteren Schlag. Er nahm am Steuer Platz, setzte dann die Fahrt fort, hatte die Scheinwerder voll aufgedreht und suchte nach einer Gestalt, die einen Wagen zu stoppen ver-suchte.

Unterwegs begegnete ihnen ein dunkler Kastenlieferwagen, in dem aber nur ein Fahrer zu erkennen war, bevor Parker abblenden mußte. Sie passierten eine Reihe kleiner Steinhäuser, die offensichtlich zu einer Feriensiedlung gehörten, und erreichten dann schließlich die Unfallstelle, von der der Stromer berichtet hat-te.

Eine lange Reihe parkender Wagen stand am Straßenrand, darunter auch zwei Polizeifahrzeuge.

Der Jaguar, von dem der Stromer berichtet hatte, war ausgebrannt. Die Unfallstelle wurde von zwei klei-nen Standscheinwerfern der Polizei angestrahlt. Neugierige Menschen drängen sich auf der Wiese.

Parker stieg aus, öffnete seinen Regenschirm und begab sich hinunter zur Unfallstelle.

„Nun?“ fragte Agatha Simpson, als Parker nach wenigen Minuten zurückkehrte.

„Ich muß bedauern, Mylady“, antwortete der Butler. „Miß Porter war leider nicht anzutreffen. Sie scheint sich inzwischen schon eine andere Fahrgelegenheit verschafft zu haben.“

„Zurück nach London“ entschied die Detektivin. „Sehr enttäuschend, diese Ausfahrt, Mr. Parker, sehr ent-täuschend! Ich hatte mir mehr davon versprochen.“

„Möglicherweise wartet Miß Porter bereits in der Stadtwohnung auf Myladys Rückkehr.“

„Rufen Sie von irgendwo an, Mr. Parker!“ Agatha Simpson war nicht mehr ganz bei der Sache. Ihre stille Erwartung, ein Abenteuer zu erleben, hatte sich nicht erfüllt. Sie war ein wenig ärgerlich.

Parker wendete den Wagen und fuhr zurück in Richtung London. Er erinnerte sich der Feriensiedlung und wollte von dort aus die Stadtwohnung anrufen.

Er konnte nicht wissen, daß Mylady dadurch doch noch zu ihrem Abenteuer kommen würde …

*

Er hatte das Isolierband an ihren Fußgelenken durchgeschnitten und brachte sie zur Tür des Badezimmers. Bei dieser Gelegenheit zeigte sich, daß er sich in dem kleinen Ferienhaus nicht auskannte. Er hatte nach die-sem Baderaum erst suchen müssen.

Kathy nahm an, daß die beiden Kidnapper gewaltsam in dieses leerstehende Haus eingedrungen waren. Daher hatten sie auch wohl darauf verzichtet, die Deckenbeleuchtung einzuschalten. Im Wohnraum brannte nur eine kleine Lampe, die auf einem fast leeren Bücherbord stand.

„Mach bloß keinen Ärger“, sagte der Breitschultrige. Er öffnete die Tür, sah sich prüfend in dem kleinen Baderaum um und schob sie dann durch die Tür. Er war beruhigt, das kleine quadratische Fenster war kaum groß genug, selbst für einen schlanken Körper als Durchschlupf. Zudem war es sehr hoch angebracht.

Kathy atmete auf, als sie allein war.

Jetzt hatte sie eine echte Chance, den Kidnappern doch noch zu entwischen.

Die Zeit reichte natürlich nicht, das stramm sitzende Isolierband auch von den Handgelenken zu entfer-nen.

Kathy stieg geschmeidig hinauf auf den Toilettensitz und sperrte das kleine quadratische Fenster auf. Wenn man die Tür öffnete, mußte man es sofort sehen.

Dann baute sie sich hinter der Tür auf und wartete ab. Sie hielt in beiden Händen den Griff einer langstie-ligen Rückenbürste, eine improvisierte Waffe, die erst mal Verwirrung stiften sollte.

„Na, was is’?“ Der Breitschultrige vor der Tür wurde bereits unruhig und klopfte.

Kathy Porter antwortete nicht, hob die Rückenbürste aber bereits an.

„Was is’ denn? Ich komm’ jetzt rein!“ Der Kerl wurde ungeduldig, klopfte noch mal an und drückte dann die Tür schwungvoll auf.

„Verdammt!“ sagte er, als er das geöffnete Fenster sah. Er nahm an, daß sein Opfer die Flucht ergriffen hatte, machte einen großen Schritt ins Badezimmer und drehte dabei ganz automatisch Kathy den Rücken zu.

Sie ließ sich nicht lange bitten.

Mit aller Kraft schlug sie zu und traf das linke Ohr des Mannes, der vor Überraschung und Schmerz laut aufheulte. Bevor er sich auf die junge Frau einstellen konnte, benutzte sie ihre gebundenen Hände als weite-re Waffe. Sie verabreichte dem mächtigen Kerl einen gekonnten Karatehieb.

Er blieb wie angewurzelt stehen, sah sie aus glasig werdenden Augen an, wollte noch an seine Schußwaf-fe, die in einer Schulterhalfter steckte, verlor jedoch die Kontrolle über seine Bewegungen und rutschte dann in sich zusammen.

Kathy war eine geschulte Sekretärin.

Sie ergriff nicht gleich die Flucht, sondern zupfte dem Mann erst mal die Schußwaffe aus der Halfter, stieg dann über ihn hinweg, steckte den Türschlüssel um und schloß von außen ab. Dann lief sie in den Wohnraum und blieb in der kleinen Pantry vor einem Küchenbüfett stehen. Sie zog eine Schublade auf, ent-deckte ein Messer und schob es sich in den Mund. Das Messer mit den Zähnen festhaltend, zerschnitt sie dann das stramme Isolierband. Kathy arbeitete konzentriert und ruhig, als lege sie eine Geschicklichkeits-prüfung ab. Nach knapp dreißig Sekunden waren ihre Hände frei.

Kathy massierte sich gerade die schmerzenden Handgelenke, als sie draußen vor dem Haus Schritte hörte.

Der zweite Kidnapper!

Sie lief zur nächsten Tür und drückte sie auf. Der Lichtschein sickerte den Raum hinein, der sich als ein Schlafzimmer entpuppte. Kathy rannte zurück und nahm gleich neben der Haustür hinter einem bis zum Fußboden reichenden Vorhang Deckung.

In einem bestimmten Rhythmus wurde leise gegen die Tür geklopft.

Da die junge Dame darauf selbstverständlich nicht reagierte und auch der Breitschultrige sich außerstande sah, einen Laut von sich zu geben, wurde der nächtliche Besucher sehr ungeduldig. Er trat oder warf sich gegen die Tür, die daraufhin aufsprang.

Es handelte sich um den schlanken Mann mit den kalten, sadistischen Augen.

Er war mißtrauischer als sein großer Partner, hielt bereits einen kurzläufigen 38er in der rechten Hand und rief verhalten den Namen „Jack“. Als keine Antwort kam, entschied er sich für das Schlafzimmer und pirschte sich an die halb geöffnete Tür heran. Dabei wurde er von Schritt zu Schritt immer schneller, wahr-scheinlich war er ärgerlich und glaubte, sein Partner vertreibe sich die Zeit mit gewissen Spielereien.

Diesen Augenblick nutzte Kathy.

Sie huschte geräuschlos hinaus in die nasse Nacht, verließ sofort den mit Steinplatten ausgelegten Weg und schlug sich seitwärts in die Sträucher und Büsche. Sie erreichte ein benachbartes Grundstück, rannte über glitschigen Rasen, erreichte die Straße und sah dann knapp vor sich einen dunklen Kastenlieferwagen, in dem sie wohl transportiert worden war.

Nur zu gern hätte sie sich ans Steuer gesetzt und wäre losgefahren. Doch sie riskierte es nicht. Sie wußte nicht, wo der zweite Kidnapper sich befand. Kathy blieb im Schutz der Büsche und Sträucher stehen, prägte sich aber das beleuchtete Nummernschild genau ein.

Da kamen auch schon die beiden Kidnapper.

Der Breitschultrige litt augenscheinlich unter Konditionsmängeln, denn er ging nur langsam und torkelte wie betrunken. Er mußte von seinem schmaleren Partner nachdrücklich gestützt werden. Nur eine halbe Se-kunde lang spielte Kathy mit dem Gedanken, alles auf eine Karte zu setzen und die beiden Männer anzugrei-fen.

Dann aber dachte sie an den kurzläufigen 38er. Eine tödliche Waffe in der Hand eines Killers!

Sie ließ die beiden Kidnapper ziehen.

Nach wenigen Minuten verschwand der dunkle Kastenlieferwagen hinter dichten Regenschleiern. Kathy Porter atmete auf und wußte, daß sie dem Tod gerade noch einmal entwischt war. Jetzt ging es darum, heil und sicher nach London zurückzukommen Sie durfte diesen beiden Männern nicht noch mal in die Hände fallen.

Als Kathy Scheinwerferlicht auf der Straße entdeckte, verließ sie ihre Deckung, winkte und hoffte auf Mitnahme. Als der Wagen neben ihr hielt, schluckte Kathy vor Überraschung.

„Ich möchte meiner ehrlichen Freude darüber Ausdruck verleihen, Miß Porter, Sie hier zu sehen“, sagte eine ihr mehr als wohlbekannte Stimme.

„Mr. Parker!“ Sie jubelte innerlich auf.

„Wo, zum Henker, treiben Sie sich denn eigentlich herum, Kindchen!?“ dröhnte Myladys Stimme aus dem Wagen, knurrig, aber erleichtert zugleich.

„Hoffentlich bringen Sie eine gute Geschichte mit“, sagte Agatha Simpson, als Kathy neben ihr im Fond von Parkers hochbeinigem Wagen saß, „sonst wäre Ihr Benehmen nämlich unentschuldbar.“

„Ich glaube, Mylady, Sie werden zufrieden sein“, deutete Kathy an.

„Sie begeistern mich, Kindchen. Eine Geschichte für meinen ersten Roman?“

„Sie hätten sie nicht besser erfinden können, Mylady“, gab Kathy zurück, „geheimnisvoll und mörderisch. Ich bin nämlich gekidnappt worden.“

„Ist das nicht wunderbar, Mr. Parker?“ freute sich die angehende Autorin sichtlich. „Kindchen, Sie sind ein Schatz! Kidnapping ist ja auch ein schönes Thema!“

„Sehr wohl, Mylady“, gab Parker gemessen zurück, „allerdings weniger für den, der entführt wurde, wie ich in aller Bescheidenheit feststellen möchte.“

*

Josuah Parker hatte den Tee serviert und sich dann zusammen mit Lady Simpson die abenteuerliche Ge-schichte von Kathy Porter angehört. Agathas Wangen waren vor Aufregung gerötet. Als Kathy geendet hat-te, sah die Lady ihren Butler ein wenig irritiert an.

„Irgendwie enttäuschend“, meinte sie schließlich, „die beiden Kidnapper sind verschwunden. Und wir wissen noch nicht mal, wo wir sie unter Umständen suchen müssen.“

„Wenn Mylady gestatten, möchte ich mir die Freiheit nehmen zu widersprechen“, antwortete der Butler in seiner gewohnten barocken Art. „Es gibt da doch einige Anhaltspunkte, die ich als durchaus erfreulich be-zeichnen möchte.“

„Wir wissen, wie der Fahrer des Jaguar heißt“, zählte Kathy sofort auf.

„Ein gewisser Burt Lister, der offensichtlich in Bristol beheimatet ist“, pflichtete der Butler Myladys Sek-retärin bei und nickte ihr wohlgefällig zu.

„Falls das sein richtiger Name ist“, warf Agatha Simpson ein.

„Doch, Mylady, die beiden Männer hatten keinen Grund, mich zu täuschen“, fuhr Kathy weiter fort. „Im-merhin wollten sie mich später für immer mundtot machen. Das hörte ich deutlich heraus.“

„Dann wissen Sie, Mr. Parker, was Sie zu tun haben. Stellen Sie fest, wer dieser Burt Lister ist!“ Myladys Augen funkelten schon wieder hoffnungsvoll. „Was haben wir sonst noch? Mein erster Krimi kann schließ-lich nicht nur aus einem einzigen Kapitel bestehen.“

„Vielleicht sollten Mylady erst mal eine Kurzgeschichte verfassen“, ließ Parker sich vernehmen.

„Papperlapapp“, herrschte sie ihn sofort an. „Mit solchen Kleinigkeiten gebe ich mich gar nicht erst ab. Kurzgeschichte! Einfach lächerlich! Ich will einen Bestseller schreiben, vergessen Sie das bitte nicht!“

„Besagter Mr. Lister scheint in regelmäßigen Abständen von Bristol nach London gefahren zu sein“, zähl-te der Butler weiter auf. „Wie Miß Porter berichtete, wurde er von den beiden Kidnappern wiederholt dabei beobachtet.“

„So habe ich den breitschultrigen Mann verstanden“, erklärte Kathy und nickte.

„Wenn Mylady erlauben, möchte ich nun auf die Handlungsweise des besagten Mr. Lister kommen“, ließ der Butler sich wieder vernehmen, sehr höflich und zurückhaltend. „Er erlitt einen Unfall, wurde wahr-scheinlich aus dem Wagen geschleudert und suchte in einer Art Schockzustand das, was man gemeinhin das Weite nennt.“

„Oder er war angetrunken und fürchtete sich vor einer Blutprobe“, warf Lady Simpson ein.

„Auch diese Möglichkeit sollte man durchaus in Betracht ziehen, Mylady“, antwortete, der Butler, „es gä-be da aber noch eine dritte Art des Verhaltens.“

„Sie machen es wieder mal sehr spannend, Mr. Parker“, äußerte Lady Simpson leicht ungehalten.

„Besagter Mr. Lister hat etwas zu verbergen.“

„Vor den beiden Strolchen, die Kathy gekidnappt haben?“

„Falls er von der Beobachtung seiner Person wußte, Mylady, würde ich dieser Theorie beipflichten, ich dachte allerdings, wenn Sie erlauben, an eine andere Reaktion. Mr. Lister fürchtet den Kontakt mit der Poli-zei, ohne betrunken gewesen zu sein.“

„Er hat also etwas zu verbergen!“ Lady Simpsons Stimme klang triumphierend. Sie nickte ihrem Butler beifällig zu. „Ich denke da an illegale Dinge. Vielleicht ist er ein Spion.“

„Es gibt der Möglichkeiten mehrere, Mylady.“ Parker wollte auf das Thema Spionage nicht näher einge-hen, er kannte die Phantasie seiner Herrin.

„Es handelt sich um Spionage“, wiederholte Lady Agatha noch mal, diesmal sehr nachdrücklich. „Ich spüre das, Mr. Parker, ich spüre das sehr deutlich. Wunderbar! Das paßt genau zu dem Krimi, den ich schreiben werde.“

„Mylady sollten sich vielleicht nicht zu früh festlegen“, warnte der Butler vorsichtig.

„Papperlapapp“, herrschte sie ihn daraufhin an, „nur ein Spion benimmt sich derart ungewöhnlich. Was sagen Sie dazu, Kindchen?“

„Natürlich, Mylady.“ Kathy nickte ergeben. Widerspruch war ohnehin sinnlos, das wußte sie aus Erfah-rung.

„Wir müssen diesen Mr. Lister finden, bevor er von der Polizei aufgespürt wird“, begeisterte Mylady sich weiter. „Das Kennzeichen des Jaguar ist schnell ermittelt, damit auch der Besitzer des Wagens und dessen Wohnort. Wollen Sie mir etwa widersprechen, Mr. Parker?“

„Das Mylady, würde ich mir nie erlauben.“

„Also dann an die Arbeit“, entschied Agatha Simpson und strahlte. „Der Polizei gegenüber haben wir be-reits einen beträchtlichen Vorsprung, den wir nicht verspielen wollen. Wir kennen den Namen des Jaguar-Fahrers und wissen, daß er aus Bristol kam und dort wahrscheinlich auch wohnt. Dieser Mann muß demnach doch zu finden sein, oder?“

„Mylady haben spezielle Wünsche hinsichtlich meiner Aktivitäten?“

„Bristol ist keine Entfernung“, präzisierte die kriegerische ältere Dame und erhob sich energisch. „Oder sollten Sie darüber anders denken, Mr. Parker?“

„Keineswegs, Mylady.“

„Dann wünsche ich Ihnen eine gute Fahrt“, meinte sie leutselig. „Ich erwarte beste Nachrichten. Wenn Sie zurück sind, werde ich Ihnen bereits die ersten beiden Kapitel meines Thrillers vorlesen. Spionage ist immer ein rasantes Thema.“

*

Josuah Parker war ein eigenwilliger Mensch.

Natürlich dachte er nicht eine Sekunde daran, die nächtliche Fahrt nach Bristol zu unternehmen. Mylady hatte in ihrem Eifer übersehen, daß es Telefone gab. Und private Verbindungen wollte Parker nutzen. Er war zwar mit seinem hochbeinigen Wagen losgefahren, landete aber in der Fleet Street, im Herzen von London. Hier suchte er den Redakteur eines Massenblattes auf, der ihm verpflichtet war. Parker hatte diesem wohlbe-leibten Mann mit dem riesigen Schnauzbart vor Jahresfrist mal aus einer Affäre herausgeholfen.

„Wie war der Name?“ fragte Hubert Falsom. „Burt Lister?“

„Ihr Gedächtnis ist bemerkenswert, Mr. Falsom.“

„Ich werde einen Kollegen in Bristol anrufen“, meinte der Zeitungsschreiber und zog den Telefonapparat zu sich heran. „Kann ich eventuell mit einer Titelstory rechnen, Mr. Parker?“

„Diese Annahme ist nicht von der Hand zu weisen, Mr. Falsom.“

„Moment“, entschuldigte sich der Wohlbeleibte und wählte eine Nummer. Parker sah und hörte, wie schnell und präzise der Redakteur arbeitete. Er sprach mit seinem Kollegen in Bristol, schien auf Anhieb einen Treffer gezogen zu haben, ließ sich Namen und weitere Telefonnummern geben, wählte, sprach, machte sich Notizen, sah zwischendurch immer wieder zu Parker hinüber, war ungeduldig mit seinen jewei-ligen Gesprächspartnern, dann wieder überaus höflich und verbindlich, um schließlich den Hörer zurück in die Gabel zu donnern.

„Mann“, sagte er dann und wischte sich den Schweiß von der Stirn, „Mann, Mr. Parker, wissen Sie eigent-lich, wer dieser Burt Lister ist?“

„Um das zu erfahren, Mr. Falsom, lenkte ich meine Schritte zu Ihnen“, erwiderte Josuah Parker gemessen.

„Burt Lister ist Leiter der Forschungsgruppe ‚Schneegans‘, begreifen Sie?“

„Nicht ein Wort, wie ich zu meiner Schande gestehen muß.“

„Es geht da um ein Zukunftsprojekt für die Air Force“, erläuterte Falsom. „Diese Forschungsgruppe bas-telt an einem neuen Jagdbomber für den Überschallbereich.“

Butler Parker 105 – Kriminalroman

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