Читать книгу Butler Parker 115 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3

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»Ich verbitte mir Ihren mitleidigen Blick, Mister Parker«, grollte Lady Simpson leicht gereizt. »Sie haben es nicht mit einer Irren zu tun.«

»Sehr wohl, Mylady«, antwortete Parker in seiner höflichen Art. »Sollte mein bescheidener Blick sich vergessen haben, so bitte ich das entschuldigen zu wollen.«

»Das möchte ich Ihnen auch geraten haben«, warnte die stets ein wenig streitbare Dame. Sie befand sich in ihrer Stadtwohnung in London und sichtete nach einem ausgiebigen Frühstück gerade die Morgenzeitung.

»Haben Mylady noch Wünsche?« Parker war bereit, sich wieder zurückzuziehen.

»Sie bleiben«, entschied Lady Simpson, eine stattliche Erscheinung von annähernd sechzig Jahren. Sie erinnerte an eine Walküre aus einer Wagner-Oper. Man konnte sich die resolute Dame sehr gut mit Jagdspeer und Schild vorstellen. Sie trug ein wallendes Hauskleid und saß vor ihrem Schreibtisch. Agatha Simpson war wieder mal dabei, ihren ersten Roman anzufangen.

Das tat sie schon seit einigen Monaten, doch sie wurde zu ihrer inneren Freude immer wieder abgelenkt. Das hinderte sie jedoch nicht daran, an ihren Bestseller fest zu glauben. Sie hatte sich vorgenommen, eine gewisse Agatha Christie in Grund und Boden zu schreiben, denn sie kannte in ihrem Leben keine Minderwertigkeitskomplexe.

Lady Agatha besaß ein volles Gesicht mit einem energischen Kinn und einer ausgeprägten Adlernase. Ihre dunklen Augen funkelten stets unternehmungslustig. Ihr weißes Haar lag in vielen kleinen Locken auf dem Kopf. Sie verfügte über sehr große Hände, die einen recht zupackenden Eindruck machten. Diese Hände fuhrwerkten mit den Morgenzeitungen herum und fegten sie kurzerhand vom Arbeitstisch.

»Nun sagen Sie schon endlich etwas«, fuhr sie ihren Butler an und stand auf. »Was halten Sie von diesen Meldungen?«

»Ich möchte Mylady nicht vorgreifen.«

»Papperlapapp, Sie wollen sich nur ‚Um eine Stellungnahme herumdrücken, Mr. Parker!«

»Diese Zeitungsmeldungen entbehren meiner bescheidenen Ansicht nach nicht einer gewissen Komik, Mylady.«

»Sie glauben also nicht an Marsmenschen?«

»Nicht direkt, Mylady.« Parker war äußerst vorsichtig. Ihm war das grimmige Funkeln in den Augen der alten Dame nicht entgangen.

»Sie halten das alles für reinen Unsinn?«

»Für Mißverständnisse«, redete der Butler sich heraus. Er sah korrekt und steif wie immer aus, ein Butler, wie er eigentlich nur noch in englischen Gesellschaftsfilmen und Boulevardkomödien vorkam.

Josuah Parker war etwa fünfzig Jahre alt. Vielleicht auch älter. Doch das sah man ihm nicht an. Er schien von zeitlosem Alter zu sein. Er war mittelgroß, schlank und zeichnete sich durch eine schon fast penetrante Höflichkeit aus. Selbst in den verrücktesten Situationen verlor er nie seine Selbstbeherrschung. Gemessenheit und Würde zeichneten sein Tun aus.

Man sah es diesem stets in Schwarz gekleideten Mann nicht an, wie phantasievoll und fuchsschlau er war. Parker verfügte in übertragenem Sinn über eine riesige Trickkiste, die bis zum Rand gefüllt war. Gekonnte Improvisation verblüffte seine zahlreichen Gegner immer wieder.

Und er hatte Gegner!

Parker war Amateurdetektiv aus Leidenschaft. Er stand seit geraumer Zeit in den Diensten der Lady Agatha Simpson, einer immens reichen Frau, die mit dem Blut- und Geldadel der Insel verschwistert und verschwägert war. Da auch Mylady eine unstillbare Sehnsucht besaß, sich als weiblicher Detektiv auszuzeichnen, hätte Parker sich kein idealeres Dienstverhältnis wünschen können.

»Sie halten die Beobachtungen also für Mißverständnisse?« Lady Agatha Simpson sah ihren Butler fast verächtlich an. »Haben Sie überlesen, daß die Bewohner so etwas wie eine ›Fliegende Untertasse‹ gesehen haben?«

»Das, Mylady, geschieht immer wieder«, bemerkte Parker höflich und gemessen. »Luftspiegelungen, Wetterballons oder reine Erfindungskraft dürften dafür verantwortlich sein.«

»Wir werden nach Schottland reisen«, ordnete Agatha Simpson an. »Ich werde mir diese Mißverständnisse aus der Nähe ansehen.«

»Ich war bereits so frei, Mylady, das Reisegepäck zu richten«, antwortete der Butler.

»Sie haben bereits gepackt?« Agatha Simpson sah ihren Butler verblüfft an.

»In der Tat, Mylady«, meinte der Butler, »mir war in aller Bescheidenheit bewußt, daß Mylady nach der Lektüre der Notizen Schottland einen sofortigen Besuch abzustatten wünscht.«

*

Ben Melness war ein gestandener Mann von fünfzig Jahren, der als Lastwagenfahrer sein Brot verdiente.

An diesem Nachmittag saß er am Steuer seines Wagens und befand sich auf der Fahrt von Thurso nach Bettyhill. Er kannte diese Küstenstraße im äußersten Norden von Schottland in- und auswendig. Es machte ihm nichts aus, daß leichter Nebel aufgekommen war.

Er hatte das Radio eingeschaltet und hörte Musik. Ben Melness rauchte eine Zigarre und war mit sich und der Welt zufrieden. Er verlor auch dann noch nicht seine Gelassenheit, als der Nebel plötzlich dichter und irgendwie zäher wurde. Eine träge Suppe schien die Fahrbahn zu verschlucken.

Ben schaltete herunter und fuhr sicherheitshalber langsamer weiter. Hier oben an der Küste war solch ein Wetter nicht ungewöhnlich, man verstand sich darauf einzustellen und ging kein unnötiges Risiko ein. Plötzlich wurde diese träge Suppe allerdings derart breiig, daß Ben Melness unwillkürlich auf das Bremspedal trat und erst mal hielt. Er hatte jede Orientierung verloren und wußte nicht mal genau, auf welcher Straßenseite er sich befand.

Er schaltete das Radio ab, öffnete die Wagentür und kletterte aus dem Fahrerhaus. Er trat nur wenige, zögernde Schritte, als er den Wagen bereits nicht mehr sah. So etwas wie Angst packte ihn. Er ging zurück zu dem Fahrzeug, um wenigstens einen Bezugspunkt zu haben, doch er konnte den Laster nicht mehr finden.

Aus der leisen Panik wurde echte Bestürzung. Er war schon längst nicht mehr mit sich und der Welt zufrieden. Ben Melness fluchte, versuchte sich zu erinnern, wo der Laster sein mußte, und tastete sich erneut durch den weißgrauen Dunst...

Nichts! Der Laster blieb verschwunden. Er war gewiß kein Spielzeug und leicht zu übersehen. Es handelte sich immerhin um einen ansehnlichen Sattelschlepper, dessen Umrisse der Fahrer zumindest bald ausmachen mußte.

Diese Umrisse tauchten jedoch nicht auf.

Ben Melness versuchte es erneut, ging jetzt systematisch vor und bekämpfte seine Angst. Er baute sich erneut auf und suchte erst mal einen der beiden Straßenränder. Als er das Bankett erreicht hatte, blieb er mit seinen Schuhen auf dem weichen Untergrund und ging genau fünfzehn Schritte weiter. Als er den Lastwagen immer noch nicht entdeckte, überquerte er die Straße und suchte die andere Seite auf. Dann marschierte er zwanzig Schritte zurück, blieb kopfschüttelnd stehen und verstand die Welt nicht mehr.

Sein Lastwagen war einfach nicht zu finden. Er schien sich im Nebel aufgelöst zu haben. Selbst die Nebelscheinwerfer, die er eingeschaltet hatte, ließen sich nicht ausmachen.

Ben Melness zuckte zusammen, als er dazu noch ganz in der Nähe ein Glucksen hörte.

»Ist da wer?« rief er in den Nebel hinein.

Irgend etwas kicherte, dann war wieder Ruhe.

»Hallo, ist da jemand?« rief er erneut, diesmal bereits ein wenig gereizt. Er fühlte sich kräftig auf den Arm genommen. »Ist da wer?«

Ben Melness hätte jetzt liebend gern zumindest ein Kichern gehört, doch es blieb aus. Der weißgraue Brei wurde noch dichter und zäher. Melness schluckte und kam auf eine blendende Idee. Es war sinnlos, weiter herumzuirren, obwohl sein Laster nicht weit sein konnte. Er versuchte es mit einem Schotterstein. Er bückte sich, hob einen handlichen Brocken auf und warf ihn mit ziemlicher Kraft in den Nebel. Er hoffte, seinen Wagen zu treffen.

Nichts...

Ben Melness versuchte es wieder. Diesmal wählte er eine andere Richtung. Irgendwann mußte es ja mal scheppern.

Wie gesagt, weit konnte der Sattelschlepper wirklich nicht sein.

Der Stein verschwand im Brei und ... kam postwendend wieder zurück. Ben Melness sah ihn nicht, doch er spürte ihn an der linken Schulter. Er war derart verdutzt, daß er sogar vergaß, einen Schmerzensschrei auszustoßen.

»Was soll denn der verdammte Blödsinn? « rief er. Statt einer Antwort hörte er wieder ein Kichern und Glucksen. Irgend jemand im Nebel schien sich erstklassig zu amüsieren.

Ben Melness bemühte einen dritten Stein, schleuderte ihn fort und bückte sich sicherheitshalber, um nicht erneut erwischt zu werden.

Er erlebte eine herbe Überraschung.

Zuerst tat sich überhaupt nichts. Diesmal schien der Stein nicht zurückzukehren. Er blieb im dichten Nebel stecken. Nach etwa fünfzehn Sekunden richtete Ben sich zögernd wieder auf und ... fuhr entsetzt zusammen, als der bewußte Stein genau zwischen seinen Schulterblättern landete.

Er kam aus einer Richtung, in die der Mann gar nicht geworfen hatte!

Ben Melness brüllte mit einiger Verspätung auf, rannte in die Richtung, aus der der Stein gekommen war, und landete prompt im Straßengraben. Er klatschte in mooriges Wasser, schlug um sich und hörte dann den Motor seines Lasters. Sekunden später rollte die Silhouette des Sattelschleppers an ihm vorüber und verschwand im weißgrauen Nebel.

Ben Melness war derart verblüfft, daß er noch nicht mal fluchen konnte.

*

Owen Carn war ein zuverlässiger Mann von fünfundvierzig Jahren, der seit drei Jahren die Bankfiliale in Melvoy leitete. Es war gewiß kein aufregender Job, den er hatte. Die Bankkunden waren ohne Ausnahme solide. Es handelte sich um Schafzüchter, Fischer, kleine Gewerbetreibende und Farmer.

An diesem späten Nachmittag langweilte sich Owen Carn. Der immer stärker werdende Nebel ließ erwarten, daß kaum noch Kunden erschienen. Carn beschloß, schon mit der Tagesabrechnung zu beginnen, um pünktlich nach Hause zu kommen. Er wohnte in Melvoy, einem kleinen Fischerstädtchen.

Als er sich am Kassentisch niederlassen wollte, schaute er irritiert hoch. Ein kalter Luftzug hatte sein Gesicht getroffen. Er sah sofort zur Tür hinüber, doch sie war geschlossen. Er schüttelte ein wenig den Kopf, vergaß diesen Zwischenfall jedoch wieder und griff nach den Kassenbelegen, um sie erst mal zu sortieren. Fast dankbar schaute er hoch, als sich die Tür öffnete und Mr. Shepherd eintrat, ein Kaufmann, der mit Fischereiausrüstungen handelte.

»Ich bringe die Tageseinnahme«, sagte Shepherd, »mager genug.«

»Das heute ist kein Tag«, meinte Carn mitfühlend, »die ganze Küste ertrinkt langsam im Nebel.«

»Heute ist er besonders dick«, erwiderte Shepherd, »man braucht ja fast ’ne Radaranlage, um über den Platz zu kommen. So, das hier wär’s!«

Er stellte eine kleine Stahlkassette auf das Zahlbrett und wollte den im Schloß steckenden Schlüssel umdrehen, doch er rührte sich nicht.

»Moment«, sagte er zu Carn, um es dann noch mal zu versuchen.

Der Schlüssel rührte sich nicht.

»Das verstehe ich nicht.« Shepherd bekam einen roten Kopf vor Anstrengung, als er erneut probierte. Doch der Schlüssel rührte sich nicht. Er schien aus unerfindlichen Gründen mit dem Schloß verschweißt zu sein.

»Lassen Sie mich mal versuchen«, sagte Carn. Shepherd schob ihm die Kassette hin und verfolgte den Versuch, der prompt mißlang.

»Das verstehe wer will«, meinte Carn und hob den Behälter an, um das Schloß genau zu inspizieren.

»Eben hat das noch geklappt«, sagte Shepherd, »ich weiß genau, daß ich abgeschlossen habe.«

Carn wollte den Schlüssel herausziehen, doch er rührte sich nicht. Und genau in diesem Augenblick war irgendwo im Raum ein Kichern zu vernehmen.

Carn und Shepherd schauten sich betroffen an, nehmen dann fast gleichzeitig den Kopf herum und versuchten herauszufinden, wer da gelacht haben könnte.

»Sie sind nicht allein, Carn?« fragte Shepherd.

»Natürlich bin ich allein«, entgegnete Carn.

»Aber da hat doch jemand gekichert.«

»Habe ich auch gehört, aber ich bin allein.«

»Wie Sie meinen, Carn.« Shepherd sah den Bankfilialleiter etwas mißtrauisch an und nahm dann die Kassette wieder an sich. Dabei fiel sein Blick ungewollt auf den Kassentisch. Shepherds Mund öffnete sich, seine Augen weiteten sich. Er wollte mit Sicherheit etwas sagen, doch er brachte keinen Laut hervor.

»Ist was?« erkundigte sich Carn arglos.

»Da ... da ... da!« gurgelte Shepherd endlich. Carn fuhr herum und beeilte sich, ebenfalls Mund und Augen aufzureißen. Fassungslos starrte er auf die Kassenbelege des Tages. Sie schienen von einem lokalen Miniaturwirbelsturm erfaßt worden zu sein, stiegen hoch, wirbelten durcheinander, stiegen immer weiter hoch und erreichten schließlich die Decke der Bankfiliale. Dort klebten sie fest und dachten nicht daran, dem Gesetz der Schwerkraft gehorchend, herunterzuflattern.

»Nein«, flüsterte Carn beeindruckt.

Shepherd blieb stumm. Er kümmerte sich auch nicht weiter um dieses Phänomen, rannte bereits zur Tür und war wenige Sekunden später draußen im Nebel verschwunden.

Carn aber stand noch immer am Kassenschalter und schaute zu seinen Belegen hoch. Er zweifelte ernsthaft an seinem Verstand.

*

Von Glasgow aus hatten sie einen Hubschrauber genommen.

An Bord des Helikopters befanden sich unter anderem Lady Agatha Simpson, Butler Parker und Kathy Porter, eine tizianrote, schlanke Schönheit, die ein wenig an ein scheues Reh erinnerte.

Kathy Porter war die Sekretärin und Gesellschafterin der älteren Dame. Doch sie war gleichzeitig auch so etwas wie die erwachsene Tochter der exaltierten Lady. Geduldig und auch ein wenig amüsiert ertrug sie die Launen ihrer Herrin. Kathy Porter wirkte nur nach außen hin scheu und schüchtern. Wenn es sein mußte, verwandelte sie sich blitzschnell in eine Pantherkatze. In der Kunst der geschmeidigen und wirkungsvollen Verteidigung war sie eine Meisterin, wie schon mancher Ganove am eigenen Leib erfuhr.

Butler Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum in London zurückgelassen, da die Anfahrt per Auto doch ein wenig zu kompliziert war. Zudem hatte Agatha Simpson darauf bestanden, sofort nach Schottland abzureisen. Sie konnte es nicht erwarten, sich an Ort und Stelle zu informieren.

An Bord des großen Hubschraubers befanden sich zusätzlich noch einige Herren, die zum Atom-Forschungszentrum in Dounreay gehörten, das sich an der Nordküste Schottlands, in der Nähe der reizenden Stadt Thurso befand.

Der Vormittag war strahlend schön.

Vom dichten Nebel des Vortages war nichts mehr zu sehen. Lady Simpson hatte jedoch kein Auge für Schottlands wild zerklüftete Küste. Ihre Gedanken beschäftigten sich mit einem Thema: Unerklärbare Vorfälle! Die Detektivin war jetzt felsenfest davon überzeugt, den richtigen Stoff für ihren geplanten Bestseller gefunden zu haben.

»Ist Ihnen nichts aufgefallen?« erkundigte sie sich bei ihrem Butler, der vor ihr saß.

»Mylady?« Parker wandte sich gemessen zu Agatha Simpson um, die erstaunlich leise sprach.

»Sie sind ein blinder Maulwurf, Mr. Parker«, tadelte sie ihn streng. »Haben Sie nicht mitbekommen, wer diese Männer sind?«

»Wissenschaftler und Techniker der Atom-Versuchsanstalt, Mylady, falls meine Informationen zutreffen.«

»Und da klingelt es nicht bei Ihnen?« Agatha Simpson sah Parker fast schon mitleidig an.

»Im Moment muß ich außerordentlich bedauern, Mylady.«

»Es geht um diese Versuchsanstalt«, flüsterte die Lady mit tragischem Unterton in der Stimme. »Ein groß angelegtes Komplott, wenn Sie mich fragen. Wo haben diese rätselhaften Vorfälle sich zugetragen? Erinnern Sie sich wenigstens daran?«

»An der Nordküste, Mylady, zwischen Thurso und Durness, wenn ich das pauschal definieren darf.«

»Eben«, gab Lady Simpson zufrieden zurück, »und in diesem Küstenstrich befindet sich die Atom-Versuchsanstalt. Haben Sie jetzt endlich begriffen?«

»Ich bin so frei, Mylady, erstaunt zu sein.«

»Hoffentlich«, knurrte Agatha Simpson zurück, »aber Sie muß man ja erst mit der Nase draufstoßen, bevor Ihnen ein Licht aufgeht.«

»Sehr wohl, Mylady«, erwiderte Parker schuldbewußt »Haben Mylady sonst noch Wünsche?«

»Für mich ist dieser geheimnisvolle Fall bereits gelöst«, gab sie in einem fast schon enttäuschten Ton zurück.

»Wünschen Mylady nach Hause zu fliegen?«

»Seien Sie nicht so albern«, knurrte sie gereizt. »Sie glauben doch nicht im Ernst, daß ich ... Was war das?«

Ihre Überraschung war verständlich, denn der Helikopter taumelte ein wenig, als sei er leicht angetrunken. Dann sackte er durch und wurde sofort wieder hochgerissen.

»Eine Luftturbulenz, Mylady«, erklärte Parker.

»Sind Sie sicher?« Agatha Simpson sah sehr mißtrauisch durch das Seitenfenster hinunter aufs Land. Die Felsen und Weiden kamen für ihr Gefühl erstaunlich schnell näher. Der Hubschrauber war nach vorn gekippt und schien die feste Absicht zu haben, sich in den Grund zu bohren.

Unruhe entstand. Auch den übrigen Passagieren an Bord des Helikopters war nicht entgangen, daß die Fluglage irregulär war. Diese Unruhe hielt sich allerdings in Grenzen. Mit mehr oder weniger britischem Gleichmut ließ man die Dinge auf sich zukommen.

Josuah Parker war überhaupt nichts anzumerken. Sein glattes Gesicht besaß den Ausdruck eines erfahrenen Pokerspielers. Kathy Porter beobachtete Agatha Simpson, die sehr empört wirkte.

Wenige Minuten später war bereits alles vorbei.

Der Hubschrauber hatte weich auf einer weiten Wiese aufgesetzt, die von Hügeln und Steinmauern eingegrenzt wurde. Josuah Parker bemühte sich nach vorn und traf auf zwei Piloten, die von einer seltsamen Heiterkeit erfaßt waren.

Sie strahlten sich an, entdeckten den Butler und bekamen dann einen Lachkrampf. Sie schlugen sich auf ihre Oberschenkel und waren nicht ansprechbar ...

*

»Ich muß mich doch sehr wundern.«

Agatha Simpson maß die beiden Hubschrauberpiloten mit einem strengen Blick. Sie starrten sie einen Moment an und brachen dann wieder in dröhnendes Gelächter aus. Sie zeigten mit ihren Zeigefingern auf die erboste Lady und krümmten sich vor Lachen.

»Sie sind äußerst albern«, meinte Agatha Simpson und sah sich hilfesuchend nach Parker um, der steif und gemessen um den Hubschrauber schritt.

»Sie scheinen nicht zu wissen, was sie tun«, sagte Kathy Porter zu Agatha Simpson.

»Ich glaube, ich sollte sie mit meinem ›Glücksbringer‹ zur Ordnung rufen«, gab die Lady grimmig zurück. Sie ließ ihren perlenbestickten Pompadour am Handgelenk pendeln. In diesem befand sich immerhin ein echtes Hufeisen, das nur leicht mit Schaumgummi umwickelt war.

Die übrigen Passagiere diskutierten miteinander und entwickelten mit wissenschaftlicher Gründlichkeit einige recht interessant klingende Theorien zu dieser Überraschungslandung. Da dieses Gespräch in einen wissenschaftlichen Streit auszuarten drohte, machte Parker einen weiten Bogen um die Männer.

»Ist möglicherweise damit zu rechnen, daß der Flug im Lauf des Vormittags noch fortgesetzt wird?« fragte Parker bei den beiden Piloten an. Er lüftete dazu höflich seine schwarze Melone und sorgte für den korrekten Sitz seines Universal-Regenschirms, der über seinem linken Unterarm hing.

Die beiden Piloten schienen überhaupt nichts gehört zu haben. Sie hatten sich ins Gras gesetzt und zupften Halme.

»Sind diese Lümmel wahnsinnig geworden?« fauchte Agatha Simpson und wandte sich an Parker.

»Sie dürften außerhalb ihres Ich stehen«, gab der Butler höflich zurück.

»Aha. Und was bedeutet das?«

»Falls mich nicht alles täuscht, Mylady, dürften die beiden Piloten unter fremdem Einfluß stehen.«

»Hypnose?« Agatha Simpsons Augen funkelten schon wieder. Sie witterte einen erfreulichen Zwischenfall, denn das, was bisher passiert war, reichte ihr bei weitem noch nicht.

»Ob es sich konkret um Hypnose handelt, Mylady, vermag ich nicht mit letzter Sicherheit zu vermelden«, antwortete Parker, »dies könnte wohl nur ein Facharzt entscheiden.«

»Ob Hypnose oder nicht, ich will weiter nach Thurso.«

»Von einem Fußmarsch, Mylady, möchte ich entschieden abraten. Nach meinen bescheidenen Erkenntnissen dürften noch etwa fünf Meilen vor Mylady liegen.«

»Glauben Sie, daß diese Lümmel wieder zur Vernunft kommen werden?« Sie drehte sich um und musterte erneut die beiden Piloten, die jetzt offensichtlich nach vierblättrigen Kleeblättern suchten.

»Eine Antwort darauf wage ich nicht zu geben, Mylady.«

»Dann tun Sie gefälligst etwas!«

»Wie Mylady befehlen. Falls es gestattet ist, werde ich dort hinüber zur Farm gehen und das Telefon bemühen.«

»Worauf warten Sie noch?«

»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit bereits unterwegs.« Parker lüftete seine schwarze Melone und machte sich auf den Weg. Die Farm, von der er gesprochen hatte, lag in einem Talkessel. Bis dorthin waren es gut und gern anderthalb Meilen. Erstaunlicherweise hatte sich dort noch kein neugieriger Mensch sehen lassen.

Der Butler stieg über einige Steinwälle, über Zäune und Mauern. Er zerbrach sich natürlich den Kopf darüber, was die beiden Piloten veranlaßt haben mochte, diese Zwischenlandung vorzunehmen. Daß dies nicht freiwillig geschehen war, lag auf der Hand. Welche Kraft mochte diese beiden sicher recht erfahrenen Männer dazu gebracht haben, so etwas zu tun?

Parker hatte inzwischen die Farm erreicht... ein ärmlich aussehendes Anwesen! Er ging auf die Haustür zu und pochte mit seinem bleigefütterten Bambusgriff des Universal-Regenschirms gegen das Holz.

Als keine Antwort kam, versuchte Parker es erneut. Diesmal sehr viel entschiedener. Jetzt schwang die einfache Tür auf und gab den Blick frei auf die Wohnküche, die spartanisch eingerichtet war. Doch das war es nicht, was ihn verwunderte.

Um den Küchentisch herum saßen vier Personen in einfacher Arbeitskleidung. Sie rührten sich nicht und reagierten auch dann noch nicht, als Parker diskret hüstelte. Sie blieben regungslos sitzen und glichen Statuen.

Parker schritt vorsichtig näher und merkte, daß die Augen der vier Personen – es handelte sich um eine Frau und drei Männer – leer und ohne jeden Ausdruck waren.

*

Als Josuah Parker zum Telefonapparat gehen wollte, der an der Wand befestigt war, merkte er, daß er beobachtet wurde.

Er ließ sich natürlich nichts anmerken und bewegte sich nach wie vor mit jener Gemessenheit, die ihn stets und in allen Lebenslagen auszeichnete. Ihm war eine kleine Unregelmäßigkeit auf dem Abtropfbrett des Spülbeckens aufgefallen. Dort hatte sich seiner Ansicht nach gerade ein Teller bewegt.

Diese Tatsache war schockierend für ihn.

Wie hatte der Teller sich bewegen können? Wer hatte das getan? Wie war das bewerkstelligt worden? Parker stand inzwischen vor dem Wandapparat und hob die Hörmuschel vom Haken. Und dann, ohne jede Vorwarnung und sehr schnell, hatte er bereits seine schwarze Melone in der Hand und schleuderte sie wie einen Diskus aus dem Gelenk zum Spülbecken.

Das Resultat war frappierend.

Er hörte so etwas wie einen Kiekser und sah, wie die Teller sich erneut bewegten und dann Kurs auf ihn nahmen. Sie lösten sich der Reihe nach von dem Abtropfbrett und segelten direkt auf ihn zu, einer nach dem anderen.

Josuah Parker empfand das als einen Angriff auf seine Person, konnte im Moment allerdings nichts dagegen unternehmen. Er ging erst mal in die Knie und ließ die Teller über sich an der Wand zerschellen. .Er war ehrlich bestürzt, konnte sich diese fliegenden Untertassen aber physikalisch nicht erklären. Es handelte sich nämlich inzwischen durchaus um Untertassen, da die Teller ausgegangen waren.

Ein wenig außer Atem erreichte Parker das Freie.

Das hing nicht mit einer körperlichen Anstrengung, sondern mit seiner seelischen Erschütterung zusammen. Er starrte auf die Tür, die er sicherheitshalber höflich hinter sich geschlossen hatte, hörte noch einige Untertassen, die an der Wand landeten, und dann herrschte Stille.

Josuah Parker war noch immer sehr beeindruckt.

Er tat darum etwas, was er seit langer Zeit nicht mehr getan hatte. Er zündete sich eine seiner schwarzen Torpedos an. Es handelte sich dabei um handgefertigte Zigarren, die er bevorzugte. Sie bestanden aus einem delikaten Tabak, wenigstens war das seine persönliche Meinung. Seine Mitmenschen dachten anders darüber und nannten diese Zigarren ein Kraut, mit dem man Insekten vertilgte. Parker hatte gerade solch einen schwarzen Torpedo entflammt, als sich die Tür des Farmhauses öffnete.

Parker wunderte sich schon nicht mehr darüber, keinen Menschen zu sehen. Doch genau in diesem Augenblick zeigte sich seine Klasse und erwies sich seine Überlegenheit. Er blies den Rauch der Zigarre in die Richtung, in der er seine unsichtbaren Tellerwerfer vermutete und hoffte auf ein Resultat.

Es zeigte sich spontan.

Aus dem Nichts heraus war plötzlich ein mittelschwerer Hustenanfall zu vernehmen, der in ein würgendes Krächzen überging. Der schwere Rauch schien zumindest so etwas wie menschliche Lungen getroffen zu haben. In der nächsten Sekunde erfolgte ein asthmatisches Keuchen, und dann ereignete sich etwas sehr Eigenartiges.

Für einen Moment sah Parker so etwas wie zwei Schemen vor sich, fließende Linien und Konturen, die sich materialisierten, dann wieder verschwanden und neu auszumachen waren. Dieser Vorgang dauerte nur wenige Sekunden, doch die Zeit reichte aus, um zwei menschenähnliche Gestalten zu erkennen.

Dann war dieser seltsame und unheimliche Spuk auch schon vorüber. Das Husten entfernte sich, wurde schwächer und war bald nicht mehr zu hören. Parker wartete noch einen Moment, blies zusätzlich und sicherheitshalber einige Rauchportionen in die Luft und näherte sich dann wieder der Tür.

Als er in die Wohnküche schaute, waren die vier Personen dabei, ihre Teepause fortzusetzen. Sie sahen den eintretenden Butler gelassen und erwartungsvoll an.

»Ich erlaube mir, einen besonders schönen Tag zu wünschen«, grüßte der Butler, als sei überhaupt nichts geschehen.

Sie grüßten zurück und fanden auch, daß der Tag recht schön sei. Sie waren wieder Geschöpfe aus Fleisch und Blut, die sich ein wenig über ihr zerschmettertes Porzellan und Geschirr wunderten.

*

»Ich will genau wissen, was Sie gesehen haben«, sagte Agatha Simpson, während ihre kleinen Augen vor Neugier funkelten. Man saß wieder im Hubschrauber und flog weiter nach Thurso.

Die beiden kleeblattsuchenden Piloten hatten zu ihrer gewohnten Aktivität zurückgefunden, als sei überhaupt nichts passiert. Der Helikopter befand sich seit einigen Minuten in der Luft. Einen Zwischenaufenthalt auf der Wiese schien es nie gegeben zu haben.

»Mylady werden meine bescheidene Wenigkeit für ein wenig verwirrt halten«, beugte Parker vor.

»Das sowieso«, bekam er zur Antwort. »Zieren Sie sich nicht länger! Wie haben diese Wesen ausgesehen?«

»Schemenhaft«, erinnerte sich Parker vorsichtig.

»Und weiter? Wie groß waren sie?«

»Möglicherweise hundert Zentimeter, Mylady, vielleicht aber auch ein wenig größer.«

»Und wie waren sie gekleidet?«

»Das ließ sich leider nicht feststellen, Mylady, darf ich daran erinnern, daß ich nur einige Konturen zu erkennen vermochte.«

»Und welche Gesichter hatten diese Wesen?«

»Auch in dieser Hinsicht muß ich leider bedauern, Mylady.«

»Auf Sie kann man sich aber auch gar nicht verlassen«, ärgerte sich Agatha Simpson, »aber diese Männchen waren vorher nicht zu sehen?«

»Durchaus nicht, Mylady.«

»Sie waren unsichtbar?«

»Das würde ich wahrscheinlich sogar auf einen Eid nehmen, Mylady.«

»Und was sagen Sie nun dazu, Mr. Parker? Ich verlange eine Erklärung!«

»Mylady sehen mich außerstande, dazu Stellung zu nehmen.«

»Dann weiß ich Bescheid.« Agatha Simpson nickte nachdrücklich und stieß Kathy Porter erregt und freudig mit ihrem Ellbogen in die Seite. »Ahnen Sie es schon, Kindchen?«

»Nein, Mylady«, bedauerte Kathy Porter zurückhaltend wie immer.

»Sie haben überhaupt keine Phantasie«, beschwerte sich die resolute Dame. »Wir haben es mit Marsmännchen zu tun!«

»Wie, bitte?« Parker schluckte und sah seine Herrin aus leicht geweiteten Augen vorsichtig an.

»Mit Marsmännchen«, wiederholte Agatha Simpson nachdrücklich, »das liegt doch auf der Hand. Und ich werde Ihnen noch etwas sagen. Diese kleinen Männchen werden grün sein, wenn wir sie erst mal richtig beobachten können. Sie werden grün sein!«

»Die Natur ist voller Geheimnisse, Mylady.« Mehr wagte Parker dazu nicht zu sagen.

»Wir haben es mit den kleinen grünen Männchen vom Mars zu tun«, faßte die Detektivin noch mal gründlich zusammen, »kommen Sie mir nur ja nicht mit der Behauptung, so etwas könne es gar nicht geben. Das Gegenteil ist zumindest noch nicht bewiesen worden, nicht wahr?«

»Allerdings, Mylady.«

»Dann kann sie es auch geben«, schlußfolgerte die ältere Dame triumphierend. »Ahnen Sie überhaupt, auf was wir da gestoßen sind?«

»Auf kleine grüne Männchen vom Mars?« Kathy Porter war so leichtsinnig, den Kopf zu schütteln.

»Natürlich«, erwiderte die Lady gereizt, »die ganze Science-fiction-Literatur ist voll davon. Warum sollen diese Männchen nicht herunter auf die Erde gekommen sein?«

»Um Porzellanwaren zu zerschmeißen, Mylady?« Kathy Porter gluckste leichtsinnigerweise vor Lachen auf.

»Sie benehmen sich sehr unreif«, tadelte Agatha Simpson prompt. »Natürlich wollen sie nicht nur Geschirr mißhandeln, Kindchen. Sie wollen sich die Atom-Versuchsstation ansehen. Für mich liegt das klar auf der Hand.«

Nach diesem Statement räkelte die Detektivin sich bequem in ihrem Sitz zurecht und erinnerte an eine majestätische Glucke. Für sie war hiermit alles geklärt. Parker und Kathy Porter tauschten einen Blick. Für sie reichte diese pauschale Erklärung keineswegs. Um sich jedoch nicht den Unwillen der Herrin zuzuziehen, schwiegen sie bis zur Landung in Thurso.

Der Helikopter setzte in einiger Entfernung vom Abfertigungsgebäude auf. Über Sprechfunk waren bereits die zuständigen Behörden informiert worden. Zwei Streifenwagen der Polizei jagten auf den Hubschrauber zu.

»Ich werde Ihnen einen guten Rat geben«, sagte Agatha Simpson zu ihrem Butler. »Von den kleinen, grünen Männchen würde ich an Ihrer Stelle nichts sagen, Mr. Parker. Unter Umständen könnten Sie in einer Gummizelle landen.«

*

»Peter B. Morgan«, stellte sich der unauffällig aussehende Mann vor der von Josuah Parker angemeldet worden war. »Darf ich Mylady unter vier Augen sprechen?«

»Unter acht«, sagte die ältere Dame. »Stehen Sie nicht so herum, setzen Sie sich schon!«

»Peter B. Morgan«, wiederholte der Mann noch mal und drehte seinen Hut nervös in den Händen. »Ich komme vom Innenministerium, Mylady.«

»Dafür können Sie ja nichts«, meinte Agatha Simpson aufgeräumt. »Wollen Sie Wurzeln schlagen?«

Man befand sich im »Nordmeer«, einem sehr netten, nicht zu großen Seehotel hart an der Küste, in der Nähe des Fischereihafens. Parker hatte hier bereits telefonisch Quartier gemacht. Lady Simpson bewohnte zwei Räume mit Blick auf die See. Parker und Kathy Porter hatten Zimmer auf der gegenüberliegenden Seite des schmalen Korridors. Im Moment hielten sie sich in Agatha Simpsons Räumen auf, was Peter B. Morgan sichtlich irritierte.

»Ich bin nicht befugt, Mylady, über den mir gesteckten Rahmen hinaus...«

»Papperlapapp«, schnauzte die Sechzigjährige ihren Besucher an. »Reden Sie wie ein vernünftiger Mensch! Kopieren Sie nicht ungewollt meinen Butler! Was haben Sie mir zu sagen?«

»Mylady«, wandte sich Peter B. Morgan an seine Gesprächspartnerin.

»Kommen Sie in zehn Minuten noch mal wieder«, entschied Agatha Simpson grimmig und schnitt ihm das Wort ab. »Telefonieren Sie mit Ihrem Innenministerium und verlangen Sie Sir Gerald zu sprechen! Teilen Sie ihm mit, daß ich diese Unterredung nur in Anwesenheit von Mr. Parker und Miß Porter führen werde! Worauf warten Sie noch, junger Mann?«

»Mylady haben bei Sir Gerald die gegenwärtige Adresse hinterlassen?« Parker sah seine Herrin an. Peter B. Morgan sauste inzwischen bereits aus dem Zimmer und warf Agatha Simpson von der Tür her einen fast ängstlichen Blick zu.

»Natürlich«, beantwortete Agatha Simpson Parkers Frage, »ich wußte doch schon in London, daß wir es mit Außerirdischen zu tun haben würden.«

Sie sagte das mit solch einer Selbstverständlichkeit, daß sowohl Parker als auch Kathy Porter verstohlen schluckten.

»Sie sehen, daß ich recht habe«, redete die Detektivin sichtlich zufrieden weiter. »Sir Gerald scheint meiner Ansicht zu sein, sonst hätte er mir diesen jungen Mann nicht auf den Hals geschickt. Scheint übrigens ein ziemlicher Tölpel zu sein.«

Der Tölpel kam schon nach wenigen Minuten zurück, pochte sehr höflich an und wurde von Agatha Simpson in Gnaden aufgenommen.

»Ich wußte nicht, daß Mr. Parker und Miß Porter ...«

»Entschuldigen Sie sich später«, drängte Lady Simpson, »was haben Sie uns zu berichten, junger Mann? Sie dürfen sich immer noch setzen.«

Peter B. Morgan entpuppte sich schon nach wenigen Minuten als ein gut informierter Beamter. Er berichtete von einem Lastwagenfahrer namens Melness, von einem Bankfilialleiter Owen Carn und einem Kaufmann Shepherd. Er hatte noch mehr zu bieten. Er wußte zu erzählen von völlig irritierten Fischkutterkapitänen, deren Kompasse nicht mehr funktioniert hatten, und von plötzlich auftretenden Nebelbänken, die dicht und dick wie Brei waren.

»Und was folgert das Innenministerium daraus?« fragte Agatha Simpson.

»Es steht vor einem Rätsel, Mylady.«

»Donnerwetter, das also hat man schon herausgefunden«, höhnte die Sechzigjährige.

»Man bemüht sich behördlicherseits, diese erstaunlichen Dinge zu klären. Dazu gehört ja jetzt auch diese eigenartige Zwischenlandung des Hubschraubers, nicht wahr?«

»Hat Ihre Behörde wenigstens eine brauchbare Theorie?«

»Experten arbeiten zur Zeit daran«, sagte Peter B. Morgan, »aber die Meinungen gehen auseinander.«

»Nämlich, junger Mann?« Lady Simpsons ausgeprägtes Adele-Sandrock-Organ vibrierte vor Spannung.

»Sie reichen vom Ulk bis hin zum Auftauchen gegnerischer Agenten. Mylady.«

»Seit wann weiß man von diesen Dingen?« schaltete sich jetzt Butler Parker gemessen ein.

»Seit gut anderthalb Wochen, Sir«, lautete die Antwort Peter B. Morgans. »Diese eigenartigen Beobachtungen wurden hier entlang der Nordküste gemacht. Sie reichen von Thurso bis nach Durness. Wenn ich in diesem Zusammenhang vielleicht auf Professor Leslie Toycraft hinweisen darf, Mylady. Professor Toycraft gilt als ein exzentrischer Erfinder, der angeblich mit Wunderstrahlen experimentiert. Sir Gerald bittet Mylady, diesem Professor einen Besuch abzustatten. Sir Gerald ist der Ansicht, daß Mylady es vielleicht gelingt, vorgelassen zu werden.«

*

»Ich brauche jetzt einen Kreislaufbeschleuniger«, sagte Agatha Simpson, nachdem Peter B. Morgan gegangen war.

Josuah Parker wußte aus Erfahrung wonach Mylady gelüstete. Er öffnete die Reisetasche, holte einen lederumkleideten Krug hervor und füllte daraus einen silbernen Reisebecher mit altem französischen Kognak.

»Nach diesem hahnebüchenen Unsinn leide ich stets unter der gerade herrschenden Witterung«, beklagte sich die Detektivin grimmig und kippte äußerst gekonnt den Kreislaufbeschleuniger hinunter. Danach wirkte sie wesentlich friedlicher und schaute ihren Butler erwartungsvoll an. »Was sagen denn Sie dazu? Ich bitte um Ihre Stellungnahme, Mr. Parker!«

»Der Hinweis auf besagte Wunderstrahlen hört sich zumindest interessant an«, räumte Parker ein.

»Horrender Blödsinn«, entschied Agatha Simpson. »Warum wollen diese Schwachköpfe im Innenministerium nicht einsehen, daß wir es mit Wesen vom Mars zu tun haben?«

»Diese ungewöhnliche Vorstellung müßte sich vielleicht erst noch durchsetzen, Mylady.«

»Wunderstrahlen, wenn ich das nur höre!« Agatha Simpson verlangte nach einem zweiten Kreislaufbeschleuniger. »Wenn sie einer besitzt, dann die kleinen, grünen Männchen vom Mars.«

»Sehr wohl, Mylady.«

»Die Vorfälle, die uns dieser Schwachkopf erzählt hat, sind doch unerklärbar, oder?«

»Im Augenblick sieht es so aus, Mylady.«

»Sie glauben nicht an die Marsmenschen, Mr. Parker?« Agatha Simpson sah ihn streng an.

»Nicht unmittelbar und direkt, wenn ich es so ausdrücken darf, Mylady.«

»Sie werden sich noch wundern, Mr. Parker. Und wie sieht Ihre Theorie aus? Ich darf doch wohl sehr hoffen, daß Sie eine vorzuweisen haben, oder? «

»Wie die berichteten Dinge geschehen, vermag ich im Moment nicht zu sagen, Mylady, doch möchte ich davon ausgehen, daß sie das Vorspiel zu einem besonders raffinierten Gangsterstück sein dürften.«

»Aha! Und was wollen diese Gangster hier oben erbeuten? Eine lächerliche Bankfiliale ausnehmen? Oder Seefische rauben?«

»Man sollte sich wohl in der Tat ein wenig um die Atom-Versuchsstation kümmern, .«

»Soweit pflichten Sie mir also bei?«

»Ich bin so kühn, Mylady.«

»Wenigstens etwas«, stellte die resolute Dame zufrieden fest. »Und an die Marsmenschen werden Sie auch noch glauben, verlassen Sie sich darauf. Was werden wir also unternehmen?«

»Falls Mylady einverstanden sind, werde ich einen Mietwagen besorgen, um ein wenig unabhängiger zu sein.«

»Einen Jeep und eine Limousine«, entschied die ältere Dame. »Ich werde mich jetzt aufs Ohr legen. Der Flug hat mich angestrengt. Kindchen, Sie können sich auch ein wenig die Füße vertreten. Vergessen Sie dabei aber nicht, die Augen offenzuhalten!«

Agatha Simpson stieg aus ihrem derben Tweedkostüm, streifte sich einen bequemen Ankleidemantel über und legte sich aufs Bett. Natürlich hatte der Flug sie überhaupt nicht angestrengt. Sie wollte nur allein sein, um sich die Dinge noch mal in aller Ruhe durch den Kopf gehen zu lassen.

Sie war sicher, einer echten Sensation auf der Spur zu sein. Diese Tatsachen waren fast zu einmalig und zu gut für einen Bestseller. Die Erde wurde also doch von Außerirdischen besucht, daran zweifelte sie nicht länger.

Behauptungen dieser Art waren im Lauf der Jahre immer wieder laut geworden, die Propheten dieser Meinung aber waren stets verlacht worden. So sollte es zum Beispiel keine Ufos geben. Lady Agatha war da allerdings erheblich anderer Meinung. Schon wegen der unvorstellbaren Entfernungen im All sollte es Außerirdischen unmöglich sein, der Erde einen Besuch abzustatten. Agatha Simpson fand diese Behauptung ihrerseits lächerlich. Die Menschen dachten eben nur in Begriffen, die ihnen selbstverständlich waren. Sie konnten sich wohl überhaupt nicht vorstellen, daß es Techniken und Möglichkeiten gab, die mit dieser irdischen Welt nichts zu tun hatten.

Agatha Simpson besaß Phantasie und Optimismus. Sie hoffte, schon recht bald Kontakt mit den kleinen, grünen Männchen herstellen zu können. Sie war bereit, sie vorurteilslos zu empfangen, an ihr sollte es nicht liegen.

Sie nickte ein wenig ein und versäumte so, ihre Vorurteilslosigkeit beweisen zu können. Von der Veranda her betrat nämlich ein seltsam anzuschauendes Wesen ihr Zimmer und ließ sich am Fußende des Bettes nieder.

*

Kathy Porter hatte ihre Badesachen mitgenommen und war zum Strand gegangen.

Nicht weit vom Fischereihafen entfernt hatte sie ein ruhiges und beschauliches Fleckchen Erde entdeckt, das von der Kleinstadt aus nicht eingesehen werden konnte. Baden konnte sie hier allerdings nicht, dazu war die Brandung doch zu heftig. Aber sie lag im warmen Sand der Vorklippen auf dem Bauch und genoß die Wärme der spätsommerlichen Sonne.

Kathy zuckte unwillkürlich zusammen, als plötzlich ein kleiner Gegenstand auf ihrem Rücken landete, wahrscheinlich ein Stein, den irgend jemand nach ihr geworfen hatte.

Sie richtete sich auf, schaute sich nach allen Seiten um und ließ sich wieder nieder. Eigenartigerweise dachte sie sofort an die Männchen, von denen Lady Agatha gesprochen hatte. Die Bemerkungen der älteren Dame hatten sich ihr eingeprägt.

Sofort richtete sie sich wieder auf und fühlte sich zwischen den Klippen unbehaglich. Sie kam sich einsam und verloren vor. Wenn hier etwas passierte, würde man weit und breit nichts hören. Sie griff nach ihren Jeans und ihrer Bluse, wollte sich ankleiden und sah sich dann zwei Männern gegenüber, die eindeutig nicht vom Mars stammten.

Sie machten bereits auf den ersten Blick hin einen recht unangenehmen Eindruck, waren von durchschnittlicher Größe, vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt und hatten freche Augen in rohen Gesichtern. Sie hatten sich ziemlich nahe an sie herangepirscht und aufgestellt. Sie benutzten ihre Blicke, um Kathy den knapp sitzenden Bikini auszuziehen.

Agatha Simpsons Gesellschafterin hatte sich inzwischen wieder beruhigt. Da sie es nicht mit kleinen grünen Männchen zu tun hatte, brauchte sie kaum Angst zu haben.

»Hallo, Süße«, grüßte der kompaktere der beiden Männer vertraulich und grinste.

»Wie wär’s denn mit ’nem kleinen Picknick?« fragte der zweite Mann. Er stieg über einen abgeschliffenen Felsen und kam langsam auf Kathy zu.

Sie machte keineswegs einen mutigen Eindruck und erinnerte an ein sehr scheues und ängstliches Reh. Als sie zurückwich, fühlten die beiden Helden sich ermuntert und rückten Kathy noch näher auf den Leib.

»So jung kommen wir doch nie wieder zusammen«, meinte der erste Mann jetzt.

»Hier sind wir doch ganz unter uns«, erinnerte der zweite Mann, »kein Mensch kann uns sehen oder hören.«

»Was wollen Sie von mir?« Kathy Porter konnte nicht mehr weiter zurück. Ihr Rücken berührte bereits einen riesigen Steinwürfel.

»Wirst du gleich sehen«, lautete die Antwort des ersten Mannes.

»Kommst du in der Verpackung nicht um vor Hitze?« erkundigte sich der zweite Mann grinsend, »mach’s dir doch bequem, und zwar schnell!«

Zur Unterstreichung seiner Worte zog er plötzlich ein Messer und fuhr damit gespielt auf Kathy los, die einen leisen Schrei ausstieß. Sie starrte entsetzt auf die Klinge und schien vor Angst umzukommen.

»Mach’ schon«, redete der Mann weiter, »Oder hast du etwa Angst vor uns?«

Nein, Angst hatte Kathy gewiß nicht. Und das sollten die beiden Rowdys bald erfahren. Ohne jede Vorankündigung riß Kathy plötzlich ihr rechtes Bein hoch und traf mit der Fußkante das Handgelenk des überraschten Mannes.

Butler Parker 115 – Kriminalroman

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