Читать книгу Butler Parker 147 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3

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»Natürlich kannst du offen reden, Louise«, sagte Agatha Simpson unwirsch, »rede nur gefälligst keinen Unsinn. Mr. Parker ist mein zweites Ich, oder so. Du weißt schon, was ich meine.«

Louise Lancing sah zu Josuah Parker hinüber, der unbeweglich und steif, als habe er einen Ladestock verschluckt, hinter dem Plüschsessel Stellung bezogen hatte, in dem Lady Agatha saß.

»Ich geniere mich eigentlich«, zierte sich die Frau wie ein verschämtes Mädchen, obwohl sie weit über sechzig sein mußte. Sie war groß, hager und hatte weißes Haar.

»Meine bescheidene Wenigkeit kann und wird sich selbstverständlich umgehend zurückziehen«, ließ der Butler sich vernehmen.

»Sie werden bleiben, Mr. Parker, oder wir beide gehen gemeinsam«, entschied Lady Agatha. »Du kannst mir doch nicht einreden, Louise, daß du mir einen Seitensprung beichten willst, oder?«

»Natürlich nicht.« Louise Lancing holte tief Luft und nickte zögernd. Sie griff hastig nach dem Portweinglas und nahm einen mehr als damenhaften Schluck. »Nun gut, aber ich möchte nicht, daß man über mich lacht, meine Liebe.«

»Das kann ich nicht versprechen, Louise«, antwortete Lady Agatha ungehalten, »keine Vorbedingungen, wenn ich bitten darf.«

»Ich... Ich hatte in der vergangenen Nacht eine seltsame Erscheinung«, begann Louise Lancing, »und ich weiß sicher, daß ich nicht geträumt habe.«

»Das werde ich entscheiden«, unterbrach Agatha Simpson ihre Freundin.

»Ich komme mir eigentlich albern vor, Agatha.«

»Du bist albern, wenn du nicht endlich zur Sache kommst«, herrschte die Lady ihr Gegenüber an, »du hattest also eine Erscheinung? War sie jung und hübsch?«

Lady Agatha Simpson, um die sechzig Jahre alt, groß, von junonischer Fülle, war eine imponierend aussehende Dame der besten Gesellschaft und für ihre Ungeniertheit geradezu berüchtigt. Sie war nach einem telefonischen Anruf am Morgen zusammen mit Butler Parker ins nahe Mayfair gefahren, da sie wieder mal eine hübsche Abwechslung witterte.

»Sie war weder jung noch hübsch, diese Erscheinung«, antwortete Louise Lancing und griff nach dem Sherryglas, »diese Erscheinung war scheußlich, Agatha. Das Blut gefror mir in den Adern.«

»Handelte es sich, wenn man höflichst fragen darf, um eine quasi menschliche Erscheinung?« schaltete Josuah Parker sich ein. Er war ein Mann undefinierbaren Alters, das Urbild des hochherrschaftlich englischen Butlers. Josuah Parker trug unter seinem schwarzen Covercoat einen schwarzen Zweireiher, dazu Melone und einen altväterlichen gebundenen Regenschirm. Ein schneeweißer Eckkragen und ein schwarzer Binder vervollständigten den Gesamteindruck.

»Keine menschliche Erscheinung?« Lady Simpson, die passionierte Detektivin, verzog das Gesicht. »Ist dir ein Geist erschienen, meine Liebe?«

»Eine Schlange«, kam leise und zögernd die Antwort.

»Wir leben hier in London nicht im Paradies«, stellte Agatha Simpson fest. Sie hatte sich eine kleine Sensation von diesem Besuch versprochen und war nun mehr als enttäuscht.

»Es war eine Schlange«, wiederholte Louise Lancing mit etwas festerer Stimme, »und ich habe sie ganz deutlich gesehen.«

»Was halte ich davon, Mr. Parker?« Die Lady wandte sich ihrem Butler zu.

»Mylady erkundigen sich mit Sicherheit nach der Größe und dem Aussehen des erwähnten Reptils«, lautete Parkers höfliche und gemessene Antwort.

»Natürlich werde ich das tun«, nahm Agatha Simpson diese Anregung sofort auf und drehte sich wieder zu ihrer Freundin, »also, Louise, wie sah dieses Biest aus?«

»Es war schrecklich lang und dick wie ein Oberschenkel.« Louise Lancing flüsterte fast nur noch und warf einige mißtrauische Blicke in den Salon ihres Hauses, in dem der rote Plüsch Orgien feierte.

»Könnten Mylady möglicherweise mit ungefähren Längenangaben dienen?« fragte Parker die Dame des

Hauses.

»Sie war mindestens vier oder fünf Meter lang, diese Schlange«, schätzte Louise Lancing und schaute sich wieder ängstlich um, »noch einmal, Agatha, ich habe sie deutlich gesehen! Sie kam durch das Fenster und kroch dann am Fußende des Betts entlang...« »Was hattest du vor dem Schlafengehen getrunken?« wollte die Detektivin sachlich und ungeniert wissen.

»Nur wenig Milch mit Rum«, gestand Louise Lancing, »wenn du mich nicht ernst nimmst, brauchen wir uns nicht länger zu unterhalten.«

»Könnte es sich nach Lage der Dinge möglicherweise um eine sogenannte Boa constrictor gehandelt haben, Mylady?« fragte Josuah Parker.

»Natürlich, so etwas war es, Mr. Parker«, antwortete Louise Lancing fast dankbar, »diese Schlangen kenne ich vom Zoo und von Filmen her. Doch, es muß eine Boa gewesen sein.«

»Und sie kam einfach durchs Fenster!« Lady Simpson schüttelte ablehnend den Kopf. »Wieso bist du gerade in diesem Moment aufgewacht?«

»Ich hatte draußen auf dem Balkon n Geräusch gehört, Agatha«, erzählte e Dame des Hauses weiter, »ja... und dann sah ich sie. Es war schrecklich! Das Blut gefror mir in den Adern.«

»Das sagtest du schon, meine Liebe, und wo ist das Biest geblieben?«

»Das eben weiß ich nicht«, antwortete Louise Lancing, »ob es noch im Haus t? Deshalb habe ich dich doch angerufen.«

»Das sagst du erst jetzt!?« Agatha Simpson stieß einen baritonal gefärbten Schrei aus und bemühte sich dann ein wenig umständlich... auf den Sesse1. Sie raffte den langen Rock ihres Tweed-Kostüms um die Beine, die sie auf diese Art in Sicherheit brachte, dann wandte sie sich an Josuah Parker und deutete mit der ausgestreckten Hand ins Zimmer.

»Mylady hegen Wünsche?« erkundigte sich der Butler.

»Nun tun Sie doch endlich etwas«, verlangte Agatha Simpson, während Louise Lancing ebenfalls auf einen Sessel stieg und ihre Beine in Sicherheit brachte. »Ich wünsche nicht, von dieser Boa belästigt zu werden.«

*

»Von einer Boa war natürlich weit und breit nichts zu sehen, oder?« erkundigte sich Anwalt Mike Rander eine Stunde später. Er hatte dem Bericht des Butlers amüsiert zugehört.

»Das Reptil dürfte sich während der Nachtstunden bereits wieder entfernt haben, Sir«, meinte Josuah Parker, »ich möchte betonen, daß meine Wenigkeit das Haus der Lady Lancing genau durchsuchte.«

»Und Lady Agatha stand auf einem Sessel?« Mike Randers Gesicht zeigte ein verschmitztes Lachen.

»Nur für etwa zehn Minuten, Sir, danach brachten Mylady und die Dame des Hauses sich in der Küche in Sicherheit.«

»Warum hat die Frau in der Nacht nicht sofort die Polizei angerufen?«

»Lady Lancing nahm davon Abstand, den schützenden Raum, in den die Dame sich geflüchtet hatte, zu verlassen, Sir. Da dort, im Bad, kein Telefon installiert ist, konnte Lady Lancing keine Hilfe herbeirufen. Am Morgen dann fürchtete die Dame des Hauses den Spott der Behörden und wandte sich an Lady Simpson.«

»Was halten Sie von dieser ganzen Story?« wollte der Anwalt wissen. Mike Rander erinnerte, was Aussehen und Statur betraf, an einen Schauspieler, der sich auf die Darstellung des James Bond spezialisiert hatte. Seine britische Lässigkeit, die man leicht mit einem gewissen Phlegma verwechseln konnte, kontrastierte zu dem stets beherrschten Josuah Parker.

Mike Rander, für den Parker vor Jahren bereits als Butler gearbeitet hatte, war nach längerem Aufenthalt in den USA nach London zurückgekehrt und von Lady Simpson, seiner mütterlichen Freundin, sofort wieder vereinnahmt worden. Mike Randers Anwaltskanzlei befand sich in der Curzon Street. Als Verwalter des immensen Vermögens der Lady Simpson besaß der Vierzigjährige die besten Eigenschaften.

»Sie zögern mit einer Antwort?« wunderte sich Mike Rander, als Parker nicht sofort antwortete.

»Lady Lancing machte auf meine bescheidene Wenigkeit nicht den Eindruck einer Dame, die unter Halluzinationen leidet«, gab Butler Parker gemessen zurück.

»Eine Boa, die nachts in ein Schlafzimmer kriecht, Parker! Ich möchte Sie doch bitten!« Mike Rander schmunzelte.

»Darf ich an gewisse Fälle erinnern, Sir, in denen gerade Schlangen eine wichtige Rolle spielten?« fragte Parker. »Gewisse Kriminelle arbeiten recht gern mit Reptilien, da sie sicher sein können und dürfen, daß damit Paniken und Nervenzusammenbrüche ausgelöst werden.«

»Die Urangst des Menschen vor der Schlange, wie?« Rander zuckte die Achseln.

»Möglicherweise ist diese Angst auch nur anerzogen, Sir.«

»Wie auch immer, Parker. Warum sollte man Lady Simpsons Freundin eine Boa ins Haus geschickt haben? Und falls ja, wie ist das Biest wieder rausgekommen?«

»Lady Lancing wurden bisher noch nicht mit Geldforderungen bedacht, wenn ich darauf hin weisen darf, Sir.«

»Was nicht ist, kann schließlich noch werden. Lady Lancing ist eine reiche Frau.«

»Man sollte vielleicht einen ersten Kontakt mit Chief-Superintendent McWarden aufnehmen«, schlug der Butler vor, »es könnte durchaus sein, daß die Polizei bereits ähnliche Beobachtungen gemacht hat.«

»Sollte man tun, Parker. Nehmen Sie das in die Hand, Sie haben einen guten Draht zu McWarden und...«

Mike Rander sprach seinen Satz nicht zu Ende und sah zur Tür der Bibliothek, die gerade geöffnet wurde. Kathy Porter trat ein, Lady Simpsons Gesellschafterin und Sekretärin. Sie war etwa achtundzwanzig, schlank, etwas über mittelgroß und hatte ein exotisch geschnittenes Gesicht. Ihr Haar war kastanienbraun mit einem gewissen Rotstich. Kathy Porter war eine rassige Erscheinung, schien dies aber keineswegs zu wissen. Auf den ersten Blick vermutete man ein recht scheues Reh, doch dieses Reh konnte sich in Sekunden in eine wilde Pantherkatze verwandeln.

»Ich muß stören«, sagte Kathy Porter und hielt einen braunen Umschlag hoch, »das hier ist mit der Morgenpost gekommen. Ich finde, daß es sich nicht mehr um einen bösen Scherz handelt.«

»Um was geht es denn?« Mike Rander ging der jungen Dame entgegen und nahm den Umschlag in die Hand. Er zog einen Bogen Papier hervor, dann ein Foto, das mit einer Polaroidkamera aufgenommen worden war.

Auf dem Bild war der mächtige dreieckige Kopf einer Boa zu sehen, die gerade eine weiße Laborratte verschlang. Es war kein schöner Anblick!

*

Kenneth Coldy bewohnte in Harrow einen kleinen Landsitz, der von einer hohen Hecke umgeben wurde. Der etwa fünfzigjährige, mittelgroße, bekannte Makler hatte Büros in der City von London. Coldy war Junggeselle aus Neigung, verließ am frühen Morgen sein Haus und ging zur Doppelgarage, die in einem ehemaligen Kutscherhaus eingerichtet war. Der Mann, der Golf spielte und die Jagd liebte, machte einen vorsichtigen, fast nervös-ängstlichen Eindruck. Seine Haushälterin, die ihn beobachtete, nahm mit Staunen zur Kenntnis, daß Coldy auf den üblichen Weg verzichtete, der an einem hohen Strauch vorbeiführte. Kenneth Coldy beschrieb einen weiten Bogen und blieb einen Moment vor der geschlossenen Garage stehen. Er schaute sich nach allen Seiten um, bevor er sich bückte und die Verriegelung aufsperrte.

Nachdem er das Schwingtor hochgedrückt hatte, betrat er fast zögernd den dunklen Raum und eilte zum Lichtschalter. Er wollte so schnell wie möglich in seinen Wagen steigen und die Tür hinter sich zuschlagen. Es gab da einige Dinge, die ihn mißtrauisch gemacht hatten, Dinge, über die er weder mit seiner Haushälterin noch mit seinen Angestellten sprechen konnte.

Als das Licht brannte, atmete der dann erleichtert auf. Die Garage schien unverdächtig, alles in bester Ordnung uu sein. Er ging schnell zu seiner Rover-Limousine, setzte sich ans Steuer und sorgte erst mal dafür, daß die Tür versiegelt wurde. Dann griff er nach dem Lederetui, in dem sich der Zündschlüssel befand und... hörte plötzlich hinter sich ein Geräusch, das ihn lähmte. Coldy blieb unbeweglich sitzen, spürte aber, daß von seiner Stirn augenblicklich Schweißtropfen perlten.

Sekunden später passierte es dann...

Über seinen Kopf hinweg schlang sich ein armdicker, schlauchartiger Gegenstand zielsicher um seinen Hals. Kenneth Coldy schrie auf, griff automaisch nach diesem Gegenstand und hörte dann ein fast giftiges Zischen. Rasend schnell wurde der eben noch etwas schlaffe Schlauch hart und würgte ihn. Coldy brüllte und krallte seine Finder in diesen immer härter werdenden Ring, der ihm den Atem nahm. Der Mann keuchte, warf sich zur Seite, riß und zerrte an diesem Gegenstand und hörte das fortwährende Zischen hinter sich. Wenig später schwanden ihm die Sinne. Er wurde ohnmächtig, seine Hände lösten sich von dem Gebilde, das ihn gewürgt hatte. Kenneth Coldy rutschte über das Schaltgestänge seines Wagens und blieb regungslos liegen.

Wie lange er gelegen hatte, konnte ihm später erst die Haushälterin sagen. Es waren fast zehn Minuten gewesen. Coldy hörte im Erwachen aus seiner Bewußtlosigkeit ein forderndes, hartes Pochen gegen die Scheibe, öffnete zögernd die Augen und holte dann hechelnd Luft. Er griff nach seinem Hals, erinnerte sich plötzlich, was passiert war, richtete sich auf und brauchte wertvolle Zeit, bis er endlich den Türverschluß öffnen konnte. Coldy fiel förmlich aus dem Wagen, kollerte auf den Zementboden der Garage und schmetterte dann die Tür zurück ins Schloß.

»Sir, was ist passiert?« fragte die Haushälterin, eine ältere, derbe Frau, die sich um ihn bemühte.

»Weg, nichts wie raus«, stieß der Makler mit heiserer Stimme hervor, »schnell, Mrs. Neiler!«

Er kümmerte sich nicht weiter um sie, raffte sich auf und stolperte zum Ausgang. Als er das Freie erreichte, knickten seine Beine ein, er fiel auf die Knie, drückte sich mit den Handflächen vom Kies ab und lief weiter. Erst vor der Haustür blieb er stehen und sah sich nach seinem dienstbaren Geist um.

»Was ist denn, Sir?« fragte Rose Neiler, die ihm folgte.

»Nichts, Mrs. Neiler, nichts«, behauptete Kenneth Coldy, »schnell ins Haus! Schließen Sie ab, legen Sie die Kette vor!«

»Sind Sie angegriffen worden?« Rose Neiler war nicht ängstlich.

»Abschließen, abschließen, beeilen Sie sich doch! Alle Fenster zu!«

Kenneth Coldy schleppte sich in die Wohnhalle und ließ sich in einen Sessel fallen. Er nickte dankbar, als die Frau ihm gerade einen Drink reichte. Der Makler wollte gerade trinken, als das Telefon läutete.

»Nein, nein, ich werde abheben«, sagte Coldy und stemmte sich aus dem Sessel. Er zögerte einen Moment, bevor er den Hörer aus der Gabel nahm, um seinen Namen zu nennen. Er hörte zu, wich dem Blick seiner Haushälterin aus und erklärte nach einigen Augenblicken, er sei überzeugt worden und ginge auf die Bedingungen ein. Dann ließ er den Hörer aus der Hand fallen, schleppte sich zurück zum Sessel und erlitt einen Weinkrampf.

Rose Neiler sah ihn überrascht-verständnislos an und wußte nicht, was sie tun sollte. Sie gewann aber den Eindruck, daß Kenneth Coldy etwas Schreckliches erfahren hatte.

*

»Ich werde Ihnen ein Geheimnis anvertrauen«, schickte Chief-Superintendent McWarden voraus, »ich rede mich damit zwar wieder mal um Kopf und Kragen, aber ich setze auf Ihre Verschwiegenheit. «

»Geschenkt«, meinte Anwalt Mike Rander, »Sie wissen genau, daß wir Sie nicht anschwärzen werden, McWarden. Sie haben von dieser Schlangengeschichte also schon gehört?«

Butler Parker, Mike Rander und McWarden hatten sich in den Räumen der Anwaltskanzlei getroffen, die sich in einem alten Backsteinbau in der Curzon Street befand. Über den Büros lagen auch die Privaträume Mike Randers, die er allerdings nur selten benutzte. Im Lauf der Zeit war er Dauergast im altehrwürdigen Fachwerkhaus der Agatha Simpson in Shepherd’s Market geworden.

»Ich habe eindeutig von einer Killer-Boa gehört«, beantwortete Chief-Superintendent McWarden die Frage des Anwalts, »auf meinem Schreibtisch sind da ein paar vertrauliche Mitteilungen aus Kreisen der Unterwelt gelandet.«

»Könnte es sich bei der erwähnten Killer-Boa um einen Kriminellen handeln, der sich zu profilieren gedenkt?« warf Josuah Parker ein.

»Nehme ich an, Mr. Parker«, gab McWarden zurück, der an eine gereizte Bulldogge erinnerte, »man scheint Angst vor dieser Killer-Boa zu haben.«

»Wie wäre es denn mit Einzelheiten?« fragte Mike Rander.

»Es sind nur Gerüchte, die diese V-Leute weitergeleitet haben«, äußerte McWarden, »der Gangster soll mit einer echten Schlange arbeiten.«

»Mit einer Boa constrictor, Sir?« wollte Josuah Parker wissen.

»Mit dieser schrecklichen Würgeschlange«, entgegnete der Chief-Superintendent, »scheußliche Vorstellung, nicht wahr? Ich frage mich allerdings, . ob man solche Reptilien abrichten kann. Was ich darüber bisher gehört habe, scheint das nicht möglich zu sein.«

»Was halten Sie von dieser Aufnahme, McWarden?« Mike Rander reichte dem Yardgewaltigen die Polaroidaufnahme, die Agatha Simpson mit der Morgenpost erhalten hatte. McWarden nahm das Farbfoto entgegen und verzog angewidert das Gesicht. Er überwand dann seinen Ekel und studierte das Bild sehr eingehend.

»Das Biest ist ja mindestens einige Meter lang, wenn man vom Kopf ausgeht, der da zu sehen ist.«

»Würden auch wir sagen, McWarden«, pflichtete Mike Rander dem Chief-Superintendent bei, »sind Ihnen solche Fotos schon begegnet?«

»Nein, nein, bisher nicht. Woher stammt diese Aufnahme?«

»Mylady wurde per Morgenpost damit bedacht«, erklärte der Butler in seiner unnachahmlich höflichen Art, »ein erklärendes Schreiben war dieser Aufnahme nicht beigefügt.«

»Das Foto kann aber nicht ohne Grund an Lady Simpson geschickt worden sein. Was ist denn passiert, Mr. Parker? Ich wette, da gibt es eine Vorgeschichte.«

Josuah Parker hielt es für angebracht, den Chief-Superintendent über den Besuch seiner Herrin bei Lady Lancing zu informieren. Er erwähnte ausdrücklich die Beobachtung der Louise Lancing, die eine ausgewachsene Boa gesehen haben wollte.

»Kann Lady Lancing sich geirrt haben?« fragte McWarden daraufhin nachdenklich-zweifelnd.

»Dies, Sir, sollte man nach Lage der Dinge verneinen«, antwortete Josuah Parker, »das Polaroidfoto redet eine eindeutige Sprache. Hinzu kommt die Tatsache, daß Ihre V-Leute von einer sogenannten Killer-Boa berichten. Vorsichtig ausgedrückt, Sir, scheint es hier gewisse Zusammenhänge zu geben.«

»Wahrscheinlich sollen gewisse Leute nervlich fertiggemacht werden, damit sie später jede gewünschte Summe zahlen«, meinte der Anwalt, »für mich läuft las alles auf Erpressung hinaus.«

»Würde ich auch sagen«, erklärte McWarden grimmig, »aber kann man ein Reptil dressieren oder in etwa abrichten? Das ist für mich die Kernfrage.«

»Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich gerade dieser Frage nachgehen«, versprach Josuah Parker, »hier in London dürfte es Zoo-Großhandlungen geben, die sicher mit einer klärenden Antwort dienen können.«

McWarden nickte und wollte sich verabschieden, doch in diesem Moment läutete das Telefon. Parker hob ab, meldete sich und reichte den Hörer dann an den Chief-Superintendent weiter. McWarden hörte einen Moment zu. Das, was er hörte, ließ die Röte in sein Gesicht steigen. Schließlich knallte er den Hörer in die Gabel und wandte sich an Mike Rander und Butler Parker.

»Das erste Opfer dieser Killer-Boa«, sagte er dann, »wenn Sie wollen, können Sie mitkommen.«

»Und welche Person, Sir, wenn man fragen darf, wurde gezwungen, das Zeitliche zu segnen?« erkundigte sich der Butler.

»Ein gewisser Reginald Cattler«, antwortete McWarden, »mehr weiß ich auch nicht, doch das wird sich bald ändern.«

*

Reginald Cattler, ein kräftiger Fünfziger, lag neben seinem völlig zerwühlten Bett auf dem Boden und bot einen schrecklichen Anblick. Sein verzerrtes Gesicht und die weit geöffneten Augen ließen erkennen, daß der Mann Todesängste ausgestanden hatte. Cattlers Hände waren verkrampft und befanden sich in Halshöhe.

Josuah Parker nahm seine schwarze Melone ab und ehrte den Toten. Mike Rander beugte sich vor, um Einzelheiten zu erkennen. Chief-Superintendent McWarden unterhielt sich leise mit einem Detective-Sergeant, der zur zuständigen Mordkommission gehörte.

»Nun, was würden Sie sagen, Parker? « Mike Rander richtete sich wieder auf. »Haben Sie die Würgemale am Hals gesehen?«

»In der Tat, Sir«, antwortete der Butler, »das bedauernswerte Opfer scheint einen, wenn ich so sagen darf, verzweifelten Kampf geführt zu haben.«

»Gegen eine Boa«, meinte der Anwalt und nickte. Er deutete auf ein Foto, das auf dem Boden lag und mit weißer Markierkreide eingerahmt worden war. Auf diesem Polaroidfoto war eine Riesenboa zu sehen, die sich eindeutig für ein Kaninchen interessierte, das an einem Salatblatt knabberte.

»Bewohner der unteren Etagen haben Geräusche hier in der Wohnung gehört«, berichtete McWarden, der auf den Anwalt und Butler Parker zuging, »sie hatten den Eindruck, als würden hier oben Möbel gerückt. Ein Hausbewohner hat dann später einen mittelgroßen, schlanken Mann gesehen, der eine Art Holzkoffer trug und damit das Haus verließ.«

»Der Behälter für die Boa«, urteilte Mike Rander sofort.

»Denke ich auch, Rander«, antwortete McWarden, »Sie sind auf meiner Linie. Die ganze Geschichte liegt jetzt etwa eine Stunde zurück.«

»Darf man erfahren, Sir, wie die Hausbewohner auf die Tat aufmerksam wurden?«

»Die Putzfrau von Reginald Cattler entdeckte den Toten«, berichtete McWarden weiter, »sie bekam einen hysterischen Anfall und liegt jetzt unten auf der Couch. Der Polizeiarzt hat ihr eine Spritze gegeben.«

»Welchem Beruf, Sir, ging der Verblichene nach?« fragte der Butler weiter.

»Reginald Cattler war Antiquitätenhändler, Mr. Parker. Sein Geschäft ist in Belgravia. Nach den Ermittlungen des Sergeants muß der Tote recht vermögend gewesen sein.«

»Das paßt durchaus ins Bild«, fand Mike Rander, »gibt es Verwandte?«

»Müssen wir alles erst noch Zusammentragen«, erwiderte der Chief-Superintendent, »Moment, da kommt der Arzt. Er weiß vielleicht mehr über die Würgemale.«

Der Polizeiarzt, ein sehr nüchtern aussehender Mittfünfziger, ließ sich auf keine Einzelheiten ein. Er konnte nur mitteilen, daß Reginald Cattler erwürgt worden war. Er sprach von einem schlauchartigen Gebilde, das um Cattlers Hals gelegen haben mußte.

»Könnte es sich um eine Boa gehandelt haben?« fragte Mike Rander.

»Durchaus«, lautete die Antwort, »aber festlegen kann ich mich natürlich nicht. Ich muß mir die Würgemale erst genauer ansehen.«

»Cattler ist aber eindeutig erwürgt worden?« wollte McWarden wissen.

»Fragen Sie mich das nach der Autopsie«, gab der Polizeiarzt zurück, »falls es aber eine Boa gewesen ist, frage ich mich, wieso das Reptil angegriffen hat. Cattler scheint doch geschlafen zu haben.«

Der Polizeiarzt deutete auf das zerwühlte Bett.

»Auch an Sie die Frage, Doc: Kann man eine Schlange dressieren?«

»Kaum«, gab der Arzt zurück, »aber mit Sicherheit will ich das nicht ganz ausschließen. Ich bin kein Reptilien-Fachmann.«

»Wenn Sie erlauben, werde ich mich jetzt dieser Frage widmen«, entschuldigte sich Parker, »Schlangen der Größe, wie sie auf dem Foto zu sehen sind, dürften meiner bescheidenen Ansicht nach nicht in jedem Haushalt zu finden sein.«

»Das fehlte noch«, gab Mike Rander zurück und schüttelte sich, »bevor ich mich heute abend ins Bett lege, werde ich alles gründlich durchsuchen. Ich habe keine Lust, von einer Boa überrascht zu werden. «

*

»Wenn es erlaubt ist, möchte ich Ihnen einen wunderschönen Tag entbieten, Madam«, sagte Josuah Parker, nachdem er die Tür zum Apartment geöffnet hatte. Er lüftete grüßend seine schwarze Melone und schaute wachsam und erwartungsvoll zugleich in den Wohnraum, der verdunkelt war.

»Treten Sie nur näher, Sir«, erwiderte eine etwas hart klingende Stimme, »warten Sie einen Moment, ich ziehe mir schnell etwas über.«

»Sie, Madam, hatten die Güte, meine Wenigkeit empfangen zu wollen, Sie bestimmen also über meine Zeit«, gab Parker zurück und entdeckte auf dem Teppich eine seiner Schätzung nach etwa vier Meter lange Boa, die ihn interessiert zu betrachten schien und hoffnungsfroh züngelte.

Parker war ein höflicher Mensch, bedachte auch die Boa mit einem Gruß und ließ sie nicht aus den Augen. Sie sah ihn sicher nur in vagen Umrissen, da die Augen einer Schlange nicht besonders gut ausgebildet waren, doch sie nahm seine Wärmeausstrahlung mit Gewißheit wahr und versuchte sich einen Eindruck von dem Besucher zu machen. Sie bewegte sich träge auf ihn zu und züngelte noch intensiver.

»Haben Sie Angst vor Schlangen?« fragte die Frau aus dem halbdunklen Zimmer. Die Besitzerin der Stimme hielt sich im Badezimmer auf, wie Parker inzwischen herausgefunden hatte.

»Meine Wenigkeit steht Reptilien mit einer gewissen Reserve gegenüber, wenn ich es so ausdrücken darf«, erwiderte der Butler und hakte seinen altväterlich gebundenen Regenschirm sicherheitshalber vom angewinkelten linken Unterarm.

»Ich komme sofort, Mr. Parker«, hieß es weiter, »noch einen Augenblick, bitte.«

»Mit einer Panik meinerseits dürfte kaum zu rechnen sein«, entgegnete Josuah Parker und betrachtete den mächtigen Kopf der Boa, die sich immer interessierter und näher heranschob. Das Züngeln verstärkte sich. Das Reptil schien Gefallen an Parker gefunden zu laben.

Der Butler war inzwischen zu einem Ergebnis gekommen. Das Reptil war gut und gern fünf Meter lang und ein besonders schönes Exemplar seiner Gattung. Parker wußte inzwischen, daß die Besitzerin der Stimme ihn mit Sicherheit beobachtete. Sie wollte wohl herausfinden, wie er auf Schlangen reagierte.

Es gab da nämlich noch ein zweites Reptil, das sich in sein Blickfeld schob. Diese Boa mochte etwa einen Meter kürzer sein, hatte jedoch immer noch eine bemerkenswerte Größe. Die zweite Boa kam unter einer Couch hervor und wollte den Anschluß nicht versäumen. Sie beeilte sich, ihre Vorkriecherin einzuholen.

Die erste Boa befand sich nur noch einen Meter entfernt von Parkers linkem Schuh. Der Butler, der von den wahren Absichten der Würgeschlange natürlich nichts wußte, brachte die Spitze seines Universal-Regenschirms in eine gewisse Abwehrstellung, unternahm jedoch nichts, um die Neugier des Reptils zu stoppen.

»Noch einen Augenblick, Mr. Parker«, wiederholte die Frau, »ich bin gleich soweit.«

»Man sagte meiner Wenigkeit, Sie besäßen insgesamt vier Boas«, antwortete Parker.

»Das ist richtig«, lautete die Antwort, »sie haben gerade ihre Freistunde, Mr. Parker.«

»Meinem Blick bieten sich im Augenblick nämlich nur zwei Schlangen«, erwiderte Parker.

»Dann müssen die beiden anderen wohl hinter Ihnen sein«, vermutete die Artistin, die Parker hier aufgesucht hatte. Der Butler nahm diesen Hinweis ungerührt zur Kenntnis und dachte nicht daran, sich ängstlich und blitzschnell umzuwenden. Er blieb gelassen stehen und beobachtete die Aktivitäten der beiden Boas. Sie befanden sich nun dicht vor seinen Schuhspitzen und trafen Anstalten, eine erste Umschlingung der Beine des Butlers vorzunehmen. Josuah Parker wich keinen Zentimeter zurück und staunte über die Dicke der Schlangenleiber. Die Tiere schienen übrigens gefüttert worden zu sein, wie er bemerkte. Die Schlangenkörper zeigten Ausbuchtungen, die der Größe eines Kaninchens entsprachen.

»So, jetzt bin ich soweit, Mr. Parker«, teilte ihm die Frau mit, »ich hatte mich nämlich hingelegt. Sie wissen, ich habe am Abend und gegen Mitternacht je eine Vorstellung, und die sind sehr anstrengend.«

Die beiden Boas zogen inzwischen ihre Kreise um Parkers Beinpaar und schienen sich in Spiellaune zu befinden. Parker hatte dagegen im Grund absolut nichts einzuwenden, doch er wollte nicht als Spielmaterial dienen.

Unmerklich für die beiden Boas und auch für die Artistin irgendwo im Halbdunkeln hatte Parkers schwarz behandschuhte Hand nach einer kleinen Spraydose gegriffen, die kaum größer war als ein normales Wegwerf-Feuerzeug. Parker ließ seine rechte Hand sinken und bedachte die Schlangen mit je einer Dosis.

Das Resultat war frappierend!

*

»Du lieber Himmel«, entsetzte sich die Artistin und kam schnell aus dem Baderaum. Sie blieb wie angewurzelt stehen und sah auf die beiden Boas. Eine von ihnen, das kleinere Exemplar, nieste im wahrsten Sinn des Wortes, und zwar derart heftig, daß ihr mächtiger Kopf gegen den Boden krachte.

Die zweite Boa zischte beeindruckt, um dann krampfartige Zuckungen zu produzieren. Aus ihren Augen rannen dicke Tränen. Dann hob das Reptil den Kopf und... nieste ebenfalls. Sie besorgte das mit einem Nachdruck, der einer kleinen Explosion gleichkam. Auch ihr Kopf schlug auf den Boden. Die Schlangenleiber entrollten sich und gaben Parkers Beinpaar umgehend frei. Das kleinere Reptil schielte aus tränengefüllten Augen beleidigt auf den Butler, um sich dann hastig zurückzuziehen. Das größere Exemplar hingegen schien eine gewisse Güterabwägung vorzunehmen und fragte sich offensichtlich, ob es einen Sinn habe, die schwarz bekleidete Gestalt anzugreifen. Das Reptil zischte deshalb sehr ungehalten, zeigte seine Fangzähne und wollte Eindruck schinden. Butler Parker aber blieb unbeeindruckt.

Die Boa war inzwischen zu einem Resultat gelangt. Sie entschloß sich, es mit einem blitzschnellen Vorstoß zu versuchen, um diesen unheimlichen Zweibeiner vielleicht doch noch in die Flucht schlagen zu können. Ja, sie rechnete sich augenscheinlich Chancen aus, ihren dicken Leib wenigstens um das Beinpaar dieses schwarz gekleideten Mannes rollen zu können, um ihn auf diese Art und Weise aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Der mächtige Kopf der Boa schoß blitzartig vor und verwandelte sich förmlich in einen Rammbock. Gleichzeitig schnellte der Leib der Würgeschlange peitschenartig zur Seite und wurde zu einer Art Lasso, das sich um Parkers Beine wickeln sollte. Doch es kam alles ganz anders. Ein Butler Parker war nicht der Mann, der sich in Verlegenheit bringen ließ.

Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms zielte Parker nicht weniger genau und blitzschnell auf den breiten Kopf des Reptils. Die Boa zuckte fast angewidert zurück und legte sich auf den Rücken. Dann scharrte und schob sie den Kopf über den Belag des Fußbodens und versuchte, den kleinen, durchaus nur oberflächlichen Einstich zu verwischen.

»Lassen Sie das Tier in Ruhe«, rief Mandy Brock, wie die Artistin hieß. In ihrer Stimme war deutlich Besorgnis zu vernehmen, »bitte, lassen Sie meine Boas in Ruhe...«

»Möglicherweise sollten Sie sich in diesem Sinn auch mit den Schlangen verständigen«, gab Josuah Parker zurück und verfolgte den Rückzug der Tiere. Die kleinere der beiden Schlangen hatte von sich aus auf jeden zusätzlichen Angriff verzichtet und beeilte sich, ins schützende Halbdunkel zu gegangen. Die große Boa war noch schneller. Sie hatte ihre Lektion gelernt und drückte sich unter die Couch. Von dort war dann hin und wieder nachhaltiges Niesen und Zischen zu vernehmen.

»Angst scheinen Sie nicht zu haben, Ar. Parker«, stellte Mandy Brock fest und zeigte sich endlich in voller Lebensgröße. Sie war eine langbeinige, gertenschlanke Frau von höchstens dreißig Jahren, die attraktiv aussah. Sie trug einen leichten Schminkmantel und in Tuch, das sie um ihr langes, blondes Haar geschlungen hatte.

»Sie sehen meine bescheidene Wenigkeit tief beeindruckt«, erwiderte der Butler, »darf ich mir gestatten, Sie zu diesen Boas zu beglückwünschen?«

»Was haben Sie mit den Tieren gemacht?« Mandy Brock schien ungehalten.

»So gut wie nichts, Miß Brock«, antwortete Parker, »es bedarf wohl einer großen Überwindung, mit diesen Boas allabendlich aufzutreten, oder sollte ich mich irren?«

»Man muß sehr aufpassen, Mr. Parker. Haben Sie die beiden anderen Schlangen gesehen?«

»Inzwischen schon«, lautete die Antwort des Butlers, »ein Exemplar hat sich auf der Gardinenstange wohnlich eingerichtet, das zweite Tier hängt im Garderobenständer, wenn ich so sagen darf. Ich möchte betonen, daß dies alles nicht dekorativ aussieht.«

»Sie interessieren mich, Mr. Parker«, gestand Mandy Brock, »ich habe selten einen Menschen erlebt, der so wenig Angst vor Schlangen hat wie Sie.« »Eine Frage der Haltung und Selbstherrschung«, faßte Josuah Parker zustimmen, »können wir möglicherweise jetzt zu einem kleinen, informativen Gespräch kommen, Miß Brock? Ich möchte mein mehr als bescheidenes Wissen über Schlangen erweitern.«

»Ich weiß, mein Agent hat mich informiert. Wollen Sie etwa auch eine Schlangennummer herausbringen? Eine Begabung dafür haben Sie mit Sicherheit.«

»Sie beschämen und beglücken zugleich meine bescheidene Wenigkeit«, bedankte sich Parker für das Kompliment und begab sich zur nahen Tür. Seine stets hellwachen Sinne hatten ein Geräusch auf dem Korridor mitbekommen, das seiner Ansicht nach nicht ganz regulär sein konnte.

Agatha Simpson, Kathy Porter und Mike Rander befanden sich zu dieser Zeit in einer Großhandlung für exotische Tiere. Die Firma, die einen guten Namen hatte, gehörte einem gewissen Charles Haggan, der von Zeit zu Zeit als Tierfänger unterwegs war.

Charles Haggan war etwa fünfzig und wirkte so trocken wie ein Bankbuchhalter, fand Mike Rander insgeheim. Haggan war klein, rundlich und trug eine dickglasige Brille. Es war kaum vorstellbar, daß gerade dieser Mann sich in den Dschungeln des Amazonas auskannte wie in seiner Westentasche. Noch weniger nahm man ihm ab, daß er sich ausgerechnet auf den Fang von Schlangen spezialisiert hatte.

Er hatte seine Besucher im Büro seiner Tierhandlung bei den Victoria Docks empfangen und führte sie über eine eiserne Wendeltreppe in die Lagerräume für Exoten. Seine Bewegungen waren erstaunlich geschmeidig und schnell.

»Sie werden sich wundern, Mylady, was für besonders hübsche Würgeschlangen ich habe«, meinte Charles Haggan begeistert, »ich habe gerade erst wieder eine Sendung erhalten.«

»Gibt es hübsche Würgeschlangen?« fragte die ältere Dame.

»Aber natürlich, Mylady«, redete Haggan sich in Begeisterung, »sie gehören mit zu den schönsten Tieren, die ich kenne. Denken Sie nur an die einmalige Geschmeidigkeit dieser Körper, dieses Gleiten, diese Kraft und diese höchst sensitiv ausgebildeten Sinne.«

»Sinne?« schaltete der Anwalt sich ein, »sind die Schlangen nicht so gut wie blind?«

»In gewissem Sinn schon, Mr. Rander«, bestätigte Haggan und führte seine Gäste in ein Gewölbe, in dem eine feucht-warme Atmosphäre herrschte, »die Augen der Schlangen sind nicht besonders ausgebildet. Die Tiere können gerade so etwas wie Umrisse erkennen, aber das ist es nicht, was ich meine. Ich denke da an die Wärmefühligkeit und an die Sinnesorgane, die auf die feinsten Erschütterungen spezialisiert sind. Ein Jagdhund ist dagegen direkt stumpfsinnig.«

»Aber einen Jagdhund kann man dressieren«, warf Kathy Porter ein, »eine Boa dagegen nicht.«

»Ist das richtig, Haggan?« wollte die Lady wissen. Sie stand inzwischen vor einem großen Terrarium, in dem einige Boas es sich bequem gemacht hatten. Die Reptilien lagen entweder auf dem Boden oder hingen wie schwere Trauben in einigen Astgabeln.

»Dressieren kann man Schlangen natürlich nicht«, lautete Haggans Antwort, »was wieder für den gesunden Instinkt dieser Tiere spricht, nicht wahr? Aber wenn man die Verhaltensweisen kennt, kann man sich natürlich darauf einstellen.«

»Gibt es überhaupt so etwas wie eine Killer-Boa?« Agatha Simpson begutachtete das nächste Terrarium, das wesentlich feuchter eingerichtet war und so etwas wie eine kleine Wasser- und Sumpfstelle enthielt. Hier waren zwei Anakondas untergebracht, jede gut und gern fünf Meter lang.

»Ist das nicht wunderbar?« freute sich Haggan.

»Gibt es Killer-Boas?« wiederholte Lady Agatha ihre Frage, »kann man eine Schlange darauf abrichten, Menschen anzugreifen und zu Tod zu würgen?«

»Eine schwierige Frage.« Charles Haggan rückte sich die Brille zurecht. »Ich möchte in etwa zustimmen, gleichzeitig die Frage aber auch wieder verneinen.«

»Präziser kann kaum eine Auskunft sein«, fand Lady Agatha grollend.

»Ich weiß«, entschuldigte sich Haggan, »eine Schlange, gleich welcher Art, greift nur an, wenn sie hungrig ist. Hat sie ihre Beute geschlagen, braucht sie Tage bis Wochen, um in aller Ruhe zu verdauen. Denken Sie nur daran, daß eine Anakonda – um ein Beispiel zu nennen – mit einem Wasserschwein oder Tapir wochenlang zu tun hat.«

»Ich spreche von Menschen, auf die man Boas ansetzen kann, Mr. Haggan«, erinnerte die Detektivin streng.

»Vorausgesetzt, man läßt eine Würgeschlange entsprechend lange hungern«, erklärte Haggan weiter, »vorausgesetzt, man kennt sich mit Schlangen besonders gut aus, dann wäre es unter Umständen vielleicht möglich, solch ein Reptil auf ein menschliches Opfer zu hetzen. Doch dazu bedarf es besonderer Voraussetzungen.«

»Die ich von Ihnen hören möchte«, sagte die Lady streng, »kommen Sie endlich zur Sache, Haggan!«

»Man müßte einen entsprechenden Köder in die Nähe eines Menschen bringen«, setzte der Tierfänger seiner Besucherin weiter auseinander, »falls eine Boa dann zupackt, falls der Mensch wach wird und sich bedroht fühlt oder falsch verhält, nun ja, dann wird solch eine Boa vielleicht auch diesen Menschen attackieren, weil sie sich ihrerseits angegriffen fühlt. Verstehen Sie, was ich meine?«

»Überhaupt nicht«, entschied Agatha Simpson. »Sie zählen mir zu viele Voraussetzungen auf, Haggan.«

»Um herauszustellen, daß man eine Würgeschlange kaum abrichten kann, einen Menschen anzugreifen«, faßte Haggan zusammen, »nein, wenn ich es recht überlege, so dürfte man auch bei größter Geduld kaum eine Würgeschlange zum Killer dressieren können, eine schreckliche Vorstellung, aber das nur am Rand. Gäbe es die Möglichkeit, eine Boa abzurichten, so hätte ein Mensch kaum eine Chance. Ihm würden sämtliche Knochen im Leib gebrochen, verlassen Sie sich darauf.«

»Angenommen, ich würde eine Boa durch ein geöffnetes Fenster in ein Schlafzimmer einschleusen«, schickte Mike Rander voraus, »wie würde die Schlange sich verhalten? Ich gehe natürlich davon aus, daß in diesem Zimmer ein ahnungsloser Mensch schläft.«

»Ich glaube kaum, daß etwas passieren würde«, lautete die Antwort des Schlangenexperten, »die Boa würde herumkriechen und nach Beute suchen, falls sie hungrig ist, doch einen Menschen würde sie sicher kaum anfallen.«

»Und dennoch, so etwas dürfte erst vor kurzer Zeit passiert sein«, erklärte der Anwalt, »und genau dabei scheint so etwas wie eine Killer-Boa im Spiel gewesen zu sein.«

»Das kann ich mir einfach nicht vorstellen«, meinte Haggan, »oder hat das Opfer sich mit der Schlange etwa angelegt? So etwas kann dann natürlich nur tödlich ausgehen.«

»Einzelheiten sind noch nicht bekannt«, bedauerte der Anwalt, »sagen Sie, gibt es vielleicht irgendwelche chemische Mittel, eine Boa anzuheizen?«

»Darüber ist mir wirklich nichts bekannt«, erwiderte Charles Haggan und befaßte sich wieder intensiv mit seiner dickglasigen Brille, »Sie denken an ein Dopingmittel?«

»So in etwa«, meinte Rander und nickte.

»Nein, nein, ausgeschlossen«, gab Haggan zurück, »wenn Sie mich als Fachmann fragen, so glaube ich, daß man die Killer-Boa nur erfunden hat, um Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen.«

»Was man bei mir nie schaffen würde«, behauptete Agatha Simpson.

»Würden Sie sich eine Boa um den Hals legen lassen, Mylady?« fragte Haggan und deutete durch die Scheibe des Terrariums auf eine Netzboa, die etwa vier Meter lang war.

»Selbstverständlich«, gab Lady Agatha zurück, »eine Kleinigkeit, aber es muß ja nicht gerade jetzt und hier sein, ich habe schließlich noch viel zu tun, nicht wahr, Kathy? «

»Da bin ich überfragt, Mylady«, antwortete Kathy Porter und lächelte.

»Ich habe eine Menge zu tun«, entschied die ältere Dame und betonte das Wort »habe« sehr nachdrücklich, »schließlich gilt es, einen Kriminalfall zu lösen, Kindchen. Kommen Sie, verlieren wir keine Zeit.«

Agatha Simpson hatte es plötzlich mehr als eilig, die Gewölbe der Tierhandlung zu verlassen. Dabei übersah sie das Lächeln, das Mike Rander und Kathy Porter miteinander tauschten.

*

Mandy Brock beobachtete Parker, der plötzlich die Tür aufriß und einem schlanken, mittelgroßen Mann gegenüberstand, der sich ertappt fühlte und die Flucht ergreifen wollte. Doch der etwa dreißigjährige Mann kam nicht weit. Parker benutzte den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms, um die Absatzbewegung zu stoppen. Er hakte mit dem Griff nach dem linken Fußknöchel des Mannes, der daraufhin verständlicherweise das Gleichgewicht verlor und stolperte. Eine Sekunde später lag der Mann flach auf dem Boden und stöhnte, was einen zusätzlichen Grund hatte. Er war mit der Stirn gegen die Korridorwand geschlagen und litt unter leichten Gleichgewichtsstörungen.

»Ich möchte nicht versäumen, Sie um Entschuldigung zu bitten«, sagte Josuah Parker, »hätten Sie etwas dagegen, wenn ich Ihnen meine Hilfe anbieten Würde? «

»Das ist ja Sullivan«, hörte Parker hinter sich. Er wandte sich um und sah Mandy Brock fragend an.

»Peter Sullivan«, sagte sie, »mein Partner und Tierpfleger, Mr. Parker. Was ist denn passiert?«

»Mr. Sullivan dürfte der Tür zu Ihrem Apartment etwas zu nahe gekommen sein«, erläuterte der Butler, »ich mußte notgedrungen davon ausgehen, daß man Sie belauschen oder gar vielleicht bedrohen wollte.«

»Er ist eifersüchtig«, meinte sie verächtlich und übersah die große Boa, die eine Möglichkeit witterte, die Enge des Apartments zu verlassen. Das Tier hatte die schützende Couch verlassen und schlängelte sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit zur Tür, die sie fast erreicht hatte. Dann zischte sie, als sie die Umrisse des Butlers ausmachte, und zeigte eine gewisse Unentschlossenheit. Nachdem sie ausgiebig gezüngelt hatte, erinnerte sich die Boa. Sie warf sich herum und ergriff die Flucht. Die Boa aktivierte ihre Muskeln, um so schnell wie möglich wieder unter die schützende Couch zu kommen.

»Mr. Peter Sullivan ist eifersüchtig?« erkundigte sich Parker nach diesem kurzen Intermezzo, »hat er Gründe, es zu sein, wenn ich allerhöflichst nachfragen darf? «

»Wir waren mal enger miteinander befreundet«, lautete die Antwort, »doch das liegt bereits einige Monate zurück. Nein, ich bin völlig frei und unabhängig. Vielleicht werde ich mich sogar schon bald von ihm trennen. Sein Nachspionieren geht mir langsam auf die Nerven.«

»Mr. Sullivan ist Spezialist, was Würgeschlangen betrifft? «

»Nun ja, er kommt gut mit ihnen zurecht, aber das werden andere ebenfalls schaffen.«

»Er tritt zusammen mit Ihnen in der Show auf?«

»Mehr oder weniger als Statist«, gab Mandy Brock zurück, »er tauscht die Schlangen aus und möchte mehr daraus machen. Er möchte eine Würgeszene in meine Show einbauen.«

»In deren Mittelpunkt Sie stehen sollen, Miß Brock?«

»Peter möchte diesen Auftritt ganz allein für sich haben, aber da mache ich natürlich nicht mit. Er würde mir ja glatt die Show stehlen.«

»Könnten Sie dies ein wenig verdeutlichen, wenn ich höflich bitten darf?«

»Ich tanze mit Schlangen«, redete sie weiter und beachtete ihren Partner und Tierpfleger geringschätzig. Peter Sullivan war gerade dabei, sich wieder aufzurichten. Seine Benommenheit schien sich gelegt zu haben. Er sah den Butler abschätzend an und tastete dabei vorsichtig an seine Stirn, auf der sich bereits eine Beule bildete.

»Nun geh’ schon«, rief sie ihm ungeduldig zu, »die Schlangen müssen noch gefüttert werden... Treib’ dich in Zukunft nicht vor geschlossenen Türen herum! Du hast ja erlebt, was dabei herauskommt.«

Peter Sullivan drückte sich an der Korridorwand hoch und griff dann übergangslos und leichtfertig den Butler an, der mit solch einer Attacke allerdings gerechnet hatte.

Kurz danach bildete sich auf Sullivans Stirn eine zweite Beule!

*

»Für mich ist dieser Fali wieder mal sonnenklar«, stellte Lady Simpson fest. Sie befand sich mit Kathy Porter, Mike Rander und Parker in ihrem Fachwerkhaus in Shepherd’s Market und nahm den Lunch zu sich. Da sie wieder mal auf Diät hielt und abzunehmen trachtete, begnügte sie sich mit ein wenig Rührei, einigen Scheiben Speck, der kroß gebraten war, einigen Bratwürstchen und einer mittelgroßen Portion Hummersalat.

»Und ich dagegen sehe überhaupt nicht durch«, meinte Mike Rander, »die Experten in Sachen Schlangen haben uns nicht gerade weitergebracht, oder? «

»In der Tat, Sir, wenn ich so sagen darf«, antwortete Parker, der sich angesprochen fühlte, »das direkte Abrichten einer Boa dürfte nach Lage der Dinge auszuschließen sein.«

»Schnickschnack, Mr. Parker.« Lady Agatha schüttelte den Kopf, »natürlich kann man diese scheußlichen Tiere abrichten, man will es aber nicht zugeben. Ich glaube, daß dieser Charles Haggan eine wichtige Rolle in diesem Kriminalfall spielt. Ich sehe noch jetzt diese Brille und die unheimlichen Augen. Der Tierfänger hat es faustdick hinter den Ohren!«

»Wo wäre sein Motiv, Mylady?« fragte Mike Rander. »Warum sollte er eine seiner Boas auf Menschen hetzen, falls das überhaupt möglich ist? «

»Wirtschaftliche Schwierigkeiten, mein lieber Mike«, antwortete die Detektivin, »Geltungssucht, Rachsucht, was weiß ich... Eines dieser Motive wird schon stimmen.«

»Der Gangster, der mit der Killer-Boa droht, muß sich mit Schlangen auskennen«, fand Kathy Porter.

Butler Parker 147 – Kriminalroman

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