Читать книгу Butler Parker 123 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3

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Normalerweise hätte Josuah Parker selbstverständlich den Privatweg respektiert, denn fremdes Eigentum war ihm stets heilig. In diesem Fall jedoch nahm er sich die Freiheit, das sperrende Holzgitter zu öffnen, zumal es ohnehin nur nachlässig geschlossen war. Er befand sich auf der Fahrt zum Country-Club von Saffron Waiden, um dort Lady Agatha Simpson abzuholen. Parker hatte sich verspätet und wollte diese Zeit unbedingt wieder einholen.

Es dunkelte bereits, doch er brauchte die Scheinwerfer seines hochbeinigen Monstrums noch nicht einzuschalten. Das hatte seiner Schätzung nach noch etwa eine halbe Stunde Zeit. Er schloß das Gatter hinter sich, stieg in seinen Wagen, der mal ein echtes Londoner Taxi war, und fuhr behutsam über den ausgefahrenen Feldweg.

Links und rechts des schmalen Weges waren Wiesen, auf denen Kühe grasten. Das sanfte Hügelland nördlich von London tat seinen Augen ausgesprochen wohl. Er genoß die Stille und den Frieden und hielt es nach wie vor für eine gute Idee, ein paar Tage hier zu verbringen. Doch plötzlich kamen ihm Bedenken...

Parker drosselte das Tempo seines Wagens. Der schmale Weg senkte sich und ging in eine Art Hohlweg über, dessen Ränder mit dichtem Strauchwerk bewachsen waren. Der Butler steuerte auf eine sanfte Kurve zu und erreichte ein kleines Tal, das von einem Bahndamm durchquert wurde. Aber noch in dieser Kurve hielt Parker sein Fahrzeug an und sah zu der Unterführung hinüber.

Er hätte auf diesen Weg wohl besser verzichtet. Vor dem Bahndamm und der Unterführung standen zwei mittelgroße Kastenlieferwagen, die eindeutig zur Armee gehörten. Der Butler ahnte, daß er in ein regionales Manöver geraten war und störte. Er hielt Ausschau nach Soldaten, doch sie hatten sich ausgezeichnet getarnt. Möglicherweise beschäftigten sie sich auch mit dem vor einem Signal haltenden Zug, den er bisher nicht hatte sehen können.

Einige Soldaten in Tarnanzügen standen vor einem Wagen gleich hinter der Lokomotive und schienen etwas zu verladen. Sie besorgten das mit Tempo und Präzision. Jeder Handgriff saß, wie Parker selbst aus dieser Entfernung feststellen konnte.

Er ließ sein hochbeiniges Monstrum wieder anrollen, zumal an ein Wenden im Hohlweg nicht zu denken war. Parker fuhr langsam bis zur Unterführung. Neben einem der beiden Kastenwagen erschien ein Uniformierter, der ihn energisch heranwinkte. Butler Parker fuhr etwas schneller und hielt dann wenige Minuten später.

Der Soldat entpuppte sich als Colonel. Er trug eine Maschinenpistole, sein Gesicht war geschwärzt. Das Auftreten des Mannes war autoritär, was den Butler insgeheim ärgerte. Seiner Ansicht nach wurden die Angehörigen der Armee schließlich auch von seinem Steuergeld bezahlt. Höflichkeit mußte für die Truppe eine Selbstverständlichkeit sein.

Er stieg aus und schritt gemessen auf den Colonel zu. Dazu lüftete Parker seine schwarze Melone. Er sah zum Bahndamm hinauf und spürte plötzlich, daß hier einiges nicht stimmte. Wieso lud man Postsäcke aus? Und warum spürte der Butler plötzlich einen äußerst harten Gegenstand, der ihm gegen das Rückgrat gepreßt wurde?

»Ich verhafte Sie im Namen der Armee«, näselte der Colonel und nickte unmerklich. Er schaute an Parker vorbei und schien die Person zu meinen, die eindeutig hinter dem Butler stand.

Josuah Parker reagierte augenblicklich. Es zeigte sich, daß er schnell und geschmeidig sein konnte, wenn es sein mußte. Parker warf sich instinktiv zur Seite und spürte einen scharfen Luftzug, der seine linke Gesichtshälfte traf.

Dicht an seiner Schulter vorbei schmetterte der Kolben einer Maschinenpistole durch die Luft. Josuah Parker sah sich im Umwenden einer Frau gegenüber, deren Aussehen ihn staunen ließ.

Sie war groß, schlank und trug ein schwarzes Trikot, das an einigen Stellen über der Brust und an den Hüften eingerissen war. Auch ihr Gesicht war nicht zu erkennen. Es verbarg sich hinter einer Wollmütze, die zu einer Art Gesichtsmaske heruntergezogen war. Butler Parker kam zu dem Schluß, daß hier einige Dinge und Verhaltensweisen auf keinen Fall regulär waren. Er besann sich auf seinen Universal-Regenschirm und griff an.

*

Agatha Simpson saß auf einem großrahmigen und knochigen Wallach, der nicht im Traum daran dachte, sich durch das Gelände jagen zu lassen. Das Pferd hatte sich einem Steinwall genähert, der als eine Art Weidenzaun fungierte, doch der Wallach sträubte sich, das Hindernis zu nehmen.

Er spürte seit geraumer Zeit, welche Last sich da im Sattel breitgemacht hatte. Lady Agatha war eine immerhin stattliche Dame, die seit einigen Jahren beschlossen hatte, sechzig zu bleiben. Sie war groß, hatte eine majestätische Figur und daher auch ein gewisses Gewicht. Der Wallach schnaubte also widerwillig, als die Lady ihn energisch antrieb.

Das Pferd war ein erfahrener Vierbeiner. Er wich nach rechts aus und hielt auf ein Gatter zu, das halb geöffnet war. Warum sollte er springen, wenn das Hindernis sich auf wesentlich einfachere Art und Weise nehmen ließ?

Lady Agatha aber war eigenwillig und sportbewußt. Sie nahm an dieser typisch englischen Fuchsjagd nicht aus Langeweile teil. Sie wollte sich sportlich stählen und kontrollieren, wie es mit ihrer Fitness aussah. Sie bog den Wallach um ihren Schenkel herum und trieb ihn erneut auf den Steinwall zu. Dazu stieß die ältere Dame anfeuernde Rufe aus, die bei dem Pferd aber keinen Eindruck machten.

»Verdammtes Biest«, fluchte Lady Agatha unfein und drastisch, als der Vierbeiner erneut zur Seite ausbrach. Die Stimme war eine überraschende Mischung aus Baß und Bariton. Agatha Simpsons schlechte Laune steigerte sich noch. Sie hatte den Anschluß an ihre Gastgeber längst verloren. Der Schleppfuchs und die Reiter mußten sich längst drüben im langgestreckten Quertal befinden. Von dorther war nämlich das wilde Bellen der Jagdhunde zu hören.

Lady Agatha nahm ihre Reitgerte hoch und hatte die feste Absicht, dem Wallach einen Hieb zu versetzen. In diesem Moment aber nahm der Vierbeiner den Kopf herum und schielte seine Reiterin warnend an. Deutlicher und drohender hätte kein Blick ausfallen können.

»Schon gut«, reagierte die ältere Dame einsichtig. »Nun mach’ aber endlich!«

Der Wallach nickte und trabte dann erneut zum Gatter hinüber. Zur Belohnung behielt er anschließend den Trab bei und beförderte Agatha Simpson hinunter ins Tal. Es war ein äußerst kurzer Trab, bei dem der Wallach zusätzlich den Rücken hochdrückte. Die Lady wurde gehörig durchgeschüttelt und nahm sich vor, in Zukunft auf Pferde zu verzichten. Die Technik lag ihr doch wesentlich mehr. Sie freute sich bereits jetzt auf ihren vor dem Country-Club parkenden Wagen. Ein Auto brauchte schließlich nicht überredet zu werden.

Als sie samt Pferd um ein kleines Gehölz kam, entdeckte sie weit vor sich einen Mann, der ihr aufgeregt winkte. Lady Agatha winkte erst mal zurück, da sie diese Gesten mißverstand und nur an einen freundlichen Gruß glaubte. Dann allerdings hörte sie so etwas wie einen Hilferuf.

Sofort richtete sie sich auf. Neue Energien durchströmten ihren Körper. Jetzt hatte der Wallach keine Chance mehr. Sie heizte ihm gründlich ein, ließ ihn die Sporen kosten, auf die sie bisher verzichtet hatte, und preschte zu dem hilferufenden Mann, der in sich zusammengerutscht zu sein schien und nun auf dem Rasen hockte.

Der Wallach merkte, daß er jetzt doch besser parieren sollte. Er schwang sich, wenn auch widerwillig, zu einem Galopp auf und trug seine majestätische Reiterin zu dem Mann hinüber. Ächzend stieg die ältere Dame aus dem Sattel, den sie die ganze Zeit über schon verachtet hatte. Auf strammen Beinen näherte sie sich dem Mann, der die Uniform der Königlichen Eisenbahn trug.

»Haben Sie Ihren Zug verpaßt, junger Mann?« erkundigte sich die resolute Sechzigerin und beugte sich zu dem etwa zehn Jahre jüngeren Eisenbahner hinunter.

Einen Augenblick später merkte die Lady, daß ihr kleiner Scherz nicht angebracht war. Der Mann war verletzt und stand dicht vor einer Ohnmacht. Die Uniformjacke über seiner linken Brust war blutgetränkt.

»Überfall«, keuchte der Verwundete. »Der Zug ist überfallen worden.«

*

Butler Parker wußte mit seinem Regenschirm gut umzugehen. In seinen Händen war er eine Art Universalwaffe, die er rationell einsetzte. Mit dem bleigefütterten Bambusgriff hakte er sich bei der Maschinenpistole der jungen Frau ein und schleuderte die Waffe dann in einem weiten Bogen ins Gelände. Dabei drehte Josuah Parker sich allerdings auch noch halb zur Seite um und nutzte den Schwung des Regenschirms, um den Colonel leicht zu lädieren.

Der Mann mit dem angeschwärzten Gesicht verbeugte sich tief vor dem Butler und fiel dann auf die Knie. Er verlor seine Maschinenpistole, suchte aber nicht weiter nach ihr. Von einem plötzlichen Schlafbedürfnis erfaßt, legte er sich ins Gras und schloß die Augen.

Die junge Frau im schwarzen Trikot hingegen wurde sehr aktiv. Sie hatte mit Sicherheit einige Trainingsstunden in Karate absolviert. Sie brannte darauf, ihre Griffe und Schläge an den Mann zu bringen.

Parker wollte nicht länger stören. Zudem hatte er mitbekommen, daß vom Bahndamm her zwei Männer herbeieilten. Sie kamen ganz sicher nicht, um hier schlichtend einzugreifen.

Als die junge Karatekämpferin ihre linke Hand vorschnellen ließ, um damit Parkers Solarplexus zu treffen, nahm der Butler grüßend die schwarze Melone ab. Er nahm sie so ungewöhnlich tief herunter, daß sie erst vor seiner Magenpartie zur Ruhe kam.

Die vorschnellende Hand der Kämpferin legte sich auf die Wölbung der Melone, und fast im gleichen Augenblick war ein erstickter Aufschrei zu vernehmen.

Parker wunderte das nicht.

Ihm war schließlich bekannt, daß die Wölbung seiner konservativen Kopfbedeckung mit zähem Stahlblech gefüttert war. Selbst ein harter Karateschlag war nicht in der Lage, dieses Hindernis zu nehmen.

Die junge Frau stöhnte und betrachtete sich äußerst verblüfft ihre verstauchten Finger. Dann schossen Tränen in ihre Augen, die ihr die Sicht nahmen, Ihr Interesse an Parker war erloschen. Sie kümmerte sich nur noch um ihre linke Hand.

»Ich möchte betonen, daß ich diese Form der Unterhaltung zutiefst bedauere«, sagte Parker und setzte seine Melone wieder auf. »Darf ich Sie übrigens meines Mitgefühls versichern?«

Die junge Frau im schwarzen Trikot beantwortete Parkers Frage mit einem improvisierten Tanz, den sie auf dem rechten Bein ausführte. Dabei geriet sie absichtslos in die Nähe des ruhenden Colonels und fiel zu Boden.

»Falls die Phantasie mir keinen schlechten Streich spielt, scheint es sich um einen Überfall auf den Zug zu handeln«, redete der Butler inzwischen weiter. Von Neugier getrieben, schritt er zu einem der Kastenwagen hinüber, dessen Ladefläche geöffnet war. Er entdeckte einige Postsäcke, die offensichtlich plombiert waren.

In diesem Augenblick prasselten die ersten Schüsse um ihn herum in den Wiesenboden.

Parker beobachtete die beiden Männer, die im Schweinsgalopp herankamen und von der Hüfte aus auf ihn schossen. Dem Butler wurde dadurch der Rückweg zu seinem hochbeinigen Monstrum abgeschnitten. Er erkannte das mit jener Scharfsicht, die ihm eigen war. Um sich also nicht unnötig in Gefahr zu begeben, ging er um den kleinen Kastenwagen herum, setzte sich ans Steuer und ließ den Motor anspringen. Sekunden später ergriff Josuah Parker bereits die Flucht. Gern ließ er seinen Wagen nicht zurück, aber die Verhältnisse zwangen ihn dazu. Ihm blieb wirklich keine andere Wahl.

Die beiden Männer verschwendeten zwar noch einige Geschosse an ihn, doch dann stellten sie das Feuer ein. Ihnen schien der Lärm, den sie verursachten, nicht sonderlich zu behagen. Parker schaute in den Seitenspiegel und bemerkte, daß die beiden Schützen sich um den Colonel und die junge Frau kümmerten. Damit befand er sich erst mal in Sicherheit.

Er fuhr zurück zum Gatter, nahm sich aber nicht die Zeit, es korrekt zu öffnen. Er durchbrach mit dem Wagen das leichte Bauwerk und jagte dann zurück zur Straße. Da existierte schließlich immer noch eine gewisse Lady Agatha Simpson, die inzwischen wohl leicht ungeduldig darauf wartete, von ihm abgeholt zu werden.

*

»Wenn man Sie mal wirklich braucht, sind Sie natürlich nicht da, Mister Parker«, raunzte Lady Agatha ihren Butler ungnädig an. »Wissen Sie überhaupt, was in der Nähe hier passiert ist?«

Lady Simpson vibrierte vor Aktivität. Ihre Augen blitzten unternehmungslustig. Noch hatte sie nicht mitbekommen, mit welch einem Gefährt ihr Butler vor dem Country-Club eingetroffen war.

»Meinen Mylady möglicherweise den Überfall auf den fahrplanmäßigen Zug in Richtung London?« erkundigte sich Josuah Parker gemessen und höflich.

»Sie wissen davon?« Sie sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an.

»Ich hatte den Vorzug, wenn ich es derart umschreiben darf, Augenzeuge des Überfalls zu sein, Mylady.«

»Aha.« Die passionierte Detektivin nickte grimmig und ärgerte sich. Parker war ihr wieder mal eine Nasenlänge voraus.

»Falls Mylady darauf bestehen, werde ich selbstverständlich die näheren Details schildern.«

»Nun zieren Sie sich bloß nicht«, grollte sie und entdeckte jetzt den Armeewagen. »Woher haben Sie denn diesen Kleinlaster?«

»Er befand sich im Besitz der Eisenbahnräuber, Mylady.«

»Nun ja, ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn. Reden Sie endlich!«

Parker faßte sich äußerst kurz und schilderte seine Erlebnisse. Von den insgesamt drei Postsäcken und einer kleinen Holzkiste sagte er allerdings kein Wort, zumal sie sich auch nicht mehr auf der Ladefläche des Wagens befanden.

»Und Sie haben diese beiden Gangster nicht gleich mitgebracht?« wunderte sich die ältere Dame und schüttelte verweisend den Kopf. »Man darf Sie doch wirklich keinen Moment allein lassen, Mister Parker.«

»Wie Mylady meinen.« Parker senkte schuldbewußt den Kopf. »Eine lenkende Hand und ein planender Geist hätten meiner bescheidenen Wenigkeit in der Tat sehr geholfen. Ich muß einräumen und gestehen, daß ich ein wenig in Panik geriet.«

»Dachte ich es mir doch?«

»Ich fuhr, wenn ich es so ausdrücken darf, ein wenig ziellos durch diesen herrlichen Landstrich.«

»Sie haben sich vor lauter Angst verfahren, wie?« Agatha Simpson lächelte etwas abfällig.

»So könnte man es allerdings auch ausdrücken, Mylady.«

»Macht nichts. Jetzt werde ich diesen Fall in die Hand nehmen, Mister Parker.«

»Das, Mylady, dachte ich mir bereits.«

»Ich habe nämlich einen angeschossenen Bahnangestellten gefunden und die Polizei alarmiert. Die Großfahndung nach den Gangstern läuft bereits.«

»Sie wird sich, wenn ich das einwenden darf, ein wenig schwierig gestalten.«

»Und wieso?«

»Nach meinen bescheidenen Beobachtungen findet in dieser Region tatsächlich ein Manöver der Armee statt.«

»Was hat das denn mit der Fahndung zu tun, Mister Parker?«

»Die Gangster benutzen Fahrzeuge, die mit denen der Armee identisch sind, Mylady.«

»Ach so!« Jetzt hatte die Detektivin verstanden.

»Die Gangster dürften ihren Überfall sehr raffiniert geplant haben, Mylady. Sie trugen Uniformen, um das noch hinzuzufügen.«

»Nicht schlecht.« Agatha Simpson nickte anerkennend.

»Ist bereits bekannt, Mylady, was man aus dem Zug raubte?«

»Bargeld und Goldbarren«, entgegnete Parkers Herrin. »Nach den ersten Ermittlungen muß es sich um eine knappe Million Pfund gehandelt haben.«

»Das, Mylady, sollte man als beachtlich ansehen.«

»Und so etwas lassen Sie sich durch die Lappen gehen.« Lady Agatha seufzte auf. »Das wäre endlich mal ein Fall für mich gewesen. Eine Neuauflage des Postzugraubes!«

»Ich möchte mir erlauben, Myladys Enttäuschung zu teilen.«

»Noch ist nicht alles verloren.« Agatha Simpson schöpfte umgehend neue Hoffnung. »Man wird doch wohl Ihr Gesicht erkannt haben, nicht wahr?«

»Dies ist mit letzter Sicherheit anzunehmen, Mylady«, lautete die Antwort des Butlers.

»Sehr schön«, die ältere Dame freute sich, »und Ihr Wagen mit dem Londoner Kennzeichen ist zurückgeblieben. Wissen Sie, was passieren wird?«

»Meiner bescheidenen Wenigkeit kommt ein Verdacht auf, Mylady, den ich als schrecklich bezeichnen möchte.«

»Ich überhaupt nicht«, erwiderte die Detektivin. »Man wird Sie natürlich mit allen Mitteln jagen, Mister Parker. Man wird versuchen, Sie als lästigen Augenzeugen zu beseitigen. Ist das nicht wunderbar?«

»Die Wertung dieser Frage, Mylady, dürfte eine Sache des Standpunkts sein.«

»Sie brauchen aber keine Sorge zu haben, Mister Parker.« Agatha Simpson nickte nachdrücklich. »Ich werde Sie selbstverständlich beschützen. Ihnen passiert überhaupt nichts, verlassen Sie sich darauf!«

»Wie Mylady meinen.« Parker deutete eine knappe, höfliche Verbeugung an. Ihm war klar, daß die Dinge wieder mal ins Rollen gekommen waren.

*

Die Fahrt zurück nach Waldon Castle wurde zu einer Art Hindernisrennen.

Überall waren Straßensperren errichtet worden. Immer wieder wurde Parkers hochbeiniges Monstrum angehalten und kontrolliert. Die Aktionen der Polizei waren fieberhaft und hektisch. Noch hoffte sie, die Täter vom Bahndamm stellen zu können.

Es zeigte sich, daß die Bahngangster nach einem ausgezeichneten Plan gearbeitet hatten. Inzwischen stand fest, daß die benutzten Fahrzeuge aus einem Depot der Armee gestohlen worden waren. Auch die benutzten Uniformen stammten aus diesem Versorgungslager, das man für die Zeit des Manövers nicht weit vom Country-Club entfernt eingerichtet hatte.

Nach intensivem Verhör durch die Polizei hatte Josuah Parker sein hochbeiniges Monstrum wieder abholen und übernehmen können. Er rollte inzwischen auf die nächste Straßensperre zu und sah auf das Zeltlager links von der Fahrbahn.

Auf großen Lastwagen trafen die Soldaten ein, die man zum genauen Durchkämmen des gesamten Geländes eingesetzt hatte. Nach Bekanntwerden des Raubes hatte man die Einheiten sofort in ein einziges großes Suchkommando umfunktioniert. Das Ergebnis lautete bisher Null. Die Täter waren wie vom Erdboden verschwunden.

Agatha Simpson genoß auch diese Kontrolle.

Sie amüsierte sich fast königlich über den Eifer der Polizisten und hatte sich längst eine eigene Theorie gebildet, nach der die Gangster samt der Beute längst in Sicherheit sein mußten.

»Und wissen Sie auch, Mister Parker, wo sie sind?« fragte sie, als ihr Butler wieder anfuhr. Sie wollte ihre Theorie an den Mann bringen.

»Mylady werden mit Sicherheit eine überraschende Lösung gefunden haben«, erwiderte Parker geduldig und höflich.

»Diese Eisenbahngangster sind noch mitten unter uns«, redete die Detektivin weiter. »Sie gehören der Armee an und lachen sich jetzt ins Fäustchen.«

»Eine bestechende Theorie, Mylady, wenn ich mich erkühnen darf, dies festzustellen.«

»Natürlich«, gab Agatha Simpson zurück. »Ich weiß ja, wie gut ich bin. Diese Gangster stehen wahrscheinlich selbst an einer dieser Straßensperren und amüsieren sich.«

»Eine schreckliche Vorstellung, Mylady.«

»Und die Beute haben sie wahrscheinlich in irgendwelchen Armeelastwagen versteckt.«

»Es war immerhin ein Colonel, der mich beschoß, Mylady.«

»Sehen Sie, Mister Parker, das ergänzt meine Theorie.« Agatha Simpson nickte zufrieden. »Wir werden unsere Ermittlungen auf die Einheiten beschränken, die am Manöver teilgenommen haben.«

»Diese Einheiten werden sich leicht ermitteln lassen, Mylady.«

»Was denn sonst!« Sie sah ihn grollend an. »Nun sagen Sie schon endlich, was Sie von meiner Lösung halten?«

»Sie klingt sogar, wenn ich steigern darf, äußerst bestechend, Mylady.«

»Wir werden der Polizei davon natürlich kein Sterbenswörtchen sagen, Mister Parker«, schärfte Agatha Simpson ihrem Butler ein. »Dieser Fall gehört mir allein.«

»Wie Mylady befehlen«, gab Josuah Parker zurück und konzentrierte sich noch intensiver auf die Straße. Er überholte einige Lastwagen, die voll mit Müll bepackt waren und nacheinander von der Straße abbogen. Sie steuerten eine Art Müllgrube an, die von Räumern freigedrückt worden war.

Dann gab es einen weiteren Aufenthalt vor einer Baustelle. Der Verkehr wurde hier einspurig weitergeleitet. Die Verschalungen für neue Widerlager waren bereits gezimmert worden. Sie brauchten nur noch mit Beton gefüllt zu werden. Von Bauarbeitern war allerdings nichts zu sehen. Sie machten bereits Feierabend und hielten sich in der Nähe ihrer Bau- und Wohnwagen auf.

Parker hatte Zeit, sich Myladys Theorie durch den Kopf gehen zu lassen. Sie war seiner Ansicht nach durchaus bestechend. Er hatte noch nicht mal übertrieben. Warum sollte es in der Armee nicht auch Menschen geben, die kriminell waren? Auch die Soldaten Ihrer Majestät waren schließlich nur Menschen aus Fleisch und Blut. Einen moralischen Sonderstatut besaßen sie ganz sicher nicht.

»Sie halten mal wieder den ganzen Verkehr auf, Mister Parker«, raunzte die ältere Dame plötzlich los. Parker schreckte aus seinen Gedanken hoch und fuhr weiter. Im Rückspiegel beobachtete er aus einem vagen Verdacht heraus noch mal die Baustelle. Von dort aus bis hinüber zum Tatort am Bahndamm war es nicht sonderlich weit. Mit einem Fahrzeug ließ diese Distanz sich mit Leichtigkeit schaffen. Er nahm sich sehr privat vor, sich auch noch mal die Baustelle aus nächster Nähe anzusehen.

Nach zwei weiteren Straßensperren hatten sie endlich freie Fahrt nach Waldon Castle, wo Lady Simpson zu Gast war. Der schloßähnliche Landsitz lag mitten in einem weiten Tal auf einer kleinen Anhöhe und war von hohen Bäumen umgeben. Grüner und teppichähnlicher hätte man sich keinen Rasen vorstellen können. Waldon Castle strahlte Vornehmheit, Würde und Tradition aus. Vor den Stallgebäuden, die rechts hinter dem Schloß waren, parkten die Autos der Gäste, die zur Fuchsjagd eingeladen worden waren.

Josuah Parker hielt vor dem Hauptportal und stieg aus dem Wagen. Er öffnete den hinteren Wagenschlag und reichte Mylady seine schwarz behandschuhte Hand, die sie selbstverständlich ausschlug wie immer.

»Lassen Sie das gefälligst«, raunzte sie ihn unwillig an. »Ich bin doch keine alte Frau.«

Sie wuchtete sich aus dem Wagen und marschierte zum Eingang hinüber, wo sie von ihrem Gastgeber bereits erwartet wurde. Butler Parker setzte sich wieder zurück ans Steuer und fuhr sein hochbeiniges Monstrum zu den Stallgebäuden, wo die übrigen Wagen standen.

Er war in angenehmer Stimmung, was wohl mit den drei Postsäcken und der recht schweren Holzkiste zusammenhing, die sich in seinem Besitz befanden.

*

»Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten, Mister Parker«, sagte Chief-Inspektor Garron, ein schlanker, etwa fünfundvierzigjähriger Mann, der wirklich nicht wie ein Kriminalist aussah. Er gab sich höflich und gelassen, doch seine Augen verrieten ihn. Es waren graue, hellwache und prüfende Augen.

»Meine bescheidene Wenigkeit steht Ihnen selbstverständlich zur Verfügung«, antwortete Josuah Parker. Er deutete auf einen der Sessel in der kleinen Wohnung, die sich über der Sammelgarage von Waldon Castle befand. Er war hier sehr bevorzugt von Lady Simpsons Gastgebern einquartiert worden.

»Ich muß noch mal auf den Raub zurückkommen, Mister Parker«, meinte der Chief-Inspektor, während er sich setzte. »Sie sind schließlich der einzige Augenzeuge, den wir haben.«

»Ein äußerst glücklicher Umstand, der meine bescheidene Person an den Tatort führte«, sagte Parker und nickte zustimmend.

»Sie könnten die Personen beschreiben?«

»Nur recht oberflächlich, Sir, wie ich gestehen muß. Ich befand mich in einer Streßsituation, wie man heutzutage zu sagen beliebt.«

»Aber es waren ein Mann in Armeeuniform und eine Frau, die ein schwarzes Trikot trug, nicht wahr?«

»Dies entspricht den Tatsachen, Sir.«

»Die Gesichter der beiden Personen waren maskiert?«

»Der angebliche Colonel hatte sein Gesicht geschwärzt, die junge Dame trug eine Art Wollmützentarnung.«

»Ich kann Ihnen nur gratulieren, Mister Parker«, schickte der Chief-Inspektor voraus und lächelte andeutungsweise. »Es ist Ihnen immerhin gelungen, einer Gangsterbande zu entwischen.«

»Ich bin mir dieses glücklichen Umstandes wohl bewußt, Sir«, gab Parker zurück.

»Sie haben sich sogar sehr profihaft geschlagen.«

»Sie schmeicheln einem müden, alten und relativ verbrauchten Mann, Sir.« Parker schlug seine Augen bescheiden nieder.

»Sie flüchteten mit einem der Armeefahrzeuge.«

»Das war der Fall, Sir. Der Rückweg zu meinem Privatwagen war mir leider abgeschnitten worden.«

»Auf der Ladefläche dieses Armeewagens haben Sie nicht zufällig irgend etwas entdeckt?«

»Versetzen Sie sich in die Lage eines gehetzten Mannes, Sir«, bat Josuah Parker treuherzig. »Von Angst gepeinigt und geschüttelt, erlaubte ich mir, ausschließlich an schnelle Flucht zu denken. Hätte sich auf der Ladefläche denn etwas befinden müssen?«

»Vielleicht, Mister Parker, vielleicht auch nicht.«

»Ich möchte nicht kritisieren, Sir, aber eine erschöpfende Antwort scheint das meiner bescheidenen Ansicht nach nicht zu sein.«

»Reden wir Klartext, Mister Parker.« Der Chief-Inspektor räusperte sich nachdrücklich.

»Sie haben einen interessierten Zuhörer vor sich, Sir.«

»Die Beute wurde sichergestellt!« Garron nickte. »Die Gangster sind durch Ihr Auftauchen nachhaltig gestört worden. Nach der Schießerei setzten sie sich ab und ließen alles am Bahndamm zurück. Sie ahnten wohl, daß sie mit ihrer Millionenbeute nicht weit kommen würden.«

»Ich möchte mich erkühnen, Sie zu beglückwünschen, Sir.«

»Die Sache hat allerdings einen kleinen Haken, Mister Parker.«

»Sie spannen mich geradezu auf die Folter, Sir.«

»Ein Drittel der gestohlenen und aus dem Zug geschafften Beute fehlt.«

»Sie sehen meine bescheidene Wenigkeit erneut bestürzt, Sir.«

»Nicht genau ein Drittel. Nach unseren Ermittlungen müssen die Täter Banknoten und Goldbarren im Werte von rund zweihunderttausend Pfund beiseite geschafft haben.«

»Ein erkleckliches Sümmchen, wenn ich es so ausdrücken darf, Sir.«

»Ein Vermögen, Mister Parker! Wir fragen uns nun, wo dieses Geld geblieben sein könnte.«

»Diese Ihre Fragestellung ist durchaus verständlich und drängt sich einem förmlich auf, Sir, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«

»Sie wissen nicht zufällig, wo diese zweihunderttausend Pfund sein könnten?«

»Man wird sie versteckt haben, Sir.« Parker sah den Chief-Inspektor beflissen an. »Ja, von diesem Denkansatz würde ich ausgehen, wenn ich mir diesen Rat erlauben darf.«

»Es handelt sich um drei prall gefüllte Postsäcke mit Banknoten und einer Holzkiste, die mit Goldbarren gefüllt ist.«

»Schon allein von den Dimensionen her, Sir, ließe sich diese Restbeute ganz sicher nicht durch die Polizeisperren bringen.«

»Das finde ich auch, Mister Parker. Diese drei Postsäcke und die Holzkiste befanden sich nicht zufällig auf der Ladefläche des Armeewagens, mit dem Sie flüchteten?«

»Sie halten mich einer Unterschlagung für fähig, Sir?« Bestürzung war in Parkers Frage.

»Ich frage nur, Mister Parker.«

»Lassen Sie es mich folgendermaßen ausdrücken, Sir«, antwortete Butler Parker gemessen. »Als ich den Wagen bei den Behörden ablieferte, war die Ladefläche leer.«

»Und ich fragte, ob sie vorher beladen war.« Chief-Inspektor Garron ließ nicht locker. »Falls das nämlich so war, Mister Parker, würden die geflüchteten Gangster alles daransetzen, sich wenigstens diese zweihunderttausend Pfund zurückzuholen.«

»Menschlich durchaus verständlich, Sir.« Parker nickte langsam.

»Diese Gangster werden vor Mord und Folter nicht zurückschrecken.«

»Daran sollte man in der Tat stets denken.«

»Sie wissen also nichts von den drei Postsäcken und der Holzkiste, Mister Parker?«

»Doch, natürlich, Sir.«

»Aha.« Chief-Inspektor Garron nickte zufrieden und sah den Butler erwartungsvoll an.

»Sie sprachen ja gerade davon«, erklärte Parker, worauf Garrons Gesicht sich leicht verfinsterte. Er hatte eine andere Antwort erwartet. »Trauen Sie meiner bescheidenen Wenigkeit zu, Sir, diese Teilbeute auf die Seite geschafft zu haben? Falls dem so ist, wäre ich außerordentlich betroffen.«

»Was ich Ihnen zutraue, werde ich hübsch für mich behalten«, erwiderte Garron gereizt. »Aber Ihrer Gesundheit würde es sehr zuträglich sein, wenn sich die drei Postsäcke und die Holzkiste noch im Lauf der Nacht finden würden. Die Gangster kämen dann wohl nicht auf den Gedanken, sie müßten bei Ihnen suchen.«

»So wollen wir dann gemeinsam hoffen, Sir«, lautete Parkers Antwort. »Mir scheint, daß da Dinge auf meine bescheidene Wenigkeit zukommen, die ich noch nicht in ihrer ganzen Tragweite abzuschätzen vermag.«

»Klingt zwar sehr umständlich, trifft aber den Kern der Sache«, schloß Garron grimmig. »Zu Ihrem Begräbnis werde ich mit Sicherheit kommen. Ich bin ein höflicher Mensch.«

*

Butler Parker brauchte nicht lange zu warten, bis die erste Nachricht eintraf.

Etwa eine halbe Stunde nach seinem Gespräch mit Chief-Inspektor Garron hatte er ein Erlebnis, das ihn ein wenig irritierte. Durch eines der geöffneten Fenster segelte plötzlich ein Gegenstand, der ziemlich unsanft gegen die Zimmerwand prallte und dann über den Boden kollerte.

Eine Eierhandgranate!

Butler Parker geriet keineswegs in Panik. Er hechtete nicht in Deckung und rannte aus dem Zimmer. Er blieb abwartend stehen und musterte den Fremdkörper, der sich im Wohnraum nicht besonders stilgerecht ausnahm. Er zweifelte nicht eine Sekunde daran, daß es sich nur um eine Übungshandgranate handeln konnte. Er ging von der Tatsache aus, daß er für gewisse Leute viel zu wichtig war, als daß sie ihn hätten umbringen wollen.

Parker hob die Eierhandgranate also auf und wog sie nachdenklich in der Hand. Dann ging er zum Fenster hinüber und schaute nach draußen. Zwischen den abgestellten Wagen der Gäste entdeckte er den Verwalter von Waldon Castle, einen gewissen James Halbom. Der Mann war groß, schlank und hielt sich straff wie ein Angehöriger der Armee. James Halbom sah gerade hoch, erkannte Parker und grüßte zurückhaltend.

Parker erwiderte diesen Gruß durch ein gemessenes Kopfnicken und fragte sich gleichzeitig, ob James Halbom sich möglicherweise als Leichtathlet betätigt haben mochte. Stammte die Übungshandgranate aus seiner Hand? Hatte er sie durchs Fenster geworfen?

Parker wurde abgelenkt.

Er sah Chief-Inspektor Garron, der aus der Remise hinter dem Garagengebäude hervorkam. Parker mußte sich blitzschnell entscheiden. Hatte Garron sich den skurrilen Gag geleistet und die Handgranate geworfen? Wollte er ihn, Josuah Parker, auf die Probe stellen?

»Darf ich Ihre wohl an sich kostbare Zeit für einen Augenblick beanspruchen, Sir?« rief Parker nach unten.

»Was gibt es denn?« Garron trat unter eine der Außenlampen und war jetzt deutlich zu sehen, während Verwalter James Halbom bereits in der Dunkelheit verschwand.

»Man bedachte mich überraschenderweise mit einem militärischen Utensil, Sir.« Während Parker noch redete, präsentierte er dem Chief-Inspektor die Übungshandgranate.

»Warten Sie, ich komme rauf zu Ihnen.« Garron war sehr schnell. Schon nach wenigen Minuten stand er Parker gegenüber und griff vorsichtig nach dem Sprengkörper.

»Es scheint sich um eine Übungshandgranate zu handeln, Sir«, sagte Parker.

»Es ist eine«, stellte Chief-Inspektor Garron fest. »Man hat sie in den Wohnraum geworfen?«

»Irritierenderweise, Sir.« Parker nickte. »Wie sollte man dieses Wurfgeschoß einordnen und deuten?«

»Keine Ahnung, Mister Parker.« Garron zuckte die Achseln. »Ein verdammt schlechter Scherz.«

»Dem würde ich durchaus beipflichten, Sir.«

»Ein Scherz ohne tiefere Bedeutung?« Garron sah den Butler zweifelnd-prüfend an. »Denken Sie mal an die drei Postsäcke und die Holzkiste, Mister Parker!«

»Was ich hiermit tue, Sir.« Parker verbeugte sich andeutungsweise.

»Vielleicht denken die Gangster, Sie hätten die Teilbeute auf die Seite geschafft.«

»Dann wäre die Übungshandgranate als eine Art Warnung zu verstehen, Sir?«

»Ganz sicher ist das so, Mister Parker. Sie sehen, das Kesseltreiben gegen Sie beginnt bereits.«

»Vorausgesetzt, Sir, die Gangster vermissen tatsächlich einen Teil der Beute. Von dieser Prämisse, wenn ich es so sagen darf, gehen Sie doch aus.«

»Sagte ich Ihnen nicht schon, daß ich nicht in Ihrer Haut stecken möchte?« erkundigte sich Chief-Inspektor Garron, wobei er einen sehr zufriedenen Eindruck machte. »Übrigens, ich bleibe in der Nähe. Falls sich noch mehr tut, brauchen Sie sich nur an mich zu wenden.«

Er ging zur Tür und nickte dem Butler grüßend zu.

»Ihre Handgranate, Sir«, erinnerte Parker diskret und reichte dem Chief-Inspektor das Übungsgerät.

»Meine Handgranate?« Garron runzelte die Stirn.

»Aber gewiß, Sir. Brauchen Sie sie nicht als Beweisstück! Ich überlasse sie Ihnen sehr gern.«

*

»Das paßt mir aber gar nicht, Kindchen«, räsonierte Agatha Simpson. »Er ist nicht in seiner Unterkunft? Sind Sie da ganz sicher, Kathy?«

»Vollkommen, Mylady«, erwiderte Kathy Porter, die Gesellschafterin und Sekretärin. Sie war groß, schlank und langbeinig, hatte wunderschönes, rotbraunes Haar und erinnerte auf den ersten und zweiten Blick an ein scheues Reh.

Kathy Porter stand schon seit Jahren in Diensten der Lady Simpson und wurde von ihr wie eine Tochter gehalten. Sie hatte sich im Laufe der Zeit auf die Schrullen der älteren Dame eingestellt und wußte Lady Agatha zu nehmen. Darüber hinaus beschützte sie die Sechzigjährige und achtete darauf, daß sie sich nicht in jedes Abenteuer stürzte.

Die beiden Frauen kamen sehr gut miteinander aus. Kathy war wie Agatha Simpson eine begeisterte Amateur-Kriminalistin, die von Butler Parker viel gelernt hatte. Wenn es sein mußte, verwandelte sich Kathy Porter in eine wilde Pantherkatze, deren Waffen dann nicht mehr besonders charmant waren.

»Parker hintergeht uns, Kindchen«, stellte die ältere Dame grimmig fest.

»Das kann ich mir aber kaum vorstellen, Mylady.«

»Er spult seinen eigenen Fall ab, Kathy, glauben Sie mir.«

»Sie haben einen bestimmten Verdacht, Mylady?«

»Er weiß etwas von diesen verschwundenen drei Postsäcken und der Goldkiste.« Agatha Simpson wanderte in ihrem Zimmer auf und ab. Sie ärgerte sich.

»Haben Sie Mister Parker danach gefragt, Mylady?«

»Dazu ist es doch gar nicht mehr gekommen, Kindchen. Er ist mir tunlichst aus dem Weg gegangen. Und gerade das macht mich stutzig. Steht sein Wagen vor der Garage?«

»Das allerdings, Mylady.«

»Aha!« Agatha Simpson nickte triumphierend und wissend. »Mister Parker befindet sich auf Gangsterjagd, meine Liebe. Und wir sitzen in diesem verwünschten Schloß herum und langweilen uns. Aber das nehme ich nicht hin!«

»Mylady planen etwas?« fragte Kathy Porter besorgt. Ihr entging nicht das Funkeln in den Augen der Detektivin. Sie machte einen sehr erregten Eindruck.

»Besorgen Sie mir einen geländegängigen Wagen, Kindchen«, verlangte Agatha Simpson. »Wir werden Parker folgen.«

»Aber wir wissen doch gar nicht, wo er ist, Mylady.« Kathy hatte etwas gegen einen geländegängigen Wagen. Sie kannte die einmalige Fahrtechnik der Lady Simpson.

»Wir werden ihn schon aufspüren, Kindchen.« Agatha Simpson deutete auf den kleinen Wandtisch, auf dem Flaschen und Gläser standen. »Reichen Sie mir einen Kreislaufbeschleuniger, meine Liebe!«

Kathy seufzte leise, als sie die Medizin für Agatha Simpson zubereitete. Sie füllte einen Schwenker mit gutem altem Kognak und reichte ihn ihrer Herrin. Sie kostete ihn genießerisch, schnalzte mit der Zunge und marschierte dann zur Tür.

»Wir werden unsere Suche am Bahndamm beginnen«, sagte Lady Agatha mit ihrem baßgefärbten Organ. »Dann fahren wir die Route ab, die er nach dem Gangsterkontakt genommen hat. Worauf warten Sie eigentlich noch?« Besorgen Sie endlich einen Wagen!«

Kathy Porter seufzte nochmal vorsichtig und machte sich auf den Weg. Sie wußte, daß ihr einige aufregende Stunden bevorstanden. Sie fuhr schließlich nicht zum ersten Mal mit Agatha Simpson durchs Gelände.

Agatha Simpson genehmigte sich noch einen zweiten Kreislaufbeschleuniger, um richtig in Stimmung zu kommen. Dann prüfte sie ihren Pompadour, in dem sich ein echtes Hufeisen befand, und sah sich nach einer zusätzlichen Waffe um.

Die ältere Dame entschied sich für einen Morgenstern, den sie an einer Wand im Vorflur ihrer Räume entdeckt hatte. Es handelte sich um eine raffinierte Waffe. Sie bestand aus einem kurzen Stiel, an dem eine leicht verrostete Kette befestigt war. Diese Kette endete in einem stachelbewehrten Eisenstück von der Größe eines kleinen Balls.

So ausgerüstet, machte die Detektivin sich auf den Weg, um dem geheimnisvollen Gehabe ihres Butlers auf die Spur zu kommen.

*

Die Straßensperren waren aufgehoben worden.

Josuah Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und fuhr hinüber zum Camp der Armee. Der Mond arbeitete sich nur hin und wieder durch das dichte, regenschwere Gewölk. Parker passierte die Brückenbaustelle und hielt dann vor dem Gelände, wo das Manövercamp sich befunden hatte. Bis auf einige Zelte und Kommandowagen war kaum noch etwas zu sehen. Auch die Armee war abgerückt und hatte die Suche nach den Eisenbahngangstern aufgegeben.

In Höhe der Müllhalde mußte er anhalten.

Die zwei Räumer, die er bereits beobachtet hatte, wurden gerade auf Tieflader verladen. Parker machte diese Pause nichts aus. Er hatte sich eine seiner berüchtigten Zigarren angezündet und genoß das herbe Aroma des Tabaks. Da er allein war, konnte er sich dieses Teufelskraut leisten, wie Lady Simpson diese schwarzen Torpedos nannte.

Nach dem Verladen der Räumer fuhr Parker entspannt und innerlich heiter wieder los. Er rechnete fest damit, daß er heimlich verfolgt wurde, wenngleich er bisher noch nichts bemerkt hatte. Früher oder später würde der Kontakt schon hergestellt werden, dessen war er sicher.

Vor Antritt der Fahrt hatte Josuah Parker sich die Karte dieser Region genau angesehen. Ihm ging es darum, seine heimlichen Beobachter und Verfolger zu dupieren. Er wollte sie nach allen Regeln der Kunst in die Irre führen.

Parker verließ die Straße und brachte sein hochbeiniges Monstrum auf einen Seitenweg, der vor einem kleinen See endete. Dschungelartiger konnte man sich kaum ein Ufer vorstellen. Als Parker ausstieg, ebbte das fröhliche Gequake der Frösche kurz ab, um dann jedoch wieder anzuschwellen. Parker, der die Scheinwerfer seines Wagens ausgeschaltet hatte, machte nur wenige Schritte und blieb dann neben einer Weide stehen. Notgedrungen mußte er seine Zigarre ausdrücken, denn das herbe Aroma hätte ihn sonst wohl mit Sicherheit verraten.

Einige Mückenschwärme im Dickicht und Ufergebüsch nahmen das mit echter Erleichterung und Freude zur Kenntnis. Sie waren schon zu einem Früh- und Alarmstart bereit gewesen, nachdem sie die ersten Duftschwaden mitbekommen hatten. Nun aber beruhigten sich die stechenden und saugenden Insekten und warteten die weitere Entwicklung ab.

Sie befanden sich offensichtlich in einem echten Zwiespalt der Gefühle. Natürlich hatten sie Josuah Parker als Opfer längst ausgemacht und sehnten sich nach seinem warmen Blut. Einige Späher, die dieses Opfer umschwirrten, traten aber hastig den Rückflug an, um ihre Schwärme zu warnen. Parker wurde immer noch vom Aroma seiner Spezialzigarren eingehüllt. Diesen Sperrkreis wollten die Stechmücken unnötigerweise nicht durchbrechen, da für sie akute Lebensgefahr bestand.

Parker ahnte nichts davon.

Er schob sich noch ein wenig tiefer in das Gesträuch und harrte der Dinge, die da hoffentlich kamen. Falls seine Rechnung aufging, mußten die heimlichen Verfolger sich jetzt endlich nähern und vielleicht auch zeigen.

Butler Parker wurde überrascht.

Plötzlich hörte er ein feines Scharren knapp hinter sich. Er wandte sich um und sah sich einem wolfsähnlichen Hund gegenüber, der ihn aus unheimlichen, furchterregenden Augen anglühte. Der Vierbeiner hatte Spur aufgenommen und sich fast lautlos genähert. Es war ein großes und starkes Tier, das sich intensiv für Parkers Waden interessierte. Auch die Hüfte des Butlers übte auf den Vierbeiner einen fast magischen Zwang aus. Kurz, Josuah Parker sollte um einige Pfunde Muskelfleisch erleichtert werden, wogegen er verständlicherweise einiges einzuwenden hatte.

Butler Parker 123 – Kriminalroman

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